Noblesse von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 8: Schritte zur Wahrheit -------------------------------- Viel zu schnell brach der neue Morgen über dem herrschaftlichen Anwesen herein. Schwere Regenwolken trieben über den grauen Himmel und ein feuchter Nebel hatte sich über die Ländereien gelegt. Alexis gähnte herzhaft, streckte seinen schmalen Körper und brauchte einen Moment um sich zu orientieren. Dies war nicht sein Bett, so viel war sicher, und das waren auch nicht seine Kissen. Schlaftrunken sah er sich um und mit dem Anblick des Herzogs kam die Erinnerung an den gestrigen Abend zurück. Unvermittelt musste der junge Lord lachen, seine Hände fanden schnell den Weg zu Samuels nackter Haut. Die langen Haare des Herzogs lagen wie eine Flut aus blutroter Seide auf den hellen Kissen. Glänzend und in sanften Wellen umspielten sie das friedliche Gesicht seines Besitzers, bildeten einen perfekten Kontrast zu dessen porzellanfarbener Haut. „Guten Morgen Samuel.“, murmelte Alexis und ließ seine schlanken Finger über die breite Brust seines Geliebten wandern. Es war ein vollkommen neues und unbekanntes Gefühl für ihn, neben jemandem aufzuwachen, dessen Anwesenheit ihn erfreute. Normalerweise zog er es vor, sich von seinen Gespielinnen zu trennen noch ehe sie ihm auf die Nerven fallen konnten, mit Samuel war das anders. Dieser Mann war ein sprudelnder, aufregender Quell von Abenteuer und verbotener Lust. Seine Intelligenz und das Vermögen, mit Alexis Stur- und Verbissenheit mitzuhalten machten ihn zu einem würdigen Gegner. Der Herzog zog für einen Moment voller Unwillen die Augenbrauen zusammen, dann drehte er sich zur Seite und zog Alexis mit einem Arm an seinen warmen Körper. „Noch nicht aufstehen.“, murmelte Samuel leise und gab zum ersten Mal einen Blick auf seine undisziplinierte und widerspenstige Seite frei. Alexis lächelte, drückte seine Nase ganz fest in die weiche Kuhle am Hals des Herzogs und sog den betörenden Duft ein. Ihm sollte es nur recht sein, der Tag würde nichts weiter von ihm erwarten. Die beiden Männer stöhnten beide genervt auf, als es zaghaft an der Tür klopfte. Der junge Lord war eben im Begriff aufzustehen um die Tür zu öffnen, da hielt sein Lehrer ihn zurück: „Keine gute Idee, Alexis.“, sagte er knapp und warf sich einen leichten Morgenmantel über. Ein kurzer Blick auf die Uhr zeigte die unerfreuliche Wahrheit: es war später als angenommen, bereits halb neun. Hinter der hohen Schwingtür wartete, schüchtern und nervös, Cassandra, die jüngste Angestellte, mit betretenem Blick. Ihre Stimme war dünn als sie sprach und Samuel wusste plötzlich wieder, warum sie ihn vom ersten Moment an gelangweilt hatte: Ihre blasse Persönlichkeit hinterließ nichts in ihm, was erinnerungswürdig gewesen wäre. „Herzog Samuel, Count Lysander von Gloucestershire ist hier um sie zu sprechen.“, sie räusperte sich umständlich. „Er erwartet sie im Salon.“ „Richte ihm aus, ich bin in wenigen Minuten bei ihm.“, antwortete Samuel gewohnt korrekt und schloss die Tür ohne weiter Notiz von der jungen Frau zu nehmen. Alexis setzte sich auf. „Sie ist für deine Belange zuständig?“, fragte er und ließ deutlich den gereizten Unterton herausklingen. Samuel hob eine seiner perfekt geschwungenen Augenbrauen und lächelte dann schief. „Sag mal, bist du eifersüchtig?“, fragte er und forderte Alexis mit seiner Direktheit geradezu heraus. Der junge Lord drückte sich eines der dicken Kissen in den Bauch und zog einen Schmollmund. „Als ob ich das nötig hätte.“, murmelte er leise, fand dann aber doch noch zu einer passenderen Antwort. „Eigentlich nicht. Sie ist keine Schönheit und, um ehrlich zu sein: nichts an ihr ist besonders reizvoll.“ Samuel, der sich ankleidete hielt einen Moment in seinem Tun inne und musterte seinen jungen Schüler. „Ich bin nicht erpicht, an deinen Bettgeschichten teilzuhaben, sei es auch nur fiktiv.