Delusive Society von Gepo (Dritter Teil der DS-Reihe) ================================================================================ Kapitel 58: Vergewaltigungen ---------------------------- Das Kapitel schrieb sich praktisch von selbst ^v^ Ich freue mich, mal wieder etwas Fachliches zu schreiben. Wisst ihr, dass es nur sehr wenige Psychologen gibt, die mit dem Thema Vergewaltigung gut umgehen können, obwohl es ein so häufiges Thema ist? Die Fachliteratur dazu ist ehrlich gesagt auch ziemlich mau. Es ist schon echt erstaunlich. Ich habe das Gefühl, das Problem wird in Medizin mehr erörtert als in der Psychologie ô.o (was übersetzt heißt: Wir hatten zwei Vorlesungen dazu - und das auch nur, weil Ärzte wegen der Nachuntersuchung oft verklagt werden) Nun, viel Spaß beim Lesen ^.- _________________________________________________________________________________ „Katsuya?“ Seto strich über seine Wange. „Was ist los?“ „Tut mir Leid“ Sein Körper bebte unter seinem unterdrückten Schluchzen. „Ich, hick, ich wollte dich nicht wecken.“ „Schon okay“ Dieser drehte sich zu ihm und zog ihn an seinen Körper, auf dem er vorher ja schon halb gelegen hatte. „Hattest du einen Alptraum?“ Ja. Nein. Er hatte sein Leben, war das Alptraum genug? Er schluchzte einfach nur statt irgendeine Antwort zu geben. Verdammt, alles ging einfach nur den Bach runter. Er konnte das hier nicht. Das hier alles. Bei Seto sein trotz seiner Angst, verletzt zu werden. In seiner Nähe sein trotz der Angst, ihn zu verletzen. Bei ihm bleiben, obwohl er nicht wusste, ob er jemals … jemals das sein konnte, was Seto sich wünschte. Was Seto verdiente. Und trotzdem konnte er ihn nicht verlassen. Wo sollte er schon hin? Es gab kein Zuhause, in das er zurückkehren konnte. Keine Menschen, die ihn mit offenen Armen begrüßen würden. Seto war alles, was er hatte. Und Seto war alles, was er je gewollt hatte. Dieser hielt ihn in seinen Armen, küsste seine Haut und murmelte irgendwelchen beruhigenden Nonsens. Er streichelte seine Haut und seine Seele. Katsuya zog sich an ihn. Am liebsten würde er tief in Seto sinken. Einfach mit ihm verschmelzen. Nie wieder von ihm getrennt sein. Den ganzen Tag lang seinen Herzschlag hören und sich sicher fühlen. Wenn er ehrlich war, dann hatte er vor nichts mehr Angst als von Seto getrennt zu sein. „Ich liebe dich“, flüsterte er leise, „Egal, was passiert, ich liebe dich.“ „Katsuya?“ Seto nahm seinen Kopf etwas weg, um ihn anzusehen, aber er zog sich nur näher, um wieder bei ihm zu sein. „Katsuya, du machst mir gerade ein wenig Sorgen. Was ist los?“ Er schwieg einfach nur und klammerte sich wie einer kleiner Affe um Seto. Das Schluchzen und auch die Tränen beruhigten sich langsam, aber die Gefühle blieben leider. Die Angst. Immerwährende Angst. Er begann zu verstehen, was Seto jeden Tag durchmachte. Immer nur Angst, immer nur kreisende Gedanken, nicht einen Moment Ruhe. Man schlief ein mit der Angst, man wachte auf mit Angst. Okay, gestern war er zumindest kurzzeitig immer mal wieder abgelenkt gewesen, aber da war trotzdem so viel Angst. Er wollte nicht mehr. Er konnte nicht mehr. Das hier würde jeden wahnsinnig machen. Seto seufzte und strich durch das blonde Haar. Er küsste Katsuya hinter dessen linken Ohr, da das der einzige Platz war, den seine Lippen erreichen konnten. Sie blieben einfach so liegen und er verlor jede Art von Zeitgefühl. Vielleicht waren es nur Minuten. Vielleicht waren es Stunden. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn es bereits wieder dunkel gewesen wäre, als Seto sich erhob und ihn dabei Richtung Dusche trug. Schließlich klammerte er sich immer noch an ihm fest. Nach ein paar Minuten, die das Wasser über sie gelaufen war, ließ er sogar die Beine sinken und stellte sich hin. Allerdings löste er sich nicht ansatzweise von Seto. Da dieser seine Arme halbwegs frei bewegen konnte, übernahm er alles. Shampoo, Spülung, Duschgel – er schaffte es sogar eine Hand zwischen sie zu bringen, um sie beide einzuseifen. Nach ein paar weiteren Minuten trennte Katsuya sich ein Stück von ihm, damit der ganze Schaum auch abgespült werden konnte. Zum Abtrocknen später war er glatt so weit, Seto nicht mehr zu berühren, aber er blieb in seiner Nähe. Yami klingelte, als sie sich gerade über ein Frühstück her machten. Katsuya hörte nicht wirklich hin, was die beiden sich im Flur erzählten, er richtete seine ganze Konzentration auf eine Schale Müsli. „... gut, danke. Es ist spät geworden, aber wir haben ...“ Yami, der in die Küche spaziert war, verlangsamte gleichzeitig seine Schritte und seine Stimme. „Wir haben ja schon Nachmittag. Na ja. Ihr scheint auch länger geschlafen zu haben. Guten Nachmittag, Katsuya“ Er trat an ihm vorbei und stellte eine Plastiktüte in den Kühlschrank. „Ich hoffe, ich störe nicht.“ „Nein, kein bisschen“ Seto zog wie ein echter Gentleman einen Stuhl vor, damit Yami sich setzen konnte. „Möchtest du auch etwas?“ „Ein Glas Milch, bitte“ Der Rothaarige lehnte sich etwas vor und versuchte, Katsuyas Blick zu erhaschen. „Ist er in Dissoziationen?“ „So halb. Er bewegt sich, aber er antwortet nicht mehr. Wenn ich mich zu weit weg bewege, fängt er an zu wimmern“ Seto atmete tief durch, servierte Yami die Milch und trank einen Schluck Kaffee. „Das ist schon seit dem Aufstehen so. Er hat geweint, aber er wollte nicht sagen, was los ist.“ „Stress bewirkt so etwas“ Yami strich über seinen Oberarm und lächelte das gesenkte Gesicht an. „Genauso wie das Verlieren von Stress. Das könnte eine Entspannungsreaktion darauf sein, dass die Sache mit Pegasus jetzt vom Tisch ist.“ „Ja, aber gestern Abend hat er noch geredet. Er hat sogar gelächelt und Witze gemacht.“ „Seto, das nennt man Verdrängung“ Auch wenn Katsuya es nicht sehen konnte, er konnte praktisch spüren, wie Yami die Augenbrauen hob. „Dieser Zustand sagt zumindest, dass er es verarbeitet.“ „Oder dass er völlig überfordert ist“ Seto drehte seinen Stuhl etwas und legte die Füße auf einen weiteren – eine Pose, in der Katsuya ihn noch nie gesehen hatte. „Das hier wäre für jeden zu viel. Die Entführung, die … die Vergewaltigung, die Morde, die Erkrankungen, die Festnahme … das passiert alles ein bisschen schnell und unerwartet, weißt du. Vielleicht sollten wir einen Psychotherapeuten einschalten. Oder eine Klinik. Oder eine Kur, wie wäre das? Oder einfach nur ein Urlaub, irgendwo weit weg von hier. Ihn auf andere Gedanken bringen.“ „Ich weiß, du meinst es gut, aber mit diesen Problemen kannst du ihm nicht helfen. Das, was ihn auffrisst, ist mit seinem eigenen Körper passiert. Und davon kannst du ihn nicht trennen … zumindest nicht ohne größere Anstrengungen“ Yami lehnte sich über den Tisch und griff Setos Hand. „Eine Vergewaltigung ist etwas vollkommen anderes als eine Tracht Prügel. Natürlich tut beides weh und beides stört deine Integrität. Du fühlst dich schuldig, gedemütigt und betrogen. Allerdings auf ganz anderen Ebenen.“ Seto erhob sich mit einem Seufzen und trennte so den Kontakt zu Yami. Mit seinem Kaffeebecher in der Hand begann er auf und ab zu gehen. „Vergewaltigt werden … weißt du, wenn jemand dich schlägt, dann weißt du meistens auch einen Grund. Entweder, du hast Mist gebaut – und dann hast du es meistens sogar verdient – oder der andere ist scheiße drauf und du warst zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort. Wenn du vergewaltigt wirst, dann ist das eigentlich das gleiche, aber es fühlt sich zutiefst anders an. Es gibt ziemlich wenige Leute, die so psychisch gestört sind, dass sie Vergewaltigungen als Strafe benutzen. In den meisten Fällen ist jemand scheiße drauf und du bist zur falschen Zeit am falschen Ort. Aber das glaubst du nie. Du glaubst immer, du seist schuld. Die Klamotten, die du getragen hast, die Worte, die du gesagt hast, dein Aussehen, dein Auftreten … alles. Du suchst immer zuerst Schuld bei dir selbst. Und das tust du sogar noch lange später, wenn du schon lang wieder heulst und schreist. Und weißt du warum?