In Enemy Territory von Votani (Whitebeards Söhne) ================================================================================ Kapitel 1: Mehr oder weniger in einem Boot. ------------------------------------------- I Es kam immer anders, als man dachte. Das wusste Marco aus eigener Erfahrung, doch manchmal überraschte es ihn immer noch wie schnell sich der Wind drehen konnte. Es hatte ganz harmlos angefangen. Der Auftrag war so einfach gewesen, dass er ihn innerhalb von zwei Tagen hätte beenden können. Nur ein bisschen Stoff in einem Geheimfach unter dem Sitz seines silbernen Mustang verstaut und ab über die Grenze von Florida nach Georgia. Allerdings bestand Whitebeard darauf, dass er Ace mitnahm. Jetzt, wo der Junge zu ihnen gehörte, sollte er auch lernen, wie die Dinge so liefen. Von der Theorie gleich in die Praxis. Genau da hatte es angefangen kompliziert zu werden. Marco war kein Teamspieler. Er erledigte die Sachen lieber alleine, hintereinander weg, dann wusste er wenigstens, dass alles so war, wie es sein sollte. Wenn man sich auf andere verließ, ging man Risiken ein und die Konsequenzen in diesem Business konnten von Gefängnis bis zu Tod reichen. Im Nachhinein war Marco erstaunt, dass die Probleme erst anfingen, als sie den Deal hinter sich gebracht hatten. Oder vielleicht hatten sie schon früher begonnen und er war nur nicht aufmerksam genug gewesen. Ihm hätte Ace’ Veränderung eher auffallen müssen. Zum Beispiel, im Auto, als sie den Highway heruntergedüst waren und Hiphop aus dem Radio geschallt hatte. Als Ace aufhört hatte zu drängen, dass sie doch anhalten und sich etwas zu Essen kaufen sollten. Als er darauf bestanden hatte, dass Marco alle Fenster des Wagens öffnete und die eiskalte Nachtluft an ihren Klamotten und Haaren gezogen und Ace sich zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte. Als er Müll gelabert und gelacht und sich zur Musik bewegt hatte. Marco hätte es bemerken müssen, als Ace aufgehört hatte, Ace zu sein und anfing ein hyperaktiver Kerl mit einer Ladung Kokain in seinem System zu werden. „Was ist los mit dir, verdammt?“, fluchte Marco auf halber Strecke, als er es schließlich nicht mehr aushielt und auf dem Parkplatz eines Holiday Inns fuhr, das ihren Weg kreuzte. Er drehte konsequent die Musik herunter und rieb sich die tauben Hände. „Du benimmst dich wie ein Kind mit ADS.“ Daraufhin grinste ihn Ace vom Beifahrersitz an. Er schnallte sich ab und drehte sich zu Marco herüber, der ihn genervt dabei beobachtete. Irgendetwas in dem Blick des anderen gefiel ihm nicht, aber er konnte nicht direkt benennen, was es war. „Was meinst du?“ Ace fuhr sich durch die schwarzen Haare. Er sah verschwitzt aus, obgleich die Temperaturen irgendwo um die zweiunddreißig Fahrenheit lagen. „Ich hab’ mich nie im Leben so verdammt geil gefühlt!