Unsterblich von Flordelis (My Immortal ~ Eternal Chronicles) ================================================================================ Kapitel 29: Infiltration ------------------------ Eine überraschend laute Explosion riss Burg Nakahara schlagartig aus dem friedlichen Halbschlaf. Der Knall begleitete ein farbenfrohes Lichterspiel, das den Himmel erhellte und jeden im Innenhof befindlichen Soldaten trotz des neuen Wachsamkeitsstatus den Kopf in den Nacken legen ließ. „Warum wird ein Feuerwerk gezündet?“, fragte einer der Wächter. „Wir haben doch gar keinen Festtag.“ Doch keinem der anderen blieb Zeit, etwas zu erwidern, da genau in diesem Moment ein weiterer Knall alle anderen Geräusche übertönte. Aber statt eines neuen Lichtermeers tat sich eine Rauchwolke vor ihnen auf, die sich nur langsam wieder verzog – und dann Fuu enthüllte, der mit ausgebreiteten Armen vor ihnen stand, um sein Publikum zu begrüßen. Dieses starrte ihn ungläubig an, leises Murmeln erhob sich, während er von allen Anwesenden gemustert wurde. Fuu lächelte sanft, die allseits bekannte Mimik für seine Bühnenauftritte, kein wirkliches Lächeln, aber eines, das dem doch sehr nahe kam, denn wirklich glücklich war er nur vor seinem Publikum. Alle Wachmänner ließen sich von diesem Auftritt mitreißen, vergaßen in diesem Moment ihre Arbeit und applaudierten begeistert, was er sich gefallen ließ, sein Lächeln wurde sogar noch ein wenig fröhlicher, so schien es. Ohne etwas zu sagen, schüttelte er Spielkarten aus einem Ärmel, die er dann vor den Augen der Versammelten in einem sich langsam drehenden Kreis schweben ließ. Auf seine Handbewegungen hin schossen drei der Karten aus dem Kreis und flogen in die verschiedensten Richtungen davon. Sie verschwanden kurzzeitig aus dem Sichtfeld aller Anwesenden und als sie wieder zurückkehrten, waren sie auf ein Vielfaches ihrer Größe angewachsen. Sie bauten sich vor Fuu auf, mit dem Rücken zum Publikum, das immer noch wie gebannt auf ihn starrte. Weitere Handbewegungen ließ eine der Karten, deren Motiv aus zahlreichen Seifenblasen bestand, herumwirbeln und noch bevor jemand von ihnen wusste, was gerade geschehen war, lagen sie bereits alle auf dem Boden und befanden sich in einem tiefen, künstlichen Schlaf, der sie für mehrere Stunden in einem schönen Traum gefangenhalten würde. Aber sicherheitshalber drehte Fuu auch die zweite Karte um, deren Bänder-Motiv zahlreiche solcher beschwor, um alle Schlafenden zu fesseln, nur für den Fall, dass einer oder mehrere doch frühzeitig erwachen würden. Zufrieden mit seinem Werk, ließ er schließlich auch die letzte Karte umdrehen. Die unzähligen Feuerblumen darauf wurden sofort in die Realität umgesetzt und flogen in den Himmel hinauf, wo ein erneutes Feuerwerk erblühte. Direkt im Anschluss schrumpften die Karten wieder auf ihre normale Größe, so dass er sie gemeinsam mit den anderen wieder in seinen Ärmel gleiten lassen konnte. Ein wenig vermisste er den normalerweise anschließenden Applaus, aber mit so etwas war eben zu rechnen, wenn man das Publikum einschläferte. „Meine Arbeit ist damit vorerst getan“, stellte er zufrieden fest. „Der Rest liegt dann wohl an euch anderen.