Noblesse von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 4: Trainingserfolge --------------------------- Als Alexis am nächsten Morgen auf den Plan schaute, wurden seine Knie weich. Fechten. Er hasste diese Sportart, erforderte sie doch alle Eigenschaften, die er nicht in sich vereinen konnte: Disziplin, Respekt vor dem Gegner, Weitsichtigkeit, Kraft und Zurückhaltung. Zusätzlich meldeten sich seine Kopfschmerzen mit unangenehmer Stärke zurück und schienen jeden Schritt unmöglich zu machen. Er war schon mitten in der Nacht mit einem so stechenden Gefühl in seinem Kopf erwacht, dass er beim Einfüllen der Tropfen kaum das Fläschchen ruhighalten konnte. Er war froh, dass das Mittel wie gewohnt seine schnelle Wirkung entfaltet hatte und er nach einigen qualvollen Minuten wieder in einen unruhigen Schlaf fallen konnte. Nun griff er wiederum nach der Pipette und ließ eine beträchtliche Menge der hellgelben Flüssigkeit in das Wasserglas daneben tropfen. Er stürzte das Medikament in einem Zug herunter. Als Henry einige Minuten später den Tee servierte hatte sich das wütende Toben im Kopf des jungen Lords bereits in ein mäßiges Klopfen verwandelt, dass zwar störend, aber auszuhalten war. Mit säuerlicher Miene nahm Alexis einen kleinen Schluck grünen Tee, dann begann er seine Haare ausgiebig zu bürsten. Er mochte die weichen, glänzenden Strähnen zwischen seinen Fingern und ließ sie mit besonderer Zärtlichkeit durch seine Hände gleiten. Er dachte daran, wie schrecklich störend und kratzig er stets die Haare seiner Gespielinnen fand, wie sie an ihm klebten beim Sex, ihm jegliche Lust nahmen. Selbst die vollen Locken Cecilias waren ihm zuwider, er hasste es, wie sie seine Wangen berührten und kitzelten, wenn es leidenschaftlich wurde. Mit ein paar kräftigen Strichen beendete er seine Arbeit und konnte nicht umhin, sich vorzustellen, wie sich Samuels lange, rote Strähnen wohl anfühlen würden. Ob sie genauso seidig und fest waren, wie sie aussahen? Unwillig schüttelte er den Kopf und verscheuchte die Gedanken, erhob sich und machte sich auf, den Unterricht zu besuchen. Als er durch den langen dunklen Gang schritt, spürte er plötzlich Unbehagen in sich aufkommen. Der gestrige Nachmittag war so friedlich und widerspruchslos verlaufen, dass Alexis sich selbst fast unheimlich war. Er war mit soviel Widerwillen in die Bibliothek gestrebt, hätte sich gegen den Herzog nur allzugern aufgelehnt, aber als er ihm dann aber gegenüber saß, war all sein Widerstand geschmolzen und er hatte sich den Wünschen seines unliebsamen Lehrers gebeugt. Nicht, weil er sich plötzlich mit der Vorstellung bevormundet zu werden angefreundet hatte, nein, viel eher schien sich sein Unwillen wie eine schläfrige Katze zusammengerollt und nur noch blinzelnd kleine Wellen kindlichen Trotzes ausgesandt zu haben. „Wenn er glaubt, es wird jetzt immer so leicht, dann hat er sich verschätzt.“, sagte Alexis laut und blieb vor einem Porträt seines Vaters stehen. Die Farben stachen ins Auge und die Art des Kunstwerks strotzte vor Borniertheit und Prunk. Er hasste das Bild seit er ein kleiner Junge war. Als er in die staubige Bibliothek trat, war Samuel, wie gestern schon, bereits anwesend und studierte sehr aufmerksam die Aufzeichnungen des Vortags. „Guten Morgen Lord Alexis, Ihr kommt spät.“, sagte er und obwohl ein Vorwurf darin klang, war seine Stimme freundlich. Sein Gesichtsausdruck zeigte keine Missbilligung und ein kleines Lächeln lag um seine Mundwinkel. „Glaubt bloß nicht, es wird immer so einfach laufen wie gestern.