Delusive Society von Gepo (Dritter Teil der DS-Reihe) ================================================================================ Kapitel 97: Tag für Tag ----------------------- Gebt mir 'nen Strick. Ein inkompetenter Arzt ist eine Sache. Nur inkompetente Ärzte eine andere. Viel Spaß beim Lesen. ________________________________________________________________________________________________ „Guck mal, er lächelt“ Ayumi grinste zur Begrüßung. „Geht es dir besser?“, fragte Ryou besorgt nach. „Nach meinem Morgensport geht es mir blendend“ Katsuya schmiss seine Schultasche neben seinen Tisch und ließ sich auf seinen Stuhl fallen. Selbst die Aussicht auf eine Doppelstunde Religion mit ihrer Ödigkeit von Lehrerin konnte seine gute Laune gerade nicht bremsen. „Zu viel Information“ Ayumi hob eine Hand und sah weg. „Was für Sport hast du denn gemacht?“ Ayumi seufzte nur und legte eine Hand auf Ryous Haar, während Katsuya sich das Lachen verbiss. Bisweilen war Ryou so süß kindlich, es war zum Brüllen. Dieser warf Ayumi einen fragenden Blick zu. „Ehrlich, Katsuya, ich will über das Sexleben von Herrn Kaiba nichts wissen“, bestimmte sie. „Sexleben? Was … oh! Oh ...“ Röte schoss auf Ryous Wangen. „Die Art von Sport.“ „Ich gebe zu, für mich war es nicht sehr ertüchtigend-“ „Katsuya Kaiba! Halt den Rand!“ Ayumi schlug ihre Hände allerdings nicht sich selbst auf die Ohren sondern Ryou, was Katsuya eine weitere Welle der Erheiterung einbrachte. Als sein Lachen verebbte, war ihre Stimme mehr ein Zischen als ein Sprechen. „Und sei froh, dass die Mädels gerade nicht zuhören. Du würdest sie verstören!“ „Aber dich nicht?“ „Natürlich nicht“ Sie senkte die Hände wieder und sprach mit gemäßigter Stimme. „Nur, weil ich Jungfrau bin, heißt das nicht, dass ich auch unwissend bin. Mich schockst du nicht.“ „Auch nicht, wenn ihr dir sage, dass Seto will, dass ich ihn an die Decke hänge und-“ „Katsuya!“ Sie schloss die Augen und atmete tief durch. „Ich will wirklich nichts über das Sexleben meines Lehrers wissen. Selbst, wenn er jetzt nicht mehr mein Lehrer ist. Erzähl mir so etwas nicht.“ „Bist du wirklich mit Herrn Lehrer Kaiba zusammen?“, fragte ein Junge von der Seite. Katsuya warf mit einem leichten Seufzen einen Blick zur Seite. Ah … der Kerl, der den Vorsitz der Homophoben nach Hijiri übernommen hatte. Oh Freude. „Ja.“ „Immer noch gemein“ Ayumi zog eine Schnute. „Ich wollte ihn doch heiraten.“ „Äh“ Der Junge blinzelte verwirrt und starrte Ayumi an. „Wie?“ „Wie wie? Ich wollte den Kerl. Ich weiß, du bist wahrscheinlich hetero, aber du wirst doch zustimmen, dass er gut aussieht, oder?“ Sie ließ ihm drei Sekunden, in denen der verwirrt Dreinblickende einfach nur schwieg. „Siehst du? Finde ich auch. Also wollte ich ihn haben. Aber er wurde mir vor der Nase weggeschnappt.“ „Ich hoffe, ich zerstöre deine Träume nicht, aber du hättest nie eine Chance gehabt“ Katsuya grinste wieder. Ayumi war einfach nur eine Wucht. Jeder homophobe Kerl zerschmetterte an ihr. Eines Tages würde sie eine super Frau abgeben, da war Katsuya sich sicher. Die Welt brauchte mehr Menschen mit Zivilcourage. „Und wie ich die hätte. Ich habe letztens ein Buch gelesen, in dem stand, dass wahrscheinlich achtzig Prozent der Menschen bisexuell sind. Nur weil Herr Kaiba Männer vorzieht, heißt das nicht, dass er zwingend nur auf Männer steht. Sexualität ist ein Kontinuum, auf dem jeder mehr oder weniger zu einer Geschlechtsausprägung tendiert.