Blood Moon - Bis(s) in alle Ewigkeit von -DesertRose- (Fortsetzung von Rising Sun - Bis(s) das Licht der Sonne erstrahlt) ================================================================================ Epilog: --------   Seit Stunden beobachtete ich nun, wie die kleine Nadel die Farbe unter meine Haut injizierte. Kohlrabenschwarz war sie und stand damit in Kontrast zu meinem hellen Teint. Viel fehlte nicht mehr, noch ein paar geschickte Handgriffe Embrys und das Tattoo der Quileute-Wölfe würde an meiner rechten Schulter prangen. Dann war auch ich ein vollwertiges Mitglied ihres Stammes. Es mochte ein kleines Detail sein, jedoch eines, das eben gefehlt hatte und das ich hatte dringend nachholen wollen.   „Sehr schön“, sagte Embry, legte sein Werkzeug weg und wusch noch einmal obligatorisch mit einem getränkten Tuch über das Tattoo. Schon jetzt sah es aus, als hätte ich es mir vor einer Ewigkeit stechen lassen. Ein weiterer Vorteil den das Leben als Gestaltwandler mit sich brachte: man konnte sich Tattoos stechen lassen, ohne sie wochenlang zupflastern oder Angst vor Entzündungen haben zu müssen. Die Wunde verschloss sich Sekunden nach dem Stich, die Farbe jedoch blieb unter der Haut.   Ich betrachtete das kleine Kunstwerk im Spiegel. „Danke, Embry.“ „Gern geschehen, Ani“, antwortete er, stand auf und begann, seine Tattoomaschine zu säubern. „Ist Dr. Carlisle eigentlich noch in Italien?“ Ich schüttelte den Kopf. „Er ist Anfang der Woche nach Irland geflogen, wegen der Entbindung.“   „Achso. Und was ist mit dir?“   „Mein Flug geht heute Abend.“   Embry nickte. „Muss seltsam sein.“   Ich sah ihn fragend an. „Bald Vater zu werden?“   Nun war er es, der den Kopf schüttelte und dabei lachte. „Nein, nein. Ich meinte eher, dass ihr zuvor ein so volles Haus hattet und jetzt... na ja... nicht mehr.“   „Ich habe die Einsamkeit ohnehin immer vorgezogen. Aber selbst wenn nicht, so schlimm, wie es sich anhört, ist es nicht.“   Embry lächelte mich warm an.       Seit wir die Volturi zerschlagen hatten, fühlte es sich an, als hätte sich die ganze Welt gedreht. Es war zur gleichen Zeit erleichternd und beschwerend. Letzteres war der großen Verantwortung geschuldet, die wir uns in jenem Augenblick aufgebunden hatten, in dem wir uns dazu entschlossen, ihre Aufgaben zu übernehmen. Nun war ein Großteil meiner Familie sehr oft in Italien. Es war, als hätten wir einen Zweitwohnsitz. Ich war kaum dort. Die meiste Zeit hielt ich mich in Sangreals Nähe auf und nach Volterra zurückzukehren war das Letzte, was sie wollte. Carlisle hingegen war ziemlich häufig dort, um Marcus zu unterstützen. Da sie keinen Zirkel mehr hatten, war Aurora nun fester Bestandteil der neuen Garde. Ihre Gabe half ihnen, die Vergangenheit eventueller Straftäter und Besucher herauszufinden. Für ihre Zukunft hingegen, war Alice zuständig. Wann immer sie dort war, half Jasper ihr, aufgebrachte Gemüter zu beruhigen. Bisher hatte sich niemand getraut, 'den neuen Wächtern', wie sie allerorts umgangssprachlich genannt wurden, nicht zu gehorchen. Das war aber sicherlich auch Benjamins Hilfe zu verdanken, der sich gemeinsam mit Tia und Alexandria seinem ursprünglichen Zirkel endgültig losgesagt hatte und Carlisle in Italien zur Seite stand.       