Delusive Society von Gepo (Dritter Teil der DS-Reihe) ================================================================================ Kapitel 116: Alle meine Kleider ------------------------------- Big revelation coming :) Dementsprechend versehe ich das Kapitel hiermit mit einer Warnung! Und wünsche ansonsten viel Spaß beim Lesen ^.^ (Könnte irgendwer mir etwas Motivation für die Uni geben? Irgendwie? T.T) ________________________________________________________________________________________________ Am Donnerstag quälte Ayumi sie durch eine weitere Lerneinheit. Da sie Freitag zum Glück nicht so viele der Stunden hatten, die am Donnerstag unterrichtet wurden, ließ Katsuya seine Hausaufgaben erstmal links liegen. Er fiel bei Yami aufs Sofa und blieb dort liegen, bis sein bester Freund einen Teller Spagetthi neben ihn stellte. Sie aßen schweigend und anstatt beim Abwasch zu helfen, blieb Katsuya auf den Polstern liegen. „War das Lernen wirklich so schrecklich?“, fragte Yami halb amüsiert, halb besorgt. „Schlimmer“, murmelte Katsuya nur und streckte die Arme nach dem anderen aus, um diesen dann so hinzusetzen, dass er seinen Oberschenkel als Kissen nutzen konnte. „Scheint sehr anstrengend gewesen zu sein“ Yami strich ihm mit einer Hand den Pony aus dem Gesicht. „Und wie kann man dich wieder aufmuntern?“ „Erzähl mir etwas“ Er griff dessen Hand und sah vorsichtig auf. „Zum Beispiel über Yugi und deine Gespräche mit dem Psychiater.“ Yami seufzte nur und wandte den Blick ab. Katsuya war drauf und dran nach etwas anderem zu fragen, als er doch noch antwortete: „Gespräch. Einzahl. Da hat er über unsere häusliche Situation und unsere Eltern gefragt. Und hat kurz die Sache mit Yugi erklärt. Tja … er hat gestern noch einmal angerufen und wir haben einen weiteren Termin für übermorgen ausgemacht. Da will er wohl über Yugi reden.“ „Und was?“ Katsuya beobachtete Yamis Gesicht genau, um zu wissen, wann er stoppen sollte. „Ich weiß es nicht“ Yami seufzte. „Unsere Kindheit. Wie er sich verhalten hat. Was für ein Mensch er ist. Solche Dinge … wie hat er sich denn als Lehrer verhalten?“ „Uhm … normal. Nein“ Katsuya legte in Konzentration die Stirn in Falten. „In Mathe ist er wie jeder andere Lehrer auch. Freundlich, aber öde. In Sport ist er … nicht so galaktisch. Er kann die Regeln erklären und auch Techniken, aber er führt nie etwas vor. Ich glaube auch nicht, dass er so schrecklich sportlich ist.“ „Ist er auch nicht. Ich wette, unsere Eltern haben ihn zu diesem Studium gezwungen. Ein echter Mann macht schließlich Sport“ Yami schnaubte. „Mal missachtend, dass der Junge nicht einmal einssiebzig ist und sich so oft wie möglich geweigert hat, Sport zu machen. Er hatte eine schreckliche Angst vor den Umkleiden, weil die anderen ihn immer schikaniert haben. Er ist aber auch echt ein Zwerg“ Er endete mit einem Seufzen. „Ich kann mir vorstellen, dass das Sportstudium Horror für ihn war“ Katsuya verzog einen Mundwinkel in Sympathie. „Er trägt immer ausladende Kleidung. Man merkt, dass er sich für seinen Körper schämt. Aber ehrlich gesagt lässt ihn das noch mehr wie einen Zwerg aussehen. Als hätte er die Pubertät noch nicht erlebt.“ „Und wie hat er sich außerhalb des Unterrichts so verhalten?