Warten auf Vanya von Niekas ================================================================================ Kapitel 8: Vosem ---------------- An Ivans Rücken vorbei erhaschte Natalia einen Blick in den Raum. Eduard gab einen unterdrückten Aufschrei von sich, als er Ivan sah. Yekaterina saß an Toris' Kopfende und war offenbar dabei gewesen, einen Verband an seinem Oberarm zu wechseln. Sie fuhr herum, als die Tür aufging. Ihr zunächst erschrockener Gesichtsausdruck verwandelte sich in Überraschung, dann in ungläubige Freude. Toris dagegen starrte Ivan an und wurde leichenblass. „Toris“, sagte Ivan in einem singenden Tonfall. „Ich bin froh, dich zu sehen.“ „Komm nicht näher“, brachte Toris hervor und wich ein Stück weiter in seine Kissen zurück. „Wenn du mir ein Haar krümmst, wird Feliks...“ „Oh, ich denke nicht, dass Feliks irgendetwas tun wird“, unterbrach Ivan ihn heiter. „Er sah reichlich schlecht aus, als ich ihn zurückgelassen habe. Ich habe dir doch gesagt, dass er keinen guten Einfluss auf dich hat...“ „Wo ist Feliks?“, fragte Toris mit mühsamer Beherrschung. Seine Stimme klang seltsam hoch. „Das kann ich dir nicht genau sagen“, erwiderte Ivan sorglos. „Aber er wird uns nicht stören. Wahrscheinlich nie wieder.“ Toris starrte ihn an und rang nach Luft. Dann fuhr seine Hand blitzschnell unter sein Kissen und zog ein Messer hervor. Yekaterina schrie auf und Natalia schlug sich die Hand vor den Mund, weil sie fürchtete, er könne damit werfen – doch nichts dergleichen geschah. „Komm keinen Schritt näher“, flüsterte Toris, das Messer an seine eigene Kehle gedrückt. „Was macht Toris da?“, fragte Raivis ängstlich und versuchte, ebenfalls um den Türrahmen zu spähen. Natalia hielt ihn mit einem Arm zurück. Mit großen Augen sah Ivan Toris an und ließ das Gewehr sinken. „Also wirklich, Toris. Ich hätte dich nicht für so dumm gehalten.“ „Ich werde lieber frei sterben, als als dein Gefangener zu leben.“ Ivan schüttelte den Kopf. „Aber ich will nicht, dass du stirbst, Toris“, sagte er ehrlich. „Ob nun frei oder nicht. Du warst mir ein interessanter Gegner, musst du wissen. Es wäre schade um dich, findest du nicht? Und davon ganz abgesehen...“ Er trat einen Schritt zurück, streckte die Hand zur Seite aus und griff nach Raivis' Arm. Raivis stolperte verwirrt in den Raum und gab eine Art Quietschen von sich, als Ivan ihn an sich zog und ihn fest im Nacken packte. Ein leises „Raivis!“ kam aus Eduards Richtung. Toris rührte sich nicht, das Messer noch immer fest umklammert. „Darf ich vorstellen?“, fragte Ivan zufrieden und schob das fallen gelassene Gewehr mit dem Fuß beiseite. „Das ist mein neuer kleiner Bruder Raivis. Wir haben uns sehr lieb, nicht wahr, Raivis?“ „Schon“, antwortete Raivis unsicher. „Aber du tust mir weh, Vanya...“ „Wir haben uns gerade erst getroffen, aber er hat mir schon erzählt, dass er noch einen Bruder hat. Toris, nicht wahr? Und dass Toris ihn ebenfalls sehr gern hat. Stimmt das?“ Toris' Lippen zitterten leicht. „Ich denke, es wäre gut, wenn Toris überleben würde“, sagte Ivan nachdenklich. „Weil große Brüder immer gut sind, um auf kleinere aufzupassen. Und wenn du sterben würdest, Toris... dann fürchte ich, ich könnte für nichts mehr garantieren, was Raivis angeht.“ „Das kannst du nicht“, flüsterte Toris. „Du kannst ihm nichts tun.“ Ivan legte nachdenklich den Kopf schief. Im nächsten Moment kreischte Raivis auf und griff nach der Hand um seinen Hals. „V-vanya! Du t-tust mir weh!“ Yekaterina hatte die Finger auf die Lippen gepresst und verfolgte die Vorgänge mit großen Augen. Eduard drückte sich in eine Ecke und versuchte anscheinend, unsichtbar zu werden. Toris bewegte sich kein Stück. Seine Hand, in der er das Messer hielt, zitterte nicht einmal. Nur sein Gesicht hatte er nicht ganz unter Kontrolle. Natalia glaubte zu sehen, dass Tränen in seinen Augen standen. „Lass mich los!“, heulte Raivis und wand sich hin und her. „Du tust mir weh, Vanya! Lass mich!“ An seiner Stelle, dachte Natalia, hätte sie nicht so viel gezappelt. Ivan konnte dem Jungen wahrscheinlich mit einer Hand das Genick brechen, wenn er es darauf anlegte. Und noch immer machte Toris keine Anstalten, nachzugeben. Für so mutig hatte sie ihn gar nicht gehalten. Oder für so herzlos. „Wenn du stillhältst, tue ich dir nicht weh, Raivis“, erklärte Ivan wieder in diesem singenden Tonfall. „Vorausgesetzt, dass Toris hier endlich das Messer weglegt und vernünftig mit mir redet. Denn am Ende werde ich Toris so oder so mitnehmen, und das weiß er auch. Nicht wahr?“ „Ich will nicht mehr!“, schrie Raivis. „Toris, ich will nicht mehr! Toris!