Delusive Society von Gepo (Dritter Teil der DS-Reihe) ================================================================================ Kapitel 18: Wünsche ------------------- Himmel, was für ein stressfreier Zustand ... nur noch an die Uni (und den Nebenjob und ein Engagementprojekt) denken ... ehrlich, ich hoffe, das war das letzte Mal, dass ich mich dazu überreden ließ, diesen Kongress zu machen -.- Egal, es ist rum und ich bin frei wie ein Vogel. Und es ist ehrlich schön mal etwas nicht völlig niederschlagendes hochzuladen ^.^ Viel Spaß beim Lesen! _________________________________________________________________________________ Katsuya gab sich den Dissoziationen hin und Seto ließ ihn. Wirklich klar wurde ihm das erst, als sein Bewusstsein langsam zurückkehrte. Das war allerdings sehr viel später, irgendwann nachts. Wann genau, das wusste er nicht, schließlich hatte ihn das alles jede Vorstellung von Zeit verlieren lassen. Er dachte nur, dass es Nacht sein musste, weil es dunkel war und Seto im Bett lag und schlief. Neben ihm im Bett lag und schlief. Katsuya versuchte still und regungslos zu sein. Er hielt sogar die Luft an, sobald er die Situation erkannte. Seto. Neben ihm. In Setos Bett. Es erweckte ein vertrautes Gefühl, das er sofort niederdrückte. Warum hatte Seto ihn in sein Bett gelegt? Hatte er ... wahrscheinlich hatte er sich Sorgen gemacht. Selbst in seiner aggressiven, gemeinen Art hatte Seto ja danach geschaut, dass er sonst alles hatte, was er brauchte. Wie sein Frühstück oder die Sachen auf dem Ernährungsplan. Katsuya atmete langsam aus. Wenn er leise war, durfte er wohl hier bleiben? Wenn er so tat, als ob er schlief, würde Seto ihn doch nicht rauswerfen, oder? Er schloss die Augen. Seto war so nah ... nur einen halben Meter entfernt. Würde er aufwachen, wenn Katsuya sich an ihm kuschelte? Bestimmt, Seto hatte einen sehr leichten Schlaf. Wie würde er reagieren? Ihn von sich schieben? Ihn rauswerfen? Vergewaltigen? Katsuyas Körper begann zu zittern und Tränen stiegen ungewollt in seine Augen. Nein ... niemals ... das würde Seto niemals tun. Oder? Er schluchzte, was ihn auf seine Faust beißen ließ, um leise zu sein. Seto sollte nicht aufwachen. Er wollte nicht weg. Er wollte in Setos Arme. Er wollte, dass alles wieder gut war. Er wollte Seto zurück. „Hast du Angst vor mir?“, fragte die Stimme des Älteren aus dem Dunkel. Katsuya zuckte zusammen, winselte auf und schüttelte den Kopf. Es dauerte einen kurzen Moment, bis ihm klar wurde, dass selbst Seto das wahrscheinlich nicht sehen können dürfte und hauchte: „Nein ...“ Die Bewegung der Decke war die einzigste Vorwarnung, bevor sich eine Hand auf seine Seite legte, über seinen Rücken fuhr und seinen Körper an einen größeren, wärmeren zog. Ein Finger streichelte über seine Wange, was ihn automatisch den Kopf heben ließ, unter den sich ein Arm schob. Katsuyas Finger krallten sich in Setos Schlafanzugoberteil, in das er auch sein Gesicht drückte. Er versuchte die Schluchzer und das Weinen darin zu ersticken, das ihn erneut erschütterte. Er war heute so eine Heulsuse. Der gemeine Seto würde ihn damit aufziehen. „Was ist los?“, fragte der Ältere verschlafen, aber besorgt, „hattest du einen Alptraum?