Unsterblich von Flordelis (My Immortal ~ Eternal Chronicles) ================================================================================ Kapitel 31: Namenlos -------------------- Fassungslos starrte Leana auf die kleine, an der Wand angebrachte Nanashi und wiederholte danach ihre Frage: „Was ist hier los?“ Tokimi trat automatisch einen Schritt zur Seite, damit sie nicht aus Versehen gegen Leana stoßen würde, sollte sie sich entscheiden, noch weiter zurückzuweichen. Diese Gelegenheit nutzte Leana, um vorzutreten – worauf Ayumu und Hyperion den Raum ebenfalls betraten – und Nanashi näher in Augenschein zu nehmen. „Was ist mit ihr passiert?“ „Sie ist meine Manaquelle“, antwortete Eos, ein wenig ruhiger als zuvor. „Damit halte ich meinen Palast und meine Lakaien am Leben.“ Sie blickte Leana an, mit einem Ausdruck in den Augen, der deutlich davon sprach, dass sie ein Lob dafür hören wollte, aber die Eternal schüttelte langsam mit dem Kopf. „Das ist doch Wahnsinn.“ So wenig sie Nanashi auch gemocht hatte – was hauptsächlich an deren nagenden Eifersucht und Versuche, Leana loszuwerden lag – aber das hatte nicht einmal das Shinjuu verdient, ganz gewiss nicht. Eos' Gesicht verfinsterte sich bei dieser unerwarteten Antwort. „Dir gefällt mein Plan also auch nicht, Ewige Rose?“ „Hör endlich auf, mich so zu nennen!“, platzte es aus Leana. „Mein Name ist Shoubi no Leana und das hat nichts mit einer ewigen Rose zu tun!“ Dieser Ausbruch ließ Eos' Laune noch tiefer sinken, genau wie ihre Mundwinkel. „Du wagst es wirklich, so mit mir zu reden? Mit mir? Der Präfektin?“ „Mir ist egal, ob du die Präfektin bist!“, erwiderte Leana wütend. „Von mir aus könntest du auch die Königin des Universums sein! Du benimmst dich wie ein verwöhntes Gör und so behandle ich dich auch!“ Ihr war bewusst, dass sie mit Zetsu nie derart deutlich gesprochen hätte, aber nur weil sie mit ihm auch anders hatte umgehen können – und für den Fall des Falles hatte es immer noch Isolde gegeben, die Zetsu ins Gewissen sprach, nur im Moment war das Shinjuu nicht anwesend und so blieb es an Leana, das zu tun, auch wenn es Eos weiterhin nicht gefallen wollte. Doch statt das Schwert zu heben und gegen Leana zu kämpfen, gab sie plötzlich ein amüsiertes Lachen von sich. „Nun, wenn dir so viel an diesen nutzlosen Manaquellen liegt, dann kannst du ja gemeinsam mit ihnen untergehen.“ Nach diesen Worten lachte sie noch lauter, während sie dem Ausgang des Raumes zustrebte. Ihre Aura war immer noch derart von Hass und Wut erfüllt, dass keiner der anderen sich in ihre Nähe traute und sie sogar alle einen Schritt zurückwichen – außer Hyperion, der sich ihr anschloss und die Tür hinter ihnen beiden verriegelte. Ayumu schnaubte wütend. „Ich habe doch gesagt, dass er uns in eine Falle locken wird!“ Leana war nicht in der Stimmung, sich mit ihm zu streiten, weswegen sie nicht darauf einging und sich stattdessen fragte, was Eos mit ihren letzten Worten gemeint hatte. Tokimi versuchte derweil, die Tür zu öffnen, schüttelte dann aber mit dem Kopf. „Sie ist wirklich verschlossen. Aber ich kann nicht sehen, was als nächstes passieren wird.“ „Oh, dann weiß die ach-so-kluge Tokimi also auch nicht alles?“, kommentierte Ayumu amüsiert. „Das ist ja mal was ganz Außergewöhnliches.“ Sie beachtete ihn nicht, seufzte allerdings. „Vielleicht gibt es irgendwo einen geheimen Ausgang. Wir sollten danach suchen und-“ Ein leises Geräusch unterbrach sie und ließ die Blicke der drei Anwesenden zu einer Ecke wandern. Leana schluckte schwer, als sie erkannte, wer dort stand. „Nanashi...