Spiegelbild von Namika (Ich bin du - George Weasley nach Freds Tod) ================================================================================ Kapitel 1: Für immer -------------------- Fred ist nicht tot. Ich habe neben seinem toten Körper gekniet, ich habe alle weinen sehen, ich war auf seiner Beerdigung. Aber Fred ist nicht tot und ich weiß das. Er ist bei mir, jeden Tag, wann immer ich will. Auch jetzt bin ich wieder bei ihm. „Morgen Fred.“ Fred trägt dasselbe wie ich, das zerwühlte Shirt, die dunkle Boxershorts und den müden Ausdruck im Gesicht. Wie sind beide gerade erst aufgestanden. Seine Haare sind genauso zerzaust und rot wie meine. Stumm starrt er mich aus dem Spiegel an. Fred antwortet nie, aber das ist nicht schlimm. Es ist okay, alles ist okay, solange er bei mir ist. „Ich hab von dir geträumt“, erkläre ich ihm. Er bewegt den Mund auch, aber er sagt nichts dazu. „Und von mir. Wir haben uns vor Snape versteckt, aber dann bist du irgendwie ausgerutscht und aus dem Fenster gefallen. Ich wollte dir hinterher springen, aber ich war wie gelähmt.“ Ich fahre mir durch die Haare. Die sind wieder lang gewachsen, damit man nicht sieht, dass mir ein Ohr fehlt. Natürlich fehlt meinem Fred kein Ohr, aber man sieht es nicht, da seine Haare genauso lang sind. Fred im Spiegel lächelt einen Moment, aber es sieht nicht glücklich aus. Eher müde. Vielleicht ist er müde, weil er nicht aus dem Spiegel rauskann. Weil er nicht mit mir reden kann und weil die anderen ihn nicht sehen. Ich verstehe nicht, warum niemand ihn sieht. Er ist doch direkt hier. „Warum fällst du in meinen Träumen immer, Fred? Und warum schaffe ich es nie zu springen?“ Ich habe keine Angst, wirklich nicht. Es wäre das Schönste zu springen. Aber ich kann es nicht, ich kann mich nicht bewegen, nie. Ich lehne meine Stirn an den Spiegel, natürlich macht Fred sofort das Gleiche. „Ich vermisse deine Stimme“, erkläre ich leise. Fred hat Tränen in den Augen. Ich würde sie gerne wegwischen, aber das kann ich natürlich nicht, weil er in dem Spiegel gefangen ist. „Wie du gelacht hast und meinen Namen gesagt hast, ich vermisse das.“ Natürlich kann ich mir immer vorstellen, was er gesagt hätte. Ich kenne ihn schließlich in- und auswendig, aber es wäre nicht das gleiche. Es wäre nur eine billige Kopie und das will ich nicht. „Komm doch bitte da raus.“ Fred sieht genauso verzweifelt aus, wie ich mich fühle. Er kann nicht rauskommen, ich weiß. Sonst würde er das sicher machen; Fred würde mich nie mit Absicht alleine lassen. Ich löse mich wieder von dem Spiegel und auch Fred stellt sich wieder gerade hin. Wir beide strecken uns und meine Schulter knackt. Dann verlasse ich das Schlafzimmer und Fred gleichzeitig seinen Platz im Spiegel. Trotzdem geht er immer neben mir her; nachdem ich alleine in unsere Wohnung zurück gekehrt bin, habe ich überall Spiegel aufgehangen. Er geht immer direkt neben mir, damit ich nicht alleine bin. Eigentlich will ich in die Küche gehen, aber als ich an der Tür bin, klopft es. „Komm schon, George, mach auf. Ich bin's; Lee.“ Ich sehe zu Fred und Fred sieht zu mir. „Sollen wir ihn reinlassen?