“ Er schüttelte den Kopf. Diesmal konnte Seto das sicher spüren. Er traute seiner eigenen Stimme gerade nicht, nicht zu brechen. Scheiße ... Seto war so lieb. Alles in ihm schrie danach, die Arme um ihn zu schlingen und ihn zu küssen. Das Verlangen war so groß, es schmerzte. „Schon gut“ Seto hob den Arm, fasste mit der Hand in das blonde Haar und drückte mit dem Unterarm Katsuya an sich. „Schlaf, Kleiner. Ich bin hier. Ich bleibe bei dir“ Er schluchzte noch einmal auf, danach rannen die Tränen nur noch still aus seinen Augen. Sie taten es wahrscheinlich noch immer, als die Müdigkeit ihn übermannte. Er konnte sich einfach nicht dagegen wehren, sich in Setos Armen zu entspannen. Katsuya grummelte, blinzelte und setzte sich auf. Wo ... ah, sein Zimmer. Was machte er in seinem eigenen Zimmer? Er sah sich müde um, die Stirn dabei in tiefen Falten. War er nicht letzte Nacht in Setos Bett gewesen? Oder war das nur ein Traum? Er rieb den Schlaf aus seinen Augen. Höchstwahrscheinlich ein Traum. Ehrlich, Seto würde ihn nicht noch einmal in sein Bett lassen. Nicht nach allem, was passiert war. Lächelnd schüttelte er den Kopf. Das nächste Mal könnte sein Traum ruhig expliziter werden. Im Traum brauchte er keine Angst vor Setos Reaktion haben. Nicht so wie jetzt. Seufzend setzte er sich auf und sah an sich hinab. Erst einmal eine Dusche. Und dann Frühstück. Seto saß bestimmt schon mit der Sonntagszeitung am Tisch. Mit Kaffee. Und wenn er wirklich sehr gut drauf war, hatte er vielleicht eine heiße Schokolade für ihn gemacht. Katsuya schnaubte. Wunschdenken ... Er schwang sich aus dem Bett, suchte sich etwas zum Anziehen zusammen und ging ins Bad. Das warme Nass auf seiner Haut tat unglaublich gut. Durch die eine Nacht, die er teils draußen, teils bei der Polizei, teils bei Ryou verbracht hatte, war er reichlich verklebt. Ryou ... der Blonde seufzte. Shit. Sollte er anrufen? Nur, um zu prüfen, ob es ihm gut ging? Er hatte doch ein Handy. Oder würde Bakura ihm verbieten, mit Katsuya zu reden? Würde er wütend sein, weil er anrief? Vielleicht eine SMS? Aber was sollte er schreiben? Ob es ihm gut ging oder ob er noch lebte? Eine Entschuldigung, dass er abgehauen war oder eine, dass er Ryou nicht geholfen hatte? Sollte er sich bei Ryou oder Bakura entschuldigen, dass er Letzteren so provoziert hatte? Andererseits hatte er ihn nicht provoziert. Es war nicht okay, dass Bakura wegen so etwas auf ihn einschlug. Nur konnte ihm so ein Kommentar den Tod bringen. Jetzt erst recht würde er das nicht sagen. Weder zu Ryou noch zu Bakura. Katsuya seufzte. Was sollte er bloß tun? Und war das wirklich das Problem, um das er sich gerade Gedanken machen sollte? Er warf einen Blick ins Wohnzimmer. Ein weiterer Schritt und er stand im Durchgang zur Küche. Seto saß wie erwartet auf seinem angestammten Platz und las. Katsuya atmete tief durch. Sollte er einfach reingehen? Sich ein Glas Milch nehmen, als wäre nie etwas gewesen? Vorgestern Abend hatte er Seto gesagt, dass er ihn nie wiedersehen wollte und nicht hierher zurückkehren würde. Konnte er darüber einfach hinweg gehen? Andererseits schien es ja so, als wolle Seto ihn hier. Gestern war er nicht nur sein Freund in seinen Worten, er sollte auch mit ihm kommen. Seto wollte ihn hier. Oder er gab vor, es so zu wollen, nur was für einen Sinn hätte das? Katsuya schluckte. Wie schwer konnte es eigentlich sein, eine Küche zu betreten? Er gab sich selbst einen Ruck und ging einfach zum Kühlschrank hinüber. Es war, als würde er über Scherben laufen. Jeden Moment erwartete er den Schmerz. Jeden Moment erwartete er ein Wort der Zurückweisung. Nur kam keins. Er holte die Milch heraus, nahm sich einen Becher, goss sich ein und stellte die Packung zurück. Sein Blick flackerte immer wieder zu der Zeitung, hinter der Seto sich verbarg. Wollte er ihn einfach ignorieren? Seine Anwesenheit nicht wahrhaben? Katsuyas Herz schien in seiner Brust einzusinken. Bereute Seto es, ihm gestern die Tür geöffnet zu haben? „Wirst du ... gehen?