“, antwortete Alexis spöttisch ohne sich seiner Worte bewusst zu sein. „Doch, ganz genau das glaube ich, junger Herr. Ich bitte Euch, setzt Euch und seid friedlich, nur so kommen wir voran. Es ist nicht so, dass ich von Eurem unbeugbarem Stolz nicht beeindruckt wäre, aber wenn Ihr nur einen Moment darüber nachdenkt, wird Euch aufgehen, dass wir hier nur fertig werden, wenn Ihr ein klein wenig mitarbeitet.“ Er hatte das Gelesene zur Seite gelegt und faltete seine Hände formvollendet in seinem Schoß. Alexis blinzelte und schien einen Moment über das Gesagte nachzudenken, dann verfinsterte sich sein Blick und er klappte den Mund auf um zu antworten, blieb dann aber stumm. „Versteht mich nicht falsch, ich beginne diese kleinen Unterredungen zu genießen, aber mein Wille zählt hier wohl nur unwesentlich.“, setzte der Herzog seine Ausführungen fort und er lächelte süffisant. „Das habt Ihr gut beobachtet.“, antwortete Alexis und seine Stimme verriet höchste Anspannung. Er war stocksteif geworden und seine Hände ballten sich zu Fäusten. Er wusste nicht, was er weiter erwidern sollte, seine Gedanken summten wie ein zorniger Bienenschwarm durch seinen Kopf und es schien unmöglich, einen davon rauszufischen und zu formulieren. „Gut, dann lasst uns doch zum ersten Tagesordnungspunkt übergehen.“, fuhr der Herzog leise fort und begann einige Bücher zu sortieren. „Ich möchte, dass wir uns heute der Konversation widmen. Ich weiß, dass Ihr kein Bankett meidet, aber wie steht es mit Eurer Redekunst?“ Alexis, immer noch wie gelähmt vor Wut, folgte der stummen Einladung sich zu setzen, dann schluckte er schwer. Er versuchte das Gesagte einzuordnen, dann nickte er langsam und ermahnte sich in Gedanken zur Ruhe. „Reiß dich zusammen.“, dachte er und war wütend auf sich selbst und seine törichte Schwäche. Samuels Gegenwart schien all seine Schlagfertigkeit einfach wegzuwischen. „Wie begrüßt Ihr standesgemäß eine junge Dame Eures Alters?“, begann Samuel den Unterricht und zwang den jungen Herrn, sich auf das Bevorstehende zu konzentrieren. Er brauchte noch eine ganze Weile, ehe er antwortete. Die Erkenntnis, dass der Herzog vermutlich recht hatte, kam erst spät. Nach dem Konversationsunterricht hatte Alexis die Bibliothek ohne ein weiteres Wort verlassen. Steifen Schrittes hatte er den Herzog hinter sich gelassen, sein Mittagessen verweigert und sich, mit einem dröhnenden Kopf und tränenden Augen auf sein Bett geschmissen. Sein Atmen ging flach und er fühlte sich so erschöpft wie nach einem wilden Liebesakt. Die drei Stunden sitzen und reden, formvollendete Sätze bilden und manierliche Worte austauschen hatten ihn so ermüdet, dass er sich bei Weitem nicht vorstellen konnte, auch noch den Nachmittag unter der strengen Aufsicht des unliebsamen Lehrers zu verbringen. Die Worte des Herzogs hallten immer noch in seinem Kopf. Waren sie deshalb so bedeutsam, weil er Alexis abgelehnt hatte? Schmerzte ihn der Verlust des Wohlwollens des Menschen, den er weder schätzte noch mochte? War er wirklich verletzt, weil Samuel ihn genauso wenig um sich haben wollte, wie er ihn? „Ach zum Teufel..“, fluchte Alexis laut und warf sich auf die Seite, zog sich die Decke bis über den Kopf und nach wenigen Minuten fiel er in einen tiefen, alptraumgeplagten Schlaf. „Junger Lord?“ Die Stimme des ältlichen Butlers klang unangenehm laut und intensiv in die Stille von Alexis Schlaf. Er stöhnt voller Unmut auf und versuchte den unwillkommenen Störfaktor einfach zu ignorieren. Vergebens. „Ihr müsst aufstehen mein Herr, der Herzog erwartet Euch bereits.