“ „Man hat aber bereits herausgefunden, dass die Verteilung nicht Gauß folgt“, warf Ryou ein. Der Junge neben ihnen zog sich in den Hintergrund zurück und verschwand zu seinem Platz. Katsuya konnte es ihm nicht ganz verdenken. Nach ein paar Worten der zwei wild Diskutierenden schaltete er auch ab. Katsuya gab Seto einen Kuss zum Abschied, bevor er sich aus dem Wagen schwang und seine Schultasche über die Schulter warf. Donnerstage waren doof … warum mussten die Lehrer so viel aufgeben? Erwarteten die, dass jeder Schüler sein Wochenende mit Freuden mit Hausaufgaben füllte? Illusorische Idioten. Er schnaubte und nahm die Treppe, um zu Yamis Wohnung zu kommen. Dort begrüßten ihn noch mehr Kartons als vorgestern und ein äußerst ungewöhnlich angezogener bester Freund – er trug Jeans und einen weiten Baumwollpullover. „Was ist denn mit dir passiert?“, fragte Katsuya etwas überrascht. „Der Rest der Klamotten ist schon eingepackt“ Der Andere zuckte mit den Schultern. „Das hier sind meine Winter-Gammel-Klamotten. Der Aufzug, in dem mich eigentlich nie jemand sehen sollte.“ „Die Klamotten stehen dir“ Katsuya trat aus seinen Schuhen und stellte seine Schultasche auf einen Karton. Hausaufgaben konnte er auch später machen. Oder ganz wann anders. Als er aufsah und ihm verwirrt geweitete, violette Augen entgegen sahen, legte er eine Hand auf Yamis kurzes, nun schwarzblondes Haar und verwuschelte es. „Hey!“ Mit einer Schnute wich dieser zurück. „Das konnte ich noch nie machen. Früher wärst du mir an die Gurgel gegangen, hätte ich deine perfekt gestylte Frisur zerstört“ Er ging an Yami vorbei in die Küche. „Es steht dir, mal etwas lockerer zu sein. Pullover, ungeschminkt und ohne Gel in den Haaren ist auch okay.“ „Das ist nur wegen des Umzugs … ich mag das nicht“ Yami blieb im Türrahmen stehen und legte die Arme um sich selbst. „Ich fühle mich nackt.“ „Ach, Yami“ Katsuya, der am Tisch Platz genommen hatte, drehte sich mit dem Stuhl Richtung Tür. „Du hast doch früher schon deine Maske vor mir abgelegt. Bei mir brauchst du deine Kriegsbemalung nicht.“ „Schon, aber ...“ Yami sah blinzelnd auf. „Hast du gerade Kriegsbemalung gesagt? Geht's noch? Ich schminke mich mit Stil!“ Katsuya lachte nur aus vollem Halse, während sein bester Freund beleidigt in seinen nicht vorhandenen Bart murmelte und zum Kühlschrank schritt. „Glaub bloß nicht, dass ich dir jetzt noch Essen koche … echt, Kriegsbemalung … kannst ein Joghurt haben, aber mehr kriegst du nicht“ Eben jenes zog er hervor und knallte es mit einem Löffel vor Katsuya auf den Tisch. „Ich ziehe doch nicht in den Krieg, sobald ich das Haus verlasse … also wirklich.“ „Nicht? Hast du mir nicht irgendwann mal erzählt, die Welt sei ein Schlachtfeld?“ „Das ist jetzt völlig aus dem Kontext genommen“ Er setzte sich und verschränkte die Arme. „Kriegsbemalung ...“ „Und wie läuft es bei dir so?“, fragte Katsuya, während er sich das Joghurt schnappte. „Hm ...