Mein Leben ohne dich von abgemeldet (Shinichi x Heiji) ================================================================================ Kapitel 1: 4 Tage, 9 Stunden und 11 Minuten ------------------------------------------- Kapitel 1 – 4 Tage, 9 Stunden und 11 Minuten 4 Tage, 9 Stunden und 11 Minuten sind vergangen, seit ich meinen alten Körper zurück habe… 4 Tage, 9 Stunden und 11 Minuten, in denen ich mich für meine Gedankenlosigkeit verfluche und mir wünsche ich hätte diesen Fehler niemals begangen. Ich wälze mich auf meinem Bett hin und her, starre an die schwarze Decke, dann auf das helle Display des Weckers und wieder an die Decke. Eine weitere Minute vergeht. Ich richte mich auf und versuche in der Dunkelheit des Zimmers etwas auszumachen. Auf dem Schreibtisch erkenne ich mein Handy, das in regelmäßigen Abständen aufleuchtet. Das fordernde Blinken zehrt an meinen Nerven. Ich stehe auf, wanke auf meinen Arbeitsplatz zu. Meine kalte Hand schließt sich um das Mobiltelefon. Das grelle Licht des Bildschirms brennt in meinen Augen. 47 Anrufe in Abwesenheit. Ohne einen weiteren Gedanken darauf zu verschwenden, schalte ich das Handy aus und genieße die zurückkehrende Finsternis. Ich sehe erneut zum Wecker. Schon wieder ist eine Minute vergangen…Eine weitere Minute, die ich ohne sie ertragen muss. Meine Kehle schnürt sich zu, als die Bilder wieder vor meinen Augen auftauchen. Immer die gleichen verfluchten Bilder, die mich nicht mehr loslassen wollen und die die beruhigende Leere in mir aufs schmerzhafteste ausfüllen. Ich sehe ihr seidiges Haar durchtränkt von Blut, das zarte Antlitz zerschunden, die einst so strahlenden Augen gebrochen. Ich werde noch verrückt! Schwer atmend lasse ich mich wieder auf mein Bett sinken und vergrabe das Gesicht in den Händen. Verdammt, wann hört das endlich auf? Wie besessen krallen sich meine Finger in mein Haar, versuchen die Bilder aus meinem Kopf zu vertreiben. Ein Klopfen an der Tür holt mich zurück in die Realität. Ich ignoriere es, doch das Klopfen hört einfach nicht auf. Es ertönt immer wieder aufs Neue, dringt an mein Ohr, nistet sich in meinem Kopf ein. Ich halte mir die Ohren zu. „Shin-chan!“ Die besorgte Stimme meiner Mutter ertönt. „Shin-chan! Es bringt doch nichts, wenn du dich in deinem Zimmer verschanzt.“ Ich versuche sie nicht weiter zu beachten. Wenn ich jetzt auf eins verzichten kann, dann ist es menschliche Nähe. „Shinichi!“ Mein Vater klingt ungeduldig. „Mach die Tür auf!“ „Lasst mich endlich in Ruhe!“ Ich bringe nicht mehr als ein Krächzen zustande. 4 Tage ohne ein Wort zu sagen sind nicht spurlos an mir vorbeigegangen. „Dann lässt du mir keine andere Wahl.“ Ich höre wie ein Schlüssel im Schloss herumgedreht wird. Kurz darauf werden die Vorhänge beiseite gezogen und gleißendes Sonnenlicht dringt in mein Zimmer. Die plötzliche Helligkeit blendet mich, sodass ich erschrocken zusammenzucke, als ich eine zierliche Hand auf meiner fühle. Für einen kurzen Augenblick bilde ich mir ein, es sei ihre Hand. „Ach mein Shin-chan.“ Arme versuchen mich zu umschließen, doch ich schüttel sie ab. „Ich habe doch gesagt ich möchte niemanden sehen!“, murmel ich zornig. Mir fehlt die Kraft um deutlicher zu werden. „Das verstehen wir auch mein Junge, aber deine Mutter und ich werden nicht mit ansehen wie du im Selbstmitleid zerfließt. Du musst etwas essen. Und ein Bad würde dir sicher auch gut tun.“ „Schreib mir nicht vor was ich zu tun habe!“ Zum ersten Mal hebe ich den Blick und funkel meinen Vater wütend an. „Du lässt mir keine Wahl, Shinichi. So kann das nicht weiter gehen.“ Er packt mich am Arm und zerrt mich vom Bett hoch. Ich versuche mich zu wehren, doch sein Griff ist stärker. Schließlich finde ich mich am Küchentisch wieder, mit einer dampfenden Schüssel Nudelsuppe vor mir. Übelkeit steigt in mir auf, als mir der Geruch in die Nase steigt. Meine Mutter setzt sich zu mir und versucht erneut meine Hand zu ergreifen. Ich weiche ihr aus. „Shin-chan, bitte iss doch etwas.“ „Ich kann nicht.“ Ich konzentriere mich auf meine Finger, um die erneut aufsteigenden Bilder zu verdrängen. „Möchtest du mit mir darüber reden?“ Ich höre tiefe Traurigkeit in ihrer Stimme. Langsam schüttele ich den Kopf. Der Kloß in meinem Hals wird übermächtig. Ich spüre wie meine Unterlippe bebt. Als meine Mutter erneut versucht mich in die Arme zu schließen, sträube ich mich nicht weiter. Heiße Tränen bahnen sich einen Weg über mein Gesicht. Stumm birgt sie mein Gesicht an ihrer Schulter. Mein Atem geht stoßweise, meine Schultern zucken unkontrolliert. Überwältigt von diesem plötzlichen Gefühlsausbruch, fällt es mir schwer mich wieder zu beruhigen. Ich reibe mir die Tränen aus den Augen. Meine Mutter reicht mir ein Taschentuch. „Entschuldige bitte.