Rätsel von Namika ([Lee JordanxBlaise Zabini]) ================================================================================ Kapitel 1: Fragen - denn du bist die Antwort -------------------------------------------- Der Boden unter mir vibriert nur ganz leicht. Ausgestreckt im Gras liegend spüre ich es an den Innenflächen meiner Hand. Die Erde wackelt nur minimal und die Grashalme streifen meine Haut. Dann ist er da. „Hallo Schönheit.“ Ich öffne die Augen nicht. Wozu auch? Ich weiß, dass er es ist. Stumm lausche ich seinen Bewegungen. Er geht neben mir in die Knie, kurz verweilt sein Gesicht über meinem. Er ist nicht sonderlich nah, aber ich glaube trotzdem, seinen Atem spüren zu können. Vielleicht höre ich ihn auch nur, weil es um uns herum still ist. Nur der leise Wind und er, mehr Geräusche gibt es nicht. Dann lässt er sich ganz fallen und mit einem dumpfen Plumpsen liegt er neben mir. „Weißt du, Blaise.“ Ich höre das Lächeln aus seiner Stimme. Es ist nicht das Grinsen. Sein Grinsen klingt anders. „Du hättest viel mehr von der Aussicht der Nacht, wenn du die Augen öffnen würdest.“ Ich neige den Kopf zur Seite, denn natürlich weiß ich, dass er rechts von mir ist. Nicht, weil er immer rechts von mir liegt; vorgestern war er links. Sondern, weil ich seine Körperwärme überdeutlich spüre, obwohl wir uns nicht berühren. Am Anfang berührt er mich nie. Ich öffne die Augen und sofort bohrt sich sein Blick in meiner. Auch sein Blick lächelt. Manchmal kommt es mir vor, als würde alles an ihm lächeln. Doch manchmal verschwindet das. Ich frage mich, wo es dann hin verschwindet. Weshalb. „Als ich von der Aussicht der Nacht sprach, meinte ich eigentlich eher Sterne und sowas“, erklärt er. Jetzt grinst er. Sein Grinsen ist anders als sein Lächeln. Sein Lächeln ist intim, es ist leise und ruhig. Sein Grinsen ist laut, als würde er die ganze Welt umarmen wollen, weil er so voller Freude ist. „Nicht mich. Aber nicht, dass ich was dagegen habe, auf keinen Fall!“ Er fährt sich durch die Haare. Manchmal kann ich ihn nur mit einem Blick nervös machen. Dabei ist mein Blick neutral, keine Regung. Kein Lächeln, keine Verachtung. An anderen Tagen kann ihn nichts nervös machen, ich kann ihm offen ins Gesicht sagen, dass ich ihn lächerlich finde, er würde darüber lachen. Aber heute ist nicht so ein Tag. Ich glaube nicht, dass ich ihn jemals lächerlich finde. „Was machst du hier?“, frage ich. Meine Stimme ist leise, ruhig. Sie hat sich der Nacht angepasst, doch sie passt besser zu seinem Lächeln. Nicht zu seinem Grinsen. Es ist viel zu laut. „Nun ja, weißt du, da wir uns die letzten paar Wochen beinahe jede Nacht hier getroffen haben, hatte ich die verrückte Vermutung, du könntest heute wieder hier sein. Ich weiß, ich weiß, ein völlig abwegiger Gedanke – aber hey, es hat funktioniert.“ Er zwinkert. Ja, er zwinkert tatsächlich. Es mutet seltsam an, aber er ist einer dieser wenigen Menschen, die zwinkern können und dabei völlig natürlich aussehen. Er sieht immer völlig natürlich aus. Ich vermute, er weiß nicht einmal, wie man sich verstellt. An manchen Tagen tut er mir dafür Leid. An anderen Tagen bewundere ich ihn beinahe. „Was machst du hier?