Unsterblich von Flordelis (My Immortal ~ Eternal Chronicles) ================================================================================ Kapitel 35: Mana-Outbreak ------------------------- Ich erinnere mich immer noch an den roten Schleier... nein, das ist das falsche Wort. Es war mehr ein Rahmen, so tiefrot, dass er fast schon schwarz war und der immer mehr von meinem Blickfeld einnahm. Mit jedem Schritt, den ich tat, schwang ich mein Shinken. Auch wenn es an diesem Ort, den Hof, in dem Cinaed meinen Zetsu umgebracht hat, nicht möglich war, die Kraft von Shinken zu benutzen, so war 'Shoubi' doch noch als normales Schwert zu gebrauchen. Ich machte mir das zunutze, indem ich es schwang und dabei jeden tötete, der es wagte, mir zu nahe zu kommen. Ich hörte die Schreie, aber sie berührten mich nicht. Ich sah nicht die Gesichter jener, die ich niederwarf, mein Blick war voll und ganz auf Cinaed konzentriert, der mich irritiert und gleichzeitig neugierig musterte. Er wich keinen Schritt zurück, egal wie sehr ich mich ihm näherte. Als ich nur noch wenige Schritte von ihm entfernt war, warf er einen Blick zu Colin, der allerdings nur mit den Schultern zucken konnte. Dann wollte er sein Schwert ziehen, doch mit einem einzigen Satz hatte ich ihn bereits erreicht und zwang ihn damit, auszuweichen. Doch seine Bewegungen waren nicht schnell genug. Mein Arm schnellte vor, die Spitze 'Shoubis' glitt durch seinen Oberkörper hindurch, verletzte dabei allerdings keinerlei vitale Organe. Ich wollte ihn umbringen, aber die finstere Seite in mir, der Menschlichkeit vollkommen unbekannt war, wollte ihn unter allen Umständen dabei leiden sehen. Er sah mir direkt in die Augen, das Gesicht verzerrt von Schmerz und Unglauben. Dieser Blick fachte das Feuer in meinem Inneren noch einmal an. Ich drehte die Klinge in seinem Körper, sein Gesicht wandelte sich in eine groteske Grimasse des Schmerzes, die eine mir bis dahin gänzlich unbekannte Befriedigung in mir auslöste. Aus weiter Ferne konnte ich Colin hören, der seinen Soldaten Anweisungen gab, mich zu ergreifen und da kamen sie auch bereits schwer bewaffnet dahergelaufen. Ich riss das Schwert aus Cinaeds Körper und wandte mich damit ihnen zu. Die erste Reihe blieb derart abrupt stehen, dass jene, die ihnen folgten, beinahe in ihre Kameraden hineinliefen. Es war mir nicht möglich, zu sehen, was sie an oder um mich herum erblickten, aber die geschockten Ausdrücke auf ihren Gesichtern sagten mir bereits genug – und im nächsten Moment ergriffen sie bereits schreiend die Flucht. Sie ließen sogar ihre Waffen fallen, um nicht von diesen bei der Flucht behindert zu werden. Zufrieden, dass diese Störung nun passe war, wandte ich mich wieder Cinaed zu. Dieser war inzwischen zu Boden gestürzt, Blut floss aus seiner Verletzung und bildete eine rasch größer werdende Pfütze. In einem verzweifelten, wie aussichtslosen Versuch, die Blutung zu stoppen, presste er sich eine Hand auf die Brust, doch die kostbare rote Flüssigkeit quoll einfach zwischen seinen Fingern hindurch. Mein Blick wanderte weiter zu Colin, der in einiger Entfernung stand und seine Waffe auf mich richtete. Es war eine Fernkampfwaffe, so viel wusste ich, aber ich war noch nie mit ihr konfrontiert worden. Dennoch machte ich mir keine Gedanken, ich war überzeugt, dass mir nichts geschehen würde und selbst wenn... Sein Finger krümmte sich um den Abzug, ein Knall erklang. Ich sah das Geschoss wie in Zeitlupe auf mich zufliegen, weswegen ich nur einen Schritt zur Seite tun musste, damit es an mir vorbeiflog. Kaum berührten beide meiner Füße wieder den Boden, stieß ich mich von diesem ab, stürmte auf Colin zu – und durchbohrte sein Herz mit 'Shoubi'. Ein lauter, schriller Schrei, riss Leana aus ihrer Erinnerung. Durch die flammende und gleichzeitig eisige Umarmung des Hasses, der ihren Verstand zu vernebeln versuchte, schaffte sie es nicht sofort, zu verstehen, was geschehen war. Doch je mehr sie realisierte, desto mehr wünschte sie sich, es nicht gesehen zu haben. 