Es war nicht mehr so wie früher, ja, aber es war nicht schlechter, nur anders. Wir würden immer die Cullens bleiben und wir besuchten einander, sooft es eben ging.       Das galt auch für Rosalie und Emmett, die die Ankündigung, die sie auf ihrer Hochzeit machten, in die Tat umgesetzt hatten und zu einer Weltreise aufgebrochen waren. Wann immer sie anriefen, befanden sie sich nie am selben Ort, an dem sie beim letzten Telefonat gewesen waren.   Ihr nächster Besuch würde aber wahrscheinlich nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen. Rose ließ es sich nicht nehmen, das Baby zu sehen. Das war nämlich inzwischen über sieben Monate im Bauch und laut Carlisle würde es nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen. Einen genauen Zeitpunkt konnte er aber, genau wie zuvor bei der Schwangerschaft meiner Großmutter und später meiner Mutter, nicht nennen.       „Anthony!“   Die Glockenstimme Bellas riss mich aus meinen Gedanken. Ich hob den Blick und sah sie im Türrahmen stehen. „Seid ihr fertig?“, fragte sie und trat näher. Sie beugte sich zu mir herab und betrachtete meine Schulter. „Hübsch.“   „Hübsch?!“ Wir wirbelten herum. Sam trat ein und klopfte Embry auf die Schulter. „Das ist mehr, als hübsch. Embry, nach all den Jahren hast du das immer noch drauf. Alle Achtung.“   Embry sah verlegen drein. „Stimmt schon. Das letzte Tattoo hatte ich für Will gemacht.“   Ich griff währenddessen nach meinem Shirt, um es wieder anzuziehen und musste beim Klang seines Namens lächeln.   „Er wäre stolz auf dich“, sagte Sam zu mir gewandt. „Und Jacob ist es sicher auch.“   „Ich weiß“, antwortete ich und meinte es auch so.   „Wollen wir dann?“, drängte Bella zum Aufbruch.       Warum mich so kurz vor der Entbindung noch der Drang, mir das Stammeswappen tätowieren zu lassen erfasst hatte, wusste ich nicht. Vielleicht war es ein seltsames, bisher unbekanntes Bedürfnis, dass sich im Inneren eines Werwolfes regte, wenn er Nachwuchs bekam: die Kleinen in einem festen Rudelverband zu wissen, wenn sie zur Welt kamen. So ähnlich wie manche Paare vor der Geburt ihres Kindes unbedingt noch heiraten wollten.   In diesem Punkt waren wir übrigens nicht so eilig. Warum auch? Wir hatten noch unser ganzes Leben lang Zeit. Und wenn es nach mir ging, würde das ein verdammt langes Leben werden.       „Macht‘s gut“, verabschiedete sich Embry von uns.   „Und schickt uns ein Foto!“, fügte Sam hinzu. „Oder noch besser: Kommt mal wieder vorbei.“       Gemeinsam mit Bella fuhr ich zum Haus ihres Vaters. Charlie war inzwischen über 80, aber trotzdem noch ziemlich fit. Sowohl geistig, als auch körperlich. Das war sicher weniger seinem Bierkonsum zu verdanken.   „Dad!“, rief Bella freudig, als sie eintrat und ihrem Vater um den Hals fiel.   „Bells“, antwortete Charlie Swan und strich seiner Tochter über den Rücken. Als er ihr über die Schulter sah, erblickte er mich und lächelte. „Anthony, schön dich zu sehen. Mensch, bist du groß geworden.“   Wir traten ein und ich schloss die Haustür hinter mir. „Charlie, ich habe mich seit mindestens zehn Jahren nicht mehr verändert.