Delusive Society von Gepo (Dritter Teil der DS-Reihe) ================================================================================ Kapitel 69: Spaziertherapie --------------------------- Na, schon voll im Weihnachtsstress? Lasst euch die Zeit versüßen mit einer neuen Nebensequenz: http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/autor/94684/119235/ Hier liegt sogar noch eine rum, aber ich habe sie noch nicht abgetippt. Bei Drachenbrut lade ich auch gerade ein neues Kapitel hoch und "Eine Nacht in Bangkok" (http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/autor/94684/298332/) kann ich euch immer noch ans Herz legen. Genug der Werbung, viel Spaß beim Lesen ^v^ _________________________________________________________________________________ „Ist mein Flauschteppich noch nicht da?“, fragte Katsuya mit dem Hauch eines Lächelns auf den Lippen und setzte sich auf den hingezogenen. „Liegt im Möbelhaus. Ich war nicht ganz sicher, ob Lieferung eine gute Idee wäre“ Seto zog seine Armbanduhr aus der Tasche seines Bademantels. „Ich kann ihn in viereinhalb Stunden abholen fahren.“ „Hm“, murmelte Katsuya nur ohne große Betonung. Er legte sich auf den Teppich, den Kopf in Setos Schoß und zog die Beine an, um sie näher an das hoffentlich bald wieder flammende Feuer zu kriegen. „Seto? Geht das wieder weg?“ „Die Träume?“ „Und die Angst ... bei jedem fremden Geräusch fahre ich zusammen und wenn mich irgendetwas erinnert, dann klopft mein Herz wie wild und mir wird übel. Das ist doch nicht normal.“ „Nein, ist es nicht“ Seto schlängelte eine Hand zwischen Katsuyas Brustkorb und seinen Arm und wärmte diese so. „Das ist das intrusive Syndrom, das Haupterkennungsmerkmal einer posttraumatischen Belastungsstörung. Das habe ich auch. Seit ... seit Gozaburo.“ „Das hatte Yami mir irgendwann mal erklärt, als er mir erzählte, was du hast ... was war das nochmal?“, fragte Katsuya nach. „Das intrusive Syndrom besteht aus drei Dingen. Flashbacks und Alpträumen, dem Hyperarousal, also dem Erschrecken durch die kleinsten Dinge, und dann je nach Buch die Triggervermeidung oder die körperlichen Symptome, die man auch bei Panikattacken haben kann. Herzklopfen, Übelkeit, kaltes Schwitzen und zuckende, schnelle Bewegungen. Du hast es gerade wunderbar selbst beschrieben“ Seto ließ eine Pause. Wahrscheinlich, falls Katsuya Fragen hatte. Hatte er nicht, er erinnerte sich wieder, was Yami erzählt hatte. Trigger waren Gegenstände oder Situationen, die an das Trauma erinnerten. Diese vermied man. Wenn man auf sie traf, kam es zu Flashbacks. Flashbacks lösten die körperlichen Symptome aus. „Nach einem Trauma, besonders einem schweren Trauma, ist das ganz normal. Manchmal hält es nur Minuten, manchmal Stunden, selten Tage. Wenn es länger anhält ... erst dann ist es krankhaft. Bei mir hält es seit über vierzehn Jahren.“ Tja. Zumindest rannte Seto nicht plötzlich wie ein Wilder durch ein völlig harmloses Wohngebiet, weil er die Mafia hinter jedem Auto vermutete. Bei allen Göttern, jeder Psychiater würde ihn sofort in die Klapse stecken. Er erwiderte nur: „Man merkt es dir nicht an.“ „Danke“ Seto lächelte ohne jede Freude dahinter. „Am Anfang war es auch nicht einfach. Ich ging den Flur entlang und dachte jeden Moment, dass ein Schlag von hinten kommen wird. Ich habe mich alle zwei Meter umgedreht. Ich zuckte zusammen, weil ich bemerkte, dass ich nicht auf allen Vieren krieche, bis mir wieder einfiel, dass es ich nicht mehr muss. Wie du selbst weißt, meide ich Keller wie die Pest. Ich kriege Panikattacken, wenn ich in den Keller gehe. Die Wände kommen auf mich zu und ... die Erinnerungen kommen wieder. Die Angst zu ersticken. Die Angst zu erfrieren. Mich