“ „Ach ja? Dann muss er eben warten.“, fauchte Alexis unter dem Berg von Kissen und Decken hervor und strampelte sich mühselig frei. Er fühlte sich nach dem kurzen Schlaf noch viel müder und kraftloser als vorher, seine Kopfschmerzen waren nach wie vor eine Qual und der Gedanke, den folgenden Nachmittag in einem engen, schwitzigen Fechtanzug zu verbringen trug nicht gerade zur Aufhellung seiner Laune bei. Unbemerkt schlichen sich wieder Samuels Worte vom Morgen in seine Gedanken und seine Miene wurde noch verdrossener. „Henry, mein Abendessen werde ich dann hier einnehmen.“, sagte er zerknirscht und zupfte notdürftig seine Kleider zurecht. „Sehr wohl.“, nickte der Bedienstete, dann verschwand er lautlos. Bevor der Lord sein Zimmer verließ griff er noch das Buch von seinem Nachttisch, vielleicht würde er den Herzog zu Studien statt Training überreden können. Als Alexis die große Trainingshalle im Keller des Anwesens betrat war alles totenstill. Niemand war da und die trüben Sonnenstrahlen fielen in schmalen Reihungen durch die schlitzartigen Fenster am oberen Ende der Halle. Vom Herzog war keine Spur zu sehen, auf dem großen Tisch lag jedoch die Ausrüstung bereit. Der junge Lord legte sein Buch zur Seite und griff nach dem Florett, wog den belgischen Griff in seiner Hand und seufzte leise: er mochte es wirklich nicht. Gedankenverloren ließ er seine Finger über die gefalteten Anzüge gleiten, nahm die Fechtmaske in die Hand und dachte an all die verschwendeten Stunden hinter diesem Drahtgeflecht. „Schön Euch noch begrüßen zu dürfen.“ Alexis schreckte zusammen und drehte sich um. Samuel war, bereits in voller Montur, eingetreten und lächelte spöttisch. Seine Haare hatte er streng zurückgebunden und im hereinfallenden Licht glänzte die Narbe geheimnisvoll. „Zieht Euch bitte die Schutzkleidung an, dann beginnen wir sofort.“, fügte er hinzu und gab Alexis so keine Chance für eine trotzige Antwort. Ohne ein weiteres Wort nahm er die Ausgangsposition ein und begann einige Figuren zu üben während Alexis murrend den Anzug in den Nebenraum trug. „Wir beginnen mit einigen leichten Übungen. Ich werde versuchen, Euch an der Schulter zu treffen und Eure einzige Aufgabe ist es, dies zu verhindern.“ Samuels Stimme klang gedämpft unter der Maske, sein Körper war angespannt und die harten Muskeln traten hervor. „Versucht es nur.“, lockte Alexis frech und fühlte sich nicht halb so selbstsicher, wie er sich gab. Er hasste es, wenn jemand mit erhobener Waffe auf ihn zutrat. Er konnte mit offener Konfrontation nicht gut umgehen, auch wenn er selbst diese Disziplin nur allzu gut beherrschte. „Bereit? Los.“, rief der Herzog und kam mit einem einzigen gewaltigen Sprung gefährlich nahe. Alexis machte einen überraschten Ausfallschritt und geriet ins Straucheln. „Beachte die Begrenzung der Planche.“, mahnte der Ältere und drängte weiter in Richtung des Lords. Seine Beinarbeit war ebenso beeindruckend wie die Kraft, mit der er seine Streiche ausführte. Der junge Herr kam kaum mit. Während seine Augen noch versuchten die schnellen Bewegungsabläufe zu registrieren, hatte sich sein Körper instinktiv auf Abwehr eingestellt und beschäftigte sich ausschließlich mit der Flucht nach hinten. Sein dröhnender Kopf zeigte sich nicht begeistert von der plötzlichen Ertüchtigung und Schweiß brach aus seinen Poren. Noch während Alexis seinen nächsten Schritt plante täuschte der Herzog einen Sprung an, drehte sich halb um die eigene Achse und platzierte seine Klinge mit tödlicher Präzision an Alexis' Hals. „Ich dachte, die Schulter war das Ziel.