Delusive Society von Gepo (Dritter Teil der DS-Reihe) ================================================================================ Kapitel 106: Träume ------------------- Etwas außerplanmäßig kommt hiermit ein Kapitel zusammen mit einer Entschuldigung. Ich habe gerade erfahren, dass ich die nächsten drei Wochen kein Internet haben werde. Ich werde also bis zum 02. September nichts hochladen und keine Kommentare und Meldungen beantworten. Bis dann und tut mir nochmal Leid! Viel Spaß mit diesem Kapitel :) ________________________________________________________________________________________________ „Ich muss aber vorweg nehmen, über Träume lerne ich gerade, Ich weiß nicht, ob das jetzt schon die perfekte Zusammenfassung wird“, gab Yami zu. „Egal, wenn es irgend etwas Hilfreiches gibt, ich will es hören. Bisher war absolut jeder deiner Tipps richtig und hilfreich, so eine gute Trefferrate hat wahrscheinlich keiner außer dir“ Katsuya grinste. Ihm ging es schon dadurch blendend, dass er all diesen Ballast einmal von sich gedrückt hatte. Dadurch waren die Probleme vielleicht nicht weg, aber sehr viel machbarer. Yami währenddessen errötete – ein seltener Anblick! – und fuhr fort: „Äh … ja … danke. Ich kenne euch ja nun auch schon ein bisschen. Nun … Träume sind vor allen Dingen im tiefenpsychologischen Paradigma besonders wichtig, die anderen legen da kaum Wert drauf. Das kommt daher, dass die Tiefenpsychologie danach fragt, was für Probleme unterbewusst noch vorhanden sind, während alle anderen psychologischen Richtungen sich nur mit den akuten Problemen beschäftigen. Du weißt ja, manche Leute haben immer irgendwo Schmerzen und fühlen sich ermattet und ihnen ist oft übel und sie gehen zu vielen Ärzten, aber keiner kann etwas finden. Die denken natürlich oft nicht daran, dass das alles von ihrer Psyche kommen könnte. Oder sie wollen nicht hören, dass es von ihrer Psyche kommen könnte. Und wenn du sie fragst, dann wissen sie natürlich auch nicht, was sie psychisch belastet. Da kommst du oft nur über die Träume an die eigentliche Problematik, oft Misshandlung oder Vernachlässigung in der Kindheit, spätere Ohnmachtsgefühle, Versagensängste und Verlustängste. Aber ich schweife ab ...“ Katsuya lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Das Wichtige an Träumen ist, dass sie nicht nur Mitteilungen unseres Unterbewusstseins sind, sie verarbeiten auch die Dinge, die sie abspielen – meistens“ Yami hob einen Zeigefinger. „Aber manchmal sind sie auch Hilferufe, dass etwas nicht verarbeitet werden kann. Wenn sie sich immer und immer wieder wiederholen, dann sollte man aufmerksam werden. Besonders, wenn das Ereignis schon ein Stück zurück liegt.“ „Hm“ Katsuya senkte den Blick zu Boden. „Heißt, ich kriege das nicht gut verarbeitet?“ „Bis drei Monate nachher ist bei einer Vergewaltigung noch in Ordnung. Zumindest, wenn der Alptraumgehalt nachlässt und sich immer andere Dinge abspielen. Es sollte eine Entwicklung erkennbar sein.“ Katsuya seufzte tief. Sogar Jason war in seinen Träumen bereits dazu gekommen. Fehlte eigentlich nur noch Pegasus, dann hätte er sein Gruselkabinett zusammen. Das war ähnlich wie mit den Träumen über seinen Vater und sich selbst, die schienen auch eher schlimmer als besser geworden zu sein, auch wenn sie gerade weg waren. „Wenn ich dich richtig verstanden habe, ist dem nicht so“ Yami wärmte seine Hände an seinem Teebecher. „Selbst in deinen Träumen bist du hilflos und ausgeliefert. Deine Träume helfen dir nicht, sie machen es sogar noch schlimmer. Du musst wissen … rein rational wissen wir natürlich, dass Träume nicht echt sind. Aber der Großteil des Kopfes nimmt Träume und auch Phantasien wahr, als wären sie Realität. Alles, was wir in unserer Vorstellung sehen, hören und fühlen, das verarbeitet unser Kopf, als würde es wirklich geschehen.