Der beste Fänger der Welt von haki-pata (Ich fange dich) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Heute. Mein großer Tag! Ich bin aufgeregt. Oh Mann, bin ich aufgeregt. Ich kann es immer noch nicht glauben. Diese Spannung, fast greifbar. Gefühlte Tausend Millionen Stunden Training liegen hinter mir. Mindestens genauso viele blaue Flecke, Verstauchungen und Ermahnungen von Mom und Dad. Heute ist mein großer Tag. Ich höre Mister Haly. Ach…? Das ist heute eine Benefizveranstaltung? Wayne…? Bruce Wayne…? Den Namen habe ich schon mal gelesen. Ist das nicht…? Playboy, oder so…? Dad tätschelt meine Schulter. „Aufgeregt, Sohn?“ Ich lächele bloß, weil ich fürchte, wenn ich darauf antworte, kotze ich Dad auf das neue Kostüm. Mom hat es extra für diese Saison genäht. Für jeden von uns. Der Sparstrumpf hat für den Stoff ganz schön leiden müssen. Aber ich mag es. Rot und grün. Umhänge, die wir kurz vor unserem Auftritt abnehmen. Dad lächelt mir zu und nimmt mich kurz in den Arm. Er sieht es mir wohl an. „So ging es mir auch bei meinem ersten Auftritt.“ flüstert er. „Aber… Oben in der Luft… Da ist nur noch das Gefühl, von einem Trapez zum nächsten zu fliegen. Und dir, mein Sohn, wird es genauso gehen. Wetten?“ Ich nicke. Dad hat mich nie angelogen. Ein Mann kommt aus der Manege, stößt mich an und zischt mir eine Beschimpfung zu, ich solle nicht so im Weg herumstehen. Ich glaube, in seiner Hand blitzt ein Messer, bin mir aber nicht sicher. Seine Mütze ist tief ins Gesicht gezogen, trotzdem glaube ich, ihn schon mal gesehen zu haben. Aber nicht als Arbeiter bei uns im Zirkus. Ich grübele und es fällt mir ein. „Mom…“ sage ich und zeige auf den Kerl, komme aber nicht zu Wort. „Wir sind gleich dran, Liebling.“ flüstert Mom. „Werte Damen und Herren, liebe Kinder jeden Alters. Nun erwartet Sie eine atemberaubende Nummer. Denn heute… Zum ersten Mal vor Publikum am Trapez, neun Jahre alt und Meister des dreifachen Saltos. Richard, das jüngste Mitglied unserer FLYING GRAYSON!“ Der Applaus brandet auf. Winkend betreten wir die Manege. Dad ist der erste, der das Seil hochklettert. Ich bin immer wieder erstaunt, wie geschickt er das macht. Dann klettert Mom. Elegant und geschmeidig. Ich sehe Männer im Publikum, die sie mit offenen Mund anstarren. Dann klettere ich. Dads Training macht sich bezahlt. Ohne daneben zu fassen bin ich im Nu oben. Auf der Plattform legen wir unsere Umhänge ab. Mann! Wie klein die Gesichter der Leute sind. Höhenangst habe ich keine. Nie gehabt. Geht ja gar nicht. Bei meinen Eltern. Mom und Dad haben sogar auf dem Trapez geheiratet und Bilbo der Clown behauptet, ich sei auch auf dem Trapez gezeugt. So einen Unsinn erzählt er immer. Dad schwingt sich zuerst von einem Trapez zum anderen. Er ist der Fänger. Der beste Fänger der Welt! „Mom…“ Was weiß ich, wie ich jetzt darauf komme, danach zu fragen. „Bilbo sagte, ich sei auch auf dem Trapez gezeugt. Stimmt das?“ Oh! Mom wird rot und sie kichert. „Konzentrier dich!“ ermahnt sie mich und kichert erneut. Hm… Stimmt es etwa? Ob ich nachher Dad frage? Ja. Ich tue es. Doch jetzt… Ich konzentrier mich. „Richten Sie Ihr Augenmerk auf die Kuppel des Zeltes, werte Damen und Herren. Richard zeigt uns sein Können. Nicht nur das! Er wagt es OHNE Netz und Sicherheitsleine.“ Das Netz fällt zu Boden und ein bisschen mulmig ist mir schon. Aber… Ich habe ja Dad. Den besten Fänger der Welt. Und ich werde den Leuten da unten zeigen, was es heißt ein Flying Grayson zu sein. „Komm, Sohn!“ ruft Dad mir zu. Mom gibt mir einen Klaps auf den Po. „Und los!“ Ich schwinge mich auf das Trapez, schaukele hin und her. Dad hat Recht. Das Gefühl vom Fliegen ist viel stärker, als die Aufregung. Ich schwinge mich höher und höher. Die Aufregung verschwindet. Ich weiß, wann es Zeit ist für den Absprung. Dad wird mich fangen. Der beste Fänger der Welt. Ich springe. Einen Salto, noch einen, noch einen. Und ich lande in den Händen des besten Fängers der Welt. „Gut gemacht, mein Sohn!“ lobt Dad. Dem Publikum hat es auch gefallen. Ich höre es am Applaus. Von Dad schwinge ich mich auf das Trapez, vom Trapez auf die Plattform, auf der Mom steht. Sie drückt und küsst mich, lobt mich und gibt mir wieder einen Klaps auf den Po. Dann nimmt sie das Trapez. Wieder ist sie dabei so elegant und geschmeidig. Höher und höher. Ich sehe ihr gebannt dabei zu. Dann gucke ich zu Dad. Wenn Mom springt, wird er auch sie fangen. Ich sehe ein Seil des Trapezes. Moment? Das ist… ausgefranst? Wie denn? Dad hat alles kontrolliert, ehe wir auftreten. Der Typ! Das Messer! Unten spielt die Kapelle einen Trommelwirbel. „Mom!