Unsterblich von Flordelis (My Immortal ~ Eternal Chronicles) ================================================================================ Kapitel 27: Teestunde mit Eos ----------------------------- Auch wenn eine Gefangenschaft etwas Schlimmes war, so fühlte Leana sich im Großen und Ganzen recht... wohl. Der Raum, in dem sie sich befand, war keine Zelle im Kerker, ohne jede Lichtquelle und höchstens dem verzweifelten Seufzen und Stöhnen der Mitgefangenen als Geräuschkulisse. Stattdessen befand sie sich wirklich in einem Gästezimmer der Burg, das kleiner als Eos' Arbeitszimmer, aber immer noch geräumig war. Die Tatamimatten, mit denen der Raum ausgelegt war, fühlten sich angenehm unter ihren nackten Füßen an, der Futon war erstaunlich bequem, auch wenn er so groß war, dass sie sich ohne Zetsu darin verloren fühlte. Der Schrank im Raum war mit verschiedenen Kimono gefüllt, von denen sie sich einen aussuchte – der Farbton war schlicht dunkelblau und verzichtete auf jegliche Verzierungen – und anzog, damit sie nicht immer mit dem Nachthemd herumlaufen müsste. Wenn sie aus dem Fenster blickte, konnte sie den gesamten Hof überblicken, der den ganzen Tag mit Soldaten gefüllt war, die sich lachend unterhielten. Nachts erhellten Fackeln und die Sterne die Anlage und es herrschte eine angenehme Ruhe, die lediglich von dem Flüstern der Wachen unterbrochen wurde. Was Leana allerdings nicht möglich war: Das Zimmer auf irgendeine erdenkliche Weise zu verlassen. Vor dem Fenster saßen, unsichtbar, aber wachsam, Lakaien und auf dem Gang waren sie ebenfalls. Leana konnte die Feindseligkeit spüren, obwohl sie ihren Verstand nur ein wenig für 'Shoubi' öffnete, um nicht wieder eine Dummheit zu begehen. Auch wenn es ihr nicht gefiel, ihr war bewusst, dass sie ohne aktiven Orichalcum-Namen erst einmal dazu verdammt war, die Hände in den Schoß zu legen und abzuwarten. Am ersten Tag hatte sie sich von den Strapazen der Vergiftung erholt und geschlafen; am zweiten Tag hatte sie nur aus dem Fenster gesehen, um die Soldaten zu beobachten und eine Möglichkeit zur Flucht zu finden; am dritten Tag hatte sie sich im Zimmer umgesehen und sich dann den Kimono angezogen – und nun saß sie wieder am Fenster und grübelte darüber nach, was sie tun könnte. Nur auf die anderen zu warten erschien ihr zu passiv und es passte auch einfach nicht zu ihr, sie musste sich etwas einfallen lassen. Doch ihre Überlegungen wurden schlagartig unterbrochen, als es plötzlich an der Tür klopfte. Im ersten Moment glaubte sie, es sei wieder eines der Dienstmädchen, das ihr ein Tablett mit Essen brachte, doch dann fiel ihr ein, dass es dafür noch viel zu früh sei. Unwillkürlich drückte sie den Rücken durch, um gerade zu sitzen, ehe sie die Person hereinbat – und zu ihrem Erstaunen war es Eos selbst, die den Raum betrat. Aber ihre Überraschung schwand schnell, als sie die Präfektin im Sonnenlicht betrachtete. Sie sah nicht alt aus, aber erschöpft und abgekämpft, selbst das Lächeln mit dem sie Leana bedachte, wirkte müde und kein Funkeln, gleich welcher Art, leuchtete in ihren Augen. Sie war definitiv nicht gefährlich – jedenfalls nicht im Moment. Ohne eine Begrüßung setzte Eos sich gegenüber von Leana auf den Boden. „Da du dich umgezogen hast, nehme ich an, dass es dir gut geht.“ Sie überlegte, nicht zu antworten, aber da sie keinerlei Feindseligkeit oder Gier in den Worten ihres Gegenübers wahrnehmen konnte, tat sie es dennoch: „Einigermaßen, ja. Ich fühle mich noch ein wenig schwach.“ Sie wusste, dass es unklug war, so etwas vor seinem Feind zuzugeben, aber an Eos' erschöpfter Fassade änderte sich nichts. Es musste irgendwas in ihrem Arbeitszimmer geben, das sie so derartig aufdrehen und geradezu bösartig werden ließ. Allerdings war sie sich nicht sicher, ob sie das wirklich herausfinden und sich diesen Gegenstand selbst ansehen wollte. Eos schwieg und sah sie nur an, was Leana nach einiger Zeit unheimlich wurde, weswegen sie die Stille wieder brach: „Bist du nur deswegen hergekommen?