“ Es war die große Gestalt des Shinjuu, dessen leblose Augen nichts von dem verrieten, was sie bis vor kurzem noch gewesen war: Eine Angestellte in einer kleinen Ramen-Bude, die sogar Spaß an ihrer Arbeit zu haben schien. Nun aber stand sie da, die Augen leer, das Gesicht neutral und in der Hand ein Schwert haltend. „Nanashi“, sagte Leana noch einmal. „Erkennst du mich nicht?“ Die Angesprochene rührte sich nicht, reagierte nicht einmal mit den Augen, so als ob sie nichts von ihrer Umgebung auch nur im Mindesten wahrnehmen würde. „Ich glaube nicht, dass das etwas bringt“, bemerkte Ayumu. „Denke ich auch“, bestätigte Tokimi. „Ihr Bewusstsein scheint bereits nicht mehr vorhanden zu sein. Egal wie lange du versuchst, auf sie einzureden, es würde nichts bringen.“ So ganz damit abfinden konnte sie sich nicht, immerhin war es Nanashi, um die es hier ging und auch, wenn sie ihre Probleme mit dem Shinjuu gehabt hatte, so war es doch ein Teil von Zetsu und dessen Shinken gewesen und das konnte sie nicht einfach vergessen oder verleugnen. „Gibt es keinen anderen Weg? Können wir ihr nicht irgendwie helfen?“ Für einen kurzen Moment schien auch Tokimi gedanklich abwesend zu sein, dann schüttelte sie jedoch den Kopf. „Ich sehe keinen. Ich denke nicht, dass es etwas gibt, das du tun kannst.“ Dieser Gedanke stach schmerzhaft in Leanas Brust, sie zog ihr Shinken nicht, auch nicht, als Nanashi ihr Schwert hob und sich in Angriffsposition stellte. Es erleichterte sie auch nicht, als Ayumu sich schützend vor sie stellte und Tokimi sich selbst an die Spitze dieser kleinen Gruppe setzte, den Fächer so weit erhoben, dass er die Hälfte ihres Gesichts verdeckte. „Uns bleibt keine Wahl“, entschied das Orakel. „Wenn wir sie nicht töten, wird sie das mit uns tun.“ „Dazu ist sie nicht in der Lage!“, widersprach Leana heftig. „Sie ist nur-“ „Das Shinjuu eines hochrangigen Eternal-Shinken“, führte Tokimi zu ende. „Auch wenn das Shinken und sie selbst nicht komplett sind, dürfte sie es schaffen, sofern wir nichts tun.“ Unwillig schüttelte sie den Kopf und ging in die Knie. „Nein... nein...“ Eos' Worte bedeuteten, dass sie wollte, dass Leana starb. Noch dazu schickte sie Nanashi, um das zu bewerkstelligen, Hyperion hatte sie noch dazu in diesem Raum eingeschlossen und das alles unterstützte in ihr die absurde Vorstellung, dass es Zetsu selbst war, der sie tot sehen wollte – und sie konnte mit dieser Erkenntnis nicht fertigwerden, es war in diesem Moment zu viel für sie. „Ich kümmere mich darum“, sagte Tokimi. Sie ließ den Fächer verschwinden und zog dafür ein braunes, alt und stumpf aussehendes Schwert aus ihrem Ärmel – 'Tokiyomi'. Nanashi sprintete erstaunlich schnell vorwärts, um anzugreifen, doch Tokimi wich galant zur Seite aus, um den Schwerthieb ins Leere gehen zu lassen. Allerdings nutzte sie die Gelegenheit, in der ihre Angreiferin gerade schutzlos war, um einen eigenen vertikalen Streich durchzuführen. Das Shinjuu wich sofort zurück, eine Verletzung auf dem Bauch davontragend, aus der violettes Mana strömte. Doch selbst darauf reagierte sie nicht, sie sagte nichts, verzog nicht das Gesicht, es war als wäre ihre Seele schon längst aus dem Körper verschwunden. Tokimi setzte ihr nach, das Schwert immer noch erhoben, um anzugreifen – und da der Raum nicht sonderlich groß war, ging Nanashi alsbald der Platz aus, um auszuweichen, so