“, flüstere ich und verknülle das Taschentusch in meinen Händen. Sie sieht mich bestürzt an. „Shin-chan, entschuldige dich nicht bei mir. Nach allem was du erlebt hast, wurde es Zeit, dass du deinem Schmerz Luft machst.“ Gequält schaue ich sie an. „Kannst du dir vorstellen wie unvorstellbar dieser Schmerz ist? Kannst du das?“ Betreten senkt sie den Kopf. „Natürlich nicht, mein Schatz. Erzähl mir doch was in dir vorgeht. Gib mir ein wenig von deinem Schmerz. Das macht es vielleicht ein wenig leichter für dich.“ „Wie kannst du nur denken, dass es jemals leichter für mich werden wird?“ Ohnmächtig vor Zorn schleudere ich den Küchenstuhl in die nächste Ecke. „Wie, verdammt nochmal, soll ich mich jemals besser fühlen?“ Ich brülle sie an, wohl wissend, dass sie mir eigentlich nur helfen will. „Wie soll ich mich je besser fühlen wenn ich doch derjenige bin, der Schuld an ihrem Tod ist! Wie soll man so eine Schuld teilen?“ Ich hole einmal tief Luft und füge mit etwas leiserer Stimme hinzu: „ Ich muss allein damit klar kommen.“ Ohne ein weiteres Wort verschwinde ich in meinem Zimmer, ziehe die Vorhänge wieder zu und genieße die mich verschluckende Dunkelheit. Kapitel 2: Scherben ------------------- Endlich scheinen meine Eltern mein Bedürfnis nach Einsamkeit zu akzeptieren. Kein Klopfen mehr, keine lästigen Gespräche, einfach nur ich und die Stille meines Zimmers. Zwei weitere Stunden in der Dunkelheit machen mich allmählich schläfrig, doch ich versuche verzweifelt gegen die Müdigkeit anzukämpfen. Mir ist nur allzu bewusst, dass mich ihre leeren Augen bis in den Schlaf verfolgen würden. Ich wäre ihnen hilflos ausgeliefert. Von einer plötzlichen Panik erfüllt, springe ich auf und beginne in meinem Zimmer auf und ab zu laufen. Auf der Suche nach etwas Ablenkung greife ich den nächstbesten Detektivroman und versuche mich darin zu vertiefen. Hunderte Buchstaben tanzen vor meinen Augen und wollen sich nicht zu einem Wort verbinden lassen. Wütend lasse ich das Buch an Ort und Stelle fallen, greife mir mein Handy und schalte es wieder ein. Ich kneife die Augen zusammen, um sie vor dem grellen Licht zu schützen. 47 Anrufe in Abwesenheit. Heiji gibt wohl nie auf. Ein bitteres Lächeln huscht über mein Gesicht, als das Telefon wie auf Kommando erneut anfängt zu blinken. Ganze 3 Minuten dauert es bis er endlich aufgibt, nur um es kurz darauf erneut zu versuchen. Er musste doch schon längst kapiert haben, dass ich nicht rangehen würde. Mein Blick fällt auf den umgekippten Bilderrahmen, der auf meinem Schreibtisch liegt. Ich will nicht danach greifen, doch meine Hände entziehen sich plötzlich jeglicher Kontrolle. Wie durch eine Glasscheibe beobachte ich, wie sich meine Finger zitternd um den Rahmen schließen und den Blick auf ein lächelndes Gesicht freigeben. Ich keuche auf. Meine Knie geben unter mir nach, doch mein Blick bleibt wie gebannt an diesem Gesicht hängen. So ein liebliches Gesicht, so zart, so verletzbar. Eine einzelne Träne fällt auf das Glas. Jetzt sieht es beinahe so aus als würde sie mit mir weinen. Ich wische die Träne weg, streiche über ihre lächelnden Lippen und wünsche mir nichts sehnlicher als diese Lippen noch einmal berühren zu dürfen. Mir bleibt die Luft weg. Ich ertrage ihren Anblick nicht länger. Ich habe dieses Lächeln zerstört! Ich bin schuldig! Voller Wut schleudere ich den Bilderrahmen gegen die Wand. Das Glas zerspringt in 1000 Scherben. Augenblicklich tut es mir leid. Ich krieche zu dem zerstörten Rahmen und ziehe das Foto aus den Bruchstücken. Eine Scherbe bohrt sich in meinen Finger. Der stechende Schmerz zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Wie betäubt beobachte ich wie sich ein Blutstropfen bildet und zu Boden fällt. Ihm folgt ein zweiter, dann ein dritter. Der Anblick des Blutes lässt die Bilder wieder lebendig werden. Blut, überall war Blut! Ihr Blut! Ihr Blut klebt an meinen Händen! Wimmernd ziehe ich meine Knie an, umschlinge sie mit meinen Armen. Ich kann diese Bilder nicht mehr ertragen! Sie fressen mich auf! Ich bin hilflos. Ich kann mich einfach nicht wehren. Ich sehe nur noch das Rot ihres Blutes vor mir. So viel Blut! „Shinichi!“ Ein Rütteln an meinen Schultern lässt mich wieder klar sehen. Mein Vater hat sich über mich gebeugt. Er sieht besorgt, beinahe verängstigt aus. Was ist los? Langsam setze ich mich auf. Ich sehe den zerborstenen Bilderrahmen, sehe mein Blut zwischen den Scherben, sehe ihr Foto. Mein Herz krampft sich erneut zusammen. „Shinichi! Geht es dir gut?