Delusive Society von Gepo (Dritter Teil der DS-Reihe) ================================================================================ Kapitel 7: Sucht ---------------- Bin zurück aus Kopenhagen (12 Stunden Fahrt...) und totmüde. Natürlich war das Kabel durchgebrannt, also durfte ich gerade das Kapitel zuende tippen. Korrekturlesen ist deshalb jetzt auch nicht mehr, tut mir Leid. Muss morgen mitten im Nirgendwo zum Dienstantritt sein. Ich habe aber alle eure Kommentare gelesen und mich sehr gefreut! Auch wenn meine Antwort dazu verspätet kommen wird (in Mosbach habe ich kein Internet), ich bin sehr dankbar und werde auf jeden Fall schreiben! Habe euch alle sehr lieb - ohne euch wäre die Geschichte nicht das, was sie ist. _________________________________________________________________________________ Katsuya schlug die Augen auf und starrte an die Decke. Hm ... war irgendetwas passiert? Er war so wach. Sein Blick fiel auf das Fenster. Auch wenn die Vorhänge zugezogen waren, es wirkte nicht wirklich hell. Seufzend hob er den Arm und sah auf seine Uhr. Viertel nach fünf. Er schloss die Lider wieder, ließ den Arm kraftlos auf sich fallen. Na super. Warum zur Hölle war er wach? Er rollte sich zur Seite, schwang die Beine über die Bettkante und streckte sich. Nun … er könnte sich fertig machen und dann Frühstück für sie beide machen. Vielleicht freute sich Seto ja darüber. Und die Welt sah nach einer Dusche schon viel besser aus. Frische Klamotten, ein paar Armbänder, eine Kette … vielleicht sollte er sich ein Lippenpiercing stechen lassen? Ein Tattoo am Oberarm wäre auch cool. Oder am Rücken. Dafür hatte er nie Geld gehabt, aber das wäre schon echt klasse … ein Drache oder ein Falke oder vielleicht sogar Flügel. Und er brauchte dringend Mascara. Dunkle Wimpern hatten echt gut ausgesehen. Er war einfach ein bisschen zu blond. Er schlich an Setos Zimmer vorbei, um ihn nicht zu wecken, die Treppe runter und Richtung Küche. Ob Seto ihn mit Mascara besser fand? Auf Höhe des Wohnzimmers stoppte er aber und wandte sich zusammen gezogenen Augenbrauen dem Raum zu. Hatte er nicht … Seto? Er schaltete das Licht an. Ja, Seto. Auf dem Sofa. Die Beine locker übereinander geschlagen, ein Glas in der Hand. Was machte er um diese Uhrzeit hier unten? Konnte er auch nicht schlafen? Was trank er da? Sein Blick wanderte zum Tisch, wo eine Flasche gefüllt mit derselben gelbbraunen Flüssigkeit stand. Er atmete zitternd aus. Cognac? Er trat näher und las da Etikett. Ja, sein Blick hatte ihn nicht getrügt. Seto trank morgens um sechs Uhr alleine im Wohnzimmer Cognac. Bamm. Schlag ins Gesicht. Derselbe Schmerz, obwohl es nicht einmal den Hauch einer Bewegung gegeben hatte. Wie ein Messerstich. Wie der Winter, der sich von außen in die Innereien fraß. Cognac ... Katsuya atmete tief durch und hob den Blick zu eben jenem. Dieser starrte stoisch in Richtung des Fensters, als hätte er Katsuyas Anwesenheit nicht bemerkt. Er schluckte. Was sollte er tun? Wie sollte er Seto klar machen, dass von allem, was dieser bis jetzt getan hatte, das hier am meisten weh tat? Zuzusehen, wie Seto kaputt ging. Hatte er nicht erzählt, dass er Alkoholiker war? Dass er eine monatelange Therapie gebraucht hatte, um vom Alkohol weg zu kommen? Wie lange würde es dauern, bis er endete wie Katsuyas Vater? Er atmete zitternd ein, ballte die Hand zur Faust und presste die Zähne zusammen. Er spürte es. Er erkannte es. Diese Wut. Diese unglaubliche Wut, die sich eigentlich gegen seinen Vater richtete. Das Bedürfnis, Seto zu schlagen, durchzuschütteln und ihn anzuschreien, was für eine jämmerliche Gestalt er war. Er