Unsterblich von Flordelis (My Immortal ~ Eternal Chronicles) ================================================================================ Kapitel 9: Vernichtet --------------------- Die größten Feuer schienen bereits erloschen, als sie endlich im Dorf ankamen. Das lag allerdings auch daran, dass es inzwischen kaum noch etwas gab, was brennen konnte. Sämtliche Häuser waren bereits auf die Steinmauern herabgebrannt. Es war schwer zu sagen, wie lange das Feuer gewütet hatte, aber es musste lange Zeit gewesen sein, ohne dass jemand etwas dagegen unternommen hatte. Normalerweise wäre Leana darüber erstaunt gewesen, aber in diesem Fall wunderte es sie nicht: Sämtliche Einwohner des Dorfes schienen tot, ihre Leichen bis zur Unkenntlichkeit verbrannt zu sein. Zwar wusste sie nicht, was zuerst geschehen war – der Tod der Ninja oder das Feuer – aber im Grunde änderte es nichts an dem Ausgang der Ereignisse. Es muss eine ganze Armee gewesen sein... immerhin sind es angeblich Elite-Ninja gewesen. Ylva schluckte schwer, als sie die Leichen sah und hielt sich dichter an Leana. Die Shinkenträgerin bewegte sich zwischen den Häusern entlang und betrachtete betrübt die Waffen, die auf dem Boden lagen. Die Schwerter, Shuriken und Kunai lagen verstreut umher, sichtlich benutzt, aber wirkungslos an dem Feind abgeprallt – zumindest erklärte Leana sich so, dass die Waffen zum größten Teil zersplittert waren. „Was ist hier nur passiert?“, fragte Ylva leise. „Wenn ich das wüsste...“ Eigentlich wollte Leana das gar nicht wissen, aber sie konnte das dem kleinen Mädchen unmöglich sagen, immerhin musste eine von ihnen doch erwachsen und stark sein – und im Moment war sie die einzige, die diese Rolle erfüllen konnte. Plötzlich blieb Ylva stehen und ging in die Knie. Leana fuhr zu ihr herum. „Was ist los?“ Der Körper des kleinen Mädchens zitterte heftig, aber kein Laut kam über ihre Lippen. Besorgt kniete Leana sich vor sie, um ihr ins Gesicht sehen zu können. Angst spiegelte sich darin wider, so dass die Shinkenträgerin nicht anders konnte als ihr vorsichtig den Kopf zu tätscheln. „Keine Sorge, alles wird wieder gut, versprochen.“ Was machte dieses Mädchen nur so nervös? Der Geruch konnte es nicht sein, immerhin hatte sie diesen zuvor als etwas zu essen identifiziert. Doch als Leanas Blick wieder weiterwanderte und sie erneut die Leichen entdeckte, wurde ihr bewusst, was das Mädchen so verstörte. Wäre sie diesen Anblick nicht in gewisser Weise gewohnt, hätte sie wohl genauso reagiert. „E-es geht gleich wieder“, versicherte Ylva leise. „Gleich... wirklich.“ „Schon gut. Warte hier am besten einen Moment, ich sehe mich weiter um.“ Es brachte immerhin keinen von ihnen etwas, wenn sie sich weiter quälen würde, nur um sich in einem anscheinend vollkommen leeren Dorf umzusehen. Das Mädchen deutete ein Nicken an, dann stand Leana auf, um ihre Worte in die Tat umzusetzen. Vorsichtig, um nicht aus Versehen auf eine der verstreuten Leichen zu treten, lief sie weiter, um die Mitte des Dorfes zu erreichen, in der Hoffnung, dass sie dort einen Hinweis auf die Ereignisse finden würde. Während sie einen Fuß vor den anderen setzte, dachte sie wieder an die Worte des Banditenanführers zurück. „D-die Hi-Ninja wissen es, sie werden es dir sagen.“ Aber wenn sie sich so umsah, lebte offenbar keiner mehr von ihnen, wie also sollte sie den Effekt des Heiligen Mistelzweigs nur negieren? Mit gerunzelter Stirn suchte sie in den Ruinen nach einem Hinweis auf das Wissen, das sie brauchte, wenn sie ihr Shinken wieder nutzen wollte. Ohne Zetsu gab es zwar keinen Grund dazu – aber auch Isolde war immerhin damit verbunden und dieser seltsame Ninja aus der Nacht zuvor... Gerade in diesem Moment brauchte sie ihr Shinken mehr als alles andere, weswegen ihr Blick weiter suchend durch die Ruinen schweifte. Doch das, was sie dann fand, überraschte sie doch ein wenig, obwohl sie nicht geglaubt hatte, dass das möglich sein könnte. An einem relativ unbeschädigten Holzpfahl lehnte ein Mensch – zumindest schien das auf den ersten