“, antwortete er und man hörte deutlich, wie verärgert er war. Daraufhin schwieg Alexis, fühlte sich plötzlich unwohl und beschränkte sich im Folgenden darauf, seinem Lehrer beim Anziehen zuzusehen. Nachdem sich Samuel mit penibler Genauigkeit seine Halsschleife gebunden hatte, kam er mit langen Schritten noch einmal zum Bett und beugte sich tief über Alexis' Gesicht. Es fiel ihm schwer, sich nicht ein zweites Mal von dessen sinnlichem Duft und der betörend schönen Haut verführen zu lassen, aber sein Pflichtbewusstsein siegte. „Und außerdem, mein junger Lord, liegt Schönheit stets im Auge des Betrachters.“, murmelte er deshalb nur halblaut, strich mit dem Finger über Alexis' Lippen und stand dann auf. An der Tür drehte er sich noch einmal um: „Ich würde dir empfehlen, dich anzukleiden und dann eventuell dein eigenes Bett aufzusuchen – dein Vater wäre nur milde begeistert dich in meinem vorzufinden.“ Dann fiel die Tür ins Schloss. „Herzog Samuel, schön dich zu sehen.“, begrüßte der Count seinen Geschäftspartner mit einem gediegenen Lächeln. Seine grünen Augen funkelten im Licht der wenigen Kerzen, in der Hand hielt er eine Tasse mit dampfendem Inhalt. „Henry, einen Tee für den Herzog.“, orderte er sofort und bat Samuel mit einer Geste Platz zu nehmen. „Ich danke dir, Lysander.“, antwortete der Jüngere gewohnt höflich und versuchte, seine Gedanken zusammenzuhalten. Es war von äußerster Wichtigkeit, dass er sich jetzt konzentrierte, immerhin galt es, gleich mehrere Sachen zu verbergen. „Was führt dich hier her?“, fragte er und nippte an dem heißen Getränk. „Ich habe mehrere Anliegen, zuerst aber zu den unerfreulichen Themen des Tages: Wie geht der Unterricht mit meinem Spross voran?“, gab der Count zurück und eine steile Falte erschein zwischen seinen funkelnden Augen. Samuel überlegte einen Moment. Die Wahrheit zu sagen, nämlich das sie bis jetzt die meiste Zeit in Müßiggang und etwas, das man als Balztanz bezeichnen könnte, verbracht hatten kam nicht in Frage. Also musste es wohl eine durchdachte und exzellent vorgetragene Lüge sein. „Nun, ich muss sagen ich bin äußerst positiv überrascht: nach allem was man mir über ihren werten Herrn Sohn geschildert haben, hatte ich bereits mit dem Schlimmsten gerechnet. Aber er schlägt sich wirklich gut, er ist ein intelligenter junger Mann mit dem Hang zur Faulheit – wundert dich das in diesem Alter Lysander?“ Ein überraschter Ausdruck hatte sich auf dem Gesicht des Älteren breitgemacht und er schien für einen Moment völlig irritiert. Er hatte sich heimlich einen Verbündeten erhofft, jemanden Unabhängiges, der seiner Frau endlich bestätigen würde, dass ihr Sohn ein hoffnungsloser Fall war und das Erbe damit an die Firma gehen würde. Lysander war kein Narr, er wusste, dass Alexis das aufgebaute Gewürzhandelsimperium seines Vaters, nach dessen Tod, nicht weiterführen würde. Viel eher würde er es wohl so schnell wie möglich an irgendeinen dahergelaufenen Geschäftsmann verkaufen, der die Arbeit seines, Lysanders, gesamten Lebens innerhalb weniger Monate zugrunde richten würde. Der Count stöhnte auf. „Weißt du Samuel, ich hatte nicht erwartet solch positive Nachrichten zu erhalten und bin ehrlich gesagt ein wenig verstimmt. Ihr wisst doch von meinen Plänen, Alexis zu enterben und euch stattdessen die Ehre des Counts von Gloucestershire zu übertragen.“, sagte Lysander in gedämpftem Ton und trank einen Schluck des heißen Tees. Nur widerwillig nickte Samuel und er spürte, wie sich ihm bei dem Gedanken, die engstirnige und konservative Monarchie eines alten Mannes fortzuführen, die Nackenhaare aufstellten. Der Count hatte ihn bereits vor Jahren, als Samuel auf Geheiß seines Vaters in den Gewürzhandel eingestiegen war und damit die guten Beziehungen zur erfolgreichsten Grafschaft im damaligen England sicherstellen sollte, in seine wahnwitzigen Pläne eingeweiht. Der alte Lysander wollte unter gar keinen Umständen seinen innovativen, jungen und wilden Sohn auf dem Thron sehen, das hatte er schon damals sehr deutlich gemacht – dabei war Alexis zu diesem Zeitpunkt gerade mal sechs Jahre alt gewesen. „Was soll ich dir sagen Lysander, du wolltest doch die Wahrheit hören?