Delusive Society von Gepo (Dritter Teil der DS-Reihe) ================================================================================ Kapitel 114: In Gefahr ---------------------- Ich warne direkt vor, leicht verstörendes Gespräch folgt :) Ansonsten hätte ich gern etwas Sonne. Könnte jemand die bitte wieder anknippsen? Viel Spaß beim Lesen und verfallt nicht der Winterdepression! ________________________________________________________________________________________________ „Ja“ Katsuya seufzte und hob langsam die Lider wieder. „Das bin ich.“ Leyla und Kimi öffneten beide den Mund, als wollten sie etwas sagen, aber Tomoko kam ihnen zuvor: „Und? Bleibst du trotzdem bei ihm?“ Katsuya nickte nur. „Bist du verrückt?“ In Misas Gesicht stand blankes Entsetzen. „Ich meine … Hayato hat Tomoko geschlagen, das wissen wir alle. Und Seto hat dich geschlagen, das wissen wir auch. Aber … ich meine ...“ „Und dann?“ Katsuya schnaubte. „Kannst du dir vorstellen, was ich ohne Seto war? Ich habe mich täglich verprügeln lassen von meinem Vater. Ich habe gesoffen wie ein Loch und mir alle Drogen rein gepfiffen, die ich in die Hände bekommen konnte. Ich habe nicht gelernt für die Schule, ich habe meine Lehrer bedroht und zusammen geschlagen, damit ich eine Klasse weiter komme. Ich bin Abschaum ohne Seto. Er hat mich von der Straße geholt und mir ein Leben gegeben.“ Mit einem mal stand Tomoko auf, trat mit festem Schritt zu ihm, sank auf die Knie und zog ihn in ihre Arme. Katsuya blinzelte nur verwirrt. Sie war … warm. Ihre Arme und ihre Schulter waren warm. Wie Imalias, nur hatte sie wirklich die schlanke Figur einer Frau. Und ihre Stimme war so weich wie die einer echten Frau, als sie mit Bestimmung sagte: „Sag das nie wieder.“ Katsuya schluckte. Er schluckte erneut. Er atmete tief ein, aber all das konnte die Tränen nicht zurückhalten, die in seine Augen stiegen. Er wandte den Kopf ab, aber dafür brach nur ein Schluchzen durch seine Lippen. Shit … er wollte nicht. Er wollte nicht zusammen brechen. „Du musst das alles nicht allein schultern. Und vor allem musst du nicht bei ihm bleiben, um ein guter Mensch zu sein. Keiner in diesem Raum denkt schlecht von dir außer du selbst.“ Trotz seiner Tränen brachte Katsuya ein Schnauben über die Lippen. Er legte den Kopf zurück und atmete tief durch. Mit seinem Pulloverärmel strich er seine Tränen von seinen Wangen. Er wollte überzeugt klingen, aber er musste zugeben, seine Stimme brach mitten im Satz: „Das sagst du nur, weil es nicht deine Kinder waren, denen ich Geld geklaut habe, um Drogen zu kaufen.“ „Machst du das jetzt auch noch?“ Er schüttelte nur niedergeschlagen den Kopf. „Und leid tut es dir auch … mein Bruder hat Drogen genommen. Und er hat auch immer gelogen und geklaut. Manchmal tat es ihm leid, aber meistens nicht. Und irgendwann hatte er sich so sehr zerstört, dass er auch keine Fähigkeiten mehr dazu hatte, Mitleid zu empfinden“ Sie seufzte tief. „Er war trotzdem kein schlechter Mensch. Er hatte nur nicht die Kraft, sich aus diesem Sumpf namens Drogen wieder raus zu ziehen. Die wenigsten haben das. Aber du bist clean, richtig?“ Während sie sprach – noch immer vor ihm kniend und die Hände auf seinen Schultern – hatte er von Leyla ein Taschentuch entgegen genommen. Er wandte den Kopf ab, um sich die Nase zu putzen und antwortete ihr darauf: „Seit … August, glaube ich. Da habe ich das letzte mal was genommen.“ „Das sind fast sechs Monate“ Sie lächelte stolz. „Sechs Monate sind der Punkt, ab dem die meisten es schaffen. Wenn du auf sonst nichts stolz sein kannst, dann ist das ein sehr guter Grund, auf dich stolz zu sein.