Wolfserinnerungen - Der Erste Schnee von Scarla ================================================================================ Kapitel 28: Alte Freunde ------------------------ »Und dann hat sie mich einfach rausgeschickt. Kannst du dir das vorstellen? Dass sie mich einfach vor die Tür setzt?« Yue gestikulierte entrüstet und schüttelte fassungslos den Kopf. »Und dann sollte ich auch noch babysitten.« Lugh Akhtar, der einige Schritte hinter ihr herlief, hatte redlich mühe, sich das Lachen zu verkneifen, doch er schaffte es. Seine Stimme klang ernst, sachlich und zustimmend, als er ihr antwortete. »Ich werde mit Mana sprechen. So geht das natürlich nicht.« Dass er dabei breit grinste, erkannte seine Tochter nicht, doch sie war auch so in ihrer Geschichte gefangen, das sie es wohl auch nur bemerkt hätte, hätte sie ihn aufmerksam und direkt angesehen. Weder das eine, noch das andere war der Fall. »Ja, bitte. Nur weil sie jetzt Fylgien hat und Mutter ist, kann sie sich ja nun wirklich nicht alles erlauben«, schnaubte Yue und blieb so abrupt stehen, das Lugh Akhtar fast in sie hineingelaufen wäre. Sie bemerkte es nicht, wandte sich stattdessen mit blitzenden Augen zu ihm um. »Mir ist gerade eingefallen, dass ich noch etwas besorgen muss. Kekoa hat mich darum gebeten.« »Dann lass uns erst das erledigen, Aaron kann warten.« Lugh Akhtar deutete ihr, das sie wieder vorangehen sollte. »Ich glaube, so was kannst auch nur du. Einfach den mächtigsten Mann im ganzen Zauberreich warten lassen…« Yue seufzte, lief aber gehorsam voran. Sie kannte den Weg, obwohl sie noch nicht oft in Altena war. Manche Wege aber hatte sie sich schnell eingeprägt und da sie schon oft geschickt worden war, um das eine oder andere zu besorgen, gehörte dieser dazu. »Er ist für mich nun einmal in allererster Linie mein Schwager. Dann ist er mein Freund. Und dann erst ist er Hochmagier. Und meinen Schwager und meinen Freund kann ich warten lassen, mein Herz.« »Heute aber treffen wir ihn doch in offizieller Sache, solltest du dann nicht zu allererst den Hochmagier sehen?« »Keine gute Idee, vor denen hatte ich noch nie besonders viel Respekt. Immerhin war Aarons Vorgänger mein Meister und ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, wir oft wir uns gestritten haben…« Lugh Akhtar lächelte bei dem Gedanken an alte Zeiten. »Ich glaube, sollte ich jemals Aaron gegenüber Widerworte äußern, dann bist eher du es, der sie mir übel nimmt…«, bemerkte da Yue grinsend. »Man muss Erwachsenen mit Respekt begegnen. Aber mit manchen freundet man sich auch an, und Nikolai gehört eben zu denen. Und vor Freunden hat man eine andere art Respekt. Bei dir und Aaron ist das aber etwas anderes. So selten, wir ihr euch seht, kann mir keiner glaubhaft weismachen, dass ihr vertraute seid«, erklärte ihr Vater sanft und bestimmt lächelnd. »Ja, schon klar«, nickte sie lachend und tänzelte durch die Menschenmenge. Lugh Akhtar beobachtete sie mit einem warmen Lächeln, da bekam er einen heftigen Stoß in den Rücken. Er sah aus dem Augenwinkel, wie eine Gestalt an ihm vorbei lief und er spürte einen heftigen Ruck im Nacken, dann war die Gestalt verschwunden. Und der Zauberer musste nicht danach greifen um zu wissen, dass sie seinen Sternenstein mitgenommen hatte. Sein erster Impuls war, der Gestalt zu folgen, doch er wusste, dass er in diesem Gedränge keine Chance hatte. Yue jedoch hatte ebenfalls bemerkt, was geschehen war, und ihr war es egal, wenn sie unzählige Leute umwerfen musste, sie setzte laut rufend zur Verfolgung an. »Dieb! Bleib stehen!