“, entgegnete Samuel und konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen. „Alexis ist nicht so schlecht wie du denkst und seine Fähigkeiten im rhetorischen und feinmotorischen Bereich sind weit ausgeprägter als du es mir prophezeit hast. Gib' ihm eine Chance sich zu beweisen, er wird dich nicht enttäuschen.“, sagte Samuel mit fester Stimme und hoffte, dass Lysander die schwärmerische Note in seiner Stimme überhören würde. Er tat es, stattdessen wirkte sein Gesicht für einen Moment wie die zornige Maske eines alten Mannes, der sich um seinen Gewinn betrogen fühlte. Die klaren Augen wurden dunkel und Samuel fürchtete schon einen Wutausbruch, aber der Count fasste sich, mit der jahrelangen Übung eines Politikers, wieder und schob ein Lächeln über sein wahres Gesicht. „Nun gut, wollen wir dieses Thema für heute ruhen lassen.“, gab er zwischen zusammengebissenen Zähnen zurück und stellte die feine Porzellantasse auf das Tablett. „Ich habe eine Nachricht für dich, von deinem Bruder, Samuel. Er bat mich dir diesen Brief zu geben.“ Er reichte dem Herzog einen kleinen, korrekt gefalteten Umschlag, der mit dem Sigel der Familie bedruckt war. Rasch öffnete Samuel ihn und überflog die Zeilen. „Ein Aufstand?“, fragte er und runzelte die Stirn. „Was ist passiert?“ Lysander lächelte kalt. „Wenige der unteren Klassen haben sich zu einem kleinen Stell-dich-ein mit der Armee getroffen: es gab einen Protest gegen die niedrigen Löhne der Arbeiterschaft, wohl in der Textilindustrie, soweit ich weiß. Die Situation, so harmlos sie auch begonnen hatte, schien zu eskalieren, als die Aufständischen zu Steinen und Mistgabeln griffen - wie primitiv nicht?“ Der Count lachte überheblich und Hohn zeichnete sich in seinem Gesicht ab. „Und weiter?“, fragte Samuel und gab sich Mühe, das Zittern aus seiner Stimme zu verbannen. „Nun, dein Bruder war nicht zimperlich und hat das einzig richtige getan, diesem Konflikt mithilfe der Armee beizuwohnen.“ Wieder lachte Lysander kalt auf. Er schien eine irre Freude daran zu haben, dass der Adel sich mal wieder mit Waffengewalt gegen die unverschuldet Unterprivilegierten durchgesetzt hatte. „Gab es viele Verletzte?“, forschte Samuel weiter und spürte, wie sich ihm die Kehle zuschnürte. Sorge und Wut, ungeheure Wut über diesen arroganten, blasierten Mann vor sich, drohten ihn zu übermannen und nur mit großer Beherrschung gelang es ihm, seinen Atem ruhig und flach zu halten. „Zehn oder fünfzehn.“, antwortete der Ältere leichthin und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Das sollte ihnen eine Lehre sein, nicht?“ Samuel nickte mechanisch und blinzelte die rote Wut weg. Er wusste, dass er sich zusammenreißen musste, wenn er etwas erreichen wollte. Seine Aufgabe hier war noch nicht getan und er würde sich nicht aus einer Zügellosigkeit heraus vorzeitig verraten und damit selbst ins Aus befördern. „Gibt es sonst noch Neuigkeiten?“, fragte er mit trockener Kehle und blickte aus dem Fenster. „Nein. Das war es soweit. Ich habe dir die Routenpläne und Geschäftsbriefe für diesen Monat auf dein Zimmer bringen lassen.“ Der Count warf einen hektischen Blick auf die große Standuhr. „Ich muss mich auch empfehlen, die Arbeit wartet.“, fügte er hinzu und erhob sich umständlich. Samuel folgte seinem Beispiel und öffnete die große Schwingtür des Salons. Draußen im dunklen Flur, an die Wand gelehnt, wartete Alexis auf die beiden Gesprächspartner. Anspannung stand in seinem Gesicht geschrieben, die großen bernsteingelben Augen leuchteten unnatürlich im Licht der einzelnen flackernden Kerze. „Alexis.