“ Natalia trat einen Schritt vor, um eine bessere Sicht in den Raum zu haben. Als Toris sie sah, weiteten seine Augen sich. Er sah sie an, und sie starrte zurück. Er würde sie niemals wieder anfassen, dachte sie verbissen. In Zukunft würde er sie nicht einmal mehr ansehen dürfen, wenn sie es nicht wollte. Sie würde es einfach Ivan sagen, und der würde es schon regeln. Immerhin liebte Ivan sie. Sie wusste nicht, ob Toris ihre Gedanken gelesen hatte oder ob er die Situation nicht mehr ertrug. Die Klinge an seinem Hals zitterte. Er kniff die Augen zu, und bevor jemand etwas tun konnte, hatte er einen Schnitt gemacht. Dann einen zweiten über Kreuz. Eduard schrie auf, so schrill, dass Natalia zusammen zuckte. Er rührte sich nicht, blieb in seiner Ecke sitzen, den Rücken an die Wand gepresst, und schrie wie am Spieß. Erst, als Ivan Raivis auf den Boden fallen ließ, brach er ab, traute sich aber noch immer nicht, sich zu bewegen. Yekaterina gab eine Art Wimmern von sich. Sie wich hastig vor Toris zurück, der schlaff auf dem Bett zusammen gesunken war. Blut lief in sein Kissen. Nach Luft ringend richtet Yekaterina sich auf, drehte sich um und lief geradewegs in Ivan hinein. „Beruhige dich, Schwester“, sagte Ivan und lächelte. „Es ist doch alles gut.“ Er schob sie sanft beiseite, nahm seinen Schal ab und beugte sich über Toris. Behutsam wickelte er den Schal um seinen Hals, aus dem noch immer Blut lief. „Es würde mehr als das brauchen, um dich zu töten, dummer Toris“, erklärte er in einem Ton, der an Mitleid grenzte. „Du entkommst mir nicht, egal, was du versuchst. Das wirst du noch sehen.“ Als er sich aufrichtete, schluchzte Raivis auf. Eduard hatte es mittlerweile gewagt, ihn auf seinen Schoß zu ziehen. Überrascht sah Ivan sich zu den beiden um und trat auf sie zu. „Du musst Eduard sein“, sagte er freundlich. „Ja, Herr“, antwortete Eduard zitternd und drückte Raivis an sich. „Du kannst mit mir kommen. Genau wie mein lieber kleiner Bruder Raivis hier. Nicht wahr, Raivis?“ „Ich will nicht!“, heulte Raivis und krallte die Finger in Eduards Hemd. „Ich will nicht mehr dein Bruder sein!“ „Ach, was redest du da, kleiner Raivis.“ Ivan beugte sich hinunter, um seinen Kopf zu tätscheln, und gluckste, als Raivis zurück zuckte. „Ein Bruder bleibt ein Bruder.“ Er seufzte zufrieden und richtete sich wieder gerade auf. Sein Blick traf den von Natalia, die noch immer in der Tür stand. Ivan lachte und breitete die Arme aus. „Das ist unsere Familie, Bela!“, rief er mit leuchtenden Augen. „Alle zusammen. Du, ich, Katyusha, mein Bruder Raivis... und Toris und Eduard können wir auch noch adoptieren. Wie findest du das?“ Natalia wusste nicht, wie sie das finden sollte. Sie betrachtete Toris, der völlig reglos auf dem Bett lag. Sein Blut sickerte langsam durch den Schal um seinen Hals. Bevor Natalia noch etwas sagen konnte, erklang erneut ein Schluchzen. Diesmal kam es nicht von Raivis, sondern von Yekaterina. „Vanya... b-bist du es wirklich?“ Sie machte einen unbeholfenen Schritt auf ihn zu. Tränen liefen über ihr Gesicht. „Du... du warst doch so klein und... und...“ Ivan gluckste. „Das habe ich zu Bela auch gesagt.“ Yekaterinas Gesicht verzerrte sich. „Vanya“, brachte sie hervor, schlang die Arme um ihn und begann haltlos zu weinen. Ivan nahm sie behutsam in die Arme. „Es ist doch alles gut, Schwester“, murmelte er und wiegte sie hin und her. „Jetzt ist alles gut. Versprochen.“ Natalia runzelte die Stirn und sah sich im Raum um. Langsam wurde die Familie zu groß für ihren Geschmack. Aber das bedeutete sicher nicht, dass alle Ivan gleich viel bedeuteten. Immerhin waren es Yekaterina und sie, die ihm am nächsten standen. Ganz sicher hatte er sie beide immer noch am liebsten von allen. Oder etwa nicht? Du gefällst mir, Bela... Raivis heulte noch immer in sich hinein, Toris sagte nichts und Yekaterina beruhigte sich nur langsam, während Ivan mit dem Schal ihre Tränen abwischte. Es musste einen Weg geben, sich von den anderen abzuheben, dachte Natalia. Wenn Ivan jetzt so viele Geschwister hatte, reichte es ihr nicht mehr, einfach nur seine Schwester zu sein. Irgendeine Möglichkeit musste es doch geben, wie sie... Ein Lächeln zog über ihre Lippen, als ihr plötzlich ein Gedanke kam. Was, wenn sie Ivan heiraten würde? (...und so nimmt die Tragödie ihren Lauf. Versucht bloß keine moralischen Lehren aus dieser Fanfic zu ziehen, dazu war sie von Anfang an nicht gedacht (wer bin ich denn?). Und, liebe Kinder, macht nichts hiervon zu Hause nach. Und seid immer lieb zu euren kleinen Brüdern! Ich habe hiermit fertig. Grazie, prego. Vorhang, bitte.) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)