Von Asche zu Staub von Arethelya ([SasukexSakuraxNeji] • lieblos •) ================================================================================ Kapitel 1: [first] ------------------ VON ASCHE ZU STAUB Ich… bereue… Ich kann es mir nicht erklären, doch ich bereue es – und gleichzeitig tue ich es nicht. In dem Moment der Sünde, als ich mich kopflos diesem Fehler hingab, erschien es das einzig Richtige zu sein. Aber jetzt habe ich alles gefährdet, was mir lieb und teuer ist. Oder habe ich das gar nicht? Was… habe ich denn vorher eigentlich besessen? .:[•]:. Wie alles begann… Ich ergreife mit meiner Hand das Laken, dort, wo du zuvor noch gelegen hast. Die Wärme ist längst verflogen… zurück bleibt nur Kälte. Eine Kälte, die mich an dich erinnert. Wie eine Aura aus Ablehnung, weshalb ich erschrocken zurückzucke und mich tiefer unter meiner Decke vergrabe. Hier ist Wärme, hier ist Schutz. Aber dein Geruch ist noch in der Luft… ein Duft, der mich immer an verbranntes Holz erinnert. So herb und eindringlich, maskulin. Und im Nachhall eine sanfte Milde, die mich immer wieder benebelt. Ich liebe deinen Geruch. Immer wenn du von Missionen zurückkommst und deine Kleidung gewaschen werden musst, rieche ich daran. Oftmals ist es auch getränkt von dem Gestank nach Schweiß und Blut, aber ich erkenne auch dich darin wieder. Und dann… schmiege ich mich an den Stoff, da ich mich nicht getraue, dich zu berühren… aus Furcht, dass du mich zurückstößt. Ich beginne zu zittern, wenn ich daran denke, auch wenn es hier im Bett eigentlich warm ist. Ich bin so dumm gewesen, damals. Sehr dumm. Und das nur, weil ich glaubte, dass ich deinen Beweggrund kennen würde. Denselben, der mich trieb. Ich erinnere mich genau an diesen einen Tag, der mein Leben veränderte. Naruto hatte dich zu mir zurück gebracht. Du hattest deine Rache bekommen und warst dabei schwer verwundet worden. Naruto fand dich und leitete dich zurück nach Konoha, da du geschworen hattest, wieder unserem Dorf und seinen Bewohnern zu dienen. Als ein stolzer Konoha-nin, der seine Ehre, seine Familie und sein Gewissen verteidigt hatte. Mit erhobenem Haupt kamst du zum Krankenhaus, wo ich bereits auf dich wartete. Ich weiß noch, wie sehr ich vor Aufregung und Freude zitterte. Die Tränen drohten mich zu überwältigen. Als ich dann in dein Zimmer kam… es ist wie aus meinem Gedächtnis geblendet. Ich weiß es nicht mehr. Nur noch, dass ich in deinen Armen lag und hemmungslos schluchzte. Wie ich dahin kam und wie es sein konnte, dass so viel Zeit verging… ich weiß es absolut nicht. Und die nächsten Sätze, die du sprachst, wurden mein Verhängnis. Du sagtest, dir täte alles leid, was du mir und den anderen angetan hättest. Du sagtest, du würdest hoffen, dass ich dir verzieh. Du sagtest, du wolltest alles besser machen. Du sagtest, du wolltest mit mir zusammen sein. Du sagtest, du wolltest mit mir deinen Clan wieder aufbauen. Es waren meine Kindheitswünsche. Seit ich mich zurückerinnern kann, sehne ich mich danach, dass du meine Gefühle erwiderst. Dass du mich liebst, wie ich dich liebe. Dass du mir all das gibst, was ich dir gebe. Dass du so lange an meiner Seite bist, bis mein Leben ausgehaucht ist. Waren diese Träume und Gedanken aus einem kitschigen, unrealistischen Glauben entstanden? Ich hätte es eigentlich merken müssen, aber ich war verblendet. Dabei war es jedem außer mir ersichtlich. Kurz bevor wir uns