Tal der Nebel von cuby (Wendra-Welten) ================================================================================ Kapitel 1: Aufbruch ------------------- Aufbruch Tosch'ral blickte vom Bergpfad hinab. Unter ihm breitete sich das >Tal der Nebel< aus. Es war angefüllt mit weißlichgrauen, feuchten Schwaden, die sich im Halbschatten der Bäume über dem Sumpfland bildeten. Aus seiner Mitte ragten kaum sichtbar die Spitzen der hellen steinernen Türme. Dort unten gab es nie freie Sicht, denn die Feuchtigkeit wurde aus vulkanischen, heißen Quellen gespeist, so dass die Luft immer feucht und drückend schwül blieb. Der junge, kräftige Echsenmann begann mit dem Abstieg. Frierend hüllte er sich in den Fellumhang, zog ihn enger um die Schultern und stapfte weiter durch den Schnee, der noch immer den Pfad bedeckte. Vier volle Tage dauerte die Reise nun schon, und sein eigentliches Ziel lag noch immer weitere zwei Tagesmärsche entfernt. Diese Nacht wollte Tosch'ral nicht wieder in der Kälte verbringen, deshalb beschleunigte er seinen Lauf, um die Bergwelt zu verlassen und in den warmen Nebel einzutauchen. Doch das Tal schien viel näher, als es in Wirklichkeit war. Der beschwerliche Abstieg kostete viel Kraft und dauerte bis zur Nacht. Ihm blieb nichts weiter übrig, als diese Nacht auch noch außerhalb des Tales zu verbringen. In eine kleine Höhle gekuschelt, schlief er schon bald erschöpft ein. "Bring uns den >Stab von Schak'tar<, dann werden wir über deine Bewerbung beraten", hatten die Ältesten ihm aufgetragen. Nicht jeder Kämpfer konnte zu einem Wächter aufsteigen, die Bewerber mussten außer Muskelkraft und Geschicklichkeit auch Mut und Disziplin beweisen. Der kräftige Bursche erlernte schon seit der Jugend die Kampftechniken der Ahnen und trainierte gewissenhaft die Griffe und Taktiken. Körperlich besaß er günstige Voraussetzungen, um ausgewählt zu werden. - Dann würde er durch spezielle Nahrung schon bald wachsen und Muskeln zulegen. Doch zuvor musste er sich als würdig erweisen... Vogelstimmen weckten den Echsenmann auf. Die Kälte der Nacht saß ihm in den Knochen und er hatte jetzt großen Hunger. Mühsam kroch er aus der winzigen Höhle und streckte sich draußen im Licht der aufgehenden Sonne. Seine schuppige Haut zeigte schon deutliche Spuren einer nahenden Häutung, der dunkle Glanz über den gespannten Muskeln wich von Tag zu Tag mehr einem milchigen Grau. Das Tal war schon zu riechen - die modernden Pflanzen, Moose, das heiße Wasser... Mit knurrendem Magen klaubte Tosch'ral wilde Beeren von den Sträuchern, ebenso verspeiste er weiches, grünes Laub und das in diesen Höhen reichlich vorkommende Gelbkraut. Nach einigen Schlucken Wasser aus einer kleinen Bergquelle setzte er den Abstieg fort. Gegen Mittag erreichte er endlich das Tal und tauchte ein in immer dichter werdende Nebelschwaden. Der feuchte Boden unter seinen Krallenfüßen fühlte sich wesentlich angenehmer an als das Geröll der letzten Tage. Zügig setzte er die Wanderung fort. Das eigentliche Ziel dieser Reise jedoch würde wieder steinernen Boden haben - die zeremonielle Anlage der alten Wächter, ein Bauwerk, dass schon mehrere hundert Jahre hier im >Tal der Nebel< verborgen lag und nur von Anwärter und Geweihten betreten werden durfte. Der Weg dorthin führte durch ungezügelte Natur, er war nicht leichter als der steile Bergpfad. Tosch'ral kämpfte sich durch sumpfiges Gelände, in das er teilweise bis über die Knie einsank und dessen Schlamm zäh an den Beinen klebte. Seine Haut war nach einem Ausrutscher gänzlich mit diesem Morast bedeckt. Der Oberkörper trocknete im Laufe der Zeit und die schlammige Hülle bröckelte durch die Bewegung der Muskeln teilweise ab. Der Echsenmann nutzte die erste tiefe Wasserstelle, um sich zu säubern. Mit angehaltenem Atem im Seegras hockend, sah er sich unter Wasser um. Der Teich war etwas trübe, so dass die Sichtweite nur wenige Meter betrug. Langsam und ausgestreckt ließ sich Tosch'ral über den Grund treiben und benutze lediglich seinen kräftigen Echsenschwanz als Steuer. Geschickt erbeutete er einige kleine Fische, durfte sie hier aber nicht braten, weil er für die ganze Wanderung auf jegliche Technik und deren Errungenschaften verzichten musste. Feuer gehörte ebenso dazu wie Kleidung, Werkzeuge und das obligatorische Com-Armband, das jeder Wendra trug. Also verschlang er seine Beute roh, zusammen mit einer Handvoll Wassernüsse. So gestärkt und gesäubert setzte er den beschwerlichen Weg fort. Die Bäume hier hatten breite Brettwurzeln ausgebildet, um im Sumpfland festen Halt zu finden. Jede bildete somit ein Hindernis, dass einer halbhohen Wand gleichkam. Auch dieser Tag kostete viel Mühe, doch Tosch'ral ertrotzte sich Schritt für Schritt den Weg durch diese Wildnis. Für die Nacht richtete er sich ein Lager aus Laub und weichem Moos, kuschelte sich hinein und zog den Fellumhang über seinen Körper. "Du hast die Ehre, den >Steinernen Kreis der Erwählten< zu betreten. Erweise dich als würdig, und wir werden dich zur Ausbildung schicken." Ehrfürchtig hatte Tosch'ral die gelernten Anweisungen und Regeln wiederholt, er würde sich später nur auf sein Gedächtnis verlassen können. Nach einem zeremoniellen Bad war sein Körper mit duftendem Öl eingerieben worden und er hatte den einfachen Fellumhang, der seine einzige Kleidung sein sollte, überreicht bekommen. Technik durfte er nicht mit sich nehmen. Auch sein Com-Armband hatte er deshalb abgelegt. Seinen Aufbruch verkündete er in der ganzen Siedlung, indem er die Klangstäbe auf dem zentralen Platz anschlug. "Ich, Tosch'ral vom Volk der Bergland-Wendra, werde mich nun auf den Weg ins >Tal der Nebel< machen, um mich als würdig zu erweisen, der ehrenvollen Gruppe der Wächter beizutreten!" Zum Abschied züngelte er über die Krallenhände der Ratsoberen." Hier im wärmeren Klima erwachten die natürlichen Instinkte des Echsenmannes früher. Vorsichtig lugte er im ersten milchigen Licht des Morgens aus dem Blätterhaufen, der ein warmes Nachtlager gewesen war. Tosch'ral verharrte und züngelte intensiv und konzentriert. Die schwülwarme Luft trug viele Duftstoffe zu ihm. Ringsum stiegen bereits wieder dichte Nebelschwaden zwischen den alten und hohen Bäumen auf. Auch dieser Tag brachte viel Mühe und Überwindung etlicher Hindernisse. Natürlich gab es jederzeit die Möglichkeit, mit einem >Wolkengleiter< hierher zu fliegen, aber ein ausgewählter Bewerber musste sich den Weg hart erkämpfen. Dieser Abend jedoch belohnte Tosch'ral mit einem ersten direkten Blick auf die zeremoniellen Bauten, die sich auf einer großen Lichtung, umrandet von Wasser, in die Höhe erstreckten. Dieser Bereich des Tales wurde stets frei von Pflanzen gehalten, sonst hätte die üppige Vegetation hier längst alles überwuchert. Der >Steinerne Kreis der Erwählten< lag zum Greifen nahe, doch er durfte ihn noch nicht betreten. Erst am folgenden Tag, nach einem Ritus der Reinigung, war es ihm gestattet, dort sein Nachtlager für die folgenden Tage zu errichten. Tosch'ral wusch sich in den heißen Quellen, die wie ein breiter Wassergraben den Steinbau umgaben. Der Boden unter seinen Füßen war vor langer Zeit aus Steinplatten gebildet worden und nur spärlich mit hitzebeständigen Algen bewachsen. Fische oder Krebse gab es hier nicht, die würde er in den kleinen Teichen der Umgebung fangen müssen. Das mineralhaltige Wasser tat gut, es wärmte seine Muskeln und machte die Haut geschmeidig. Der Echsenmann ließ sich unter die Oberfläche sinken und wie schwerelos über dem Grund treiben. Wendra waren von Natur aus gute Schwimmer, wobei sich der kräftige Schwanz auch hier sehr nützlich zeigte. Was würde ihn morgen erwarten? Die Ratsoberen hatten sich nicht näher geäußert, auch nicht, was den Zeitraum dieser Reise anbelangte. Er wusste nur, dass er frisch gehäutet und hoffentlich erfolgreich zurückkehren würde. Diese Nacht verbrachte der Echsenmann auf dem Fellumhang sitzend. Leise sang er die alten Lieder der Wächter und Krieger vor sich