Blick, doch seine schlaffe Körperhaltung verriet ihr alsbald, dass er eher hing als zu lehnen. Argwöhnisch ging Leana näher und entdeckte bald, dass es ein Mann war, der dort hing, ein Schwert, das offenbar mit großer Gewalt durch seine Brust gestoßen worden war, hielt ihn aufrecht am Holzpfahl. Als sie vor ihm stand neigte sie den Kopf. Sein schwarzes Haar war mit einer dunklen Flüssigkeit verklebt, die Blut sein musste, ansonsten – und wenn man von der durch das Schwert verursachten Wunde absah – wirkte er vollkommen unverletzt. Zwar war sie sich sicher, dieses fein geschnittene Gesicht noch nie zuvor gesehen zu haben und doch kam dieser Mann ihr erstaunlich bekannt vor. Fast schon war sie traurig darüber, dass er tot war – doch eine plötzliche Bewegung ließ sie zusammenzucken. Irritiert blickte sie noch einmal genauer auf die Hände des Mannes, dann wich sie zurück, als die Finger sich tatsächlich noch einmal bewegten. Ist das... ein Muskelreflex? Ihre Kenntnis über Leichen war eher beschränkt, wie sie zugeben musste, es war also durchaus möglich, dass sie sich nach dem Tod tatsächlich noch ein wenig bewegten. Aber vielleicht... sollte ich lieber auf Nummer sicher gehen... Wenn er noch lebte, war es möglicherweise besser, ihn von dort runterzuholen, mit Sicherheit waren die Schmerzen in dieser Position auch alles andere als angenehm. Als ob es so etwas wie angenehme Schmerzen geben würde... Eilig verwarf sie den Gedanken, der ohnehin nur dazu dienen sollte, das Unvermeidliche hinauszuzögern. Also ergriff sie den Schwertgriff, atmete tief durch – und zog die Klinge mit einem heftigen Ruck aus dem Körper des Mannes. Zwar hatte sie erwartet, dass Blut spritzen würde – aber nicht, dass der Körper direkt auf sie fallen und unter sich begraben würde. Ein überraschter Schrei entfuhr ihr, als sie auf den Rücken fiel, hastig versuchte sie, ihn wieder von sich runterzubekommen, was ihr erst gelang, als Ylva dazukam und ihn mit aller Kraft zur Seite zog. Leblos blieb er liegen, während Leana sich hastig aufrecht hinsetzte als fürchtete sie, dass er sich gleich noch einmal auf sie stürzen würde. Zu ihrer Überraschung befand sich auf ihrer Kleidung allerdings kein Blut, obwohl er eben noch auf ihr gelegen hatte. Als sie zu ihm hinübersah, stellte sie fest, dass sich die Wunde in der Brust wieder geschlossen hatte. W-wie kann das sein? Wäre da nicht das Schwert in ihrer Hand gewesen, wäre sie der Überzeugung erlegen, dass das eben nur eine nervöse Überreaktion von ihr gewesen war und es nicht stattgefunden hatte. „Alles okay?“, fragte Ylva besorgt. Offenbar war sie bereits erholt genug, sich wieder fortzubewegen und sich tatsächlich Sorgen zu machen, was Leana erleichterte. Sie nickte. „Ja, ich habe mich nur erschrocken.“ Beruhigt über diese Antwort kniete das Mädchen sich neben den Mann, um diesen neugierig zu begutachten. Ihre Augen leuchteten geradezu, was Leana doch verwunderte, wenn sie an das vorige Verhalten des Mädchens dachte. „Was ist so besonders an ihm?“ Ylva deutete auf die Stelle, wo die Verletzung zuvor gewesen war und nun makellose Haut zu sehen war. Das ausgefranste und an den Rändern blutverschmierte Loch in seiner Kleidung war der einzige Beweis dafür, dass da eben noch eine Waffe seinen Körper durchbohrt hatte. Da Leana zeigte, dass sie immer noch nicht verstand, holte Ylva zu einer Erklärung aus: „In den Geschichten, die Papa mir erzählt hat, heißt es, dass Hi-Ninja ihre Körper heilen können. Er kann es offenbar auch.“ Begeistert wedelte sie mit ihrem Schwanz und sah Leana erwartungsvoll an. Doch der Schlafmangel und der langsam einsetzende Hunger sorgten dafür, dass die Worte nur langsam in das Gehirn der Shinkenträgerin sickerten. „Dann wird er bald wieder aufwachen?“ Ylva nickte zustimmend, mit unverminderter Begeisterung. „Genau!“ Leana konnte die Euphorie nicht im Mindesten teilen. Würde er aufwachen, war die Feststellung, dass er nun allein war, nur noch einen Steinwurf entfernt – und er wäre mit Sicherheit nicht begeistert davon. Sie zumindest wäre das nicht. Andererseits würde das bedeuten, sie könnte ihn fragen, wie man diesen Fluch des Heiligen Mistelzweigs wieder loswerden würde. Also zumindest für sie war das eine gute Sache. „Sonst lebt keiner mehr...