dass sie noch einmal getroffen wurde. Doch selbst als Tokimis Klinge ihren Unterleib durchbohrte, störte sich Nanashi nicht daran, stattdessen nutzte sie selbst die Gelegenheit, um selbst den Versuch zu starten, ihre Gegnerin mit dem Schwert anzugreifen. Aber Tokimi reagierte sofort, indem sie in einer fließenden Bewegung herumwirbelte und dabei ihr Schwert mit sich riss und dabei die Verletzung in Nanashis Unterleib noch einmal vergrößerte. Inzwischen wurde fast der gesamte Raum von violetten Manafunken erfüllt, doch an Nanashis Bewegungen änderte sich nichts. Ayumu musste die Augen zusammenkneifen, um sie weiterhin beobachten zu können, die Manafunken erschwerten ihm zusätzlich noch die Atmung, weswegen sie allesamt froh sein konnten, dass es Tokimi war, die den eigentlichen Kampf ausfocht und die sich daran nicht im Mindesten störte. Durch den bisherigen Kampf an Erfahrung gewonnen, versuchte Nanashi nicht mehr zwingend, auszuweichen, stattdessen wehrte sie Tokimis Angriffe ab. Ein lautes Geräusch erklang jedesmal, wenn ihre Schwerter aufeinandertrafen. „Wundert mich ja, dass Tokimi nicht einfach voraussehen kann, wann sie angreifen soll.“ Doch Leana hatte das Gefühl, dass es nicht ganz so einfach war. Sie hielt es sogar für möglich, dass Nanashi, ausgehend von Zetsus Fähigkeiten, zu schnell war und somit Tokimis Visionen einfach überlistete. Allerdings schwieg sie, statt darauf hinzuweisen. Das Orakel benötigte diesen Hinweis aber offenbar auch nicht, denn plötzlich erschien ein blau leuchtendes Schwert in ihrer freien Hand, so dass sie zwei Waffen zur Verfügung hatte, während Nanashi nach wie vor nur eine zur Verteidigung besaß. Das wurde dem Shinjuu auch bald zum Verhängnis, als es nur wenige Augenblicke später 'Tokiyomi' direkt in der Brust hatte. Diesmal gab sie tatsächlich einen klagenden Laut von sich, ehe sie zurückwich, so dass die Klinge wieder aus ihrem Körper glitt und Nanashi dann zu Boden stürzte. Ihr Schwert löste sich augenblicklich in Funken auf, so dass Leana es für sicher befand, zu ihr hinüberzugehen, um sich neben sie zu knien. „Nanashi...“ Die Augen des Shinjuu blickten ohne jede Fixierung an die Decke, während die von Leana sich mit Tränen gefüllt hätten, wenn noch welche übrig gewesen wären. Sie griff nach Nanashis Hand und stellte verblüfft fest, dass diese den Druck erwiderte. Dabei fiel ihr auf, dass sich die Lippen des Shinjuu unaufhörlich bewegten, weswegen sie sich vorbeugte, um sie besser verstehen zu können. „Ich will nicht... sterben...“, murmelte sie undeutlich. „Ich will nicht...“ „Es ist bald vorbei“, erwiderte Leana leise, mit einem unangenehmen Kratzen im Hals. „Mach einfach die Augen zu und wehr dich nicht mehr, dann tut es auch nicht weh.“ Das Stechen in ihrer Brust nahm zu, als Nanashi noch einmal ihre Hand drückte, während sie die Augen schloss und sich kurz darauf komplett in Manafunken auflöste. Als sie den Blick hob, stellte sie fest, dass genau dasselbe auch mit der kleinen Nanashi geschah, die an der Wand angebracht war. Es war in diesem Moment, als würde eines der letzten Überbleibsel von Zetsu verschwinden und sie könnte nichts tun, um das zu verhindern, aber es schmerzte auch nicht genug, als dass ein Mana-Outbreak eintreten würde – denn, auch wenn sie es nicht gern zugab, war es gleichzeitig eine Erleichterung, dieses kleine Shinjuu, das sogar versucht hatte, sie umzubringen, verschwinden zu sehen und das für immer, wie ihr Gefühl ihr sagte. Diese