Unsterblich von Flordelis (My Immortal ~ Eternal Chronicles) ================================================================================ Kapitel 5: Auf dem Sklavenmarkt ------------------------------- Während Isolde noch ihre eigene Portion Ramen verspeiste, lief Leana ziellos durch die Straßen der Stadt, emsig bemüht, alles um sie herum zu ignorieren. So sehr sie auch Welten liebte, die an Japan, egal welcher Epoche, erinnerten, so sehr verletzten sie diese auch im Moment. All diese Menschen in Kimonos, die Samurai und die große Nanashi erinnerten sie schmerzhaft an Katsus Welt. Jene, in der sie und Zetsu erstmals... Hastig schob sie den Gedanken beiseite, als er ihr drohte, die Luft abzuschneiden. Sie wollte nicht mehr an ihn denken oder an ihn erinnert werden, es vergrößerte nur den Schmerz in ihrer Brust, wo einst ihr Herz gesessen haben musste. Inzwischen fühlte es sich wie ein kalter Stein an – und das empfand sie als gut so. Ohne Zetsu schien ihr alles so sinnlos. Die Ewigkeit, die Kämpfe, das Reisen... ohne Zetsus leuchtende Augen, sein Lachen und seine begeisterten Erklärungen bei Dingen, die sie nicht verstand, war alles leer und freudlos. Er hatte sie oft gefragt, ob sie es bereuen würde, für ihn ein Eternal geworden zu sein und ihre Vergangenheit weggeworfen zu haben. Früher war es von ihr stets verneint worden – doch inzwischen bereute sie es tatsächlich. Ihre Heimat war bei ihm gewesen und nun existierte sie nicht mehr. Es gab keinen Ort mehr, zu dem sie gehen könnte, keine Person, die sich an sie erinnerte. Es sei denn... Der Ninja der letzten Nacht fiel ihr wieder ein. Zwar war ihr ebenfalls aufgefallen, dass sein Orichalcum-Name nicht vollständig gewesen war, genausowenig wie sein Schwert, aber er war eindeutig ein Splitter von Zetsu gewesen. Und wenn es einen Splitter in dieser Welt gab, konnten die anderen auch nicht weit sein, davon war sie überzeugt. Oh, wie gern hätte sie diesen Ninja noch einmal getroffen, einfach um die nagende Sehnsucht in ihrem Inneren zu stillen, die sie wie Flammen zu verzehren schien, bis nichts mehr von ihr übrig war. Im Einklang mit diesem intensiven Gedanken, glühte 'Shoubi' für einen kurzen Moment auf als würde es eine Nachricht aussenden. Leana konnte die Stimme des Shinken nicht hören, da Isolde nicht bei ihr war, aber sie hoffte, dass zumindest ihr Schwert verstand, was sie empfand. Eine plötzliche, laute Stimme, riss sie aus ihren Gedanken. Fragend ließ sie den Blick schweifen und bemerkte schließlich, dass sie auf einer Art Markt gelandet war – nur dass auf diesem offenbar Menschen verkauft wurden. Auf mehreren, trotz des Sonnenlichts von Fackeln erleuchteten, Bühnen wurden gefesselte und oftmals nur in Lumpen gekleidete Menschen präsentiert, die Haut verdreckt und geschunden. Aufgrund der dunklen Hautfarben konnte Leana auf den ersten Blick erkennen, dass es sich hierbei samt und sonders um Menschen handeln musste, die aus einer anderen Gegend kamen als dieser Präfektur, in der selbst die Fischerinnen über eine helle Porzellanhaut verfügten. Grimmige Männer, ängstliche Frauen und sogar weinende Kinder wurden lautstark angepriesen, von ihrer Qualität geschwärmt und versichert, dass sie jeden Befehl ihres neuen Herrn – oder ihrer neuen Dame – ausführen würden. Angewidert runzelte sie ihre Stirn, ihre