bei unserer überstürzten und kopflosen Heirat das Jawort gaben, warst du nicht wie ich auch nur ansatzweise im Liebestaumel und erzähltest den anderen von unserem Glück endlich zusammengefunden zu haben. Es schien dir alles egal zu sein, Hauptsache es ging schnell vonstatten. Und ich in meiner Blindheit dachte bloß, es läge daran, dass du dich von den harten Zeiten bei Orochimaru erst wieder umgewöhnen müsstest. Ich habe mich geirrt. Ich habe mich dieser Täuschung hingegeben und mit einem Mal alles über den Haufen geworfen, was ich mir bis dato mühsam erkämpft hatte. In meiner Freude prahlte ich vor den Mädchen, auch vor Ino, vielleicht sogar besonders vor ihr, und es kam, wie es kommen musste. Die alte Rivalität brannte auf, doch unnütz, da ich schon längst gewonnen hatte. Ino… meine beste Freundin und Vertraute… wandte sich von mir ab, enttäuscht über das, was ich tat. Und mit ihr gingen die anderen, die nicht glauben konnten, dass ich allein für dich alles fortwarf, was mir lieb und teuer war. Ich versuchte nicht einmal sie aufzuhalten… ich ließ sie gehen, da ich glaubte, dass ich nur dich bräuchte um glücklich zu sein. Der harte Schlag in die Magenkuhle traf mich dann spätestens an unserer Hochzeitsnacht, als wir das erste Mal miteinander schliefen. Geistig warst du nicht anwesend, gingst nicht auf meine Bedürfnisse ein und nach deiner Befriedigung drehtest du dich weg und schliefst. Nahmst mich nicht in den Arm oder sagtest, dass du mich liebst. Ich glaube, zu dem Zeitpunkt habe ich mir noch eingeredet, dass du erschöpft wärst von dem ganzen Trubel und deiner neuen Aufgabe als Jounin mit Aufstiegschancen zur ANBU. Ich redete mir alles zu Recht. Doch irgendwann… da holte es auch mich ein. Ich weiß es nicht mehr, aber eines Tages war es mir klar und ich brach zusammen. Ich weinte wohl Stunden, ohne dass ich mich beruhigen konnte. Zu dem Zeitpunkt warst du auf Mission, konntest dich nicht um mich kümmern. Und einen meiner Freunde um Trost bitten konnte ich auch nicht. Denn ich hatte keine Freunde mehr. Ich war allein und bin es jetzt noch. Inzwischen habe ich es akzeptiert. Du wirst mich nie lieben können, wahrscheinlich wirst du niemals lieben. Aber da ich für dich so viel geopfert habe, werde ich dich nicht aufgeben und mich von dir trennen. Ich stünde ohne alles da auf der Straße, dem blanken Hohn der anderen ausgesetzt wie ein nacktes Küken dem Wind. Lieber lebe ich in dieser bitteren Lüge, abgeschottet, einsam und in Kälte. Ich halte es durch… ich muss, ich schaffe es… Oder… doch nicht? Die Unsicherheit fährt mir wie ein glühendes Messer durch den Unterleib. Ich fühle mich so schutzlos wie ein Neugeborenes, das man in einem Wald ausgesetzt hat und man darauf wartet, dass es endlich stirbt. Mein Mörder wäre nicht das Wesen, das mich letzten Endes umbringt, sondern derjenige, der mich ausgesetzt hat. Und in diesem Fall… wärest du das, Sasuke. Du, der Mann, dem ich die letzten Jahre meines Lebens gefristet habe, aufopferungsvoll, ohne etwas dafür zu verlangen. Außer deiner Anerkennung. Und vielleicht auch deine Liebe. Aber innerlich hast du mich zerbrochen… die zarte Blüte meiner Seele zertrampelt und die Blätter einzeln herausgerissen wie in einem perfiden Spiel, wo das übermütige und rachsüchtige Kind jedes Mal glücklich aufkreischt: „Sie stirbt jetzt, sie stirbt noch nicht, sie stirbt jetzt, sie stirbt noch nicht…“ Aber meine Wurzeln sind noch tief in der Erde vergraben… ich bin immer noch Haruno Sakura und noch… lebe ich. Mit einem Mal wird mir bewusst, dass ich noch immer eine Chance habe. Ich setze mich ruckartig auf und verlasse das Futon-Bett. Ich werfe mir meine Kleidung über und beginne mit der Morgentoilette, als ich kurz inne halte. „Aber was… soll ich denn tun?