“ Yami, der noch immer eine Schnute zog, sah widerwillig auf, doch lächelte nach einem Moment doch. „Bei mir läuft alles bestens. Mein Chef ist zufrieden mit mir. Nur die Kollegen … ich weiß nicht. Irgendwie habe ich das Gefühl, sie mögen mich nicht.“ „Wieso?“ „Nun ja … sie reden nicht wirklich mit mir. Also, sie grüßen mich zwar schon und antworten auf Fragen, aber nicht gerade ausgiebig. Und manchmal werfen sie mir so Blicke zu … ich weiß auch nicht. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein.“ „Zumin'est sin' sie nich' offen fein'lich wie die in der letz'en Abteilung“, sagte Katsuya mit dem Löffel im Mund. „Hatte Seto dir nicht Benehmen beigebracht?“ Yami schüttelte lächelnd den Mund. „Wie geht es ihm?“ „Hm ...“ Der Blonde zog den Löffel aus seinem Mund. „Er ist … keine Ahnung. Wir waren gestern bei diesem Selbsthilfezeug. Ihn hat das aufgewühlt. Aber er hat schon recht, dass er noch ziemlich gut ist im Vergleich zu den anderen. Er ist der einzige da, der aktuell eine Beziehung hat, wenn ich das richtig verstanden habe. Das war … schon irgendwie heftig.“ „Und was denkst du gerade über ihn und eure Beziehung?“ In Yamis Stimme lag einiges an Vorsicht. „Ich bleib' trotzdem. Er ist scheiße kompliziert, aber ich denke, er ist es wert“ Katsuya zuckte mit den Schultern. „Ich hoffe nur, dass jetzt nicht allzu bald noch mehr Neuigkeiten kommen. Ich will mich gerade echt nicht mit dem Wächter rumschlagen müssen. Diese Persönlichkeit scheint einen ernsthaften Schaden zu haben“ Er seufzte. „Der Rest ist ganz okay … Klein-Seto habe ich schon länger nicht mehr einfach so gehabt, Ikar und Seth verstehen sich einigermaßen und Imalia ist mir gut gesinnt. Klingt eigentlich nicht schlecht.“ „Aber?“ Yami lehnte sich vor und stützte sich mit einem Arm auf den Tisch. „Aber“ Katsuya stellte den leeren Joghurtbecher ab und lehnte sich zurück. „Aber … ist es schlimm, wenn ich mir wünsche, er würde die Krankheit trotzdem nicht haben?“ „Solange ihm dieser Wunsch keine Schuldgefühle gibt“ Yami schloss die Lider und atmete tief durch. Er sprach weiter mit geschlossenen Augen. „Du nimmst das alles gerade wirklich überirdisch gut. Wärst du nicht so offen und verständnisvoll, würde das mit Seto wahrscheinlich schon lange nicht mehr klappen … aber du darfst ihm auch zeigen, dass dich das belastet. Sein Wunsch muss bleiben, sich besser unter Kontrolle zu kriegen. Wenn er das Gefühl hat, dass er so okay ist und dass du bei ihm bleibst, selbst wenn er sich nicht ändert, dann wird er weiter vor seinen Ängsten davon rennen.“ „Und wie sage ich ihm, dass ich ihn auch liebe, so wie er ist, aber ich ihn gleichzeitig nicht lange aushalten kann, so wie er ist?“ Katsuya seufzte tief. „Ich habe es ihm schon gesagt … und ich hatte das Gefühl, es ist angekommen. Er ist überbesorgt, dass ich das nicht lange aushalten werde.“ „Er kennt dich besser als du dich selbst“ Yami sah auf und lächelte mit einem Mundwinkel. „Ein sehr guter Zug an ihm ist sein Realismus. Er redet sich die Welt nicht schön.