Delusive Society von Gepo (Dritter Teil der DS-Reihe) ================================================================================ Kapitel 35: Zweiter Tag ----------------------- Ich bin so tot... hatte heute 106 Patienten. Und ein Konsulat -.- Und eine Liste von Ärzten zum durchtelefonieren. Das schafft echt. Ich will nur noch ins Bett. Am Samstag geht es für mich nach Ghana, demnach gibt es Montag kein Kapitel. Darum gibt es bei SOLDIER auch keins - und durch den heftigen Arbeitstag heute leider auch keins. Ich wünsche also viel Spaß mit diesem Kapitel. Es ist das letzte, bevor ich (hoffentlich) wieder da bin. Viel Spaß beim Lesen ^.^ _________________________________________________________________________________ Katsuya verabschiedete sich von dem freundlichen Taxifahrer, mit dem er die letzte Stunde gequatscht hatte und ging die wenigen Meter zur Klinik hinauf. In der Eingangshalle winkte er wie auch gestern der Dame am Empfang zu – und setzte heute noch ein Zwinkern obendrauf – und machte sich die Treppe hoch. Auf dieser kam ihm eine alte Dame mit Buckel entgegen, die mit sich selbst zu reden schien. Er konnte nicht viel ausmachen, aber die Worte töten und schuldig wiederholte sie öfters. Schizophrenie. Zumindest, wenn er das jetzt richtig gelernt hatte. Egal, sie sah ziemlich irre, aber nicht gefährlich aus. Er ging einfach weiter und sie passierte ihn, ohne von ihm Notiz zu nehmen. Alles gut. Er atmete trotzdem tief durch, als sie ein paar Meter weg war. Nun ja, zumindest konnte er sicher sein, dass jemand kam, wenn er schrie. Er erreichte die zweite Etage und drückte die Tür ohne Probleme auf – sie war wirklich nur von innen zugesperrt. Ob das früher anders gewesen war? Seto hatte schließlich geklingelt. Oder wurde während der Besuchszeiten aufgesperrt? Er warf einen Blick in den Pflegestützpunkt, wo Schwester Martha ihn wohl im Augenwinkel gesehen hatte und aufmerkte. Sie winkte ihn herein und ging zur Tür, um diese zu öffnen. Schulterzuckend kam er herüber und wurde von ihr herein gelassen. „Guten Nachmittag. Nehmen Sie doch kurz Platz“, bat sie ihn und deutete auf den Tisch mit Stühlen im Hintergrund. „Ist irgendetwas mit Seto?“ „Er ist noch in seiner Therapie. In einer Viertelstunde hat er aus“ Sie ließ ihre Arbeit liegen und setzte sich ebenfalls zu ihm. „Ich würde gerne mit Ihnen über ihn sprechen.“ „Öhm ... gut“ Katsuya zuckte mit den Schultern. War sie immer noch sauer wegen gestern? Wahrscheinlich wollte sie es bei ihm versuchen, wo Seto schon kein Stück auf sie hörte. „Wie lange sind sie mit Herrn Kaiba schon zusammen?“ Vier Tage, wenn man es genau nahm. Er antwortete stattdessen: „Drei Monate.“ „Und sie sind verlobt?“ Die Stirn der sicher über sechzig Jährigen legte sich in Falten. „Finden Sie das nicht recht ... kurzfristig?“ „Seto hat mich nach zwei Monaten Beziehung gefragt. Ich bin seine längste Beziehung bisher“ Wohin ging dieses Gespräch? Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück. „Dass ich ihm bis dahin noch nicht weggelaufen war, lässt ihn hoffen, dass ich ein ganzes Leben mit ihm durchhalte. Und daher versucht er mich mit allem zu binden, was er hat“ Die Falten auf ihrer Stirn glätteten sich. „Ich lasse das gern zu. Ich will nämlich auch nicht weg von ihm. Auch wenn er reichlich kompliziert ist.“ „Sie sehen das überraschend realistisch für einen jungen Mann“ In ihrer Stimme schwang ein Hauch von Respekt mit. Anscheinend hatte sie eine andere Antwort erwartet. „Ich weiß, woran ich bei ihm bin. Er versucht die Situation erst gar nicht schönzureden. Er wird nie gesund sein, wahrscheinlich wird seine Seele für immer gespalten sein, die Gefahr eines Rückfalls sowohl mit Alkohol als auch mit SVV wird auch immer bleiben“ Katsuya steckte die Daumen in seine Hosentaschen. „Ich bin jung, aber ich bin nicht dumm.