“ Ylva war ebenfalls fleißig an der Arbeit. Im Gegensatz zu Fuu, der den Großteil der Wächter ausschalten musste, war die Inugami für die eher verdeckteren Posten zuständig, die ihre Position nicht wirklich verließen und höchstens Runden drehten, selbst wenn die anderen Wachen allesamt dem Feuerwerk folgten. Zu diesem Zweck fand sie nicht nur heraus, welche Bahn die Wachen verfolgten, sondern baute ihnen auch geschickte Stolperfallen, die ihr sicherlich niemand auf den ersten Blick zugetraut hätte. Es waren nicht viele Wachen, die auf den Gängen patrouillierten, offenbar verließ sich diese Eos lieber auf das, was Tokimi als Lakaien bezeichnet hatte und jenen wollte Ylva lieber nicht begegnen. Ihr sechster Sinn, den jeder Inugami innehatte, verriet ihr, dass die Gefahr, die von diesen Wesen ausging viel zu groß für sie war – viel mehr spürte sie nicht, es war nur eine Ahnung, die ihr die Haare zu Berge stehen ließ, aber es genügte ihr, um zu wissen, dass sie nicht darauf treffen wollte. Also beschäftigte sie sich lieber mit den menschlichen Feinden, denn Menschen kannte sie, diese konnte sie einschätzen und sie bildeten nur selten eine wirkliche Gefahr. Nachdem sie alle Stolperfallen verteilt hatte, ging es darum, jeden einzelnen in diese zu locken – und zwar rennend, ansonsten könnten sie die Fallen vorher erkennen oder nicht schlimm genug stürzen, um so lange liegenzubleiben, bis Ylva sie gefesselt hatte. Sie wollte ja keinen dieser Menschen töten, sie sollten nur eine Weile außer Gefecht bleiben, damit Ayumu sich hineinschleichen, Leana retten und dann diesen Weg wieder nach draußen nehmen könnte. Schließlich beschloss Ylva, es auf die einfachste Art zu tun, die ihr einfiel. Sie stellte sich direkt auf die Route, die der erste Wachmann gehen würde und kaum trat er in ihr Blickfeld streckte sie ihm wie das kleine Kind, das sie war, die Zunge raus, um ihm zu zeigen, dass er erst gar nicht versuchen müsste, logisch mit ihr zu reden. „Na warte, du!“, schrie er wütend aus und folgte ihr sofort, als sie wegzurennen begann. Wie sie erwartet hatte, war sie um einiges schneller als er und schaffte es somit, ihn bei der für ihn vorgesehenen Falle zum Stolpern zu bringen. Er stieß einen lauten Fluch aus, als er stürzte und sich dabei vermutlich das Knie aufschlug, aber sie kümmerte sich nicht weiter darum, sondern fesselte ihn rasch, denn sein Rufen hatte einen weiteren Wachmann alarmiert, der, wie sie mit ihren empfindlichen Ohren hören konnte, ebenfalls auf dem Weg war. Kaum hatte sie den ersten mit einem Seil zusammengeschnürt – glücklicherweise war sie in ihrer Heimat oft damit beschäftigt gewesen, Seile zu knoten – stürzte bereits der zweite, zu dem sie sofort eilte, um ihn ebenfalls fesseln zu können. „Was soll denn das?“, brummte dieser wütend, der Geruch nach Alkohol war deutlich in seinem Atem festzustellen. „Ein kleines Mädchen?!“ Es überraschte sie nicht, dass keiner der Wachleute sich schnell wieder aufrichten konnte, ehe sie diese erreicht hatte, um sie zu fesseln. „Keine Sorge, mein Herr“, erwiderte sie höflich. „Sobald wir fertig sind, werden wir Sie wieder freilassen.“ Nun gut, sie selber würden das nicht tun, aber seine Kollegen würden spätestens schon dafür sorgen, davon war sie überzeugt. Seine folgenden Flüche ignorierend, rannte sie eilig weiter, um auch den nächsten gefallenen Wachmann zu fesseln. Dieser leistete nicht einmal mehr wirklich Widerstand, er schien sogar schon fast eingeschlafen zu sein, als sie ihn erreicht hatte und säuselte auch nur noch. Sie verstand zwar nicht, warum er unbedingt wollte, dass sie sich zu ihm legte und ein bisschen lieb zu ihm sein sollte, achtete dafür aber darauf, dass er ganz besonders behutsam gefesselt war. Der vierte und letzte Wachmann wiederum, den sie in diesem unterirdischen Gang, der einen Ausgang der Burg darstellte, fand, war gar nicht erst Opfer ihrer Fallen geworden, denn er schlief tief und fest. Die Sakeflasche neben ihm war sogar noch halbvoll. Ylva rümpfte die Nase, als ihr der enorm starke Alkoholgeruch in eben diese stieg. „Wie kann man so etwas nur trinken? Widerlich...