«, rief sie. Er zögerte kurz, drängelte sich dann jedoch auch hindurch. Er hatte keine Schwierigkeiten, seiner Tochter zu folgen, ihr Geschrei war über den Lärm der Menge hinweg gut zu hören. Schließlich schien sie ihn in einer Seitengasse gestellt zu haben, denn ihre fauchende Stimme entfernte sich nicht weiter. Er brauchte nur noch ihrem Geschrei zu folgen. Plötzlich gab es einige erstickende Laute, sodass Lugh Akhtar erschrocken und das Schlimmste befürchtend, ein wenig schneller lief. Als er um die Ecke bog, musste er sich jedoch abermals das Lachen verkneifen. Er hatte erwartet, dass der Dieb Yue niedergestreckt hatte, um weiter zu flüchten, doch das Gegenteil war der Fall. Sie hing rittlings auf seinem Rücken und trat ihn mit Füßen und hiebt mit den Fäusten auf ihn ein, während er jammern versuchte, sie irgendwie wieder los zu werden. »Yue, lass den armen Kerl los«, bat Lugh Akhtar lachend. Da hielt sie inne und ließ sich von ihrem Vater vom Rücken pflücken. »Er hat dich bestohlen«, maulte sie. »Ja, aber deswegen musst du ihn doch nicht so fertig machen. Er kann doch nicht ahnen, das du mehr Kerl bist, als es dein Bruder je war«, lachte er und umarmte sie, wandte sich dann den jungen Mann zu, der verwirrt und auch ein wenig verzweifelt auf dem Boden saß und mit gerunzelter Stirn zu ihnen aufblickte. »Stimmt auffallend, so was hab ich noch nicht erlebt…«, brummte er. »Stehlen lohnt nicht«, mahnte der Zauberer lächelnd und hielt ihm die Hand hin. Der junge Mann zögerte, schnaubte dann abfällig und stand selbst auf. »Los, ruf die Wachen. Mit der Bestie auf dem Versen kann ich sowieso nicht entkommen«, brummte er und schaute zu Boden. »Ich möchte nur mein Eigentum wieder zurück, mehr nicht«, antwortete der Zauberer und hielt auffordernd die Hand hin. Der junge Mann wirkte erstaunt, gab es ihm zögernd, blieb misstrauisch. Da fiel Lugh Akhtar etwas auf. Es war nur ein kurzer Augenblick, eine Sekunde vielleicht, doch es entging ihm nicht. Er nahm den Stein und steckte ihn in seine Tasche, wandte sich dann zu Yue. »Glaubst du, du kommst allein zurecht? Dass du deine Besorgung von Kekoa erledigen kannst?« »Natürlich, aber wieso?« Erstaunt schaute sie zwischen dem Dieb und ihrem Vater hin und her. »Weil ich noch etwas zu klären habe. Geh jetzt und geh dann zu Aaron und sag ihm, dass ich später komme. Vielleicht.« Sie zögerte noch einen Moment, dann nickte sie jedoch und lief los. Lugh Akhtar derweil wandte sich zum Dieb um. »Wie ist dein Name?«, fragte er freundlich. »Ich dachte, ich darf gehen, wenn du dein Schmuckstück wieder hast.« »Ich werde dich nicht aufhalten, wenn du möchtest, kannst du gehen.« Er machte den Weg frei, doch der Dieb bewegte sich nicht. »Warum willst du das wissen?« »Weil eine Freundin mir vor langer Zeit versprochen hat, das ich irgendwann einmal einen guten Freund widertreffen würde. Du erinnerst mich an ihm.« »Inwiefern?« »Auch er hat mir vor langer Zeit einmal den Sternenstein gestohlen.« Der Zauberer lächelte traurig, als er an Nanook dachte. »Und… was habe ich damit zu tun?« »Noch nichts«, lächelte Lugh Akhtar. »Aber verrate mir eines. Warum hast du ihn überhaupt haben wollen? Er ist nicht wertvoll und ich denke, das du das sehr wohl weißt.