“ Mit diesen Worten war er ausgestiegen und Marco zog den Schüssel aus dem Zündschloss. Eigentlich hatte er nicht vorgehabt, hier einen Stopp einzulegen, aber vielleicht würde ihnen eine Mütze Schlaf doch gut tun. Nachdenklich schweifte sein Blick über den leeren Parkplatz. Nur zwei alte Pick-Ups standen in der Nähe einer Laterne, der Rest schien verlassen. Das zweistöckige Gebäude war dunkel, nur noch in der Rezeption brannte eine kleine Lampe. Nicht verwunderlich, immerhin war es schon nach Mitternacht. II Wahrscheinlich war ihm Ace’ Rausch nicht gleich aufgefallen, weil schon seine Persönlichkeit eine starke Ähnlichkeit mit dem eines drogensüchtigen Junkies hatte. Marco hatte ernsthaft gedacht, dass da keine Steigerung mehr möglich war. Schließlich wirkte Ace meistens recht sorglos und chaotisch und als ob er erst handelte und dann nachdachte. Deswegen wunderte sich Marco gar nicht, als Ace das Radio des Zimmers aufdrehte und Ke$Has Stimme mit ihrem Song Tik Tok schnarrend das gesamte Zimmer erfüllte und Marco selbst im Bad noch hätte mitsingen können. Er wunderte sich nicht mal, als er aus der Dusche stieg und mit einem Handtuch um die Hüfte die Tür aufzog, Ace auf einem der Betten springen zu sehen. Das alles konnte er noch als zu viel Enthusiasmus und zu wenig Spannung abtun, doch was Ace als nächstes tat, war die Spitze des Eisbergs. Als Ace ihn sah, sprang er vom Bett und kam mit diesem Grinsen, das er sich lieber für eine Frau hätte aufheben sollen, auf ihn zu und ließ seine Hand vorwitzig über Marcos Brust nach unten fahren. Die Berührung war lasziv und anregend – und verursachte Marco eine Gänsehaut. Irritiert schlug er Ace’ Hand beiseite und sah ihn mit einer Mischung aus Überraschung und Zorn an. „Was soll das?“ „Wonach sieht’s denn aus?“ Fiebrige Augen starrten ihn an, als Ace’ Arm sich um seine Schultern schlang, die Hand des anderen Arm sein Kinn umfasste und Marco dessen Atem auf den Lippen spüren konnte. Dabei wechselte Ace’ Blick von seinen Augen und seinem Mund hin und her. Grinsend, provozierend, erregend. Marco schluckte unwillkürlich. „Das kann doch wohl nicht wahr sein“, zischte er, als ihm ein Licht aufging. „Du bist high, du Penner! Wo hast du das Zeug her? Was glaubst du eigentlich, was-“ Dann wurde er unterbrochen, indem Ace ihn küsste. Der Rest seiner Worte war mit einem Mal vergessen, als er einen Bruchteil lang hin und her gerissen war. Sollte er Ace wegstoßen? Den Kuss erwidern? Schließlich war er auch nur ein Mann. Ein Mann, der seit zwei Jahrzehnten in Key West zu Hause war, wo die Mehrzahl der Einwohner auf das eigene Geschlecht stand. Eine Stadt voller Toleranz, wo auch er gelockt und gefallen war. Und jetzt stand Ace vor ihm, ließ das Handtuch von seiner Hüfte raschelnd zu Boden fallen und schmunzelte gegen Marcos Mund, als er seinen Unterleib gegen Marcos drückte und dieser deutlich dessen Erregung spüren konnte. Es war ein Spiel mit dem Feuer - aber in diesem Business spielte man doch jeden Tag damit! III Dass er mit Ace in dessen Drogenrausch geschlafen hatte, war auch nicht das größte Problem, mit dem sich Marco konfrontiert sah. Es waren eher die Konsequenzen, die er daraus zu ziehen hatte. Als er das nächste Mal die Augen aufschlug, fand er sich alleine und nackt auf einem der Betten wieder. Die Decke lag halb auf dem Holzboden und als er den Blick wandern ließ, entdeckte er Ace schlafend und alle Glieder von sich gestreckt auf dem anderen. Marco dachte sich nichts dabei, als er aus dem Bett stieg, um sich anzuziehen. Er war gerade dabei seine Hose zu schließen, als er an das Fenster des Zimmers trat und den Vorhang zur Seite zog. Es gab Sicht auf die Rückseite des schmalen Gebäudes. Im ersten Moment ungläubig, im zweiten zähneknirschend besah sich Marco die dichte, weiße Decke, die über allem lag. Es hatte übernacht geschneit – und wie viel, verdammt noch mal! „Das kann doch nicht wahr sein...