“, grüßte sein Vater knapp und machte eine flapsige Geste der Begrüßung. „Ich bin leider schon wieder im Weggehen. Wenn die Herren mich entschuldigen würden.“ Und mit einem missbilligenden Seitenblick auf seinen Sohn rauschte der Count an den beiden ungleichen Männern vorbei. Eine Weile war es still, dann brach Alexis das Schweigen mit unsicheren Worten: „Geht es dir gut Samuel?“, fragte er leise und versuchte, in dem undurchdringlichen Ausdruck auf Gesicht des Herzogs zu lesen. Dieser stand noch immer wie betäubt, in derselben Position verharrend, in der Tür und starrte auf den leeren Gang. „Sag doch bitte etwas.“, drängte Alexis nun und ging ein paar Schritte auf seinen Lehrer zu, legte ihm unsicher die Hand auf das Revers. Für einen Moment schien es, als würde Samuel die Berührung verbieten wollen, dann schüttelte er den Kopf und packte Alexis Hand. „Nicht hier.“, raunte er und zog seinen Schüler dann mit atemberaubender Kraft durch die langen Flure des Anwesens. Sie hatten kaum das Zimmer des Herzogs erreicht, die Tür fiel krachend hinter ihnen ins Schloss, da riss Samuel Alexis an sich und küsste ihn mit wilder Leidenschaft. Wut, Verzweiflung und Verlangen entfachten eine treibende Mischung in dem rothaarigen Mann und er ließ seinen Gelüsten freien Lauf. Alexis mochte diese rohe Inbesitznahme durch den Herzog und stöhnte lustvoll unter den fordernden Lippen seines Lehrers. Fest drückte er seinen hungrigen, schmalen Körper an den des Älteren, schob seine Hände unter dessen Hemd und kratzte fest über die weiße Haut. Sie lösten sich keuchend voneinander als die Luftnot sie dazu zwang. Samuel seufzte erleichtert, als er spürte, wie die blinde Wut in ihm zurückging und er beschloss, ihnen beiden Zeit für eine Erklärung einzuräumen. „Was war denn los?“, nahm Alexis ihm den Einstieg vorweg und ließ sich mit neugieriger Miene auf dem weichen Bett nieder. Samuel folgte seinem Beispiel, zog die Beine an und lehnte sich, plötzlich müde und ausgelaugt, gegen den dicken Bettpfeiler. „Ich und dein Vater hatten eine kleine… Meinungsverschiedenheit.“, sagte er leise und spürte in sich den dringenden Wunsch Alexis alles zu erzählen. Warum er hier war und welche Rolle er in England spielte. Was in seinem Heimatland geschah und auf welcher Seite er stand. „Ja, das Gefühl hatte ich auch.“, stimmte Alexis zu und sein Gesicht wurde dunkel vor Zorn. „Hat er dir weh getan?“ Samuel musste lächeln. „Nein, nicht so wie du denkst.“, antwortete er wahrheitsgemäß und streckte seine große Hand nach dem jungen Lord aus, der sich sofort mit der Wange hinein schmiegte. „Dein Vater kann manchmal einfach etwas… überschäumend sein.“, fügte er hinzu und genoss das Gefühl der weichen Haut in seiner Handfläche. „Er ist nicht mein Vater.“, sagte Alexis bitter und rückte näher an den Herzog heran. Es war, als könnte er nur noch in der Berührung dieses faszinierenden Mannes wirklich Ruhe und Geborgenheit finden. Samuel runzelte die Stirn und legte einen fragenden Ausdruck in sein Gesicht, schwieg aber, wohl wissend, dass Alexis den Zeitpunkt seiner Ausführung selber wählen würde. „Ich weiß es nicht sicher, aber ich glaube, dass ich ein uneheliches Kind bin. Meine Mutter hat, als ich noch sehr klein war, mal mit meiner Amme darüber geredet. Sie schienen nicht zu bemerken, dass ich sie belauschte und ihre Worte waren 'Wenn ich Lysander doch nur schon früher kennengelernt hätte, dann wäre Alexis nun sein Sohn.' Ich war damals noch zu klein um zu verstehen, was sie meinte, aber vergessen habe ich es nie.