Zwischenwelten von Arle ================================================================================ Kapitel 2: Eine Frage des Vertrauens ------------------------------------ Beginn: 26.08.2009 Ende: 30.08.2009 Kapitel 2: Eine Frage des Vertrauens „Weißt du, ich traue mich einfach nicht.“ Luca machte sich nicht einmal die Mühe den Kopf zu heben. Er hatte das die letzten 17 Mal getan als der andere diesen Satz gesagt hatte, ohne dass es ihn dazu animiert hätte weiterzusprechen und seinem eigentlichen Problem etwas mehr Kontur zu verleihen. Luca verspürte keine Lust nachzufragen, worum es ihm nun eigentlich ging. Er brütete gerade über einem Berg von Klausuren und hatte daher weder Zeit noch Muße sich mit den Angelegenheiten seiner Mitvampire zu beschäftigen. Abgesehen davon war es ziemlich wahrscheinlich, dass er früher oder später ohnehin erfahren würde was genau Shuka denn nun hierher geführt hatte. Ob er nun wollte oder nicht. Er betrachtete die Arbeiten, die aufgrund ihrer Vielzahl inzwischen seinen kompletten Schreibtisch einnahmen, und seufzte innerlich. Es wollte ihm einfach nicht in den Kopf, weshalb er sich mit solchen Dingen herumschlagen musste. Die Leistungen der einzelnen Schüler waren so vorhersehbar, dass sich die Kontrolle der Lösungen im Grunde erübrigte. Eigentlich erübrigte sich die ganze Klausur. Die Leistungsstarken waren verlässlich leistungsstark, das Mittelfeld blieb Mittelfeld und die Leistungsschwachen – für einige Vertreter ihrer Rasse war dies noch ein sehr schmeichelhafter Ausdruck – blieben ihren Boykottierungsversuchen treu. Objektiv gesehen hätte es durchaus Grund zur Freude gegeben. Der Notendurchschnitt seiner Schützlinge war nicht zu verachten. Allerdings trübte die Tatsache, dass auch die redlichsten Bemühungen keine Veränderung zu bewirken vermochten das Bild erheblich. Zumal es nicht gerade für ihn sprach. Diesmal seufzte Luca vernehmlich und der andere sah ihn erstaunt an. „Schlechte Nachrichten?“, fragte er höflich und wahrscheinlich auch wirklich nur aus Höflichkeit. „Schwer zu sagen, ich habe keinen Vergleich.“ Shuka lächelte ein wenig schief – das tat er immer wenn er nicht wusste was er antworten sollte – dann nahm er den Faden wieder auf. „Ich meine, wenn man sich trauen lässt, dann ist das doch ein Zeichen von Liebe, oder?“ Da es sich, soweit Luca wusste, bei seinem Gast und seiner Auserwählten nicht um eine Zwangsheirat handelte, konnte er sich nicht recht vorstellen was es sonst sein sollte. Seine momentane Stimmung veranlasste ihn allerdings dazu, eine weitaus weniger diplomatische Antwort zu geben. „Liebe wird allgemein überbewertet“, bemerkte er beiläufig und mit einer Spur von Frustration. Sorgfältig, allerdings ohne auch nur einen Hauch von Genugtuung, schrieb er die standardmäßige Fünf unter Kiras Arbeit. Diesmal würde er um ein Gespräch mit den Eltern des Jungen nicht herumkommen. Es war zum verzweifeln. Ein Schauder durchlief ihn, wenn er nur daran dachte. Adel in seiner reinsten Form. Besser, man legte sich nicht mit ihnen an, aber so konnte es nicht weitergehen. Befehlsgewalt hin oder her, Luca hatte sich an die Regeln zu halten und dafür zu sorgen, dass es die Schüler ebenso taten. Und wenn sich am Verhalten dieses Vampirs nicht bald etwas änderte, dann hatte er die längste Zeit auf dieser Schule verbracht. Nicht dass es ihn oder gar Kira gestört hätte, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass die Eltern dieses Balges es besonders amüsant finden würden, wenn