Delusive Society von Gepo (Dritter Teil der DS-Reihe) ================================================================================ Kapitel 95: Aufwühlende Fakten ------------------------------ Titel sagt alles, dieses Kapitel wird nicht so schrecklich harmonisch, also seid gewarnt. Viel Spaß beim Lesen! ________________________________________________________________________________________________ „Hey“ Katsuya öffnete die Autotür und sah hinein. Seto, der hinter dem Steuer saß, schwieg und warf ihm einen müden Blick zu. Ihre Augen trafen sich für einen Moment, bevor er den Kopf abwandte. Der Blonde stieg vorsichtig ein, nahm Platz und schnallte sich an. Dass Seto nicht reagierte, hieß wohl, dass das okay war. „Danke, dass du gewartet hast.“ Seto schnaubte nur, startete den Wagen und fuhr los. Katsuya biss auf seine Unterlippe. Seto schien sauer … ziemlich sauer. Ob er sich entschuldigen sollte? Hatte er sich wirklich so unmöglich verhalten? Es war echt schwer, einfach von Klein-Seto auf den normalen Seto umzustellen. Natürlich hatte er Seto nichts zu sagen, aber … na ja, es war auch nicht okay, seine schlechte Laune an anderen auszulassen. Trotzdem … hätte er als Freund unterstützend sein sollen? Statt auch noch negativ zu reagieren? Andererseits tat es ihm nicht wirklich Leid. Er fand es nicht okay, wie Seto bisweilen mit anderen umging. Vielleicht sollten sie sich in einer ruhigen Minute nochmal darüber unterhalten. Für die Zeit der Fahrt schwieg Katsuya einfach nur. Da Seto die Musik komplett ausgeschaltet hatte und selbst auch nichts sagte, war es ein äußerst unangenehmes Schweigen. Katsuya verschränkte die Arme und sah aus dem Fenster. Er hasste das … diese Wut zwischen ihnen. Das Unverständnis. Und die Angst. Streiten … stritten sie sich öfter als andere Paare? Oder weniger? War eine gute Beziehung eine, in der man viel stritt oder wenig? Oder gar nicht? Er konnte sich nicht vorstellen, wie man nie streiten konnte. Andererseits … vielleicht konnte man das. Wenn man sich immer erklärte, wenn man wütend war. Aber das half der Wut auch nicht unbedingt. Es machte ihn nur bedingt weniger wütend. Und oft wusste er sowieso nicht, was ihn eigentlich wütend gemacht hatte. Warum hatte ihn Setos Verhalten eigentlich aufgeregt? War es nicht Setos Entscheidung, wie er mit anderen umging? Hatte er das Recht, sich dort einzumischen? Er seufzte tief. „Ich hab' dich lieb“, meinte er einige Minuten, bevor sie ankommen würden. Seto warf ihm einen schnellen Blick mit zusammen gezogenen Augenbrauen zu. Nach vier Sekunden des Schweigens fragte er: „Warum sagst du das?“ „Um dich daran zu erinnern. Dass ich dich lieb habe, auch, wenn ich sauer bin.“ Seto schnaubte. Allerdings nicht abwertend. Eher … keine Ahnung, ausdruckslos. Ja, er hatte ausdruckslos geschnaubt. Besser war es nicht auszudrücken. Katsuya lächelte. Seto warf ihm einen weiteren Blick zu und lächelte dann auch. „Du bist unmöglich.“ „Damit sind wir zwei“ Katsuyas Lächeln wurde zu einem Grinsen. „Und mögen uns trotzdem.“ „Darüber muss ich nochmal nachdenken“ Seto löste eine Hand vom Steuer und kniff Katsuya damit in die Seite. „Hey!“ „Selbst hey.“ „Keine Gewalt in der Beziehung“ Katsuya streckte dem Fahrer die Zunge raus. „Es ist erst Gewalt, sobald es dich stört“ Setos rechter Mundwinkel hob sich, sodass er Zähne zeigte. „Das Angebot steht immer noch, du kannst mich gern an der Decke aufhängen, um mich zu vögeln.“ „Wah!“ Katsuya schlug die Hände vor die Augen und senkte den Kopf. Ganz schlechte Bilder! Seto warf ihm über die Schulter ein Lächeln zu, als er seine Schuhe auszog. Katsuya erwiderte mit einem Grinsen, auch wenn er bei weitem nicht so elegant aus seinen Sneakern kam und deshalb den Blick senken musste, um nicht umzufallen. Seto schnaubte nur – diesmal amüsiert. „Nicht jeder ist akrobatisch begabt“, murmelte Katsuya leicht eingeschnappt. „Deine Unfähigkeit nennt man Tollpatschigkeit, Hündchen.