“ Ich nicke abwesend. Mein Vater hilft mir beim Aufstehen und setzt mich auf mein Bett. Meine Mutter kommt herein und verbindet meinen Finger. Sie redet mit mir, doch ihre Stimme erreicht mich nicht. Mein Blick ruht immer noch auf ihrem Foto. „Ran!“ Augenblicklich schießen mir die Tränen in die Augen. Ihren Namen auszusprechen, macht das Unglück so greifbar und lässt es so real wirken. „Was habe ich nur getan?“ Eine erneute Woge der Verzweiflung erfasst mich. „Ist schon gut, Shin-chan.“ Meine Mutter wiegt mich sanft hin und her. Das Klingeln an der Haustür lässt mich zusammenzucken. Mein Vater erhebt sich, um zu öffnen. „Ich will niemanden sehen!“, rufe ich ihm mit tränenerstickter Stimme hinterher. Wenig später höre ich laute Stimmen, die sich immer mehr meinem Zimmer nähren. Ich befreie mich aus der Umarmung meiner Mutter, um die Zimmertür vor dem ungebetenen Besuch zu verschließen. Mitten in der Bewegung halte ich inne, denn im Türrahmen lehnt niemand anderes als ein bestürzt dreinschauender Heiji Hattori. Kapitel 3: Müde --------------- Er sieht erschreckend aus! Dieser Gedanke durchzuckt mich als erstes, als ich ihm gegenüberstehe und sein leerer Blick meinem begegnet. Tiefe Schatten unter den blutunterlaufenen Augen, blasses Gesicht, aufgesprungene Lippen, der Ansatz eines Bartes. Er muss am Ende seiner Kräfte sein. „Hallo Kudo!“ Ich gehe auf ihn zu, doch er wendet sich ab. „Ich habe dich nicht gebeten zu kommen!“, erwidert er mit rauer Stimme. Ich ziehe verblüfft eine Augenbraue hoch. Mit so einer Reaktion hatte ich nicht gerechnet. „Das nenne ich mal eine nette Begrüßung.“ Ich lasse mich auf Shinichis Schreibtischstuhl nieder. So schnell würde er mich nicht wieder loswerden. „Und was willst du hier?“ Er dreht sich wieder um und sieht mich finster an. „Ich wollte nach dir sehen, nachdem du auf keinen meiner Anrufe reagiert hast.“, antworte ich wahrheitsgemäß. „Und sowas darf sich dann also Detektiv nennen?“ Ein verächtliches Lächeln umspielt seinen Mund. Verärgert balle ich meine Hände zu Fäusten. „Eigentlich solltest du doch in der Lage sein aus dem Ignorieren der Anrufe zu schließen, dass ich in keinster Weise Lust darauf habe mit dir in Kontakt zu treten.“ Ich presse meine Lippen fest aufeinander, um ihm nicht gleich die nächstbeste Gemeinheit an den Kopf zu werfen. „Shin-chan! Sei doch nicht so! Heiji will dir doch nur helfen!“ Frau Kudo sieht ihren Sohn tadelnd an. Shinichi fährt zornig zu ihr herum. „Ich brauche weder seine Hilfe, noch die von sonst jemandem!“ Seine Unterlippe bebt, die Hände zittern. „Wann kapiert ihr endlich, dass ich verdammt nochmal niemanden sehen will!“ Ich erkenne Schweißperlen auf seiner Stirn. „Verschwindet endlich!“ Frau Kudo legt ihrem Sohn eine Hand auf die Schulter, die er unwirsch abschüttelt. Dann verlässt sie betrübt das Zimmer. „Hast du nicht verstanden was ich gesagt habe?“ Sein gehetzter Blick fällt auf mich. „Um mich zu vergraulen, musst du schon schwerere Geschütze auffahren.“ Gelassen spiele ich mit einem Kugelschreiber, den ich auf Shinichis Schreibtisch gefunden hatte. Seine Augen verfolgen die Drehbewegungen, die ich mit dem Stift vollführe. Zufrieden beobachte ich wie er sich schließlich seufzend auf sein Bett fallen lässt. „Du bist wirklich hartnäckig, Hattori.“ Der Schatten eines Lächelns huscht über sein Gesicht. Ich zucke mit den Schultern. „Du kennst mich doch. Dickkopf durch und durch.“ Shinichi nickt wissend und sieht mich wieder direkt an. Ich bin mir sicher in meinem ganzen Leben noch nie so tieftraurige Augen gesehen zu haben. Der Drang ihn tröstend in die Arme zu schließen wird für einen kurzen Moment beinahe übermächtig. Ich belasse es dabei ihm mitfühlend eine Hand auf die Schulter zu legen. Seufzend erhebt Shinichi sich daraufhin erneut, wankt Richtung Tür und drückt die Klinke herunter. „Ich muss dich dennoch bitten zu gehen. Ich wäre gerne allein.“ Ich mache keine Anstalten aufzustehen. „Du warst die letzten vier Tage allein. Irgendwann ist auch mal Schluss damit!“ Shinichis Augenbrauen ziehen sich zusammen. „Wann damit Schluss ist, entscheide ich. Wenn es dich beruhigt, kann ich dich gerne anrufen, wenn mir nach Gesellschaft ist.“ Ich lache auf. „Wahrscheinlich bin ich bis dahin alt und grau und du schon längst im Selbstmitleid ertrunken.“ Ich strecke mich ausgiebig. „Ich ziehe es eher vor hier noch ein Weilchen sitzen zu bleiben und ein wenig mit meinem alten Kumpel Shinichi Kudo zu plaudern.“ Ich sehe ihn ernst an und bedeute ihm sich wieder auf seinem Bett niederzulassen. Kraftlos befolgt er meine Aufforderung. Er wirkt wie um 50 Jahre gealtert, als er erneut Platz nimmt und erschöpft den Blick senkt. „Möchtest du mit mir reden Shinichi?