Unsterblich von Flordelis (My Immortal ~ Eternal Chronicles) ================================================================================ Kapitel 11: Im Heiligtum ------------------------ Ein ersticktes Gurgeln war das Letzte, was der Räuber von sich gab, ehe er zu Boden stürzte. Er zuckte noch einen kurzen Moment, während sich das Blut unter ihm ausbreitete, dann lag er still da. Blieben nur noch der Ninja und der Räuberhauptmann, der sich bereits gegen die Wand presste. Die ängstlich geweiteten Augen musterten den Shinobi, der mit langsamen Schritten auf ihn zuging und dabei das Kurzschwert wieder einsteckte, das er parallel zu seinem Katana trug. Das Schweigen des Ninja machten diesen noch unheimlicher, was den Hauptmann versuchen ließ, zur Seite hin auszuweichen, den Rücken stets an die Wand gedrückt. Die im Raum verstreuten Waffen und die leblosen Körper verrieten, dass es sinnlos war, gegen diesen übermenschlichen Gegner zu kämpfen. Ein Blick in seine kalten, blauen Augen unterstrich diesen Eindruck. Keinerlei Mitgefühl, kein Zögern oder gar Reue war darin zu erkennen. „K-komm schon, Kumpel“, bat der Hauptmann. „Du arbeitest doch für Eos, oder? Wir haben ihr doch nie was getan. Ich hab sogar immer meine Steuern gezahlt!“ Ungeachtet dieser Worte blieb der Ninja schließlich vor ihm stehen und packte ihn am Hals, um ihn einige Meter über den Boden zu heben. Der Hauptmann keuchte und versuchte, sich zu befreien, doch Hyperions Griff verstärkte sich daraufhin nur noch einmal, bis die Gegenwehr des Mannes erstarb. Noch immer sagte der Ninja kein Wort, dafür blickte er den Räuber eindringlich ein als würde er versuchen, durch dessen Augen direkt in sein Gehirn zu blicken, um dort die Antwort zu finden, die er suchte – und offenbar tat er es auch, denn im nächsten Moment ließ er den Räuber wieder zu Boden fallen. Keuchend blieb der Hauptmann dort liegen, griff sich selbst an den schmerzenden Hals und versuchte wieder zu Atem zu kommen. Hyperion dagegen wandte sich um. Mit großen Schritten setzte er über die auf dem Boden verteilten Leichen hinweg, um zum Ausgang zu kommen. Doch direkt an der Tür richtete der Räuberhauptmann sich noch einmal auf, bis er endlich wieder aufrecht kniete. „Moment mal...“ Tatsächlich blieb Hyperion noch einmal stehen, wandte sich ihm aber nicht zu. „D-du arbeitest für Eos... hat sie dir das hier aufgetragen?“ Es erfolgte keine Antwort, weswegen der Fragende sich selbst eine gab und weiterfragte. „Aber warum? Wir haben immer darauf geachtet, dass wir nicht Eos' Bürger angreifen, wir haben Steuern gezahlt und Reis gespendet... warum...?“ Nur langsam wandte Hyperion sich zu dem Mann um, dabei zog er ein Kunai hervor. Doch der Räuber achtete nicht auf die gezogene Waffe, sondern nur auf die Augen des Ninja, die sich plötzlich kaum merklich veränderten, für einen Sekundenbruchteil erschienen tatsächlich Emotionen und Leben darin. „... Shoubi...“ Der Räuber wusste nicht, in welch seltenen Genuss er damit kam, Hyperions Stimme zu hören – allerdings war es auch das Letzte, was er mitbekam. Das Kunai des Ninja traf den Mann direkt in der Brust und ließ ihn wieder vornüberfallen. Wieder verschwanden sämtliche Gefühle aus seinen Augen, er wandte sich wieder der Tür zu und verließ die Hütte. Abgesehen von den Leichen und den Kunai keinerlei Spuren hinterlassend, die auf ihn hindeuteten. Auch wenn natürlich niemanden der Tod dieser Männer kümmern würde – und ihm ging es ohnehin nur noch darum, auf dem schnellsten Weg zu Leana zu kommen. Leana war noch nie von Höhlen begeistert gewesen. Sie waren dunkel und feucht und von