erste Gefühlsregung an diesem Tag. Am Liebsten hätte sie sich übergeben oder hätte diesen Ort auf direktem Weg wieder verlassen, doch die Menschenmenge drückte sie unbarmherzig weiter, immer tiefer in das Herz des Marktes, der mit Leben handelte und der sie immer weiter abstieß. Doch bei einer Bühne in der Mitte blieb auch sie neugierig stehen. Ein streng aussehender Mann mit gerunzelter Stirn hielt eine Kette fest in seinen Händen – und diese führte geradewegs zu einem Halsband, das um den Nacken eines jungen Mädchens geschlungen war. Mit großen, traurigen Augen blickte sie in die Zuschauermenge, das Grün ihrer Iris schien dabei viel dunkler zu sein als eigentlich üblich. Leanas Blick glitt über das gepflegte braune Haar – und erst bei genauerem Hinsehen entdeckte sie, dass das Mädchen auch über Hundeohren verfügte, die zu seinem Haar passten und betrübt auf seinem Kopf lagen, so dass sie kaum noch auszumachen waren. Ein prüfender Blick offenbarte der Shinkenträgerin dann tatsächlich einen buschigen Hundeschweif, der unter dem viel zu großen schwarzen Kimono hervorlugte, den das Mädchen trug. Was genau es war, konnte Leana nicht sagen, vermutlich war es das Gesamtbild der Kleinen, das sie sofort ansprach, aber ihr Beschützerinstinkt meldete sich lautstark und verlangte danach, sie zu retten. Sie versuchte zwar, diesen Instinkt zu ignorieren, doch als sie weitergehen wollte, ohne etwas zu tun, spürte sie einen scharfen Schmerz in ihrem Kopf, ausgelöst von ihrem Shinken, das offenbar der Meinung war, dass ein Ritter sich nicht einfach abwenden durfte. Leider musste Leana dem Schwert recht geben. Als Ritterin war es ihre Aufgabe, den Schwachen zu helfen und sie zu beschützen. Und wer konnte im Moment mehr Hilfe brauchen als dieses junge Mädchen, das unglücklich in die Menge sah? Fragt sich nur noch, was ich tun soll... Sie blickte über die anderen Menschen, die alle äußerst interessiert an dem Mädchen schienen, hörte, wie Frauen bereits ihr Geld zählten, um ihren Kindern mit diesem Haustier eine Freude zu machen und selbst ein Zirkusdirektor schien Interesse an ihr zu haben – zumindest erweckte seine bunte Kleidung und die viel zu große Feder auf seinem Hut den Eindruck, dass es sich bei ihm um den Mitarbeiter eines Zirkus handelte. Was immer sie also tun wollte, sie müsste es schnell tun, das wurde ihr in diesem Moment klar. Die Frage war nur, was sie tun sollte. Einfach die Bühne stürmen und das Mädchen schnappen, wäre mit Sicherheit effektiv – aber eben keine sonderlich gute Idee. Da Zetsu nicht mehr da war, musste sie sich selbst davon abhalten und stattdessen weiter überlegen. Erneut spürte sie, wie 'Shoubi' einen Impuls aussendete – und im selben Moment schien ihr der Zufall zur Hilfe zu kommen. Etwas flog mit Wucht gegen eines der zahlreichen Fässer, die auf den Bühnen standen und ganz offenbar Lampenöl enthielten, das sich sogleich zähflüssig über die hölzernen Bretter ergoss. Der Mann, der neben dem kleinen Mädchen stand, runzelte wütend seine Stirn und rief seinen Untergebenen einen Befehl zu, vermutlich, damit diese das Öl wieder wegwischten, ehe etwas geschah. Doch noch bevor einer von ihnen reagieren konnte, landete ein brennender Pfeil mitten im ausgelaufenen Öl, das sich rasend schnell entzündete. Während die Menschen bereits panisch