“ Er zuckt zusammen, als ich seinen Vornamen ausspreche. Langsam schüttelt er den Kopf. „Ich bin so müde, Heiji. So unendlich müde.“ „Leg dich doch ein wenig schlafen.“ „Ich kann nicht schlafen.“ Shinichi stößt einen gequälten Laut aus. „Wie soll ich schlafen, wenn ich sofort ihr Gesicht vor mir sehe, sobald ich die Augen schließe.“ Sein hilfloser Blick trifft mich mitten ins Herz. „Ich bleibe bei dir, während du schläfst. Du musst nicht allein sein, wenn du aufwachst.“ Er sieht mich zweifelnd an. Ich nicke ihm aufmunternd zu. „Du musst da nicht alleine durch.“ Dankbar schließt er die Augen. „Du bist wirklich der größte Dickschädel, den ich kenne.“, murmelt er schon halb im Schlaf. „Aber morgen machst du dich wieder auf den Weg nach Osaka.“ Ich lächle bitter. „Morgen wirst du mir erst einmal erzählen was überhaupt passiert ist.“, sage ich eher zu mir selbst, denn Shinichi war beinahe augenblicklich eingeschlafen. Kapitel 4: Sie hat sich so gefreut... ------------------------------------- Warme Sonnenstrahlen fallen auf mein Gesicht und hinterlassen ein angenehmes Prickeln auf der Haut. Der Duft nach frischen Rosen steigt mir in die Nase und ein wissendes Grinsen umspielt meine Lippen, als ich voller Vorfreude die Augen öffne. Wie erwartet steht sie vor mir und schenkt mir ihr schönstes Lächeln. Mein Herz beginnt augenblicklich schneller zu schlagen. Unbeschwert greift sie nach meiner Hand, zieht mich hinter sich her. Ihr weiches braunes Haar tanzt im lauen Sommerwind und kitzelt mich im Gesicht. Sie sieht so fröhlich aus; als könnte ihr kein Unglück dieser Welt etwas anhaben. Ich genieße ihre Nähe, die Wärme ihrer Hand, ihren süßen Duft. Schließlich lassen wir uns erschöpft auf eine Wiese fallen und lauschen mit geschlossenen Augen dem Atem des anderen. Ich sehne mich danach ihre liebliche Stimme zu hören. Ich möchte die zarte Röte auf ihren Wangen sehen und das begeisterte Blitzen in ihren blauen Augen. Voller Erwartung sehe ich zu ihr hinüber und pralle zurück. Leblose Augen, die mich regelrecht anstarren, eiskalte blasse Haut, blutleere Lippen. Das weiche Haar ist von schwarzem Blut verklebt, der zierliche Körper von Quetschungen und Knochenbrüchen entstellt. Mein Mund öffnet sich zu einem stummen Schrei. Eine Woge der Verzweiflung erfasst mich, zieht mich hinunter und reißt mir bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust. Ich ergreife ihre Schultern, schüttele sie wie ein Besessener, schreie ihren Namen in der Hoffnung noch einen Funken Leben in ihren Augen aufglimmen zu sehen, doch meine Kräfte schwinden. Tränen lassen meinen Blick verschwimmen. Sie entgleitet meinen Händen. Ich kann sie nicht mehr festhalten. Sie wird mir einfach entrissen und verschwindet in tiefster Dunkelheit. Ich zucke unwillkürlich zusammen, als er abrupt aus dem Schlaf hochfährt. Auf seiner Stirn glänzen feine Schweißperlen, die Augen sind vor Entsetzen geweitet. Kurz glaube ich einen Hauch von Hoffnung aufglimmen zu sehen, dann fällt sein Blick auf mich und ein tiefer Schatten legt sich erneut auf sein Gesicht. Hatte er gehofft, dass alles nur ein furchtbarer Traum gewesen ist? Dass dieses schreckliche Unglück nur seiner Fantasie entsprungen war? Meine Anwesenheit hatte diese Illusion je zerstört, hatte den kleinen Moment des Hoffens augenblicklich zerbersten lassen und ihn schmerzhaft in die Realität zurückgeholt. Tränen glitzern auf seinen Wangen. Seufzend erhebe ich mich, setze mich zu ihm aufs Bett und reiche ihm ein Taschentuch. Apathisch greift er danach und beginnt es Stück für Stück auseinander zu reißen. Lange sitzen wir nur schweigend da. Sein Blick verfolgt irgendeinen unsichtbaren Punkt an der schwarzen Wand; meiner ist unentwegt auf ihn gerichtet, verfolgt die Spur der Tränen. Ich hebe die Hand, um eine davon am weiterlaufen zu hindern und senke sie wieder, als mir bewusst wird was ich da gerade im Begriff war zu tun. Beschämt senke ich die Augen Shinichi sieht auf den Wecker. Es ist mitten in der Nacht. „Du solltest dich schlafen legen.“ Ich zucke zusammen und sehe ihn irritiert an. Ich hatte nicht mehr damit gerechnet, dass er etwas sagen würde. „Ach was, ich bin noch taufrisch.“ Ich registriere den Anflug eines Lächelns, als er sieht wie ich mühsam versuche ein Gähnen zu unterdrücken. „Du kannst dich gerne in mein Bett legen. Ich bekomme heute bestimmt kein Auge mehr zu.“ Schwer atmend richtet er sich auf, geht zum Fenster und zieht die Vorhänge beiseite. Der kalte Schein des Mondes taucht den Raum in ein fahles Licht. „Du hast von ihr geträumt oder?