Delusive Society von Gepo (Dritter Teil der DS-Reihe) ================================================================================ Kapitel 65: Panik ----------------- Die jährliche Konferenz, die ich organisiere, ist mal wieder vorbei und ich bin zutiefst entspannt :) So entspannt, dass ich gestern bereits das Kapitel für nächste Woche getippselt habe und gleich mit dem für übernächste anfange. Ich muss dabei aber gleich schonmal vorweg nehmen, dass das hier zwei Menschen sind und nicht das Musterbeispielpaar für "Wie gehe ich mit meinem kranken Partner um". Die nächsten paar Kapitel werden nicht sehr hübsch, auch wenn sich beide erstaunlich viel Mühe geben (Betroffene können euch sicher Schauergeschichten erzählen, wo ihr nur den Kopf schütteln werdet). Das Leben ist leider nicht immer schön - dennoch viel Spaß beim Lesen ^.^ _________________________________________________________________________________ Katsuya ging wortlos direkt zum Sessel und setzte sich hinter Seto, der an der Vorderkante saß, um es bis zum Tisch nicht so weit zu haben. Teddy stand bereits neben dem Sessel auf dem Boden. „Bist du fertig mit Saubermachen?“, fragte Seto – Klein-Seto – fröhlich. „Nein, Bakura wollte lieber ohne mich weitermachen. Äh … er würde gern mit dir reden, Ryou.“ „Okay“ Lächelnd, als könnte das niemals eine schlimme Nachricht sein, legte dieser seine Karten zur Seite. „Ich verliere eh gerade. So kann ich mit Würde gehen.“ „Und was machen wir dann?“, wandte sich Seto an Yami. „Katsuya sieht so aus, als würde er dich gern etwas im Arm halten. Und du warst vorhin schon müde, nicht?“ „Ich bin nicht müde“ Seto ließ sich trotzdem nach hinten fallen – was Katsuya husten ließ, weil er doch ziemlich schwer war. „Aber kuscheln ist toll“ Er drehte sich zur Seite, ließ die Beine über die Lehne hängen und legte seinen Kopf auf Katsuyas Schulter. Es dauerte nur Sekunden, bis er die Augen schloss und sein Atem sich beruhigte. Katsuya legte die Arme um ihn und flüsterte zu Yami: „Das ist nicht gut. Ruhe ist nicht gut. Wirklich, ich … kannst du ihn nehmen?“ „Du bist kurz vor dem Ausrasten, oder?“ Der Andere stand auf, ging zur Tür – er wollte jetzt nicht ehrlich gehen, oder? –, schloss diese und kam wieder zu ihnen hinüber. „Lass mich ihn wecken, ja? Kannst du dich so lange zurückhalten?“ Zurück halten? Seto anzuschreien? Er wollte ihn doch nicht anschreien! Er … okay, vielleicht wollte er ihn anschreien. Aber es war doch gar nicht Setos Schuld. Er hätte es ihm trotzdem sagen können. Ihn vorwarnen können. Oder zumindest … hätte er sich nicht zusammenreißen können, bis es ihm etwas besser ging? Musste er unbedingt jetzt auseinander brechen? Okay, das war vielleicht selbstsüchtig, aber Seto war hier der Erwachsene, also hatte er auch … nein, er hatte nicht, aber es fühlte sich so an, als müsste er. Scheiße. Was für ein Chaos. Was auch immer aus seinem Mund kommen würde, er würde es bereuen. Yami schüttelte währenddessen Setos Schulter und sagte dessen Namen. Es öffneten sich graublaue Augen, ganz die Farbe, die er normalerweise hatte. Nicht dieses stechende, kalte Hellblau des TI und auch nicht das kindlich funkelnde Blau der EP. Einfach das trübe Graublau, was so zutiefst Seto war. Katsuya drückte ihn in eine aufrecht sitzende Position und stand auf. Besser als das Bedürfnis, ihn vom Sessel zu werfen und zuzutreten. „Seto? Wach auf.“ „Was?“ Der Brünette blinzelte, als hätte man ihn aus dem Tiefschlaf geholt. „Was ist … Yami?