“, brachte der Getroffene keuchend hervor. „Habt Ihr Angst, junger Herr?“, antwortete Samuel und man konnte das spöttische Lächeln fast hören. Einen Moment sagte keiner von beiden etwas. In leicht geduckter Haltung standen sich die beiden Kontrahenten gegenüber und die Spannung zwischen ihnen war fast greifbar. Alexis spürte, wie ihm ein Schweißtropfen die Schläfe hinabrann. Sein Sinne waren zum Zerreißen gespannt und er versuchte verzweifelt, das Hämmern in seinem Kopf zu ignorieren. Er sah die Augen des Herzogs hinter dem feinmaschigen Drahtgeflecht funkeln und wurde das Gefühl nicht los, dass dieser etwas erwartete: Ein unbedachtes Wort, eine Bewegung außer der Reihe. Alexis war wie im Blick eines Raubtieres gefangen und plötzlich fühlte er die Klinge, trotz des Sicherheitsanzuges, mit überdeutlicher Schärfe an seinem Hals. Dann entspannte sich der Herzog mit einem tiefen Atemzug, ließ das Florett sinken und trat einen Schritt zurück. „Ihr habt die Planche verlassen, Lord Alexis. Achtet auf Eure Füße, lasst Euch von der Bewegung leiten. Fechten bedeutet im Fluss zu sein: Körper und Geist sind eins und arbeiten ohne Nachzudenken. Sie bilden eine perfekte Einheit und folgen nur dem Florett.“, sagte Samuel leise und führte einige gleitende Bewegungen aus, die ebenso elegant wie gefährlich wirkten. Der Körper des hochgewachsenen Mannes schien selbst zur Waffe zu werden und die geschmeidigen Muskeln, die sich deutlich unter dem Anzug abzeichneten, bewiesen sowohl Kraft als auch Ausdauer. Alexis war so in die Betrachtung seines Gegenüber versunken, dass er seinem Lehrer eine Antwort schuldig blieb. Er nickte nur stumm und ging erneut in die Ausgangsposition. Nach ganzen vier Stunden schweißtreibenden Trainings gab der Herzog endlich das Zeichen zum Abschluss. Er verneigte sich sehr respektvoll vor dem jungen Lord und nahm dann seine Maske ab. Alexis konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Seine Muskeln waren so verkrampft, dass jede noch so kleine Bewegung zur Qual wurde und der Schmerz in seinem Kopf war so gewaltig, dass ihm die Luft wegblieb. Er nickte nur keuchend, erwiderte die Verbeugung jedoch nicht. „Das war schon sehr gut, ich bin überrascht.“, sagte Samuel und seine Stimme klang ehrlich beeindruckt. Er lächelte und schlüpfte aus seinen Handschuhen. „Dann merkt Euch dieses Gefühl.“, antwortete Alexis spöttisch und stöhnte leise auf. Mit einer trotzigen Bewegung warf er Waffe und Maske auf den Tisch und ging, ohne ein weiteres Wort, zur Tür. Er war schon auf halbem Weg nach oben, als ihm einfiel, dass er sein Buch liegengelassen hatte. Er wog ab, für den Moment darauf zu verzichten und es sich später von einem der Angestellten bringen zu lassen, doch die Befürchtung, der Herzog könne auf die Idee kommen, es ihm persönlich zu überreichen, ließ ihn umkehren. Mit leisen Schritten kehrte er zurück und öffnete lautlos die Tür. Seine Augen brauchten einen Moment ehe sie sich vom schummrigen Halbdunkel des Flures an die warme Helligkeit der schwindenden Nachmittagssonne gewöhnt hatten, dann blieb Alexis die Luft weg. Samuel stand in der Mitte des Raumes, sein Oberkörper war entblößt. Die Sonnenstrahlen tanzten auf der weichen Haut und ließen die vielen winzigen Schweißperlen wie Kristalle glitzern. Seine glänzenden Haare waren offen und fielen in langen, seidigen Strähnen über seinen weißen Rücken hinab. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt, sein Atem ging ruhig und gleichmäßig. Alexis war wie gebannt. Er war weder in der Lage, seinen Blick von der weichen Perlmutthaut abzuwenden, noch einen klaren Gedanken zu fassen. Das Bedürfnis diese makellose Schönheit zu berühren, sie zu entweihen, war so übermächtig, dass Alexis fürchtete, er würde daran ersticken. Noch nie in seinem Leben war er von solch heftigen Verlangen getrieben, dessen war er sich sicher. Der Herzog fuhr sich langsam durch die Haare, dann wandte er sich um. „Oh junger Lord, Ihr seid noch hier?“, fragte er überrascht und machte keine Anstalten sich zu bedecken. Seine sehnigen Muskeln zeichneten sich deutlich ab, die breite Brust war ebenso kräftig wie der restliche Körper. Er war.. „Perfekt.“, hauchte Alexis leise und hörte seine eigene Stimme nur entfernt, wie durch dichten Nebel. Die Augen des Älteren weiteten sich überrascht, er blieb aber ernst. Der junge Lord schüttelte den Kopf, versuchte seine Gedanken zu ordnen und stellte fest, dass es ihm nur gelingen würde, wenn er den Blick abwandte. „Ich habe nur.. das hier.. vergessen.“, sagte er leise und klang schüchtern wie ein Kind. Er griff nach dem gesuchten Buch und senkte den Blick. Ihm war plötzlich heißer als während des gesamten Trainings. Der Herzog lächelte anzüglich und verschränkte die Arme vor der Brust, seine Blick verriet deutlich, dass er sich amüsierte. „Dann habt Ihr hoffentlich gefunden, wonach Ihr sucht.“, sagte er leise und trat in den Schatten, wo seine Augen einen dunklen Schimmer annahmen. Alexis blinzelte als ihm bewusst wurde, was Samuel meinte, dann machte er ruckartig auf dem Absatz kehrt und hetzte die Treppen hinauf in sein Gemach. Entgegen seiner Gewohnheit erwachte Alexis ganz von selbst. Er öffnete die Augen ruckartig, alles war dunkel. Verwirrt und übernächtigt tastete er nach dem Zunder und entfachte den dreiarmigen Leuchter auf seinem Nachtisch. Unruhige Schatten tanzten an den samtenen Vorhängen seines Bettes, die er, wie schon seit langem nicht mehr, am Abend zugezogen hatte. Er hatte das Gefühl von Schutz und Geborgenheit gebraucht und hatte seine Gedanken aussperren wollen. Müde wischte er sich über die Augen und seufzte leise, dann schwang er seine Beine aus dem Bett und trat aus dem warmen Kokon seiner Privatsphäre in die kühle Dunkelheit des Zimmers. Der Mond schien hell und kalt durch die hohen, unverhüllten Fenster und malte silberne Ornamente auf die weichen Teppichböden. Alexis war schon seit Jahren nicht mehr mitten in der Nacht erwacht, was wohl auch seinem regelmäßigen Alkoholkonsum geschuldet war, aber erinnerte sich an einige schreckliche Nächte seiner Kinderzeit. Damals hatte er sein Zimmer noch im Westflügel des Anwesens gehabt, der die weitaus größer geschnittenen Räumlichkeiten beherbergte. Der kleine Alexis hatte sich dort immer fremd gefühlt, die hohen Decken hatten ihm das Gefühl von Unbedeutsamkeit gegeben. Nun stand der junge Herr regungslos in seinem Zimmer und lauschte angestrengt in die Stille, in der Hoffnung eine Ursache für sein plötzliches Erwachen zu finden. Nichts. Einen Moment erwog er, einfach zurück unter die warmen Decken zu schlüpfen, das unangenehme Gefühl in seiner Erinnerung zu ignorieren und versuchen weiterzuschlafen, verwarf den Gedanken dann aber wieder. Er war gestern Abend voller Verwirrung und Zorn, jedoch ohne Essen ins Bett gegangen und nun spürte er ein unangenehmes Nagen in der Magengegend. Ein kleiner Abstecher in die Küche konnte nicht schaden und die Bewegung würde ihm sicher gut tun. In ein Hemd schlüpfend