Delusive Society von Gepo (Dritter Teil der DS-Reihe) ================================================================================ Kapitel 47: Das Rauschen der Wellen ----------------------------------- Habe ich euch mit dem letzten Kapitel so sehr geschockt? Aber ja, das passiert wirklich. Keine Sorge, ich beschreibe keine Details, aber leicht geht es natürlich nicht weiter. "Viel Spaß beim Lesen" klingt etwas unangebracht, aber ihr wisst, was ich meine, nicht? _________________________________________________________________________________ Katsuya hatte sich das anders vorgestellt. Er dachte an das kuschelig weiche, weiße Fell, das Seto wahrscheinlich wirklich noch irgendwie besorgt hatte. Er dachte an die sanfte Wärme des Feuers, das vor kurzer Zeit im Kamin geflackert hatte. Er dachte an Äpfel mit Zimt und an Orangen und die gefüllte Gans – ein französisches Weihnachtsrezept, das er entdeckt hatte – die er für Seto hatte machen wollen. Vor allem dachte er an Seto. Setos Geruch, das Gefühl seiner Haut, die Wärme seiner Umarmung. Das sanfte Kitzeln seines Atems, wenn er etwas in Katsuyas Ohr hauchte und das Ziehen, wenn er danach spaßhaft hinein biss. Auch Seto hatte ihm schon weh getan. Sehr sogar. Wahrscheinlich mehr, als man ihm durch Folter antun konnte. In der Seele auf jeden Fall. Er hatte ihn auch schon geschlagen. Ihn sogar schon lebensgefährlich verletzt. Katsuya hatte schon öfters vor ihm Angst gehabt. Vor einem neuen Schmerz, einer neuen Verletzung. Er hatte Angst vor entwürdigenden Worten, herabsetzenden Taten und bisweilen auch Schlägen. Aber er hatte nie ernsthaft Angst gehabt, vergewaltigt zu werden. Nicht jetzt bei Seto, nicht früher auf der Straße. Obwohl er mehrfach miterlebt hatte, wie Yami aus einer Vergewaltigung kam – einmal sogar dabei gewesen war – hatte er das nie auf sich bezogen. Wer sollte ihn schon vergewaltigen wollen? Er war groß, er war eher muskulös, er war vielleicht attraktiv, aber nicht gerade hübsch. Er war ein Kerl. Er war keine ätherische Schönheit wie Yami und nicht feminin wie Ryou. Es gab keinen Grund, warum irgendwer auf die Idee kommen sollte, ihn vergewaltigen zu wollen. Das alles könnten Gründe sein, warum in seinem Kopf die Worte „Das hier passiert nicht wirklich“ wie ein Mantra wiederholt wurden. Aber auch dieses Mantra verstummte nach kurzer Zeit. Sein Bewusstsein löste sich von seinem Körper und er erkannte ganz objektiv, dass er in Dissoziationen rutschte. Er wehrte sich nicht. Er genoss es. Das Gefühl absoluter Schwerelosigkeit umfing ihn und er erhob sich und schwebte davon. Er sah kurz auf seinen Körper, sah ihn auf den Boden liegen, die Hände blutig geschabt von den Handschellen, die Lider geweitet, den Blick stumm und regungslos in die Ferne gerichtet. Darunter wagte er nicht zu blicken, bevor er sich abwandte. Er schwebte durch die Fenster in der Decke hinfort. Ihn umfing das Rauschen der Wellen. Er spürte feinen, heißen Sand unter seinen Fingern. Die Sonne strahlte auf seinen freien Oberkörper. Und beim Zurücklehnen hörte er einen Herzschlag. Den Herzschlag seines Drachen. Er war sicher. Er war entkommen. Hier konnte ihm keiner weh tun. Er schloss die Augen und genoss die Ruhe. Erneut schoss ein ganz objektiver Gedanke durch seinen Kopf. Yami hatte ihm mal erzählt, dass er sich automatisch in Dissoziationen versetzte, wenn er wusste, er konnte nicht entkommen. Wenn er wüsste, er würde vergewaltigt werden. Er bereitete sich innerlich darauf vor, indem er sich schon vorher löste. Das