Delusive Society von Gepo (Dritter Teil der DS-Reihe) ================================================================================ Kapitel 28: Wahn ---------------- Das Wetter da draußen ist echt deprimierend. Kein Schnee, Regen, kalt, nass, bewölkt, immer dunkel... so dürfte es auch hier in DS draußen aussehen. Hoffentlich schneit es hier bald auch mal. Zumindest in DS hätte ich gern eine weiße Weihnacht. Viel Spaß beim Lesen und danke für eure Kommentare trotz der Ferienzeit ^.^ _________________________________________________________________________________ Während Herr Yagutsi Natsuki gerade erklärte, warum das, was sie gesagt hatte, nicht nett war, tauchte auch Seto wieder auf. In einer Hand die Sporttasche und über den anderen Unterarm den Mantel gelegt sah er aus, wie der Inbegriff eines Geschäftsmanns – nur einer, der gerade in Jeans und Hemd rumrannte und darin noch fünfmal begehrenswerter aussah als in seinen Anzügen. Ein junger Gott im Freizeitlook halt. Katsuya hoffte, dass er nicht rot wurde und keiner sich wunderte, dass er den näher kommenden Seto anstarrte wie ein Reh, das abends in die Autoscheinwerfer sah. Das alles, während er sich innerlich selbst vor die Stirn schlug, dass sein Hirn mal wieder ein paar Etagen tiefer gerutscht war. Sie hatten ja wohl gerade andere Sorgen als ihr Sexleben! „Morgen, Prinzesschen“, grüßte er Natsuki mit einem Nicken. „Morgen, Grummelbär!“ Sie grinste und ignorierte vollkommen Herrn Yagutsi, der eigentlich noch mit ihr sprach. „Seit wann hast du einen Sohn?“ „Seit ein paar Monaten“ Er ging hinter der Bank her, stellte die Tasche ab und strich mit der nun freien Hand durch Katsuyas Haar. „Dich hält ehrlich jemand monatelang aus?“ „Natsuki ...“ Herr Yagutsi seufzte und schüttelte den Kopf. „Anscheinend“ Seto sandte ihm ein Lächeln, das Katsuya fast schmelzen ließ. Schien, als wäre alles wieder gut ... „Und was machst du wieder hier?“ „Hab‘ zu viel LSD geleckt“ Sie zuckte mit den Schultern, wurde darauf aber etwas kleinlaut. „Könntest du ... kannst du nachsehen, ob in Zimmer vier ein Neger lebt? Der macht mir Angst, aber die anderen sagen, den gibt es nicht.“ „Hast du Angst, dass er dich vergiften wird?“ Seto legte den Kopf zur Seite. „Natürlich wird er das! Erst gestern stand er mit einer Spritze neben meinem Bett und hat mir gedroht! Alle Neger sind böse! Sie geben einem AIDS und wenn das nicht klappt, dann spritzen sie dir Schlangengift!“ Ihre Lider hatten sich unglaublich geweitet und ihr Gesicht sonst jeden Ausdruck verloren. Katsuya griff sich die Hand, mit der Seto durch sein Haar gefahren war und hielt diese. Herr Yagutsi, der seine Frau fast mit einer Axt getötet hatte, war schon ein Schock gewesen, aber das hier machte jetzt echt Angst. Was zur Hölle hatte die denn? „Das hast du vor fünf Jahren auch gesagt, erinnerst du dich? Und du glaubtest, dass ich dieser Mann sei, den du immer siehst“ Seto sprach ruhig und selbstsicher. „Aber du bist nicht schwarz“ Sie blinzelte, was ihre Lider ein klein wenig wieder zusammen brachte. „Nein, ich bin nicht schwarz. Und wen auch immer du diesmal für den Mann hältst, der dich immer bedroht, es gibt ihn nicht. Das weißt du auch, Natsuki. Ich schaue trotzdem für dich nach, in Ordnung?