“ Ylvas Begeisterung schwand augenblicklich, ihre Augen wurden feucht, als sie fortfuhr. „Ich kann außer uns niemanden spüren oder hören.“ Leana tätschelte ihren Kopf, um sie ein wenig zu trösten. Worte fand sie allerdings keine, um diese Geste zu unterstützen. Doch das Mädchen schien das auch gar nicht zu benötigen, sie lächelte sofort wieder und wedelte mit dem Schwanz. Sie sah nicht nur einem Hund ähnlich, ihr Verhaltensmuster erinnerte auch an einen. Zum Glück für Leana, die somit leichtes Spiel hatte, sie abzulenken. „Was machen wir jetzt?“, fragte Ylva plötzlich leise. Leana warf einen Blick umher. Sie konnte keinerlei fremde Energie oder feindliche Aura spüren – zwar waren ihre Fähigkeiten ohne ihr Shinken extrem eingeschränkt, aber durch den langen Zeitraum, in dem sie dessen Einfluss ausgesetzt gewesen war, befand sich noch eine Spur dieser Fertigkeit in ihrem Inneren und das reichte durchaus, um festzustellen, dass sie nicht in Gefahr waren. „Wir sollten uns vielleicht ausruhen. Wir brauchen ein wenig Ruhe, um nach dem Sonnenaufgang etwas zu essen zu suchen.“ Das Mädchen nickte zustimmend. Gemeinsam hoben sie den Mann hoch und verließen mit ihm das Dorf wieder. Ylva blieb dabei noch einen kurzen Moment zurück, um einige unbeschädigte und überraschend saubere Decken aus den Trümmern eines Hauses zu befördern, damit sie nicht auf dem Boden schlafen müssten – immerhin war es Isolde, die sich sonst um das Reisegepäck kümmerte. Außerhalb des Dorfes legte Ylva sich schließlich hin und rollte sich geradezu zusammen, was Leana darin bestätigte, dass ihre Verhaltensmuster dem eines Hundes entsprachen. Sie konnte nicht anders als darüber zu schmunzeln und legte sich ebenfalls hin. Ehe sie einschlief, warf sie noch einmal einen Blick auf den jungen Mann, der inzwischen tatsächlich wieder zu atmen begonnen hatte. Sie hatte noch nie von jemandem gehört, der nach einem solchen Stoß durch die Brust tatsächlich noch leben konnte. Die Hi-Ninja mussten wahrlich ganz herausragende Krieger gewesen sein, es war nicht weiter verwunderlich, dass jemand ihre Auslöschung gewünscht hatte. Wenn ich nur wüsste, woher ich ihn kenne... Doch schließlich verwarf sie den Gedanken und schloss die Augen, um ebenfalls zu schlafen. Immer noch erschöpft richtete Eos sich wieder auf. Schweigend kniete Hyperion neben ihr, ergeben darauf wartend, dass sie ihm eine Anweisung geben würde. Sie gähnte herzhaft. „Wie ist der Auftrag gelaufen?“ Wie üblich antwortete er nicht, aber das brauchte es auch nicht, sie verstand ihn natürlich auch so. „Sehr gut gemacht, mein Bester. Die Hi-Ninja sollten uns nun keine Probleme mehr bereiten.“ Damit konnte sie sich nun vollends auf die Ewige Rose konzentrieren. „Oh ja, da ich gerade daran denke... was ist denn mit der Rose? Weißt du etwas von ihr?“ Zur Antwort schüttelte er den Kopf und sie musste zugeben, dass selbst sie keinerlei Energie der Eternal mehr spüren konnte. Als ob sie einfach vom Erdboden verschwunden wäre. „Gut, wir müssen wohl umplanen... Geh dorthin, wo die Rose zuletzt spürbar gewesen war und versuche, ihre Spur wieder aufzunehmen. Ich bin sicher, dass sie noch in dieser Welt ist.“ Sie musste einfach hier sein, sie konnte unmöglich einfach wieder gegangen sein, nachdem sie endlich in diese Welt gekommen war, nachdem Eos' Sehnen sich endlich erfüllt hatte. Hyperion nickte und stand wieder auf, um den Auftrag in die Tat umzusetzen. Eos sah ihm wieder hinterher, während er wortlos erneut in die Nacht verschwand – auch wenn das offenbar nicht ganz richtig war, immerhin konnte sie bereits die Sonne wieder aufgehen sehen. Sie lächelte zufrieden über den Anbruch eines neuen Tages und ging dann an ihren Schrank, um sich neue Kleidung herauszusuchen und einen weiteren Arbeitstag zu beginnen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)