Kalendermenschen von abgemeldet (Der Jahreskalender 2011) ================================================================================ Kapitel 3: In der Gartenwerkstatt --------------------------------- Gesagt, getan. März lebte in einem Garten den sie über alles liebte und fortwährend pflegte, und vor eben diesem standen Januar und Februar nun. Den ganzen Nebel hatten sie schon vor mehreren Schritten hinter sich gelassen, und wenn sie ganz ehrlich waren, fanden sie das auch gut so. Das kleine hölzerne Gartentor ließ sich widerstandlos öffnen; und kaum hatten die beiden Monate das kleine Paradies betreten, mussten sie enttäuscht eines feststellen: Überall war es grau, braun und tot. Nicht ein kleines Knöspchen ragte aus dem feuchten Erdreich empor, dafür aber fegte ein kalter Wind an laublosen Bäumen vorbei und ließ die beiden Männer frösteln. „Wo steckt sie wohl?“ „Ich hab keine Ahnung, hier war ich noch nie“, gestand Januar. Februar warf ihm daraufhin einen eigentümlichen Blick zu, der zu sagen schien „Wie kannst du nur!“. Suchend blickten die anthropomorphen Erscheinungen um sich, wanderten kreuz und quer durch den Garten und stellten erstaunt fest, dass sie nicht im Stande waren zu sagen, wie groß er war – ja, wäre der hüfthohe Holzzaun nicht gewesen, hätten sie wohl nicht einmal gewusst, was lebloser Garten war und welches Geäst zu dem angrenzenden Feld gehörte, das nicht minder trist wirkte. Bibbernd klemmte sich Februar seine Hände unter die Achseln – Januar hätte sich sicherlich angeschlossen, hätte er nicht den Frostapparat tragen müssen - und alle zwei stampften mit ihren beschuhten Füßen auf dem Boden, damit sie nicht auch noch einfroren; kleine Atemwolken stiegen von ihren Mündern auf gen Himmel. Und dann, gerade als sie sich überlegten, ob sie Frau März nicht doch an einem anderen Ort suchen sollten, sahen sie die Gestalt auf sich zukommen: Weder hochgewachsen noch klein, in luftige Stoffe gekleidet, die für den Winter definitiv zu frisch wirkten. Ihr Haar war lang und lockig und glänzte, und blieb doch unbeachtet, denn die zierlichen Füße der Dame waren viel interessanter und lenkten unwillkürlich alle Aufmerksamkeit auf sich. Bei jedem Schritt, den sie machte, entstand Leben. Pflanzen wuchsen dort, wo sie eben noch gestanden hatte, höher und immer schneller, breiteten sich aus. Hinter März schnellte so ein kleines Feld aus Blümchen und Gemüsestauden in die Höhe, und sobald ein Baum davon erfasst war, wuchsen ihm wieder saftige, grüne Blätter. Mit der Frau kam zudem die Wärme, wie die beiden älteren Monate erfreut feststellten, und der süße Gesang von Vögeln durchsetzte erst zaghaft, dann mit immer mehr Energie die Luft. Es dauerte keine fünf Minuten, bis der Garten sich in den Ort verwandelt hatte, den man als Refugium eines Frühlingsmonats erwarten würde. „Hallo März“, begrüßte Februar sie erfreut und hatte seinen Brief schon fast wieder vergessen. „Ich habe dir Besuch mitgebracht!“ Januar schüttelte zaghaft März‘ Hand, wobei ihm die Maschine beinahe herunter fiel, und murmelte eine Begrüßung. Die beiden wussten, dass es einander gab und hatten sich bereits vorher schon einmal gesehen – jedes Jahr an Silvester, wenn die Arbeit für ein Jahr wieder getan war und der ganze Ärger erneut von vorn losging, um genau zu sein – doch waren diese Begegnungen immerzu eher flüchtig gewesen. Monate hatten in der Regel vor Allem mit ihren Nachbarn zu tun, daher war er auch direkt zu Februar gegangen. „Was hast du denn da?“, fragte die Frau ihn neugierig. „Kommt mit, das möchte ich mir genauer ansehen!