“ In Yamis Stimme lag ernstes Interesse. „Freundlich. Er hat sich immer gefreut, wenn ich ihn angesprochen habe. Aber außer mir hat er auch mit kaum jemanden geredet … aber ich fand ihn ungewöhnlich selbstbewusst. Wenn er mit mir sprach, schien er sich auch sicher zu fühlen. Über Seto sprach er sehr wissend. Und einmal hat er zugesehen, wie ich einen Klassenkameraden bedroht habe und er war selbst gegen Protest auf meiner Seite. Er meinte, wenn ich jemanden bedrohe, dann muss dieser jemand vorher etwas angestellt haben, was mich dazu gebracht hat.“ „Reichlich parteiisch“, urteilte Yami. „Nun ja … er war halt ernsthaft in mich verknallt, wenn ich das richtig verstanden habe.“ „Irgendwie schaffst du es, all den Menschen Selbstbewusstsein zu geben, die sich in dich verlieben“ Yami lächelte sanft und sah zu ihm hinab. „Schade, dass Seto deine ganze Kraft braucht … es wäre toll, wenn du Yugi helfen könntest.“ „Das kannst du auch. Ich glaube, er hat nur dich in mir gesehen. Er wollte jemanden, der ihn beschützt. Ich habe ihn immer beschützt … manchmal haben ihn die Beleidigungen der Schüler zum Weinen gebracht. Ich vermute, ich war einfach nur da.“ Yami nickte mit einem Seufzen und sagte: „Das hört sich sehr nach ihm an.“ Beinahe hörten sie über den Staubsauger das Handy nicht. Imalia machte das Gerät aus, schnellte in den Flur und kam zurück mit dem noch klingelnden Handy, das sie Katsuya hinhielt. Er sah kurz sie an, dann das Telefon und nahm mit einem Seufzen ab: „Katsuya Kaiba?“ „Oh, Katsuya“ Es war Ryou am anderen Ende. „Entschuldige, ich dachte, ich hätte Herr Kaibas Nummer gewählt.“ „Hast du auch. Er ist nur“ Katsuya sah in Imalias entschuldigenden Ausdruck. „Ähm … unpässlich. Kann ich dir helfen oder willst du später nochmal anrufen?“ „Ich … ich wollte fragen wegen … wegen morgen … wegen des Kaffeetrinkens … Herr Kaiba und Bakura telefonieren normalerweise einmal die Woche, aber diesmal hat er nicht angerufen. Nach dem, was letztes mal passiert ist … ich weiß jetzt auch nicht. Sollen wir morgen kommen oder besser … nicht?“ „Du kannst gern kommen, aber dein Bruder bleibt zuhause“, bestimmte Katsuya hart, „bevor der sich nicht entschuldigt, ist er hier nicht willkommen.“ „Das … also … ich“ Ryou schluckte. Sein Atem ging schneller. Er war doch hoffentlich in Ordnung? „Ich kann versuchen … ich spreche noch mal mit ihm. Ja? Also … bis morgen … vielleicht.“ „Ryou?“ Katsuya hielt ihn auf, bevor er auflegen konnte. „Ryou, hör zu, ja? Du bist hier immer willkommen. Egal, was ist. Bakura hat recht, ich habe mich einmal bei euch versteckt. Aber das gilt auch anders herum. Du kannst jederzeit herkommen. Hast du verstanden, Ryou?“ Der Andere schluckte und murmelte eine Bestätigung. Nach einem Moment des Schweigens legte er ohne ein weiteres Wort auf. Katsuya betrachtete nachdenklich das Handy in seiner Hand. Ryou hatte sich nicht gut angehört. War er in Ordnung gewesen? Würde Bakura ihm etwas tun? Wäre Katsuya daran schuld, wenn Bakura ihm etwas tat? Würde Ryou herkommen, wenn Bakura ihm etwas tat? Hätte er … würde er noch in der Lage sein herzukommen, wenn Bakura ihm etwas tat? Er hob den Blick zu Imalia, die beide Hände gefaltet vor ihrem Herz liegen hatte. Sie fragte vorsichtig: „Schlechte Nachrichten?