Shortstories von LisanimeBluehawk ((Kurzgeschichten/Gedichte)) ================================================================================ Geschenke der Vergangenheit --------------------------- Ich wische die Staubkörner vom Holz. Eigentlich müsste ich es wahrscheinlich öfter machen. Aber schon nach wenigen Minuten setzen sich wieder neue an die Stelle der alten. Ich würde mein ganzes restliches Leben damit zubringen immer wieder mit einem feuchten Lappen über die Oberfläche der Kommode zu wischen. Aus der Küche höre ich Geschirr klappern und Gemurmel. Yuki spült und scheint dabei laut zu denken. Ich drehe mich nach dem Couchtisch um und greife nach den Bilderrahmen. Der silberne Beschlag wiegt schwer in meiner Hand. Hinter dem Glas lächelt mir sein Gesicht entgegen. Falten ziehen sich wie Furchen in einem Acker durch seine Haut. Seine Augen leuchten und seine Lippen sind zu einem Lächeln verzogen. Ich streiche zärtlich über das kalte Glas. Wenn ich ihn so ansehe, habe ich das Gefühl, er könne sich jeden Moment bewegen und mir zunicken, seine Pfeife hervorziehen und zu rauchen beginnen. „Hikari“, flüsterte ich und spüre wieder einmal, wie sich meine Brust schmerzhaft zusammen-zieht. Wenn ich die Augen schließe, kann ich ihn vor mir sehen, wie er damals ausgesehen hat, als wir uns das erste Mal unterhielten. Er hatte sein braunes, rebellisch langes Haar im Nacken zusammengebunden, seine grünen Augen blitzten frech auf, während er mich angrinste. „Was für eine Freude, dich zu sehen, Ishi-chan. Vor allem in diesem hübschen Rock“, lachte er mit einem Blick auf meine nackten Knie. Ich, über die Salatköpfe im Garten gebeugt, erhob mich, klopfte mir die Hände ab und stemmte die Fäuste in die Hüften. „Anstatt mich so anzustarren, kannst du dich lieber nützlich machen, du Faulpelz!“ Hikari lächelte zur Antwort, krempelte sich die Ärmel hoch und kniete sich tatsächlich nieder, um mir zu helfen. Während wir Unkraut rupften, die Beete gossen und die Erde auflockerten, erzählte er mir, dass er gerade erst aus der Stadt zurückgekehrt war. „Unglaublich, wie viele Menschen es dort gibt! Als ich hier ankam, wäre ich beinahe umgefallen. In der Stadt gibt es eine Menge Leute, die einen stützen, wenn man auf den Straßen unterwegs ist.“ Ich hatte ihm damals aufmerksam zugehört. Der junge Mann hatte mich sehr beeindruckt. Er war zum Studieren in der Stadt gewesen. Auch ich hatte gerne studieren wollen, aber ich hatte mich meinen Eltern und dem Dorf verpflichtet gefühlt. Die Hanashi konnten alle helfenden Hände gebrauchen, weshalb die meisten Kinder blieben, um sich auf dem Hof und im Garten nützlich zu machen. Ich lächele bei der Erinnerung daran, wie Hikari und ich uns immer geneckt und geärgert haben, als wir noch jung waren und wie wir uns an einem schwülen Sommertag im Wald, wo wir nach Feuerholz hatten suchen wollen, das erste Mal küssten. Kein Jahr später habe ich Ishiko bekommen. Wieder legt sich ein Schatten der Trauer über mich, bei dem Gedanken an meine tote Tochter, an die verlorenen Jahre und alles, was nun für immer hinter mir liegt. So weit weg und unwiederbringlich. Sauber und glänzend stelle ich die Rahmen an ihren alten Platz. Rechts und links davon die kleinen Drachen, aus deren Mündern Räucherstäbchen aufragen, die einen süßlichen Duft nach brennendem Holz und Vanille ver-strömen. Es ist jetzt schon zweiundzwanzig Jahre her, dass ich Hikari beerdigen musste und dann zusammen mit Ishiko und ihrem Mann Jack Scott nach England gezogen bin. Jack war Pilot gewesen. Ich erinnere mich nur zu gut an den Tag, an dem meine Tochter laut rufend und winkend aus dem Wald gelaufen kam. „Da ist ein Mann vom Himmel gefallen!!“, hatte sie gerufen. „Er ist mit seinem Flugzeug ab-gestürzt! Kommt schnell, er braucht Hilfe!