“ Nachdem sie sichergestellt hatte, dass sie den Gang gesäubert und auch die Stolperfallen wieder abmontiert hatte, nickte sie zufrieden mit sich selbst. „Jetzt steht Leanas Rettung nichts mehr im Weg.“ Mit diesem festen Glauben begab sie sich selbst wieder zum Ausgang, nur um sicherzugehen, dass von dort keine anderen Wächter mehr kommen würden. Tokimi hatte im Vergleich zu den anderen beiden einen etwas schwierigeren Auftrag. Da sie die einzige war, die Lakaien bekämpfen konnte, war es ihre Aufgabe, diese hervorzulocken. Unter normalen Umständen wäre das für sie keinerlei Problem gewesen, aber der Überfluss an Mana, der von der ihr unbekannten Machtquelle verursacht wurde und daher von ihr nicht eingeschätzt werden konnte, machte ihr das nicht gerade einfach. Erstens sorgte dies dafür, dass immer neue Lakaien nachrückten, egal wie viele sie mit einem Hieb ihres Shinken besiegte und eine einzige unbedachte Bewegung hätte dafür sorgen können, dass sie das ganze Gebäude zerstörte, weil zu viel Mana vorhanden war. Während sie Welle an Welle von Lakaien bekämpfte, die sich allesamt kichernd in glitzernde Funken auflösten, versuchte sie zu ergründen, worum es sich bei dieser anderen Machtquelle handelte. Aber sie fand keinerlei vernünftige Erklärung und auch ihr Shinken 'Tokiyomi' schien absolut ratlos zu sein – oder es übte sich ausnahmsweise einfach nur in Schweigen und Zurückhaltung, beides Dinge, die sie von ihm nicht gewohnt war. Schließlich entschied sie sich, nicht länger nur im Dunkeln zu stochern. Solange sie sich immerhin von dem Bereich fernhielt, in dem sich Leana aufhielt, dürften die Lakaien ihr folgen und Ayumu in Ruhe lassen – und dieser Ahnung folgte sie. Vor ihrem inneren Auge sah sie, wie die Lakaien sich bewegen würde, wo eine Lücke entstehen könnte, wenn sie diese angriff und wie sie diese dann ausnutzen könnte, um ins Innere der Burg einzudringen und dort den Kern der Machtquelle zu suchen. Ohne noch länger zu zögern, riss sie einen Pfad in die angreifenden Lakaien und rannte durch die Lücke hindurch. Wie sie erwartet hatte, wandten sich die Wesen ihr zu und verfolgten sie kichernd, waren dabei aber wesentlich langsamer als sie. Manchmal schafften sie es, den Saum ihrer Kleidung zu berühren, aber es genügte immer nur ein einziger Schwertstreich, um sie wieder auf Abstand zu halten. Zielsicher fand Tokimi ihren Weg ins Innere der Burg, ohne dabei auf größere Probleme zu treffen. Sie wusste nicht, woran es lag, ob nun an den gelungenen Ablenkungsmanövern oder daran, dass sie alle etwas übersehen hatten – oder weil sich sonst niemand um ihre Anwesenheit scherte, aber im Moment kümmerte sie das auch nicht weiter, denn ihre Visionen gaben ihr keinerlei Warnhinweise. Vor der doppelflügigen Tür ließen die Angriffe der Lakaien endlich nach, so dass sie einen Moment Atem schöpfen konnte. Jenseits dieser Tür spürte sie, wie etwas pulsierte, etwas Lebendiges, Verzweifeltes und sie erinnerte sich undeutlich daran, dass die Mana-Reaktoren in Phantasmagoria eine ähnliche Energie verströmt