umherzulaufen begannen und erschrockene Schreie von sich gaben, blickte Leana verdutzt auf das Feuer. Es war genau zur richtigen Zeit gekommen als ob jemand gewusst hätte, dass sie Hilfe brauchte und ihr eine Hand gereicht hatte. Doch als sie sich umsah, konnte sie niemanden entdecken, der das getan haben könnte. Innerlich bedankte sie sich dennoch bei dieser Person, dann kletterte sie ohne weitere Umschweife auf die Bühne hinauf, die zur Hälfte bereits in Flammen stand, obwohl die Aussteller bereits emsig dabei waren, das Feuer mittels Decken zu ersticken, statt es mit Wasser noch weiter anzufachen. Immerhin waren sie nicht dumm, das würde Leana ein wenig Zeit verschaffen. Das Mädchen blickte ängstlich auf die zuckenden Flammen, die ihr immer wieder zu nahe zu kommen drohten. Ausweichen oder gar wegrennen konnte sie allerdings nicht, da der Mann ihre Kette zuvor an einem Balken befestigt hatte. Die Flammen leckten an dem Eisen und erhitzten es derart, dass allein der Versuch, es anzufassen, in Verbrennungen enden würde. Leana hatte glücklicherweise aber auch gar nicht vor, diese Ketten auch nur mit dem Fingernagel zu berühren. Stattdessen zog sie 'Shoubi' hervor und zerteilte das Metall als ob es aus Butter wäre. Das Mädchen blickte Leana erstaunt an als könne sie es noch nicht begreifen, doch langsam nahm die Freude die Oberhand in ihrem Inneren – und das zeigte sich nicht nur auf ihrem Gesicht, das sich langsam aufhellte, sondern auch an ihren braunen Ohren, die sich ebenfalls schleichend aufrichteten. Allerdings ging das für Leana viel zu träge, weswegen sie gar nicht erst darauf hinwies, dass es nun angemessen wäre, zu fliehen, sondern das Mädchen wortlos auf ihre Arme nahm und davontrug. Zu Leanas Glück waren die Aussteller des Mädchens immer noch damit beschäftigt, das Feuer zu löschen, während alle anderen gerade ihre kostbare Ware in Sicherheit brachten. Mit sicherem, raschen Schritt bahnte Leana sich ihren Weg durch die panische Menge, den Blick stur nach vorne gerichtet und ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob ihre Tat eben wirklich gut gewesen war. Der wedelnde Schwanz des Mädchens verriet ihr auch so, dass sie genau richtig gehandelt hatte. Erst zwei Straßen von dem Sklavenmarkt entfernt hielt Leana wieder inne. Die anderen Menschen beachteten sie nicht, sondern gingen neugierig in Richtung des Marktes, von dem dunkler Qualm aufstieg. Leana schüttelte über dieses Verhalten nur verständnislos den Kopf – die, die auf dem Markt waren, wollten von dort weg und alle anderen wollten dorthin, um herauszufinden, was los war. Wie lächerlich. In einer Seitengasse setzte sie das Mädchen wieder ab, das sie mit großen Augen dankbar anstrahlte und immer wieder mit dem Schweif wedelte. „Alles okay?“, fragte Leana. Da das Mädchen offenbar nicht verstand, was es gefragt worden war, versuchte Leana es mit einer anderen Formulierung: „Bist du in Ordnung?“ Sie nickte sofort strahlend, worauf Leana erleichtert ausatmete. „Gut. Dann geh jetzt nach Hause, ja?“ Ohne auf eine weitere Antwort zu warten, wandte Leana sich ab, um sich wieder mit Isolde zu treffen und darüber zu sprechen, wohin die Reise nun gehen sollte. Doch ohne sich umzusehen, spürte sie, wie jemand ihr folgte. Als sie herumfuhr, entdeckte sie das kleine Mädchen, das sie erwartungsvoll lächelnd ansah. „Ich habe dir doch gesagt, dass du nach Hause gehen sollst“, seufzte Leana. Doch da das Mädchen immer noch nur lächelte, kniete sie sich hin, um auf Augenhöhe mit ihr zu sein. „Gut, mal anders... wie heißt du?