“   Bella sah mich etwas missmutig an. Nach all den Jahren, hatte Charlie längst mitbekommen, dass wir keine Menschen waren, dennoch hatte sie das Wort 'Vampir' in seiner Gegenwart nie in den Mund genommen und würde es ganz sicher auch nicht mehr tun. Vielleicht, weil der Begriff zu sehr negativ behaftet war, vielleicht, weil es Charlie sowieso nicht zu interessieren schien.   „Ach wirklich?“, antwortete er auf meinen Kommentar hin und ging zum Kühlschrank. „Ich leider nicht.“ Er öffnete die Tür und kramte eine Bierdose seiner Lieblingsmarke heraus.   „Dad, meinst du nicht, du solltest in deinem Alter deinen Bierkonsum etwas reduzieren?“ Bellas Tonfall war besorgt, aber auch etwas empört.   „Bells, nun komm schon“, zeterte Charlie und wand sich mir zu. „Auch eine?“ Ich winkte ab. „Nein, danke. Ich will nüchtern bleiben. Für den Fall, dass sich Sangreal meldet.“   „Ach so. Klar, natürlich.“ Charlie setzte sich in seinen Sessel, öffnete seine Dose geräuschvoll und nahm einen genüsslichen Schluck Bier. „Kaum zu glauben, dass ich bald Ur-Ur-Opa werde. Siehst du, Bells, so fit bin ich noch.“   Bella hob eine Augenbraue. „So fit, dass du die Geburt deines Ur-Ur-Enkels vergisst?“   „Dass das Kleine unterwegs ist, habe ich nicht vergessen. Nur das Ur-Ur vor dem Enkel“, antwortete er. „Ich meine, wie viele können so was schon von sich behaupten. Ur-Ur-Opa zu sein?“   „Nicht viele“, sagte Bella und lächelte ihn warm an.       Vielleicht hatte ich es gespürt, als ich das Bier ablehnte. Vielleicht handelte es sich um eine Art selbst erfüllende Prophezeiung. Vielleicht war es beides oder keines von beidem. In jedem Fall klingelte plötzlich mein Smartphone. Bella und Charlie drehten ihre Köpfe in meine Richtung und beobachteten, wie ich es mit plötzlich schneller schlagendem Puls aus der Jackentasche zog. Auf dem Display stand in leuchtenden Lettern 'Carlisle'. Ich tippte mit dem Finger auf das grüne Abnehmen-Symbol und schluckte.   „Carlisle?“, fragte ich nervös.   „Hallo, Anthony“, begrüßte er mich mit ruhiger Stimme. „Ich nehme an, bei euch dürfte es gerade Mittag sein.“   „Nachmittag, ja“, antwortete ich mit kurzem Blick auf Charlies große Wanduhr.   „Ah, in Ordnung. Hör zu, bei uns ist es mitten in der Nacht. Sangreal ist vorhin aufgewacht und klagte über Schmerzen. Sie meinte zu mir, es handelte sich zunächst nur um ein kleineres Ziehen, das aber nun etwas zugenommen hat. Ich nehme an, dass wir es mit Eröffnungswehen zu tun haben. Aber-“   „Was?!“, fiel ich ihm ins Wort. Bella und Charlie starrten mich mit großen Augen an.   „Beruhige dich, bitte“, sagte Carlisle weiterhin sehr sanft. „Es kann Stunden oder Tage dauern, bis es soweit ist. Du hast also genug Zeit, um her zu kommen.“   „Sag Sangi ich bin unterwegs“, bat ich, legte auf und erhob mich. „Bella, wir müssen los. Charlie, es tut mir wirklich leid.“   Charlie hob beschwichtigend die Hände. „Kein Problem.“ Dann sagte er zu seiner Tochter: „Bells, ich weiß noch genau, wie das damals bei dir war. Ich war ein nervliches Wrack.“   „Tolle Aussichten“, sagte ich sarkastisch.   „Ja, ja“, bestätigte Charlie und legte dann eine Hand auf meine Schulter. „Aber glaub mir, wenn du dein Kind dann im Arm hast, ist alles vergessen. Dieser Moment, wenn du ihm in die Augen siehst und dich selbst darin erkennst. Das ist magisch. Du wirst es nie mehr vergessen.   