“ Sie nickte mit unglaublich weit aufgerissenen Lidern, sodass es fast wirkte, als würden ihre Augäpfel jeden Moment aus ihrem Kopf fallen. Mit dem schief gelegten Kopf sah sie aus wie der Inbegriff einer Wahnsinnigen. Obwohl ... sie sah Menschen, die nicht da waren. Sie war wahnsinnig. Im wahrsten Sinne des Wortes. Seto gehörte definitiv nicht hierher. Die paar Entzugssymptome würde er auch noch aushalten. Katsuya stand auf und klammerte sich an Setos Seite, während dieser zu den Schwestern hinüber ging – was die wohl davon hielten, war ihm gerade ziemlich egal. Anscheinend war es ja okay, denn Seto wuschelte ihm durchs Haar und legte den Arm um seine Schulter. „Guten Morgen“, grüßte er freundlich. „Guten Morgen, Herr Kaiba“ Die ältere Schwester nickte. Schwester Misa war währenddessen aufgesprungen und lächelte Seto erwartungsvoll an. Im hinteren Teil des Zimmers war ein großer Tisch zu erkennen, an dem zwei Herren saßen. Beide hatten weißgraue Haare und tranken Kaffee, allerdings sah einer recht sportlich und kräftig aus, während der andere ziemlich beleibt war. „Ah, Herr Kaiba“ Eben jener beleibte Herr erhob sich, kam hervor und reichte Seto, der an der Türschwelle stehen geblieben war, die Hand. War es hier normal, sich die Hände zu geben statt sich zu verbeugen? Die Klinik wirkte schon sehr westlich, aber alle Angestellten schienen Japaner zu sein. „Guten Morgen, Doktor“ Das war also ein anderer Arzt als der Stationsarzt, richtig? Seto wandte sich trotzdem Misa zu. „Ich würde nur gern wissen, ob es derzeit einen Farbigen auf Station gibt, bevor ich Natsuki etwas Falsches sage. Sie wertet mein Wort ja ziemlich hoch.“ „Gibt es nicht“ Die Schwester lächelte. „Sie hält einen Herrn, den wir vor wenigen Tagen von der geschlossenen übernommen haben, für diesen ... den Mann, der sie ängstigt. Er ist russischer Abstammung.“ „Und fraglos noch furchteinflößender als das, was ihr Kopf sich ausmalt“ Der Herr, der hinten am Tisch saß, hob seinen Becher und lächelte. „Wie dem auch sei“ Die ältere Schwester, die weiter Medikamente sortiert hatte, sah auf. „Bleiben Sie hier? Was hat der Doktor gesagt?“ „Ich bleibe, allerdings auf der A2. Er bittet, dass Sie das arrangieren“ Katsuyas Griff um Seto festigte sich. Er blieb? Hier? In diesem Irrenhaus? Nein! Fast flehend sah er zu ihm auf. Sein Freund sprach leiser, da er sich ihm zugewandt hatte. „Möchtest du nicht, dass ich hier bleibe?“ „Hilft dir das ... wirklich?“ Katsuyas Stirn hatte sich in tiefe Falten gelegt. Er konnte sich das nicht vorstellen. Diese Leute hier machten echt Angst. Was, wenn irgendwer Seto etwas antat? Er war vielleicht durchtrainiert, aber gegen Attentäter im Schlaf konnte er auch nicht unbedingt etwas ausrichten. Was, wenn irgendwer ihn erwürgte, weil er oder sie ihn für ein Alien hielt? „Hat dich Natsuki so erschrocken?“ Seto drehte sich etwas mehr zu ihm, sodass ihre Berührung zu einer recht intimen Umarmung wurde. Mit seiner freien Hand fuhr Seto durch sein Haar. Nach einem Moment des Schweigens zog er Katsuyas Kopf an seine Schulter. „Gib mir drei Tage, ja? Spätestens dann ist mir so langweilig, dass ich dringend wieder heim will.“ Tja ... wenn er meinte. Er wusste wohl selbst, was das Beste für ihn war. Vielleicht gab es auf der anderen Station auch andere Patienten. Und er hatte es schon einmal überlebt. „Kann ich dich besuchen?“, flüsterte der Jüngere. „Jeden Tag. Von nach der Schule bis sechs. Lass dir von Yami das Geld für’s Taxi geben, ich überweise es ihm zurück, wenn ich wieder da bin.“ Die braunen Augen schnellten nach oben, die Lider schreckweit geöffnet. Katsuya öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber kein Ton kam heraus, während er nur hilflos blinzelte. Halt ... Yami? Hatte Seto gerade echt ... und er verzog keine Miene? Nun gut, seine Mimik war von Anfang an ausdruckslos und schlaff gewesen, daran konnte er zur Zeit nichts erkennen – blöde Medikamente – aber nicht einmal seine Stimmlage hatte sich verändert. „Ich gehe in der Annahme, dass du nicht allein zuhause bleiben wirst, richtig? Ich kann mir denken, wo es dich hinzieht. Besonders jetzt, wo du Bakura auf jeden Fall meiden wirst“ Die Züge schienen sich ein wenig zu verhärten. „Und du wirst ihn meiden, verstanden?