“ Ich blinzle. „Was kann ich denn noch tun?“ Es heißt, wer einmal in der Hölle gefangen ist, kann ihr nicht mehr entkommen. Und dieses lieblose Leben mit dir ist eine Form der Hölle. Kann ich dir denn entfliehen? Hab ich noch die Möglichkeit die Rettungsleine zu ergreifen, die mich aus den Fluten zieht? Ich lasse meine Hände, die ich erhoben habe um mein Haarband zu binden, kraftlos sinken. Sie baumeln leblos an meiner Seite, während ich gramgebeugt im Raum stehe und mich frage, ob es überhaupt einen Sinn ergibt, wenn ich jetzt noch versuche eine kleine Revolution zu bewirken, um mein trostloses Leben zu verändern. Ich habe diesen Weg schließlich selbst gewählt und mir mein Verderben selbst zuzuschreiben. Aber… hat nicht jeder Sünder ein Recht auf Buße und der Möglichkeit auf einen Neuanfang? „Was muss ich… tun? Wer muss ich… sein?“ Wer will ich werden? Wandelnd, wie eine Puppe, die von einem unsicheren Spieler geleitet wird, gehe ich auf den Spiegel zu. Hebe eine Hand und streiche die Konturen meines Abbildes nach. Bin das wirklich ich? Oder nur eine Illusion, die ich mir selbst erschaffen habe, um mich selber glauben zu machen, dass ich das wäre. Ich könnte auch jemand anderes sein. ~ Spieglein, Spieglein an der Wand… ich halt‘ die Wahrheit in der Hand. Doch noch hab ich sie nicht erkannt… hab mich in der Lüg‘ verrannt. ~ Ich weiß nicht, wie viele Minuten oder Stunden ich nun durch dieses Zimmer wandle, ohne einen blassen Schimmer zu haben, was ich tun soll. Das große Anwesen der Uchiha-Familie wirkt auf einmal nicht mehr weitläufig und geräumig, sondern erdrückend. Ich komme mir sehr klein vor… das ist auch jene Sekunde, in der ich erkenne, dass ich hier raus muss. Es ist… alles von dir erfüllt, es stinkt nach dir, überall bist du hier! Ich ertrage das nicht! Nicht länger! ~Why don't we end this lie, I can't pretend this time. I need a friend to find my broken mind, before it falls to pieces…~ Ich stehe das nicht länger an deiner Seite durch. Du zerstörst mich mit deiner Art. Du reißt mein Innerstes aus mir heraus und starrst nur auf den Anblick… kein höhnisches Wort, kein Lachen… nur dein eindringliches Starren, das mich noch mehr beschämt als alles andere… Ich verlasse das Grundstück mit fliegenden Schritten. Ich bekomme gar nicht mit, als ich auf die Straße renne, wohin mich meine Füße treiben. Die Ausweichmanöver an den anderen Menschen vorbei, erfolgt automatisch, antrainiert durch meine Ausbildung zum Ninja. Einmal jedoch streife ich einen Mann, der mich wütend ankeift: „Können Sie nicht aufpassen?!“ Doch ich renne weiter, ohne auf ihn zu achten… aber auf einmal verfolgen mich tuschelnde Stimmen… „Ist das nicht die Frau von Uchiha-san?