“ „Du warst ein bisschen weggetreten. Woran kannst du dich noch erinnern?“ Seto jedoch sah sich nur ihm Raum um, während sich sein Blick klärte. Er schielte im Augenwinkel auf seine Uhr und atmete scharf ein, als er die Zeit sah. Ja, Seto, genau das waren Blackouts. Und woher kamen die? Wohl das TI etwas zu lange mit Tabletten unterdrückt. Katsuya ballte die Hände zu Fäusten und brachte mit verhaltener Wut hervor: „Okay, hört zu. Ich kann das nicht. Ich flippe gleich aus, wenn ich hier bleibe. Seto, ich liebe dich, aber gerade fehlt mir die Erinnerung daran. Ich gehe … spazieren. Bis dann.“ Ohne ein weiteres Wort verließ er den Raum. Auch wenn er es nicht wollte, die Tür knallte hinter ihm zu. Scheiße, was war das für ein Auftritt gewesen? Was musste Seto jetzt nur denken? Wahrscheinlich war das letzte, an das er sich erinnerte, der Streit mit Yami. Wenn überhaupt. Wenn da nicht schon das TI so weit durch war, dass ihm jetzt … andererseits erinnerte er sich doch normalerweise, was er in seinen anderen Persönlichkeiten getan hatte, oder? Außer dem einen Mal, wo er ein paar Stunden Klein-Seto gewesen und dann über dem Hackfleisch wieder zu sich gekommen war. Wo er diesen Krampfanfall gehabt hatte … scheiße, hoffentlich ging es ihm gut. Hoffentlich konnte Yami ihn beruhigen. Hoffentlich … Warum zur Hölle war er so wütend? Warum hatte Setos TI ihn angeekelt? Warum hatte er diese Gefühle, die er nicht wollte? Er wollte doch nur, dass Seto und er in Ruhe leben konnten. Ohne diese Anfälle, ohne all diese Probleme, ohne die immer wieder hochkommenden Erinnerungen a- Katsuya erstarrte. Er war einfach in irgendeine Richtung losgegangen. Er war auf einer Straße mitten in einem Wohngebiet. Genau so eine Straße wie die, auf der- er fuhr herum. Sein Atem ging schnell. Waren hier Leute? Ein Laster? Ein Transporter? Konnte hier irgendwer versteckt sein? Er rannte zurück in die Richtung, aus der er gekommen war. Er war doch immer geradeaus gelaufen, oder? Nein, irgendwo war er abgebogen. Wo? Wo war Setos Haus? Sein Atem ging panisch, während er lief, als wären sie noch immer hinter ihm. Er musste in Sicherheit. Zurück in Sicherheit. Wo war Seto? Wo war ihr Haus? Warum hatte er noch nie die Gegend erkundet? Er jaulte auf wie ein gequältes Tier. Wo war er? Wo war Seto? Er bog um eine Ecke und rannte fast in eine ältere, dickliche Dame. „Du!“ Sie war ihm ausgewichen und nach hinten gegen einen Gartenzaun gekippt. „Du kleines Ungeheuer! Du bist doch dieser Junge, der ...“ Den Rest ihres Gezeters hörte er nicht mehr, da er weiter gerannt war. Das Bellen ihres Hundes – irgendetwas Kleines, er war fast darüber gestolpert – war noch länger zu Hören, aber er konnte nur an zuhause denken. Er wollte hier weg. Er musste sich in Sicherheit bringen. Vielleicht hatte Pegasus neue Leute auf ihn angesetzt. Sie waren hier sicher irgendwo. Warteten nur darauf, ihn allein zu kriegen. Warum war er raus gegangen? Warum? Er rannte um eine weitere Ecke und erkannte die Häuser. Sie sahen alle aus wie Reihenhäuser. Reihenhäuser wie ihres. Er musste richtig sein. Sein Haus musste hier irgendwo sein. Er musste es nur finden. Er rannte, seine Seiten brannten, sein Atem ging unregelmäßig und stoßweise. Irgendwo hier. Er musste nur- Da! Da war Setos Auto. Ihr Haus! Er sprintete über den Vorgarten, ganz egal, auf was für Blumen er trampelte. Er schmiss sich gegen die Tür, klingelte, klopfte, schrie und es dauerte trotzdem endlos, bis Bakura öffnete. Er stolperte hinein, fiel gegen diesen und nur Sekunden später war alles schwarz. Stimmen. Getuschel. Ein Knurren. Sich entfernende Schritte. Katsuya blinzelte, aber selbst mit offenen Augen war alles verschwommen. Ah … langsam klärte es sich. Wohnzimmer, wenn er nicht allzu falsch lag. Und die Haare konnten nur Yami gehören. „Wajisch pajiert“ Er schüttelte den Kopf und konzentrierte sich. „Was ist passiert?