“ Katsuya brummte nur und ließ den Blick sinken. Sie stand auf und betrachtete ihn einen Moment mit locker vor ihrem Bauch übereinander gelegten Händen. Falls sie darauf wartete, dass er stolz auf sich war, könnte sie wohl länger warten. Vielleicht könnte er stolz sein, wenn er abhängig gewesen wäre. Aber er hatte nicht einmal zurück gedacht. Er hatte nichts vermisst und sein körperlicher Entzug war eher lachhaft gewesen. Er hatte Drogen benutzt, damit die Zeit verging. Damit er vergessen konnte und er älter wurde, während er nicht an die Schmerzen in ihm denken musste. Aber bei Seto brauchte er das nicht. Seine Zeit war gefüllt. Es gab immer etwas zu tun. Es gab einfach keine Löcher, die er verzweifelt füllen musste. Langsam lernte er ja sogar, sich selbst zu überlegen, was er mit seiner Zeit tun konnte. Und älter musste er auch nicht mehr werden. Er hatte älter werden wollen, damit er arbeiten konnte. Und er wollte arbeiten, um von seinem Vater wegzukommen. Aber da lebte er nicht mehr. Also brauchte er auch keine Drogen mehr. Wahrscheinlich hatte er Drogen einfach aus anderen Gründen als andere genommen. „Würde ich mich von Seto trennen, hätte ich keinen Wohnort mehr. Ich hätte kein Geld. Selbst wenn das Jugendamt mir helfen würde, ich könnte nicht weiter zur Schule gehen. Ich würde mir also irgendwo eine Arbeit suchen müssen. Das kann ich, das ist nicht das Problem. Ich würde wahrscheinlich zu meinem besten Freund ziehen, ich wäre nicht einmal allein. Ich würde keine Freunde verlieren, denn unsere Freunde sind alle meine Freunde“ Er sah auf und in Tomokos kalkulierende Augen. „Aber selbst wenn Seto sich nicht umbringen würde … für mich wäre mein Leben vorbei.“ „Warum?“ Sie trat etwas zurück, damit er nicht so weit aufsehen musste. „Weil ...“ Ja, weil? Warum? Warum wollte er unbedingt bei Seto bleiben? „Weil ich ihn liebe. Vielleicht nicht jede einzelne Persönlichkeit, aber … am Anfang war da ein Mensch. Und dann waren da drei. Und dann sechs. Vielleicht bin ich für Monogamie nicht gemacht, aber ich kann mir gar nicht vorstellen, nur einen Menschen, eine Persönlichkeit zu lieben. Ich liebe Seto nicht, obwohl er DID hat sondern weil er es hat … okay, das klingt krank. Aber ich lebe schon seit Monaten nicht mehr mit nur einem Menschen. Liebe braucht Zeit und die Zeit, die ich mit ihm hatte, war eine Zeit mit einem Haufen Persönlichkeiten. Ich habe noch nie in meinem Leben eine einzige Persönlichkeit geliebt. Meine Schwester mal ausgenommen, die ist Familie“ Das klang immer noch völlig falsch. Klang es völlig falsch? Die anderen sahen ihn halb unverständig, halb ungläubig an. „Ich meine … klar, DID ist schrecklich kompliziert. Es gäbe keine Selbsthilfegruppen mit Angehörigen, wenn dem nicht so wäre. Aber es ist doch gleichzeitig auch richtig … ich weiß nicht, spannend. Belebend. Wenn ich mir vorstelle, mit jemandem mit einer intakten Persönlichkeit zusammen zu sein, klingt das gerade ziemlich langweilig.“ Kimi grinste. Leylas Stirn lag in Falten, aber sie nickte trotzdem. Misa sah nur hilfesuchend zu Tomoko, die sich wieder auf ihren Stuhl setzte. Ihr Gesicht wirkte ernst, minimal verzogen in einem Hauch von Unmut. Ihre Stimme klang merklich kontrolliert, als sie fragte: „Und wenn er einmal geheilt ist, verlässt du ihn, weil er nicht mehr spannend ist?“ „Keine Ahnung. Vielleicht verliebe ich mich auch in die Person, die er dann ist. Ich weiß es nicht. Ich weiß ja nicht einmal, was für ein Mensch er wäre, wenn er integriert wäre“ Tomoko wandte den Kopf ab. „Ich … ich kann nur sagen, dass ich den Menschen liebe, der er gerade ist. Auch wenn er manchmal die Kontrolle verliert. Es wird seltener und weniger schwer. Klar habe ich Angst vor seinen Ausbrüchen … aber die Persönlichkeit Angst ist berechenbar. Meistens“ Er seufzte. „Mir macht Wächter Angst … was, wenn er mich endgültig als Bedrohung einstuft? Wie weit würde er gehen? Er ist nicht impulsiv, er ist berechnend. Wenn sein Ergebnis ist, dass das beste Ergebnis mein Tod ist, dann wird er mich ohne Zögern töten. Das macht mir sehr viel mehr Angst als Setos Kontrollverluste.