“ „Was macht sie…“ „… beneidenswert… hat sie gar nicht verdient…“ „… zu bemitleiden, das Mädchen…“ Ich versuche die Stimmen hinter mir zu lassen, aber sie dröhnen mir in den Ohren und wieder einmal spüre ich die Tränen in meinen Augen aufsteigen. Sie reden über mich, aber nicht mit mir. Ich bin für sie ein Ausstellungsstück, das sie betrachten und darüber herziehen können. Ich werde in einem goldenen Käfig gehalten wie ein seltenes Tier, das von dir, Sasuke, gefangen wurde. Einige bemitleiden mich, einige betrachten mich höhnisch… aber keiner befreit mich. Denn seit ich in deinen Klauen bin, habe ich keine Freunde mehr… I need a friend to find my broken mind, before it falls to pieces… aber ich habe doch niemanden… mehr. Ich schließe die Augen und renne blind weiter. Was interessieren mich die Passanten mit ihren alltäglichen, einfachen Problemen? Ihr Leben ist keine Lüge, keine Ruine. Sie haben Freunde, Menschen, die ihnen zur Seite stehen. Sie haben Aussicht auf eine glückliche Zukunft. Sie haben die Möglichkeit etwas zu ändern. Und ich? Selbst wenn ich es versuche, etwas zu ändern… ich käme niemals gegen dich an. Ich bin zu schwach… „He! Pass au-“, ruft jemand erschrocken vor mir, doch ich höre es zu spät und renne direkt in die Person hinein. Ich stoße gegen einen – wie es scheint – Mann, denn ich spüre eine durchtrainierte, harte Brust durch die Kleidung hindurch. Erschrocken reiße ich die Augen auf und schaue die Person an, die mich festhält und versucht, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Dieses Gesicht… es ist mir vertraut und zuerst schrecke ich zurück, doch als ich diesen betörenden Duft wahrnehme, halte ich inne. Was… ist das? So etwas habe ich noch nie gerochen… eine ungewöhnliche Süße, die von einem herben Geruch begleitet wird. Ein zarter und doch herber Geruch zugleich. Es ist schwer zu beschreiben. Aber es ist… angenehm, gut, himmlisch. Wer riecht so gut? In wessen Armen liege ich hier? „Uchiha Sakura?“, fragt mein „Opfer“, als er endlich festen Stand gefunden hat und mich ansieht. Der Sprecher hat eine angenehme, sonore Stimme, die mir einen Schauer über den Rücken laufen lässt. Und da erkenne ich ihn. „Hyuuga Neji-kun?“ Kapitel 2: [second] ------------------- Von Asche zu Staub .:[•]:. Früher habe ich nicht geglaubt, dass es diese Momente gibt, in denen die Zeit still zu stehen scheint. Meines Erachtens bin ich dafür zu erwachsen gewesen, um solchen kitschig-romantischen Aussagen auch nur Gehör zu schenken… doch jetzt, scheint es ganz anders zu sein. Mir ist es schon regelrecht peinlich, dass ich mich nicht von ihm abwenden kann, doch etwas fasziniert mich an der Spiegelung seiner hellen Augen. Das Blau des Himmels schimmert in seinen leicht lavendelfarbenen Seelenspiegeln. Es scheint, als ob die Farbe seiner Augen entsprechend der Umgebung wechseln könnte. Es ist wunderschön und erschreckend zugleich, denn es scheint den Nebeneffekt zu haben, dass man in seinen Augen nicht lesen kann. Nicht hineinsehen kann. Als wären es doppeltverglaste Fenster. Mit einem Mal wird mir bewusst, dass ich ihn wohl anstarre und drehe mich peinlich berührt weg. Ich merke, dass mir die Wangen vor Scham brennen. Hektisch entwinde ich mich seinen Armen, wobei ich mit Bedauern feststellen muss, dass dadurch auch der anregende Duft verschwindet, der mich erst in diese Lage gebracht hat. Innerlich schüttle ich den Kopf. „Gomen nasai, Neji-kun“, murmele ich und klopfe mir imaginären Staub von der Kleidung, um meine nervösen Finger nicht zitternd an meiner Seite baumeln zu haben. Er soll nicht sehen, dass mir die Situation unangenehm ist. Er legt den Kopf leicht schief und blickt mich einfach nur an. Mir knotet sich der Magen unter der Eindringlichkeit seiner Augen