Und ich möchte nicht der Grund dafür sein, dass du zu spät zur Geburt deines eigenen Kindes kommst, also auf jetzt.“ Mit diesen Worten schob er uns praktisch zur Haustür heraus.   „Danke, Charlie.“   „Auf Wiedersehen, Dad“, verabschiedete sich Bella.   „Ich bin doch bestimmt der Erste, der ein Bild von dem Kleinen kriegt, oder?“   „Ganz bestimmt, Dad“, versicherte sie ihm und strich ihm über den Rücken.„Ich hab dich lieb.“       Anschließend gingen Bella und ich zügig, jedoch aus Rücksicht auf die Nachbarn, noch immer in menschlichem Tempo zum Auto.   „Bella“, begann ich. „Du fährst zum Flughafen. Ich fliege direkt nach Loughrea.“   „Wie bitte? Sie blieb abrupt stehen. „Oh nein, mein Lieber. Ich lasse nicht zu, dass du mehrere Tausend Kilometer über den Nord-Atlantik fliegst.“ Sie packte mich grob am Oberarm, zog mich zum Wagen und setzte mich auf die Beifahrertür, wo sie mir, wie bei einem Grundschüler, den Gurt anlegte. „Ich habe Carlisle genauso gut gehört wie du. Er sagte ausdrücklich, dass er dich so frühzeitig angerufen hat, dass du ohne Probleme rechtzeitig nach Irland fliegen kannst. Auf dem herkömmlichen Weg!“       Ich verdrehte die Augen und sie warf mir einen Blick zu, der keine Widerworte duldete, also ließ ich mich von ihr anstandslos zum Flughafen kutschieren. Nach einem knapp neunstündigen Flug in unserem Privatjet landeten Bella und ich schließlich wieder auf irländischem Boden. Während Bella uns eilig vom Flughafen nach Hause fuhr, starrte ich auf den Bildschirm meines Smartphones.   „Wenn es Probleme geben würde, würde sicher jemand anrufen“, versuchte Bella mich zu beruhigen.   Ich antwortete nicht darauf, sondern ließ mein Handy stattdessen wortlos wieder zurück in meine Jackentasche gleiten.       Plötzlich drückte Bella auf die Bremse. Die Schwerkraft hob uns fast aus unseren Sitzen, die Gurte zogen uns wieder zurück.   „Wow“, hauchte Bella und starrte mit offenem Mund auf die Heckscheibe des Wagens vor ihr, der die Warnblinkanlage eingeschaltet hatte, um uns auf das Ende eines Staus hin zu weisen.   „Na, super.“ War alles was mir dazu einfiel.   Ich öffnete meinen Gurt.   „Was wird das?“, erkundigte sich meine Großmutter.   „Nach was sieht es denn aus?“, fragte ich und öffnete die Beifahrertür. „Ich steige aus.“   „Ani!“, zischte sie, als ich aus dem Wagen trat. Als ich nicht reagierte, wurde sie lauter. „ANTHONY!“   Ich beugte mich noch einmal zu ihr herab. „Bella, ich weiß, dir ist dieses Gefühl ziemlich unbekannt. Du warst bei der Geburt deiner eigenen Tochter definitiv anwesend.“   „Schon gut, schon gut“, sagte sie. „Bitte sei vorsichtig und lass dich nicht erwischen.“   „Unsichtbar?“, erinnerte ich sie.   Sie verdrehte die Augen. Ich warf ihr noch ein Zwinkern zu, dann schloss ich die Autotür hinter mir, entfernte mich vom Wagen und stieg über die Absperrung am Straßenrand. Erst in einigen Metern Entfernung zur Autobahn, verwandelte ich mich hinter einem großen Baum.       