“, kam ein Flüstern von hinter der Zeitung. Katsuyas Miene verzog sich und er schluckte einmal, bevor er tief durchatmete und antwortete: „Ich werde meine Sachen packen. Oder soll ich die hier lassen? Ich meine ... du hast sie bezahlt.“ „Wo willst du hin?“ Seto schlug die Zeitung zu, faltete sie und legte sie zur Seite. Seine Stimme klang völlig neutral. Es machte ihm wohl wirklich nichts mehr aus. Er hatte Katsuya wahrscheinlich schon abgehakt. „Keine Ahnung“ Der Blonde ließ den Kopf hängen. „Vielleicht brauchen Ayumis Eltern ja noch einen Kellner?“ „Wenn ich dich schon gehen lasse, möchte ich wenigstens absichern, dass es dir gut geht. Gibt es niemanden, zu dem du kannst?“ Seto lehnte sich vor, stützte den Kopf auf beide Hände und sah ausdruckslos zu ihm hinüber. „Gäbe es das, wäre ich nicht bei meinem Vater geblieben“ Er trank etwas Milch, aber stellte das Glas nach einem Schluck zur Seite. Irgendwie schmeckte es nicht. „Ich ... weiß ehrlich nicht, was ich tun soll.“ „Bin ich so schlimm?“ Seto wandte den Blick ab und senkte die Stimme. „Dass du mir das vorziehst ...“ Er hob eine Hand. „Nein. Antworte besser nicht. Ich glaube, da spricht nur mein Masochismus.“ Ja. Er war so schlimm. Auch, wenn das in diesem Moment so unendlich weit weg schien. Katsuya atmete tief durch. Am liebsten würde er losstürzen und sich Seto in die Arme werfen. Konnte er wirklich einfach so vergessen, wie sehr er ihm weh getan hatte? Wenn es ihm so ging, wie ging es dann Seto? Hatte er den gleichen Wunsch? Kämpfte er genauso dagegen an wie Katsuya? Oder war das wieder nur Wunschdenken? „Ich ... ich geh dann mal packen“ Er drückte die Daumen in die Hosentaschen seiner Jeans und lehnte sich beim Gehen nach vorne. Am Tisch vorbei, zum Flur, zur Treppe. Seto hielt ihn nicht auf. Er hatte es irgendwie erwartet. Erhofft. Gewünscht. Er wünschte sich verdammt viel gerade und nichts davon war auch nur ansatzweise realistisch. So war das wohl mit Wünschen. Er schloss die Tür seines Zimmers – Mokubas Zimmers – hinter sich und spürte die Tränen über seine Wangen rinnen. Heulsuse. Scheiße, er war echt am Ende. Er ließ sich an der Tür zu Boden sinken und blieb dort sitzen. Ehrlich, andauernd brach er in Tränen aus. Er war doch kein Mädchen. Ein Kerl akzeptierte die Situation und machte das Beste draus. Stattdessen versank er hier in Selbstmitleid. Er sollte doch mal die Gesamtsituation sehen. Er saß auf der Straße, okay, aber das war praktisch nichts Neues. Wenn er sich ordentlich Klamotten einpackte, war das nicht so ein Problem. Er kannte weit mehr Leute, die freundlich zu ihm waren, als vorher. Er hatte nicht mehr den inneren Drang, zu seinem Vater zu gehen und nach dem rechten zu sehen. Er hatte gute Noten in der Schule. Er besaß Bücher und Schreibsachen. Er besaß eine passende Uniform. Er besaß die Erinnerung an ein Leben, wie er es sich gewünscht hätte. Er konnte zurückblicken und sagen: Das waren gute Zeiten. Es waren vielleicht nur zwei Monate gewesen, aber jetzt wusste er, was es hieß, glücklich zu sein. Dass dieses Glück nun zerronnen war, war nicht das Ende von allem. Er musste einfach wieder auf die Füße kommen. Samstags und sonntags konnte er arbeiten. Abends ebenso. Damit konnte er zumindest als Untermieter irgendwo unterkommen. Er konnte wirklich mal bei Ayumis Eltern fragen. Und vielleicht bei Isis. Zeitweise konnte er sicher bei Yami unterkommen, bis er irgendetwas gefunden hatte. Hiroto konnte er nach einem Job fragen. Und seinem Vater ... Katsuya seufzte. Hiroto zu fragen, bedeutete, dass er erfahren würde, wie es seinem Vater ging. Aber vielleicht war das gar nicht so schlecht. Er musste ja nicht hingehen. Er konnte Hirotos Handy anrufen. Apropos – er