“ „Vielleicht“, murmelte er nur. „Aber ich denke nicht, dass wir etwas machen können.“ Sie trat vor und legte die Arme um ihn. Er seufzte und ließ dabei alle Anspannung fahren. Auch wenn sie Setos Körper trug, er konnte sich die sanften Arme einer Frau vorstellen. Sie sprach nach einem Moment: „Manchmal ist man leider machtlos. Ich konnte nie etwas tun, wenn ich Angst oder Ikars Terror spürte. Ich konnte sie nur danach halten. Manchmal ist das alles, was man tun kann.“ Katsuya nickte an ihrer Schulter. „Soll ich dir einen Kakao warm machen?“ Sie lehnte sich etwas zurück und sah ihm in die Augen. Er schüttelte nur den Kopf, küsste sie auf die Wange und schmiss den Staubsauger wieder an. Seines Empfindens nach lag in diesem Haus nicht ein Körnchen Staub, aber Imalia bestand auf einen Großputz einmal die Woche. Na, was auch immer … wenigstens hatte er nicht mehr das Gefühl, sie auszunutzen. Jetzt, wo er ihr half. Auch wenn sie einen echten Sauberkeitsfimmel hatte. Küche, Bad … das konnte er ja noch verstehen. Aber jede Woche die Möbel abstauben und die Polster saugen? Teppiche ausklopfen und die Fenster reinigen? Wie zur Hölle hatte sie das alles bei Nacht gemacht, sodass es keinem aufgefallen war? Oder … war es jemandem aufgefallen? Hatte er deshalb noch nie die Nachbarn zu Gesicht bekommen? Hielten die sie für komische Freaks, die immer um Mitternacht ihre Teppiche ausklopften? Vielleicht ein Sektenritual? Katsuya schüttelte nur den Kopf und lächelte. So viel zur Geheimhaltung, Herr Wächter. Dass Imalia in Anzugshose und Hemd mit einer Kochschürze darüber putzte, tat wahrscheinlich sein Übriges. „Da bist du ja“ Katsuya seufzte erleichtert und öffnete die Tür ganz, damit Yami eintreten konnte. „Du bist erstaunlich spät. Alle anderen sind schon da.“ „Hab' verschlafen“, murmelte dieser nur. Dass er relativ farblos und ermattet aussah, tat sein Übriges. „Schlechte Nacht?“, fragte Katsuya vorsichtig. „Gar keine Nacht“ Der Andere zog die Schuhe aus und trottete Richtung Wohnzimmer. „Nur eine Sorge und Angst nach der nächsten, tausend Gedanken … die Erschöpfung hat mich erst heute Morgen übermannt.“ „Oh“ Der Blonde fühlte sich irgendwie automatisch an Imalias Worte von gestern erinnert. „Soll ich dir einen Kakao warm machen?“ „Gerne“ Yami lächelte noch kurz und trat dann ins Wohnzimmer, wo er die anderen begrüßte. Katsuya währenddessen setzte in der Küche Milch auf, holte Geschirr aus dem Schrank und trug die Teller und Gabeln rüber, bevor er sich dem Kakao widmete. Als er das erste mal Sachen ins Wohnzimmer trug, fragte Yami Shizuka gerade, ob sie ihm vielleicht ihre Haare leihen würde. Er wollte Flechten üben. Sie sah zwar etwas überrascht drein, doch stimmte zu. Als er das zweite mal kam, hatte sie eine Bürste aus ihrer Handtasche geholt, reichte sie Yami und setzte sich auf den Stuhl, den sonst Seto oder Noah nahmen, während Yami sich hinter sie stellte. Da Seto es sich im Sessel gemütlich gemacht hatte, übernahm Noah es, das Geschirr und Besteck zu verteilen sowie Kuchen aufzufüllen. In klarer Unsicherheit, wie viele Leute heute da sein würden, hatte er vorsorglich einfach eine Menge kleiner Törtchen gekauft statt große Tortenstücke zu nehmen. Während Katsuya Yamis – und seinen eigenen – Kakao