“ „Das heißt, in meinem Kopf werde ich immer und immer wieder vergewaltigt und er verarbeitet es, als wären es Erinnerungen? Als wäre es wirklich passiert?“ Katsuyas Lider weiteten sich. Yami nickte nur. „Darum können Träume auch verarbeiten. Sie legen Dinge neu aus, verknüpfen sie mit anderen Erinnerungen, geben ihnen positive Aspekte oder lassen dich die Situationen im Traum sogar lösen. Aber mit der Vergewaltigung fühlt sich dein Kopf überfordert.“ „Genau so wie mit der Gewalt meines Vaters. Da habe ich auch andauernd Alpträume“ Katsuya schloss die Lider. Was sollte er denn jetzt machen? Das hieß, die Zeit machte es gar nicht besser, sie machte es schlimmer. Würde er Seto irgendwann gar nicht mehr berühren können? „Die Sache mit deinem Vater ist sehr komplex. Aber gegen die Vergewaltigung kannst du gegensteuern“, erklärte Yami. „Wie?“ Katsuya sah auf und lehnte sich vor. „Wie gesagt, auch Phantasie wird vom Kopf wahr genommen als würde es wirklich geschehen. Also fängst du ganz vorne an. Du wurdest in einen Transporter gezerrt, oder? Also stellst du dir vor, wie du dem Transporter entkommst. Immer und immer wieder. Wenn du da mehrere Szenen hast, dann gehst du weiter, wie du wieder aufwachtest und entkommst da. Stell dir nicht vor, dass du gefangen wurdest, stell dir einfach die nächste Situation vor. Das machst du, bis du irgendwann bei der Vergewaltigung angekommen bist. Das hört sich jetzt noch schrecklich an, aber wenn du die Schritte bis dahin hast, ist dir die Vorstellung, der Vergewaltigung zu entkommen, auch nicht mehr fremd. Dann löst du deine Fesseln und schlägst diesen Kerl zusammen. Oder rennst einfach nur weg. Du musst dir selbst in deiner Vorstellung die Macht und Kontrolle über die Situationen wieder geben.“ Sich selbst die Kontrolle geben … ja, Kontrolle war das Problem. Er war völlig hilflos gewesen. Er hatte nichts ändern können und das tat weh. Und genau dasselbe erlebte er jetzt mit Seto. Er hatte keinerlei Kontrolle über Setos Wechsel, seine Dissoziationen und seine Persönlichkeiten. Dass er nicht über Mittwoch sprach und jetzt beim Psychiater war. Das alles machte Seto mit sich selbst aus und Katsuya hatte das Gefühl, als hätte er keinen Boden unter den Füßen. Deswegen tat gerade jetzt die Vergewaltigung so weh. Katsuya nickte und lächelte. Ja, das konnte er. Sich das einfach nur vorzustellen, war nicht so schwer, in seinem Kopf war schließlich er der Herr. Er fragte: „Kann ich das auch zeichnen?“ „Wenn du willst, natürlich“ Yami nickte. „Zeichnen ist gut. Es lässt deine Vorstellungen aus dir heraus. Kunst erweckt in uns Bilder und Eindrücke, die für unseren Kopf natürlich auch Realität sind. Wenn du ein Bild malst, was für dich Sicherheit und Kontrolle vermittelt, dann ist das sehr heilsam.“ „Gut“ Der Blonde nickte. „Wo wir dabei sind, kann ich Papier und Stift haben?“ „Sicher“ Der andere erhob sich, ging kurz in den Nebenraum und kam mit drei Blättern und fünf verschiedenen Bleistiften wieder. „Es ist lange her, dass du bei mir gezeichnet hast. Frühjahr? Irgendwann Anfang Sommer im letzten Jahr.