Delusive Society von Gepo (Dritter Teil der DS-Reihe) ================================================================================ Kapitel 10: Aushalten --------------------- So, ich werde jetzt gleich das veränderte letzte Kapitel (ja, euren Anmerkungen sei Dank) hochladen. Letzte Woche war ich leider zu geschafft, um die Kapitel noch fertig zu kriegen, da wir ein wenig renoviert haben. Ab jetzt sollte aber alles wieder regelmäßig laufen ^.- Viel Spaß beim Lesen! _________________________________________________________________________________ „Wie gefällt euch der Tee?“, fragte Noah nach. „Wunderbar“ Shizuka lächelte. „Ich wusste gar nicht, dass man Tee mehrfach aufgießen kann und er dabei sogar besser schmeckt.“ „Manche Tees entfalten ihr Aroma erst mit der Zeit. Besonders Oolong ist erst mit dem dritten oder vierten Aufguss wirklich gut. Man darf nicht glauben, dass ein Teeblatt mit einem Aufguss schon verbraucht ist. Das Trinken von Tee ist eine Frage der Geduld.“ Genau so wie eine Beziehung mit Seto. Es war eine Frage der Geduld. Und der erste Aufguss gab nur einen schalen Geschmack. Hoffentlich war das Ganze nicht seine einzige Chance gewesen und Seto nahm ihn zurück ... an eine Zukunft ohne ihn mochte er gar nicht denken. Das schien unvorstellbar. „Wenn du versuchst, die Zukunft aus den Teeblättern zu lesen, solltest du die Kanne nehmen, Katsuya.“ Der Blonde sah auf und blinzelte. Häh? Was ... oh, ein Scherz. Noah lächelte ihn an. Shizuka kicherte ob seines sicherlich dümmlichen Gesichtsausdrucks. Peinlich. Wie lange hatte er wohl in seine Tasse gestarrt? Hatten die beiden über ihn gesprochen, während er in Gedanken versunken gewesen war? „Äh ... ja. Magst du Isamu wieder nehmen?“, wandte er sich an seine Schwester. „Sicherlich. Ich vermute, ich werde mir dann mal das Haus zeigen lassen, nicht wahr?“ Sie sah kurz zu Noah, bevor sie sich Roland zuwandte. „Werden Sie mich führen?“ „Gern, Madame“, antwortete der sicher Mitte vierzig alte Mann und erhob sich aus dem Seiza, den er trotz seines Anzugs eingenommen hatte, „folgen sie mir bitte. Soll ich nach einer Trage für Ihren Sohn schicken lassen?“ „Oh- ähm- ja- also nein ... nein, danke“ Sie errötete. „Ähm ... könnten Sie mich bitte duzen? Ich heiße Shizuka.“ „Natürlich, Miss Shizuka. Entschuldige bitte, dass ich dir Unannehmlichkeiten bereitet habe“ Er deutete eine Verbeugung mit der Hand an der Brust an, bevor er damit zur Tür deutete. Als sie ein paar Schritte dorthin gemacht hatte, ging er vor, um ihr diese aufzuhalten. „Nun ... bis später dann“ Sie lächelte und winkte noch einmal kurz. „Viel Spaß dir“, wünschte Katsuya. Auf eine Haustour hatte er jetzt auch Lust. Nicht nur, dass das Haus sicher wunderschön war, es würde ihn vor dem folgenden Gespräch retten. Eigentlich wollte er ja nur um Rat fragen, aber dass Noah ihn für seine Taten verdammte, war natürlich auch eine Möglichkeit. Er war mittlerweile sicher, dass seine Worten zumindest nichts für seine Schwester ändern würden, aber ... was, wenn Noah meinte, dass er sich von Seto forthalten sollte? Dass er auszuziehen hatte? Noah war praktisch Setos einziger zurechnungsfähiger Betreuer, jetzt, wo Yami ... wo die beiden wegen ihm nicht mehr miteinander sprachen. Shit. Das hatte er sowas von nicht gewollt. Warum war das alles so vor die Hunde gegangen? Wenn er sich so verkalkuliert hatte, konnte er seinem Urteil eigentlich noch trauen? Seiner Überzeugung, dass es für Seto und für ihn das Beste war, wenn sie sich wieder