Fliegen fühlte sich nun etwas ungewohnt an. Seit dem Kampf gegen die Volturi hatte ich mich nur noch in einen Wolf verwandelt. Aber auf Schwingen war ich nun mal eben noch einen ganzen Ticken schneller als auf Pfoten. Eigentlich hatte ich gehofft, in der Tiergestalt jemanden in meinen Gedanken anzutreffen, aber es schien sich gerade niemand sonst aus dem Rudel verwandelt zu haben.   Erst nach einer gefühlten Ewigkeit vernahm ich mit einem Mal Seth' Stimme in meinem Kopf.   Anthony, da bist du ja!, begrüßte er mich freudig.   - Ich bin gleich da. Wie geht es Sangi?   Och, dem Lautstärkepegel nach zu urteilen, ziemlich gut.   - Wie bitte?!   Sie hält uns alle ziemlich auf Trab, gesellte sich plötzlich mein Vater dazu. Aber Carlisle sagt, sie macht sich gut.       Was sie damit meinten, erfuhr ich nur wenige Minuten später. Bereits als ich mich der Klappe zu meinem Zimmer näherte, hörte ich ihre Schreie. Einer davon war derart laut und heftig, dass ich kurz erschauderte. Doch dann sammelte ich mich wieder, verwandelte mich zurück in meine menschliche Gestalt und begab mich in meine eigenen vier Wände.   Im Haus war sie nun aber noch deutlicher zu hören. Mit zittrigen Händen öffnete ich die Schubladen meiner Kommode und zog wahllos irgendeine schwarze Jeans und ein graues T-Shirt heraus, die ich mir schnell überstreifte, ehe ich die Treppen ins Erdgeschoss emporschoss.       „Anthony, da bist du ja!“ Meine Schwester nutzte exakt dieselben Worte, die Seth zuvor gesagt hatte, um mich zu begrüßen.   „Mariella“, antwortete ich und ließ mich kurz von ihr umarmen, dann ging ich weiter hinauf in den ersten Stock.   Just in jenem Moment, in dem ich die letzte Stufe nahm, kam Esme mit einer Schüssel frischem Wasser und einem Lappen aus dem Badezimmer. Sie begrüßte mich mit einem Lächeln und schien die Ruhe weg zu haben. „Hier entlang“, sagte sie freundlich und wies mich an ihr zu folgen.   Im Flur vor Carlisles Arbeitszimmer sah ich nun meinen Vater und Seth, noch immer in Wolfsgestalt, auf dem Boden liegen. Sie begrüßten mich kurz mit warmen Blicken und legten dann wieder die großen Köpfe auf ihre Vorderpfoten. Offensichtlich war der Tumult für sie als Wölfe besser zu ertragen oder aber, sie wollten Kontakt mit La Push halten.   Nayeli saß auf Seth' Rücken und hatte ihre kleinen Fingerchen in seinem sandfarbenen Pelz vergraben. Sie schien gut beschäftigt zu sein, ließ sich aber vom Trubel um sie herum nicht aus der Ruhe bringen. Wenn ich so darüber nachdachte, war hier auch gar kein Trubel, der sie hätte aus der Ruhe bringen können. War ich etwa der Einzige, dessen Herz raste?   Esme öffnete die Tür und ich folgte ihr in Carlisles Arbeitszimmer. Ich hatte hier schon so viel Zeit verbracht. Die meiste davon allerdings bewusstlos. Nun war das Zimmer hell und freundlich und sah in keinster Weise wie ein OP-Saal aus. Die weißen Bücherregale waren welchen aus Buche gewichen, der Boden war mit grauem neuem Teppich verlegt worden. An den Wänden hingen teils Landschaftsaufnahmen, teils Familienbilder. Die Vorhänge waren Fliederfarben und ließen das Sonnenlicht durchscheinen. Meine Mutter saß in einem weißen Sessel und beobachtete Carlisle argwöhnisch. Hatten sie das etwa alles in den letzten drei Tagen gemacht?   