“, murmelte er, als er sein Hemd anzog und zuknöpfte. „Nicht für Georgia, nicht hier unten.“ Genervt streifte er seine Schuhe über und stapfte zur Tür herüber, wo er sich mit einem neuen Problem konfrontiert sah. „Was zum Teufel...?“ Den Türknauf drehend presste er sich erst etwas, dann mit dem gesamten Körpergewicht gegen das Holz. Langsam, knirschend konnte er sie einen Spalt aufdrücken. Er schlüpfte grummelnd hindurch ins Freie, wo er bis zum Rand seiner Turnschuhe im Schnee versank, der teilweise sogar zugefroren war. Der Highway lag verlassen vor ihnen und der Parkplatz sah noch genauso aus wie gestern, nur weiß und dass ein schwarzer SUV sich zu den Wagen gesellt hatte. Diesen betrachtete Marco skeptisch. Seine Intuition sagte ihm, dass etwas nicht stimmte, trotzdem begann er mit den Schuhen den Schnee etwas wegzuschieben, um die Tür weiter öffnen zu können. Dann hallte ein Schuss in der Luft. Marco duckte sich instinktiv, bevor er sich umsah. Plötzlich schlug sein Herz Saltos, jegliche Ruhe war zerbrochen wie Glas auf Kachelboden. Die Tür zur Rezeption wurde aufgestoßen, ein braungebrannter Kerl mit kurzen, weißblonden Haaren und eine Frau mit enganliegenden Klamotten und mit einer Knarre in der Hand traten heraus. Marco schob sich ins Zimmer zurück, zog die Tür bis zu einem schmalen Spalt zu und beobachtete sie mit angehaltenem Atem. Das war kein Zufall! In ihrem Business hörte man auf, an Zufälle zu glauben. Diese Typen waren wegen ihnen hier, wahrscheinlich sogar von Crocodile selbst geschickt worden. Denn keiner zog ihn ungestraft über den Tisch, niemand versuchte ihn um Kokain zu bescheißen und kam mit seinem Leben davon! Nicht einmal Whitebeards Söhne... „Was geht ab, Marco?“, ertönte es verschlafen hinter ihm, doch Marco hob ohne den Blick von den Agenten da draußen abzuwenden die Hand, um Ace Ruhe zu signalisieren. Dieser hielt auch tatsächlich die Klappe, gesellte sich zu Marco und schaute ebenfalls durch den Türspalt. „Wer sind die Typen?“ „Wer die Typen sind?“, zischte Marco zurück, als er zu Ace aufsah. „Willst du mich verarschen?“ Ace zuckte unschuldig mit den Schultern, so dass Marco ihm am liebsten gepackt und ihm einen Kinnhaken verpasst hätte, den er seinen Lebtag nicht vergessen hätte. Eine andere Sprache schien bei dem Jüngeren schließlich nicht zu ziehen! Stattdessen schnaubte er aber nur wütend und wandte seinen Blick wieder den Agenten zu, die gerade aus seinem Sichtfeld verschwanden. Doch Marco musste sie nicht sehen, um zu wissen, was sie vorhatten. Er konnte es hören. Die erste Tür zu dem Zimmer am Anfang der Reihe wurde eingetreten und ein weiterer Schuss fiel. Marco schwante übles. Im nächsten Moment packte er Ace bereits am Arm und zog ihn von der Tür weg in Richtung des Fensters. „Wenn die uns sehen, dann machen die kurzen Prozess mit uns!