“ Er nickt, während er immer noch aus dem Fenster sieht. Eine Hand hält sich krampfhaft am schweren Stoff der Vorhänge fest. „Möchtest du mir von deinem Traum erzählen?“, frage ich vorsichtig weiter. Er stößt hörbar die Luft aus, lehnt den Kopf gegen die kühle Fensterscheibe. „Ich habe sie gesehen, Heiji.“ Er schluckt schwer. „Sie war da, hat meine Hand gehalten…sie hat so wunderschön gelächelt.“ Mit schmerzverzerrtem Gesicht lässt er sich zu Boden sinken, ringt verzweifelt um Fassung, wendet sich von mir ab. Er will nicht, dass ich ihn so sehe, so schwach und verletzlich. Sein Anblick zerreißt mir das Herz. Ich möchte ihm so gerne helfen, ihn aus seiner Dunkelheit befreien. Doch ich weiß nicht wie. Ich bin hilflos. „Und plötzlich war das Lächeln verschwunden und ist…ist diesem leblosen Gesicht gewichen.“ Seine Stimme bricht, eine erneute Woge der Trauer beutelt seinen Körper. Es hält mich nicht länger auf dem Bett. Wenige Sekunden später finde ich mich neben ihm wieder, halte seine Hand, drücke sie tröstend. Erschöpft lehnt er seinen Kopf an meine Schulter. Ein wohliger Schauer läuft mir über den Rücken. „Willst du mir erzählen was passiert ist an dem Tag als…“ Ich wage es nicht den Satz zu beenden. Erst nach einer halben Ewigkeit setzt Shinichi zu einer Antwort an. „Ich bin so egoistisch, Heiji. Es ist alles meine Schuld!“ Er schluchzt laut auf. Das Geräusch geht mir durch Mark und Bein. „Ich habe das Gegenmittel eingenommen ohne auch nur eine Sekunde über die Konsequenzen nachzudenken. Mein Wunsch wieder in mein altes Leben zurückzukehren…“ Seine Stimme wird beinahe von seinen Tränen erstickt. Er schluckt schwer. „…er war so übermächtig. Ich bin schon so lange gefangen gewesen. Ich…ich habe diesen verfluchten Körper nicht mehr ertragen….habe es nicht länger ertragen ihr so nahe zu sein und doch nicht wirklich bei ihr sein zu können. Dabei wollte ich doch so gerne bei ihr sein, Heiji!“ Seine verzweifelten Augen suchen nach Verständnis in meinem Blick. Ich drücke abermals seine Hand. „Als Haibara mir dann eröffnete, sie hätte ein Gegenmittel, nahm ich es einfach. Ich…ich konnte doch nicht wissen, dass…dass ich es so sehr bereuen würde.“ Sein Kopf fällt abermals auf meine Schulter. „Sie haben mich die ganze Zeit beobachtet.“ Seine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. „Und ich habe es nicht bemerkt…nicht ein verdammtes Mal.“ Sein Selbsthass spricht aus jeder Silbe. „Ich hatte meinen Körper wieder…war so euphorisch…hab mich gleich auf den Weg zu ihr gemacht.“ Ein gequältes Stöhnen entrinnt seiner Kehle. „Ich wollte es ihr doch endlich sagen. Ich wollte ihr sagen wie sehr…wie sehr…!“ Er bricht ab, außer Stande weiterzureden. Ein erneuter Weinkrampf schüttelt ihn. Seine Hand umklammert meine, sucht verzweifelt Halt. Erst nach langem Schweigen gelingt es Shinichi weiterzureden. „Sie hat sich so gefreut mich zu sehen. Ihre Augen haben gestrahlt…so wunderschön…Wir wollten ein wenig spazieren gehen. Ich war…nervös und schob es auf mein bevorstehendes Geständnis.“ Er atmet scharf ein. „Es ging alles so schnell…so unglaublich schnell. Ein großer, schwarzer Lieferwagen war uns gefolgt…er ist einfach…einfach auf der Bürgersteig gefahren und hat…hat sie…hat sie mir entrissen.“ Ich schließe ihn in meine Arme, drücke ihn fest an mich. Seine Hände krallen sich in meinen Pullover. Er schluchzt hemmungslos, presst sein Gesicht an meine Brust. „Und dann lag sie in meinen Armen…sie hat so schwer geatmet…doch sie hat…sie hat immer noch gelächelt und dann hat sie gesagt, dass sie mich liebt.“ Er bricht ab und springt plötzlich auf, entzieht sich meiner Umarmung und schlägt wütend mit einer Faust gegen die Wand. „Wie kann man denn jemanden wie mich lieben?“, brüllt er voller Schmerz. „Nur weil ich so ein eingebildeter, rücksichtsloser Egoist bin, musste sie sterben. Ich bin schuld!“ Sein Atem geht stoßweise. „Ich hätte derjenige sein müssen…warum haben sie nicht mein Leben genommen?“ Er scheint blind vor Trauer, Hass, Verzweiflung. Wie ein Tiger im Käfig läuft er von einer Ecke des Zimmers zur nächste und wirft dabei alles um, was sich ihm in den Weg stellt. Als er schließlich vor mir steht, packe ich ihn bei den Schultern. „Es reicht, Shinichi!“ Seine gehetzten Augen treffen auf meine. „Hör auf! Ich kann deinen Schmerz verstehen, aber es bringt nichts, wenn du hier alles kurz und klein schlägst!“ „Nichts kannst du.“ Zornig versucht er sich meinem Griff zu entwinden, doch die letzten Tage haben zu sehr an seinen Kräften gezerrt. „Heiji.