“ Immerhin bestand die Möglichkeit, dass dieses Mädchen sie einfach nur nicht verstand und glaubte, sie müsste ihr nun folgen, auch wenn Leana das nicht hoffen wollte. Es reichte doch, wenn Isolde in ihrer Nähe war, ein kleines Mädchen würde sie da nur stören – auch wenn sie Kinder in gewisser Weise mochte. Aber zumindest, dass keine Sprachbarriere vorhanden war, wurde Leana klar, als das Mädchen lächelnd antwortete: „Ylva! Wie heißt du?“ „Leana“, antwortete sie fast schon automatisch. „Danke für deine Hilfe, Leana~“ Die Shinkenträgerin nickte zufrieden. „Gut, du verstehst mich also. Warum gehst du also nicht nach Hause? Bestimmt macht man sich schon Sorgen um dich.“ Leana hoffte, das Thema damit abschließen zu können und endlich weiter zu kommen – doch Ylvas Blick trübte sich sofort. „Ich würde ja gern... aber das geht nicht.“ Verlegen nuschelnd blickte sie auf ihre Füße, mit denen sie auf dem Boden scharrte. „Und warum nicht?“, fragte Leana genervt seufzend. Warum konnte nicht einfach mal etwas so funktionieren, wie es sollte? Warum musste sich ihr immer eine neue Hürde in den Weg stellen? „Ich bin eine Inugami“, erklärte das Mädchen sofort stolz. „Wir leben auf den Inseln westlich des Festlandes, von dort bin ich mit einem Schiff heimlich hergekommen.“ Doch urplötzlich schwand ihre Begeisterung, ihr Gesicht wirkte bedrückt. „Aber kaum war ich an Land, wurde ich von bösen Menschen entführt und hierher gebracht... ich weiß nicht mal, wo ich bin.“ Ihre großen Augen füllten sich mit Tränen, mit bebender Hand griff sie nach Leanas Arm – deren Widerstand bröckelnd in sich zusammenfiel. Wie sollte sie dieses Mädchen – das immer noch auf Hilfe angewiesen war – einfach nur hier stehenlassen? Nein, das konnte sie einfach nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren. Sie würde Ylva einfach mit sich nehmen und sie wieder zu dem Hafen bringen, an dem sie angekommen war. Von dort aus würde sie mit einem Schiff wieder nach Hause fahren können und Leana hätte ihrer Pflicht als Ritterin genüge getan. Beruhigend strich Leana dem Mädchen über den Kopf. „Keine Sorge, ich werde dir helfen, wieder nach Hause zu kommen.“ Sofort strahlte Ylva wieder – die Stimmungsschwankungen des Mädchens überraschten die Shinkenträgerin langsam nicht mehr, sondern ließen sie die Stirn runzeln – und umarmte ihren Gegenüber. „Danke, Leana!“ Lautlos seufzend erwiderte die Shinkenträgerin die Umarmung und hoffte dabei, dass Inugami ihre Dankbarkeit nicht möglicherweise mit ewiger Treue ausdrückten. So süß Ylva auch schien, aber die Aussicht, sie möglicherweise nie wieder loszuwerden, verstimmte Leana und ließ es sie bereits ein wenig bereuen, das Mädchen gerettet zu haben. Immerhin roch das nach einer recht unruhigen Zeit mit einem viel zu gut gelaunten halben Hund. Aber andererseits... sie stellte sich vor, wie zufrieden und stolz Zetsu sie anlächeln und ihr zunicken würde, falls er ebenfalls hier wäre und das ließ sie ihre Meinung direkt wieder überdenken. Immerhin... habe ich das Gefühl, etwas Gutes zu tun... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)