erschreckt auch jedes kleine Geräusch. Auch heute noch. Es hat etwas nachgelassen, aber es ist immer noch da. Mit der Zeit ist alles weniger geworden. Heute bemerke ich es kaum noch. Ich weiß, dass die dunkle Vorahnung nur meine alte Angst ist und ich weiß, dass die Mokubas und das Blut alles nicht echt sind. Ich weiß, dass der Chlorgeruch gar nicht da ist, weil ich alle Putzmittel selber kaufe und keines davon Chlor enthält. Ich weiß, dass die Gesichter von Gozaburo, die ich manchmal im Fenster sehe, auch nicht echt sind. Sie machen mir zwar Angst, aber ich kann mir sagen, dass es nicht real ist.“ Katsuya, dessen Augenbrauen mittlerweile zusammen gezogen waren, meinte vorsichtig: „Du hast ganz schön viele Halluzinationen.“ „Deine Angst kann eine Menge Dinge real werden lassen. Bei mir sind die meisten meiner Schutzmechanismen leider völlig außer Kontrolle geraten“ Seto schluckte und drehte Katsuya etwas auf den Rücken, um ihm ins Gesicht sehen zu können. „Ich hoffe, dass es bei dir nie so weit kommt.“ Je mehr Seto von sich verriet, desto schockierender war es irgendwie, dass er wirklich noch lebte. Allein die Halluzinationen – überhaupt welche zu haben, aber dann auch noch von dem Menschen, den man am meisten hasste und fürchtete – hätten Katsuya schon lange zu drastischen Maßnahmen getrieben. Natürlich hatte er verstanden, dass Seto ständig Angst hatte, aber was das für Formen annahm, das war schon ... das war echt krass. Kein Wunder, dass er Sex so liebte. Wahrscheinlich war es das einzige, wo er sich entspannen konnte, ohne Angst zu haben. Einfach weil ihm das noch nie jemand vermiest hatte. Wenn man den ganzen Tag lang Halluzinationen und Panikattacken in Abwechslung mit Dissos hatte, würde wahrscheinlich jeder froh sein über eine Oase, weit weg von all dem. Eigentlich war es mehr ein Wunder, dass Seto überhaupt noch etwas anderes tat, als Sex zu haben. Also, klar, irgendwie musste man Geld verdienen, um zu überleben, aber ... bei allen Göttern, er würde nie und nimmer mit Seto tauschen wollen. Und warum hatte es unbedingt eine Vergewaltigung sein müssen? Diese Beziehung war ziemlich fest, solange sie beieinander blieben, Sex hatten und gegenseitig ihre Aussetzer versorgen konnten. Aber Sex war ... war jetzt ziemlich kompliziert für ihn. Nur wegen dieser scheiß Vergewaltigung. Wenn ihre Beziehung doch daran kaputt gehen würde, würde er den Kerl ... Erschießen war viel zu nett gewesen. Er hätte wahrlich Schlimmeres verdient, einfach nur für das, was er Seto jetzt weggenommen hatte. „Woran denkst du?“, fragte dieser leise. „Dass ich dem Kerl, der mich vergewaltigt hat, die Augen raus reißen und den Schwanz abhacken will“, erwiderte Katsuya mit einem Knurren, „er ... ich weiß, wahrscheinlich sollte ich sauer sein, was er mir angetan hat, aber ich bin viel wütender, was er dir damit angetan hat. Ich habe ja verstanden, dass ich die Mühen wert bin, solange ich dafür für dich da bin, aber ... jetzt kann ich das nicht mehr. Also, nicht mehr so wie vorher. Es tut mir weh, dass es dir schlecht geht, weil jemand mich kaputt gemacht hat.“ „Du bist nicht kaputt. Wenn du nicht hören willst, dass ich kaputt bin, dann fange nicht an, dasselbe über dich zu erzählen“, wies Seto ihn zurecht, „Ich weiß, was du durchmachst. Okay, nicht genau dasselbe, aber wie man sich nach einem Trauma fühlt, das weiß ich. Das habe ich oft genug gehabt. Ich weiß, wie das ist, wenn man nicht glauben kann, dass das je wieder gut oder zumindest besser wird. Knapp an der Linie dazu, dass man sich selbst und die Welt nicht aushält“ Katsuya traten Tränen in die Augen. Bei allen Göttern, das klang genau nach dem, an das er die ganze Zeit nicht hatte denken wollen. „Aber als jemand, der das alles mehr als einmal durchgemacht hat, lass dir eins sagen: Es wird besser. Auch wenn es gerade nicht so aussieht. Es wird besser“ Katsuya drehte sich in Setos Schoß, sodass er sein Gesicht in Setos warmen Bademantel drücken konnte. „Ich weiß, dass du Angst hast. Auch um mich. Besonders nach gestern. Aber du bist und bleibst alles, was ich will und brauche, auch so. Unter der Angst bist du immer noch der Mensch, den ich liebe. Glaubst du mir das?