Das Bett, in dem Sangreal lag, befand sich so ziemlich in der Mitte des Raumes an der hinteren Wand. Sie war mit einer ebenfalls fliederfarbenen Decke zugedeckt worden. Ihren Unterleib sah ich gar nicht, weil Carlisle ein großes Tuch darüber gespannt hatte und mit dem Kopf darunter hing. Sie sah erschöpft aus, doch hielten sich die Schweißtropfen auf ihrer Stirn noch in Grenzen. Inzwischen lag sie seit zehn Stunden hier und kämpfte mit den Schmerzen. Ich kannte Schmerzen, sehr gut sogar. Und ich war mir auch sicher, dass ihr Schmerz ein anderer war, als meiner. Zumindest diente er einem guten Zweck. Trotzdem zollte ich ihr meinen größten Respekt.   Als sich unsere Blicke trafen, hoben sich sogleich ihre Mundwinkel und sie streckte ihre zarte Hand nach mir aus. „Ani...“, hauchte sie, als ich näher trat und sie in meine nahm und mich neben sie kniete. Sie sah zu mir herab: „Du bist hier.“   „Ja“, antwortete ich. „Ich bin hier.“       Weitere zwei Stunden vergingen, in denen Sangreal nichts weiter tun durfte, als ihre Wehen quasi 'wegzuatmen'. So richtig hatte ich keine Ahnung davon. Einen Geburtsvorbereitungskurs hatten wir jedenfalls nicht besucht in Anbetracht der Tatsache, dass wir nie hätten vorhersehen können, wie natürlich oder unnatürlich diese Geburt verlaufen würde. Ich begann jedoch, mich zu fragen, wie die Volturi das gehandhabt hatten. Geburten waren dort ja weitaus häufiger vorgekommen, als bei uns. Zum Glück hatte das aber nun ein Ende. Aro würde nie wieder derart Gott spielen können. Bei dem Gedanken daran, dass er sich dieses Kind – unser Kind – hatte zu eigen machen wollen, in der Hoffnung, dass es eine besondere Begabung haben würde, wurde mir ganz schlecht.       Ein heftiger Schrei riss mich aus meinen Gedanken und mir blieb keinerlei Zeit mehr, weiter über Aros Gräueltaten nachzudenken.   „Jetzt aber“, kommentierte Carlisle und verschwand mit dem Kopf wieder unter dem Tuch.   Ich stand besorgt auf und streckte den Hals etwas, konnte aber nichts erkennen. „Was ist?“   Carlisle kam gar nicht dazu, zu antworten, denn Sangreal schrie erneut auf und krallte ihre Finger in die Matratze unter ihr, dann spürte ich ihre Finger wieder an meiner Hand und drehte mich um.   „Bitte geh nicht weg“, sagte sie mit glasigen Augen, als ich zu ihr hinunter sah.   Ich schüttelte den Kopf und kniete mich wieder hin, um mit ihr auf Augenhöhe zu sein. „Ich gehe nicht weg, keine Angst.“ Ich strich ihr mit der Hand ein paar Haare aus ihrem Gesicht, dann setzte ich mich hinter sie, damit sie sich anlehnen konnte und keine Angst mehr zu haben brauchte, dass ich irgendwo hin ging.       Von da an ging alles ziemlich schnell. Schwer zu sagen, ob es nun zehn oder dreißig Minuten gewesen waren, ehe ich den ersten Schrei unseres neugeborenen Kindes hören konnte. In jedem Fall würde ich ihn nie wieder vergessen. Es war, genau wie Charlie es voraus gesagt hatte, ein magischer Moment.   „Willkommen auf der Welt“, flüsterte Carlisle mit einem Lächeln auf den Lippen, dann legte er es Sangreal auf den Bauch. Unter all dem Blut schien es, in etwa denselben Hautton zu haben wie sie. Sie streichelte sein kleines Köpfchen. Die Haare hatte es auch von ihr.   Sangreal strahlte über das ganze Gesicht. Die letzten zwölf Stunden schienen wie weggeblasen. „Mein Baby“, flüsterte sie.   