“, entwich es ihm, als er es aufschob und Ace hinaus kletterte. Marco tat es ihm gleich, so dass sie beide zwischen kahlen, eingeschneiten Büschen standen. IV Ungefähr an dieser Stelle wurde Marco bewusst, dass Ace es in den Sand gesetzt hatte. Jeden anderen Neuling hätte er jetzt Crocodiles Leuten zum Fraß vorgeworfen, während er sich selbst aus dem Staub gemacht hätte. Einfach aus Prinzip, denn die wichtigste Regel im Drogenbusiness war, dass sich der Dealer niemals an der Ware bediente. Das war das Erste, was sie den Neuen einbläuten, wenn sie anfingen für Whitebeard zu arbeiten. Doch Ace hatte diese Regel gebrochen – und das war nicht aus reiner Unwissenheit heraus entstanden! Marco schielte um die Hausecke herum, während er seine Pistole aus dem Gürtel zog. Die schwarze Bodyguard38 war sein ganzer Stolz. Auch Ace hatte inzwischen seine Waffe gezogen. Marco wandte sich ihm zu und starrte ihm anstrengt ins Gesicht. “Sobald sie das nächste Zimmer durchsuchen, rennen wir zum Wagen und machen uns vom Acker! Wenn wir Glück haben, bemerkten sie uns erst, wenn der Motor gestartet wird“, erklärte er. „Verstanden?“ Ace nickte mit einem schmalen Grinsen am Mundwinkel, für das Marco ihm am liebsten hier und jetzt an die Kehle gegangen wäre. Aber sich in so einer Situation gehen zu lassen, würde sie höchstens umbringen. Deswegen beließ er es bei einem Augenrollen und sah wieder um die Hauswand herum. Er konnte Crocodiles Agenten nicht sehen, da sie eines der Zimmer durchsuchten, konnten jedoch jeder Zeit wieder herauskommen. In jedem Zimmer brauchten sie ungefähr eine halbe Minute, wie Marco beobachtet hatte, was ihnen ein angemessenes Zeitfenster verschaffte, um zum Mustang herüber zu rennen. Der stand eingeschneit am Rand der Auffahrt zum Highway. Dabei fiel Marco auf, dass der Schnee vielleicht auch noch zum Problem werden könnte. Das wurde ja immer besser und besser! „Los jetzt!“ Damit winkte er Ace hinter sich her und strauchelte durch den Schnee zum Wagen, darauf bedacht, so leise wie möglich zu sein. Knirschender Schnee erfüllte die Luft, als sie hinüber wetzten. Am Mustang zog Marco seine Schlüssel aus der Hosentasche und entfernte mit der anderen Hand rasch den Schnee vom Schloss. Inzwischen wischte Ace mit dem Ärmel seiner Jacke so viel wie möglich von der Frontscheibe. Der Wagen war mit dem Kofferraum zum Hotel geparkt und die Nase zeigte auf eine schmale Reihe an Büschen, die das Gründstück des Hotels vom Highway abtrennte. Marco zog gerade die Wagentür auf, als eine helle Stimme „Da sind die Mistkerle!“ über den Parkplatz brüllte. Im darauffolgendem Moment sauste eine Kugel an Marco vorbei und traf den Seitenspiegel, der daraufhin splitterte und dessen Reste nutzlos herunterhingen. „Verdammt!“ Er schob sich in den Wagen und startete ihn. Ace befand sich inzwischen geduckt auf der anderen Seite, schoss über das Wagendach zurück und stieg dann selbst ein. Sie ließen ihre Köpfe unten, als Kugelhagel über sie hereinbrach und das Rückfenster zerschmetterte. Wenigstens musste sich Marco nun keine Sorgen mehr darum machen, dass er durch den Schnee nichts sah. Dieser lag nun mit zerbrochenem Glas auf der Rückbank. Also setzte er den Wagen rückwärts, so dass die zwei Agenten, die auf sie zugerannt kamen, zur Seite sprangen und sich vor Ace’ Schüssen wegduckten. Marco nutzte den Moment, um den Wagen auf den Highway zu bringen, mehr schlitternd als fahrend. Verdammter Schneefall, beschissenes Eis! Gestern musste es obendrein auch noch geregnet haben. Marco fluchte und Ace kurbelte siegreich lachend das Seitenfenster herunter, um auf die kleiner werdenden Figuren schießen