zusammen. Wie eine Schlange, die ihr Opfer vor dem Biss fixiert… aber Neji würde mir doch nicht schaden wollen? Ungewollt beiße ich mir auf die Unterlippe. Was ist nur mit mir los? Selbst du, Sasuke, kannst mich nicht so aus der Ruhe bringen mit deinen kalten, seelenlosen Augen, die Strudel ins Nichts zu sein scheinen. Vielleicht, weil ich mich schon daran gewöhnt habe oder ich weiß, dass ich dir nichts bedeute und deshalb keine Angst zu haben brauche. Aber Nejis Augen… diese farbwechselnden Kaleidoskope ziehen mich hinab ins Nirgendwo… wo ich mir selbst ausgeliefert bin. Ich glaube fast, dass ich nackt und bar jedes Schutzes vor ihm stehe. Kann er etwa… in mich hineinsehen? Meine Atmung beschleunigt sich leicht bei dieser abstrusen Vorstellung, aber meine Gedanken drehen sich im Kreis und ich komme nicht von dieser Vorstellung los. Mir kommt es so vor, als ob seine Konturen verschwimmen. Mir ist schwindlig. Ich will… hier raus! „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Sakura“, antwortet er mit einem Mal ruhig und die Unruhe fällt mit einem Schlag von mir ab. Was… war das? Als ob für eine Sekunde mein Innerstes nach außen gekehrt wurde… „Viel eher sollten die anderen dich um Vergebung bitten.“ Ich starre ihn verwirrt an. Wie meint er das? So wie… wie ich es etwa glaube? Weil mich die Menschen meiden? Weil sie hinter meinem Rücken über mich reden? Seine Hand ruht auf einmal auf meiner Schulter. Ich zucke beinahe zusammen, denn sie ist warm und ich spüre die Hitze durch meine Kleidung abstrahlen. Sie sind so anders als deine… warm, voller Leben. So anders… Ich weiß nicht, was mich überfällt, aber mit einem Mal werfe ich mich wieder in seine Arme und klammere mich an ihn fest. „Wa-was? Sakura?“ Ich reibe mein Gesicht an seinen weißen Kimono und unterdrücke die Tränen. Seit so langer Zeit… spricht wieder ein Freund, Bekannter mit mir. Macht keinen Bogen um mich und betrachtet mich mit bösen Blicken. Ich fange an zu schluchzen. Ich spüre, dass er sich hilflos umsieht und unbeholfen meine Arme fasst. „Sakura, reiß dich zusammen“, wispert er, da bestimmt Passant über Passant stehen bleibt, um die Szene zu betrachten und zu kommentieren. Aber das ist mir gerade so egal, wie es wirken muss. Ich klammere mich an den einzigen Halt, der mir bleibt, die Rettungsleine in der Dunkelheit. Wenn ich ihn loslasse… werde ich in dem schwarzen Meer meiner Einsamkeit versinken, ohne auf Hoffnung auf eine zweite Chance, um mich aus meinem Unglück zu ziehen. „Sakura! Die Leute und Sa… Sakura, komm mit!“, zischt Neji und packt meinen linken Arm. Ich keuche auf, als er mich schmerzhaft hinterher zieht. Meine Augen sind verschleiert; ich sehe nur seinen breiten Rücken. Ich weiß nicht, wo wir hingehen. Ich stolpere mehrmals auf dem Weg, doch er denkt nicht einmal daran, das Tempo zu verlangsamen. Einmal kratzt etwas mein Bein entlang, dass ich scharf einatme vor Schmerz. Es zieht beim Laufen. Doch wir halten einfach nicht an. Ich schnaufe mehrmals, versuche meinen Arm zu befreien, aber stur hält er mich fest. Es vergehen wohl endlose Minuten, bis er abbiegt und ich anstatt staubigen Bodens Gras an meinen Knöcheln kitzeln spüre. Ich schüttle meinen Kopf und versuche ich mich auf die Umgebung zu konzentrieren. Wir sind… in einem Garten? Überall sind Beete, Wege und sogar ein Teich angelegt. Ist das etwa… das Hyuuga-Gelände? Bevor ich es mir versehe, zerrt