vertragen würden ... Was, wenn Noah sagte, dass er für Seto untragbar war? Eine Liabilität? Nichts als ein Egel, der noch das letzte bisschen Kraft aus seinem Bruder saugte ... nichts als ein Insekt, das zerquetscht gehörte. Was, wenn Seto recht gehabt hatte? Wenn er wirklich nicht zu retten war? Wenn er einfach unwiderruflich böse und schlecht war? Waren Yami und Seto nur verblendet gewesen, weil sie ihn liebten? Was, wenn seine Mutter doch Recht gehabt hatte ... wenn er einfach nur ein Monster war. Wenn alles, was er anfasste, kaputt ging – ganz egal, ob er es wollte oder nicht. Wenn er wirklich nur ein Ungeheuer war, das das Leben anderer zerstörte. War es besser, wenn es ihn nicht gab? Fiel er nicht einfach nur jedem zur Last? Vielleicht war es besser, wenn er nicht mehr existierte. Vielleicht war es besser, wenn er verschwand und nie wieder kam. Klack. Klackklackklack. Katsuya blinzelte und ließ den Blick nach links schweifen. Tasten. Bildschirm. Finger. Wo war er? Er schloss die Lider und kniff die Augen zusammen, bevor er sie öffnete, um klar zu sehen. Da war Noah auf einem Bürostuhl, nicht einmal einen Meter von ihm entfernt. Er tippte auf die Tastatur und beobachtete dabei den Bildschirm. Wieso saßen sie am Schreibtisch? Und wo ... er sah an sich hinab und registrierte seinen recht bequemen Sitz als Rollstuhl. Warum saß er in einem Rollstuhl? War das nicht Noahs? Warum saß er in Noahs Rollstuhl? „Katsuya?“ Sein Blick zuckte erschrocken hoch. Noah lächelte und rückte in seine Richtung, sodass ihre Stühle fast gegeneinander schlugen. Er zog etwas aus dem Unterschränkchen und hob es hoch mit den Worten: „Möchtest du ein Pfefferminzbonbon?“ Mit gerunzelter Stirn legte Katsuya den Kopf zur Seite. „Seto hilft das. Ich habe auch andere Skills hier, wenn du darauf nicht reagierst.“ Skills? Häh? Das Wort ... er kannte das Wort, aber ... egal, so ein Bonbon konnte er nehmen, wenn ihm das irgendwie half, nicht so verdammt verwirrt zu sein. Er hob eine Hand und wartete. Noah regte sich nicht und schien abzuwarten. Seine Lider verengten sich. Wollte Noah ihm das Zeug jetzt verfüttern oder nicht? Er wies mit dem Blick auf seine Hand, die- Oh. Seine Hand war nicht gehoben. Katsuya schloss die Lider, ließ den Kopf sinken und seufzte. Shit. Dissoziationen. Das hatte er ja wohl auch früher erkennen können. Skills waren diese Sachen, mit denen er seine Dissos unter Kontrolle halten konnte. Wie die Eiswürfel oder Gummis an den Handgelenken oder diese Hockübungen. Pfefferminzbonbons waren eine gute Idee. Ein scharfer Reiz, um ihn in der Realität zu halten. Er sah wieder auf und nahm die Spannung aus seinem Unterkiefer. Wenn sein Arm schon nicht mitmachte, sein Kopf gehorchte ja anscheinend. Noah legte ihm ein solches Bonbon auf die Zunge, ohne auch nur eine Miene zu ziehen. Er lächelte, als Katsuya es schaffte, seinen Mund zu schließen. Nach ein paar Sekunden meinte er: „Belastet dich der Gedanke an ein Gespräch mit mir so sehr oder gab es einen anderen Grund?“ Gute Frage ... was war noch mal geschehen, nachdem Shizuka gegangen war? Nichts, oder? Er konnte sich nur erinnern, dass er über irgendetwas nachgedacht hatte. Was war das gewesen? Es ging um die derzeitige Situation, oder? War das wegen des anstehenden Gesprächs- mit einem Mal schmeckte das Bonbon nach nichts mehr. Okay, es war das Gespräch. Er hatte Dissos aus Angst vor dem Gespräch. „Ich ... habe Angst ... dass ... dass du sagst, dass ... dass ich Seto ... verlassen ... nie wieder sehen soll“, brachte er leise hervor, ohne genau zu wissen, wie lange Pausen er zwischen den Worten gelassen hatte. „Wenn du das solltest, dann nur, wenn mein Bruder das sagt und meint. Ich entscheide das nicht. Ich vertraue darauf, dass er auf sich selbst achten kann“, erwiderte Noah sanft. „Kann er ... nicht ... er trinkt wieder ...