“ Alexis seufzte leise und legte seinen Kopf gegen Samuels Brust. Die Finger des jungen Lord spielten mit den langen Strähnen des roten Zopfes und verursachten so ein erregendes Kitzeln auf der Kopfhaut des Herzogs. Diese neue Erkenntnis erklärte einiges für Samuel und für einen Moment war er versucht, seinem Schützling die Pläne des Counts zu offenbaren. Aber er verwarf den Gedanken fast ebenso schnell wie er gekommen war wieder. Alexis wäre sehr verletzt und es gab sicherlich bessere Momente als diesen hier, um dem jungen Lord von dem Verrat, den Lysander an ihm begehen wollte, zu erzählen. „Stört es dich?“, fragte er stattdessen sanft und rieb sein Kinn an dem schwarzen Haarschopf des Jungen. „Nein, sollte es?“, gab Alexis zurück und zuckte die Schultern. „Ich bin ihm egal, er ist mir egal. Wir sind quitt.“ Er seufzte leise und Samuel wusste, dass es nicht so ganz der Wahrheit entsprach. Eine ganze Weile herrschte friedliche Stille. Samuel erging sich in dem betörenden Duft seines Schützlings während dieser seine Brust mit den Fingern erkundete. Sanft strich Alexis über die weiche Haut, kniff zärtlich in die Brustwarzen und spürte, wie viel Freude es ihm bereitete den Mann an seiner Seite einfach nur zu berühren. Seine Fingerspitzen kribbelten und hießen ihm weiterzumachen, aber er hielt plötzlich inne: Die Erinnerungen an den gestrigen Abend holten ihn ein und er dachte mit Unbehagen und Scham an seine Tat. Er erwog einen Moment, sich Samuels Beispiel anzuschließen und einfach nichts mehr dazu zu sagen, aber sein Ehrgefühl zwang ihn zu einer erneuten Aufarbeitung des Geschehens. „Es tut mir leid.“, sagte er leise und hoffte, dass Samuel verstehen würde. Ein leises Lachen erklang, dann wurde der Herzog wieder ernst und hob das Kinn seines Schützlings an. „Alexis, ich werde dir jetzt etwas erzählen und du musst mir versprechen, dass es ewig unser Geheimnis bleiben wird.“, sagte er ernst und legte absichtlich so viel Nachdruck in seine Stimme. Er wusste, dass es ein riesiges Wagnis war, dem Sohn seines eigentlichen Feindes zu erzählen, wer er war, aber ein unbestimmter Teil in ihm wusste, dass er sich mit Alexis einen starken und treuen Verbündeten ins Boot holen würde. Er musste es einfach wagen, schon um seiner selbst willen. „Ich bin nicht der, für den ihr mich haltet.“, begann der Herzog leise und bot Alexis mit einer sanften Geste Einhalt. Für eventuelle Fragen würde später noch Zeit sein. „Versteh mich nicht falsch: Ich bin Samuel Leopold Herzog von Thuringia, zweiter Sohn und eigentlicher Thronerbe, aber all das bin ich nur unter Protest. Denn meine Heimat, das musst du wissen, ist zerrüttet und zerfallen. Zersplittert sind wir in viele kleine Bundesstaaten, jeder von einem eigenen, grausamen und ungerechten Herrscher gelenkt. Der 'Deutsche Bund' werden wir laut dem Wiener Kongress genannt, aber verbunden sind wir nur in Elend und Armut. Die Fürsten beuten die Bevölkerung nach ihrem Belieben aus, es gibt keine Verfassung und nichts, was uns vor der Willkür der Obrigkeit schützt. Wir können durch die verschiedenen Bundesstaaten nicht zueinander gelangen, da die Zölle an den Grenzen einen vielfachen Jahreslohn betragen.“ Samuel hielt kurz inne und dämpfte seine Stimme, die sich im Laufe seiner Ausführungen immer weiter gesteigert hatte, zu einem Flüstern. „Kunst, Literatur, Schulen und Universitäten werden verboten, wenn sie gegen das bestehende System aufbegehren. Menschen kommen in das Gefängnis und hängen bis zum Tod am Strick, nur weil sie die Wahrheit gesagt haben und es wagten, ihre Stimmen gegen die faulen und bequemen Adligen zu erheben, die das Geld mit vollen Händen ausgeben, was das Volk jeden Tag unter Schmerzen erwirtschaftet. Mein Land ist voller Missstände und Ungerechtigkeiten, das habe ich an dem Tag begriffen, als ich zum ersten Mal die Menschen sah, die tagtäglich schufteten damit ich in Samt und Brokat einher stolzieren konnte. Und ich wollte nicht mehr der sein, als der ich geboren wurde: als Herrscher über einen Landstrich, in dem die Menschen aus Verzweiflung ihre Kinder aussetzen, in der Hoffnung jemand der besser betucht ist als sie selbst hat Erbarmen und kümmert sich.