“ „Boah, wann hörst du damit endlich auf?“ Er schlüpfte in seine Hausschuhe und stellte sich mit verschränkten Armen neben Seto. „Ich habe es seit Monaten nicht gesagt“ Seto lehnte sich nur völlig unbesorgt gegen die Wand und lächelte gespielt herablassend. „Willst du 'ne Auszeichnung?“ Katsuya verengte die Lider. „Ja“ Sein Freund hob eine Hand, legte sie unter Katsuyas Kinn und den Daumen an seine Wange. Seine Stimme war kaum mehr als ein erotisches Flüstern. „Gib mir eine Auszeichnung.“ Er folgte dem Lockruf, lehnte sich gegen Seto und küsste dessen Lippen, bevor er mit den Lippen den Hals hinab wanderte, um sich nicht strecken zu müssen. Seine Arme fielen wie von selbst um Setos Hüfte. „Hah“ Er legte mit geschlossenen Lidern den Kopf zurück und hob eine Hand, um durch das blonde Haar zu fahren. „Ich bin doch nicht schlecht.“ „Schlecht?“ Indem Katsuya sein Kinn auf Setos Brust legte, sah er auf. „Vorhin mit Ikar … da war ich schlecht im Verführen“ Seto grinste. „Ich dachte schon, ich kann es nicht mehr.“ „Bei allen Göttern“ Katsuya stieß sich von Seto weg und rollte mit den Augen. „Du hast Probleme.“ „Nun, das hat meinen Stolz wirklich verletzt“ Der Größere legte einen Arm um ihn. „Mein Sexappeal ist eines der wenigen Dinge, auf die ich stolz bin.“ „Schon klar ...“, murmelte Katsuya und ging Richtung Wohnzimmer. Halb in der Tür sah er zur Seite, ob Seto ihm folgte. Dieser zeigte stumm mit einem immer noch sehr erotischen Lächeln nach oben Richtung Schlafzimmer. Katsuya schüttelte nur lächelnd den Kopf und betrat das Wohnzimmer. Einen Moment später erschien Seto im Türrahmen. „Teppich?“, fragte er suggestiv. „Du hast es heute echt nötig, oder?“ Katsuya ließ sich auf die Couch fallen. „Ich möchte immer noch wissen, wie die Selbsthilfegruppe für dich war.“ Das wischte leider das Lächeln von Setos Zügen. Nun, Katsuya hatte nichts anderes erwartet. Das Bedürfnis, nicht noch mal nachzufragen, war groß gewesen. Aber er musste, das wusste er. Bei Seto war es nie gut, Dinge unangesprochen zu lassen. Und zumindest wusste er ja, wie er ihn später wieder aufmuntern könnte. Mit einem ernsten Gesichtsausdruck kam Seto zu ihm hinüber und setzte sich neben ihm auf die Couch. Sein Blick kam auf dem nicht angezündeten Kamin zu liegen und für einige Momente herrschte Schweigen. Katsuya sah ihn an und wartete. Irgendwann würde er schon reden. „Die Gruppe ist ein einziges Chaos“ Setos Stimme klang ziemlich flach. „Jeder sollte sich mit Namen, Anzahl der bekannten Persönlichkeiten und einer Kurzzusammenfassung der letzten Woche vorstellen. Wir waren noch nicht mal zur Hälfte durch, da hat die erste Person geswitcht – also die Persönlichkeit gewechselt – und begann zu maulen, wie langweilig das ist und ob wir nicht hinne machen könnten“ Das klang nach den originalen Worten, Seto benutzte solch eine Sprache nicht. „Keiner wusste, was wir sagen sollen. Es gibt keine Gruppenleitung und niemanden, der wirklich Ahnung hat. Eigentlich sollte diese Gruppe von einem Therapeuten geleitet werden.“ „Und was habt ihr gemacht?“, fragte Katsuya nach. „Nichts. Eine andere Person ist geswitcht und hat die erste Person angefahren, eine weitere Person hat geswitcht und in Kinderstimme darum gebeten, dass nicht gestritten wird … pures Chaos.“ Nun … das klang nicht so wirklich gut. Katsuya seufzte leise und fragte: „Und wie geht es dir, nachdem du das gesehen hast?“ „Tja“ Seto fuhr mit einer Hand über sein Gesicht. „Ich weiß nicht so ganz … vorhin fand ich es schrecklich. Jetzt denke ich mir, dass es eigentlich gar nicht so schlimm war. Ich habe erkannt, dass ich nicht so schlimm bin. Ich habe zwar DID, aber ich wechsle nicht alle paar Minuten oder unpassend – meist.