“ Das Lächeln verließ das Gesicht seines Gegenübers. Er schloss kurz die Lider, seufzte und stützte sein Gesicht auf eine Hand. Mit dieser fuhr er über Augen, Nase und Lippen, bevor er sie unter dem rechten Unterkiefer platzierte. Relativ monoton statierte er: „Das ist schlecht.“ Ein paar Momente schwiegen sie sich an. Noah, versunken in Gedanken, sah zwar in Katsuyas Augen, doch schien nicht wirklich ihn vor sich zu haben. Sein Zeigefinger legte sich über seine Lippen. Mit einem Seufzen sank sein Blick, bevor er nickte und sich aufsetzte. Er fragte: „Gibt es etwas, mit dem du gut in die Realität zurückfindest?“ „Eis“, hauchte der Blonde. Noah wandte sich dem Schreibtisch zu, drückte einen Knopf auf dem Telefon und ein Klingeln erschallte. Nach zwei mal wurde abgenommen und über die Freisprechanlage gesagt: „Küche?“ „Ich hätte gern ein paar Eiswürfel in mein Büro, bitte.“ „Werden geschickt, Chef.“ „Danke“ Er drückte einen weiteren Knopf. „Dann warten wir besser so lange, nicht? Du kommst dann allein wieder aus deinen Dissoziationen?“ „Ja“, murmelte Katsuya. „Gibt es noch irgendetwas, auf das ich mich vorbereiten sollte, wenn ich mit dir ein belastendes Gespräch führe?“ Er könnte aufhören, so lieb zu sein. Es würde es leichter machen, sobald die Ablehnung kam. Katsuya atmete innerlich durch. Nein. Es würde keine Ablehnung kommen. Noah würde ruhig zuhören. Er würde ihm sagen, dass er Scheiße gebaut hatte. Und dann würde er ihm sagen, was er tun sollte, um aus all diesem Mist wieder rauszukommen. Auf Noahs Frage schüttelte er den Kopf langsam. Noah beobachtete ihn. Was mochte er denken? Dass Katsuya jämmerlich war? So fühlte er sich zumindest mit diesen Dissoziationen. Er konnte sich eingestehen, dass er Angst vor diesem Gespräch hatte. Diese Angst löste die Dissoziationen aus. Die Dissoziationen lösten Scham aus. Die Scham warf ihn zurück in Dissoziationen. Heureka ... war Selbstreflexion nicht etwas Schönes? Und was machte er jetzt? Ring. Katsuya zuckte heftig zusammen. Telefon. Nur ein Telefon ... bei allen Göttern, das hatte ihn verdammt erschreckt. Wenn er jemals ein Büro bekam, dann eins, wo man klopfte, um rein zu kommen, nicht anrufen. Noah drückte ihm ein Eisstück in die Hand. Kalt. Schmerz. Er blinzelte und atmete tief durch. „Bereit?“, fragte Noah nach. „Bereit“, murmelte Katsuya mit wenig Überzeugung. „Wie geht es Seto?“ „Beschissen“ Danke. Danke, dass er nicht zuerst nach dem Grund all dessen gefragt hatte. „Ich habe ihn gestern morgen um fünf Uhr mit einer Flasche Cognac im Wohnzimmer gefunden.“ „Hm. Und vorher?“ „War er ... verschlossen. Aggressiv. Verletzend. Nein, eigentlich nicht aggressiv, eher ... unterschwellig wütend und dabei geplant ... brutal in seinem Verhalten“ Auf die Kälte konzentrieren. An den Schmerz denken. Nicht in die Gefühle ziehen lassen, die die Erinnerungen mit sich brachten. Wut. Schmerz. Enttäuschung. Da kochte ein Kessel in ihm. Am liebsten würde er Seto schlagen. Am liebsten würde er sich verkriechen und heulen. „Das ist ein Zustand, den ich nur zu gut kenne. Das heißt, er steht unter Stress und kommt mit der Realität nicht klar“, erwiderte Noah ruhig, „das hatte ich hier drei Jahre lang. Länger, wenn man es genau betrachtet, nur hatte er unter Gozaburo noch viele andere Probleme, sodass es nicht so auffiel.