sich herausstellte, dass ihr geliebter Sohn nicht einmal den Mindestanforderungen genügte. Und das an einer Schule, deren angeblich so niedriges Niveau sie ohnehin bereits als unter ihrer Würde empfunden hatten. Aber ganz gleich wie mächtig sie auch waren, selbst sie brauchten ihre Verbindungen. Und diese Institution war auf allerhöchster Ebene erdacht und abgesegnet worden. Jedenfalls hielt er es für klüger, sich mit ihnen in Verbindung zu setzen bevor es zu spät war. Auch wenn er nicht daran glaubte, dass es irgendetwas nützen würde. Aber am meisten ärgerte ihn an dieser Sache, dass Kira solche Diskussionen bewusst herbeiführte. Er war intelligent, das stand außer Frage, und wäre sehr wohl zur Lösung der Aufgaben in der Lage gewesen. Gelegentlich stellte er das sogar unter Beweis. Wenngleich Luca bisher kein Schema hatte erkennen können, nach dem der Jüngere es tat. Alles was der andere damit erreichte und womöglich auch zu erreichen beabsichtigte, war, ihn zu verärgern und ihm stets aufs neue vor Augen zu führen, wie überflüssig er den Unterricht fand. Dies war im Übrigen einer der wenigen Punkte, in denen sie einer Meinung waren. „Luca!“ Er brauchte einen Moment bis ihm bewusst wurde, dass der empörte Tadel seiner Antwort und nicht seiner mangelnden Aufmerksamkeit geschuldet war. Offenbar kannte das Schicksal doch so etwas wie Erbarmen. „Ich meine, ist es nicht eher ein Zeichen von Misstrauen?“ Luca hob erstaunt den Kopf. Er war nicht verheiratet und hatte eigentlich auch nicht vor an diesem Umstand etwas zu ändern, aber dass ausgerechnet Misstrauen der Grund sein sollte, weshalb man eine solche Verbindung einging, schien ihm nun doch etwas weit hergeholt. „Wir haben ja schon vorher zusammengelebt und jetzt so plötzlich. Glaubst du sie misstraut mir und will mich deshalb an sich binden?“ „Ich finde 50 Jahre eigentlich nicht besonders plötzlich. Aber wenn du auch weiterhin in wilder Ehe leben willst, steht dem doch nichts im Wege, oder?“, bemerkte Luca und setzte schweren Herzens eine Zwei unter die Arbeit seines Lieblingsschülers. Er war brillant, aber seine Nervosität und die dadurch entstehenden Fehler kosteten ihn gelegentlich die wohlverdiente Bestnote. Vermutlich würde auch bei ihm ein Gespräch vonnöten sein. Allerdings unter vier Augen und auch nur deshalb, weil er verhindern wollte, dass sich die Komplexe des schüchternen Jungen noch verstärkten. Davon hatte er schon jetzt mehr als genug und ganz sicher mehr als gut für ihn waren. Aber – und dieser Gedanke zauberte tatsächlich ein Lächeln auf seine Lippen – wenn er die Lage richtig einschätzte, dann würde der Kleine bald jemanden an seiner Seite haben, der ihm einmal eine andere Sicht der Dinge zeigte. Und wahrscheinlich sogar weit mehr als das. Luca erwartete das Ergebnis dieser Verwandlung mit gemischten Gefühlen. Es war nicht so, dass er es ihm nicht gönnte einen verlässlichen Partner an seiner Seite zu haben – eher war das Gegenteil der Fall. Er war sich nur nicht sicher, ob dieser Partner der Richtige für den Jungen war. Er kannte ihn nicht gut genug, um sich ein Urteil darüber erlauben zu können, aber letztendlich gab es ohnehin keine zufriedenstellende Antwort auf diese Frage. Das würden die beiden schon selbst herausfinden müssen. Trotzdem, ihm lag viel an diesem Kind und er wollte nicht mitansehen müssen, wie der Jüngere ein weiteres Mal zum Spielball seiner Mitschüler wurde. Für ein Geschöpf der Nacht war er einfach viel zu empfindsam und sensibel. Und Luca glaubte, ihn gut genug zu kennen um zu wissen, welchen Schaden negative Einflüsse an der kindlichen Seele anrichten konnten. „Weißt du, ich traue mich einfach nicht mich trauen zu lassen.