zwang sich zur Entspannung und atmete diese Wut in einem aus. Seto war nicht sein Vater. Alkoholiker war nicht gleich Alkoholiker. Er hatte keine Ahnung, wie viel Seto intus hatte, aber er schien nicht aggressiv. Er saß aufrecht. Er nippte kultiviert an einem Glas und setzte sich keine ganze Flasche Wodka an den Hals. Das hier war nicht gut, nicht einfach, aber machbar. Das hier kannte er. Damit konnte er umgehen. Ganz ruhig. Es half nicht, in Tränen auszubrechen oder dissoziativ zu werden. Nachdenken. Seto brach auseinander. Der Alkohol musste weg und eine Stabilisierung dafür her. Der Alkohol war leichter. Er musste den Alkohol wegbringen. Er trat zu Seto und nahm diesem das Glas aus der Hand. Er wehrte sich nicht. Er schien im Allgemeinen ganz woanders zu sein. Auch gut. Musste er nur die Flasche und den Rest im Glas wegbringen. „Seto?“ Dieser zeigte keine Reaktion. „Seto, gibt es noch mehr Alkohol in diesem Haus?“ Immer noch nichts. „Seto, hast du noch irgendwo anders Alkohol versteckt?“ Okay … suchen konnte er wann anders. Er öffnete das Fenster zur Lüftung, nahm Flasche und Glas und schüttete deren Inhalte ins Beet. Die Flasche konnte er nachher zum Altglas mitnehmen. Das Glas spülte er direkt. Er stellte es in den Schrank, schloss dessen Tür und erstarrte. Was jetzt? Was machte er jetzt? Der Alkohol war weg. Er musste mit Seto reden. Ihn stabilisieren. Er musste ihn irgendwie dazu kriegen, nicht noch einmal mit dem Alkohol anzufangen. Er musste ihn aus diesem Loch holen. Er musste … er schluchzte auf. Was zur Hölle sollte er tun? Er konnte nicht einmal Yami anrufen und ihn um Hilfe bitten. Seto würde ihn köpfen. Er war ganz allein und er hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Seto. Er brauchte Hilfe. Er war zu jung, zu dumm und zu unwissend, um das hier hinzukriegen. Wo waren die Menschen, auf die er sich verlassen konnte? Die er um Hilfe fragen konnte? Yami konnte er nicht anrufen. Seto konnte er kaum fragen. Scheiße … er drehte sich um, sackte am Küchenschrank hinab und rollte sich zu einer Kugel zusammen. Das war zu viel. Das war alles zu viel. Warum unbedingt Alkohol? Mit Selbstverletzung konnte er umgehen, mittlerweile selbst mit Dissoziationen und mit Panikattacken. Aber doch nicht Alkohol. Selbst Drogen wären besser gewesen. Alkohol brachte so viele Erinnerungen mit sich. Alkohol tat zu sehr weh. Er schluchzte und versuchte erst gar nicht, leise zu sein. Warum tat Seto das? Warum gerade das? Nun, er schien ja nicht vorgehabt zu haben, es Katsuya zu zeigen, also war es auch nicht Teil seines Vernichtungsplans. Er hatte es geheim halten wollen. Er hatte Katsuya nicht damit verletzen wollen. Dennoch … er krallte die Nägel in seine Haut, während er von seinen Schluchzern geschüttelt wurde. Alkohol … warum war es immer wieder Alkohol … Beiläufig nahm er wahr, wie Seto in die Küche trat und folgte ihm mit dem verwaschenen Blick seiner verweinten Augen, während er weiter schluchzte. Sein ganzer Körper schien zu schmerzen. Er krümmte sich zusammen, aber alles tat weh. Wie Messer stach es in seinen Körper, während sein Herz in sich selbst zu schrumpfen schien. Seto warf ihm nicht einen einzigen Blick zu. Er bereitete einen Kaffee, stieg über Katsuya hinweg, holte Sachen aus dem Kühlschrank und ging zurück zum Herd. Der Reiskocher wurde befüllt und angestellt, Eierrolle angemischt und in die Pfanne geworden, kleine Würstchen geschnitten und angebraten. Innerhalb von zwanzig Minuten füllten sich zwei Lunchboxen und zwei Frühstücksteller, während Katsuyas Schluchzen nach und nach erlosch. „Möchtest du Orangensaft zum Frühstück?