“ Einen Moment herrschte einfach Stille. Wahrscheinlich gab Seto irgendein Zeichen, aber Katsuya konnte es nicht sehen. Er wusste nicht einmal, was er überhaupt wahrnahm oder nicht. Alles schien unendlich weit entfernt. „Weil die Tatsache, dass man nicht daran schuld ist und das nichts, was man hätte tun können, irgendetwas geändert hätte, bedeutet, dass man hilflos war. Und das ist die schlimmste Erkenntnis von allen: Zu erfahren, dass man hilflos war.“ Seto atmete tief durch, aber das Ausatmen hörte sich eher nach einem Seufzen an. Er ging mehrfach auf und ab, bevor er jedoch antwortete: „In Pädagogik haben wir ein bisschen was über Vergewaltigungen gelernt. Dass man niemals die Schuld beim Opfer suchen sollte. Das weiß ich. Ich weiß, dass absolut nichts, was Katsuya hätte tun können, etwas geändert hätte. Aber der Gedanke macht mich wahnsinnig und ich war nicht mal dabei“ So etwas wie ein Knurren verließ Setos Kehle, während er sich durchs Haar fuhr. „Ich werde wütend, wenn ich nur daran denke. Zu wissen, dass dieser … dieser schmierige Mistkerl meinen Verlobten angefasst hat! Ich wünschte, ich könnte ihn umbringen.“ Yami hob das Glas Milch vor seine Lippen und nippte daran. Er verfolgte Seto aufmerksam mit den Augen. Unter dem Tisch legte er ein Bein über das andere. „Wut ist eine normale Verarbeitungsreaktion. Katsuya wird sie auch haben, sobald … er sich etwas gefestigt hat“ Yami ließ eine weitere Pause, um auf eine Reaktion zu warten, die nie kam. „Bis dahin kann deine Wut ihn sich beschützt fühlen lassen … oder bedroht.“ „Ich bin doch nicht wütend auf ihn!“, zischte Seto. „Ja … aber er hat eine Vorgeschichte mit Erfahrungen, dass sich Wut unerwartet gegen ihn richtet“, versuchte Yami zu erklären. „Scheiße“, knurrte Seto einfach nur und trat gegen einen Stuhl, sodass dieser mit lautem Poltern auf die Fliesen schlug. „Und … ehrlich gesagt hast du keine Vorgeschichte, deine Wut immer gut unter Kontrolle zu haben“, warf der Sitzende vorsichtig ein, „ehrlich gesagt machst du mir gerade Angst. Magst du vielleicht ein paar Schlücke Kaffee nehmen und einmal tief durchatmen?“ Das Grollen, das für den Kommentar durch die Küche hallte, hätte sogar von einem echten Drachen kommen können. Einen Moment später hörte man Seto jedoch wirklich tief durchatmen, bevor er seinen Kaffeebecher zurück auf den Frühstückstisch stellte und den Stuhl aufhob. „Danke“ Yami nahm einen größeren Schluck Milch. „Tief in dir drin weißt du, dass du hilflos warst. Deswegen suchst du als allererstes verzweifelt nach Sicherheit. Dieses Haus hier ist Katsuyas Sicherheit. Du bist Katsuyas Sicherheit. Er wird sich in den nächsten Tagen an dir festklammern wie an einem Rettungsseil.“ „Wäre mir nie aufgefallen“, erwiderte Seto mit vollem Sarkasmus. „Und je sicherer er sich fühlt, desto mehr wird er sich mit seinen Gefühlen auseinander setzen. Allen voran den Schuldgefühlen und der Hilflosigkeit. Und dann dem Selbsthass. Eine Vergewaltigung gehört zu den größten Demütigungen überhaupt. Man fühlt sich schmutzig und kaputt und nicht ansatzweise liebenswert. Lange Duschphasen, wo man sich die Haut vom Leib schrubbt, das Wasser zu heiß dreht, sogar selbstverletzendes Verhalten … das ist für kurze Zeit ganz normal. Alles, was du tun kannst, ist ihn im Arm zu halten und ihm zu sagen, dass er schön ist, dass du ihn liebst und dass die Vergewaltigung daran nichts geändert hat.