“ „Was ist Wächter denn für eine Persönlichkeit?“, fragte Leyla tonlos nach. Vielleicht wusste sie nicht, was sie fühlen sollte, vielleicht fühlte sie auch nichts mehr. Wenn ihre Schwester DID hatte, wäre es nur verständlich, wenn sie zumindest Dissoziationssymptome hätte. „Er ...“ Tja, wie viel durfte er sagen? „Er wurde geschaffen, um im Notfall eine Persönlichkeit zu haben, die ohne Zögern morden könnte. Er ist absolut gefühllos.“ „So eine hat meine Cousine auch“ Kimi lächelte zur Abwechslung nicht, aber sie klang auch nicht sehr betroffen. „Ist etwas gruselig, aber ich habe mich vor ihr noch nie gefürchtet. Ich rufe sie immer, wenn wir Fleisch filetieren müssen. Ich fass' das nicht gern an und sie kann mit Messern schlichtweg alles. Und sie fängt Spinnen ein. Und einmal meinte ein Kerl in der Disko nicht auf mein Nein hören zu müssen, dem hat sie die Hand gebrochen. Wenn du diesen Wächter auf deine Seite bringst, dann ist er super nützlich, versprochen.“ Katsuya schwankte zwischen Lachen und Weinen und sein Körper entschied sich für fassungsloses Kopfschütteln. Wächter würde nie im Leben Spinnen für ihn fangen. Oder Fleisch filetieren. Allein der Gedanke … da könnte er auch gleich Bakura bitten, die Wände mit rosa Blumentapete zu bekleben. „Derzeit bin ich für ihn eine potenzielle Bedrohung. Dass die anderen mich mögen und mir Vertrauen schenken, sieht er als Schwäche und Gefahr.“ „Aber er jagt dich nicht weg“ Kimi machte eine drehende Handbewegung mit ausgestrecktem Daumen und Zeigefinger, die einfach nur ein Handzeig oder das Richten einer imaginären Waffe auf ihn sein könnte. Noch bevor er die Geste deuten konnte, zuckte sie mit den Schultern mit einer Offenheit und Intensität, die er noch nie bei einer Japanerin erlebt hatte. Vielleicht war sie Amerikanerin? „Irgendeinen Grund gibt es dafür. Und auf dem kannst du aufbauen. Du musst ihn nur heraus finden.“ „Ich vermute mal, die anderen verbieten es ihm“, murmelte Katsuya unschlüssig. „Dann sollen sie ihn überzeugen, dass sie es eh nicht zulassen, wenn er dich verletzt und er sein Misstrauen besser auf andere lenkt. Gib ihm ein paar andere Feinde, dann konzentriert er sich auch nicht mehr auf dich. Bei mir haben die anderen Persönlichkeiten Bull gesagt, dass ihr Auftrag ist, mich und ihren Körper vor den körperlichen Angriffen anderer zu schützen. Sie hat das nicht hinterfragt … die anderen haben ihr ehrlich gesagt auch nicht die Intelligenz gegeben, um so etwas zu hinterfragen. Man befiehlt ihr etwas und sie macht es.“ „Wächter ist ziemlich intelligent. Wenn er jemanden, den er für besser tot ansieht, in den Selbstmord jagen kann, dann tut er das eher als die Gefahr einzugehen, dass man ihm eine Tat nachweisen kann“ Katsuya biss sich von innen in die Wange. Scheiße. Das hätte er nicht sagen dürfen. „Und vermutlich hat er das auch schon gemacht“, schloss Kimi folgerichtig, „und hat damit nichts getan, was illegal ist.“ „Im Gegensatz zu Hayato“, murmelte Tomoko, die noch immer zum Fenster sah. „Und meiner Cousine. Bull hat meinen Vater mit einem Baseballschläger den Kopf zertrümmert“ Kimi sagte das völlig nonchalant. Nicht tonlos. Es schien wirklich so, als würde ihr das rein gar nichts ausmachen. „Ich stand daneben.“ „A- aber … oh Himmel“ Misa schüttelte entsetzt den Kopf. „Aber warum?