er mich auf eine Terrasse und öffnet eine Schiebetür. Er stößt mich hinein, schließt die Tür und seufzt dann, während er sich durch die langen Haare fährt. Ich blinzle. Ich bin in einem spartanisch eingerichteten, in weiß gehaltenes Zimmer. Bin… ich hier bei Neji-kun? Aber wieso hat er das getan? Neji fordert mich ruhig mit seiner sonoren Stimme auf, mich zu setzen. Zögernd komme ich dem nach, peinlich berührt davon, wie ich mich habe gehen lassen in seiner Gegenwart. Nervös knete ich den Stoff meines Rocks. Ich höre ein resigniertes Seufzen, als fände er die gesamte Situation anstrengend. Kurz muss ich an Shikamaru denken, der mich auch verlassen hat als Freund, und ich werde wieder traurig. „Man kann in dir lesen, wie in einem offenen Buch…“ Ich schaue überrascht auf. Ich blinzle kurz, unsicher, was ich dazu sagen soll, oder ob er den Satz noch fortführt. Doch er sieht mich nur schweigend an. Er erwartet also eine Antwort von mir. Ich blicke zur Seite, starre das Foto von ihm und seinen Teamkameraden an. Ich hätte nie gedacht, dass Neji nostalgisch genug ist, um das Foto seines ersten Tages als Genin aufzustellen. Wie man sich in Menschen täuschen kann… aber das habe ich ja auch schon vorher feststellen müssen. „Wenn man so gut in mir lesen kann, warum liest niemand anderes das Buch zu Ende?“ „Vielleicht wollen sie sich ein eigenes offenes Ende erdenken.“ „Schön… und dies ist dem Protagonisten nur zum Nachteil, wenn der vielleicht, wirklich nur eventuell ein glückliches Ende verdient.“ „Manchmal… mögen die Leser die Hauptfigur nicht so gern und wollen deshalb das Ende nicht lesen, weil sie es dem Charakter nicht gönnen.“ “Wieso lesen sie es dann überhaupt?!“, brülle ich auf einmal, vollkommen in Rage darüber, was hier indirekt zu tragen kommt. Die Leute mögen mich also nicht so gern. Schön, fein. Sie wollen mir nicht helfen, weil sie es mir nicht gönnen, dass es mir wieder gut geht. Dann sollen sie auch aufhören über mich zu reden, wenn ich ihnen sowieso nichts bedeute! Er sieht mich ruhig an, als würde mein Ausbruch gar nicht stattfinden, das sich darin äußert, dass ich sein Bett zerwühle und sein Kopfkissen missbrauche, um darauf zu schlagen. Es bringt nichts, aber es ist befriedigend zu sehen, dass dieses Mal etwas Anderes alles abbekommt und nicht ich. „Weil es ein gutes Buch ist… es beinhaltet Liebe, Verzweiflung, Kummer, Abgründe… alles, was die gierige Menschenseele begehrt bei anderen zu lesen und sogar persönlich zu sehen wünscht, bloß bei sich selbst nicht. Sie sind schadenfroh. Sie sind erbärmlich. Außerdem… beweist es, dass Uchiha nicht so großartig ist, wie alle Welt behauptet. Schließlich scheint er nicht in der Lage zu sein zu verbergen, dass er keine Beziehung und schon gar keine Ehe führen kann.“ Wie erstarrt halte ich inne. Ganz langsam hebt sich mein Kopf, bewegt sich zur Seite, um ihn, Neji, zu betrachten. Auf einmal wirkt er auf mich so fremd… ich habe ihn schon vorher kaum gekannt, aber jetzt erkenne ich ihn gar nicht mehr wieder. Wer hätte denn gedacht, dass er sich überhaupt damit beschäftigt. Und dann auch noch so intensiv? Nein, das ist falsch. Er beschäftigt sich bestimmt nicht damit. Es geht ihn nichts an. Viel mehr… scheint er perfekt den menschlichen Verstand durchleuchten zu können. Mir läuft bei dem Gedanken ein leichter Schauder über den Rücken und ein Knoten bildet sich in meinen Gedärmen. Heißt