“, wiederhole ich. Er hat meine Frage nicht beantwortet. Nicht so, wie ich es will. Sein Grinsen schwächt sich ab. Aber es wird nicht das Lächeln, es wird etwas anderes. Vielleicht würde er es Lächeln nennen, aber es wirkt schwach. Es wirkt zu persönlich. Es macht mich nervös. „Das weißt du doch. Ich bin gerne bei dir“, antwortet er schließlich. Ich hebe eine Augenbraue. Er sagt das oft. Ich kann es ihm nie glauben. Meine Gesellschaft ist nicht sonderlich nutzbringend für ihn. Ich reiße keine Witze wie seine Freunde. Manchmal verstehe ich seine Witze nicht einmal, aber er erklärt sie mir Detail für Detail. Ich habe noch nie darüber gelacht, aber er findet, es ist schon ein Erfolg, wenn ich lächle. Er lächelt wieder etwas breiter ob dieser Regung, die ich zeige. „Du bist ein kleiner Zweifler“, informiert er mich. Ich bin nicht klein. Das weiß er und das weiß ich. Ich unterlasse es, das zu erwähnen. Er würde es ignorieren. Er würde sagen, ich sei kleiner als er. Er würde vielleicht lachen. Jetzt berührt sein Arm meinen Arm. Seine Hand streift meine Hand. Es fühlt sich ungewohnt an, seltsam. Kribbelig und doch ruhig. Warm und kalt. Es ist der Widerspruch in sich. Es verwirrt mich und beruhigt mich. „Was, wenn jemand uns findet?“ Es ist noch nicht passiert, nein. Aber wir dürfen nicht hier sein. Wir dürfen unsere Schlafsääle nachts nicht verlassen. Noch weniger dürfen wir auf das Gelände. Und ein Slytherin mit einem Gryffindor – wir brechen so viele Verbote und ungeschriebene Regeln, das ich sie nicht alle aufzählen kann oder möchte. Er nimmt meine Hand in seine. Er ist es immer, der Aktionen tätigt. Ich würde das nie tun. Weil ich es nicht kann. Weil ich es nicht will. Es passt nicht zu mir. Ganz langsam, vorsichtig hebt er unsere verschränkten Hände an. Seine Augen bleiben dabei auf meinem Gesicht, als würde er genau überprüfen, ob ich etwas dagegen habe. Erst denke ich, dass ich nicht weiß, ob ich etwas dagegen habe. Als er den Rücken meiner Hand küsst, denke ich, dass ich nichts dagegen haben kann. Als seine Augen daraufhin anfangen zu leuchten, denke ich gar nichts mehr. Aber nur für einen Moment. „Du bist ein richtiges Sorgenkind, Blaise.“ Die Worte klingen wie eine Beleidigung. Zumindest sollten sie in dieser Zusammensetzung nach einer Beleidigung klingen. Seine Stimme hält sich jedoch nicht an den Inhalt seiner Worte. Sie klingt, als würde er mir eine Liebeserkl- als würde er mir etwas nettes sagen. Liebe ist so ein großes Wort. So ein verlogenes Wort. Ich sehe ihm fest in die Augen, um herauszufinden, was die Wahrheit ist. „Immer machst du dir nur Sorgen. Aber du bist mein Sorgenkind.“ Es ist eine seltsame Aussage. Ich will nicht sein Sorgenkind sein. Ich bin Blaise. Etwas anderes will ich nicht sein. Vielleicht kann ich auch nur nicht. „Spielst du?“, frage ich verunsichert. Ich glaube nicht, dass er die Verunsicherung hört. Er hört nur zwei Wörter, eine Frage. Spielst du? Mit mir? Spielst du? Dieses Gefühl? Spielst du? Dich? Es sind so viele Fragen, zu viele für mich. Ich brauche Antworten. Antworten geben mir Sicherheit. Er versteht mich nicht. Natürlich nicht. Sein Lächeln wird tiefer. Als würde er es beinahe mögen, mich nicht zu verstehen. „Du bist ein ziemliches Rätsel“, ist seine Antwort. Dabei ist es keine Antwort auf meine Frage. Das macht keinen Sinn. Ich mag es nicht, wenn etwas keinen Sinn macht. Eher als Zeichen als mit wirklicher Kraft zieht er an meiner Hand. „Komm her“, bittet er mich. „Warum?