herein trug, musste er Noah in Gedanken gratulieren. Er war zwar nicht so schrecklich flexibel, was Setos Psyche anging, aber in allen sonstigen Fällen schien er ein schneller Denker. Ryou saß stumm und verunsichert an seiner Seite. Ohne Bakura verfiel er erneut in den verängstigtes-Kaninchen-Modus, obwohl er sie alle doch eigentlich kannte. Ein bisschen erinnerte er Katsuya an Eri, auch wenn sie fraglos schlimmer war. Er setzte sich neben den Jungen und fragte, ob er Tee haben wolle. Der Junge fragte vorsichtig zurück, ob er auch Kakao haben dürfte. Seto und Noah, die sich nebenher wieder über irgendwelchen Firmenkram unterhalten hatten, verstummten in ihrem Gespräch, sodass Shizuka die Stille nutzte, um zu fragen: „Warum willst du eigentlich Flechten üben, Yami?“ „Nur so“, murmelte dieser und beendete ihren ersten Zopf, nur um ihn wieder aufzumachen und einen anderen zu beginnen, „ich habe das sehr lange nicht mehr gemacht. Genau genommen habe ich mich gestern erst daran erinnert, dass ich es überhaupt kann.“ „Dafür erinnerst du dich anscheinend gut“ Sie zeigte auf ihre Handtasche. „Katsuya, kannst du mir mal meinen Spiegel daraus geben, bitte? Ich möchte sehen, wie ich aussehe.“ „Immer ich“, murrte Katsuya nur, aber stand wieder auf und holte ihr einen kleinen Handspiegel. „Guck mal, Isamu, deine Mama wird hübsch gemacht“, meinte Noah und drehte das auf seinem Schoß sitzende Baby in Shizukas Richtung. „Erwartet nicht zu viel. Ich wollte üben, weil ich das seit fast zwanzig Jahren nicht mehr gemacht habe“ Yami lächelte selbstironisch. „Und dann erinnerst du dich daran? Wow“ Shizuka richtete ihren Spiegel aus, um Yami ins Gesicht zu sehen. „Ich bin nicht mal zwanzig Jahre alt und habe keine Ahnung, was ich gestern gefrühstückt habe.“ „Ach du“ Yami grinste, aber seine Augen behielten dabei ihren müden Ausdruck. „Ich war selbst ganz verwundert, an was ich mich alles erinnere. Der Doc hat mich gestern über unsere Zeit als Kleinkinder ausgefragt. Schon erstaunlich, was da wieder hoch kommt.“ „Und wem hast du als Kleinkind die Haare gemacht?“, fragte Seto ganz nonchalant nach. „Yugi natürlich“ Yami seufzte leise, aber er schien bereit, ein wenig zu erzählen. „Wir waren … zwei oder drei so. Wir haben immer Mutter, Vater, Kind mit unseren Stofftieren gespielt. Yugi bestand darauf, dass ich Papa spiele und er Mama. Irgendwann bestand er auf Zöpfe in den Haaren. Und nachdem ich das mit meinen kleinen Händen halbwegs hinbekam, wollte er Kleider. Er hat mich angestiftet, dass ich Oberteile aus Mutters Schrank klaue, damit er sie als Kleider anziehen konnte.“ Shizuka musste leise lachen. Die Vorstellung war schon irgendwie niedlich. Katsuya grinste und sah zu den anderen. Seto hatte eine Schmolllippe. Da Seto nicht wirklich der Typ für Schmolllippen war, riet Katsuya mal, dass er auf Klein-Seto gewechselt hatte bei der Kindererzählung. Noah währenddessen hatte die Stirn in Falten gelegt und einen zweifelnden Gesichtsausdruck. Schien, als wären solche Kinderspiele ihm völlig fremd. Typisch Einzelkind. Wenn Katsuya sich erinnerte, wie oft er Shizuka ermahnen musste, dass sie nicht an Mamas Make-up zu gehen hatte … „Ich fand das als Kind ziemlich lustig“, fuhr Yami fort, „wir haben ein paar Oberteile unter Yugis Bett versteckt und Mutter hat sie nie vermisst. Und einen Lippenstift haben wir auch geklaut. Yugi hatte total Spaß, mit Zöpfen und improvisiertem Kleid mit roten Lippen rumzurennen und Kuscheltiere in den Schlaf zu wiegen. Ich fand meinen Bruder einfach süß und habe jeden Mist mitgemacht.