“ „Herr Kaibas Arzt hat sich Sorgen gemacht. Herr Kaibas Einschätzungen der Situation sind nicht immer akkurat, deswegen wollte er gern auch die andere Seite hören. Ich sollte Sie also mal aushorchen und schauen, ob es sinnvoll wäre, Sie zu einem Einzel- oder Paargespräch zu bitten.“ „Wenn es Seto hilft, mach' ich gern alles Mögliche.“ „Ich richte es dem Arzt aus.“ „Danke“ Der Blonde erhob sich. „Da wäre noch eine Sache“ Ihr Ton war schärfer geworden. Katsuya seufzte und setzte sich wieder hin. Klasse – jetzt kam die Standpauke wegen gestern. Tja, mit ihm konnte man das wohl einfacher als mit Seto. „Wegen gestern“ Oh Wunder. „Ich weiß, dass Herr Kaiba nie auf mich hören wird. Aber so etwas in der Psychiatrie ... das geht wirklich nicht.“ „Wenn sie ihm zwei bis drei Stunden Ausgang geben, wird er mich in irgendein Hotel in der Nähe entführen“ Was fraglos bequemer war, als das Bad eines Psychiatriezimmers. „Er wird nicht von mir ablassen. Auch nicht bis Freitag. Ich weiß nicht, ob sie ihn auf Sexentzug kennen, aber er kann ziemlich schlechte Laune kriegen.“ „Würden Sie sagen, er ist sexsüchtig?“ Die Schwester änderte ihren Ton vollkommen. War sie vorher noch vorwurfsvoll gewesen, wurde sie jetzt vorsichtig. Daran hatte sie anscheinend vorher nicht gedacht sondern sich nur geärgert. „Vielleicht“ Katsuya zuckte mit den Schultern. „Aber es stört außer Ihnen keinen. Weder ihn noch mich. Mit genug Sex wirkt er fast normal. Seine gute Laune ist einfach göttlich“ Er grinste bei der Erinnerung an gestern. Marthas hochrotes Gesicht war klasse gewesen. „Wenn Sie erlauben, berichte ich das seinem Arzt. Wissen Sie, sein Verhalten gestern Nachmittag wollte mir den ganzen Abend nicht aus dem Kopf gehen. Das, was sie da gute Laune nennen – das habe ich vorher noch nie erlebt. Erst recht nicht vor fünf Jahren, als er das erste Mal hier war. Herr Kaiba ist schon immer sarkastisch, herablassend und teilweise aggressiv gewesen, aber gestern wirkte er einfach nur wie ein frecher Junge. Ich war wirklich sauer, aber als Strafe wollte ich ihm den Pudding zum Abendessen streichen, wenn sie verstehen, was ich meine.“ „Setos Kinderpersönlichkeit ist sehr einnehmend. Er ist ein sehr braves und liebes Kind, wenn er mal in Reinform auftaucht“ Katsuya lächelte in süßer Erinnerung. „Mit genug Sex entspannt er sich so sehr, dass seine Kinderpersönlichkeit und sein erwachsenes Ich verschmolzen auftauchen. Und dann ist er genau der Frechdachs, den sie gestern gesehen haben.“ „Verstört Sie das nicht?“ Die Oberschwester wich ein wenig zurück. „Wenn mein Partner nach dem Sex zu einem Kind wird? Das ist verdammt verstörend, ja“ Aber auch irgendwie süß. Er mochte sie ja irgendwie alle – den zärtlichen, erwachsenen Seto, den Frechdachs und Klein-Seto. „Er wird auch zu einem Kind, wenn er sich sehr entspannt und bei mir, wenn seine erwachsene Seele überfordert ist. Er weiß, dass ich mit seiner Kinderseele gut umgehe. Und da er als Kind Liebeserklärungen problemlos einfordern kann, während er als Erwachsener eher aggressiv wird als mich um einen Kuss zu bitten, habe ich ab und an halt ein kleines Kind im Haus“ Sein Mund schien schneller als sein Kopf. Er hatte noch nie das Gefühl, dass ihm das so klar gewesen war. Doch als er das jetzt aussprach, wusste er gleichzeitig, dass es mehr als richtig war. „Mein Mann benimmt sich auch manchmal wie ein kleines Kind, aber ich vermute, dass ist nicht mit dem zu vergleichen, was sie erleben“ Ihre Züge schienen nachdenklich. „Ich kann mir Herrn Kaiba nicht als Kind vorstellen.“ „Wahrscheinlich kennen Sie auch nur seine Erwachsenenseele. Das gestern war das erste Mal, dass sie einen Hauch einer seiner anderen Seelen erlebt haben, richtig?“ „Erzählen Sie mir davon“ Sie lehnte sich vor, dass Gesicht offen und neugierig. „Der Arzt hat gesagt, dass Herr Kaiba eine gespaltene Persönlichkeit hat, aber keiner hier kann sich darunter etwas vorstellen. Selbst der Arzt gibt zu, noch nie eine andere Person als den Seto Kaiba kennen gelernt zu haben, den wir alle kennen. Er hat mehr als einmal an seiner Diagnose gezweifelt.