'Shoubi' steckte tief in der Brust von Eos, die auf dem Boden saß, das zerbrochene Schwert neben sich. Nur undeutlich erinnerte Leana sich daran, dass sie die Klinge der Präfektin mit nur einem einzigen Hieb zerteilt und ihre Feindin dann zu Boden geworfen hatte. Um sich herum konnte sie, überall auf der Erde, zahlreiche Schwerter sehen, die von geflohenen Wächtern zurückgelassen worden waren. Nicht weit entfernt, aber außerhalb eines gewissen Radius, konnte sie Tokimi, Fuu, Ylva, Kobayashi und den verletzten Yori erkennen. Alle fünf starrten in ihre Richtung, sichtlich schockiert von dem, was da gerade vor ihren Augen vor sich ging. Leana sah wieder auf Eos hinab, deren Gesicht vor Schmerz verzerrt war, doch in ihrem Auge war Dankbarkeit zu erkennen. Etwas, was Leana in diesem Moment nicht verstehen konnte. „Was ist?“, fragte sie, dabei klang es so, als würde sie nur zuhören, wie jemand anderes sprach; sie erkannte ihre eigene Stimme nicht mehr. „Ich verstehe es jetzt...“ Die Eternal hob die Augenbrauen, um zu erfahren, was Eos meinte und diese holte auch sofort zu einer Erklärung aus: „Ich kann jetzt sehen, woher diese Erinnerungen kommen. Gyouten no Zetsu...“ Die Erwähnung dieses Namens versetzte Leana einen Stich ins Herz, eine weitere Flut von schmerzhafter Hitze ging von ihrem Orichalcum-Namen aus und wollte sie wieder in den betäubenden Mordwahn ziehen. Aber noch schaffte sie es, sich dagegen zu wehren. Es erforderte sie viel Kraft, aber sie wusste, sie durfte nicht einfach nachgeben oder sie würde etwas tun, das sie noch lange bereuen würde. „Ich werde wieder ein Teil von ihm“, sagte Eos, Blut lief dabei aus ihrem Mundwinkel und die ersten violetten Manafunken lösten sich von ihrem Körper. „Und dann werden wir uns wiedersehen, das weiß ich.“ Leana wollte sich an diese Hoffnung klammern, wollte wirklich glauben, dass sie Zetsu wiedersehen würde, sobald all das vorbei war – doch ihr Orichalcum-Name sandte weitere Wellen von Hass und Rachegedanken aus. Eos schloss ihr Auge und fiel nach hinten, das Schwert glitt dabei aus ihrem Oberkörper. Kein Blut floss aus ihren Wunden, dafür wurden es immer mehr Manafunken, die sich von ihrem Körper lösten, so dass dieser langsam desintegrierte. Mit jedem Lichtpunkt, der langsam verschwand und dabei von Leana beobachtet wurde, brannte ihr Orichalcum-Namen immer mehr. Etwas in ihrem Inneren wollte zerspringen, so wie zuvor, doch da es bereits zerbrochen war, gelang das nicht. Der Schmerz staute sich immer weiter auf, ohne eine Möglichkeit, irgendwohin abzufließen. Sie warf den Kopf in den Nacken und stieß ein Schreien, ein Heulen gar, aus, das nicht von dieser Welt und schon gar nicht menschlich schien. Ihr Orichalcum-Name und auch 'Shoubi' strahlten ein unheimliches, rotes Glühen aus, das sich mit jedem weiteren Manafunken von Eos verstärkte. Aus weiter Ferne hörte sie Tokimis Stimme, die ihr etwas zurief, das sie nicht verstehen konnte, nicht verstehen wollte! In ihrem Kopf schrie etwas, das viel lauter war, ein Wesen aus einer Zeit, die lange vor ihr geschehen war und dessen Stimme sie wieder in ihre Erinnerung zurückwarf. Nachdem Colin leblos zu Boden gestürzt war, wandte ich mich wieder Cinaed zu, der es aufgegeben hatte, die Blutung zu stillen und stattdessen versuchte, aus meiner Reichweite zu kriechen. Mit wenigen Schritten glich ich die entstandene Distanz zwischen uns wieder aus und rammte ihm 'Shoubi' in die Schulter. Er gab einen erstickten Schmerzenslaut von sich, hielt aber endlich inne. „Du hast dich eindeutig mit der falschen Person angelegt“, zischte ich und zog das Shinken wieder heraus – nur um es in seine andere Schulter zu rammen und einen erneuten Schrei zu ernten. Es klang in diesem Moment wie Musik in meinen Ohren, ich genoss diesen Moment, so schlimm ich es auch im Nachhinein immer noch finde. Ich hasse ihn heute noch – aber ich hätte ihn nicht derart behandeln dürfen, es machte mich nicht im Mindesten besser als ihn. „Solltest du wiedergeboren werden, merkst du dir das hoffentlich“, sagte ich weiter und riss 'Shoubi' erneut aus seinem Körper heraus. Als nächstes rammte ich ihm die Waffe in den Oberschenkel. Sein Schrei nahm an Volumen ab, es war deutlich, dass ihn die Kraft verließ, während sich gleichzeitig die Blutlache um ihn herum immer weiter vergrößerte. „Und sollten wir uns jemals wiederbegegnen, solltest du besser Demut vor mir zeigen.