“ „Seto hat mal im Kaufhaus gebettelt, weil er ein Kleid haben wollte“ Alle Augen wandten sich Seto zu, der … anscheinend gerade nicht Seto war, gemessen daran, dass er von sich selbst in der dritten Person sprach. Nach einem Moment konnte Katsuya die Pose Ikar zuordnen. „Die Konsequenzen durfte Angst tragen. Mutter hat uns nie wieder mit in ein Kaufhaus genommen.“ „Warum zur Hölle wolltet ihr Kleider haben?“ Katsuya sah zweifelnd zwischen Seto und Yami hin und her. „Ich bin noch nie auf die Idee gekommen, ein Kleid tragen zu wollen.“ „Kleider sind für Mädchen“, meinte Shizuka im gehässig aufziehenden Ton eines kleinen Kindes, „hat er immer gesagt. Mein Bruder hat sich sogar geweigert, die Kleiderabteilung auch nur zu betreten. Mama hat ihn jedes mal auf dem Gang stehen gelassen, wenn sie mit mir neue Klamotten einkaufen ging.“ „Nur für's Protokoll: Ich mag Röcke und Kimonos, aber keine Kleider. Und ich mag auch erst Frauenkleidung, seit ich gemerkt habe, wie heiß man manche Kerle damit kriegt“ Yami war wie immer nicht ansatzweise beschämt, so etwas zu sagen und machte Shizuka gerade die dritte Flechtfrisur. „Nur Yugi lief gern als Mädchen rum.“ „Ich kann mir nicht vorstellen, dass eure Mutter das gut fand“, meinte Ikar mit einem Blick auf Yami. „Nicht wirklich“ Yami seufzte. „Es war der Beginn dieses absurden Verhaltens unserer Eltern“ Das Lächeln verließ die Gesichter und alle Blicke wandten sich zu ihm. „Mutter hat uns natürlich irgendwann erwischt. Unbedingt dann, als ich Yugi gerade schminkte. Er hatte zwei Zöpfe, ihr schwarzes Oberteil mit Glitzersteinen an, trug eine im Kindergarten gebastelte Perlenkette und ich malte ihm gerade die Lippen rot.“ „Und an dem Punkt hat sie angefangen, dich für alles, was Yugi falsch machte, verantwortlich zu machen?“, fragte Ikar nach. Der Stehende nickte nur. „Dumme Pute“, knurrte Ikar und verschränkte die Arme. „Das klingt wirklich absurd“, stimmte selbst Noah zu. „Eigentlich nicht“ Yami hielt inne im Flechten und sah auf. „Sie wollten so eine Sportskanone, der in jedem Fach gut ist und beliebt bei den Mädchen. Yugi ist nunmal das absolute Gegenteil davon. Er, den sie liebten, versagte in allem und ich, den sie hassten, erreichte das alles … kein Wunder, dass ihnen das einen Schlag gegeben hat.“ „Ich meine, dass sie dich hassten, das macht keinen Sinn“, erwiderte Noah ruhig, „sie hatten in dir den Sohn, den sie sich gewünscht hatten.“ „Schon, aber ...“ Yami atmete tief durch, sah auf Shizukas Haare und löste alles, was er gerade erst geflochten hatte. „Sie wollten, dass Yugi dieser Sohn ist. Ich konnte das alles. Bei mir musste man sich nicht anstrengen. Bei ihm schon … und irgendwie waren unsere Eltern der klaren Überzeugung, dass sie ihn zu einem guten Mann machten und ich ihre Arbeit zerstörte. Dass ich ihn in Frauenkleider steckte und sogar schminkte, das war der Auslöser für dieses Verhalten. Ab da konnte ich einfach nichts mehr richtig machen.