“ „Du warst kurz ohnmächtig, weil du nicht mehr genug Sauerstoff hattest“ Yami strich ihm über den Kopf. „Denke ich … du scheinst gerannt zu sein.“ Gerannt? Ja … er griff nach Yamis Hand und drückte diese. Er war in Sicherheit. Er war im Haus. Hier würden sie ihn nicht finden. Hier würden sie sich nicht rein wagen. Er war sicher. Er atmete tief durch. „War da draußen jemand?“, fragte der Andere vorsichtig. Katsuya schüttelte nur den Kopf und erwiderte: „Nein … ich dachte nur, es könnte jemand da sein … und plötzlich hatte ich Angst.“ Das Wort Angst war milde untertrieben. Panik oder nackter Terror würden es eher treffen. Yami hob ihre sich umklammernden Hände und setzte einen Kuss auf Katsuyas Handrücken. Er flüsterte fast, als er erklärte: „Er hat keine Besuchsrechte. Seine Anrufe werden überwacht. Selbst, wenn er wollte, er könnte niemanden schicken. Du bist sicher da draußen“ - die violetten Augen wandten sich zu Boden - „ich weiß … das hilft der Angst nicht viel. Du wirst sie trotzdem haben. Aber sag es dir immer wieder, wenn die Panik kommt.“ Katsuya nickte langsam, bevor er sich vorsichtig aufsetzte. Anscheinend war er wirklich nur körperliche Ermüdung gewesen, die ihn kurz umgeschmissen hatte, denn sein Körper gehorchte einwandfrei. Er legte die Arme um den neben ihm auf der Couch Sitzenden und flüsterte zurück: „Die Angst … sie kommt nur, wenn ich allein bin. Mit Seto hatte ich keine Angst. Aber wenn ich jetzt daran denke, da raus zu gehen ...“ „Die Angst wird nachlassen. Du musst nur immer wieder üben. Seto hilft dir bestimmt.“ Nach einem müden Nicken richtete er sich auf und setzte sich richtig hin, um sich gegen die Lehne zurückfallen lassen zu können. Mit dem Blick über dem Kaminsims fragte er: „Wie geht es ihm?“ „Seto? Tja“ Yami seufzte, lehnte sich ebenfalls zurück und legte seinen Kopf auf Katsuyas Schulter. „Er hat alles einfach nur abgenickt. Keine einzige emotionale Reaktion … keine Ahnung, ob die noch kommen und ob seine anderen zwei Persönlichkeiten seine Emotionen für die nächste Zeit erstmal aufgebraucht haben“ Die violetten Augen sahen zu ihm auf. „Wenn du ein objektives Gespräch ohne jede Verlustangst seinerseits führen willst, wäre das jetzt wohl der richtige Moment.“ Katsuya schüttelte den Kopf, bevor er auch nur darüber nachgedacht hatte. Wäre das denn nicht gut? Man konnte gut mit ihm schwierige Dinge klären, wenn seine Emotionen dazu nicht da waren. War vielleicht nicht das Beste, aber hatte bisher immer gut geklappt. Er fühlte in sich hinein. Und stieß auf ein schwarzes Loch. „Ich bin am Ende“, teilte er dem Anderen mit, „ich kann heute gar nichts mehr. Weder Seto noch Bakura noch Ryou. Ich bin völlig fertig.“ „Manchmal ist es gut, sich einfach zurück zu ziehen“ Yami richtete sich auf und nickte. „Soll ich dich hoch bringen? Und ins Bett packen?