“ „Nicht direkt“, antwortete die Präfektin. „Eigentlich bin ich hier, weil ich die Hoffnung hege, dass mir wieder mehr von meiner Vergangenheit einfällt, wenn ich in deiner Nähe bin.“ „Und? Funktioniert es?“ Diesmal antwortete sie nicht direkt, sondern stellte eine eigene Frage: „Wie wäre es mit einem Tee? In meiner Präfektur gibt es den besten Tee, den du je gekostet hast.“ Dabei lächelte sie Leana an und für einen kurzen Moment glaubte diese, Zetsu wieder vor sich zu haben. Das charmante Lächeln war auf jeden Fall genau dasselbe und es trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie nickte wortlos und nutzte die Gelegenheit, als Eos sich abwandte, um sich mit dem Arm über die Augen zu fahren und die Tränen wegzuwischen. Auf Eos' Geheiß kam eine Dienerin herein, die ein Tablett mit zwei Schalen, zwei Kannen, einem Beutel mit grünem Pulver, einem breitem Pinsel und einem Bambuslöffel trug. Sie stellte das Tablett ab, verbeugte sich und ging dann eilig wieder davon. Leana neigte den Kopf, während sie die Zutaten betrachtete und sich fragte, wie das einen Tee ergeben sollte. Sie war eine Zubereitung mit Blättern gewohnt, teilweise sogar mit Teebeuteln, aber so etwas war gänzlich neu für sie. Zu ihrem Glück musste sie das aber nicht zugeben, denn Eos begann bereits damit, mit dem Bambuslöffel Pulver in eine der Schalen zu geben. Dann nahm sie die kleinere der beiden Kannen und gab etwas Wasser hinzu, ehe sie entschieden den Pinsel an sich nahm und die Mischung damit zu schlagen begann. Erst als die Masse zu einer cremigen – und nicht sonderlich appetitanregenden Paste – geworden war, nahm Eos die andere Kanne und füllte die Schale mit offensichtlich heißem Wasser und dann fuhr sie mit dem Schlagen fort als würde sie das täglich tun. Leana warf einen Blick auf Eos' gelöstes und friedliches Gesicht, das mit seinem leichten Lächeln im Moment noch mehr an Zetsu erinnerte als sonst, sogar noch viel mehr als der charmante Ausdruck von zuvor. Es war unter anderem diese Seite an ihm, die sie so geliebt hatte, diese Gelassenheit, das sich-auf-eine-Aufgabe-konzentrieren-und-daran-auch-noch-Vergnügen-finden, das er auf seine absolut unnachahmliche Weise beherrscht und das ihr stets Ruhe vermittelt und es ihr ermöglicht hatte, einfach zu entspannen und sich nicht zu sehr in etwas zu verbeißen. In diesem Moment war das alles in Eos und vertrieb jeglichen Argwohn oder Furcht in Leana. Die Präfektin stellte die Schale schließlich wieder auf das Tablett und widmete sich der zweiten Schale, bei der sie diese Prozedur wiederholte. Leana wandte den Blick von ihr ab und sah auf den fertigen Tee hinunter. Er war selbstverständlich immer noch grün, sah aber nun durch den cremigen Schaum auf der Oberfläche nicht mehr abstoßend, sondern sogar recht interessant aus, wie sie fand. Das kräftige Aroma lockte sie noch dazu mit einem köstlichen Geschmack. Dennoch wartete sie geduldig, bis Eos auch mit der zweiten Schale fertig war, die sie direkt im Anschluss von der Präfektin gereicht bekam. Sie wartete noch den kurzen Moment, bis Eos ihre eigene Schale nahm, dann neigten sie beide den Oberkörper voreinander – und tranken. Schon nach dem ersten Schluck hielt Leana erstaunt wieder inne. Es schmeckte tatsächlich überaus köstlich, nicht zu herb, nicht zu süß, nicht zu wässrig, dafür kraftvoll und... sie fand keinerlei Entsprechung dieses Geschmacks, aber sie bedauerte, es nicht früher probiert zu haben. Eos bemerkte offenbar, dass es ihr schmeckte und lächelte. „Ich sagte doch, dass er köstlich ist~. Da habe ich wohl nicht zu viel versprochen.“ „Ganz und gar nicht.