“ „Yami, da warst du drei Jahre alt.“ Katsuya sah zwischen Noah und seinem besten Freund hin und her. Irgendwie schien es fast surreal, dass es gerade Noah war, der den anderen versuchte … der ihn irgendwie von dem überzeugen wollte, was alle hier im Raum wahrscheinlich dachten. Sonst ignorierten die beiden sich ja meistens. „Nicht nur“, gab Yami kleinlaut zu, „er … er liebte Mädchenklamotten. Und unsere Eltern waren beide berufstätig. Ich … ich habe es nicht übers Herz gebracht, ihm seinen Spaß zu verbieten, wenn sie nicht da waren. Also hat er sich nach der Schule immer in Mädchenklamotten geworfen und sich wieder umgezogen, wenn unsere Eltern abends wieder kamen.“ „Große Brüder sind was Tolles“, warf Shizuka ein und lächelte Katsuya zu. „Ich habe nichts Tolles gemacht außer dich regelmäßig in Gefahr zu bringen“, murmelte dieser nur. „Gar nicht wahr. Du hast mich immer an den Strand gebracht, wenn ich wollte, egal wie oft dich Papa dafür versohlt hat“ Sie sah zu Yami, der gerade nichts mehr mit ihren Haaren machte. „Und er hat mir Geschichten vorgelesen, nachdem Mama gesagt hat, dass ich zu groß für Gute-Nacht-Geschichten bin.“ „Brüderlichkeit verpflichtet“ Yami seufzte tief und hob die Bürste wieder, um ihr die nächste Frisur zu machen. „Wir waren vorsichtig. Ich habe ihm Schminken verboten, damit Mama die Abschminktücher nicht findet. Wir haben ihm echte Kleider von unserem Geburtstagsgeld gekauft und sie versteckt. Und er hat den Mädchen in unserer Klasse ihre bunten Haarklammern abgeschwatzt. Wenn es um so etwas ging, war er überhaupt nicht schüchtern. Nur vor Jungs hatte er Angst.“ „Und auch das haben sie bestimmt herausgefunden“, vermutete Ikar. „Mit acht bekamen wir getrennte Zimmer. Alles wurde renoviert. Natürlich hat Mutter dabei die Kleider gefunden“ Dieses mal überwältigten die Emotionen ihn nicht so weit, dass er mit dem Flechten aufhörte, allerdings glänzten Yamis Augen verräterisch. „Sie hat die Kleider im Kamin verbrannt. Vor Yugis Augen. Er hat geschrien und geheult und gebettelt, aber sie hat kein einziges übrig gelassen. Und das erste mal in meinem Leben hat mein Vater mich geschlagen.“ „Weil sie meinten, du hast ihn dazu angestiftet?“ Noahs Stirn lag in tiefen Falten. „Wie kann man … ich gebe zu, wenn Isamu mir irgendwann erzählt, dass er Mädchenkleider haben will, dann … das würde mich auch sehr verstören. Ich glaube auch, dass ich es im ersten Moment verbieten würde. Aber wenn ein Kind das fünf Jahre lang macht, dann sollte man sich doch irgendwann Gedanken machen.“ „Sollte man“, stimmte Yami zu. Was er gerade flocht, sah extrem kompliziert und sehr artistisch aus. Als würde er Shizuka eine Krone aus Haaren basteln. „Yugi hat nie wieder nach einem Kleid gefragt. Nicht einmal, als wir allein waren. Es hat nicht mehr gelacht und kaum noch gelächelt. Er vernachlässigte all seine Hobbys, sprach nicht mehr mit seinen Freundinnen und wehrte sich nicht mehr, wenn die Jungen ihn schikanierten. Ich habe alles versucht. Ich habe die Jungen verprügelt, habe mich mit ihm zu den Mädchen gesetzt, habe Sportarten und Spiele und alles mögliche mit ihm gemacht, aber … er war wie tot. Und ich konnte ihn nicht mehr aufwecken.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)