“ „Ich weiß, du mahnst immer, ich soll mehr zeichnen. Aber unter Stress macht mein Kopf einfach zu“ Katsuya stellte seinen Becher zur Seite und breitete das Gereichte vor sich auf. Ein Bild der Sicherheit … hm, wo sollte er anfangen? Dem Transporter entkommen war eigentlich eine ganz hübsche Vorstellung. „Gerade bei Stress solltest du zeichnen. Gerade dort ist es wichtig.“ Gerade dort vergaß er so etwas. Stress hieß meistens, dass es zwischen Seto und ihm kriselte und da dachte er bestimmt nicht als erstes daran, dass er etwas zeichnen solle. Und Seto würde ihn da auch kaum dran erinnern, dass es eine gute Idee wäre. Er sah von den ersten groben Strichen seiner Skizze auf und fragte: „Hat Seto irgendeine Kunst, die er ausübt?“ „Hm … gute Frage. Außer mit Kreide Straßenbilder malen?“ Yami lächelte schief. „Ich habe ihn noch nie eine Kunst ausüben sehen. Ich weiß nicht, ob er eine hat. Oder mehrere. Die Persönlichkeiten bei DID tendieren dazu, alle verschiedene Künste auszuüben. Oft sogar sehr meisterhaft, das geht nur leider mit der Integration verloren.“ „Das heißt, er könnte ein begnadeter Maler sein und würde diese Fähigkeit mit der Integration vollständig verlieren?“ Katsuyas Stirn legte sich in Falten. „Ist Kochen eine Kunst? Er sagt, Imalia könnte das sehr gut, während Seto selbst nicht mal ein Ei braten kann.“ „Wahrscheinlich würde er als vollständige Persönlichkeit eher schlecht als recht kochen können, ja. Er müsste es neu erlernen“ Yami ging zum Kühlschrank und sah hinein. „Apropos, auf was hast du Hunger? Ich hatte Gnocchi in Käse-Sahne-Sauce geplant.“ „Wie gut, dass du dich mit niemandem integrieren musst“ Katsuya leckte über seine Lippen. „Klingt köstlich.“ „Ich werte das als ja“ Er begann, Zutaten aus dem Kühlschrank zu holen. „Ich bin ehrlich gesagt auch ganz froh, dass solche Sachen wie Wut und Angst bei mir nur verdrängt sind und keine eigene Persönlichkeit bilden. So lange ich nicht auf meine Familie treffe, muss ich sie nicht hervor kramen.“ „Willst du sie denn ewig verdrängen?“ „Hm“ Yami seufzte und wandte den Blick zu Boden. In seinen Händen drehte er langsam die Packung Gnocchi. „Ich werde es nicht können. Rein rational weiß ich das. Aber … ich will einfach nicht. Ich … ich bin nicht stark genug, mich dem jetzt zu stellen. Später vielleicht. Mit einem sicheren Job. Na ja, eigentlich ist mein Job sicher, Noah hat mir einen Vertrag für ein ganzes Jahr gegeben, aber ...“ Er seufzte erneut, diesmal tiefer. „Ich habe mir früher immer gesagt, wenn ich mit der Prostitution aufhöre und in einer guten Wohnung lebe, dann mache ich das. Ich vermute mal, das habe ich jetzt, nicht? Ich sollte wohl ...“ Er schüttelte den Kopf und stellte die Gnocchi zur Seite. „Ich bewundere dich, Katsuya. Du siehst ein Problem und du nimmst dich ihm an. Du rennst nicht vor dir selbst davon, so wie Seto und ich das machen. Wir versuchen beide, unsere Probleme so lange unter den Teppich zu kehren, bis es nicht mehr geht.“ „Seto muss in Therapie und du solltest, verstehe ich das richtig?“ Katsuya stützte den Kopf auf seinen Arm. „Seto sagt, mir könnte das auch helfen, aber … ich will irgendwie nicht. Ich glaube, ich renne auch davon.