zu können, die zu ihrem SUV rannten. Verfolgen taten sie den Mustang jedoch nicht, das beobachtete Marco im Rückspiegel. So wie es aussah, musste Ace irgendetwas bei Zufall getroffen haben. Vermutlich einen der Reifen. Wenigstens auf das Glück des Jungen konnte man sich verlassen, stellte Marco fest und grinste grimmig. V Ace’ Lachen zerriss die Stille im Mustang wie zwei Hände ein Stück Papier. Zum ersten Mal seit ihrer Flucht warf Marco diesem einen Blick aus dem Augenwinkel zu, während er sich weiterhin darauf konzentrierte den Mustang trotz rutschendem Eis auf der Spur zu halten. „Du findest das lustig?“ Seine Stimme war ruhig und dennoch unterlag ihr ein gefährlicher Ton. Allerdings hatte sich Ace davon noch nie einschüchtern lassen. Es konnte ihn sowieso kaum etwas einschüchtern – und obwohl man unerschrockene Typen in ihrem Business gebrauchen konnte, waren Kerle, die keine Angst vor dem Sterben hatten, letztendlich mehr eine Behinderung als eine Hilfe. Zumindest war das die Erfahrung, die Marco über die Jahre hinweg gemacht hatte. Ace war nicht der Erste, der die selbstzerstörerische Schiene fuhr, nur hatten alle seine Vorgänger bereits den Löffel abgegeben. „Komm’ schon, Marco...“, erwiderte Ace heiter, die Pistole noch immer in der Hand und mit einem Grinsen auf den Lippen. „Hast du gesehen, wie die geguckt haben? Hah! Die haben garantiert gedacht, sie hätten leichtes Spiel mit uns!“ Marco knirschte hörbar mit den Zähnen, als er den Rückspiegel zum siebzigsten Mal checkte. Ace sah daraufhin zu ihm herüber. „Sie hätten nicht gedacht, sie haben leichtes Spiel mit uns, wenn du dich nicht am Kokain bedient hättest!“, warf Marco ein und starrte stur auf die Straße, während er versuchte seinen Zorn im Zaum zu halten. Das war aber auch eine Kinderkacke wegen der sie nun Elitekiller am Hals hatten! „Dir ist doch sicher klar, dass es damit nicht getan ist, oder?“ Marco schüttelte kaum merklich den Kopf und die Hände krampften sich um das Lenkrad, so dass seine Knöchel weiß hervorstanden. „Paps weiß sicher auch schon davon. Ganz zu Schweigen davon, dass uns mehr von Crocodiles Agenten das Leben schwer machen werden. Es war keine gute Idee, jemanden wie Crocodile zu verärgern!“ „Na, hätte ich gewusst, dass es gleich so einen Aufruhr gibt...“, lenkte Ace ein. „Das Zeug hat mich nur so angelächelt. Es war aber auch wirklich wenig, was ich genommen hab’, Marco. Das musst du mir glauben. Ich hätte nicht gedacht, dass es überhaupt jemanden auffallen würde.“ Das war ja unglaublich! Hatte der Bengel noch nie etwas von Waagen gehört? Nur weil die Geschäfte mit Crocodile über die Jahre reibungslos über die Bühne gegangen waren, so dass er sich das Abwiegen bis nach dem Deal aufhob, hieß das nicht, dass er es überhaupt nicht tat und ihm deshalb ein Unterschied in der Grammmenge auf längerer Sicht verborgen blieb. Das hätte Ace wissen müssen. Das war logisches Denkvermögungen, verflucht! „Über die Sache wächst doch bestimmt schnell wieder Gras“, meinte Ace irgendwann, woraufhin Marco abrupt auf die Bremse trat. Der Mustang schlitterte über den verlassenen Highway, hinüber auf die Gegenspur, das beide hin und her geschaukelt wurden. „Whoa!“, entwich es Ace, als der Wagen quer auf der Straße zum Stehen kam. Gut, dass bei diesem Wetter kein Menschenseele unterwegs war. Verwirrt traf Ace’ Blick auf Marcos. „Raus.