war eine sehr gute Taktik. Der Strom sinnvoller Gedanken erlosch jedoch auch schnell wieder. Die Szenerie war einfach zu schön, als dass er jetzt nachdenken wollte. Er wollte einfach nur das Gefühl von Wärme und Sicherheit genießen. Denn hier war es schön. Hier gab es kein Leid. Hier war nur er mit seinem Drachen. Es gab keinen Hunger, keine Kälte und keine Schmerzen. Nur ihn und ewige Ruhe. Er erwachte zu Murmeln. Unverständlichem Murmeln links neben ihm. Er blinzelte die Augen auf und folgte der Stimme mit dem Blick. Neben ihm saß Dean und verband eine Hand, die mit einer dicken Schicht weißer Creme bestrichen war. Mit Verfolgen des Armes erkannte Katsuya diese Hand als seine eigene. Warum sollte jemand ihn verbinden? War er denn verletzt? Dean hielt inne und sah ihm tief in die Augen. Es war, als würde er etwas in ihnen suchen. Katsuya erwiderte den Blick ruhig. Sollte er doch suchen, so viel er wollte. Gerade war es ihm relativ egal. Alles fühlte sich wie in Watte gepackt an. Und in aller Ehrlichkeit: Es war ein verdammt angenehmes Gefühl. „Can you hear me?“, fragte der Amerikaner leise. Natürlich. Katsuya nickte. Versuchte zu nicken. Verwirrt stellte er fest, dass sein Körper ihm nicht die Nachricht gab, dass er genickt hatte. Er blinzelte stattdessen einmal. Das funktionierte. „Can you ... speak?“ Deans Stimme war kaum mehr als ein Hauchen. Es wirkte fast, als hätte er Angst, Katsuya allein durch den Klang seiner Stimme zu zerbrechen. Die Hand, die er verbunden hatte, hielt er noch immer in seiner. Er betrachtete ihn noch einen Moment stillschweigend, bevor er ob der nicht vorhandenen Antwort seufzte. „I am sorry, Katsuya“ Er sprach den Namen mit heftigem Akzent, aber er sprach ihn aus. „Not your fault“, flüsterte dieser zurück. Er richtete sich etwas auf und besah das Schadensobjekt, das sein Körper darstellte. Beide Hände und Unterarme waren einbandagiert. Er trug keinerlei Kleidung mehr sondern war stattdessen in mehrere Decken eingeschlagen. „Do you have any clothes?“ Dean reichte ihm stumm zwei Einkaufstaschen. In der einen fand er die Klamotten, die er vorher getragen hatte, in der anderen eine warme Kapuzenjacke und zwei Decken. Er betrachtete die erste Tasche, bis ein Seufzen über seine Lippen kam und er seine Jeans heraus zog. Er würde sie wohl oder übel wieder anziehen müssen. Ausdruckslos untersuchte er den Stoff auf Spermaspuren. Zum Glück fand er keine. „Guess you didn't clean me up?“, fragte Katsuya tonlos. „I didn't dare“ Deans Stimme schaffte es, fast kaum mehr hörbar, aber dennoch klar verständlich zu sein. „Is there any water around?“ „Uhm ... well ... I may give you a bottle if that helps.“ „Yeah“ Er zog auch sein Shirt aus der Tüte, um sich damit abzuwaschen. „Any possibility that you might ... turn around or something?“ „Ah, yeah, sorry“ Dean zuckte fast auf, drehte sich um und ging ein paar Schritte weg. Katsuya folgte ihm mit dem Blick. Ein paar Kisten weiter stand Jon mit dem Rücken zu ihnen und schien sich mit jemandem zu unterhalten, der sich durch die Lagersachen außerhalb von Katsuyas Blickfeld befand. Der Blonde lauschte und fühlte sich innerlich wieder starr werden. Die antwortende Stimme war die von Ted. Nachdem Katsuya sicherlich fünfzehn Minuten die Kiste angestarrt hatte, hinter dem der ... das ... er stand, wagte er sich aus den Decken und begann sich mit dem wassergetränkten Shirt abzuwischen. Er spürte einen dumpfen Schmerz an seinen Oberschenkeln und zwischen seinen Beinen, aber als er über die entsprechenden