hin. * * * Kapitel 2: Prüfung ------------------ Prüfung Als die Sonne aufging, streckte Tosch'ral seine steifen Muskeln. "Ich bin hergekommen, um den >Stab von Schak'tar< zu holen. Ich werde ihn als Zeichen der Würde zu den Ratsoberen zu tragen", sagt er laut, um sich anzuspornen. Dann hechtete er ins heiße Wasser und durchschwamm den breiten Wassergraben, in dessen Mitte sein Ziel lag. Noch war kaum etwas zu erkennen, weil dichte Nebelschwaden die Sicht behinderten. Das Tal hatte seinen Namen wirklich nicht umsonst. Am steinernen Ufer der künstlichen Insel angelangt, kletterte er aus dem Wasser, hob er die Arme und grüßte mit dieser Geste die Ahnen der Wächter. "Ich, Tosch'ral von den Bergland-Wendra, will heute die Prüfung der Auserwählten ablegen, um mir den >Stab von Schak'tar< zu verdienen!" Seine Stimme klang laut und klar. "Ich gelobe, die Regeln einzuhalten und mein Bestes zu geben!" Auf dem mit sorgfältig bearbeiteten, schwarzen Steinplatten ausgelegten Weg vor ihm lagen zwei lange Reihen große, weiße Steinkugeln, die der Wächter-Anwärter nun auf die knapp schulterhohen Säulen am Wegesrand heben musste. Jetzt würde sich zeigen, ob er wirklich kräftig genug für diese Prüfung war. Tosch'ral dankte noch einmal dem Rat, der ihm die Möglichkeit gegeben hatte, sich nun hier zu beweisen. Er holte tief Luft und hob die erste Kugel mit einiger Mühe auf den Sockel und ließ sie dort vorsichtig in die flache Mulde rollen, ebenso verfuhr er mit der zweiten. Mit fest angespannter Brust- und Bauchmuskulatur stemmte er auch die dritte auf ihren Platz. Doch schon die fünfte Kugel glitt ihm beinahe aus den Armen. Gerade noch rechtzeitig konnte er seine Füße in Sicherheit bringen. Erschöpft setzte er die steinerne Last ab und blieb keuchend daneben auf den dunklen Platten hocken. "Nein, ich will nicht schon hier scheitern", tadelte er sich selber. Sein Blick schweifte über die vielen in Achtergruppen, dem Zahlensystem der Wendra entsprechend, angeordneten Kugeln. Nach einer längeren Verschnaufpause begann er Echsenmann erneut. Die Reihe erschien endlos. Bei diesem Versuch stemmte er nur zwei Kugeln hintereinander auf ihren Platz, das ging zwar nicht leichter, erschöpfte ihn aber nicht so sehr. Steine verschiedener Größe zu schleppen, hatte er beim Training oft geübt, aber diese Kugeln waren viel schwieriger im Arm zu halten. Bis zum Abend schaffte er allerdings noch nicht einmal die Hälfte und fühlte sich am Ende seiner Kräfte. Es war abzusehen, dass diese Aufgabe längere Zeit als vermutet in Anspruch nehmen würde. Hungrig, weil er bis zum Ende der Prüfung die Insel zum Jagen nicht mehr verlassen durfte, und mit ausgelaugten Muskeln rollte er sich zusammen. Am Morgen schmerzte sein ganzer Körper, deshalb setzte sich Tosch'ral zuerst für längere Zeit ins Wasser der heißen Quellen. Sorgfältig wusch und massierte er seinen Körper, soweit das allein ging. Dieser Tag würde ebenso hart wie der vorige werden. Und nach den Steinkugeln folgten weitere Prüfungen auf dem Weg, eher er das Gebäude überhaupt betreten konnte. Verbissen beförderte Tosch'ral eine Kugel nach der anderen vom Weg auf die Säulen. Manches mal musste er nachfassen, um die Kugel nicht fallen zu lassen. Seine Sehnen und Muskeln wurden belastet wie nie zuvor. Der rauhe Stein schürfte die sich lösende alte Hautschicht von seiner Brust und den Armen. Doch auch dieser Tag verging, ohne dass er alles geschafft hatte. Da Tosch'ral nichts zu Essen hatte, trank er reichlich Wasser, um den Hunger zu verdrängen. "Ich habe mich nicht genügend auf diese Prüfung vorbereitet!" schalt er sich laut und verbrachte eine weitere Nacht auf den harten und kalten Steinplatten, um am Morgen wie auch schon am Tag zuvor weiterzumachen zu können. "Du wurdest vorbereitet, um die Prüfung der Wächter zu absolvieren. Wenn du es schaffst, den >Stab von Schak'tar< zu holen, werden wir dich weihen. Dann kann deine körperliche Umwandlung beginnen, so dass bald jeder deinen Rang sieht." Schon sehr frühzeitig hatte Tosch'ral Gefallen an den Kampfspielen der Wendra gefunden und trainierte seit er eine Jungechse war, übte mit anderen fleißig Laufen, Springen, Tauchen, Schwimmen und Klettern. Später erlernte er dann die Kunst des Ringen ebenso wie die Anwendung der üblichen Waffen. In seiner Familie gab es keine Wächter, aber er hatte insgeheim immer die riesigen, muskelbepackten Echsenmänner mit ihren Knochendornen auf dem Kopf bewundert. Er wollte eines Tage zu ihnen gehören, ihre Rüstung tragen und ihre Waffen beherrschen. Eine ähnliche wie der >Stab von Schak'tar< würde die Allererste davon sein... Verbissen kämpfte er sich Stein für Stein vorwärts. Die stetig abnehmende Zahl liegender Kugeln spornte ihn erneut an und gegen Mittag hob er die letzte auf die zugehörige Säule. Wenige Schritte vor ihm ertönte danach ein knirschendes, schleifendes Geräusch. Die schwarzen Platten des Weges verschoben sich seitlich unter die niedrige Mauer, die den Weg säumte, und gaben einen breiten Graben frei. Von unten hob sich ein nasser Holzzylinder von großem Umfang empor und bildete eine Art Brücke. Der Echsenmann trat überrascht an die Kante des Grabens und blickte hinab. Unten befand sich ein Wasserbecken mit steilen Wänden und kleinen Griffstücken. Er ahnte, was das zu bedeuten hatte. Vorsichtig stelle er einen Krallenfuß auf das glitschige Holz. Der Zylinder war drehbar gelagert, eine falsche Bewegung oder mangelnder Gleichgewichtssinn würde unweigerlich zu einem raschen Absturz in die Tiefe führen. Schritt für Schritt und mit den Armen die Bewegungen ausgleichend, balancierte er fast bis zur Mitte des Zylinders. Die Beinmuskulatur hatte inzwischen begonnen, merklich zu zittern, die Beanspruchung der Vortage machte sich nun bemerkbar. Der Echsenmann schaffte nur noch einige unsichere Schritte, dann verlor der das Gleichgewicht und stürzte in das Wasserbecken. Instinktiv kauerte er sich zusammen und schütze seinen Kopf mit den Armen, während er bis zum Grund sank. Als er die Augen im Wasser wieder öffnete, erblickte er den Totenschädel eines Wendra unmittelbar neben sich. Dieser schien ihn aus leeren Augenhöhlen anzustarren. Der Echsenmann stieß entsetzt Luft aus, eigentlich wollte er schreien, doch das war unter Wasser nicht möglich. Hastig stieß er sich vom Grund ab und schnellte bis zur Hüfte über die Wasseroberfläche, schockiert krallte er sich dann an den Griffstücken der Wand fest. Ein zweiter vorsichtiger Blick unter Wasser ließ ihn erneut erschaudern, denn auf dem Grund des Grabens lagen etliche Wendra-Skelette verstreut! Tosch'ral erklomm die Felswand und kroch keuchend über den Rand des Grabens auf den Weg. Niemand hatte ihm gesagt, dass es bei den Prüfungen Tote gegeben hatte! Würde er ebenfalls dort sterben, falls er unglücklich fiel oder ihn einfach nur die Kräfte zum Hochklettern verließen? Ein wenig zweifelnd, ob seine Fähigkeiten genügen würden, setzte er sich auf die schwarzen Steinplatten, um Kräfte zu sammeln. "Ich kann es schaffen. Ich muss mich nur anstrengen und auf mein Gleichgewicht achten." Der Weg vor ihm war von Nebelschwaden verhüllt, das Ende nicht in Sicht. Den dahinterliegenden hellen Steinbau konnte Tosch'ral nur erahnen. Wie viele Aufgaben würden nach den beiden ersten noch folgen? Vorsichtig stieg er erneut auf das glitschige Holz, ein Schritt, ein weiterer... Kraft nützte hier nichts, im Gegenteil. Erneut begannen seine überanstrengten Muskeln zu zittern. "Nur noch ein paar Schritte", murmelte der junge Wendra und versuchte, das Zittern unter Kontrolle zu bringen. Doch wie? Anspannen verbesserte die Situation ebensowenig wie locker lassen. Seine Beine gehorchten einfach nicht so, wie es für dieses Hindernis nötig wäre. Dieses mal schaffte er kaum die Hälfte des Weges und stürzte erneut nach unten. Prustend tauchte Tosch'ral auf und krallte seine Finger in die Felswand. Vorsichtig zog er sich hoch, denn auch die Arme wurden schwächer. Diese recht einfach wirkende Prüfung hatte es in sich. 