“ Leichten Schrittes führte sie ihre beiden Gäste zu einem hölzernen, mit Schubladen versehenen Tisch, der wohl eigentlich für Gartenarbeit gedacht und dementsprechend dreckig war, wischte mit der Hand ein paar Erdkrumen beiseite und bedeutete Januar, den Frostapparat darauf abzustellen. Nachdenklich kräuselte sie ihre Stirn. „Moment, ich bin sofort wieder da!“ Bevor die anderen beiden Monate fragen konnten, wohin sie denn wolle, war sie auch schon wieder da und hielt in ihren Armen ein Ding, das dem auf dem Tisch recht ähnlich sah. Nur war der Frostapparat silbern verkleidet, und die Maschine, die sich gerade in diesem Moment zu ihrem Pendant auf die hölzerne Platte gesellte, von Messing ummantelt. „Oh, ist das der Wärmeregler?“, fragte Februar, seine glänzenden Augen huschten von einem Gerät zum anderen und er schien sich zu fragen, was er damit anstellen konnte. „Ich dachte, der wäre bei Mai!“, fuhr Januar dazwischen, bevor sein Freund fragen konnte, ob er sich die Klimabeeinflusser wohl mal kurz ausborgen könne. „Ja, war er auch“, antworte März. „Allerdings tauschen wir den immer. Mal bekommt Mai den, dann April oder auch erst Juni. Dieses Jahr bin ich dran, weil ich es satt hatte, mich immer erst so spät um meine Pflanzen kümmern zu können. Und es ist einfach besser für die Füße.“ Sie sah auf besagte Körperteile hinab und war froh, dass es in ihrem Garten immer wärmer wurde. „Außerdem ist Mai damit letztes Jahr nicht ganz so klargekommen, wie sie wollte, falls ihr euch daran noch erinnern könnt…“ März versuchte, die Ärmel ihres Kleides hochzuschieben, musste jedoch bald einsehen, dass das bei einem derart leichten Stoff nicht möglich war, besonders nicht, wenn dieser permanent vom Wind umhergetragen wurde. Sie zuckte gleichgültig mit ihren Schultern, zog eine Schublade des Tisches auf und einen Schraubenzieher heraus und begann sogleich damit, die Abdeckungen der Geräte ab zuschrauben, um einen Blick hinein werfen zu können. „Stimmt, da war was!“, bestätigte Februar, während er März interessiert beim Rumwerkeln zusah. „Wurde sie nicht sogar dazu verdonnert, ihre Lizenz für die Verwendung wetterbeeinflussender Geräte zu erneuern?“ Januar wurde zunehmend glücklicher über seine Entscheidung, nicht direkt zum Obersten Büro gelaufen zu sein, ließ sich auf den nunmehr trockenen und angenehm warmen, grasbewachsenen Boden sinken, lehnte sich entspannt gegen einen großen Blumenkübel und wartete einfach ab, was da noch kommen sollte. Ob sie den Frostapparat wirklich wieder hinkriegen würde? März nickte derweil auf Februars Frage hin. „Nur sind sich die Bürokraten noch nicht ganz einig, was das angeht.“ „Immer noch nicht?“ „Ein paar von denen sagen, dass das keinen Sinn ergibt, weil die Maschinen so alt sind, dass man sie eigentlich austauschen müsste. Neue Geräte würden natürlich eine vollkommen neue Lizenz erfordern, weil sie ja alle anders laufen. Die anderen wollen allerdings kein Geld dafür ausgeben, und angeblich ist der alte Maschinenbauer nicht mehr im Dienst, hat wohl auch keinen Nachfolger hinterlassen… kurz: Die wissen nicht, woher sie neue Geräte nehmen sollen und wer dann dafür aufkommen soll. Also schieben die das alles hin und her.“ „Na super“, schnaubte Februar. Er nahm sich fest vor, dass, sollte er wirklich eines Tages Juli kidnappen, neue Apparate eine seiner Forderungen sein würde. Schaden konnte das ja nicht. „Hm…“, erstaunt hielt März inne und sah verblüfft in das Innere der Kältemaschine vor sich. „Das ist komisch.“ „Was meinst du?“, schaltete sich Januar wieder in die Konversation ein. Anstatt zu antworten kramte die Frau erneut in einer der Schubladen und zog eine Pinzette hervor, mit der sie in dem Frostgenerator herum stocherte, bis sie etwas Weißes hervor zog. „Ein Brief?“, der erste Monat des Jahres wusste zwar nur zu gut, dass er sich mit Technik nicht auskannte, war sich dann allerdings doch ziemlich sicher, dass Post nichts in einem solchen Gerät zu suchen hatte. „Los, mach ihn auf März!