“ „Weil er ein perverses Arschloch war, der uns beide vergewaltigt hat, deswegen“ Mit einem mal verzog sich Kimis Gesicht in Wut und ihre Worte waren ein harsches Schnauzen. „Und ich bin ihr dankbar, dass sie es getan hat.“ Katsuya nickte nur. Kimis Wut konnte er bestens verstehen. Auch wenn sein Verstand freundlich fragte, ob er das wirklich einfach so gutheißen konnte. Das war Mord. Aber auch das mit Gozaburo Kaiba war Mord gewesen. Und auch ohne viel darüber zu wissen, was der Mann gemacht hatte, reichte das, was Katsuya wusste, um nicht einen Funken Mitleid mit ihm zu haben. Misa währenddessen starrte auf ihre Hände. Sie war jung. Sie war unschuldig. Ihre Freundin Eri schien selten mehr als extreme Verängstigung zu zeigen. Für sie waren sowohl Hayato als auch Seto und Kimis Cousine wahrscheinlich Gestalten aus Horrormärchen. Dinge, über die man nichts hören wollte und von denen man wünschte, sie nie gehört zu haben, wenn es doch geschah. Leyla schien weiter in Dissoziationen zu sinken. Sie saß gerade, sah vollkommen ausdruckslos zu Kimi und schien nicht eine Gefühlsregung außer Schwere und Lethargie zu haben. Sie fragte mit tonlosem Interesse, als wäre nicht die Person auf dem Stuhl neben ihr die Betroffene: „Was habt ihr mit der Polizei gemacht?“ „Gesagt, es sei Notwehr“ Kimi atmete tief durch und schien dadurch alle Anspannung von sich zu wälzen. „Ein als unnahbar bekannter Kerl und zwei psychisch labile junge Mädchen. Mir traute man zu, dass es vielleicht nicht Notwehr war, aber es waren nur ihre Fingerabdrücke auf dem Schläger. Und sie ist meistens eine stille, unscheinbare Maus gewesen“ Kimi zuckte erneut mit den Schultern. „Ich habe sie eine ihrer verängstigten Kinderpersönlichkeiten zeigen lassen, da hat kein Polizist es auch nur gewagt, sie ernsthaft zu verhören. Als einer sie zweifelnd angesehen hat, ist sie schon in Tränen ausgebrochen.“ Katsuya hatte während der Erzählung beide Augenbrauen gehoben. Die Worte drückten von innen gegen seine Lippen und schließlich ließen sie sich doch nicht zurückhalten: „Du scheinst auch von Gefühlen eher Abstand zu halten.“ „Macht das Leben einfacher. Ich hatte meines Wissens nach noch nie viele“ Kimis Blick wandte sich ihm zu. „Macht dir das Angst?“ „Nach der Begegnung mit Wächter glaube ich nicht, dass ich vor normalen Menschen noch viel Angst haben kann“, gab Katsuya ehrlich zu, „ich bin ein ziemlich guter Messerkämpfer. Ich kann meine Gegner einschätzen. Und ich wüsste nicht, warum wir beide je in eine Situation kommen sollten, wo ich mich vor deiner Gefühlsarmut fürchten müsste.“ „Meiner nicht. Bulls vielleicht. Mein Vater hat ihr ein Messer in die Brust gerammt, bevor sie ihn erschlagen hat. So etwas stört sie nicht, sie hat auch kein Schmerzempfinden. Aber ich glaube nicht, dass du auf die Idee kommen würdest, meine Cousine zu bedrohen“ Kimi nickte ihre eigenen Worte ab. „Obwohl es für dich vielleicht interessant sein könnte, sie zu treffen. Absolute Gefühlslosigkeit befähigt einen Menschen zu einer Menge Taten, aber es hat auch Vorteile. Vielleicht würde es dir eine andere Sicht auf diesen Wächter geben. Schließlich hat der Name auch eine Bedeutung. Er wacht. Das heißt, er passt auf und verteidigt. So lange du Seto nichts Böses tust, tut er dir auch nichts. Bull ist kurz für Bullet, also eine Kugel einer Schusswaffe. Der Name beschreibt ihre Fähigkeit und ihren Existenzgrund: Präzise und schnell zu töten. Davon ist der Name Wächter weit entfernt.“ Katsuya nickte langsam. Kimi hatte recht … vielleicht malte Katsuyas Angst ihm Schreckensgespenster. Vielleicht brauchte er Wächter nicht fürchten, auch wenn er instinktiv vor ihm zurück geschreckt war. Vielleicht sollte er die Persönlichkeit Bull wirklich mal kennen lernen. Kimi grinste nur. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)