'Hochziehen...", befahl er sich selber, der Aufstieg schien endlos zu dauern. 'Du bist ein guter Kletterer!" Erschöpft kroch er oben auf die steinernen Wegplatten und bleib einfach eine Weile liegen. Tosch'ral beschloss, ein Bad in dem heißen Wasser des Ringrabens zu nehmen. Nach anstrengenden Trainingseinheiten hatte er immer mit den anderen zusammen so entspannt. Bis über die Nase im Wasser, lehnte er mit dem Rücken an dem bemosten Steinen und ließ er kleine Luftblasen aufsteigen. Er fühlte sich müde und döste etwas vor sich hin. Nach dieser längeren Pause fühlten sich seine Beinmuskeln wieder ausgeruht an und er wagte einen neuen Übergang. Der Zylinder drehte sich bei der kleinsten Bewegung und Tosch'ral konzentrierte sich auf Gleichgewicht, Schrittmaß und Atem. Nein, er wollte auf keinen Fall da unten im Wasserbecken enden, er wollte auch nicht noch einmal dort hinabstürzen. Mit einem letzten angehaltenen Atemzug erreichte der Echsenmann das Ende des Zylinders und festen Boden unter seinen Krallenfüßen. Erleichtert stieß er einen langen Pfiff aus und hockte sich hin. Wieder verschoben sich die Wegplatten und gaben eine Reihe von acht quadratische Säulen frei. Diese hatten den Abstand eines Sprunges. Der Graben selber schien mit einem schwarzen Schlamm gefüllt zu sein, jedenfalls roch es modrig. Nein, da hinein wollte er nicht fallen! Der Echsenmann straffte sich und schnellte auf das erste Ziel. Im selben Moment schlugen rings um ihn Flammen hoch. Laut quiekend riss er die Arme hoch, um den Kopf zu schützen und brachte seinen Schwanz in Sicherheit, indem er ihn um ein Bein ringelte. Mit einem weiteren und hastigen Satz war Tosch'ral wieder am Grabenanfang. Sein Herz hämmerte, er hatte große Angst vor Feuer und war reflexartig zurückgesprungen. Die Freude über das schnell geschaffte zweite Hindernis verebbte schlagartig. Bei Aufgabe drei ging es nicht um Kraft oder Geschicklichkeit, hier musste er gegen eine tiefe Angst ankämpfen. Er blickte zurück, den Weg entlang, den er gekommen war. Auch dort war alles frei, der Wassergraben mit dem Zylinder lag wieder verborgen unter den Steinplatten. Umkehren? Tosch'ral erinnerte sich an die Aufzeichnungen über einige wenige, die diesen Weg gewählt und die Prüfung später wiederholt hatten. Es galt nicht als Schande, die eigenen Grenzen einzugestehen. Doch was war mit jenen, die in diesem Graben starben? Das Leben für diese Prüfung zu geben? Der Echsenmann hockte sich am Rand der Flammengrube hin und züngelte nachdenklich. Auf der ersten Säule war ihm nichts passiert, nicht einmal den Schwanz hatte er sich angesengt. Umkehren... Der Rückweg bot keine Hindernisse, er konnte also jederzeit diesen Weg wählen. "Feuer ist kein Feind, nur meine Angst ist einer." Angst... Das war leichter gedacht, als es sich ausführen ließ. Diese Angst saß tief in ihm, obwohl er mit Lagerfeuern vertraut war. Aber nahezu von Flammen eingeschlossen zu sein... Kurz entschlossen schnellte er auf die erste der acht Säulen und wieder schlugen die Flammen hoch, so dass sie ihn fast gänzlich einhüllten. Mit angehaltenem Atem und zusammengekniffenen Augen hielt Tosch'ral stand und wartete ab, ob das Feuer verschwinden würde oder ob er vielleicht sogar hindurchspringen müsste, um weiterzukommen. Während dessen zitterte er am ganzen Körper. Nach einem ihm unendlich lange erscheinenden Zeitraum erloschen die Flammen und gaben den Blick nach vorn frei. Der Echsenmann hocke sich erneut hin und züngelte. Nichts war angesengt worden. Aber... Wenn er nun das Gleichgewicht verlieren und ins Feuer stürzen würde? Waren auch bei dieser Prüfung Anwärter gescheitert - und gestorben? Hier konnte er aber nichts dergleichen entdecken, also zwang er sich zu Ruhe und Disziplin. Die Säulen vor ihm hatten jede einen kleinere Abmessung als die, auf der er gerade stand. Das Feuer würde also mit jedem Sprung näher kommen. Und auf der letzten... Beherzt sprang er vorwärts und stellte sich sogleich nach der Landung aufrecht hin. Dadurch kamen die Flammen nicht so nahe und es wurde nicht so unangenehm heiß. Mutig eroberte er auch die nächsten Säulen. "Jetzt habe ich über die Hälfte geschafft, nun werde ich nicht mehr umkehren!" trieb er sich selber an. Vor den letzten drei Säulen beruhigte er noch einmal seinen Atem und sprang dann los. Hitze umhüllte ihn, er glaubte, sie würde ihn verbrennen. Als er wieder frei stand, ließ er sich keuchend auf dem Stein nieder und züngelte. Bis auf einige angesengte Stellen der sich lösenden Hornschicht der Haut erschnüffelte er nichts. Allerdings würde er nach den letzten Sprüngen mit Sicherheit ziemlich lädiert aussehen. Wahrscheinlich schickten die Ratsoberen die Anwärter deshalb zu diesem Zeitpunkt ins >Tal der Nebel<, damit die Haut frisch und glänzend aussah, wenn sie stolz zurückkehrten. Stolz... Tosch'ral fühlte bereits jetzt Stolz in sich. Er hatte zwar noch nicht den ganzen Weg geschafft und wusste auch nicht, wie viele Aufgaben er noch bewältigen musste - aber so weit gekommen zu sein, schien ihm eine sehr respektable Leitung. Schon jetzt hatte er seine früheren Grenzen überschritten. Ein weiterer Sprung und die heiße und beängstigende Feuerwand um ihn herum ließ ihn laut und quiekend aufschreien. Die letzte würde sehr schmerzhaft sein! Der Echsenmann presste die Zähne zusammen, dann sprang er brüllend los. Hautfetzen verbrannten zischend und knisternd. Mit einem weiteren Aufschrei hielt er den Schmerzen stand und mit letzter Kraft erreichte er das Ende der Feuergrube. Vor ihm verschoben sich die Wegplatten und gaben ein Wasserbecken frei. Mit angesengten, herabhängenden Hautfetzen am ganzen Körper rannte der Echsenmann los und sprang eilig ins Becken. Das dieses mal kalte Wasser linderte die Schmerzen sofort. Erschöpft, auch wenn diese Prüfung kaum körperliche Anstrengung verlangt hatte, blieb er mit angehaltenem Atem auf dem Grund des Wasserbeckens liegen. Er war hungrig, aber auch hier gab es noch nichts zu essen, also trank er nur Wasser. Vielleicht würde er ja schon bald das steinerne Gebäude erreichen. Dort hätte er Unterkunft und Verpflegung und könnte in Ruhe die baldige Häutung abwarten, die auch einen Neubeginn symbolisierte. Sauber und erfrischt schritt er voller Zuversicht in den vor ihm liegenden Nebel. Schon nach wenigen Schritten zeichneten sich dunkle Schatten ab, dann wurde das Gebäude immer deutlicher. Das alte Bauwerk aus hellen und dunklen Steinen wirkte sehr beeindruckend. Das Alter von mehreren Jahrhunderten sah man ihm nicht an, denn es wurde sorgfältig gepflegt. Die vier Türme ragten hoch in den Nebel, so dass er die Spitzen nicht zu sehen konnte. Ehrfürchtig verharrte Tosch'ral am Anfang des Ganges, dessen Eingangstor sich vor ihm öffnete. Der rauhe dunkle Stein des Weges hinter sich lassen, betrat er nun das Gebäude der Wächter. Der Boden des großen Kuppelbaus vor ihm war mit schwarzem, poliertem Marmor ausgelegt, in der Mitte ragte, umgeben von einem weißen Ring, die lebensgroße Statue des legendären Kriegers Schak'tar auf einem Sockel empor. Er trug die silbern glänzende traditionelle Rüstung, den Rest des Körpers bedeckte das computergesteuerte blaue Flüssigmetall, das auch die Tex bei einigen ihrer Zeremonien verwendeten. In seiner nach oben gereckten rechten Hand hielt er den Stab, das Artefakt, welches die Wächter aus der alten Heimat mitgebracht hatten. Seit Generationen diente es der Weihe der neuen Wächter. Schak'tar war es gewesen, der den Kult der Krieger neu geformt und der veränderten Zeit angepasst hatte. Die kriegerischen Auseinandersetzungen waren der Diplomatie gewichen. Bürgerkriege gab es schon lange nicht mehr, Kämpfe trug man nun fern der Heimat per Raumschiff aus. Krieger der alten Schule wurden nicht mehr gebraucht, aber die neuen Siedlungen sollten nicht schutzlos bleiben. Deshalb schuf Schak'tar mit deinen Gefährten eine neue Schule, um tapfere Wächter auszubilden. Sie sollten die Würden der Krieger