Partien wischte, zuckte es stechend und er musste ein Aufwimmern unterdrücken. Erst nachdem dieser Schmerz in ein Pochen übergegangen war, begann er auch die Nadeln auf seiner Haut zu spüren, die die Kälte hinterließ. Er wechselte relativ schnell in die Klamotten und dankte Dean innerlich, dass er Jason zum Einkaufen verdonnert hatte – der Pullover war unglaublich weich und sanft auf der Haut. Es tat unheimlich gut, etwas zu tragen, was nicht nur frisch und sauber sondern auch warm war. Er warf das nasse Shirt in die Tüte zu seiner Unterwäsche, trat diese weg und schlang sich erneut in die Decken. Nach ein paar weiteren Minuten räusperte Jon sich und fragte, ob er fertig sei. Katsuya bejahte leise, worauf hin der Mann sich umdrehte und auf dem Stuhl wenige Meter von ihm entfernt Platz nahm. Er lehnte sich nach vorne mit den Unterarmen knapp über den Knien und sah zu Boden. „Is he ... still there?“, fragte Katsuya nach ein paar Momenten. „Yeah“ Auch Jons Stimme klang gedämpft. „Dean has an eye on him.“ Wenigstens etwas. Sie bewachten ihn. Schien, als wären sie nicht einverstanden mit dem, was er getan hatte. Jon und Dean würden ihn also beschützen. Er seufzte erleichtert und sackte etwas in sich zusammen. Er konnte sich nicht noch einmal an ihm vergreifen. Unter den Decken legte Katsuya die Arme um sich selbst. Es war vorbei. Der Kerl konnte ihn nicht noch einmal anfassen. Ein Schluchzen kam über seine Lippen und er zog den Kopf ein, um es im Stoff zu ersticken. Wenn er vorher etwas gesagt hätte, wäre das nicht passiert. Wenn er Dean gesagt hätte, er solle Jason nicht wegschicken, sie sollten ihn nicht mit dem Irren allein lassen, sie ... es war seine Schuld. Es war ganz allein seine Schuld, dass ihm das angetan worden war. Wenn er nicht selbstsicher geglaubt hätte, dass der Kerl in der einen Stunde nichts machen würde, dass er ihn schon überzeugt bekäme, ihm nichts anzutun, wenn ... alles seine Schuld. Es war ganz allein seine Schuld. „Man, pull yourself together“, ermahnte Jon ihn, als sein Schluchzen hörbar wurde. Er biss auf seine Unterlippe. Jon hatte Recht. Er war jämmerlich. Yami weinte – wenn überhaupt – auch nur kurz und beruhigte sich danach. Und Yami war eh viel emotionaler und sensibler als er selbst. Und vor allem konnte er für seine Vergewaltigungen nichts. Das musste doch viel mehr wehtun, wenn man wusste, dass nichts, was man hätte tun können, etwas geändert hätte, nicht wahr? Katsuya schluchzte erneut auf, doch löste seine Arme, um die Decke dabei vor sein Gesicht zu drücken. Er war doch selbst Schuld. Also kein Grund zum Weinen. Er sollte sich beruhigen und nicht Jon nerven. Schließlich passte Jon auf, dass ihm nichts geschah. Nichts Weiteres. Er atmete mehrfach tief ein und aus, um sich zu beruhigen. Das Letzte, was er wollte, war doch schließlich, Jon und Dean von sich zu jagen, nicht wahr? Noch ein Atemwechsel und er ließ die Decke langsam sinken. Fahrig hob er eine Hand und wischte sich die Tränen vom Gesicht. „Well ... Jason is bringing the boss. He will decide what to do“, erklärte Jon ohne jegliche Aufforderung. Katsuya registrierte es einfach. Es brauchte ein paar Sekunden, bis die Worte und ihre Bedeutung ihm wirklich gewahr wurden. Der Boss? Pegasus? Sie holten Pegasus her, damit der entschied, was sie jetzt wegen Ted machten? Nein! So war es doch gut. So kam Ted nicht in seine Nähe. Wenn Pegasus ... Pegasus würde sagen, dass er keine Lust hatte, jemand anderen abzustellen. So einem Kerl wie ihm war doch egal, was