“ Whatever … Katsuya nickte einfach nur. Gerade würde er alles machen, wenn am Ende nur das Wort Ruhe stand. Dachte er. Glaubte er. Wie täuschend konnte der eigene Glaube sein. Katsuya seufzte. Er drehte sich auf seinen Rücken und starrte die Decke an. Zurück auf die Seite mit den zugezogenen Gardinen im Blick. Er seufzte erneut und schloss die Augen. Es brachte ihm nur das Bild des Wellblechdaches, das er stundenlang betrachtet hatte. Die Arme um sich selbst gelegt zog er die Beine an und die Decke höher. Schlaf entzog sich ihm. Mit tiefen Falten zwischen seinen Augenbrauen hob er die Lider wieder. Warum sollte er sich Schlaf wünschen? Schlaf brachte nur Alpträume. Aber nicht zu schlafen brachte ihm die Erinnerungen. Was sollte er denn tun, um dem allen zu entkommen? Würde es ihn je allein lassen? Sein Vater hatte ihm nur Alpträume beschert. Warum machte ihm diese eine kurze Erfahrung solche Schwierigkeiten? Warum konnte er seinen Blick nicht von der Vergangenheit abwenden und ihn die Zukunft schauen? Warum zog ihn seine Erinnerung wie ein schwarzes Loch immer zurück an die Punkte seines Lebens, die er nie wieder sehen wollte? Er wollte doch wie ein Sturm sein. Aber die Erinnerung holte ihn immer wieder ein. Wie seine Mutter auf ihn zeigte. Wie sein Vater die Tür vor seiner Nase schloss. Die Kälte des stählernen Balkens, der sich zwischen seinen Schulterblättern in seinen Rücken brannte, während … er kniff die Lider zusammen, riss sie wieder auf, aber nichts konnte die Bilder vor seinen Augen verbannen. Ein Schluchzen brach aus seiner Kehle. Er wollte sich in Setos Arme flüchten. Wollte sicher gehalten werden von dem einzigen Menschen, der ihn beschützen konnte. Er wollte zurück zu diesem Mann, der mit klarer, überzeugter Stimme sagte, dass alles gut werden würde. Dass sie das zusammen durchstehen würden. Dass er an seiner Seite war, egal, was kam. Nur war dieser Mensch eine Lüge gewesen. Eine Illusion durch das Verbannen all der Ängste, Gedanken und Wünsche, die jeder Mensch mit sich trug. Eine Konstruktion einer Persönlichkeit, die Seto für sich selbst wünschte oder zumindest für das passendste für ihn hielt. Was konnte romantischer und hingebungsvoller sein als ein Mensch, der seine Persönlichkeit spaltete, um perfekt zu sein für den einen Menschen, den er über alles liebte? Aber was konnte trauriger und kranker sein als genau dieser Fakt? Dass Seto das, was er ihm nicht zeigen wollte, mit Tabletten unterdrückt hatte, damit es niemals hervor brach? Dass er die Tiefen seines Selbst versteckt hatte, um Katsuyas Hass zu entgehen? Es war wohl nur natürlich für ihn. Aus Angst vor Ablehnung das zu verstecken, was in ihrer beider Augen schwach war. Was ihn beim ersten Anblick mit Hass und Abscheu erfüllt hatte. Und was waren das für Gedanken … den einen Menschen, den man über alles liebte, zu verachten? Vielleicht nur eine Seite, eine Eigenschaft, aber wie konnte er behaupten zu lieben, wenn in diesem Gefühl Ablehnung wie auch Wut mitschwamm? Wie konnte er sagen, er würde lieben, wenn er seinem Freund das nicht hatte sagen können, wenn es darauf ankam? Was sollte er tun? Nicht in der Lage zu schlafen, nicht in der Lage wach zu sein. Nicht in der Lage zu lieben und auch nicht zu hassen. Nicht in der Lage, zu Seto zu gehen und nicht imstande dazu, ohne ihn zu bleiben. Nicht in der Lage, eine Entscheidung zu treffen und nicht einmal in der Lage zu erkennen, was seine Entscheidung sein könnte. Die Tränen rannen seine Wangen hinab und durchnässten das Kissen, das unter seinem Kopf kalt blieb. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)