weitertragen, ihre Kampfkünste und ihre Pflichten. Die Kampfrituale wandelten sich zu sportlichen Wettstreiten... Atemlos betrat er die große Halle, so überwältigend hatte er sich das hier nicht vorgestellt. Die Statue wirkte riesig, denn Schak'tar war noch größer als die anderen Wächter gewesen. Tosch'ral würde ihm noch nicht einmal bis zur Hüfte reichen. Wie nur sollte er den Stab an sich bringen? Der Echsenmann versuchte es mit seiner gut ausgebildeten Sprungkraft, kam aber nicht annähernd so hoch. "Das ist doch lächerlich!" fauchte er nach einigen Fehlversuchen. "Jetzt bin ich so weit gekommen und führe mich auf wie ein unwissender Springer!" Tosch'ral blickte hinauf und betrachtete den >Stab von Schak'tar< genauer. Er schien fast nur aus einfachem dunklen Holz zu bestehen, die Enden waren mit dem blauen Metall beschlagen. Der Rückweg mit dieser langen und schweren Waffe würde mehr Zeit und Kraft in Anspruch nehmen... Aber noch hatte der Echsenmann das Artefakt nicht in seinen Händen, und wenn ihm nicht bald eine Lösung des Problems einfiele, würde er es nie erreichen können. Wie also hinauf gelangen? Oder ließ sich die Statue etwa absenken? Aufmerksam nach irgendeinem Anhaltspunkt Ausschau haltend, umschritt er den Sockel. Aber der bestand nur aus glattem weißen Marmor ohne jegliche Verzierung. Tosch'ral sah sich im Saal um. Vielleicht könnten aber die Wandreliefs Informationen liefern. Er schritt sie ab und las laut die dort im Stein verzeichneten Überlieferungen, Regeln und Gesänge der Wächter. Er betrachtete die kunstvoll gestalteten Abbildungen von Kämpfern und Anwärtern. Letztere konnte man leicht erkennen, denn Wächter hatten üblicherweise die doppelte Körpergröße. Letztlich kehrte er zur Statue zurück und umrundete sie nochmals. Nichts. Müde von den Anstrengungen der letzten Tage, rollte er sich auf dem harten Marmorboden vor der Statue zusammen und schlief rasch ein. Der junge Echsenmann wusste nicht, wie lange er so geruht hatte. Die Halle war gleichbleibend matt erleuchtet und bot keinerlei Hinweis über die Tageszeit. Er streckte seinen müden Körper und erhob sich dann langsam auf die Knie. Dabei traf sein Blick wieder auf den weißen Marmorring. Die Fugen schienen etwas breiter als beim schwarzen Marmor, außerdem sah er winzige Beschädigungen. Nachdenklich hockte er sich hin und ließ seine blaue, gespaltene Zunge hinauspendeln. Mit den Krallen seiner rechten Hand fuhr er die Kanten nach. Säulen? Jeder weiße Stein hatte eine Größe, auf der bequem ein großer Wenrdafuß Platz fand. Der Echsenmann blickte nach oben. Der Steinkreis kam verdächtig nahe in den Bereich der weit ausladenden Stabwaffe. Wurden bisher alle Veränderungen automatisch ausgelöst, sollte er hier nun offensichtlich den Auslöser selber finden. Er probierte, auf einem der Steine zu stehen. Notfalls passten sogar beide Füße darauf, wenn er die Krallen seitlich anklammern würde. Stein für Stein schritt er den Ring ab, und als er schon dachte, es sei die falsche Idee gewesen, schob sich eine Säule unmittelbar vor ihm etwas aus dem Boden. Tosch'ral stieg darauf und eine weitere Säule hob sich leise schleifend vor der erste nach oben. Schritt für Schritt erklomm er nun diese seltsame Treppe, die um die Statue herumführte und letztlich hoch über dem schwarzen Fußboden in Reichweite des >Stabes von Schak'tar< endete. Vorsichtig löste der Echsenmann diesen zeremoniellen Stab aus der Hand der Wächterstatue. Dabei klammerte er die Krallen seiner großen Füße fest um den Rand der Standfläche, denn die Länge und das Gewicht der Waffe brachte ihn beinahe aus dem Gleichgewicht. Endlich hielt er das Ziel der langen Reise und der vielen Anstrengungen in seinen Händen. Zügig schritt der die Ringtreppe wieder hinab und verneigte sich vor der Statue. Die weißen Säulen senkten sich mit einem leisen, schleifenden Geräusch und zwei der großen Wandreliefs schoben sich zur Seite. Dahinter lag ein Raum mit Ruhemulde und Badebecken. Erleichtert betrat Tosch'ral diesen Raum. Dort gab es eine verzierte Nische mit Wandbild und Waffenständer. Er stellte den Stab vorsichtig ab. Erschöpft ließ sich der Echsenmann ins heiße Wasser gleiten und döste vor sich hin. Er konnte noch gar nicht glauben, dass er die Prüfung erfolgreich absolviert und das Artefakt errungen hatte... Später sah er sich in diesem Raum etwas um, es hieß ja, dass er dort endlich wieder etwas essen durfte, also sollte auch Nahrung vorhanden sein. Allerdings gab es weder Wandschränke, noch stand etwas herum. Nur ein steinerner, quadratischer Sockel aus weißem Marmor erregte seine Aufmerksamkeit. Das schwarze Oberteil war zeigte Darstellungen von Tieren und Pflanzen. Tosch'ral hockte sich hin und hob dieses Oberteil ab. Darunter fand er neben Reinigungsutensilien auch konservierte Lebensmittel und eine tönerne Schüssel. Obst, Gemüse, aber auch Fleisch und Fisch lagerten hier noch nicht lange, er kannte die üblichen Versiegelungen. Rasch öffnete er die Verpackung und aß sich nach all den Tagen endlich wieder satt. Zufrieden und müde rollte er sich in der weich gepolsterten Ruhemulde ein und fiel schon bald in einen tiefen Schlaf. "Wenn du mit dem >Stab von Schak'tar< zu den Ratsoberen bringst, werden wir sehr stolz auf dich sein." Seine Eltern, Geschwister und andere Verwandte hatten ihm zum Abschied umarmt und über seine Nase gezüngelt. "Aber auch wenn du scheitern solltest, sind wir sicher, dass du dein Bestes gegeben hast und es ein nächstes mal versuchen wirst." Am Morgen, eher zu einer Zeit, die er für den Beginn des folgenden Tages hielt, erwachte der Echsenmann und streckte seine Muskeln. Der ganze Körper schmerzte, so dass er sich nach einem Frühstück wieder in das Becken mit heißem Wasser setzte. Inzwischen war auch die Häutung weiter fortgeschritten, seine sonst dunkle Haut wirkte nur noch schmutziggrau. Außerdem hingen an den abgesengten Stellen nun weitere, milchige Fetzen herab. Er beschloss, die nächsten Stunden im Wasser zu bleiben, um die Haut weich und geschmeidig zu halten. Das Wasser, gespeist aus einer der vielen vulkanischen Quellen im Tal, roch ein wenig nach Schwefel und enthielt viele Mineralien. Später verließ er den Kuppelsaal und begab sich nach draußen. Die Sonne hatte die dunklen Steinplatten des Weges aufgeheizt, dort setzte Tosch'ral sich nieder und blickte in die Ferne. Der Nebel war nicht so dicht wie üblich, aber mehr als einige Sprünge weit konnte er auch dieses mal nicht sehen. Zufrieden dachte er an die bewältigten Aufgaben. Schon bald würde er als Wächter geweiht werden. Dann dürfte er auch ab und zu wieder hierher kommen, um an Ritualen teilzunehmen, denn den anderen Wendra bleib das >Tal der Nebel< verwehrt. Diese Nacht verbrachte er im Wasser und als er die Zeit für gekommen hielt, streifte sich Tosch'ral die alte, halbdurchsichtige Hornschicht vom Körper und legte sie in das hölzerne Kästchen, dass er dem Steinsockel entnommen hatte. Nichts sollte das Wasser im Badebecken verschmutzen. Wegen der abgescheuerten und versengten Stellen musste der Echsenmann viele einzelne Fetzen lösen, doch letztlich stand er beinahe schwarz glänzend auf und verließ das Badebecken, um sich mit Öl einzureiben. Nun war die Zeit für die Heimreise gekommen. * * * Kapitel 3: Begegnung -------------------- Begegnung Ein letztes mal verneigte er sich vor der Statue, dann verließ er mit dem geschulterten Stab das Gebäude. Der Weg führte ihn rasch zu dem breiten, ringförmigen Wassergraben. Dort entlang gab es keinen Hinweis mehr auf die absolvierten Prüfungen. Auf der anderen Seite, am natürlich belassenen Ufer, nahm er seinen Fellumhang, den er dort in eine Astgabel gehängt hatte, wieder an sich. Während der langen Wanderung über den Gebirgspass würde er ihn dringend brauchen. Ohne Schwierigkeiten erreichte er den nahen Sumpfwald, doch ab dort erwies sich das schwere Artefakt als sehr hinderlich. Immerhin hatte es die Abmessungen für einen Wächter und Tosch'ral war gerade halb so