irgendwo erklangen immer seltsame Geräusche, die sie sich nicht erklären konnte. Ayumu allerdings schien sich nicht darum zu kümmern, stattdessen lief er summend neben ihr her, was Ylva sehr zu freuen schien. Egal wie Leana ihn betrachtete, er wirkte einfach ganz und gar nicht wie ein Ninja, zumindest nicht wie ein konventioneller. Dafür war er viel zu gut gelaunt, zu kommunikativ, zu... fröhlich. Er erinnerte sie fast schon schmerzhaft an Zetsu mit seinem gesamten Verhalten – ihm fehlte lediglich der düstere Unterton seiner Vergangenheit. „Warst du eigentlich schon oft hier?“, fragte sie, um sein Summen zu unterbrechen. Seine ständige musikalische Untermalung nagte an ihren Nerven und erweckte in ihr den Wunsch, den Lautstärkeregler nach ganz unten zu drehen – dummerweise besaß Ayumu keinen solchen. „Noch nie“, antwortete er fröhlicher als er es für Leanas Geschmack eigentlich hätte sein dürfen. Augenblicklich blieb sie stehen. „Dann kennst du den Weg gar nicht?“ Ylva und er hielten ebenfalls inne und wandten sich ihr zu. Dabei lächelte Ayumu ununterbrochen. „Aber bislang gab es ja noch keine Abzweigung, also brauchen wir uns keine Sorgen zu machen.“ Am Liebsten hätte Leana ihm irgendetwas über den Kopf gezogen, aber das einzige, was sie im Moment fand, war ein Stein und das erschien ihr dann doch zu gefährlich für ihn. Daher verzichtete sie darauf und lief schweigend weiter. Die anderen beiden folgten ihr fröhlich weiter und erweckten in ihr den Eindruck, dass außer ihr niemand etwas hiervon ernst nahm – eine Situation, die ihr nur zu gut bekannt vorkam und finstere Erinnerungen in ihr weckte. Die Worte, dass dies kein Kindergartenausflug wäre lagen ihr bereits auf der Zunge, doch sie wusste, dass es aussichtslos war, es laut zu sagen, weswegen sie weiterhin schwieg. Erst als sie tatsächlich an einer Abzweigung ankamen, brach Leana ihr Schweigen wieder: „Und, Ayumu, wie geht es jetzt weiter?“ Spöttisch wandte sie sich ihm zu und stellte mit einem äußerst befriedigten Gefühl fest, dass er unentschlossen hin und her blickte. Beide Gänge verloren sich nach wenigen Metern in Dunkelheit, es war gut möglich, dass sie in Sackgassen endeten oder in weitere Abzweigungen mündeten. Leana war sich selbst nicht sicher, in welcher Richtung sie die besseren Chancen haben würden, sie wusste ja nicht einmal, was sie eigentlich genau suchten. Das Wort Gegenmittel konnte immerhin weit gefasst werden. Ein Geräusch, ähnlich dem eines Glöckchens, erklang in einem der Gänge. Leana gab allerdings nicht viel darauf und tat es als Einbildung ab, doch Ylvas Ohren zuckten plötzlich. „Wir sind nicht die einzigen hier.“ Ayumu stemmte die Hände in die Hüften. „Was meinst du damit? Das kann gar nicht sein.“ „Und warum nicht?“, hakte Leana nach. Sie war sich sicher, dass Zetsu oder Isolde noch einen Witz dahinter gesetzt hätten, doch sie beließ es bei der bloßen Frage und stellte überrascht fest, dass Ayumus Miene plötzlich äußerst ernst wurde. „Ihr habt es nicht mitbekommen, weil ihr gemeinsam mit mir hereingekommen seid, aber normalerweise verhindert ein Bannzauber am Eingang, dass jemand anderes als ein Hi-Ninja hereinkommt.“ Leana erinnerte sich noch gut daran, dass er penibel darauf geachtet hatte, dass sie gemeinsam mit ihm hineingingen und nicht vor oder nach ihm. „Also kann sonst niemand hier sein.“ „Du vergisst aber eine Kleinigkeit“, erwiderte Leana und lenkte damit die Aufmerksamkeit ihrer beiden Begleiter auf sich. „Kann es nicht sein, dass außer dir noch einer aus deinem Dorf überlebt hat und hierhergekommen ist? Vielleicht glaubte er ja, der Angreifer würde ebenfalls herkommen?