“ Wenn Seto anfing, von Gefühlen und Liebe zu reden, glaubte Katsuya ihm alles. Er sagte es selten genug. Seine Arme zitterten, obwohl er sie fest um den anderen geschlungen hatte. Am liebsten hätte er Danke gesagt, aber er brachte kein Wort hervor. Egal, wie viel Angst da war, Seto blieb auch derselbe. Das war alles, was er wollte. „Du rutschst also langsam in die Wut“ Seto schien mehr zu sich selbst als zu Katsuya zu sprechen, während er ihm mit einer Hand durch das Haar fuhr, das nicht mehr völlig klatschnass war. „Jetzt, wo ich ohne Panik um dich und uns über das alles wieder nachdenken kann, kann ich mich auch daran erinnern, wie ich diese Phasen manchmal durchlief. Zumindest ... bei den kleineren Traumata“ Er atmete tief durch. „Wut ... Wut war eine sehr starke Phase. Wut war eine Phase, wo man sich mit Triggern beschäftigen konnte. Und eine Phase, wo man begann, über das Ereignis zu reden“ Er strich den blonden Pony aus Katsuyas Gesicht. „Ich glaube nicht, dass ich dich gerade zum Ereignis selbst befragen sollte, aber könntest du mir sagen, was für Dinge oder Situationen dich daran erinnern?“ Katsuya schloss die Augen und drückte seinen Kopf wieder in den Bademantel. Er wollte nicht ... er wollte es einfach nicht. Aber irgendwie hatte er das Gefühl, dass er irgendwann sowieso musste. Vielleicht war das ein guter Einstieg. „Der Stahlpfeiler. Er ist in jedem meiner Träume. Und ... die Handschellen an meinen Händen. Das Gefühl, gefesselt zu sein. Mich nicht bewegen zu können. Dann ... menschenleere Wohngebiete. Allein auf einer Straße zu sein. Diese Autos, in denen man Dinge ausliefert. Mit dem großen Heck. Und ... ich will nie wieder Bagel mit Ei.“ „Also du gestern so panisch rein gerannt kamst, war das-“ „Wohngebiet. Als ich feststellte, dass ich allein war ... die Erinnerungen kamen hoch. Und die Angst. Ich weiß, das macht gar keinen Sinn, aber ich hatte eine scheiß Angst.“ „Es macht Sinn für deinen Kopf“ Seto strich über das blonde Haar. „Er will dich nur davor schützen, dass so etwas nochmal passiert. Du darfst keine Angst vor deiner Angst bekommen. Dein Kopf sendet einfach nur Warnsignale. Dass sie etwas übertrieben sind ... das muss dein Kopf erst wieder lernen.“ „Es geht wirklich wieder weg?“, flüsterte Katsuya leise. „Wenn du dich dem langsam stellst und es verarbeitest, ja“ Seto zog seine Hände weg, legte dafür die Arme um Katsuya und zog ihn hoch, sodass er gegen seine Brust lehnte. „Ein Teil geht dadurch weg, je sicherer du dich fühlst. Je mehr Zeit einfach vergeht. Ein anderer Teil muss aktiv bekämpft werden, indem du nicht vor deinen Triggern davon rennst.“ Katsuya seufzte tief. Er hatte den Teil ja erwartet, aber ... er wollte nicht. Triggern treffen hieß, das Erinnerungen kamen. Er murmelte: „Yami meinte schon, ich muss wieder lernen, allein nach draußen zu gehen.“ „Ja, das ist essentiell wichtig. Aber wir gehen das langsam an. Nicht mit Bakuras Brachialmethoden“ Seto lächelte schief. Stimmt, Ryou hatte nach seiner Vergewaltigung auch Angst gehabt, nach draußen zu gehen. Weil große Männer ihn daran erinnerten. Deswegen hatte Bakura ihn durch Menschenmassen getragen. „Heißt das, du wirfst mich nicht mitten im Wohngebiet aus dem Auto und fährst weg?