« Der Dieb wirkte ertappt. Man sah ihm an, dass er nachdachte. »Du lebst auf der Straße, nicht wahr?«, suchte der Zauberer einen anderen Ansatz. »Ja«, bestätige der Dieb. »Wieso? Hast du keine Eltern oder andere Verwandte, zu denen du gehen könntest?« »Nein. Meine Eltern sind tot, ich habe sie nicht kennengelernt und wenn ich Verwandte habe, so haben sie sich nie für mich interessiert.« »Also hast du nur dich selbst.« Lugh Akhtar seufzte. Es gab viel zu viele mittellose Kinder auf den Straßen und die Menschen hatten genug eigene Probleme, als das sie sich dafür interessieren würden. Ab und an tat man mal so, als hätte man ein barmherziges Herz, aber wirkliche Hilfe erhielten sie von niemandem. »Ich kann zumindest für mich sorgen.« Deutlicher Stolz schwang in der Stimme mit. »Als Dieb, ja«, seufzte der Zauberer und schüttelte den Kopf. »Komm mit mir, es ist Zeit, das du einmal eine bezahlte Mahlzeit in den Magen bekommst.« Sogleich flackerte das Misstrauen auf, doch irgendetwas schien den Jungen zu beruhigen, denn er folgte gehorsam. »Du hast Mitleid mit mir. Und es gefällt dir nicht, dass ich stolz auf mein Können bin«, erklärte er lauernd. »Nein, in der Tat. Ich finde, dass niemand so leben sollte und ich finde auch, dass ein gewisses Geschick als Taschendieb nichts ist, worauf man stolz sein sollte. Du bist ein Empath, nicht wahr?« »Ein was?« Der junge Mann zog die Augenbrauen hoch. »Jemand, der die Gefühle anderer Leute fühlen kann. Wenn du willst, könntest du meine Gefühle mit derselben Intensität fühlen, wie ich, nicht wahr?« Der Dieb blieb erstaunt stehen und starrte ihn an. »Woher…?« »Mein Freund konnte das auch. Nur… er konnte es nicht kontrollieren, er konnte es niemals… abstellen. Später habe ich mich dann genauer damit beschäftigt.« »Du bist ein Zauberer, nicht wahr? Normale Menschen wissen so etwas nicht.« Der Dieb lief wieder an seine Seite. »Stimmt, bin ich. Mein Name ist Lugh Akhtar.« »Von dir habe ich gehört… aber es war nicht viel Gutes dabei. Du bist der Bruder der Hochmagierin Cinder, nicht wahr?« »Man sollte nicht zu viel auf das Gerede der anderen Geben. Es gibt einfach zu vieles, was sie nicht kennen und nicht verstehen können. Sie halten mich für Schwachsinnig, aber mache ich auf dich den Eindruck, als wäre ich Krank?« »Nein. Ein wenig seltsam, aber nicht Schwachsinnig, solche kenne ich nämlich zu genüge.« Lugh Akhtar lächelte, dann deutete er auf ein Gasthaus, das in der Straße vor ihnen lag. »Ich hoffe, du hast Hunger, die Wirtin verteilt sehr reichliche Portionen.« »Ich habe fast immer Hunger, ich bin immerhin ein Straßenkind«, antwortete der Dieb mit einem schiefen Lächeln. Lugh Akhtar nickte grinsend, dann tauschten sie kein Wort mehr, bis sie am Tisch saßen. Eine ganze Weile aß der Dieb auch vor sich hin, während der Zauberer mit einem traurigen Lächeln zuschaute, dann jedoch hielt der Junge inne und starrte zurück. »Dann können wir ja jetzt zum Geschäft kommen«, erklärte er. »Geschäft?« »Du wärst der erste, der so etwas ohne Hintergedanken tun würde. Und vergiss nicht, ich weiß, was du fühlst, also spuck schon aus, was dir auf der Zunge brennt.