“ „Die Diagnose stimmt“ So viel konnte er sagen. Yami sagte das mittlerweile auch und wenn Yami das sagte, stimmte es. Wenn Seto also nichts mehr vor ihnen versteckte – was nicht wahrscheinlich schien – dann war das alles so richtig. Posttrauma und mit gespaltener Seele, dazu ein paar Süchte. „Wie erkläre ich das am besten?“ Mit einem Beispiel, mit was sonst? „Am Sonntag hatte Seto Entzugserscheinungen. Er wollte einen kalten Entzug durchziehen. Seine Hände zitterten und er rauchte Kette.“ „Den Zustand kenne ich sehr gut“ Schwester Martha nickte. „Er hat mich nicht unbedingt zum Sex gezwungen, aber sagen wir, es war nicht ganz so angenehm wie sonst“ Wahrscheinlich genau das, wie sich die meisten Leute Sex mit Seto Kaiba vorstellten, wenn sie ihn sahen – hart, herrisch, kalt. „Danach war er komplett Kind. Er wollte wissen, ob ich ihn noch lieb habe und als er sich wieder sicher fühlte, wollte er, dass ich ihm Spagetthi koche. Zwei Sekunden später wollte er in der Badewanne planschen. Von Entzugssymptomen nichts zu sehen.“ In ihren Gesicht stand so viel Verwirrung wie Unglaube. Aber sie schwieg. „Ich weiß nicht, ob Sie sich so einen Zwei-Meter-Kerl planschend und fröhlich lachend in einer Badewanne vorstellen können. Ich habe verzweifelt versucht, alles in seiner Griffweite zu retten, bevor es eingeschäumt und durchs Wasser gezogen werden konnte. Selbst die Decke tropfte nachher. Danach ist er mit Bademantel und pinken Hello-Kitty-Socken durch das Haus gelaufen.“ Aus dem Unglauben wurde Entsetzen. „Nun ja, er ist halt ein Kind“ Katsuya zuckte mit den Schultern und lächelte entschuldigend. „Aber wenn sie jetzt so schauen, können Sie sich vorstellen, wie Seto reagierte, als seine erwachsene Seele wieder aufwachte und sich in diesem Outfit vorfand. Er hat vor sich selbst so eine Art Ekel und Abscheu empfunden.“ Ein paar Sekunden herrschte Schweigen. Die Schwester sah ihn an, als würde sie erwarten, dass er weiter sprach. Oder vielleicht lachte und sagte, es sei alles ein Scherz. Wer wusste das schon. Sie atmete einmal tief durch und fragte: „Und ... diese Umschläge ... die passieren von einer Sekunde auf die andere? Ohne Vorwarnung?“ „Nun ... ja, so ziemlich“ Von ihrem Blick ausgehend, würde er raten, dass sie erwartete, dass er gleich in Tränen ausbrach und sagte, wie schlimm das war. „Die Wechsel kriege ich gar nicht mit. Aber die Gesten und Worte sagen mir meist in wenigen Sekunden, mit wem ich es gerade zu tun habe“ Er fuhr sich durch das Haar. „Wer gerade wie draußen ist, das folgt auch einem Muster, aber ganz durchblickt habe ich das noch nicht. Ich hatte noch nicht so viel Zeit mit ihm, dass ich sagen könnte, ich würde Seto wirklich verstehen.“ „Sie scheinen mir mehr zu verstehen als alle anderen. Sogar mehr, als die Literatur her gibt. Andererseits sehen Sie das auch aus einer ganz eigenen Perspektive“ Sie sah weg und schüttelte den Kopf. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich auf meine alten Tage noch mal so viel lerne. Sie wissen vielleicht, dass Herr Kaibas Krankheitsbild sehr selten ist“ Sie ließ eine kurze Pause, in der er nickte. „Es gibt nur eine Hand voll Therapeuten im ganzen Land, die etwas über dieses Krankheitsbild wissen und damit umgehen können. Unser Arzt hat auf seiner alten Arbeitsstelle mal darüber gelernt, aber wirklich darüber Bescheid wissen, tut er nicht. Das gibt es auch selbst zu. Er sagt, er kann Herrn Kaiba unterstützen, aber nicht therapieren.“ „So lang Seto das reicht“ Katsuya lächelte. „Er kann sehr gut selbst entscheiden, was er braucht. Wenn er einen Therapeuten will, wird er einen suchen.“ „Aber ... glauben Sie nicht, dass er ... dass man Herrn Kaiba da an die Hand nehmen sollte? Er klingt nicht so selbstständig, wenn ich ihre Worte bedenke.