verließ er sein Gemach und schlich, ohne Lichtquelle und mit nackten Füßen, durch die langen Gänge. Er hatte bereits die Hälfte des Weges hinter sich gebracht, als er ein leises Geräusch vernahm. Er beschloss, seiner Neugier nachzugehen und stand, nur mäßig überrascht, nach kurzer Zeit vor der Tür des Herzogs. Der Lichtschein der durch die Türritzen drang war unstet und flackernd, ein leiser Zug pfiff durch die mangelnden Dichtungen. Samuel schien nicht nur wach zu sein, er musste auch sein Fenster geöffnet haben. Alexis fröstelte im leichten Luftzug und von Trotz geschüttelt beschloss er, seinem eigentlichen Vorhaben nachzugehen und sich nicht weiter um die Angelegenheit des Eindringlings zu kümmern. Die Wut und Verunsicherung über das gestern Erlebte flutete wieder in Alexis' Bewusstsein und drückte ihm für einen Moment die Luft ab, ehe er sich wieder fasste. Er atmete tief ein und wäre fast ohnmächtig zusammengesunken, als er direkt hinter sich und überdeutlich eine Stimme wahrnahm. „Guten Morgen, Lord Alexis.“, sagte Samuel und seine Stimme verriet sowohl Überraschung als auch Argwohn. Der Schreck in den Knochen des Angesprochenen saß so tief, dass er für einen Moment unfähig war zu antworten, dann kehrte sein Bewusstsein zurück. „Warum seid Ihr noch wach?“, fragte er und merkte, dass sein Unwille stärker wurde. „Und warum schleicht Ihr hier nachts umher? Sucht Ihr etwas?“ Alexis legte bewusst einen drohenden Unterton in seine Stimme und hoffte, er würde nicht so kreideweiß und verängstigt aussehen, wie er sich bis vor ein paar Sekunden noch gefühlt hatte. Samuels Gesichtsausdruck wurde eine Spur härter und er presste seine Lippen aufeinander, unter seinen schönen Augen lagen dunkle Ringe. „Ich bin Euer Gast und Euch keine Rechenschaft schuldig.“, antwortete er und für einen Moment erwartete Alexis fast, dass er eine unbeherrschte Geste machen würde. Der Herzog wirkte übernächtigt und angespannt, seine Haare lagen in wirren Strähnen um das bleiche Gesicht. „Aber es ist mein Haus und wenn Ihr mein Gast seid, habt Ihr Euch an meine Regeln zu halten.“, gab Alexis ungehalten zurück. Seine Verwirrung über die Ereignisse nach der gestrigen Trainingsstunde brach sich in Zorn bahn und der Unwille, die patzige Antwort des Herzogs hinzunehmen war einzig Ergebnis seiner unausgegorenen Gefühle. Für einen Moment wirkte Samuel, als wollte er ebenso aggressiv kontern, dann atmete er tief ein und alle Anspannung wich aus dem schlanken Körper. „Ihr habt recht.“, stimmte er friedfertig zu und trat einen Schritt zurück. „Ich konnte nicht schlafen und habe einige Schritte durch die Ländereien unternommen.“ Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und wirkte abgespannter denn je. „Ich hoffe, Ihr werdet das auch in Zukunft gestatten, da ich des Öfteren Probleme habe, Schlaf zu finden.“ Enttäuscht, über die plötzliche Wendung des Gesprächs und die Entspannung der Situation schnaubte Alexis nur unwillig auf. Er hatte sich auf einen Schlagabtausch gefreut, ihn sich herbeigesehnt: bei allen Vorherigen war stets Samuel als Sieger hervorgegangen und das kränkte den jungen Lord über alle Maßen. Nun wurde er so leichtfertig um seinen Erfolg gebracht und wusste, wie so oft, nichts zu erwidern. „Ich werde jetzt in meine Räumlichkeiten zurückkehren, wenn Ihr es gestattet.“ Und mit einer eleganten Bewegung schob sich Samuel an seinem Gegenüber vorbei. Als die Tür hinter dem Herzog ins Schloss fiel wurden Alexis' Knie weich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)