“ Dann verfielen sie wieder in Schweigen und tranken den Tee. Dieser Moment voller Frieden gefiel Leana außerordentlich gut und rief ihr wieder ins Gedächtnis, wie sie oft gemeinsam mit Zetsu zusammengesessen und einfach seine Anwesenheit genossen hatte. Ob es ihm ebenfalls so ergangen war? Sie musste ihn unbedingt fragen, wenn sie ihm wieder gegenüberstehen würde. Doch während sie diesen Moment genoss und dabei immer gelassener wurde, änderte sich etwas an Eos' Gesichtsausdruck – doch das fiel ihr erst auf, als die Präfektin plötzlich wutentbrannt ihre Schale gegen die Wand warf. Leana zuckte zusammen und blickte an die Mauer, wo sich ein Fleck gebildet hatte. Im nächsten Moment hörte sie bereits, wie das Tablett mit all dem Geschirr darauf zur Seite geworfen wurde, sie ließ ihre eigene Schale fallen, als etwas sie zu Boden warf und kam schmerzhaft auf dem Rücken auf. Sie blickte über sich und sah direkt in Eos' wutverzerrtes Gesicht, allerdings konnte sie sich diesen plötzlichen Stimmungswandel nicht erklären. „Warum!?“, heulte sie verzweifelt, in einem Ton, der Leanas Herz ansprach. „Warum erinnere ich mich nicht!? Du löst all diese verschiedenen Gefühle in mir aus, aber keine Erinnerung!“ Neben der Furcht, verspürte Leana Mitleid. Alles, was diese Frau wollte war, ihre Erinnerungen sinnvoll zu einem Bild zusammenzusetzen und ihre Verzweiflung darüber, dass dies nicht möglich war, entlud sich in zornigen Anfällen und das war – wie sie durch Erzählungen, aber nicht eigene Erfahrungen wusste – ebenfalls eine Seite von Zetsu. „Es tut mir so Leid“, murmelte Leana. Es war nicht ihre Schuld, dass sie Eos keine Erinnerung wiederbringen konnte und es war auch nicht in ihrer Verantwortung, dass Zetsu überhaupt erst gestorben und dann gespalten worden war. Aber dennoch schmerzte es sie, diesen Moment der Verzweiflung und Hilflosigkeit miterleben zu müssen und dabei selbst nichts tun zu können. Es schmerzte sie derart, dass es ihr wirklich Leid tat, damals nicht rechtzeitig eingegriffen und sein Leben gerettet zu haben. Nichts von diesem Schmerz wäre vorhanden, wenn sie nur etwas getan hätte. Aber vor allem wäre Zetsu dann immer noch bei ihr. Als Tränen in ihre Augen traten, ließ Eos sie urplötzlich los und entfernte sich rasch von ihr, damit Leana sich aufrichten bis zur Wand zurückweichen konnte. Erst als sie diese hinter sich spürte, fühlte sie sich wieder einigermaßen sicher genug mit Eos im Raum. Ein deutlich spürbarer Hauch von Reue umgab diese und Leana empfand sogar ein wenig Mitleid mit ihr. Sie wollte aufstehen und die Präfektin in die Arme nehmen, um sie zu trösten, aber sie hielt sich selbst davon ab. Das vor ihr war nicht Zetsu, es war eine andere Person und Leana hatte keinerlei Verpflichtung ihr gegenüber. Eos richtete ihr Haar mit bemüht beherrschten Bewegungen, dann deutete sie eine Verbeugung an. „Bitte, vergib mir meinen Ausbruch. Ich wollte dir keine Furcht einjagen.“ Leana deutete ein Kopfschütteln an, brachte es aber nicht über sich, es zu vollenden. Sie konnte die Entschuldigung nicht ablehnen, sie aber auch unmöglich annehmen – aber genau genommen wusste sie im Moment auch nicht wirklich, was sie darüber denken sollte. Die Sehnsucht nach Zetsu dominierte weiter ihre Gedanken, lediglich begleitet von den Überlegungen einer Flucht und beides machte es ihr unmöglich, an etwas anderes zu denken. „Ich werde dich nun allein lassen“, sagte Eos schließlich mit ruhiger Stimme. „Aber ich werde dich wieder besuchen kommen, habe eine gute Nacht.“ Damit fuhr sie herum und verließ eilig das Zimmer. Kaum war ihre Aura verschwunden, richtete Leana den Kimono, der ihr durch den Angriff verrutscht war. Sie seufzte lautlos und zog die Beine an ihren Körper, um ihr Gesicht an ihren Knien zu verbergen. „Zetsu... Ayumu... irgendwer... Holt mich hier raus, bitte.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)