hatten. Was immer sich hinter dieser Tür befand, musst einen ähnlichen Anblick bieten. Mit diesem Wissen in Vorbereitung atmete sie noch einmal tief durch, ehe sie den Raum dahinter betrat – und erschrocken wieder innehielt. Während des Ablenkungsmanövers seiner drei Gefährten, hastete Ayumu über die Dächer der Burg. Wie erhofft begegnete er keinerlei Wachen, da diese allesamt tief schliefen und fest verschnürt waren und auch die Lakaien folgten eher Tokimi als ihm. Nur manche von ihnen verirrte sich oder verlor das Interesse an der Eternal, sobald sie ihn in ihrer Nähe bemerkte. Aber auch ohne ominöses Shinken oder auch nur das Ziehen seines Schwertes, schaffte er es, diese abzuwehren. Als wieder einmal von ihnen kichernd vor ihm auftauchte, griff er in seine Tasche und zog eine Bannkarte hervor, die er zwischen Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand hielt. Er hielt sich die Karte an die Stirn, zählte in Gedanken bis zehn – und spürte dann, wie seine Konzentration das Papier in Brand setzte, genau wie er es gelernt hatte. Er spürte Stolz in seinem Inneren, dass er selbst nach dieser langen Pause noch immer dazu in der Lage war, doch ehe er sich in diesem Übermut verlor, schleuderte er die Karte dem Lakai entgegen. Das Papier blieb an der Stirn des Wesens haften und ließ es in einem blauen Feuer vergehen, während es weiterhin wie eine Verrückte kicherte. Ihm lief ein Schauer über den Rücken und er setzte den Weg fort, ohne weiteren Lakaien zu begegnen, da diese sich offenbar aus ihm unerfindlichen Gründen ins Innere der Burg zurückzogen. Tokimi hatte ihm kurz bevor sie sich getrennt hatten, gesagt, wo ungefähr sich Leana befand, deswegen suchte er nun nach den entsprechenden Fenstern, fand hinter den meisten aber nur leere Räume vor. Erst beim vierten Fenster war er schließlich erfolgreich. Leana saß, in einen blauen Kimono gehüllt, der sie noch schöner machte als sie ohnehin war, in diesem Raum und blickte sich immer wieder verunsichert um, als würde sie nicht verstehen, was gerade vor sich ging, etwas, das er gut nachvollziehen konnte. Seine Gedanken drehten sich bereits darum, wie Leana sich wohl bei ihm für seine Hilfe bedanken würde. Jede einzelne Variante gefiel ihm äußerst gut, besonders jene, in der sie ihm um den Hals fiel und ihn leidenschaftlich küsste... Er kicherte fast allein bei der Vorstellung daran, rief sich dann aber wieder ins Gedächtnis, dass er hier noch gar nicht fertig war und er nur wenige Meter davon entfernt war, ihre wirkliche Dankbarkeit zu spüren zu bekommen. Mit derartigen Gedanken beseelt, dachte er auch gar nicht daran, dass möglicherweise eine Falle oder ein Leibwächter auf ihn warten könnte, den er zu überwinden hätte. Dementsprechend öffnete er die Fensterflügel und sprang in den Raum hinein. „Leana! Ich bin da, mach dir keine Sorgen mehr.“ Sie wandte ihm den Kopf zu, aber statt Freude oder Erleichterung, sah er nur Panik in ihrem Gesicht, die er sich nicht erklären konnte. „Ayumu, nein...!“ Er wollte auf sie zulaufen und sie selbst in den Arm nehmen, um sie zu beruhigen – aber genau in diesem Moment spürte er eine Klinge an seinem Hals und hielt inne, ehe sie ihn verletzen konnte. Ayumu musste nicht erst lange nachdenken, um zu wissen, um wen es sich dabei handelte, schon allein weil er wieder Leanas Stimme hören konnte, die es ihm verriet: „Hyperion, nein, tu das nicht!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)