“ „Er ist vollkommen selbstständig und erwachsen“ Es klopfte an der Scheibe und beide wandten ihr Gesicht, nur um Seto dort angelehnt zu sehen – einen bildhübschen Zwei-Meter-Kerl, der Schwester Martha mit kalten Augen anfunkelte. „Zu einem ganzen Drittel seiner Seele.“ „Ich versuche gerade, ihn mir beim Planschen vorzustellen“ Sie erhob sich und seufzte. „Aber ich bin wohl zu alt und festgefahren, um so etwas auch nur zu phantasieren.“ „Ich glaube, das liegt nicht am Alter. Das liegt an ihm“ Auch Katsuya stand auf und stellte sich schonmal innerlich auf einen relativ aggressiven Seto ein. „Sie haben kein Recht, ihn an meiner statt anzufahren“ Die Tür war nur einen Millimeter offen, schon stand Seto drinnen und sah hasserfüllt auf die ältere Dame hinab. „Schatz, lass die arme Frau. Sie hat mir nichts getan“ Katsuya ging sofort dazwischen und legte einen Arm um Setos Brust. „Wir haben uns nur unterhalten.“ „Worüber?“ Der kalte Blick schwenkte auf ihn um. Klasse. Ein unsicherer, verängstigter Seto, bei dem das TI durchschlug. Hoffentlich konnte er ihn beruhigen. Wenn er hier gewalttätig wurde, würden sie ihn sicher nicht Freitag wieder nach Hause lassen. „Dass ich glücklich mit dir bin und du gut zu mir“ Katsuya konnte sich direkt vor ihn stellen, da Martha zurück gewichen war. „Dein Arzt plant anscheinend, mal mit mir zu reden, um von einem Außenstehenden zu hören, wie du dich so verhältst. Sie hat nur gefragt, ob ich das machen würde.“ „Das hat ihn nichts anzugehen. Wenn er mir nicht glaubt, ist das sein Problem“, knurrte Seto, „du wirst hier gar nichts erzählen.“ „Wie du willst“ Ob Seto sauer sein würde, wenn er in einer ruhigen Minute erzählte, was er erzählt hatte? „Kriege ich einen Begrüßungskuss?“ Setos kalter Blick durchbohrte ihn, schwenkte nach einem Moment zu Martha und zurück – aber er hatte wohl das Glück, dass Seto ihm vertrauen wollte. Er beugte sich das kleine Stück hinab und legte seine Lippen auf Katsuyas. Und so einfach ließ dieser ihn auch nicht mehr gehen. Er schob seine Zunge vor und fesselte sein Verlobten so einen längeren Moment an sich. Und ganz wie geplant lächelte Seto ein klein wenig, als sie sich wieder trennten. TI gebannt. So langsam lernte er auch die kleinen Zeichen zu deuten. Katsuya kraulte ihm dafür den Nacken und Seto legte die Arme um ihn. „Schwester Martha hat nach deinen verschiedenen Persönlichkeiten gefragt, weil du hier ja nur dein ANP raus kramst und teilweise dein TI durchscheinen lässt“ Die anscheinend normale Persönlichkeit, der erwachsene Seto und TI, das Täterintrojekt, Setos aggressive und ängstliche Seite. „Sie war ganz geschockt, als sie gestern mal etwas deine Kinderpersönlichkeit kennen gelernt hat.“ „Die kommt ja auch nur in deiner Nähe raus“ Hach, gezähmte Drachen waren doch etwas Schönes. Seto küsste seine Stirn, unter seinem Auge und auf seine Lippen. „Und wenn man mich hier nicht spielen lässt ...“ „Deine Art zu Spielen ist aber nicht die deines Kinder-Ichs“ Katsuya grinste und wandte sich in Setos Armen um, um Schwester Martha anzusprechen. „Und, kriegen wir Ausgang?“ „Das ...“ Sie sah auf ihre Uhr. „Dafür ist es leider zu spät.“ „Also was machen wir?“ Die Frage richtete er ganz klar nicht an Seto, der hinter ihm stand, sondern an die Oberschwester vor ihm. Sie schürzte die Lippen und atmete tief durch. Kopfschüttelnd wandte sie sich ab und öffnete eine Schranktür, während sie murmelte: „Ich fasse nicht, dass ich das tue ...“ Katsuya grinste. Seto schien völlig zufrieden, von hinten sein Haar zu küssen. „Der PMR-Raum ist der letzte auf der linken Seite. Immer den Gang runter“ Sie deutete dahin, wo eine Etage tiefer das Arztzimmer gewesen war. „Danke“ Katsuya nahm den Schlüssel von ihr entgegen und zog den noch unwissenden Seto hinter sich her. Hosted by Animexx e.V. 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