“ Katsuya nickte wild. Keine Frage, dem wollte er nicht mal ansatzweise nahe kommen. Scheiße, was, wenn Ryou heute in der Schule gewesen war? Was würde er denken, dass Katsuya nicht aufgetaucht war? „Und das mit Yami ... geht in Ordnung? Ich darf?“ „Ich habe dein Versprechen, dass du keinen Unsinn anstellst, nicht wahr?“ Das, was sich auf Setos Lippen legte, konnte man ansatzweise ein Lächeln nennen. Dass der Tag kommen würde, an dem Seto ihm vertraute ... gerade jetzt! Das war doch wirklich die unwahrscheinlichste Situation überhaupt, oder? War er nicht völlig am Ende? „Ich verspreche hochheilig, dass ich keinen Unsinn anstelle“ Katsuya hob die Hand wie zu einem Schwur. „Gut“ Seto setzte einen Kuss auf seine Stirn, trat von ihm weg und verwuschelte mit einer Hand sein Haar. „Es tut mir Leid, dass ich dir zur Zeit kein besserer Vater sein kann.“ Vater? Mit einem Mal schien die Situation auf Katsuya einzuschlagen. Shit ... sie standen immer noch vor dem Schwesternzimmer mit drei Pflegern und einem Arzt, die ihnen zusahen. „Schon gut, Papa“ Bei allen Göttern, das klang so falsch ... er zwang trotzdem ein Lächeln auf seine Lippen. „Zeigst du mir die Station, auf die du kommst?“ „Natürlich“ Seto warf einen Blick zu der älteren Schwester, die nur nickte. „Ich erkläre Natsuki kurz, dass sie wieder halluziniert und bin gleich wieder da.“ Na ... viel Spaß dabei ... Katsuya lehnte sich gegen das Glas und schüttelte den Kopf. Seto hatte komische Freunde. Er würde Yami dazu befragen, was genau die hatten und woher das kam. Drei Tage bei Yami … das klang einfach nur cool! Und Seto hatte dem echt zugestimmt – nein, es sogar vorgeschlagen. Sie würden einfach 'ne Menge Spaß haben. Und dann ging es Yami sicher auch besser. Wenn er ihn nachher anrief, sollte er auf jeden Fall fragen, wie das Gespräch mit Noah gewesen war. „Herr Kaiba?“ Katsuya schreckte ein wenig zusammen, da jemand fast direkt neben ihm gesprochen hatte. Er sah den Arzt entgeistert an, bis ihm einfiel, dass er gemeint war. Der Herr streckte ihm eine Hand hin. „Yutama Atsu, sehr erfreut sie kennen zu lernen.“ „Ebenso“ Er ergriff die Hand und schüttelte sie. „Sie sind also ein Arzt?“ „Ja, ich bin der Oberarzt der Akutstationen“ Er lächelte freundlich. „Alle Stationen hier, die mit A anfangen, stehen unter meiner Aufsicht.“ „Was ist denn die A2 für eine Station?“ Hatte die ebenso viele Verrückte? „Das ist die akute Suchtstation. Wir haben dort größtenteils Alkoholiker, aber auch verschiedene Drogenmissbraucher. Im Mittel bleiben die Patienten dort zwei bis sieben Tage und werden danach an unsere Ambulanz angebunden.“ Das war … ganz schön kurz. Also würde Seto wirklich nur ein paar Tage da bleiben. Irgendwie konnte er sich trotzdem nicht vorstellen, dass das half … aber wenn Seto sagte, dass er das brauchte, dann brauchte er das. Würde er danach auch an die Ambulanz angebunden werden? „Was bedeutet das? Diese Ambulanz?“ „Die Patienten müssen weiter Medikamente nehmen, daher kommen sie zuerst wöchentlich für ein Gespräch mit einem Psychiater. Wenn alles gut läuft, wird die Zeit zwischen den Gesprächen immer länger, bis die Medikamente ganz abgesetzt werden können“ Der Arzt ließ seinen Blick zu der Sitzgruppe schweifen. „Allerdings gibt es nicht sehr viele Ärzte, mit denen Herr Kaiba sich gut versteht. Schon bei seinem ersten Besuch kristallisierte sich heraus, dass er bei Doktor Kowa am besten aufgehoben ist.“ Wohl der Arzt, bei der er vorhin sein Gespräch gehabt hatte. Der Stationsarzt hier. Also war Seto nie auf dieser Station gewesen, richtig? Oder nur kurz. Wusste er es doch, hier gehörte Seto nicht hin. Dieser verabschiedete sich gerade lächelnd von Natsuki, nahm seine Tasche und kam zurück. „Wollte Herr Doktor Atsu etwas Bestimmtes von dir?