zog sein Handy heraus – das sollte er wohl Seto geben, oder? Katsuya wäre beinahe zusammen gezuckt, als das Ding in seiner Hand plötzlich vibrierte. Er widerstand dem Impuls, es wegzuschmeißen oder eine ähnlich blöde Aktion zu bringen und sah auf das Display. Ah ... deswegen der andere Ton. Er hatte eine SMS bekommen. Hatte er jemals schonmal eine gekriegt? Er konnte sich nicht dran erinnern. Er öffnete die Nachricht und las sie, wobei seine Gesichtszüge fielen. Es war nur ein Satz. Jedem Außenstehenden hätte es wahrscheinlich nichts gesagt. Ihm schon. Er ließ die Hand mit dem Handy sinken und starrte zum Fenster. Was sollte er denn darauf bitte antworten? Er hob die Hand wieder und las es nochmal. „Ich glaube, ich will es doch wissen“ Katsuya drückte auf die Taste für Zurück und steckte das Handy wieder weg. „Was soll ich dir denn darauf antworten?“ Er seufzte. „Mach es einem doch nicht so verdammt schwer, Seto.“ War Seto so schlimm, dass er es vorzog, auf der Straße zu leben? Oder irgendwo als Untermieter, arbeitend in jeder freien Minute? War Seto so schlimm, dass er dafür den Luxus aufgab, den er hatte? Katsuya fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht. Objektiv gesehen nein. So schlimm war Seto nicht. Aber er konnte kaum objektiv sein, oder? Seto war praktisch seine ganze Welt. Sein Leben. Wenn Seto ihn verletzte, war das schlimmer, als wenn die ganze Welt gegen ihn war. Seto war nun mal sein Ein und Alles. Ohne Seto konnte er versuchen, diesen zu vergessen. Konnte versuchen, ein neues Leben zu starten. Mit Seto hing er in der Vergangenheit fest. Mit Seto konnte Seto nicht zur Erinnerung werden. Also nein, Seto war nicht so schlimm. Aber Katsuya war nicht stark genug, hatte nicht die Kraft, sein Herz wieder zu flicken, während sie unter demselben Dach wohnten. Katsuya warf einen Blick zu seiner Hosentasche, bevor er den Kopf schüttelte und sich erhob. Das konnte er Seto schön selber sagen. Er war in letzter Zeit oft genug weggerannt. Mit einem resoluten Durchatmen drehte er sich um, öffnete die Tür und stockte in der Bewegung. „Seto?“ Er blinzelte. „Warum ...“ Warum stand er vor seiner Tür? Weil er vermutlich persönlich fragen wollte und beim Klopfen den Mut verloren hatte. Warum sonst sollte der Typ ihm eine SMS schreiben? „Komm rein“ Katsuya trat zur Seite. Seto ging bis zur Mitte des Zimmers, wo er sich umsah, bevor er den Stuhl vom Schreibtisch umdrehte und sich darauf setzte. In seiner schwarzen Anzughose und dem weißen Hemd sah er in dem jugendlichen Zimmer reichlich unpassend aus. Eher wie ein Vater oder Onkel, der nach langer Abwesenheit zu Besuch kam. Er drapierte einen Arm über der Lehne, einen auf seinen Beinen und sah aus wie ein Geschäftsmann, der seinen Arbeitssessel vermisste. Trotz der Situation musste Katsuya schmunzeln. Er schloss die Tür hinter sich und ging zu Seto hinüber, wo er etwas seitlich der Beine im Seiza Platz nahm. „Nein“, meinte er, nachdem sie sich einen Moment lang nur in die Augen gesehen hatten, „Du bist nicht so schlimm.“ Setos Schultern sackten ein, sein Kopf ruckte nach vorn und seine Lider schlossen sich. Alles hob sich wieder mit einem tiefen Einatmen, aber Seto wirkte im Ganzen bei weitem nicht mehr so angespannt wie vorher. Sein Blick fiel erneut auf Katsuya, den er einige Sekunden betrachtete, bevor er leise fragte: „Heißt das ... du bleibst?“ War das Hoffnung in seiner Stimme? Oder Resignation? Furcht, dass er ja sagen würde? Ein Flehen? Wenn ja, um welche Antwort? Katsuyas Stirn legte sich in Falten. Durfte er ... konnte er ... „Willst du, dass ich bleibe?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)