“ Ich wusste nicht, woher diese Worte kamen oder warum ich sie sagte, aber in diesem Moment entsprangen sie meiner festen Überzeugung. Ich riss das Shinken wieder heraus, die durchtrennte Arterie ließ die Lache wesentlich schneller anschwellen als die Verletzungen zuvor. Zuguterletzt verpasste ich ihm noch einen heftigen Tritt gegen das verletzte Bein, was ihm noch eine letzte Reaktion – ein Zusammenzucken – entlockte. Dann lag er still und atmete auch nicht mehr. Cinaed war tot. Colin ebenfalls. Von den beiden Personen, die sich für Zetsus Tod verantwortlich zeigten, war nun nichts anderes mehr übrig als Manafunken, die sich langsam auflösten und dann ebenfalls verschwunden sein würden. Dann würde nur ich zurückbleiben. Ich, mit meinem Hass, meiner Trauer und meiner ewigen Reue, weil ich nicht rechtzeitig eingegriffen hatte. Das alles war meine Schuld, nur meine und nicht einmal Zetsu könnte mir das ausreden, obwohl ich in diesem Moment überzeugt war, dass er das ohnehin nicht versuchen würde. Mit Sicherheit gäbe auch er mir die Schuld, wenn er könnte. Dieser Gedanke klammerte sich an mich, schlug regelrecht auf mich ein und zwang mich schließlich in die Knie, wo ich mich endlich meiner Trauer ergab und zu weinen begann. Auf dem Boden hockend, die Arme um die Beine geschlungen, wippte Leana immer wieder vor und zurück. Es entsprach nicht ihrem Naturell, niemals würde sie so gesehen werden wollen – aber hier, an diesem Ort, war sie allein. Niemand wäre jemals in der Lage, dort hinzukommen. Zumindest hatte sie das bis vor kurzem noch geglaubt. Doch nun stand hier, direkt vor ihr, eine Person, eine Gestalt, die sie nur undeutlich erkennen konnte, aber sie machte sich auch keine weiteren Bemühungen, sie zu mustern. Sie wollte nicht wissen, wer diese Person war, was sie hier tat oder wie sie an diesen Ort gelangt war. Sie wollte in Ruhe gelassen werden, um zu trauern und sich ganz ihrer Schuld zu ergeben. Es war nun nicht mehr nur Zetsu. Nanashi, ein Teil von ihm, war tot; Ayumu war ebenfalls gestorben, weil sie zu spät gekommen war; sie hatte Eos ermordet und vielleicht – da konnte sie sich nicht sonderlich sicher sein – war auch Hyperion ein Opfer ihres Zorns geworden, während sie sich im Mana-Outbreak befunden hatte. Und wer wusste schon, wie viele Männer in diesen Phasen von ihr getötet worden waren? Unschuldige, die nur Befehlen gefolgt waren, die lediglich zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen waren. All diese Gedanken schnitten tiefe Wunden in ihr Gewissen und ihr Herz und wollten sie nicht mehr loslassen. Sie wünschte sich, einfach an diesem Ort bleiben zu können, sie glaubte nicht, jemals wieder aufwachen zu können, so schwer fühlte sich alles an. „Nur keine Sorge.“ Die sanfte Stimme begleitete ein behutsames Streichen über ihr Haar. Es war die Person ihr gegenüber, die sie nicht kannte und sich dennoch hier befand. Ihre Stimme schien Leana bekannt, sie weckte Erinnerungen an 'Shoubi' in ihr, aber sie war zu kraftlos, um diesen Gedanken weiterzuverfolgen. „Du musst nie wieder aufwachen“, fuhr die Stimme melodisch fort, als wäre sie versucht zu singen. „Ab sofort werde ich deine Rolle ausfüllen – und ich werde sie um ein Wesentliches verbessern.“ Unter anderen Umständen hätte Leana sich dagegen gewehrt, gekämpft, um nicht die Herrschaft über ihren eigenen Körper zu verlieren. Aber sie fühlte sich ungewohnt schwach und hilflos, jegliche Perspektive schien aus ihrem Leben verschwunden und durch ein schwarzes Loch ersetzt worden zu sein. Sie ergab sich der freundlichen Stimme, die so sanft und mitfühlend schien und deswegen in diesem Moment etwas in ihr ansprach, das sich sonst nicht so einfach beeinflussen ließ. Leana atmete tief durch und deutete ein Nicken an, was für die andere Person genug war. Sie lachte amüsiert und begann in einem hellen, weißen Licht zu strahlen. „Endlich werde ich wieder frei sein. Nur keine Sorge, ich werde dich würdig vertreten – ich, Shoubi no Philia, die rechtmäßige Besitzerin dieses Shinken!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)