“ Betonung auf meist. Die Reaktionen von Angst waren immer unpassend. Und Klein-Seto bei Bakura vorzuschicken, das war riskant gewesen. Aber ja, Seto war noch recht okay. Katsuya lächelte leicht, als Seto sich auf das Sofa und den Kopf in Katsuyas Schoß legte. Er strich mit einer Hand über das braune Haar. „Ich glaube, ich hatte noch nie das Gefühl, dass ich eigentlich nicht so schlimm bin und es sich mit mir zumindest aushalten lässt … selbst entgegen dem Kerl, der einfach nicht aufhören konnte, Frauen zu vergewaltigen. Oder dem, dessen Schizophrenie sich in Liebeswahn und krankhafter Eifersucht ausdrückte. Ich dachte immer, dass es mit mir trotzdem schrecklicher sein muss. Aber … ein paar von denen waren fraglos schlimmer als ich.“ Gut. Vielleicht half es Setos Angst. Andererseits schlecht. Es wirkte einer Therapie entgegen, wenn er sich für ganz umgänglich hielt. Katsuya schluckte trocken. Nichts in diese Richtung wollte über seine Lippen kommen. Etwas anderes drängte in sein Bewusstsein. Die Szene, die er am liebsten für einen Halbtraum hielt und weit in seinen Hinterkopf schieben wollte. Die, die ihm bei der kleinsten Erinnerung einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Die Worte brachen fast unkontrolliert aus ihm hervor: „Weil du selbst Menschen vergewaltigt hast?“ Stille. Katsuya strich noch ein paar Mal über Setos Haar. Mit jeder vergehenden Sekunde sackte seine Muskulatur weiter in sich zusammen und sein Gesicht verlor jeden Ausdruck. Sein Atem vertiefte sich. Die Zeichen kannte er. Dissoziationen. Wollte er Setos Antwort doch nicht hören? Die Hand auf Setos Haar stillte. Er konnte Seto schlucken spüren. Er zog den Arm zurück. Nach einem Moment erhob der Ältere sich, aber Katsuya stoppte ihn mit einer Hand auf seiner Schulter. Seto verharrte einen Moment, bevor er sich ganz vorsichtig wieder hinlegte und den Kopf auf Katsuyas Schoß bettete. „Du hast doch zugehört“, flüsterte Seto leise. „Hattest du gehofft, ich hätte es vergessen?“ Katsuyas Stimme war fast tonlos. Der Andere seufzte nur. Er drehte sich langsam, um nach oben sehen zu können. Der Anblick von Katsuyas Gesicht ließ ihn erneut schlucken. Er wandte den Kopf zur Seite, um doch wieder wegzusehen. „Du bereust es. Du bereust all deine schlimmen Taten. Es dürfte der einzige Grund sein, warum ich noch hier bin“ Irgendwo hinter dieser kalten, bösen Maske zitterte Katsuya vor seinen Worten. Wie konnte er so mit Seto reden? „Gozaburo zu ermorden war notwendig. Alle anderen Menschen danach nicht. Mit hunderten von Leuten zu schlafen war eine notwendige Ablenkung. Einige von ihnen zu vergewaltigen nicht. Also warum?“ Seto atmete kontrolliert. Es schien Minuten zu dauern, bis sich eine Antwort wie eine klebrige, zähe Flüssigkeit von seinen Lippen löste: „Die Morde … war ich nicht. Das war der Wächter. Vor meiner Zeit“ - Katsuya nickte, obwohl Seto eh nicht zu ihm sah - „Als sie mich schufen, war ich … leer. All diese Bedürfnisse in mir, die ich nie verstand, es waren die Bedürfnisse all der anderen. Mokuba hat vieles davon abgefangen. Ich suchte nachts nach Sex, aber … das war ganz normal. Irgendein Kerl, eine Nacht, nichts Wildes.“ Katsuya spürte Kälte um sein Herz. Nicht die Kälte von Dissoziationen. Eher die Kälte von Schmerz, von Schuld. Mokuba konnte es abfangen … das hieß, nachdem Mokuba tot war … nachdem Katsuya Setos Bruder getötet hatte … „Nach diesem Psychiatrieaufenthalt war ich noch leerer. Da war wie ein Loch in mir, das mich auffraß. Ich glaube, es … ich denke, das war Einsamkeit. Ich hatte keinen Kontakt zu Noah. Keine Freunde. Nicht einmal Yami. Aber … ich wusste nicht, dass ich einsam war. Das andere in mir einsam waren. Ich … ich glaube ja auch nur, dass es das war, wenn ich zurückdenke. Ich weiß nur, dass ich erstmal immer mehr Sex brauchte. Einmal die Woche wurde zu jeder Nacht. Jede Nacht zu mehrfach täglich … immer nur Sex.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)