“, erwidere ich. Seine Augen haben aufgehört zu leuchten. Sie sehen ein bisschen traurig aus. Vielleicht auch ein wenig verwirrt. Ich kann nicht gut in Augen lesen. Wütende Gesichter, lachende Gesichter, so etwas verstehe ich. Dort kann ich differenzieren. Aber Augen und Blicke, auch Augenblicke sind schwer zu verstehen. „Du bist immer so kalt.“ Er streckt eine Hand aus, als würde er nun mir durch die Haare fahren wollen. Aber im letzten Moment hält er inne und streift nur sachte meine Stirn. Ich schließe beinahe die Augen. Beinahe. „Ich will dich wärmen.“ Schon wieder seine Worte, die keinen Sinn ergeben. Meine Körpertemparatur dürfte ungefähr seiner entsprechen. Mir ist nicht kalt. Aber er sagt, ich bin kalt. Er will, dass ich mich auf ihn lege, damit er die Arme um mich schließen kann. „Was sind wir?“ Die nächste Frage. Er grinst, die Traurigkeit ist verschwunden. Es geht so schnell bei ihm. Manchmal komme ich kaum hinterher. Die Emotionen fliegen über sein Gesicht, manche bleiben, manche verschwinden schneller als Winteratem sich in der Luft auflöst. „Du bist Blaise Zabini. Mein Sorgenkind und ewiger Zweifler. Du kannst es nicht lassen, Fragen zu stellen, denn du musst alles, was du siehst, hörst und tust, sofort bis auf seine Einzelteile zerlegen und analysieren“, erwidert er. „Und ich bin Lee Jordan. Meines Zeichens Spaßkanone, die immer für einen guten Witz bereit ist. Ich analysiere Dinge nicht, ich nehme sie hin. Ich mag Gesamtkunstwerke.“ Diesmal hat er meine Frage verstanden. Aber er beantwortet sie nicht. Vielleicht will er sie nicht beantworten. Vielleicht weiß er keine Antwort. Ich glaube, er hat Angst. Angst, was eine Antwort bedeuten würde. Für uns und dies hier. Eine Antwort wäre endgültig. Wieder zieht er an meiner Hand. Diesmal gebe ich nach und lege mich vorsichtig, zögerlich auf ihn. Sofort schließen sich seine Arme um mich und seine Augen beginnen wieder zu leuchten. Dunkle Augen, die leuchten, sind etwas Besonderes. Sie sind tief, wie ein unendlicher Strudel. Man kann springen oder man kann fallen. „Was sind wir?“, frage ich erneut. Dieses Mal will ich nicht locker lassen. Neben seinem Kopf habe ich die Hände abgestützt und halte mich so über ihm, dass ich ihm ins Gesicht sehen kann. Wir sind uns sehr nahe. So nahe, dass ich jedes kleine Stirnrunzeln oder Schmunzeln erkennen könnte. Aber er lächelt einfach nur weiter. Zufrieden, als wäre die Welt nun perfekt. Er ist wirklich seltsam. „Ich verrate es dir“, flüstert er. Automatisch komme ich ihm noch näher. „Aber du musst mir versprechen, nicht zu erschrecken.“ Bevor ich irgendetwas erwidern kann, spricht er schon weiter. Sein Flüstern ist voll von unterdrücktem Lachen. Es vibriert. „Wir sind Zauberer, Blaise.“ Einen Moment lang bleibt die Welt stehen und ich sehe nur sein Gesicht und alles ist verschwommen, verschwunden. Unwichtig geworden. Dann geht es weiter und sein unterdrücktes Lachen dringt an mein Ohr. Ich will ihn schlagen und ihn küssen und mit ihm lachen. Es ist eine seltsame Mischung und ich kann nicht anders als die Mundwinkel ein wenig anzuheben. Ich weiß, dass es ihn glücklich macht. Er macht oft diese dämlichen Witze. Er liebt es, wenn sie funktionieren. „Ja, wirklich!