Delusive Society von Gepo (Dritter Teil der DS-Reihe) ================================================================================ Kapitel 96: Die letzte Wahrheit ------------------------------- Pollen x.x Allergie ist etwas schreckliches ... aber noch mehr desensibilisieren geht jetzt auch nicht mehr. Muss wohl doch nach Finnland ziehen. Euch wünsche ich nun ein paar schöne Sonnentage, dass ihr gerade nicht in Bayern lebt und frohes Lesevergnügen! ________________________________________________________________________________________________ Katsuya schluckte. Ganz vorsichtig hob er die Hand und kam Seto damit wieder näher. Da kein Zucken, kein Zittern kam, legte er seine Finger wieder auf das braune Haar und strich darüber. Fuhr eher darüber, ohne es wirklich zu berühren. „Ich weiß nicht, wie ich eigentlich noch funktioniert habe. Ich habe jede Fünfminutenpause einen anderen Lehrer gevögelt. Ich bin andauernd zu spät zum Unterricht gekommen. Von der Schule aus bin ich zur nächsten Bar, habe da Kerle aufgerissen, bis nachts die Clubs aufmachten. Ich bestand nur noch aus Arbeit und Sex“ Seto drehte ganz vorsichtig den Kopf und wagte einen schnellen Blick auf Katsuya. „Ich … ich weiß auch nicht. Es war wie ein Zwang. Ich bin meist nicht einmal gekommen. Ich weiß gar nicht, ob ich die meiste Zeit überhaupt hart war. Keine Ahnung. Es hatte schon lange nichts mehr mit sexueller Befriedigung zu tun.“ Klang nach einer Sexsucht. Nicht, dass Katsuya da irgendetwas drüber wissen würde, aber in Setos Suchtschema würde es fraglos passen. „Es ging so weit, dass man mich feuern wollte. Nicht, weil irgendetwas rauskam. Nur, weil ich oft spät zum Unterricht war. Manchmal erschien ich gar nicht … ich musste irgendetwas anderes tun. In mir war ein unheimlicher Drang, diesen Job zu behalten.“ Rache. Seto wollte Rache. Für Mokuba. Es war sein Lebenssinn zu dieser Zeit gewesen. Natürlich war der Drang, den Job zu behalten, größer als der Drang zu allem, was ihm sonst am Leben hielt. „Und dann … ich weiß nicht. Ich kann das alles nicht erklären. Ich verstehe es selber nicht. Ich wurde einfach immer extremer. Über Orte und Positionen hatte ich mir schon lange keine Gedanken mehr gemacht. Aus einfacher Fesselung wurden S-M-Geschirre, aus Gerten Peitschen, schließlich Schlagstöcke, Gürtel … das hatte nicht mal mehr etwas mit S-M zu tun. S-M tut nicht wirklich weh und es geht vor allem um Vertrauen und sich fallen lassen. Ich vertraute nicht. Ich brauchte einfach nur mehr Kick. Ich wusste, Drogen würden mich kaputt machen. Krankheiten wollte ich auch nicht. Aber Schmerzen … Schmerzen klangen okay.“ Katsuya löste die Hand aus Setos Haar, fuhr mit ihr über seine Brust zu seinem Arm und schnappte sich eine von Setos Händen. Er verschränkte ihre Finger und drückte leicht. „Alles danach … verstehe ich gar nicht mehr. Ich hatte meistens unten gelegen. Aber plötzlich sah ich nicht mehr Menschen, die mir weh tun konnten und wo ich es genießen würde … ich sah Menschen, denen ich weh tun kann. Das war zuerst noch harmlos. Nichts gegen ihren Willen. Ich fühlte mich gut und mächtig. Diese Menschen waren dankbar, wenn ich sie verletzte. Es war komisch, aber es war okay. Nur ...