Meine Mutter kam näher, um ebenfalls ihr Enkelchen zu bestaunen.   Ich saß noch immer hinter Sangreal und küsste ihr Haar. Bisher hatte ich es noch nicht gewagt mich zu rühren. Meine Augen jedoch, konnte ich nicht von meinem Kind abwenden. Kaum, dass es ihren Herzschlag gehört und ihre Körperwärme gespürt hatte, hatte es aufgehört zu schreien. Jetzt schien es, auf ihrem Bauch zu schlummern.   „Anthony.“ Carlisle musste mich direkt mit meinem Namen ansprechen, um meine Aufmerksamkeit zu bekommen. Zögerlich sah ich auf. Ich musterte zuerst ihn, dann fiel mein Blick auf seine Hände. Er hielt eine sterile Verpackung in der Hand, die er mit geübtem Griff öffnete. Heraus kam eine Schere. Ich wusste genau, was er mir damit versuchte zu sagen.   Esme trat an ihn heran und reichte ihm zwei Klammern, mit denen er die Nabelschnur, nun da sie aufgehört hatte zu pulsieren, doppelt abklemmte. Meine Mutter brachte vorsorglich ein Kissen, das sie Sangi unter schob, nun da ich sie nicht mehr stützte.   Carlisle reichte mir die Schere. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. „Keine Angst“, redete er mir gut zu. „Du wirst weder ihr, noch dem Kind schaden.“   Ich nickte ihm zu, dann legte ich die Schere vorsichtig an und ZACK – da war sie durch und unser Baby damit endgültig geboren.   Wenige Augenblicke später nahm Carlisle das Neugeborene dann kurz mit sich. Ich kniete mich wieder neben Sangreal und streichelte ihr Haar. Sie lächelte mich zufrieden an, dann wurden ihre Lider schwerer und fielen schließlich zu. Ich küsste ihre Stirn erneut und erhob mich wieder. Im selben Moment kam Esme mit unserem Baby zurück. Sie hatte es in ein frisches Handtuch gewickelt und gesäubert, nachdem Carlisle es kurz untersucht zu haben schien.   Es gab ein paar typische, leise Baby-Laute von sich, während es in Esmes Armen lag. „Na?“, fragte sie sanft mit leicht erhöhter Stimmlage. „Jetzt kommst du erst mal zu Papa, nicht wahr?“   Wieder ein Laut.   Papa, dachte ich. Daran würde ich mich wohl noch gewöhnen müssen. Und dennoch... als sie mir mein Kind reichte, als ich sein kaum merkliches Gewicht in meinen Armen spürte und seinen dezent süßlichen Geruch einatmete, breitete sich ein wohliges Gefühl in meinem ganzen Körper aus. Es fühlte sich an, als hätte ich ein Ziel erreicht, von dessen Existenz ich bis dato gar nicht gewusst hatte. Es füllte eine Lücke in mir, die ich zwar nicht bewusst hatte stopfen wollen, die aber unbewusst wohl da gewesen war. Das war es wohl, was man als Vollkommenheit bezeichnete. Dieser Moment war vollkommen. Und ich entdeckte noch ein neues Gefühl zum ersten Mal: bedingungslose Liebe. Es war dieses eine Lebewesen, auf dieser Welt, für das ich alles tun würde. Für das ich ohne zu zögern mein Leben geben würde. Das ich unter allen Umständen beschützen musste. Von diesem Augenblick an bis in alle Ewigkeit.   Und dann geschah noch etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. Hatte ich zuvor noch gedacht, dass mein Kind, ganz nach seiner Mutter kam, sah ich nun in kleine, wunderschöne smaragdgrüne Augen.   Meine Augen.   Meine Tochter.   Meine Luna.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)