“, fährt er begeistert vor und nickt enthusiastisch. „Du bist auf jeden Fall ein Zauberer“, versichert er. Ich hebe eine Augenbraue. Worauf will er hinaus? Ich weiß, dass ich das bin. Mein Zauberstab liegt neben uns im Gras. Für einen Moment blitzt der Gedanke auf, wie schutzlos ich bin. Es macht mir keine Angst. „Du hast mich verzaubert, Blaise.“ Ich kann mich nicht über dieses seltsame Wortspiel wundern. Seine Worte sickern nur langsam durch. Er hat doch beschlossen, meine Frage zu beantworten. Auf seine Art. „Man könnte es auch verhext nennen.“ Ein Lachen, ein Grinsen, ein Lächeln. Ich weiß es nicht. Es verschwimmt. Alles ist verschwommen. Er verwischt die Konturen und ich weiß nicht, ob mir das gefällt. „Aber das klingt weniger charmant, finde ich.“ Seine Hand ist an meinem Hinterkopf und sanft drückt er mich zu sich runter, um mich auf die Nase zu küssen. Er küsst mich nie auf die Lippen. Die Hand, die Nase, die Wangen, die Stirn, der Hals, alles. Nie die Lippen. Ob er genauso Angst hat wie ich? „Ach Blaise...“ Er lässt meinen Kopf wieder los. Ich bleibe, wo ich bin. „Du stellst so viele Fragen.“ Ich stelle viele Fragen? Er ist nun einmal nicht einfach zu verstehen. Ich muss diese Fragen stellen. Er stellt nie Fragen. Für ihn ist alles, wie es sein soll. „Aber ich weiß auf jede einzelne eine Antwort und ich werde sie dir alle geben, wenn du mir die Chance dazu gibst.“ Alles ist verschwunden. Das Lachen, das Grinsen und das Lächeln. Das Funkeln. Er meint es ernst. Es ist selten, dass er so ist. Fast ist es, als würde in seiner Aussage eine Frage stecken. Gibst du mir die Chance dazu?, fragt er. Ich rutsche etwas nach unten. Meine Arme verschränke ich auf seiner Brust, das Kinn stütze ich darauf ab. Er muss den Kopf etwas senken, aber wir können uns ansehen. Ich muss eine Weile nachdenken. Er ist geduldig. Früher hatte ich nie gedacht, dass ausgerechnet er Geduld besitzt. Aber im richtigen Moment ist er voll davon. Während ich sinniere, ist seine Hand jetzt doch in meinen Haaren. Er zupft an den dunklen Strähnen, streichelt sie, spielt mit ihnen. Schließlich bin ich zu einem Schluss gekommen. Ausnahmsweise. Zu einer Antwort. „Deine Augen.“ „Sie sind...interessant. Faszinierend. Ich mag sie.“ Jetzt lacht er. Es ist ein Lachen, das ich noch nie von ihm gehört habe. Es ist nicht offen, sondern es ist intim. Sein Lachen füllt mich für einen Moment vollkommen aus. Nur noch er und ich existieren, selbst das Gras unter uns ist verschwunden. „Du kannst nicht in ihnen lesen, stimmt's?“ Er hat Recht. Natürlich hat er Recht. Er hat oft Recht. Öfter, als er es ahnt. Öfter, als ich es zugeben will. „Du bist ein Räsel, Lee“, sage ich und nehme seine Hand aus meinen Haaren, um sie in meiner zu halten. Nicht nur seine Augen. Alles an ihm ist ein Rätsel. Ich kann mich bemühen, so viel ich will, er bleibt ein Rätsel. Sein anderer Arm, der noch locker um mich geschlungen ist, festigt sich etwas. Als würde sich etwas festigen. Zwischen uns. „Du auch, Blaise. Du auch.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)