“, fragte Seto. „Du siehst ja schrecklich aus“, begrüßte Ayumi ihn. „Danke, dir auch einen guten Morgen ... hast du Kakao dabei oder so?“ Schokolade hörte sich plötzlich wie eine verdammt gute Idee an. Welcher Sucht konnte man schon frönen, wenn Drogen und Alkohol tabu war und Zigaretten und Kaffee einem nicht schmeckten? Besser nicht drüber nachdenken, das erinnerte nur an vorhin ... „Nein, aber ich glaube, in Zukunft nehme ich welchen mit ... ein Skelett sieht besser aus als du“ Sie schüttelte den Kopf, harkte sich bei ihm ein und brachte ihn zu seinem Platz. „Guck mal, Ryou, ein Zombie.“ „Was ist passiert?“, fragte dieser besorgt. „Nichts ...“ Katsuya seufzte. Nichts, von dem er erzählen konnte. Er könnte nach der Schule zu Yami ... nein, der arbeitete jetzt bis abends. Wen zur Hölle sollte er fragen? Schwester Yumi? Noah? Vielleicht war Noah gar keine schlechte Idee ... ja, er könnte in der Pause seine Schwester anrufen, ob sie zusammen zu Noah gehen wollten. Seto würde ihn eh nicht vermissen. „A- aber ...“ Ryou biss sich auf die Unterlippe. „Ich kläre das. Keine Sorge“ Katsuya legte eine Hand auf den weißen Schopf. „Sag mal, bist du gewachsen? Du kommst mir größer vor.“ „Zwei Zentimeter seit Schulbeginn!“ Der Kleine grinste. „Wenn ich so weiter mache, bin ich in acht Monaten so groß wie mein Bruder.“ „Und in drei Jahren so groß wie Katsuya“, neckte Ayumi ihn. „Wenigstens wachse ich noch. Du bleibst so ein Zwerg.“ „Ich folge nur der Familientradition“ Sie hob die Nase. „Außerdem nennt man das bei Frauen niedlich.“ „Wenn es Mode ist, Präpubertät sexuell erregend zu finden, ist Niedlichkeit etwas Positives“ Le-Long, der wie immer aus dem Nichts erschienen war, legte einen Arm um Ryou. „Aber da es ja gerade Mode zu sein scheint, liegt ihr vollkommen im Trend.“ „Allerdings gilt das für Frauen“, mischte sich Katsuya ein, obwohl ihm defintiv nicht der Sinn nach Konversation stand. Aber man bewahre ihn vor der Vorstellung, dass Seto auf etwas anderes als reife Männer stand. Dadurch, dass er noch immer recht mager war, fehlte ihm jegliche Spur von Kindlichkeit. Und er hätte es auch verstörend gefunden, wenn Seto so etwas mochte. Aber besser auch nicht an Seto denken ... „Und eine gewisse Kategorie schwuler Männer“, wie selbstverständlich zog Le-Long Ryou näher zu sich. „Das ist ein reichlich unsubtiler Flirtversuch.“ „Huh?“ Ryou sah mit zusammen gezogenen Augenbrauen zwischen ihnen beiden hin und her. „Das war ein Kompliment, dass Le-Long findet, dass es dir steht, niedlich zu sein“, erklärte Ayumi leicht entnervt, „meine Güte, das habe sogar ich verstanden ...“ „Das ist sein natürlicher Charme“ Der Chinese hob Ryous Kopf mit einer Hand und setzte einen schnellen Kuss auf dessen Wange, bevor er sich abwandte und ging. „Le-Long! Hör auf, hier so rumzuschwuchteln! Es reicht, dass wir zwei von denen haben“, murrte einer ihrer Klassenkameraden. „Er ist niedlich“ Er zuckte nur mit den Schultern. „Nur weil unsere derzeitige Gesellschaft so homophob ist, muss man nicht gleich mitziehen. Wir sind jung. Das Alter des Ausprobierens und Experimentierens. Wie soll man entscheiden, ob man wirklich Frauen mag, wenn man nicht beides probiert hat?“ Er hob einen Finger. „Ein altes chinesisches Sprichwort sagt-“ „Nicht schon wieder ein Sprichwort. Ist ja gut, wir haben's kapiert ... elende Arschficker ...“ Zwei der Jungs, die bei dem Sprechenden saßen, nickten zustimmend. „Ihr seid zu engstirnig. Es geht darum, Erfahrungen zu sammeln. Wenn ihr glaubt, eines Tages mit dem ersten Griff die Frau eures Lebens zu finden und alles klappt, muss ich euch sagen, dass ihr Idioten seid. Die ersten paar Beziehungen sind stets Lernerfahrungen, die einen erst erkennen lassen, was wichtig ist und was man erwarten kann und darf.