groß. Sorgfältig darauf achtend, dass der so mühsam errungene >Stab von Schak'tar< weder schmutzig noch nass wurde, arbeitet sich der Echsenmann bis zum Einbruch der Dunkelheit durch den unwegsamen Sumpf. Die Nacht verbrachte er wie schon auf dem Hinweg in einer mit Laub und Moos gefüllten Grube. Mühsam kämpfte er sich auch am folgenden Tag Schritt für Schritt vorwärts bis schließlich der Wald lichter wurde und den Blick auf das Gebirge freigab. Die Nacht wollte er aber noch hier verbringen, auch wenn es erst früher Nachmittag war. In einem der vielen Teiche wusch er sich den Schlamm ab, um den Rückweg sauber anzutreten. Der Echsenmann fing noch einige Fische und verspeiste sie rasch. Er war sich nicht sicher, ob er von hier einen kleinen Vorrat mit sich nehmen durfte, denn die Anweisung, unterwegs Nahrung zu suchen, galt nur für den Hinweg. Vier Tage anstrengende Bergwanderung lagen noch vor ihm, also füllte er sich den Bauch mit kleinen, schmackhaften Silberschuppen, saftigem Seegras und würzigen Baumpilzen. Zügig schritt er im ersten Licht der Morgensonne mit dem geschulterten Stab den immer steiniger werdenden Pfad nach oben. Unterwegs verzehrte er Beeren, Kräuter und Blumen, trank aus klaren Bergquellen oder kleinen Regenwasserbecken im Fels. Doch mit zunehmender Höhe wurde die Vegetation karger und schließlich aß er Felsmoos und Schnee, um die anhaftende Erde aus dem Mund zu bekommen. Von einer Felsklippe blickte er noch einmal zurück. Das Tal lag wie zuvor verborgen unter Nebelschwaden. Nicht einmal die Türme konnte Tosch'ral heute sehen. Er dachte an die letzten Tage zurück. Als er das erste mal das >Tal der Nebel< erblickte, war er aufgeregt gewesen. Was ihn dort erwarten würde, lag außerhalb seiner Vorstellung. In Gedanken ging er durch, was letztlich dort alles geprüft wurde, was er anwenden und beweisen musste - Kraft und Ausdauer, Geschicklichkeit und Ruhe, Mut und Überwindung, Geduld und Beobachtung. Die Aufgaben hatten sehr viel von ihm gefordert, er hatte vor allem gegen Erschöpfung und Angst kämpfen müssen. Zuversichtlich schritt er voran, die wenigen Tage des Rückweges würde er auch noch schaffen, falls er nicht ungeschickt abrutschte. Gegen Mittag überschritt er den Pass, von da ab würde es wieder wärmer werden. Vielleicht schaffte er es sogar, bis zur Dunkelheit aus dem Schnee herauszukommen, in den er teilweise bis zu den Knien einsank. Der weitere Weg zur Siedlung verlief unterhalb der Geröllfelder über Bergwiesen und an einem kristallklaren See vorbei. Doch noch stapfte Tosch'ral durch endlose Schneewehen und leider schaffte er die geplante Strecke bis zum Abend nicht. Also suchte er einen windgeschützten Felsspalt und kuschelte sich mit dem Fellumhang hinein. Völlig durchgefroren machte er sich früh am Morgen mit steifen Gliedern wieder auf den Weg. Der Pass lag ja schon längst hinter ihm und die ersten unverwüstlichen Kletterpflanzen eroberten die kalten Höhen, aus denen er nun zügig hinabstieg. "Nur noch drei Tage", spornt er sich an und schritt kräftig voran. Die nächste Rast würde er wieder am >Blauen Spiegel<, wie man den klaren Bergsee nannte, machen. Dort hatte er sich auf dem Hinweg ein kuscheliges Nest aus Moosen und Laub hergerichtet. Der Weg dahin führte über ein altes Geröllfeld, dann musste Tosch'ral den kleinen Gebirgsbach überqueren und zuletzt lagen saftige Grashänge vor ihm. In der Ferne wurden die hellen Kuppeldächer der Siedlung sichtbar. Der Echsenmann gönnte sich bei diesem Anblick eine kleine Rast. Vor acht Generationen hatten die ersten Siedler hier eine neue Heimat gefunden. Das hier in seine Einzelteile zerlegte Raumschiff bildete die technische Grundversorgung, danach wuchs daraus schnell eine Ansiedlung und die neue Gemeinschaft festigte und entwickelte sich auf diesem fernen Planeten. Die Wendra, die hier lebten, stammten aus den Stämmen des Felslandes, des Waldlandes und aus den heißen Wüstenregionen, dem Sandland. Dementsprechend hatte ihre Haut unterschiedliche Grundfarben und Muster. Tosch'rals Familie entstammte dem Felsland, sie waren dunkelhäutig mit feinen helleren Linien. Sein bester Freund Ka'jeno, ein Sandland-Wendra, bildete äußerlich einen starken Kontrast, denn dessen Stamm war hellhäutig mit dunkleren Gliedmaßen. Ka'jeno... Er hatte kein Interesse an Kampfspielen. Der hochgewachsenen, schlanke Echsenmann widmete seine Zeit lieber der Malerei. Ab und zu musste Tosch'ral für ihn Modell stehen, denn dessen kräftiger, muskulöser Körper bot ein gutes Motiv. Sie waren eben nicht nur äußerlich recht unterschiedlich. Auf der Wiese sitzend, ließ der Echsenmann den Blick über die Hänge schweifen. Es war Zeit, weiterzugehen, um die Reise abzuschließen. Plötzlich verspürte er ein leises Grollen ringsum, Vögel schreckten hoch und der Boden vibrierte spürbar. Kleine Erdbeben gab es in dieser alten Vulkangegend mehrfach innerhalb eines Sonnenkreises. Meist richteten sie keine Schäden an. Es gab gute Sensoren, die die Gegend ringsum überwachten. Tosch'ral sprang auf und sah sich um. Am Steilhang zu sitzen konnte gefährlich sein, weil hier viel loses Geröll herumlag, dass auch ohne Erdstöße leicht ins Rutschen kam. Mit federnden Schritten eilte er den Hang hinab und gelangte recht schnell bis zum Bergsee. Während dessen spürte er zwei weitere kleine Erschütterungen und einige kleine Felsbrocken rutschten aus dem Geröllfeld und kullerten die Wiese hinab. Weiter unten fand er einen Rastplatz mit den Spuren einer einzelnen Person vor, die Asche des Lagerfeuers war kalt, aber frisch. Er blickte sich intensiv züngelnd um. Wer trieb sich denn hier allein herum? Während er nach weitere Spuren Ausschau hielt, hörte er eine leise Stimme, eher ein Fauchen. "Hallo, wer ist hier?" rief der Echsenmann und wandte sich in die Richtung der Laute. "Ich bin hier, in der Höhle am Hang!", antworte eine helle, weibliche Stimme. "Ich sitze hier drinnen fest, sowas Dummes aber auch." Tosch'ral ging in Richtung dieser Stimme und fand auch die Höhle, die hinter einigen Sträuchern verborgen lag. Einige, der ohnehin lose liegenden großen Steine oberhalb hatten sich durch die Erschütterungen vom schrägen Hang gelöst und lagen jetzt vor den Eingang. "Ist alles in Ordnung mit dir oder hast du dich verletzt?" fragte er in den Hohlraum zwischen den Felsbrocken. Die Person dahinter konnte er aber nicht sehen. "Mein Schlafnest ist weiter hinten im Gang. Ich habe zum Glück nur etwas Staub geschluckt. " Wie zur Bekräftigung ihrer Worte hustete die Frau laut. "Was machst du hier, die Siedlung ist doch zwei Tagesmärsche entfernt." "Ich bin auf der Durchreise, das Blut der Nomaden lässt mich einfach nicht ruhen. - Bekommst du den Eingang frei?" "Ich mache mich an die Arbeit, du solltest ab jetzt vom Eingang fern bleiben." Mit seinen kräftigen Krallenhänden schob er Geröll beiseite. Erfahrungen mit Steinen hatte er ja inzwischen reichlich, also wuchtete er den ersten großen Brocken beiseite und ließ ihn kurzerhand den Hang hinabrollen.. Die kleineren scharrte er fort und grub sich so immer weiter in den Eingang hinein. "Ich bin gleich bei dir", meinte er zuversichtlich, doch einige Zeit später blockierte ein großer Fels das Weiterkommen. Tosch'ral konnte ihn zwar etwas bewegen, aber weder heben noch schieben. Er bemühte sich mit aller Kraft, doch der Stein war einfach zu schwer und die Anstrengungen der letzten Tage hatten seine Kräfte reduziert. Ein Hebel... Wenige Schritte von ihm an den Hang gelehnt, stand der >Stab von Schak'tar< und der war sicher geeignet. Aber durfte er dieses wertvolle Artefakt dafür verwenden? Andere brauchbare Gegenstände gab es hier auf den Gebirgswiesen leider nicht. Hilfe holen? Das würde etliche Stunden dauern, er wollte die Frau aber hier nicht allein zurücklassen. "Wo ist dein Com-Armband?" wandte er sich an die noch immer Eingesperrte. "Habe ich unterwegs verloren", ertönte es von drinnen. "In der nächsten Siedlung lasse ich mir ein neues geben." Natürlich trugen beide den üblichen winzigen Peilsender, der jedem Wendra schon als Springer unter die Haut implantiert wurde, aber wenn diese Frau auf der Durchreise war, würde vorläufig niemand nach ihr suchen. "Sie werden nicht nach mir suchen, weil ich auf einer längeren Reise bin", sagte sie leise, als ob sie gerade seine Gedanken gelesen hatte. "Hier ist ein großer Felsbrocken, den bekomme ich ohne Hilfe nicht weg. Ich muss in die Siedlung gehen, dann schicken sie in zwei Tagen einen Wolkengleiter." "Hast du etwa auch kein Com-Armband?" fragte sie überrascht. "Nein, ich habe nicht einmal Kleidung." Sie antwortete mit einem glucksenden Lachen. "Verrätst du mir deinen Namen, du nacktes Reptil?" "Ich bin Tosch'ral, von den Bergland-Wendra. Unsere Siedlung ist weiter unten im Tal." "Mein Name ist Nescha'xa, von den Sandland-Wendra." 