aus Katsuya wurde. Bei so einem Kerl ... bitte nicht Pegasus. Er warf die Decke über seinen Kopf und rollte sich zusammen. Im Dunkeln konnte er sich vorstellen, er sei irgendwo anders. Nicht hier, nicht einmal in Domino, einfach irgendwo anders. Irgendwo, wo es keine Schweine gab, die ihn vergewaltigten, die ihn entführt hatten oder die ihn gegen seinen Willen festhielten. Irgendwo, wo es keine Irren namens Pegasus gab. Aber so viel er sich auch selbst einredete, er kam nicht umher, den Stimmen zu lauschen. Pegasus war eingetroffen und Dean erklärte ihm die Lage. Anscheinend hatte Jason ihn in einem ziemlich schlechten Zustand vorgefunden, darauf Dean und Jon angerufen und die waren dann hergekommen. Dean hatte ihn verarztet und kurz darauf hatte er sein Bewusstsein zurück erlangt. Ihm war fast, als würden sie über einen anderen erzählen, als Jason und Dean schilderten, wie er ausgesehen hatte. Pegasus hörte wohl allem in Ruhe zu. Katsuya konnte keine Antworten von ihm hören. Mit einem leichten Seufzen hatte er sich zwischendurch aufgesetzt und wartete nun im Schneidersitz mit den Decken über seinen Beinen darauf, dass etwas geschah. Dass Pegasus irgendeine Antwort gab. Was genau, das wusste er eigentlich selbst nicht. Pegasus war für ihn unberechenbar. Er schluckte einfach nur, als er das Klackern der Lederschuhe mit Absatz näher kommen hörte. Pegasus bog um die Kiste herum und kam näher. Diesmal wagte Katsuya es, den Blick zu erwidern. Er erhob sich sogar, als Pegasus auf wenige Meter heran gekommen war. Er blieb erst kurz vor ihm stehen und schien sich nicht daran zu stören, dass Katsuya nicht angekettet war. „Ted hat dich vergewaltigt?“, fragte Pegasus ihn auf den Kopf zu. Katsuya zuckte zurück, als hätte man ihm einen Schlag verpasst. Sein Atem beschleunigte sich, aber er zwang sich selbst zur Ruhe. Pegasus würde doch nicht ihn bestrafen, weil er vergewaltigt worden war, oder? Vergewaltigt ... sein Magen schien sich umzudrehen. Ted hatte ihn vergewaltigt. Er wich Pegasus Blick aus. „Wo ist dein Biss? Du lässt dich doch von so etwas nicht kleinkriegen, oder, kiddo?“ Pegasus hob eine Augenbraue. „Wo ist deine Wut? Deine Abscheu?“ Katsuya hob vorsichtig den Blick. Er wollte Ted einfach nur nie wieder sehen. Mehr wollte er gar nicht. Einfach nur, dass er verschwand ... zurück nach Amerika oder so etwas. Was wollte Pegasus von ihm hören? Wut. Hass. Er suchte in sich selbst, aber er fand mehr Schuldgefühle. Natürlich war da Wut, aber ... nein, wütend war er eigentlich auf sich selbst. Er hätte das verhindern können. Aber Pegasus hatte Recht. Sollte er nicht auf Ted sauer sein? Ja ... ja, Ted war schuld. Ted hatte ihn vergewaltigt. Wenn Ted nicht wäre, wäre das alles nicht geschehen. „Viel besser“ Pegasus lächelte. „Jon, bring him here. Dean, help him. Jason, come over here.“ Alle hörten strikt auf seine Befehle und Katsuya sah sich seinem Vergewaltiger gegenüber. Er hätte einiges erwartet – Wut, Angst, Trauer – aber er sah einfach nur emotionslos zu, wie sie ihn herüber führten. Beide hielten je einen Arm. Das einzige, was Katsuya wahr nahm, war, dass er von ihm weg wollte. Weit, weit weg. „Hold him“, befahl Pegasus den beiden und wandte sich zu dem jungen Mann neben sich, „give me your gun.“ Katsuya schluckte. Die Pistole? Was wollte Pegasus ... wenn sie Ted halten sollten, wollte er etwa ... der Mafiaboss drehte sich wieder zu ihm, griff Katsuyas Hand und legte die Waffe hinein. „Erschieß ihn.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)