“ Katsuya schluckte. Was man in einer Beziehung erwarten darf ... es war für sie beide die erste Beziehung gewesen. Waren sie es aus Unwissenheit falsch angegangen? „Danke, dass du mitkommst. Ich hätte nicht gedacht, dass Herr Kaiba so einfach ja sagt. Meinst du, er verpasst viel Arbeit?“ Shizuka, welche mit Isamu auf dem Arm neben ihm her ging, lächelte und schien ein Hüpfen in ihrem Schritt zu haben. „Vermutlich nur ein Meeting, auf dass er eh keine Lust hatte“ Auch, wenn er sich gar nicht so fühlte, wurde er von ihrer Fröhlichkeit irgendwie angesteckt und lächelte auch. „Was hast du eigentlich in diesem Monster von Tasche?“ Er zeigte auf das Ding, dessen Gurt er über die rechte Schulter trug. „Windeln, die Babydecke, das Spielzeug, alle möglichen Lotionen, Tücher und so weiter ... alles, was ein Baby so braucht.“ „Jetzt weiß ich, warum Eltern meinen, es sei schwer, Kinder groß zu ziehen ... sie brauchen dreimal so viel Zeug, wie sie überhaupt wiegen ...“ „So ein Kind hat halt nur keine Kontrolle über seinen Körper. Das muss Isamu noch lernen.“ Nicht nur Isamu musste Kontrolle über sich lernen, neckte eine sarkastische Stimme in Katsuyas Kopf. Er verbannte sie wieder. Er war auf dem Weg zu Noah. Der würde wissen, was zu tun war. Wenn nicht, konnte er immer noch Yami anrufen. „Meine Pflegemutter hat mir jede Menge Tipps gegeben. Ich wäre sicherlich selbst drauf gekommen, irgendwann immer etwas zu trinken und zu essen dabei zu haben, aber kleine Spiele oder Quize, da hätte ich nicht so einfach dran gedacht. Und Papier und Stifte sind sehr wichtig, aber das weiß ich ja von dir“ Sie lächelte zu ihm auf. „Habe ich eigentlich als Kind schon viel gezeichnet? Ich erinnere mich nicht mehr dran.“ „Du hast immer gezeichnet“ Sie grinste. „Mama ist total oft durchgedreht, weil du das Papier aus dem Drucker geklaut hast. Weißt du nicht mehr?“ „Jetzt, wo du es sagst ... stimmt. Daran kann ich mich erinnern. Aber irgendwo stimmt es wohl, Kinder krakeln eh nur Blödsinn. Ich kann verstehen, warum es sie aufgeregt hat.“ „Das nennt man üben, nicht krakeln. Damit entwickeln Kinder Feindgefühl für ihre Hand-Arm-Koordination. Selbst wenn alles, was sie entwickeln, ziemlich blöd wirkt, ist es sehr wichtig, dass man ihnen ihre freie Entfaltung lässt“ Shizuka tippte auf Isamus Nase. „Sie erklärt ziemlich viel und ich glaube, das hilft total. Ich fühle mich immer sicherer im Umgang mit ihm.“ Mutter mit Kind. Katsuya sog den Eindruck in sich auf. Jemand, der einen Großteil seiner Freizeit aufgab, um sich um einen anderen Menschen zu sorgen. Einen völlig hilflosen Menschen. Jemand, der Verantwortung für das Leben einer anderen Person übernahm. War Seto noch zurechnungsfähig? Konnte man sagen, dass Seto sich um ihn kümmerte? Oder würde das umschlagen wie bei Herrn Jonouchi ... würde er irgendwann für Seto sorgen? „Macht er dir Angst?“ „Oh ja“ Sie nickte kraftvoll. „Unglaubliche. Manchmal fühle ich mich so verdammt hilflos. Ich weiß so wenig. All diese Muttersachen, die muss ich lernen. Nichts davon kann ich einfach so. Und ich weiß, dass ich von Modellen lerne. Ich imitiere, was ich sehe. Und ich denke, ich werde Mutter irgendwann sehr stark nachmachen. Das ist das Schlimmste, weißt du? Dass es irgendwie wie unvermeidlich scheint, dass sich die Situationen, vor denen man geflohen ist, plötzlich wiederholen.“ Katsuya summte bejahend, nickt und meinte: „Ich glaube, das verstehe ich sehr gut ...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)