derart widersprüchlichen Emotionen versuchten die Oberhand über ihren Körper zu gewinnen, aber keine von beiden schaffte es, ließen sie dafür aber fast schon gelähmt zurück, unfähig, sich auch nur im Mindesten zu rühren oder überhaupt an etwas anderes zu denken. Wie durch Watte drang die Stimme von Ayumu an ihr Ohr und auch, wenn sie die genauen Worte nicht verstehen konnte, so wusste sie, dass er sie aufforderte, mit ihm zu kommen, damit sie diese Burg endlich verlassen könnten, vermutlich durch die versteckte Tür, die Nanashi zum Eintreten genutzt hatte. Da sie nicht darauf reagierte, griff er grob nach ihrem Handgelenk und zog sie mit sich. Sie wehrte sich nicht, sondern ließ sich einfach mitziehen, fort aus dem mit Manafunken gefüllten Raum, in dem ein weiterer Teil von Zetsu und ihrer Vergangenheit gestorben war. Fort von den finsteren Erinnerungen, die sie mit diesem Shinjuu verband. Ohne darauf zu achten, dass ihre Gedanken weiter in diesem Raum verweilten, als würden sie sich selbst von diesem Schmerz nicht trennen wollen. Schon bald schwand das Licht des Raumes und ließ die kleine Gruppe in der vollkommenen Dunkelheit ihres Fluchttunnels zurück, der so finster wie Leanas Herz in diesem Moment war. Eos bemerkte sofort, dass die Manaquellen zerstört worden waren. Nicht nur, dass es in ihrem Büro dunkel wurde, auch die ihr noch letzten verbliebenen Lakaien verschwanden, als wären sie niemals hier gewesen. Aber das störte sie nicht weiter. Was sie vielmehr ärgerte war die Tatsache, dass Leana sich ihr nicht nur derart widersetzt hatte, sie war nun mit Sicherheit auch auf der Flucht. All ihre Erfolge waren damit null und nichtig geworden und sie befand sich, zu ihrem Leidwesen, wieder am Anfang. Wo sollte sie nur eine neue Manaquelle hernehmen? Wie sollte sie Leana wieder in ihren Besitz zurückholen? Sie schnaubte leise, so beruhigte sie sich wieder ein wenig. „Dieses Mädchen hieß Nanashi, nicht wahr, Hyperion?“ Es folgte keine Antwort, aber sie erwartete auch keine, weswegen sie fortfuhr: „Wusstest du, dass das Namenlos bedeutet? Hmpf! Wer immer für ihren Namen verantwortlich war, hatte nicht einmal genug Gefühle für sie, um ihr einen anständigen zu geben. Niemand wird sie vermissen, meinst du nicht auch, Hyperion?“ Dieses Mal erwartete sie wirklich eine Antwort, weswegen sie erstaunt war, dass absolut keine Reaktion erfolgte. Erst in diesem Moment konzentrierte sie sich auf ihre Umgebung und stellte fest, dass Hyperion sich nicht im Büro befand, auch nicht zwischen den Dachbalken, wo er sich sonst so gerne versteckte. Sie war nicht irritiert und auch nicht verwirrt, stattdessen fachte es ihren Wut und ihren Zorn sofort wieder an. Ihre Quelle war tot, Leana fort – und nun war auch Hyperion verschwunden und sie zweifelte nicht im Mindesten daran, dass er der Ewigen Rose gefolgt war. Diesen Impuls konnte sie zwar gut verstehen, aber dennoch tröstete es sie nicht darüber hinweg, dass er sie im Stich gelassen hatte. Sie legte die Hände auf ihre Ohren und stieß einen lauten, markerschütternden Schrei aus, in dem ihre gesamte Frustration steckte. Ein Schrei, der durch die gesamte Burg hallte und sämtliche ihrer Bewohner aus dem Schlaf riss und auf die veränderte Situation aufmerksam machte. Ein Schrei, den Leana nicht mehr hören konnte, da sie, gemeinsam mit Ayumu und Tokimi im selben Moment weit entfernt von der Burg aus dem Geheimgang trat. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)