'Sie ist eine Tex!', durchfuhr es ihn und er bedauerte zutiefst, ihr nicht helfen zu können. 'Was macht sie hier so allein?' Noch einmal warf er sich knurrend gegen den Steinbrocken und bewegte ihn ein winziges Stück. Doch der Boden war zu uneben, um diese Last fortschieben zu können. "Ich muss gehen. Wenn ich mich beeile, dauert es nur etwas über einen Tag." Er straffte sich und wollte loslaufen. "Halt!" Ihre Stimme ließ ihn innehalten. "Verrätst du mir, warum du nackt durch die Gegend wanderst? Ist das ein altes Ritual?" Dem Wunsch einer Tex musste er Folge zu leisten. So hatte er es von der Familie gelernt. "Die Tex bilden das Zentrum jedes Familienverbandes, deshalb besitzen sie Privilegien." Die Älteren hatten es ihm oft genug gesagt und von der alten Zeit erzählt. Eine Tex war nahezu die Garantie für Gesundheit aller Hausbewohner und gute Betreuung des Nachwuchses. Dafür musste sie aber auch entsprechend versorgt werden und brauchten keinerlei Arbeiten in der Siedlung oder auf den Feldern verrichten. Eigentlich wurden die Tex verwöhnt und außerdem bewacht wie in wertvoller Schatz. Jeder war verpflichtet, Gefahr von ihnen abzuwenden, auch wenn sie nicht zum eigenen Haus gehörten. Die zierlichen kleinen Echsenweibchen, die jeder an ihrer hübschen blauen Färbung erkannte, konnten selber keinen Nachwuchs zur Welt bringen, aber sie besaßen einen ausgeprägten Pflegetrieb. Jedes Haus durfte sich glücklich schätzen, ein oder zwei von ihnen zu beherbergen. In der Frühzeit hatte es Kriege um sie gegeben, doch mit dem Reifen der Zivilisation änderten sich diese alten Strukturen. Niemand musste mehr auf ihr wertvolles Drüsensekret, das Tex, verzichten. "Ich war im >Tal der Nebel<, um meine Prüfung abzulegen und den >Stab von Schak'tar< zu holen. Er ist ein Artefakt aus der Zeit des großen Kriegers." "Dann möchtest du also ein Wächter werden?" fragte sie. "Findest du es nicht etwas seltsam, diese alte Prüfung absolvieren zu müssen, während in anderen Siedlungen normale Tauglichkeitstests gemacht werden?" Der Echsenmann zuckte zusammen. Was fragte sie da? Für ihn war diese Prüfung und der >Steinerne Kreis der Erwählten< eine Ehre und somit etwas sehr Bedeutendes! "Sag mal... Dieser Stab, wie sieht der eigentlich aus?" fragte sie mitten in seine Überlegungen hinein. "Es wird da so ein Geheimnis draus gemacht, wenn es um Informationen über das >Tal der Nebel< geht." Tosch'ral war sich nicht sicher, ob er jetzt einfach erzählen durfte. Allerdings könnte jeder, dem er unterwegs begegnen würde, den Stab sehen. Ein Bericht über den >Steinernen Kreis der Erwählten< wäre da schon etwas anderes... "Dieser Stab ist die Übungswaffe, die der ehrenwerte Krieger Schak'tar der neu gegründeten Schule der Wächter übergab und..." "Das will ich doch gar nicht wissen", unterbrach sie ihn schroff. "Wie sieht er aus?" "Er hat die Größe eines ausgewachsenen Wächters, ist aus Hartholz und an den Enden mit Blaumetall beschlagen." "Na bitte, da haben wir doch die Lösung unseres kleinen Problems", zischte sie scharf. "Oder weißt du überhaupt nicht, wovon ich jetzt rede?" "Du solltest mich nicht für dumm halten, nur weil ich die alten Traditionen achte!" fauchte der Echsenmann. "Ich weiß, dass ich den Stab als Hebel einsetzen könnte." "Und warum sitzen wir dann noch hier? Du da draußen und ich hier drinnen?" Ihre Stimme klang gereizt und herausfordernd. "Weil ich ihn dafür nicht benutzen werde. Der >Stab von Schak'tar< ist ein wertvolles Artefakt und bedeutet uns sehr viel. - Ich sollte jetzt gehen, sonst sitzt du nur unnütz lange hier drin." Er wandte sich zum Gehen. "Und für einen unbrauchbaren Gegenstand hast du all diese Mühen auf dich genommen und sogar dein Leben riskiert?" rief sie ihm nach. Der Echsenmann hielt inne und dreht sich wieder zur Höhle um. "Und du sitzt in der Klemme, weil du allein umherziehst, statt zu Hause zu bleiben, wie es eine Tex normalerweise tut!" "Willst du mir vorschreiben, wie ich zu leben habe? Bist du wirklich solch ein rückständiges Reptil, dass den Wandel der Zeiten nicht mitbekommen hat? - Ach... dann darfst du ja keine Tex beleidigen und musst mir gehorchen, oder? Also mach jetzt gefälligst den Eingang frei!" Tosch'ral schnaubte verärgert. Ihm war noch keine dermaßen unfreundliche Tex begegnet. Warum griff sie ihn jetzt so an? Er hatte ihr doch überhaupt nichts getan, im Gegenteil, er war ihr ohne Zögern zu Hilfe gekommen. Vielleicht fiel es ihr einfach nur schwer, dort so hilflos zu hocken und eingesperrt warten zu müssen. Ihm selber wäre das auch unangenehm. Zögernd griff er den >Stab von Schak'tar< und stocherte damit hinter dem Felsbrocken herum. Er suchte den richtigen Ansatzpunkt für den Hebel, nicht auszudenken, wenn er das Artefakt dabei beschädigen würde... "Tut mir Leid, was ich eben gesagt habe", meinte Nescha'xa leise. "Aber während deiner Ausbildung wirst du auch andere von uns kennenlernen, nicht alle Blauen leben heutzutage noch in einer Familie. Auf Raumstationen und Schiffen sind Tex ganz normale Ärztinnen und wohnen allein." "Ich habe das doch auch nicht so gemeint. Aber was wäre, wenn ich nicht zufällig hier vorbeigekommen wäre? Es ist nicht ungefährlich, alleine zu reisen. Außerdem denke ich ja nicht, dass man euch im Wohnhaus einsperren sollte. Ich wurde so erzogen, eine Tex zu beschützen und hoch zu achten." Tosch'ral hatte einen günstigen Ansatzpunkt für den Hebel gefunden. Er packte den Stab und stemmte sich mit einem Fuß gegen die Felswand, um so den schweren Stein vom Eingang wegzudrücken. Ein richtigen Hebel mit Drehpunkt ließ sich an einer solchen Stelle leider nicht anbringen, also war immer noch viel Muskelkraft notwendig. Knirschend gab der Felsbrocken nach und der Echsenmann verlagerte den Stock nochmals. "Du schaffst das!" spornte die Tex ihn an. Allmählich bildete sich eine Lücke zwischen Felswand und Hindernis. Noch ein wenig, dann wäre die Tex frei... Mit einem lauten Knacken gab der Stab nach und das Hebelende brach. Beinahe hätte Tosch'ral durch den Ruck das Gleichgewicht verloren. Nun starrte er schockiert auf das beschädigte Artefakt. Wie sollte er das den Ratsoberen erklären?! Der Stab war außerdem zerbrochen, noch bevor der Stein endgültig den Weg freigab. Nur ein Springer könnte durch solch einen kleinen Spalt schlüpfen. All die Mühe für Nichts, und eine Menge Ärger gab es mit Sicherheit, sobald er die Siedlung erreichte. "Der Boden vor dem Eingang ist kein Fels sondern Erde. Du kannst den Brocken jetzt unterhöhlen, dann rollt er fast von alleine weg", wies die Tex ihn an. Kurz entschlossen griff Tosch'ral nach dem kurzen abgebrochenen Stück und benutzte es als Grabholz. Es dauerte zwar noch eine ganze Weile, doch letztlich hielt er den Graben vor dem Stein für tief und lang genug. Der Echsenmann hatte sogar zwei Sträucher ausgebuddelt, um sicher zu gehen. "Nescha'xa, jetzt bist du dran. Du musst mit aller Kraft gegen den Felsen drücken. - Ich ziehe mit einer Hand von außen." Nescha'xa befolgte seine Anweisung und letztlich kippte das schwere Hindernis wie in Zeitlupe von der Felswand weg, und dann rollte er schwerfällig den Hang hinab. Tosch'ral