“ „Wie hat es wieder aufgehört?“ Katsuya erhob hoffnungsvoll den Blick. „Indem er auszog und ich ihn damit nicht mehr sehen musste“ Noahs Augenbrauen wurde in die Höhe gezogen. „Schlicht und ergreifend. Der Zustand selbst hielt an, bis ... tja, wenn ich es ganz genau nehme, bis er mit dir im Oktober hier auftauchte. Das ist das erste mal gewesen, dass ich ihn ruhig und liebevoll erlebt habe.“ Rumms. Aus dem hohen Flug der Hoffnung zurück auf den Boden der Tatsachen. Katsuya drückte so fest auf den Eiswürfel, dass dieser knackte. Scheiße ... hieß das, dass der Seto, den er jetzt erlebte, der ganz normale Seto war? Der nur in den letzten zwei Monaten ihrer Beziehung ganz anders gewesen war. Wie hatte Yami ihn ausgehalten? Wie Yugi? Wie ... Mokuba, der Drogen genommen hatte ... gab Seto sich vielleicht zurecht die Schuld? Hatte er seinen Bruder da rein getrieben? „Wie hast du es ausgehalten?“, flüsterte Katsuya, obwohl es gar nicht die Frage gewesen war, die er hatte stellen wollen. Diese hier war einfach über seine Lippen gerutscht. „Ich habe mich daran erinnert, dass ich das freiwillig tue. Bei ihm zu sein und mich um ihn zu kümmern“ Noahs Blick schweifte in die Ferne. „Ich habe akzeptiert, was er getan hat und mich immer an den Jungen erinnert, der von meinem Vater geschlagen worden war.“ Er stieß die Luft aus, schloss die Lider und schüttelte den Kopf. „Das hätte ich zumindest vor wenigen Wochen gesagt. Ich glaube, heute weiß ich das besser. Ich habe mich schuldig gefühlt wegen all dem, was mein Vater ihm angetan hatte. Ich bin bei ihm geblieben, weil ich Buße tun wollte. Und weil ich mich schuldig gefühlt habe, habe ich auch nichts getan, wenn er mich geschlagen und beleidigt hat. Ich habe meine Wünsche verneint, aber am liebsten hätte ich ihn damals angeschrieen und zurück geschlagen, so wie Mokuba es getan hat“ Er zuckte mit den Schultern. „Aber vielleicht war ich auch nur feige, wer weiß. Ich konnte mich damals ohne meinen Rollstuhl kein Stück bewegen. Ich war hilflos, wenn Seto mich runterzog und ihn wegtrat.“ „Du hast ihn ertragen, weil du deine eigenen Wünsche zurück gestellt hast?“, versuchte Katsuya mit einem immer schlechterem Gefühl zusammenzufassen. „Nein. Weil ich Angst hatte. Das wird mir gerade erst klar, wo wir jetzt darüber reden, aber ich glaube, ich hatte damals einfach nur so viel Angst ... mein Vater hatte mich enterbt, weißt du? Ich war ein Krüppel ohne jeden Penny. Ich lebte in diesem Haus und aß nur auf Gutdüngen meines gewalttätigen Bruders. Ich habe ihn wirklich nur ausgehalten, weil ich zu viel Angst davor hatte, was wäre, wenn ich es nicht täte. Ich war auch gerade mal siebzehn, als das wirklich losging“ Noah seufzte und schüttelte den Kopf. „Nach Setos Auszug habe ich all das verarbeiten können. Ich glaube, erst da bekam ich langsam dieses Bild eines Verzweifelten, der einfach nur einen Hilfeschrei nach dem nächsten gesandt hat, weil ihm das Leben zu viel war. Ich denke, ich habe diese Einstellung der Zeit angedichtet, als er noch hier lebte. Ich glaube, wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich ihn damals einfach nur ertragen, weil ich keinen Ausweg wusste“ Die blaugrünen Augen legten sich wieder auf Katsuya. „Entschuldige bitte, das ist sicherlich wenig aufbauend für deine Situation gerade.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)