“ Seto leckte über seine Lippen und sah auf. Seine Pupillen zitterten leicht. „Das machte mir Angst. Diese Menschen. Die, die mir dankten, weil ich ihnen weh tat. Obwohl ich es vorher selbst genossen hatte, hatte ich etwas anderes als sie genossen. Ich mochte Schmerz … sie … sie waren anders. Für sie war es Zuneigung. Es machte mir schreckliche Angst. Ich wollte nicht in ihre Gesichter sehen. Ich wollte nicht hören, was sie sagen. Ich wollte stille Puppen, die … einfach still sind. Vor meinen Augen wurden ihre Worte zu höhnendem Gelächter und ihr Lächeln zu dämonischen Fratzen. Sie mischten sich mit Erinnerungen und Halluzinationen, die mir Angst machten. Ich wollte nur Stille. Ich wollte all diese Angst nicht. Ich … ich hatte Angst vor ihnen. Also musste ich sie still kriegen.“ Katsuya schluckte. Still? Es hörte sich fast so an, als hätte Seto sie nicht betäubt sondern … er schloss die Lider. Darüber wollte er erst gar nicht nachdenken. Er hatte keine Leute getötet und dann vergewaltigt. Das konnte Seto nicht getan haben. Nein, das war ausgeschlossen. „Ich bin kein Psychopath. Ich wusste, dass das, was ich mache, falsch ist. Ich fühlte mich schlecht, dass ich es tat. Aber es sorgte nur dafür, dass ich es öfter tat. Ich weiß nicht, wieso, aber ich konnte nicht aufhören. Erst mit Yami … erst da konnte ich langsam aufhören. Er hat nie gelacht. Er hat keine Bedingungen gestellt. Er hat mich einfach gehalten und … dann habe ich mich langsam beruhigt.“ Katsuya drückte noch einmal Setos Hand. Sein Freund drehte sich zur Seite und vergrub sein Gesicht in Katsuyas Shirt. Der Blonde seufzte. Innerlich schnippte er das kleine Flämmchen der Eifersucht weg, was bei Setos Worten über Yami aufgeflammt war. Das hatte hier gerade gar nichts zu suchen. Wenn er gerade ein Gefühl für Yami haben sollte, sollte das Dankbarkeit sein. Höchstwahrscheinlich hatte er Seto gerettet. Erst er, dann Yugi und schließlich Katsuya selbst. Seufzend legte er den Kopf nach hinten auf die Couchlehne. Seto hatte recht. Er war nicht wie diese Männer … er war nicht wie Ted. Es war nur seine Angst gewesen, die ihn zu immer schlimmeren Dingen getrieben hatte. Jener Mensch hingegen ... Katsuya fletschte die Zähne. Das war nicht ein Funken Angst gewesen. Nichts, was auch nur ansatzweise verständlich wäre. Nichts als brutale Gewalt. Nichts anderes als sein Vater, der kontrolllos auf ihn eingeschlagen hatte. Nur ein weiteres Wesen, was ihn als Gegenstand, als wertlos angesehen hatte. Seto war anders. Selbst, wenn er ihn eines Tages vergewaltigen würde, dann nicht, weil er ihn als wertlos sah. Als Gegenstand oder Eigentum. Seto tat all das aus Wut oder Angst. Wut und Angst … die zwei Gefühle, die Angst vereinigte. Die zwei Gefühle, die eng verwoben tief in seinem Körper schlummerten. Das einzige, vor dem Katsuya bei Seto wirklich Angst haben musste. Und es war nicht wirklich so, als müsste wirklich Katsuya Angst vor ihm haben. All seine aggressiven Auswüchse bisher waren im Endeffekt gut verständlich. Gut genug, dass er sie jetzt vorhersehen konnte. Angst war eine berechenbare Persönlichkeit. Und in dieser Beziehung anscheinend ruhig genug, dass Seto weder Drogen, noch Alkohol, noch Tabletten, noch sexuelle Exzesse mit Vergewaltigungen