“ Er sieht mich flehentlich an. „Ich wäre jetzt gerne allein.“ Nickend gewähre ich ihm seinen Wunsch nach Einsamkeit. Er muss erst einmal wieder zur Ruhe kommen. „Ich werde später noch einmal nach dir sehen.“ Als ich die Tür hinter mir schließe, geben meine Knie unter mir nach. Die Dämmerung setzt gerade ein, als ich aus dem Fenster sehe. Welch Ironie, denke ich mit einem bitteren Lächeln. Die Sonne geht auf. Tag ein Tag aus, egal welch entsetzliches Unglück auf Erden geschehen ist. Kapitel 5: Hilflos ------------------ Hallo liebe Leser, hier ist nun also das 5.Kapitel. Ich hoffe es gefällt euch : ) Außerdem möchte ich mich noch bei cole_el_diabolos bedanken für die beiden lieben Kommentare. Ich hab mich echt total drüber gefreut! Dankeschööön! Und jetzt wünsche ich euch viel Spaß beim Lesen!! Liebe Grüße, eure Valdrinne „Heiji?" Ich zucke zusammen, als Yukiko Kudo mich anspricht. Noch immer lehne ich an Shinichis Zimmertür und habe den Kopf erschöpft auf die Knie gelegt. "Ist alles in Ordnung mit dir?" Tiefe Sorgenfalten zeichnen sich auf ihrem sonst so fröhlichen Gesicht ab. Ich sehe auf und nickte schwerfällig, wohl wissend, dass ich sie belüge. Sie setzt sich zu mir auf den Fußboden und sieht mich prüfend an. „Hat er mit dir über den Unfall gesprochen?“ Abermals nicke ich nur, außer Stande auch nur ein Wort über die Lippen zu bringen. Noch immer spüre ich seine verzweifelte Umarmung, seine kalte Hand, die sich fest um meine schließt, seine heißen Tränen auf meiner Haut. Frau Kudo scheint zu verstehen, dass ich nicht drüber reden möchte. „Ich werde dir etwas zum Frühstück machen. Du siehst aus als könntest du eine Stärkung gebrauchen.“ Lächelnd erhebt sie sich und zieht sich in die Küche zurück. Wirklich bewundernswert diese Frau. Sie muss vor Sorge um ihren Sohn fast verrückt werden und dennoch wirkt sie so gefasst und stark. Und ich? Ich bin schon nach ein paar Stunden völlig am Ende und kann sein Leid kaum ertragen. Wenn ich diesen Schmerz schon kaum aushalten kann, wie soll Shinichi es dann schaffen damit zu leben? Und ich weiß noch nicht einmal wie ich ihn unterstützen könnte. Nicht einmal ein paar tröstliche Worte fallen mir ein, um ihm mein Mitgefühl zu zeigen. Anscheinend eigne ich mich nicht besonders gut als Freund. Verbittert raufe ich mir die Haare. „Mach du dich nicht auch noch verrückt, Heiji!“ Wieder habe ich nicht bemerkt wie sich Frau Kudo mir genährt hat. „Glaub mir, deine Anwesenheit hilft ihm schon mehr als du denkst.“ Ich sehe sie zweifelnd an. „Immerhin hat er mit dir über Ran und den Unfall gesprochen. Weder mich, noch Yusaku hat er bisher so nah an sich herangelassen.“ Sie zwinkert mir aufmunternd zu und bedeutet mir lächelnd ihr in die Küche zu folgen. Es tut gut endlich wieder etwas in den Magen zu bekommen. Frau Kudo sieht mir zufrieden beim Essen zu. Sie selbst genehmigt sich nur eine Tasse grünen Tee. Als ich aufgegessen habe, erhebt sie sich müde und räumt das Geschirr ab. Wahrscheinlich hat sie vor lauter Sorge die letzten Tage kaum ein Auge zugemacht. „Danke für das Frühstück, Frau Kudo! Das hat wirklich gut getan.“ Sie lächelt und greift nach meiner Hand. Ihre ist ebenso kalt wie die ihres Sohnes. Ich lege meine zweite Hand auf ihre und drücke sie sanft. „Sag Heiji, wie geht es Shinichi?“ Ihre Augen zeigen mit einem Mal all die Traurigkeit, die sie vorher sorgfältig vor mir verborgen hatte. „Er ist am Ende seiner Kräfte.“ Warum sollte ich ihr die Wahrheit verschweigen? „Er hat zwar ein paar Stunden geschlafen, aber ihn quälen Alpträume.“ Ich seufze. „Ich weiß einfach nicht wie ich es ihm ein wenig leichter machen kann.“ „Wir können nichts weiter tun als ihm zur Seite stehen und für ihn da sein, wann immer er unsere Hilfe braucht.“ „Wenn er unsere Hilfe überhaupt annimmt. Sie wissen wie stur er sein kann.“ Frau Kudo nickte wissend. „Mein armer Shin-chan will immer alles mit sich selber ausmachen.“ Sie wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „Aber dieses Mal fehlt ihm die Kraft das alleine zu schaffen.“ Sie schluchzt hörbar und sieht mich mit glasigen Augen an. „Ich habe solche Angst, dass er an ihrem Tod zerbricht. Er gibt sich doch an allem die Schuld. Er wird sich das alles nie verzeihen. Niemals! Ich kenne meinen Shin-chan.“ Beschämt senke ich den Blick. Ich ertrage es nicht länger in ihr weinendes Gesicht zu sehen. Was sollte ich ihr auch sagen? Dass schon wieder alles gut werden würde? Dass Shinichi stark genug war, um das durchzustehen? Wie könnte ich so etwas sagen, wenn ich doch selbst daran zweifelte. „Heiji?“ Ihre Stimme wird beinahe von den Tränen erstickt. „Kann ich dich um etwas bitten?