Delusive Society von Gepo (Dritter Teil der DS-Reihe) ================================================================================ Kapitel 66: Ein Wunsch nach Heimat ---------------------------------- Ich habe eine neue FF ^.^ Letzte Woche hat mich die Muse gepackt und ich habe zwei Tage durchgeschrieben (statt zu arbeiten...). Hier ist das Ergebnis: http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/298332/ Ansonsten wünsche ich viel Spaß mit diesem Kapitel. Seto wird mal wieder ein wenig psycho, allerdings auf seine Seto-Art. _________________________________________________________________________________ Katsuya schlich die Treppenstufen hinab. Es war so still im Haus, dass er das Knacken eines Holzscheites hören konnte, der wahrscheinlich im Kamin brannte. Das leicht flackernde Licht, das aus dem Wohnzimmer drang, bestätigte seine These. Er wusste nicht einmal, wie spät es war. Ob die anderen noch da waren. In welch einer Laune oder Zustand Seto war. Ob er überhaupt einen Seto finden würde oder nur ein Stück Papier, auf dem Worte des Abschieds zu finden waren. Yami hatte ihn doch nicht allein gelassen, oder? Allein mit den Gedanken und vor allem den Ängsten, ob Katsuya … auf Zehenspitzen ging er bis zum Türrahmen und krallte seine Finger in das Holz. Seto war da. Der Seufzer der Erleichterung war still, aber da. Sein Geliebter saß auf der Couch vor dem Feuer mit gesenktem Blick. Da er an der dem Flur zugewandten Couchseite saß, konnte Katsuya das Buch in seinem Schoß sehen. Ein dicker Wälzer, sicherlich mit schwerer Kost. Das Licht des Kamins tanzte gespiegelt in seinen blaugrauen Augen. Katsuya, dessen Tränen noch immer Gräben in sein Gesicht malten, zog die Nase hoch, was Setos Blick sofort auf ihn zog. Die Lider weiteten sich, ein Blinzeln, gefolgt von tiefen Falten auf seiner Stirn. Er legte wortlos das Buch zur Seite, erhob sich und kam langsam herüber. Gut einen Meter von Katsuya, der sich noch immer gegen den Türrahmen drückte, blieb er stehen und hielt ihm einladend eine Hand hin. Katsuyas Blick wechselte zwischen den bis auf einen Hauch von Sorge ausdruckslosen Augen und der ausgestreckten Hand, bevor er sie vorsichtig ergriff. Noch immer ohne ein einziges Wort gesagt zu haben, zog Seto ihn zur Couch und setzte ihn auf die dem Flur abgewandten Seite. Aus der Schale auf dem Couchtisch zog er eine Packung Taschentücher, nahm eines daraus und begann – vor der Couch kniend – Katsuya die Tränenspuren von den Wangen zu tupfen. Nach einem Moment nahm der Jüngere es ihm ab und putzte sich die Nase. Ihre Blicke trafen sich und hielten einander, während keiner von ihnen die Worte zu finden schien, die sie einander sagen wollten. Katsuya hätte gern gesagt, dass ihm dieser Blick mehr als tausend Worte sagte, aber Setos Augen schien kein Gefühl inne zu wohnen. Ganz wie Yami gesagt hatte: Die zwei anderen Persönlichkeiten schienen seine Gefühle aufgebraucht zu haben. Oder er war so verängstigt, dass er Katsuyas Verbindung zu seiner Gefühlswelt wieder vollkommen geschlossen hatte. Katsuya hätte nicht sagen können, wie viel Zeit vergangen war, bis Seto sich erhob und zum Bücherregal herüber ging. Mit einem Finger fuhr er eine Reihe ab und zog einen kleineren Band heraus. Sein Pfad führte ihm hinter dem Sofa her, bis er sich auf dem anderen Ende der Couch niederließ und das kleine Büchlein aufschlug. „Briefe an einen jungen Dichter von Rainer Maria Rilke“, kündigte Seto an. Katsuya zog seine Beine auf die Couch und wandte sich seinem Freund zu. „Wir haben keinen Grund, gegen unsere Welt Misstrauen zu haben, denn sie ist nicht gegen uns. Hat sie Schrecken, so sind es unsere Schrecken, hat sie Abgründe, so gehören diese Abgründe uns, sind Gefahren da, so müssen wir versuchen, sie zu lieben.