“ Ayumu runzelte seine Stirn, als er über diese Idee nachdachte und nickte schließlich. „Das ist tatsächlich möglich. Dann sollten wir uns beeilen, um ihn einzuholen – in solchen Höhlen weiß man immerhin nie, was passiert, nicht?“ Leana und Ylva nickten. Das Trio setzte sich eilig in Bewegung in die Richtung, aus der das Geräusch erklungen war. Die Shinkenträgerin überlegte derweil, ob es wirklich möglich sein könnte, dass ein Ninja außer Ayumu überlebt haben könnte und ob es irgendetwas gab, was man hier schützen müsste. Aber vielleicht wollte der vermeintlich Überlebende sich hier auch verstecken. Wenn es wirklich nur den Hi-Ninja möglich war, hier hereinzukommen, wäre das immerhin eine logische Konsequenz. Bei jeder neuen Abzweigung hielten sie inne und ließen Ylva lauschen, ehe sie weiterliefen – bis sie schließlich in einem Raum mit einem Abgrund herauskamen und dort erneut stehenblieben. Das Hundemädchen setzte sich an den Rand des Abgrunds und blickte neugierig hinunter. „Wir müssen da nach unten, da ist irgendjemand.“ „Ist es ein Mensch?“, fragte Leana. Sie erntete einen fragenden Blick von Ylva, erwiderte diesen aber nicht, sondern sah stur in den Abgrund hinab. Allerdings antwortete das Mädchen nicht. „Was soll es denn sonst sein?“, fragte Ayumu schließlich, da sonst niemand etwas sagte. „Bislang sind wir auch keinem wilden Tier begegnet. Die kommen hier nicht herein.“ Leana wandte sich vom Abgrund ab, blickte aber keinen ihrer Begleiter an, sondern lief am Rand der Schlucht entlang, um einen Weg nach unten zu finden. „Vielleicht kommen sie nicht durch den Eingang herein... aber es gibt mit Sicherheit noch andere Möglichkeiten, hereinzukommen.“ „Glaubst du das wirklich?“ Ayumu schienen diese Worte gar nicht zu gefallen, zumindest glaubte sie, das aus seiner Stimme herauszuhören, sie wollte aber auch gar nicht den Blick vom Abgrund abwenden, um an seinem Gesicht abzulesen, ob es wirklich so war. Sie konnte ihn in gewisser Weise verstehen, immerhin stellte sie mit ihren Worten seine Erziehung und seine Überzeugung in Frage. Allerdings schien er auch nicht diskutieren zu wollen, sondern schwieg. Schließlich fand Leana eine Treppe, die den Abgrund hinabführte und winkte ihre Begleiter zu sich. Während Ylva ihrem Ruf bereitwillig folgte, trottete Ayumu nur widerwillig hinterher. Es versetzte Leana einen Stich ins Herz, als sie sein Verhalten bemerkte. Selbst das erinnerte sie an Zetsu, es fehlte nur noch, dass er seine Hände in seinen Hosentaschen vergrub – allerdings hatte er im Gegensatz zu Zetsu anscheinend keine. Hintereinander gingen sie die Treppe hinunter, die erstaunlich steil in die Tiefe führte, die grob behauenen Stufen waren überraschend rutschig und Leana fürchtete mehr als einmal, dass Ylva stolpern und hinunterfallen würde. Doch das Mädchen fing sich immer sofort wieder als ob sie einen Schutzengel hätte, der ihr stets half, ihre Balance zurückzugewinnen. Auf dem Grund angekommen blickten sie schließlich alle gemeinsam in dieselbe Richtung. Inmitten der Dunkelheit gab es lediglich einen Durchgang, der von einem merkwürdigen blauen Licht erhellt wurde. Ayumus Gesicht hellte sich ebenfalls sofort wieder auf. „Wir sind da.“ „Ich dachte, du warst hier noch nie“, erwiderte Leana. Der Ninja schmunzelte darauf. „Aber blaues Licht ist immer das Zeichen dafür, dass man sein Ziel erreicht hat, wusstest du das nicht?