“ „So viel hat mir mein gesunder Menschenverstand auch schon verraten“, murmelte Seto leise, „nach den ersten zwei besorgniserregenden Duschattacken bin ich heute mit ihm duschen gegangen.“ „Vergiss bitte nicht, dass die Gefühle daher kommen, dass etwas Fremdes ungewollt in deinen geschützten Bereich eingedrungen ist. Egal, wie gut deine Intentionen sind, wenn du in seine Privatsphäre eindringst, wird ihn das retraumatisieren“, erklärte Yami. „Ich soll ihn weiter seinen Körper zerstören lassen?“ In Setos Stimme mischte sich der altbekannte Sarkasmus. „Wenn es nicht lebensbedrohlich wird – ja.“ Seto schnaubte nur und trank Kaffee. „Es gibt noch einen letzten entscheidenden Unterschied“, setzte Yami nach einigen Momenten des Schweigens ein, „Und zumindest für mich war das der schwerste Teil.“ „Was kann man neben Schuld, Hilflosigkeit und Selbsthass denn noch mitmachen?“, erwiderte Seto schon fast flippig. „Die guten Gefühle.“ Mit zwei Stäbchen wurden drei Bohnen im Schinkenmantel – ein Überbleibsel vom gestrigen Abendessen – von der Platte in der Mitte des Tisches genommen und zu Setos Mund geführt. Er kaute, schluckte und schwieg immer noch. Irgendwann fuhr Yami von selbst fort: „Es mag denen, die eine Vergewaltigung nicht selbst erlebt haben, nicht unbedingt verständlich sein, aber sie lässt dich gut fühlen. Auf einer rein physischen Ebene bist du unglaublich erregt, auch wenn dein Herz etwas ganz anderes sagt. Und … das ist wirklich schlimm … das ist, als … als würde dein Körper gegen dich arbeiten. Als wäre das, was du fühlst, falsch … als wäre es falsch, dass es falsch ist.“ Yami lehnte sich vor und bedeckte sein Gesicht mit einer Hand. Sein Atem kam zittrig. Schließlich atmete er tief durch den Mund ein und aus – wahrscheinlich um die Tränen zurück zu halten. Katsuya kannte die Technik bei ihm. „Du fragst dich, ob du es nicht doch wolltest. Ob es wirklich eine Vergewaltigung war, wenn du doch erregt warst. Ob du nicht einfach nur krank bist und drauf stehst, dass andere … wenn andere sich an dir vergehen. Und du hörst ihre Stimmen. Sie sagen das immer. Dass du es doch auch willst. Dass sie nichts Falsches tun. Und … du glaubst ihnen.“ „Shit!“ Mit einem lauten Krachen flog der Stuhl, den Seto wieder aufgestellt hatte, gegen die Wand. Die Stäbchen, mit denen er gegessen hatte, legte er dagegen schon fast andächtig auf den Tisch – nur waren sie beide zerbrochen und gesplittert. Yami fuhr mit einer Hand über Katsuyas Oberarm. Wen auch immer er damit beruhigen wollte. Er nahm einen Schluck Milch mit der anderen, obwohl das Glas schon leer war. Ein einzelner Tropfen rang sich noch den Weg hinab. „Bitte … ruhig … kontrolliert Wut ablassen“, flüsterte er und beobachtete Seto mit scharfem Blick. „Sorry“, brummte Seto und versenkte sein Gesicht in seinen Händen, „Wie soll ich das je wieder gut machen?“ „Indem du den Gedanken verarbeitest, dass es auch nicht deine Schuld war, Seto. Du konntest das nicht voraussehen und nicht verhindern“ Yami ließ eine weitere Pause, um auf eine mögliche Reaktion zu warten. „Das ist wie mit Katsuya und der Vergewaltigung. Er konnte nichts tun, er war hilflos. Du, Seto … du konntest auch nichts tun. Du warst ebenso hilflos.“ „Ich war nicht hilflos! Ich hätte nur mehr nachdenken müssen. Ich hätte wissen müssen, dass dieser Dreckskerl uns nicht in Ruhe lässt“, fluchte Seto, „ich hätte Katsuya beschützen müssen. Es hätte mich treffen müssen, wenn überhaupt … und nicht ihn.“ Katsuya hob seinen Blick ein wenig, um Seto anzusehen. Gerade sah er aus, als hätte die Hölle ihn gefressen und wieder ausgekotzt. Sein Haar war wirr und seine Augen wie verfolgt … wie gejagt. Er streckte eine Hand aus und schloss die um Setos, die auf dem Tisch lag. Setos blaugraue Augen flickerten zu ihm hoch. „Scheiße“ Er wandte den Blick wieder ab. „Es tut mir so Leid, Katsuya.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)