“ Gefahren und Abgründe lieben … wie sollte er das TI je lieben? Was Seto da verlangte, das war unmöglich. Und das wusste er auch, wenn man sich ansah, was er selbst getan hatte. Wozu hätte er diese Seite an sich sonst unterdrücken sollen? Seto jedoch fuhr fort, ohne aufzublicken: „Und wenn wir nur unser Leben nach jenem Grundsatz einrichten, der uns rät, daß wir uns immer an das Schwere halten müssen, so wird das, welches uns jetzt noch als das Fremdeste erscheint, unser Vertrautestes und Treuestes werden. Wie sollten wir jener alten Mythen vergessen können, die am Anfange aller Völker stehen, der Mythen von den Drachen, die sich im äußersten Augenblick in Prinzessinnen verwandeln; vielleicht sind alle Drachen unseres Lebens Prinzessinnen, die nur darauf warten, uns einmal schön und mutig zu sehen. Vielleicht ist alles Schreckliche im tiefsten Grunde das Hilflose, das von uns Hilfe will.“ Katsuya fehlte der Atem. Ihm fehlte die Stimme, um Seto zu antworten. Ihm fehlten die Tränen, um die Sehnsucht auszudrücken, die diese Worte in ihm erweckten. Ja, er wusste, dass Setos TI seine tiefsten Ängste darstellte. Dass es sowohl Opfer als auch Täter einer Vergangenheit war, von der er sich nicht befreien konnte. Eine Vergangenheit wie die, die Katsuya mit sich trug. Ja, vielleicht würde er auch das TI einst akzeptieren können. Er würde es versuchen. Er wollte es versuchen. Egal, was Seto alles getan hatte, er war immer noch der Mensch, der Katsuyas Herz schneller schlagen ließ. Auch jetzt. Gerade jetzt. „Da dürfen Sie, lieber Herr Kappus, nicht erschrecken, wenn eine Traurigkeit vor Ihnen sich aufhebt, so groß, wie Sie noch keine gesehen haben; wenn eine Unruhe, wie Licht und Wolkenschatten, über Ihre Hände geht und über all Ihr Tun. Sie müssen denken, dass etwas an Ihnen geschieht, dass das Leben Sie nicht vergessen hat, dass es Sie in der Hand hält; es wird Sie nicht fallen lassen.“ Katsuya nickte nur, da ihm noch immer die Stimme fehlte. Zumindest sein Atem kehrte zu ihm zurück. Er wünschte, er könnte Seto umarmen, aber sein Körper wollte nicht auf ihn hören. Diese eine Mal missgönnte er es ihm nicht. Seto schlug das Buch zu und legte es neben den dicken Wälzer auf den Couchtisch. Nach einem Moment der Stille sagte er: „In mir ist so viel, dass ich es mit meinen eigenen Worten nicht beschreiben kann. Ich suche meine Gefühle in den Worten anderer, die die Sprache besser beherrschen als ich.“ Katsuya nickte erneut und nach weiteren Sekunden fiel sein Blick zurück auf den Wälzer. Er zwang seine Zunge, seinen Gedanken Worte zu geben: „Was hast du darin gefunden?“ Die blauen Augen richteten sich ebenso auf das Buch. Mit einem Seufzen nahm Seto es auf und schlug es relativ weit hinten auf, suchte kurz nach einer Seite und kündigte an: „Sonnett sechsundsechzig, William Shakespeare.“ Ganz wie er gedacht hatte, schwere Kost. Hoffentlich würde er es verstehen. Er lehnte sich seitlich gegen die Couchlehne, um Seto zu lauschen. „Tired with all these, for restful death I cry.“ Katsuya schloss die Augen und zog scharf die Luft ein. Hatte es ihn wirklich verwundert? Hätte er es nicht erwarten sollen? Er hob die Lider wieder und spürte erneut Tränen seine Sicht behindern. „As, to behold desert a beggar born, and needy nothing trimmed in jollity, and purest faith unhappily foresworn“ - Katsuya schloss die Augen und eine Träne rann seine Wange hinab - „and gilded honour shamefully misplaced, and maiden virtue rudely strumpeted, and right perfection wrongfully disgraced, and strength by limping sway disabled, and art made tongue-tied by authority, and folly, doctor-like, controlling skill, and simple truth miscalled simplicity, and captive good attending captain ill“ - Seto holte kurz Luft - „Tired from all these, from these would I be gone, save that – to die – I leave my love alone.