“ Fragend sehe ich sie an, nicke zögernd. „Morgen ist die Beerdigung.“ Ihre Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. „Könntest du mit ihm darüber reden und ihn ein bisschen darauf vorbereiten? Ich glaube du bist der Einzige, den er wirklich sehen will.“ Ich schlucke schwer. Was erwartete sie da von mir? Wie sollte ich ihn denn darauf vorbereiten? Wie sollte ich ihn auf den Schmerz vorbereiten, der ihm die Luft zum atmen nehmen würde? Wie sollte ich ihn darauf vorbereiten, dass seine große Liebe für immer begraben werden würde? Mein Herz krampft sich zusammen, als ich ihre flehenden Augen sehe. Ich nicke widerwillig. „Am besten ich bringe es gleich hinter mich.“ Ich vergrabe meine Hände in den Hosentaschen, um zu verbergen wie sehr sie zittern und verlasse die Küche. Als ich vor Shinichis Zimmertür stehe, atme ich noch einmal tief durch, versuche all meinen Mut zusammenzunehmen. Ich klopfe mehrmals, erhalte aber keine Antwort. Mein Herz beginnt zu rasen, Angst breitet sich in meiner Brust aus. Panisch drücke ich die Klinke herunter. Abgeschlossen. „Shinichi?“ Keine Antwort. Ich hämmere mit beiden Fäusten gegen die Tür. Keine Antwort. „Heiji, was ist denn los?“ Frau Kudo steht mit weit aufgerissenen Augen hinter mir. „Er macht einfach nicht auf!“ Meine Stimme bebt vor Panik. Was ist, wenn er sich etwas angetan hat? Meine Kehle schnürt sich zu. Tränen steigen mir in die Augen. „Shinichi!!!“ Ich merke gar nicht wie laut ich geworden bin. Ich merke nicht einmal wie Frau Kudo davoneilt, um einen Schlüssel zu holen. Immer wieder rufe ich seinen Namen, ignoriere den Schmerz in meinen geballten Händen. Erst das Kratzen eines Schlüssels bringt mich wieder zur Besinnung. Und dann steht er plötzlich vor mir. Kerngesund und mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Was machst du hier für einen Aufstand?“ Fassungslos sehe ich ihn an. Unendliche Erleichterung durchflutet mich. Ihm ist nichts passiert. Es geht ihm gut. Nie in meinem Leben war mir so leicht ums Herz. „Ich dachte dir wäre etwas zugestoßen.“ Verstohlen wische ich mir die Tränen aus den Augen. Es ist mir unangenehm so aufgelöst vor Shinichi zu stehen. Dieser zuckt nur gleichgültig die Schultern, geht zurück in sein Zimmer und setzt sich an seinen Schreibtisch. Ich bleibe im Türrahmen stehen und beobachte ihn eine Weile. Er sieht auf. „Was gibt’s denn noch? Ich hatte doch vorhin eindeutig darum gebeten alleine zu sein. Ist das für euch alle so schwer zu verstehen?“ Seine Stimme ist eiskalt, ebenso sein Blick. Aus unerklärlichen Gründen versetzt mir seine Kälte einen Stich ins Herz. Vor ein paar Stunden noch waren wir uns so nah gewesen. Er hatte in meinen Armen weint, hatte bei mir Halt gesucht, nur um mich jetzt wieder von sich zu stoßen. „Ich wollte noch einmal mit dir reden, Shinichi.“, sage ich vorsichtig. „Ich aber nicht mit dir. Verschwinde endlich wieder nach Osaka!“ Er wird wütend. „Das kann ich nicht so einfach. Ich möchte gerne in deiner Nähe bleiben.“ „Ich will dich aber nicht sehen, Hattori!“ Vorhin noch hatte er mich Heiji genannt. „Shinichi!“ Meine Stimme zittert. „Morgen ist Rans Beerdigung!“ Nun war es raus und ich sehe wie sich sein Gesicht vor Schmerz verzieht. Ohne ein weiteres Wort springt er auf und stürmt an mir vorbei. Das nächste Geräusch, das an mein Ohr dringt, ist das Knallen der Eingangstür und das Schluchzen von Yukiko Kudo, die kraftlos an meinem Rücken lehnt. Wo willst du hin, Shinichi? Kapitel 6: Ein Teil meines Herzens ---------------------------------- Kopflos irre ich durch die überfüllten Straßen von Tokio, sehe mich immer wieder panisch um, laufe beinahe eine Mutter mit Kinderwagen über den Haufen. „Können Sie nicht aufpassen, Sie Flegel!“, höre ich sie noch entfernt rufen, doch das Gesagte dringt gar nicht richtig zu mir vor. Mir ist als hätte ich Watte in den Ohren. Unglaublich viel Watte, die es mir unmöglich macht meine Umwelt richtig wahrzunehmen. Ich stolpere beinahe über meine eigenen Füße. Nur das beherzte Eingreifen eines älteren Mannes hindert mich am Fallen. „Ist alles in Ordnung mit dir, Junge?“ Ich sehe ihn nur irritiert an, reiße mich los und laufe weiter, laufe einfach immer weiter, immer weiter…bis der Schmerz in meinen Füßen mich zu einer Pause zwingt. Erst jetzt bemerke ich, dass ich keine Schuhe trage. Ich habe sie in meiner Panik einfach vergessen. Schwer atmend lasse ich mich auf eine nahestehende Bank fallen. Immer noch jagt mir Heijis letzter Satz durch den Kopf. „Morgen ist Rans Beerdigung!