“ Sie verzichtete wohlweislich auf eine Erwiderung und lief stattdessen weiter, gefolgt von Ylva und Ayumu, der wieder zu summen begann in freudiger Erwartung, dass seine Aussage als richtig geprüft werden würde. Leana rechnete mit einigem, was sie am Ende dieser Höhle erwarten würde. Dem anderen Ninja, der sich mit ihnen in der Höhle befinden sollte, irgendeinem Monster, das sie in die Irre geführt hatte oder lediglich einer Ansammlung von phosphorhaltigem Gestein. Aber niemals hätte sie eine Quelle wie diese erwartet. Das glasklare Wasser mit der makellosen Oberfläche erlaubte ihr einen Blick bis auf den Grund, lediglich eine bestimmte Stelle lag im Dunkeln, doch Leana kümmerte sich nicht weiter darum. Ihre Aufmerksamkeit galt bereits der Wand auf der anderen Seite der Quelle. Ein darin eingelassenes Juwel glühte in einem erstaunlich intensiven blauen Schein. „Wow... was ist das?“ Stolz flammte in Ayumus Augen auf, als er sich auf die Brust klopfte. „Das ist das Geheimnis, weswegen niemand diese Höhle betreten kann – egal, was du sagst. Und es gibt dieser Quelle die Fähigkeit, den Fluch von dir zu nehmen.“ „Das will ich doch hoffen...“ Wieder sah sie ins Wasser hinein. Einzelne Plattformen schienen wie Stufen in das Becken hineinzuführen und luden geradezu ein, sich auf ihnen niederzulassen und das wohltuende Nass zu genießen. „Was muss sie jetzt tun?“, fragte Ylva neugierig. Leana hoffte, dass es etwas Leichtes war, damit sie Isolde endlich wiederbekommen würde. Die Zeit ohne Zetsu war schlimm genug, aber ihr fehlendes Shinjuu war der letzte Stoß, den es brauchte, um sie noch verbitterter werden zu lassen – dummerweise hatte sie aufgrund ihrer beiden Begleiter nicht sonderlich viel Zeit, um wirklich verbittert zu sein. „Sie muss darin baden~“ Sie glaubte, sich verhört zu haben, doch obwohl er grinste, wirkte er vollkommen überzeugt von sich selbst und total ernst. „Das ist echt so, das wurde uns beigebracht, als wir Kinder waren.“ „Okay, dann werde ich das machen.“ Nach ihrer Zustimmung wartete Leana darauf, dass die anderen beiden sie alleinlassen würden, damit sie sich ausziehen und ins Wasser gehen konnte, doch keiner von ihnen rührte sich. „Wollt ihr ewig da stehenbleiben?“ „N-natürlich nicht“, sprang Ylva sofort darauf an und ergriff Ayumus Hand, um ihn trotz seines Protests mit sich zu ziehen. Leana wartete einen Moment, bis sie seine Stimme nicht mehr hören konnte, dann entledigte sie sich ihrer Kleidung, legte diese fein säuberlich beiseite und band umsichtig ihr Haar hoch. Schließlich durchbrach sie die bis dahin unberührte Wasseroberfläche. Sie hatte erwartet, dass die Flüssigkeit sich kalt anfühlen würde, doch sie war erstaunlich warm, so angenehm, dass sie sich mit Freude hinsetzte, um dem ihren ganzen Körper auszusetzen. Das blaue Leuchten des Juwels beruhigte Leana und ließ sie ihre Augen schließen, um den Moment der vollkommenen Stille zu genießen – und da fiel ihr auch auf, dass etwas ganz Bedeutendes fehlte, was sie erst in die Tiefen dieses Labyrinths geführt hatte: Woher kam eigentlich das Geräusch des Glöckchens vorhin? Hätte nur sie es gehört, wäre es von ihr als Einbildung abgetan worden, doch die anderen hatten es auch gehört und Ylva war sogar davon überzeugt gewesen, dass sich hier unten noch ein Mensch außer ihnen befinden würde. Mit Sicherheit hatte sie sich das nicht eingebildet. Sofort spannte Leanas Körper sich wieder an, sämtliche Entspannung war verflogen. Sie hielt den Atem an, als sie nach verdächtigen Geräuschen lauschte – und fuhr sofort herum, als tatsächlich etwas hinter ihr erklang, bereit, jedem Monster in die Augen zu sehen, das sich hier befinden könnte. Doch als sie erkannte, wer es war, blinzelte sie verwirrt. „Was tust du hier?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)