“ „Was...?“ „Steig’ schon aus!“, forderte Marco. „Leute wie dich können wir nicht gebrauchen. Leute wie dich bringen Paps’ Geschäfte nur in Gefahr.“ Schließlich wuchs nicht einfach wieder Gras über die Sache. Nein, Crocodile würde erst Ruhe geben, nachdem ein paar Köpfe gerollt waren! „Raus!“, wiederholte Marco, als Ace ihn irritiert anstarrte, sich aber nicht rührte. Dann stieg er aber doch aus und verabschiedete sich mit dem Knallen der Tür und einem Fluchen. Als Ace zum Rand des Highways getreten war, setzte Marco den Wagen zurück und fuhr davon. Nur im Rückspiegel beobachtete er, wie Ace ihm nachsah. VI Keine fünf Minuten nachdem er Ace aus dem Wagen geschmissen hatte, riss sein klingelndes Handy Marco aus den Gedanken. Zuerst ignorierte er es. Er wollte gar nicht wissen, wer oder was es jetzt schon wieder war, aber als die Lautstärke der Jazzmusik von Sekunde zu Sekunde anschwoll, fischte er es dann doch fluchend aus der Hosentasche. „Thatch?“ Marco zog die Augenbrauen zusammen. Dann wusste Whitebeard also wirklich schon über den vermasselten Deal Bescheid wie es schien. Großartig! Sein Tag wurde wirklich immer besser und besser. Genauso wie dieser Auftrag. „Was ist los?“, beantwortete er barsch den Anruf, so dass auf der anderen Seite der Leitung ein empörtes Lufteinziehen ertönte. „Irgendwie hab’ ich erwartet, dass du besser drauf bist, jetzt wo Ace bei dir ist.“ Marco konnte deutlich das Grinsen aus Thatchs Stimme heraushören. Allerdings ignorierte er es, da er trotz geringer Geschwindigkeit Mühe hatte, den Wagen mit einer Hand auf dem vereisten Highway zu halten. Wie gut, dass sich hier scheinbar niemand die Mühe machte, Salz zu streuen. Wahrscheinlich war der nächste Baum seiner, obwohl er in diesem Fall wohl eher die Leitplanke treffen würde. „Er... ist nicht mehr bei mir.“ „Ach, das erklärt so einiges...“, erwiderte Thatch. „Wo ist er?“ Daraufhin konnte Marco dann doch nicht anders, als einen Moment zu schweigen. Genervt klemmte er sich das Handy zwischen Kinn und Schulter und verdrehte die Augen. „Ich hab’ ihn am Straßenrand abgesetzt.“ Jetzt, wo Marco es aussprach, klang es doch absurder als es sich in dem Moment angefühlt hatte. Er hatte den Jüngeren tatsächlich mitten auf dem Highway bei diesem Wetter stehen gelassen, weit weg von jedem Gebäude. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, wäre es ihm glatt so vorgekommen, als hätte er hoffnungslos überreagiert. „Das war aber etwas überreagiert, findest du nicht auch?“, bestätigte ihm Thatch über das Mobiltelefon, so dass Marcos Augenbraue in die Höhe zuckte. „Warum hast du noch mal angerufen, Thatch?“ „Ach so, ja!“, entrann es diesem und der folgenden Stille nach zu urteilen, suchte er scheinbar den roten Faden, von dem sich Marco manchmal fragte, ob er diesen jemals gehabt hatte. „Paps hat Meldung von Crocodile gekriegt und lässt ausrichten, dass er gerne wissen will, was da eigentlich passiert ist. Du weißt schon, Crocodiles Braut, diese Miss Bloody Sunday, kann man nicht ganz vertrauen. Ich glaube nicht mal, dass das überhaupt ihr richtiger Name ist.