“ „Ja, er ist ein recht dankbarer Kranker“ Katsuya richtete seinen Blick auf den Kühlschrank, auf dem ein buntes Wirrwarr von Magneten klebte. „Er heilt von selber. Als ich die anderen sah, bin ich richtig erschrocken … erst im Vergleich zu denen sehe ich, wie extrem sich Seto zusammen reißt. Wenn ich nach einer anderen Person frage, wechselt er sofort und ohne Widerrede. Er erkennt von selbst, welche Person in einer Situation gebraucht wird und stellt mir die bestmögliche Unterstützung an die Seite. Man merkt genau, dass er vollkommen fixiert ist, was für mich in dem Moment das Beste ist. Danach scheint sich sein ganzes Seelenkonstrukt auszurichten“ Sein Blick sank zu Boden. „Und außer Angst ist keine Persönlichkeit zerstört … die anderen in dieser Selbsthilfegruppe wirkten teilweise sehr zerstört auf mich.“ Eris Augen. Die zusammengekauerte Frau, die sich nicht wusch. Und die Frau, die sich kindlich weinend gegen ein Stuhlbein gedrückt hatte. Das waren alle keine fröhlichen Kinderpersönlichkeiten gewesen. Das waren terrorisierte Kinder. „Mir scheint, dir hat die Erfahrung viel gebracht.“ „Meinst du?“ Katsuya sah überrascht auf. „Tja … ja, eigentlich schon. Meine Gruppe nicht. Aber die DID-Gruppe. Die alle zu sehen … das war heftig. Wenn ich jetzt zurück denke, das war sogar sehr heftig.“ „Du neigst dazu, deine Überforderung zu verdrängen“ Yami ließ eine Pause, in der er ihn einfach nur ansah. „Andererseits ist das wohl der einzige Weg, wie du so gut mit Seto zurecht kommst. Dadurch reagierst du instinktiv auf ihn.“ „So instinktiv, dass ich ihn gestern Abend beinahe geschlagen hätte“ Katsuya wandte den Blick ab. Ja … auch etwas, was er schon wieder verdrängt hatte. Hätte er es nicht selbst ausgesprochen, hätte er nicht dran gedacht. „Was hast du?“ Yami klang mehr besorgt als entsetzt. „Die Hand gegen Klein-Seto erhoben. Er hat eine andere geschubst“ Katsuya atmete tief ein und seufzte. „Ich habe mich entschuldigt, aber ich habe ihn trotzdem erschrocken … wenigstens habe ich nicht zugeschlagen.“ „Stell nicht den Anspruch, perfekt zu sein. Seto wird sich eigene Fehler erst eingestehen können, wenn er sieht, wie du mit deinen umgehst. Da ist er wie jedes andere Kind dieser Welt“ Yami lächelte unbeschwert. „Schockt dich das gar nicht? Was, wenn ich jetzt zum gewalttätigen Teil der Beziehung mutiere? Was, wenn ich wie mein Vater werde?“ „Dann wird Seto etwas sagen. Er hat gute Schutzmechanismen gegen Leute, die ihm wehtun“ Yami legte den Kopf zur Seite. „Und wie dein Vater wirst du sowieso nicht werden. Ähnlich, sicherlich … aber du hast aus seinen Fehlern gelernt. Fang einfach nicht an zu trinken oder Drogen zu nehmen.“ „Ich will ihm nicht ähnlich sein“ Wut mischte sich in Katsuyas Stimme. „Du bist das Kind deiner Eltern. Du hast von ihnen gelernt und sie als Vorbilder gehabt. Du wirst zwangsläufig einige ihrer Macken haben“ Yamis Stimme war sehr ruhig, aber die Worte wenig beruhigend. „Das muss nichts Negatives sein. Dass du so okay bist, wie du bist, das können dir viele Menschen bestätigen.“ „Aber ich will nicht wie sie sein.“ „Ich will sicherlich auch nicht wie meine Eltern sein“ Yamis Blick verhärtete sich. „Aber … wir können unserer Herkunft nicht entkommen. Wir können nur lernen, mit ihr umzugehen.“ Katsuya verschränkte mit einem Seufzen die Arme. Lernen zu müssen, mit seiner Geschichte umzugehen, war wohl das grasierende Problem in seinem Bekanntenkreis, was? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)