“ Richtig, es gab da ja noch ein anderes Problem, mit dem er sich auseinandersetzen musste. „Wie traurig“, erwiderte er und machte sich einen Vermerk in seinem Terminkalender. Als sein Besucher nicht antwortete sah er auf. Für einen erwachsenen Mann hatte Shuka seine Unterlippe in erstaunlich kindlicher Manier vorgeschoben. Es war nicht zu übersehen, dass er beleidigt war. „Für dich mag das nur eine belanglose Kleinigkeit sein, aber für mich ist es sehr wichtig.“ Oje. Jetzt hatte er es tatsächlich geschafft den anderen zu verärgern, und das nur, weil er einer Tätigkeit, die er nicht mochte und im Allgemeinen für überflüssig hielt, mehr Aufmerksamkeit geschenkt hatte als seinem offenkundig hilfebedürftigen Bekannten. Im schlimmsten Fall hatte er den anderen mit dieser Gedankenlosigkeit sogar ernsthaft verletzt. Er legte den Korrekturstift beiseite, seufzte und bemühte sich um Schadensbegrenzung. „Hör mal Shuka. Ich habe ja auf diesem Gebiet nicht besonders viel Erfahrung, aber...“ „Stimmt auffallend.“ Luca lächelte und überging gekonnt die offensichtliche Spitze. Schließlich hatte er sich das selbst zuzuschreiben. Er war nicht gerade höflich gewesen. „Ich denke“, der andere verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück, als erwarte er einen längeren Vortrag. Einen Moment lang fragte sich Luca, ob er sich Mühe und Atem nicht einfach sparen und Shuka das Reden überlassen sollte. Wenn der andere auf seine Meinung keinen Wert mehr legte, dann würde er sich ganz sicher nicht aufdrängen. Ein paar Sekunden schwieg der Schwarzhaarige, dann war auch er innerlich wieder ruhiger. Shuka konnte im Grunde genommen ja überhaupt nichts dafür. Er war nicht das Problem, er hatte nur gerade selbst eines und es war nicht fair, seine Frustration an diesem unglücklichen Mann auszulassen. Da gab es ganz andere, die das verdient hätten. „Ich halte das für einen echten Beweis ihrer Liebe zu dir. Ihr habt die Ewigkeit, aber sie will dich schon jetzt nicht mehr hergeben. Es geht nicht darum, dass sie misstrauisch wäre und dich auf diese Weise an sich binden will. Das würde ohnehin nichts nützen. Aber sie möchte, dass du zu ihr gehörst und das auf eine Weise, die auch für andere deutlich sichtbar ist. Sie will dich nicht mit anderen teilen. So betrachtet ist Liebe etwas ziemlich egoistisches. Niemand soll dich haben, du gehörst allein mir, niemand soll einen Finger an dich legen oder dich auch nur ansehen und so weiter und so weiter. Aber das ist doch nichts Schlechtes. Es ist ganz normal. Stell dir nur einen Moment lang vor es wäre nicht so. Sie könnte dir tausendmal sagen, dass sie dich liebt, du würdest ihr nicht glauben solange sie nicht auch danach handelt. Weil du das Gefühl hättest, dass sie es nur sagt, ihren Worten aber die Kraft fehlt, die Taten nun einmal von Natur aus besitzen. Jedenfalls“, er stützte die Ellenbogen auf den Tisch, verschränkte die Hände ineinander und legte das Kinn darauf, „gibt es genau genommen nur eine einzige Frage die du für dich beantworten musst. Wenn du sie liebst und du weißt, dass auch sie dich liebt, dann gibt es keinen Grund zu zweifeln. Wenn du sie liebst, heirate sie und du kannst die Ewigkeit mit ihr gemeinsam verbringen.“ Kapitel 2 – ENDE Hosted by Animexx e.V. 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