“ Während Yami kochte, zeichnete Katsuya weiter. War wohl auch besser so, sie schienen beide in Gedanken. Wahrscheinlich sogar in ziemlich ähnlichen. Eine Therapie … er musste die Vergewaltigung und seine Erinnerungen an seinen Vater besser auf die Reihe bekommen, das stimmte schon. Auch war das alles mit Seto nicht so schrecklich einfach. Aber ihm reichte eigentlich, dass er mit Yami darüber sprechen konnte. Andererseits … fühlte Yami sich dadurch vielleicht einfach zu belastet? Konnte er ihn das fragen? Würde er sich wünschen, dass Katsuya eher zu einem Psychotherapeuten ging als all diese Probleme auf ihn zu häufen? Verstehen könnte er es ja. Andererseits schien Yami daraus auch Kraft zu ziehen. Er konnte Katsuya nicht haben, aber er konnte sein bester Freund sein. Würde er Yami den Boden unter den Füßen wegziehen, würde er zu einem Therapeuten gehen? Die Möglichkeit gab es auch. Alles in allem nicht gerade einfach. Würde er Yami verletzen, wenn er ihn fragen würde? Rargh … all dieses Gedenke machte einen kirre. „Yami?“ Der Angesprochene sah über seine Schulter. „Wenn ich jetzt in Therapie gehen würde, würde dich das verletzen? Oder wärst du eher erleichtert?“ „Hm“ Yami, der gerade die Sauce gerührt hatte und ganz automatisch noch weiter rührte, obwohl er sich zu Katsuya wandte, sah zu Boden. „Ich weiß, das ist falsch … ich sollte nicht so denken ...“ „Es täte dir weh“ Katsuya nickte langsam. „Heißt das, du möchtest, dass ich eher zu dir komme?“ „Katsuya … ich“ Er sah auf, das ganze Gesicht verzerrt in Zweifel und Sorge gleichermaßen, doch schloss die Lider und zog den Kopf ein, als sich ihre Blicke kreuzten. „Ich will nicht … es tut mir Leid.“ „Was tut dir Leid?“ So ganz war Katsuya aus diesen Worten nicht schlau geworden, wenn er ehrlich war. „Meine Selbstsucht“, hauchte Yami. „Du tust gut daran, mal selbstsüchtig zu sein. Du bist ein Paradebeispiel, wie man nicht selbstsüchtig ist“ Katsuya tippte mit dem Bleistift auf den Tisch. „Ich komme gern zu dir und ich rede gern mit dir. Und solange dich das nicht belastet und runter reißt, möchte ich das auch gern weiter machen. Aber wenn du mal deine Meinung änderst und es dir zu viel wird, dann sag das, ja? Ich will nicht zu einem dieser Energievampire werden.“ Yami lächelte, obwohl der Rest seines gesenkten Gesichts noch immer verzogen war. Er ließ den Schneebesen in seiner Hand einfach los und kam sehr vorsichtig zu Katsuya hinüber. Er sah noch einmal kurz auf, bevor er sich auf Katsuyas Schoß setzte und die Arme um ihn legte. Dieser lächelte nur und schloss die kleine, zitternde Gestalt in die Arme. Auch Yami hatte seine schwachen Momente. Und das war völlig okay für Katsuya. „Ich brauche das“, flüsterte Yami nach einem Moment, „ich brauche es, gebraucht zu werden. Ich sollte nicht … es ist schlecht … aber ich kann nicht davon weg. Wenn du mich nicht brauchst … dann bin ich nichts mehr. Dann habe ich für mich selbst keinen Wert.“ Katsuya unterdrückte das Seufzen. Was würden Seto und Yami ohne ihn machen? Beide sterben? Warum hängten Menschen ihr Leben unbedingt an ihn? „Ist ja gut“ Er strich über Yamis Wange, da in dessen Haaren Gel war. „Das wollte ich nur wissen. Ist okay … ich will nicht böse sein, aber ich glaube, dir brennt die Sauce an.“ „Shit“, fluchte Yami wie neu gestartet und sprang auf, „argh, dieser doofe Herd … mein alter war vielleicht kaputt, aber dessen Macken kannte ich wenigstens!“ Ja … so war das wohl auch mit Katsuyas Beziehungen. Alle waren sie kaputt, aber bei allen kannte er zumindest die Macken. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)