« Lugh Akhtar lächelte belustigt. Er betrachtete sein Gegenüber genau. Er sah anders aus, als Nanook. Sein Haar war Okerfarben, der Pony weiß. Die Augen waren so dunkel, das man eine Farbe im schlechten Licht des Schankraumes kaum ausmachen konnte, doch er hatte im Sonnenlicht gesehen, das sie ein leichtes, farbiges Glimmen besaßen. Eines in einem dunklen blauton, das andere in einem bräunlichen rot. Er war aufgeweckt und schlau und hatte so gar nichts mit Nanook gemeinsam. Dennoch hatte er das Gefühl, nicht falsch zu liegen. »Warum hast du den Stein nehmen wollen, obwohl du wusstest, das er wertlos ist?« Der Dieb wirkte nachdenklich, schien abzuwägen, wie viel von dieser Antwort abhing. »Ich hab das Gefühl, das ich ihn schon irgendwann einmal gesehen habe. Als Baby vielleicht. Und das er damals sehr, sehr wichtig für mich war«, antwortete er dann. Lugh Akhtar lächelte. »Soll ich dir erklären, wieso das so ist?«, fragte er leise. »Ja. Bitte.« Und Lugh Akhtar erzählte es ihm. Obwohl er wusste, wie unglaublich diese Geschichte für den Dieb klingen musste, so unterbrach der ihn nicht einmal. Im Gegenteil, nachdem der Zauberer geendet hatte, kaute er nachdenklich auf einem Stück Brot herum. »Ich nehme an, du glaubst, ich wäre die Wiedergeburt von diesem… Nanook?« »Es wäre möglich«, lächelte der Zauberer. Sein Gegenüber seufzte. »Es würde die Träume erklären«, antwortete er. »Träume?« »Ja. Von dir, einem Söldner mit einer breiten Narbe im Gesicht und einem Mädchen mit weißem Haar und roten Augen. Und dem Stein, von dem ich immer wusste, dass er unglaublich wichtig ist. Ich wusste nur nie wieso.« »Ja, die anderen beiden sind Kenai und Chaya.« »Als ich das Mädchen in deiner Begleitung gesehen habe, dachte ich erst, dass sie es ist, aber sie ist jünger und ihre Gesichtszüge sind anders. Dich aber hab ich gleich erkannt.« »Das Mädchen war Yue, meine Tochter.« Der Dieb nickte und schaute nachdenklich vor sich hin. Schließlich stand er auf. »Nun, danke für das Essen. Ich denke, es ist jetzt Zeit zu gehen, Yue… wird bestimmt schon warten«, meinte er dann und lächelte schüchtern. Er ging an Lugh Akhtar vorbei, ohne eine Antwort abzuwarten. Dem Zauberer fiel es schwer, seinen alten Freund gehen zu lassen, doch er wusste, das Nanook in diesem Leben niemals derselbe sein würde, wie jener, den er kannte. Es gab einfach nichts, was ihre Wege zusammenhalten würde. Doch das stimmte nicht, das wurde ihm im selben Augenblick klar, als der Dieb die Tür öffnete. Die Art, wie er sich bewegte, wie er stand und sah, brüllten es regelrecht hinaus, doch war es ihm nicht aufgefallen. »Warte!«, rief er da dem Dieb noch nach. Der zögerte kurz, schaute zu ihm zurück, während er näher kam. Er schob den Jungen hinaus und ein wenig zur Seite, sodass sie nicht im Weg standen, dann konzentrierte er sich auf die Magie, die um sie herum war, lächelte schließlich. »Ich biete dir eine Lehrstelle an. Als Zauberer. Du hast magische Kraft in dir«, erklärte er dem Jungen. »Als… Zauberer? Ich?«, fragte der zweifelnd. »Ja. Du bekommst vernünftige Kleider, eine Unterkunft, du lernst lesen und schreiben und ein Handwerk, mit dem du nicht mehr stehlen brauchst. Und dafür musst du nur eine Sache tun«, bot Lugh Akhtar mit einem Lächeln an. »Und… was?«, wollte der Dieb wissen. »Du musst mir deinen Namen verraten.« Da lächelte der Dieb und nickte, während Lugh Akhtar einen neuen Schüler und einen alten, neuen Freund erhielt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)