“, Katsuya legte seinen Kopf auf Setos Schulter. „Ganz bestimmt nicht. Wir gehen zusammen raus und wenn das kein Problem ist, dann gehst du allein. Erst eine ganz kleine Strecke wie bis zum Ende der Straße und dann immer Größere“, erklärte Seto. Katsuyas Magen rotierte bei der Vorstellung, aber sein Kopf sagte, das hörte sich ganz okay an. Mit Seto schaffte er. Bis zum Ende der Straße auch, das war in Rufreichweite. Seto würde es hören, wenn er schrie. Katsuya, der die Hände in die Taschen des von Seto geliehenen Mantels gepresst hatte, kickte missmutig einen Stein vor sich her und murrte: „Hätten die mich nicht im Sommer entführen können? Es ist arschkalt hier draußen. Wenn wir jetzt wirklich vier oder fünf therapeutische Spaziergänge pro Tag haben, erfriere ich eher statt heile zu werden.“ Seto trug einfach nur ein Halblächeln auf den Lippen und ertrug die Tirade stumm. „Die Kälte erinnert mich auch dran. Nicht so schlimm, aber ich hatte echt Angst, zu erfrieren. Ich war da festgebunden und hatte nicht einmal eine Decke. Irgendwann haben sie mir eine gegeben, aber nach der ersten Nacht, da ... ich bin echt froh, dass mir nichts erfroren ist. Hätte der eine mich nicht irgendwann-“ Katsuyas Stimme versagte. „Ja?“, hakte Seto nach einem Moment nach. „Dean hat Jason weggeschickt, damit er für mich wärmere Klamotten und mehr Decken holt. Aber weil ich allein mit ... mit ihm war ...“ Katsuya atmete tief durch. „Sonst hätte Jason ihn aufgehalten.“ Seto legte einen Arm um seine Schultern und zog ihn an sich. Da Katsuya stehen blieb, wandte er sich zu ihm, küsste sein Haar und zog ihn weiter. Katsuya seufzte nur, doch ließ sich mitziehen. Tja, was sollte Seto auch sagen? „Ich meine, hätten sie sich das nicht denken können? Dass Ted das tun würde? Warum haben sie mich mit ihm allein gelassen? Dean oder Jon hätten doch noch da bleiben können. Sie hatten ihn doch eh schon verdächtigt. Sie haben ihn ja gewarnt, aber ... warum?“ Erneut versagte ihm die Stimme. „Sie haben nicht geglaubt, dass er es wirklich tut. Ihnen war klar, dass ihn das wahrscheinlich das Leben kosten würde. Der Kerl war nicht mehr ganz beisammen, das ist fraglos.“ „Ich weiß nicht ... er war vielleicht ekelhaft, aber er hat ganz normal geredet. Er hat ja auch gearbeitet. Wie konnte er so den Faden zur Realität verlieren?“ „Er war Menschenhändler, richtig?“, fragte Seto nach. „Ja. Er hat wohl normalerweise die Frauen aus den armen Länder in die reichen geschmuggelt. Jason hat ein bisschen was erzählt, nachdem Ted ... tot war. Die beiden waren wohl Freunde gewesen.“ „Wenn du so einen Beruf machst, musst du deine Gefangenen als Ware ansehen. Als Objekte. Je näher du an den Opfern dran bist, desto mehr. Du hattest für diesen Kerl ungefähr den Wert von einem Sack Kartoffeln. Während die anderen wohl verstanden, dass du etwas Besonderes bist, hat er dich wie alle anderen behandelt ... in seinen Augen.“ „Meinst du, er hat auch die Frauen vergewaltigt, die er transportiert hat?“ Katsuya, der mittlerweile an Seto gelehnt ging, legte die Arme um ihn. „Auf jeden Fall. Die Welt ist wahrscheinlich nicht allzu traurig, ihn los zu sein“ Seto warf ihm einen resignierten Blick zu. „Du hast hunderten von Frauen dein Schicksal erspart.“ „Mir wär' trotzdem lieber, es wär' nie passiert“ Katsuya verzog das Gesicht. „Ich wünsche mir schon fast, er wär' noch am Leben, damit ich ihn leiden lassen könnte.“ „Den Wunsch teilen wir“, erwiderte Seto mit einer erschreckend tiefen Stimme. Katsuya sah auf, aber der andere blickte in die Ferne. Vielleicht war es auch besser so. Seine Augen waren ungewöhnlich hell. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)