fing die Tex auf, als diese hinterher zu stürzen drohte. "Vorsicht!" stieß er hervor und hielt sie fest, indem er seine Krallen in ihre robuste Kleidung bohrte. Rasch nahm er die zierliche Echsenfrau in den Arm. "Danke." Erleichtert blickte sie zuerst den Hang hinunter, dann ihrem Retter in die Augen. "Du hast dir eine Belohnung verdient." Sie leckte ihm über die Nase und presste dann ihren Mund auf seinen. Der nächste Atemzug von ihm war mit Tex angereichert. Diese Substanz brachte ihm rasch etwas Entspannung. Er machte sich ja immer noch Vorwürfe, weil der >Stab von Schak'tar< zerbrochen hatte. Die Ratsoberen würden ihn zur Rechenschaft ziehen. "Komm, lass uns diese Nacht in der Höhle verbringen, heute schaffst du kaum die halbe Wegstrecke", sagte die Tex mit sanfter Stimme. Tosch'ral nickte und griff seinen Fellumhang. Schüchtern folgte er Nescha'xa und kuschelte sich in ihr weich gepolstertes Schlafnest. "Leg dich auf den Rücken", stupste sie ihn an und legte ihren Overall aus graubraunem, weich gefütterten Stoff ab. Dann beugte sie sich über ihn und süßliches Tex träufelte aus ihren langen Röhrenzähnen auf seinen Gaumen. Dieses blau schimmernde Drüsensekret würde schon bald seine Wirkung entfalten, ihn stärken und ihm eine erholsame Nacht spenden. "Darf ich dir eine private Frage stellen?" wandte er sich an die Echsenfrau und leckte nun ebenfalls über ihre Nase. "Ja, frag nur." Nescha'xa blickte ihn an und ließ ihre Zunge herauspendeln. "Hast du mich dazu überredet, den >Stab von Schak'tar< zu benutzen, weil du nicht so lange auf Hilfe warten wolltest - oder weil du Angst in der Höhle hattest?" "Ich hatte Angst, große Angst sogar." Sie blickte zu Boden. "Ich ertrage das Eingeschlossen sein nicht und Enge ebenso wenig. Vielleicht liegt das an meinen Nomaden-Genen. - Wenn das nicht so wäre, würde ich längst auf einem Raumschiff sein..." Schläfrig geworden, obwohl noch etwas Tageslicht in die Höhle drang, nahm er die zierliche blaue Echse in seine kräftigen Arme. Es war schon lange her, dass eine Tex die ganze Nacht so nahe bei ihm gelegen hatte. Die beiden im Haus seiner Familie kümmerten sich vorrangig um die Springer und Jungechsen. In den Schlafnestern der Erwachsenen ruhten sie nur zeitweise. "Hättest du mich auch so schnell befreit, wenn ich keine Tex wäre?" fragte sie nach einer Weile. "Ich war so unfreundlich zu dir, das tut mir Leid." "Schon gut", murmelte Tosch'ral schon halb im Schlaf. "Ich habe vermutet, dass du Angst hattest." Jetzt verspürte sie jedenfalls keine Angst mehr, das hätte er gerochen. Sie lag entspannt in seinen Armen und wirkte sehr zufrieden. * * * Kapitel 4: Heimkehr ------------------- Heimkehr Als er am nächsten Morgen erwachte, war Nasche'xa verschwunden. Eilig verließ er den kleinen Unterschlupf, aber auch draußen fand er keine Spur mehr von ihr. "Sie hätte sich wenigstens verabschieden können", knurrte er enttäuscht und holte seinen Fellumhang aus der Höhle. Mit einem scharfkantigen Stein schnitt er einen Streifen davon ab und band damit die beiden Teile des Stabes zusammen. 'Sie werden mir eine schlechte Beurteilung geben", dachte er. Dessen war er sich schon jetzt sicher. Seufzend begann er mit dem weiteren Abstieg. Obwohl die Siedlung von oben her schon in Sichtweite gewesen war, lag sie doch weiter entfernt, als er an einem Tag laufen konnte. Diese eine Nacht in einer Laubmulde zwischen großen Baumwurzeln würde aber sicher die letzte unter freiem Himmel sein. Dieses mal allerdings fühlte er sich etwas einsam und dachte an die kleine Tex zurück. Ströhmender Regen weckte ihn unsanft aus dem Schlaf. Völlig durchnässt setzte er seine Reise fort, aß wie üblich, was der Wegesrand bot und trank aus kleinen Wasserpfützen, die es jetzt reichlich und frisch gab. Auch wusch er sich im kalten Regen noch einmal gründlich, weil seine dunkle Schuppenhaut bei Ankunft in der Siedlung sauber und makellos glänzen sollte. Über sich sah er gegen Mittag den ersten >Wolkensegler<, ein Zeichen dafür, dass er bald zuhause sein müsste, denn das >Tal der Nebel< und dessen Umgebung lag auf keiner Flugroute. Einerseits schritt er zügig aus, um so schnell wie möglich seine anstrengende Reise zu beenden - andererseits hatte er Bedenken, wie der Rat die Beschädigung des Artefaktes aufnehmen würde. Auf jeden Fall würde er die Wahrheit sagen, denn Ehrlichkeit gehörte ebenso zu den Pflichten eines Wächters wie Kampftraining, Mut, Ausdauer und viele andere Dinge. Auf den Wiesen, über denen sich jetzt im Sonnenschein ein Regenbogen gebildet hatte, spielten einige Jungechsen und Springer. Sie sahen den Echsenmann kommen und rannten auf ihn zu. "Tosch'ral ist zurück!" riefen sie und umringten ihn. Er nahm zwei der Kleinsten auf den Arm und ging weiter. Auch auf den Feldern wurde er freudig begrüßt. Auf den zerbrochenen >Stab von Schak'tar< sprach ihn aber niemand an. Schließlich erreichte er die Siedlung und das Versammlungshaus des Rates. Die Leute, die ihm bis hierher gefolgt waren, blieben zurück, als er das Gebäude betrat. Tosch'ral verneigte sich vor den Oberen, die ihn längst entsprechend gekleidet erwarteten und legte das Artefakt auf dem dafür vorgesehenen, rechteckigen Marmorblock ab. Er nahm all seinen Mut zusammen, um die zeremoniellen Worte zu sprechen und dabei möglichst stolz und überzeugend zu wirken. "Ich, Tosch'ral, von den Bergland-Wendra, habe meine Reise beendet. Ich war im >Tal der Nebel<, durchschritt dort den >Steinernen Kreis der Erwählten< und absolvierte alle Prüfungen. Ich errang den >Stab von Schak'tar< und kehre zurück. Ich bitte nun darum, die Ausbildung zum Wächter beginnen zu dürfen." Goram, der Alteste des Rates und Abkömmling der gelbbraunen Grasland-Wendra erhob sich von seinem Sitzkissen und ging auf den Echsenmann zu. "Was ist DAS?!" fragte er fauchend und zeigte mit seiner Krallenhand auf die beiden, mit Fellstreifen verschnürten Teile des Kampfstabes. "Es war notwendig, diesen Stab als Werkzeug einzusetzen. Wenn du erlaubst, berichte ich auch davon." Tosch'ral verneigte sich respektvoll. "Du hast unser wertvolles Artefakt zerbrochen. Weißt du überhaupt, was das bedeutet?" "Ich bitte um Entschuldigung. Mir war sehr wohl bewusst, dass es wertvoll ist, aber ich habe damit jemanden aus einer verschütteten Höhle befreit." Goram deutete ihm, sich zu ihm zu setzen. Er und die anderen wollten nun die Geschehnisse am >Blauen Spiegel< wissen. Zu den eigentlichen Prüfungen hatte offensichtlich niemand eine Frage. Sicherlich kannten sie das alles, Tosch'ral war schließlich nicht der erste Prüfling. Der junge Echsenmann berichtete nun, was sich nach den Erdstößen zugetragen hatte. "Und sie war wirklich eine Tex?", fragte der Älteste ungläubig. "Ja, mit Sicherheit war sie das", bekräftigte der Prüfling seinen Bericht und legte eine Faust aus seine Brust. "Aber ich kann das nicht glauben. Niemals würde eine Tex hier allein durch die Wildnis wandern." Der alte Echsenmann wiegte nachdenklich den Kopf hin und her. Seine Schwanzspitze zucke unruhig. "Das sagst du doch nur, weil du die Strafe fürchtest. "Nein, es ist die Wahrheit! Und ich habe gelernt, dass eine Tex Privilegien hat, die ihr besonderen Schutz und Fürsorge garantieren." "Trotzdem hättest du Hilfe holen sollen. So aber hast du das unersetzliche Artefakt zerbrochen. - Ich erkläre hiermit deine Prüfung für ungültig. Über die Bestrafung beraten wir am Abend." Tosch'ral senkte betroffen den Kopf. "Sie hatte Angst, so eingesperrt abwarten zu müssen. Deshalb halte ich meine Entscheidung für richtig. - Ich werde die Prüfung wiederholen, sobald ich die Erlaubnis dafür erhalte." "Du selber hast deine Angst überwunden, warum sollte eine Wendra das nicht auch können? - Nun aber lass uns beraten. Bis dahin... Du darfst ab sofort nicht mehr im Haus deiner Familie wohnen, sondern wirst das leerstehende Zimmer neben den großen Lagerhaus beziehen. Dort musst du unser Urteil abwarten." Der junge Echsenmann stand auf und verabschiedete