“, drängte Februar, den viel mehr interessierte, was darin stand als wie er dort hinein gekommen war. Der Umschlag war nicht einmal fest zugeklebt, die Verschlusslasche war lediglich in den Briefkörper hineingeschoben worden, als hätte der Verfasser damit gerechnet, dass es nicht allzu lange dauern würde, bis seine Nachricht aufgefunden werden würde. Irgendwie hatte er damit auch Recht gehabt. „„Hallo Monate““, las März also mit ihrer sanften Frauenstimme vor, nachdem sie einen Zettel aus dem Kuvert genommen hatte, „„Wer ich bin, spielt keine Rolle. Viel wichtiger für euch dürfte sein, dass sich in meinem Besitz ein Zahnrad befindet, das unabdingbar für die Funktionstüchtigkeit des Frostapparates ist. Ebenso habe ich Herrn Mutter, den Maschinenbauer des Obersten Büros, in meiner Gewalt. Das heißt für euch natürlich, dass ihr unmöglich an ein Ersatzteil kommen könnt – ich hingegen weiß für meinen Teil genau, was ich mit dem Wärmeregler machen muss, um auch ihn auszuschalten. Gleiches gilt für die Blitzmaschine, den Regenmacher, den Regenbogenspiegel, den Schneestaubstreuer und alle anderen kleinen Hilfsmittel, mit denen ihr das Wetter nach Lust und Laune manipulieren könnt.““ Februars Miene hellte sich auf. Herrn Mutter zu entführen war die Idee, zusammen mit dem Diebstahl von wichtigen Bauteilen einfach genial und sicherlich viel effizienter, als mal eben einen Monat in einen Sack zu stecken und erst am Jahresende wieder hervor zu holen. Blöd daran war nur, dass jemand anderes vor ihm auf darauf gekommen war. Der zweite Monat konnte nur zu genau Januars nachdenklichen Blick auf sich ruhen spüren. „He, du brauchst mich gar nicht so anzusehen, ich war das nicht!“, flüsterte er ihm lauter, als eigentlich beabsichtigt war, zu. „Das würde ich an deiner Stelle jetzt auch sagen!“ „Jungs, seid noch für ein paar Augenblicke leise, ja? Hier steht noch mehr.“ Die beiden funkelten sich schweigend an; allerdings war es kein Hass, der in ihren Augen glomm, ja, nicht einmal Wut. Sie waren einfach auf dem besten Weg, sich irgendwann wie ein altes, zanksüchtiges Ehepaar zu verhalten. „„Es gibt für euch nur eine Möglichkeit, den Techniker und das Zahnrad zurück zu bekommen. Ich werde mich wieder bei euch melden, gezeichnet X“ Hm, das war’s“, März drehte den Brief zur Sicherheit noch einmal um und hielt ihn gegen das Licht, in der Hoffnung, so ein Wasserzeichen entdecken zu können, musste jedoch enttäuscht fest stellen, dass da nichts weiter war. Einen Moment lang schwiegen sie alle drei, unwissend, was sie nun tun sollten und ob sie überhaupt in dieser Angelegenheit etwas tun konnten. „Wer ist X?“, fragte Februar schließlich. „Meinst du, wenn X gewollt hätte, dass wir wissen, wer er ist, hätte er einfach nur „x“ geschrieben?“, Januar klang reichlich genervt. Eigentlich hatte er ja nur eine kleine Reparatur haben wollen, und nun das! „Also meinst du, der heißt gar nicht X?“, hakte der zweite Monat des Jahres nach. Sein Kollege setzte gerade zu einer Antwort an, als März es es leid war, mit ansehen zu müssen wie die beiden sich zofften wie zwei Kindergartenkinder. „Ist doch egal, wer es ist! Er sagt, er meldet sich. Wir sollten auf jeden Fall April Bescheid geben, immerhin ist sie als nächstes dran.“ Tatsächlich taten die beiden Männer wenigstens so, als würden sie sich nun beruhigen und jeder von ihnen griff sich eine Maschine: Januar nahm sich den Frostapparat, den er mitgebracht hatte, und Februar trug die Klimaheizung, natürlich nicht ohne zu versuchen, einen Blick auf den Brief zu erhaschen, den seine Freundin nach wie vor in den Händen hielt. „Und… wo wohnt April?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)