das… er weiß auch ganz genau, was in mir vorgeht? Aber – ist das nicht eigentlich das, was ich will und brauche, um zurück zum Leben zu finden? Ist es nicht notwendig für mich, die… inzwischen schon fast zu den Außenseitern zählt, jemanden zu haben, der mich genau verstehen kann und mich zurückgeleitet in die Arme meiner Brüder und Schwestern innerhalb dieser Gemeinschaft? Aber kann ich ihm glauben? Kann ich mich ihm anvertrauen? ~ Spieglein, Spieglein an der Wand… halt die Offenbarung in der Hand. Doch noch hab ich sie nicht erkannt… hab mich im Misstrau’n verrannt. ~ Neji dreht seinen Kopf zur Seite und blickt durch ein Fenster in den Garten, durch den er mich zuvor gehetzt hat. Das Sonnenlicht zaubert einen goldenen Schimmer in sein makelloses Gesicht, lässt die weißen Augen aufglühen… Moment, makellos? Fasziniert sehe ich genauer hin und kann dieser Aussage nur noch einmal zustimmen. Ich sehe keinen Fehler in der Proportion seines Gesichts. Es ist markant, aber nicht zu ausgeprägt, um unangenehm ins Licht zu fallen. Seine Wangen sind leicht hohl, aber es wirkt nicht ungesund und mager. Seine Nase ist gerade und schmal, die Augenbrauen dunkel und geschwungen. Auch seine Lippen… nicht zu breit, nicht zu schmal. Füllig, aber nicht voll für einen Männermund. Umso mehr ich ihn betrachte, umso bewusster wird mir, dass auch er bestimmt beliebt bei den Frauen ist. Diese langen, seidigen Haare, um die ihn jede Frau bestimmt beneidet und die ihm auch einen leicht femininen Touch gibt, sodass er nicht allzu männlich und hart wirkt. So hat er auch etwas… Weiches, Feines, Zerbrechliches… sodass man eine gewisse sanfte Seite an ihm erahnen kann. Aber ich will nicht zu viel in seine Person hinein interpretieren. Am Ende liege vollkommen falsch mit ihm. Es vergeht einige Zeit, die mit Schweigen erfüllt ist, weil ich noch einmal über seine Worte nachdenke… Es ist ersichtlich, dass du, Sasuke, keine Beziehung oder Ehe führen kannst. Und das interessiert dieses neugierige Pack unter den Dorfbewohnern. Aber es stimmt, du kannst es nicht… Du gehörst nicht zu den aufopferungsvollen Ehemännern, von denen man immer hört. Du gehörst nicht zu den liebevollen Ehemännern, die ihre Frau immer mit einem Kuss begrüßen. Du gehörst nicht zu den verantwortungsbewussten Ehemännern, die ihre Frau nicht über große Zeitspannen allein lassen. Du gehörst nicht zu den sanften Ehemännern, die für ihre Ehefrau da sind und dafür sorgen, dass es ihr nicht schlecht geht, sodass es die Öffentlichkeit auch noch mitbekommt. Du bist kein Ehemann. Du bist nicht geschaffen an der Seite eines Menschen zu leben… Du bist ein Einzelgänger. Es war eine Dummheit zu glauben, ich könnte das ändern. Vielleicht war es auch ein Fehler zu versuchen, dich zu einem Menschen machen zu wollen, der soziale Interaktion braucht. Eigentlich kann ich dir nicht mal einen Vorwurf machen. Du bist nun einmal so. Du kannst gar nicht anders sein. Aber… ich brauche etwas Anderes. Ich brauche jemanden an meiner Seite, der auch auf mich eingehen kann. Meine Bedürfnisse erwidert. Ich brauche jemanden, der mich liebt. Oder es mich wenigstens glauben machen kann. Denn selbst das vermochtest du nicht wirklich. „Verstehst du es allmählich?“, fragt mich Neji plötzlich und ich bekomme eine Gänsehaut. Diese tiefe Stimme… Und da wird es mir klar… Hosted by Animexx e.V. 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