“, fragte Seto auf dem Weg nach oben zur nächsten Station. „Nicht wirklich. Ich habe ihm ein paar Fragen zu den Stationen hier gestellt. Wo bist du früher gewesen?“ „Erst auf der A0, dann auf A2, dann A1 und zuletzt in der Tagesklinik“ Der Ältere seufzte leise. „Eine ziemliche Weltreise also. Ambulant war ich auch noch ein Jahr. Alkohol macht den Leuten hier meist wenig, aber Suizid, Alkohol und eine schwere psychische Störung als Grunderkrankung sind wohl recht kompliziert. Meine erst recht. Dissoziative Identitätsstörungen jeder Art sind ziemliche Kolibris“ Er blieb vor der Tür mit A2 als Beschriftung stehen und betrachtete diese. „Ich mag meinen Arzt. Er ist die einzige, der mir glaubte, dass die anderen Personen in meinem Kopf keine Einbildung sind. Also, gewissermaßen sind sie schon Einbildungen, aber sie sind nicht wahnhaft. Nicht so wie der Mann, den Natsuki immer wieder sieht. Wahnhafte Personen können den eigenen Körper nicht übernehmen und das eigene Verhalten steuern, so wie Klein-Seto und das Täterintrojekt.“ „Sag mal … hast du den beiden Namen gegeben?“, fragte der Blonde vorsichtig. „Hm? Nein, wieso?“ Seto sah ehrlich überrascht aus. „Klein-Seto hat euch Namen gegeben, wusstest du das?“ „Nein“ Der Andere lächelte. „Wie heiße ich denn?“ „Tja ...“ Katsuya wandte den Blick ab – die Tür hatte eine magische Anziehungskraft. „Als ich dich gestern damit nannte, hattest du diesen Krampfanfall.“ „Ich denke nicht, dass das etwas miteinander zu tun hat“ Das Lächeln wich von Setos Zügen. „Das war wegen dem Hackfleisch. Es hat mich … es hat mich erinnert an damals … Fleisch und Blut und alles rot und … du weißt, was ich meine.“ Bestens. Die Nacht, als er Setos Bruder umgebracht hatte. „Es tut mir Leid“ Katsuya atmete tief durch und sah auf. „Ich weiß schon nicht mehr, ob ich dir das jemals gesagt habe, aber es tut mir unglaublich Leid, was damals geschehen ist.“ „Ich gebe dir nicht die Schuld. Wir haben alle dazu beigetragen. Ich trage genau so viel Schuld wie du“ Auch Seto sah auf. „Das hast du mir beigebracht. Und damit konnte ich es verarbeiten“ Sie schwiegen einen Moment. „Also, wie heiße ich?“ „Seth“ Er beobachtete die Mimik des anderen genau. „Hm“ Der Andere hob nachdenklich den Blick. „Heißt, das Kind nennt sich selbst Seto?“ Katsuya nickte vorsichtig. „Möglich“ Seto senkte den Kopf wieder, trat an Katsuya heran und fuhr mit einer Hand über dessen Wange. „Einer von uns ist die Kernpersönlichkeit. Und es ist höchstwahrscheinlich das Kind. Ich bin nur ein Konstrukt, erschaffen, um der Welt standzuhalten. Ich kann mich nur mit aller Verwunderung fragen, wie der echte Seto Kaiba sich wohl verhält.“ „Seto ...“ Er legte seine Hand über die des anderen. „Sollten sich deine Seelen jemals vereinen, bist du immer noch ein guter Mensch. Aus dir und Klein-Seto kann nichts Schlechtes werden, egal, wie mächtig das Täterintrojekt ist.“ „Aber kannst du jemanden lieben, den du nicht kennst?“ Die blauen Augen wandten sich ab. „Der Gedanke, geheilt zu sein, macht mir Angst. Wer wäre ich dann noch? Wer wäre ich überhaupt? Könnte ich mit mir leben? Könntest du mit mir leben?“ „Ich könnte dich kennen lernen. Und ich weiß, ich würde alle deine Seelen noch immer in dir sehen – und mehr als die Hälfte liebe ich auf jeden Fall jetzt schon“ Katsuya setzte einen Kuss auf die Hand. „Ich kann auch mit dir leben, so wie du jetzt bist. Setz' dich nicht unter Druck, ja?“ „Danke“ Seto lehnte sich vor und küsste ihn auf den Mund – hier im Treppenhaus schien keiner zu sein. Oder vielleicht war es ihm gerade egal. „Soll ich dir jetzt die Station zeigen?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)