“ Was sollte Marco dazu groß sagen? „Ich erklär’s, wenn ich zurück bin“, sagte er und hängte mental noch ein „Sollte ich bis dahin noch am Leben sein“ heran. Nur weil sie seine Agenten abgewimmelt hatten, garantierte das immerhin nicht, dass diese ihnen nicht nach einigen Meilen wieder im Nacken sitzen würden. Crocodiles Verbindungsnetz war schließlich riesig. Seine Anhänger lungerten in ganz Georgia herum, da würde es Marco nicht überraschen, wenn er eher früher als später einigen von diesen über den Weg laufen würde. „Und du hast Ace wirklich am Straßenrand zurückgelassen?“, hakte Thatch schließlich nach. „Schade eigentlich, ich hab’ den Kerl richtig gemocht. Er hatte einen klasse Humor.“ „Halt’s Maul, Thatch!“ Damit unterbrach Marco das Gespräch und steckte das Handy wieder in die Tasche. Den Wagen anhaltend hämmerte er mit den Fäusten einmal auf das Lenkrad, ehe er umdrehte und zurück fuhr. VII Nur Ace brachte es fertig noch an derselben Stelle zu stehen, wo Marco ihn aus dem Wagen geschmissen hatte. Nur Ace – und das trotz einer dünnen Jacke, einer hochgekrempelten Dreiviertelhose und Schnee und Eis. Marco hätte sich wohl freuen oder wenigstens erleichtert sein sollen, aber verspürte nichts anderes als pure Verwunderung. Am liebsten wäre er glatt noch einmal an ihm vorbeigefahren... Dennoch hielt er den Wagen auf gleicher Höhe mit Ace, beugte sich zum Nebensitz herüber und öffnete ihm die Beifahrertür. Grinsend, aber mit blauen Lippen stieg dieser wieder zu ihm in den Wagen und rieb sich die Hände. „Ich wusste, dass du zurückkommst.“ „Und ich wusste, ich hätte doch vorbeifahren sollen.“ „Warum bist du zurückgekommen?“, fragte Ace schließlich, als Marco die Autoheizung höher gestellt und abermals den Wagen mit Vorsicht gewendet hatte. Eine Weile starrte er gebannt auf die Straße, ganz so, als hätte er Ace’ Frage nicht gehört. Nur, dass er sie durchaus vernommen hatte und nur über eine Antwort nachdachte. Warum war er zurückgekommen? Weil er sich schlecht gefühlt hatte, Ace mitten im Nichts zum Aussteigen aufgefordert zu haben? Weil er in seiner Wut überreagiert und die Kontrolle verloren hatte? Oder weil er Ace’ Gesellschaft nach den Monaten, in denen er nun schon bei ihnen war, doch irgendwo genoss? Was auch immer es war, auf jeden Fall hatte es damit zu tun, dass Ace ein Neuling war und seine Verantwortung Marcos Verantwortung war. Sie waren ein Team bei der Sache gewesen und beide hatten einen Fehler begangen. „Wir alle machen mal Fehler“, erklärte er dann mit gelangweilter Stimme. „Niemand ist perfekt und jeder hat eine zweite Chance verdient.“ „Keine Sorge, ich werd’s wieder gutmachen, Marco!“, war alles, was Ace antwortete. Daraufhin spürte Marco dessen eiskalte Hand auf seinem Oberschenkel. Sein Gesichtsausdruck entgleißte unwillkürlich. „Darauf kann ich verzischten!“ Eine Hand vom Lenkrad lösend schlug er Ace’ beiseite, der sich lachend in seinen Sitz zurücklehnte. „Ich sag’ dir nur eins,... nächstes Mal, wenn du so ein Ding bringst, brauchst du nicht auf die Auftragskiller warten, denn dann werde ich den Job für sie erledigen.“ „Geht klar, Marco.“ Abermals hörte dieser Ace lachen, so dass er selbst nicht umgehen konnte, dass ein schmales Grinsen an seinem Mundwinkel zog. Zwar wusste er nicht, ob sie es bis Florida in einem Stück schaffen würden, aber wenigstens hatte er seinen eigenen Fehler wieder ausgebügelt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)