“ Eigentlich war es verboten, Fremde ins Dorf zu bringen, um die Bekanntheit dieses Ortes auf seine Bewohner zu beschränken, doch Ishiko ließ nicht locker. Ich erkannte bei ihr die selbe wilde Entschlossenheit das Richtige zu tun, wie ich sie erst jetzt, viele Jahre später bei mir selbst wiederfinde. Wir schickten eine Gruppe Männer mit ihr zu der Unfallstelle und sie fanden den Mann neben seinem Flugzeug liegen, dessen Flügel zerbrochen war und dessen Rumpf einige schlimme Löcher abbekommen hatte. Der Pilot war bewusstlos und hatte einige Schrammen, sowie einen gebrochenen Arm. Zurück im Dorf, übernahm Ishiko selbst seine Behandlung und ich half ihr dabei. Es dauerte einen Tag, bis er wieder zu Bewusstsein kam und drei Tage, bis wir ihm erlaubten aufzustehen. Ich bemerkte schon damals, wie er meine Tochter ansah und war deshalb nicht überrascht, als sie mir und Hikari eines Tages eröffneten, dass sie sich liebten. Ich freute mich für meine Tochter, doch hegte ich Argwohn gegen den fremden Piloten. Es verging ein Jahr, in dem es Jack jedoch gelang, sich das Wohlwollen des Dorfes zu verdienen und schließlich gaben auch wir ihnen unseren Segen. Ein weiteres Jahr später starb Hikari und ich verließ mit den Kindern Japan und lebe seitdem in Jacks Heimatland England. Ein Poltern lässt mich zusammenzucken und beinahe lasse ich das Staubtuch fallen, als plötzlich Akiyama ins Zimmer gestürmt kommt. Er läuft so schnell, dass er beinahe über den Sessel stolpert und dann schliddernd zum Stehen kommt. Seine grünen Augen blitzen aufgeregt. „Hey, Oma, hör auf hier herumzustehen und Löcher in die Luft zu starren! Unten im Laden ist die Hölle los! So viele Touristen auf einmal hab ich noch nie gesehen.“ „Ist schon gut, ich komme gleich“, erwidere ich und kaum habe ich den Mund geschlossen ist Akiyama auch schon wieder auf und davon. Ich schmunzele, während ich das Staubtuch in die Küche bringe und mir die Hände unter dem weichen Wasserstrahl wasche. Diese Kinder. Sie sind alles, was mir von meiner kleinen Familie noch geblieben ist. Die süße Nyoko, die schüchtern und still ist, der freche Wirbelwind Akiyama, der seiner Zwillingsschwester so unähnlich ist, wie ein junger Hund einem Schmetterling. Und Yuki, der älteste der drei. Ich muss lächeln, weil ich daran denke, wie oft ich bei ihnen Eigenschaften wiederfinde, die auch Ishiko, Jack und Hikari besaßen. Auch wenn sie selbst nicht mehr bei mir sind, ganz verschwunden sind sie nicht. Jeder von ihnen hat mir ein Geschenk gemacht. Unsere gemeinsame Zeit, der Spaß, den wir hatten, und meine lieben Enkelkinder. „Ooooooooma!!!“, Akiyama kommt zurück und in die Küche gerauscht und muss sich am Türrahmen festhalten, um nicht auf dem Teppich weiter zu rutschen. „Oma, wo bleibst du denn? Da unten ist so ein komischer Mann, der will unbedingt das alte japanische Schwert kaufen und versucht die ganze Zeit den Preis runterzuhandeln! Wir brauchen deine Gerissenheit um das zu regeln!“ „Ich komme ja“, sage ich und Akiyama macht Anstalten, die Treppe wieder hinunterzurennen. „Und was heißt hier Gerissenheit?! Behandele deine neue Großmutter mit etwas mehr Respekt!“, rufe ich ihm streng hinterher und folge dem Jungen runter in den Laden. Ich bin so froh, dass ich die drei aus dem Waisenhaus geholt habe. Auf Dauer ist es hier im „Green Dragon“, voller alter Dinge aus der Heimat, ziemlich einsam geworden. Wieder muss ich lächeln, als ich die Kinder im Antiquitätengeschäft mit den Kunden reden sehe. Bestimmt würden sie es schaffen, das Geschäft auch ohne mich abzuwickeln, aber Akiyamas heftiges Gefuchtel und Gewinke treibt mich zu ihnen und ich setze mein Verkäuferinnengesicht auf. Allzu sehr werde ich den Preis nicht absenken. Das Schwert hat schließlich einmal Hikari gehört. 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