“ Ich balle meine Hände zu Fäusten und versuche den furchtbaren Gedanken zu verdrängen, dass meine Ran bald unter Tonnen kalter Erde begraben liegen würde. Meine geliebte Ran. Krampfhaft unterdrücke ich die aufsteigenden Tränen, versuche sie am Fallen zu hindern, doch es will mir nicht gelingen. Der bohrende Schmerz in meinem Innern gewährt mir einfach keine Verschnaufpause. Er umschließt meinen gesamten Körper und hüllt mich ein in sein Netz aus quälenden Erinnerungen. Bilder gemeinsamer Tage ziehen an mir vorbei… Bilder aus unserer Kindheit…Bilder aus der Schulzeit…Bilder von ihrem strahlenden Gesicht….Bilder unserer letzten gemeinsamen Sekunden…Schluchzend verberge ich mein Gesicht in den Händen. Ich will, dass es endlich aufhört! Ich kann es nicht länger ertragen! Und ich will es auch nicht mehr! Nicht eine Sekunde länger! Ich will nicht noch eine verdammte Sekunde ohne sie sein müssen! Eine plötzliche Berührung reißt mich aus meiner Verzweiflung. Als ich den Blick hebe, sehe ich in zwei große braune Augen, die mich interessiert mustern. „Hast du dir weh getan, Onkel?“ Neben mir sitzt ein kleines Mädchen von vielleicht 6 Jahren, schaukelt mit den Beinen und lässt mich keine Sekunde aus den Augen. Wann hatte sie sich zu mir gesetzt? „Was hast du denn nun, Onkel?“, fragt sie ungeduldig und zupft fordernd an meinem Ärmel. Ich zwinge mich zu einem Lächeln. „Ich habe nichts, meine Kleine.“ Trotzig verschränkt sie die Arme vor der Brust. „Aber du hast doch geweint! Das hab ich genau gesehen! Und wenn man weint, dann tut einem was weh!“ Ihre braunen Zöpfe wippen auf und ab, während sie mit mir spricht. „ Oder hast du etwas verloren?“ Ihre Augen sind immer noch fest auf mein Gesicht gerichtet. „Ich hab nämlich mal etwas verloren, meinen Lieblingsteddy. Und da hab ich ganz doll geweint, bis meine Mama ihn zum Glück wiedergefunden hat.“ Sie strahlt mich an. „Ja, ich glaube ich hab auch etwas verloren.“ Ich sehe weg, schaffe es nicht einmal dem Blick eines Kindes standzuhalten. „Hast du denn schon versucht es wiederzufinden?“ Ich beneide das kleine Mädchen um seine Naivität. Als Kind weiß man noch nichts von der Grausamkeit der Welt, die einem von heute auf morgen den Boden unter den Füßen wegziehen konnte. „Das was ich verloren habe, kann man nicht mehr wiederfinden. Niemals!“ „Niemals?“ Die Kleine sieht mich traurig an. „Was hast du denn verloren?“ Ich lege eine Hand auf meine Brust. „Einen Teil meines Herzens.“ „Und jetzt tut es dir da drin ganz doll weh?“ Sie legt ihre kleine, warme Hand auf meine, tätschelt sie sanft, als wollte sie damit meine Schmerzen vertreiben. Meine Kehle schnürt sich zu. „Hast du denn keinen, der dein Herz wieder heile macht?“ Ich sehe sie fragend an. „Wenn ich mir weh tue, kommt meine Mama und tröstet mich und dann ist auch alles gar nicht mehr so schlimm!“, erklärt sie. „Hast du denn keine Mama?“ Ein Lächeln huscht über mein Gesicht. „Doch schon, aber sie ist nicht so gut im Herzen heile machen.“ Nachdenklich zupft die Kleine an ihrer Unterlippe. Wahrscheinlich musste jetzt auch sie erkennen, dass mir nicht mehr zu helfen war…dass ich dazu verdammt war mein Leben mit einem gebrochenen Herzen zu fristen und nur noch darauf hoffen konnte schnell von diesem Leid erlöst zu werden. Sehr schnell. „Aber du hast doch bestimmt Freunde.“, ruft sie schließlich freudig aus. Ja, ich hatte Freunde. Ich hatte Heiji. Ein Freund, der so darum bemüht war mir zu helfen. Und wenn ich ehrlich zu mir selbst war, hatte er mir auch geholfen. Seine Anwesenheit hatte etwas Tröstliches. Und er hatte keine überflüssigen Worte verloren, sondern einfach nur stumm an meiner Seite gesessen und meine Hand gehalten. Ich lächle die Kleine an. „Ja, ich habe einen Freund. Einen sehr guten sogar.“ „Super!“ Das Mädchen klatscht begeistert in die Hände. „Dann musst du ihm jetzt nur noch sagen, dass er dein Herz wieder ganz machen soll.“ Sie rutscht von der Bank und wendet sich zum Gehen. „Ich muss jetzt nach Hause. Tschüss, Onkel!“ Sie winkt zum Abschied. Ich sehe ihr nach bis sie hinter den nächsten Bäumen verschwindet und frage mich wer mir diesen Engel geschickt hat. Ich bleibe noch ein paar Minuten auf der Bank sitzen und genieße die momentane Leere in meinem Kopf. Sie würde nicht lange anhalten…ich musste also jede Minute auskosten. Ich will noch nicht nach Hause gehen, auch wenn ich weiß, dass meine Eltern vor Sorgen vergehen mussten. Und Heiji auch. Wahrscheinlich suchten sie bereits ganz Tokio nach mir ab, angetrieben von dem Gedanken, dass ich mir etwas antun könnte. Aber diesen Gedanken hatte das kleine Mädchen auf wundersame Art und Weise vertrieben. Vorerst… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)