brauchte. Katsuya hob seine zweite Hand und kraulte damit Setos Nacken. Sein Drache war doch im Endeffekt erstaunlich zahm. Als Seto sich wieder regte, war es dunkel. Die einzige Beleuchtung im Raum war das Licht der Straßenlaterne, das von draußen herein schien. Somit war sein Gesichtsausdruck nicht wirklich zu erkennen, aber Katsuya konnte das Lächeln praktisch fühlen, das sich auf Setos Züge schlug, als Katsuyas Magen knurrte. „Und wie soll ich bei diesem monsterhaften Knurren schlafen?“, fragte er neckend und setzte sich auf. „Gar nicht. Du sollst dein Haustier regelmäßig füttern“ Katsuya küsste Seto auf die Wange und erhob sich, um seine eingeschlafenen Beine auszuschütteln. „Ich hab' keine Lust zum Kochen … hast du Fertigpizza oder so?“ „Fertigpizza?“ Seto hob eine Augenbraue. „Soll das ein Witz sein? Ich habe das im Haus, was du auf den Einkaufszettel schreibst.“ „Righto … nächstes Mal kommt Fertigpizza drauf. Was hat denn jetzt noch offen?“ Katsuya beugte sich zur Seite und schnippte Seto in die Seite. „Hey, großer Mann … geh jagen und bring Essen.“ „Ich könnte Pizza bestellen“, schlug dieser vor. „Mach' das“ Katsuya gähnte und streckte sich dabei. „Ich brauch' erstmal was zu trinken … möchtest du auch Saft?“ „Grapefruit“ Seto erhob sich auch und nahm im Flur die Treppe nach oben. „Was für Pizza magst du?“ „Keine Ahnung. Irgendetwas. Ich habe seit Jahren keine gegessen“, gab Katsuya zu. „Dann mach trotzdem einen Vorschlag. Ich habe noch nie Pizza gegessen. Mokuba mochte Salami am liebsten“ Seto, der auf der Treppe stehen geblieben war, zuckte mit den Schultern. „Wenn ich bestelle, kriegst du Calamari-Pizza.“ „Was zur Hölle sind Calamari?“ Katsuyas Stirn legte sich in Falten. „Nun … probieren wir Salami aus?“ „Wie sagt man das? Righto?“ Setos rechter Mundwinkel hob sich mit Amüsement. „Nicht jeder redet Calamari und Kaviar“ Kopfschüttelnd setzte Katsuya den Weg in die Küche fort. „Und ich will Pizzabrötchen!“ „Das heißt möchten!“, kam es aus dem oberen Stockwerk zurück. Der Blonde grinste nur. Seto, wie er leibte und lebte. Bei allen Göttern, er liebte den Kerl. Egal, was er alles angestellt hatte – jetzt war er wieder in Ordnung. Menschen konnten sich ändern. Seto war der wandelnde Beweis, dass sie sich bisweilen sogar sehr schnell ändern konnten. Ein paar Minuten später kam Seto grummelnd herein und schnappte sich das Glas vom Küchentisch, was Katsuya für ihn hingestellt hatte. Nach einem Schluck Saft murmelte er: „Wenn sie schon jemanden für Telefondienst haben, dann sollten sie jemanden nehmen, der auch dieser Sprache mächtig ist.“ „Du hast zu hohe Ansprüche.“ „Das sagt man mir öfters“ Seto zog einen Stuhl vor und setzte sich Katsuya gegenüber. „Obwohl die meisten es nicht aussprechen … aber man sieht es in ihrem Blick. Sie halten mich für verrückt, weil ich Ansprüche haben. Wenn sie wüssten, welch bessere Gründe sie haben, mich für verrückt zu halten ...“ „Gibt es eigentlich eine Definition?“ Katsuya legte den Kopf schief. „Ich meine … ist ein Mensch verrückt, wenn er mehrere Persönlichkeiten im Kopf hat?