“ brülle ich. „Dad!“ Mom springt bereits. Vollführt ihre Kür. Elegant und geschmeidig. Dad schaukelt ihr entgegen, fängt sie sicher. Mein Herz bleibt stehen. Nichts passiert. Dad zwinkert Mom zu und Mom errötet, gibt ihm ein Luftküsschen. Ich bin auf dem Trapez gezeugt! Ganz bestimmt! Ich gucke auf das ausgefranste Seil. Nichts passiert… Nichts. Gut. Plötzlich… Ein merkwürdiges Geräusch… Das Seil reißt. Atemlose Stille. Ich höre nicht einmal meinen Herzschlag. Mom und Dad fallen. Hand in Hand. Sie schreien nicht. Ich sehe ihnen beim Fallen zu. Lächeln sie etwa? Zum Trost? Der Sturz scheint Stunden zu dauern. Fast wie in Zeitlupe. Der Aufprall kommt plötzlich. Das Bersten von Knochen höre ich bis zur Plattform. „Mom…“ hauche ich. „Dad…“ Dort unten liegen sie… Warum nicht hinterher springen? Ja… Dann… Wir wären wieder zusammen… Ich gehe noch einen Schritt. Einen Schritt noch. Die Manege füllt sich mit Zirkusleuten und Zuschauern. Ich stehe am Rand der Plattform und bräuchte nur noch einen Schritt. Einer der Zuschauer sieht hoch, sieht mich an. Das ist dieser… Bruce Wayne. Komisch… Ich sehe es von hier oben ganz deutlich. Ihm laufen Tränen über die Wangen und er schüttelt den Kopf, als wüsste er genau, wie es mir geht und was ich vorhabe. Mom ist tot. Dad ist tot. Es ist niemand mehr da, der mich fangen wird. Und wenn ich… jetzt springe, dann… dann… bin ich nicht allein. „Bitte.“ Ich kann es von seinen Lippen lesen. „Bitte nicht.“ In seinen Augen ist soviel Schmerz. Aber… Ich brauche nur noch einen Schritt… Nur einen einzigen… „Lass mich doch.“ wispere ich und erst jetzt weine ich, weil ich erst jetzt begreife, wie allein ich bin. „Ich springe und… Und ich falle und… Mich fängt keiner mehr…“ „Nein… Bitte…“ Bruce Wayne streckt mir eine Hand entgegen. „Bitte… Ich fange dich…“ *** Ich wache auf. So intensiv war dieser Traum schon lange nicht mehr. Der Tod meiner Eltern. Jahre ist es her. Ein Jahrzehnt sogar. Ich spüre, dass mich jemand umarmt und an sich gedrückt hält. Ich höre einen Herzschlag. Wahrscheinlich habe ich geschrieen, kann mich aber nicht daran erinnern. „Bruce…?“ wage ich die vorsichtige Frage. Sollte es wirklich Bruce sein? Nach dem Streit? Angeschrieen haben wir uns, aufs Derbste beschimpft. Letztendlich sogar geprügelt. Seine Nase habe ich ihm blutig geschlagen. Erst traue ich mich nicht, dann kommen diese Worte wie von allein. „Bist du das?“ „Ja, mein Sohn.“ Ich beginne zu weinen, kann gar nicht anders. Bruce hält mich immer noch, streichelt mein Haar. Er sagt nichts, weil er weiß, Worte helfen nicht. Er hält mich in seinem Arm und streichelt mein Haar. Ich bin fast zwanzig. Und dieser Mann hält mich im Arm und streichelt mein Haar, als sei ich wieder der kleine Junge und erst gestern hier angekommen. Wie dieser kleine Junge suche ich Halt und ich klammere mich an Bruce fest. Er japst kurz. Ich habe die gebrochenen Rippen vergessen, die er von der letzten Nachtschicht mitbrachte. „Sorry…“ nuschele ich und meine damit alles. Die Beschimpfungen, die Schläge und Tritte, die blutige Nase und auch die feste Umklammerung, die ich nicht zu lösen vermag. „Schon gut, mein Sohn.“ Er meint auch alles. Ich höre es. „Tut mir leid.“ schluchze ich. „Es tut mir so wahnsinnig leid. Ich bin… Ich wollte… Ich…“ Alles kommt hoch. Auf einmal. Besonders dieses eine Gefühl, das mir seit einiger Zeit zu schaffen macht. „Ich… Ich… falle…“ „Ich bin da, mein Sohn.“ Bruces Umarmung wird fester und er küsst meine Stirn. „Ich fange dich.“ Mein Dad, John Frederic Grayson war der beste Fänger der Welt. Aber nicht allein. Mich hält gerade der andere beste Fänger der Welt. Nicht mein Dad, aber ein Mann, der ihm am nächsten kommt. Der mich liebt, wie mein Dad mich geliebt hat. Wenn Bruce es mir auch nie gesagt hat, er hat es mir gezeigt. Zeigt es mir jetzt, in diesem Moment, in dieser Umarmung. Immer und immer wieder. Wie mein Dad… Er fängt mich auf und er hat mich nie angelogen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)