“ Wieder machte Samuel eine Pause und stützte seinen Kopf, der ihm plötzlich viel zu voll und schwer vorkam, auf seine Hand. Sanft und mit bestimmendem Druck strich Alexis über die breite Brust seines Lehrers, küsste die Schläfe des großen Mannes und sah ihm aufmerksam entgegen. „Also begann ich die Augen und Ohren nach Menschen offen zu halten, denen es ebenso ging wie mir. Lange Zeit blieb ich erfolglos, lebte ich doch in jenen anstößigen Kreisen, die ich so heißblütig verachtete. Aber eines Tages erfuhr ich durch einen Zufall, dass es an der Universität in Jena, eine Stadt unweit unseres Wohnsitzes, eine Vereinigung von jungen Männern gab, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, die Missstände in unserem Land zu bekämpfen. Unter dem Vorwand die Bibliothek studieren zu wollen begab ich mich noch am selben Tag zur Universität und brachte einiges in Erfahrung. Die Gruppierungen schienen im zerbrochenen 'Deutschen Bund' wie Pilze aus dem Boden zu sprießen, überall gab es Aktionen und es wurden wirkungsvolle Pläne geschmiedet. Es dauerte etwa ein halbes Jahr, dann konnte ich die Burschenschaft, so nennen sich die zusammengeschlossenen Männer, davon überzeugen, dass meine Absichten ehrlicher Natur waren. Voller Tatendrang wurde ich eingegliedert und war ab diesem Moment im aktiven Widerstand gegen die Obrigkeit unseres Landes.“ „Und gegen deinen Vater.“, flüsterte Alexis leise und Ehrfurcht schwang in seiner Stimme. Seine großen Augen waren unverwandt auf Samuel gerichtet, seine Hände wie in heller Aufregung zu Fäusten geballt. „Ja, auch gegen meinen Vater. Eigentlich gegen meine gesamte Familie. Aber ich wusste, dass meine Entscheidung richtig gewesen war und mein Doppelleben begann mir zusehends Spaß zu machen. Tagsüber gab ich den frommen, braven Sohn – sobald es aber dunkel wurde schlich ich mich davon wie ein Dieb und tat, was getan werden musste. Irgendwann, so schien es mir, wurde mein Vater misstrauisch und es kam ihm gerade recht, dass er kürzlich die Beziehungen zum Count of Gloucestershire hergestellt hatte. Er beorderte also mich, der freiwillig auf die Thronfolge verzichtet hatte, nach England um dort unschädlich und unter der Kontrolle eines ebenso machthungrigen Mannes, wie er selbst einer war, zu sein. Doch was sich anfangs als vorzeitiges Ende meiner Karriere als „Widerständler“ erwiesen hatte, entpuppte sich recht schnell zu einer Position mit weitreichendem Einfluss.“, fuhr Samuel lächelnd fort und endlich schien er wieder der zu werden, der er war. Sein Gesicht hellte auf und mit einem tiefen Seufzer wich auch die Anspannung aus seinem Körper. „Du meinst, du betreibst auch hier diese 'Burschenschaften'?“, fragte Alexis ungläubig und die Überraschung auf seinem Gesicht war nicht zu übersehen. „Dann war der Brief, den ich gestern unrechtmäßig gelesen habe...“ „Aus Deutschland, genau. Von Heinrich, einem meiner besten Männer.“, beendete Samuel den Satz mit einem Lächeln. „Das machst du also hier.“, wiederholte der junge Lord ehrfürchtig und fühlte sich plötzlich klein und unbedeutend gegen diesen gestandenen Mann, der sich nicht nur gegen seinen Vater, sondern auch gegen die Prämissen eines ganzen Landes durchgesetzt hatte. „Ja, und außerdem verführe ich junge, unschuldige Männer zu ungehörigen Taten.“, flüsterte Samuel rau und der Schalk blitzte in seinen sturmgrauen Augen auf. Seine Hände hatten den Weg unter Alexis Hemd gefunden und strichen in langsamen Zügen über die erregend dunkle Haut. „Das dachte ich mir schon.“, stöhnte der junge Lord leise, erschauderte und gab sich dem fordernden Verlangen seines Herzogs hin. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)