sich respektvoll. Der Anweisung des Rates hatte er Folge leisten. Er würde die Prüfung wiederholen, das nahm er sich fest vor, auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, wie man den >Stab von Schak'tar< aufs neue erringen sollte, da er jetzt zerbrochen war... Tosch'ral betrat gar nicht erst das Haus seiner Familie, sonder ging gleich in den ihm zugewiesenen Raum. Dort stand Essen bereit, ein Schlafnest gab es auch und mehr brauchte er vorerst nicht. Er wollte jetzt auch nicht die enttäuschten Gesichter der anderen sehen. Zwar hatte er die Prüfungen erfüllt, aber sie wurden vom Ratsältesten nicht anerkannt. Er akzeptierte das, fand es aber ungerecht, dass man ihm offensichtlich nicht alles glaubte. Wie sollte er es beweisen? Nescha'xa war doch tatsächlich eine Tex und auch allein auf Wanderschaft, doch so etwas schien dem Ältesten nicht glaubwürdig genug. Traditionen... Sollten sie denn wirklich hinderlich sein? Waren die, welche die alten Riten und Werte aufrecht erhielten, rückständiger als jene, die Kontakt zu anderen Welten hatten und auf Raumschiffen und Stationen lebten? ...Auf Raumstationen und Schiffen sind Tex ganz normale Ärztinnen und wohnen allein... Das konnte sich der Rat hier nicht vorstellen. Für Tosch'ral war das auch ein ungewohnter Gedanke. Er hatte nie darüber nachgedacht, dass die Wendra woanders nicht so lebten würden, wie in seiner kleinen Siedlung. Durfte er die Strafe, über die der Rat gerade beriet, morgen anfechten? Müde und auch enttäuscht legte er sich zum Schlafen. Ja, er würde die Strafe für das zerbrochene Artefakt akzeptieren. Aber er würde sich dagegen wehren, als Lügner dazustehen. Diese Tex... Es gab sie - er hatte sie befreit und im Arm gehalten, ihr Tex geschmeckt und neben ihr geschlafen. Alle seine Schilderungen entsprachen der Wahrheit und das musste auch der Rat akzeptieren! Tosch’ral stand am Morgen mit einem flauen Gefühl im Magen auf. Heute zur Mittagszeit sollte das Urteil des Rates verkündet werden. Ausserdem missfiel ihm, dass er mit der Zuweisung dieser Unterkunft keine Kleidung bekommen hatte. Pünktlich betrat er das Versammlungsgebäude. Die Ratsoberen hatten ihre zeremoniellen Decken umgelegt und trugen die übliche hellbeige, einfache Kleidung. Den Raum schmückten Fahnen mit den Emblemen der alten Clans, in der Mitte flackerte ein großes Feuer in dem Steinbecken, dass in den Boden eingelassen war. “Tosch’ral, von den Felsland-Wendra, hast du uns noch etwas zu sagen, bevor wir das Urteil verkünden?” “Ich werde das Urteil für das zerbrochene Artefakt annehmen, aber ich werde jeden Zweifel an meiner Aufrichtigkeit zurückweisen”, antwortete er mit fester Stimme. Goram, der Älteste erhob sich. "Wir haben uns vor Ort von der Wahrheit deines Berichtes überzeugt, allerdings fällt es uns allen schwer, an eine allein umherwandernde Tex zu glauben. Du hast also jemandem geholfen und dabei einen für uns überaus wertvollen und nicht ersetzbaren Gegenstand zerbrochen. Das können und wollen wir nicht entschuldigen. - Du wirst deshalb aus der Siedlung verbannt und musst sie noch heute verlassen.” Noch bevor Tosch'ral etwas erwidern konnte, öffneten sich die hohen Türen des Versammlungshauses. Eine kleine, zierliche Gestalt betrat ohne Ankündigung den Raum. Es war Tex Nescha'xa und sie trug einen schwarzglänzenden, hautengen Overall mit den beiden silbernen Emblemen der Wächter auf der Brust. "Jetzt ist aber Schluss mit diesem Unsinn!" sagte sie ruhig aber bestimmend. "Ich habe nicht glauben wollen, wie hier über Werte bestimmt wird." Sie schritt zügig auf den verdutzten, jungen Echsenmann zu und stellte ihren Rucksack vor ihm ab. Dann ging sie weiter zu Goram, der sie ebenfalls überrascht anstarrte. Die Tex übergab ihm eine Datentafel. “Ich bin Ausbilderin Nescha. eigentlich heiße ich Nescha'xa, aber das ist jetzt unwichtig. Das Gremium der Wächter hat mich befugt, hier über den Prüfling Tosch’ral zu entscheiden.” Der Älteste las mit großen Augen die Daten und verneigte sich vor der blauen Echsenfrau. “DU bist die angekündigte Ausbilderin? - Bitte verzeih uns, wir wussten ja nicht, dass…” begann er. “Ja, das scheint offensichtlich der Fall zu sein.” Sie nahm die beiden Teile des zerbrochenen Stabes von dem Steinsockel, auf dem sie noch immer wie unberührt lagen, und warf sie in die Feuerschale. “Was tust du da?” rief Goram entsetzt. “Ich habe lediglich eine wertlose Übungswaffe verbrannt. – Habt ihr wirklich geglaubt, dass dies der echte >Stab von Schak’tar< ist? Es tut mir Leid, wenn ich so unverhofft an den Grundfesten eurer Traditionen rüttle, aber das Original, also dass, was dem Original am Nächsten kommt, befindet sich klimageschützt in der Halle der Krieger. Es gibt allerdings keinerlei Beweise für die Echtheit und somit… Euer Artefakt ist ein Mythos, und das wussten unsere Vorfahren. Aber das hinderte euch nicht daran, hier einen neuen Kult darum zu gründen. Der zerbrochene Stab, den ich ins Feuer geworfen habe, war ebenso unecht wie die Skelette im Wassergraben. - Ich respektiere die alten Bräuche der Wendra und bin stolz darauf, aber die Zeiten ändern sich und ein Urteil dieser Art ist einfach nicht akzeptabel.” Sie wandte sich zu dem über zwei Köpfe größeren Prüfling und sah lächelnd zu ihm hinauf. "Die Aufgaben im >Tal der Nebel< waren nur ein Teil deiner Prüfung. Dort am Berghang hast du viel von deiner Persönlichkeit gezeigt – Hilfsbereitschaft, Mitgefühl, aber auch Respekt vor den Traditionen und Werten deiner Gemeinschaft. Ich musste dich provozieren, damit du bisherige Dinge in Frage stellst. Dafür wurde die Situation mit dem verschütteten Höhleneingang konstruiert.” 'Nescha'xa ist eine Ausbilderin der Wächter.' Tosch'ral sah in die erstaunten Gesichter der Ratsmitglieder. Alles war nur ein weiterer Test gewesen, von dem selbst sie nicht einmal etwas geahnt hatten... . Sie deutete ihm, sich hinabzubeugen und leckte dann über seine flache Nase. “Du hast die Prüfung natürlich bestanden. Sei stolz auf dich und behalte sie in guter Erinnerung. Ein normaler Tauglichkeitstest ist nichts, was man später einmal für die Familie schön ausschmücken kann. – Und nun öffne den Rucksack, darin ist etwas für dich.” Rasch folgte er ihrer Anweisung und holte einen grauen Overall mit dem schwarzen Emblem der Wächter darauf hervor. "Der ist tatsächlich für mich?" fragte der Echsenmann überrascht. Die ganze Wendung kam so plötzlich, dass seine Gedanken noch immer völlig ungeordnet hin und her sprangen. "Ja, an Bord des Raumschiffes läuft niemand nackt herum. Aber wenn du diese neue Kleidung nicht magst..." Die Tex lächelte ihn an und züngelte in seine Richtung. "Und du wirst meine Ausbilderin sein?", fragte er ungläubig nach. "Wenn du es wagst, mit mir die Grenzen deiner bisherigen Erfahrungen zu überschreiten, wird es so sein." Er zog sich rasch an und dann schob die Tex ihn zu den Ratsoberen. "Ihr könnt sehr stolz auf ihn sein, also lasst uns heute ein Fest für ihn ausrichten, weil ich ihn schon morgen in meinem Raumschiff mitnehme." "Aber du hast doch gesagt, dass du an Bord eines Schiffes nicht leben könntest, weil..." flüsterte er. "Pscht!" Sie zwickte ihn in den Oberschenkel. "Daran möchte ich jetzt nicht denken müssen, sonst kann ich heute Abend nichts mehr essen." Tosch'ral straffte sich. Eine Ausbilderin die ihre Ängste zugab und überwand war genau das richtige Vorbild für ihn. Ihr konnte er vertrauen und sie würde ihm beistehen, wenn er Probleme bekäme. "Oh, ich vergaß..." Nescha'xa zupfte an seinem Ärmel. "Ja?" Er blickte fragend zu ihr hinunter. "Die Traditionen... Ich bin eine Tex, also könntest du mich tragen, solange wir noch hier sind." "Aber gern." Der Echsenmann hob die kleine Blaue mit Leichtigkeit hoch und nahm sie auf den Arm wie eine Jungechse und sie lehnte sich an seine muskulöse Schulter. Ringsum ertönte glucksendes Lachen. ENDE (C) cuby/modul April 2006 (überarbeitete Fassung) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)