“ Seto zuckte nur mit den Schultern und meinte: „Vielleicht, vielleicht nicht. Aber meine Hallzuniationen fallen bestimmt unter Verrücktheit. Geisteskrank bin ich auch. Wahnsinnig … manchmal vielleicht. Ich vermute, mein Selbsthass und meine manchmal paranoiden Ängste könnten unter Wahn zählen. Wenn ich bestimmte Aspekte etwas mehr betone und die Vorgeschichte weglasse, kriege ich den durchschnittlichen Psychiater bestimmt zu jeder Diagnose für mich verführt, die ich haben will. Ohne gelogen zu haben.“ „Lass uns das wann anders als mitten in der Nacht besprechen. Im Gegensatz zu dir habe ich zwischendurch nicht geschlafen.“ „Ich habe nicht geschlafen“ Setos Nase reckte sich in die Höhe. „Ich habe geruht.“ Katsuya versuchte das Lachen erst gar nicht zu unterdrücken. Manchmal war Seto erstaunlich kleinlich, wenn es um seinen Stolz ging. Er schüttelte den Kopf und nahm einen weiteren Schluck Saft. „Wie war es eigentlich für dich?“ Seto leckte über seine Oberlippe und wandte den Kopf ab. „Hm? Was?“ „Die Gruppe. Deine Gruppe. Oder meine. Allgemein … die ganze Sache vorhin“, murmelte Seto langsam zusammen. „Weiß nicht“ Katsuya zuckte mit den Schultern. „Schon spannend. DID scheint von Person zu Person anders. Nur Tomoko hat ansatzweise ähnliche Erfahrungen wie ich, aber ihr Ex-Mann … nun, da sind die Persönlichkeiten irgendwann nach und nach raus gebrochen und er wurde gefährlich. Und da hatte sie bereits zwei junge Kinder … da ist schon recht anders. Alle haben ganz andere Erfahrungen. Keiner scheint irgendetwas wie ich erlebt zu haben, habe ich das Gefühl. Ich weiß nicht wirklich, ob sie mir helfen können. Leyla meinte, ich bin die erste Person, die sie trifft, die mit einem DID-Kranken zusammen ist. Die Diagnose scheint recht automatisch das Ende der meisten Beziehungen zu sein.“ Seto seufzte nur und nickte leise. „Ich vermute, ich bin trotz der Gruppe auf mich allein gestellt“ Katsuya stand auf, umrundete den Tisch und setzte sich auf Setos Schoß. „Sie sind alle nett und wollen helfen … ich weiß nur nicht, ob sie es können. Ich werde wohl meinen eigenen Weg finden müssen.“ „Willst du das wirklich?“, flüsterte Seto leise, den Blick noch immer abgewandt, obwohl Katsuyas Kopf nur noch Zentimeter entfernt war. „Mir bleibt nichts anderes übrig, oder?“ Katsuya legte seinen Kopf auf Setos Schulter. Seto schnaubte und schüttelte den Kopf. Sein Gesicht verzog sich … in Trauer? Katsuya legte eine Hand auf seine Wange, aber der Kopf drehte sich von ganz allein zu ihm. Heiße Lippen hauchten einen Kuss auf Katsuyas Stirn, während sich zwei starke Arme um ihn legten. „Darf ich selbstsüchtig sein?“ Setos Stimme an Katsuyas Ohr war kaum mehr als ein Hauchen. Tja … ja? Nein? Was konnte Seto wollen? Was meinte er wohl mit der Frage? Etwas unsicher erwiderte Katsuya: „Solange es andere Menschen nicht verletzt.“ „Ich fürchte, es könnte dich verletzen“ Er wurde an Setos Körper gezogen. „Aber … ich möchte trotzdem, dass du bei mir bleibst.“ „Ich bleibe hier“, versicherte Katsuya noch einmal und küsste seinen Freund – Verlobten – auf die Wange. Seto antwortete nur mit einem kurzen festen Drücken der Umarmung. Mal sehen, wohin diese Beziehung noch führen würde. Vielleicht war das hier nicht die beste Entscheidung, aber mal ehrlich … wann war Katsuya Kaiba für gute Entscheidungen bekannt gewesen? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)