“ Bei allen Göttern. Katsuya kniff die Lider zusammen und verzog sein Gesicht in Schmerz. Seto wollte sterben. Alles, was ihn hier hielt, war er: Katsuya. Es sollte ihn kaum verwundern, bei einem Mann, der so weit ging, ihn an sich zu binden und doch … doch schnitt der Gedanke wie eine Klinge in sein Herz. Er konnte den Menschen, den er liebte, nicht verlieren. Nicht noch mehr, als er es sowieso schon getan hatte. Noch war da ein Rest des Menschen, den er geliebt hat. Wie eine glühende Kohle die Erinnerung an ein warmes Feuer war. „Ich will nicht, dass du stirbst“, flüsterte Katsuya. Eine zweite Tränenspur bildete sich auf seiner Wange und er wischte beide mit dem Taschentuch weg, das er noch immer in der Hand hielt. Mit Augen, die nicht mehr kurz davor standen, jederzeit neue Tränen zu verschütten, sah er zu Seto hinüber. „Ich weiß“ Dieser schloss das Buch und legte es zurück auf den Tisch. „Ich vermute, darum sage ich es … ich weiß, dass du es nicht ertragen könntest, wenn ich mich töte. Es würde dich zerstören. Darum drohe ich damit, damit du mich nicht verlässt“ Er schloss die Augen. „Ich weiß, dass ich mich auf ein Niveau herab lasse, auf das ich nie kommen wollte. Dir mit meinem Selbstmord zu drohen, um dich an mich zu binden. Ich hasse mich dafür, dass ich es tue und kann es doch nicht lassen … Selbsthass ist mir nicht allzu fremd, aber der Gedanke, ohne dich zu leben ...“ Setos Stimme erstarb und er schüttelte nur den Kopf. Erstaunlich, wie er das so ruhig sagen konnte. So völlig objektiv, als würde er all seine Gefühle ganz genau kennen und würde gar nicht von ihnen bewegt werden. Als wären seine Gefühle nur ein interessantes Individuum, das es zu analysieren galt. Katsuya hätte ihm am liebsten eine rein gehauen. Ganz toll, dass er wusste, was er da fühlte und warum er es fühlte. Was eigentlich hinter dem steckte, was ihn diese Worte sprechen ließ. Diese grässlichen Worte. Konnte er nicht wenigstens ansatzweise so aussehen, als würde er die Scham, von der er sprach, auch empfinden? Er schnaubte und schüttelte den Kopf. Wut gab ihm erstaunliche Kräfte. „Eigentlich war ich runter gekommen, um dir zu sagen, dass ich dich keinesfalls verlassen will. Ich wollte hören, dass wir das irgendwie in den Griff bekommen“ Er musste schlucken, um den Knoten aus seinem Hals zu bekommen. „Jetzt kann ich an beides nicht mehr glauben.“ Setos Lider weiteten sich in Panik. Sollten sie doch. Sollte er doch mal genau die Angst empfinden, von der er die ganze Zeit sprach. Die Angst, die Panik, den absoluten Terror davor den Menschen zu verlieren, den man über alles liebte. Genau den Menschen, den Katsuya bereits verloren hatte. „Weißt du eigentlich, was für ein Arschloch du bist?“ Katsuya stieß sich von Sofa ab und kam zu stehen. „Mir zu verschweigen … mir vorzuenthalten, wie tief gestört du eigentlich bist“ Er schüttelte den Kopf und raufte sich die Haare. „Eigentlich kann ich dir das nicht vorwerfen, denn du hast es mir gesagt. Ich hatte nur keine Ahnung, wie schlimm dieses schlimm eigentlich ist und du hast nicht einmal versucht, mich darauf vorzubereiten. Du hast das alles vor mir versteckt. Du hast mit Tabletten Teile deiner Persönlichkeit unterdrückt, nur um mir einen Menschen vorzulügen, der du nicht bist“ Erneut traten Tränen in seine Augen und seine fast schreiende Stimme beruhigte sich etwas. „Dieser Mensch, den ich liebe, gibt es den überhaupt? Sollte mich deine Selbstmorddrohung wirklich beunruhigen, wenn du gar nicht der Mensch bist, den ich liebe?“ Seto schluchzte auf, zog die Beine an seinen Oberkörper und drückte sein Gesicht dagegen. Aber es hielt Katsuya nicht auf: „Lass mich raten … du bist das Opfer und ich der Idiot, der dich einfach nicht verstehen kann. Der zu doof war, um deine Worte zu entziffern und dich als den Mensch zu sehen, der du eigentlich bist. Du bist ein egoistisches Arschloch. Du hast mir einen Menschen vorgelogen, um mich an dich zu binden. Und jetzt hast du ihn mir weggenommen und lässt mich mit den Scherben zurück, die von dir noch übrig sind. Und schlussendlich verlangst du von mir, dass ich sie aufsammle, zusammensetze und lieb habe? Meinst du nicht, dass du ein bisschen viel verlangst?“ Dieses heulende Ding auf der Couch löste ihn ihm nicht den geringsten Funken Mitgefühl aus, aber die Erinnerung, was für ein Mensch Seto sein konnte, gab seiner Wut einen Schlag in die Seite. „Wer bist du, Seto? Was für ein Mensch bist du wirklich? Und sei ehrlich – glaubst du, ich könnte diesen Menschen lieben?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)