“, frage ich. Wir haben ihn in letzter Zeit nie reingelassen. Wir haben niemanden reingelassen. Fred schüttelt nicht den Kopf, aber er nickt auch nicht. Ich weiß, was das bedeutet. Er will, dass ich entscheide. „Er will dich bestimmt auch sehen...“, murmle ich schließlich. Ich finde, Lee hat ein Recht, Fred auch zu sehen. Immerhin ist er unser bester Freund. Ich öffne die Tür und gehe dann weiter zur Küche. Hier sind auch überall Spiegel, damit Fred sich frei bewegen kann; trotzdem ist er immer da, wo ich auch bin. Ich setze mich an den Tisch und betrachte Fred im Spiegel am Kühlschrank. Er hat Augenringe und ist blasser als sonst. Man sieht seine Sommersprossen ziemlich deutlich. „Du siehst nicht gut aus, Freddie“, murmle ich und er lächelt zynisch. Bestimmt weiß er das selber. Deshalb muss ich auch lächeln, im gleichen Moment. Die Haustür knallt und Lee betritt die Küche. Kurz sieht er zu mir, dann zu Fred. Ich sehe ihn nur aus den Augenwinkeln an, dann sehe ich lieber auf den Spiegel. Das ist Freds Gefängnis. Dabei hat er gar nichts gemacht. Lee stellt eine Tüte mit Lebensmitteln auf den Tisch, eine ziemlich große. Sie verdeckt die Sicht. Gleichzeitig strecken mein Bruder und ich uns und schieben sie zur Seite, damit wir uns wieder sehen können. Bestimmt ist Fred genauso süchtig danach mich zu sehen, wie ich es danach bin ihn zu sehen. „Hallo George“, sagt Lee schließlich. Er klingt auch ein bisschen müde, seine Stimme ist ziemlich rau, aber er ist gefasster. Lee glaubt auch, dass Fred tot ist, deshalb erinnere ich ihn nicht daran, auch ihm hallo zu sagen. Trotzdem gucken Fred und ich ein wenig böse, weil er nicht von selber darauf gekommen ist. „Hallo Lee“, sage ich und beobachte, wie Fred den Mund genauso verzieht. Er will seinem besten Freund auch Hallo sagen. Aber niemand kann ihn hören. Das muss furchtbar für ihn sein, er redet gerne. Noch ein wenig lieber als ich früher. „George, sieh mich an.“ Lee hat einen Befehlston in der Stimme, der meinem Bruder und mir nicht gefällt. Trotzig verziehen wir die Augenbrauen. „Warum?“ „Du musst endlich die verdammten Spiegel abhängen“, erklärt Lee, statt meine Frage zu beantworten. Er versteht nicht, dass Fred darin ist. Ich kann Fred doch nicht wegwerfen. Das hier ist auch seine Wohnung, selbst wenn er nicht mehr in seinem Bett schlafen kann. „Das, was du da anstarrst, bist du, George. Nur du, dein Spiegelbild. Das ist nicht Fred!“ Lee klingt irgendwie sauer und enttäuscht und traurig und immer noch müde. Das ist eine ziemlich verworrene Mischung und klingt gar nicht nach ihm. Ich lege den Kopf schief und freue mich, dass Fred gleichzeitig denselben Gedanken hatte. Jetzt lächeln wir wieder und es sieht ein bisschen fröhlicher aus als vorhin. Aber Fred ist immer noch schrecklich blass. Ob er in seinem Spiegelgefängnis Fieber bekommen kann? „Ich wiederhole: Das. Ist. Nicht. Fred.“ Ich würde ihn gerne ignorieren, aber Lee stellt sich vor mich, so dass ich nur noch ihn sehe und nicht mehr Fred. „Fred liegt in einem Grab. Der Plaz neben ihm ist für dich reserviert. Bis dahin wirst du ihn nicht wieder sehen.“ Böse sehe ich zu Lee hoch, der die Arme verschränkt hat. Seine Haare sind unordentlicher als sonst und der bittere Zug um seinen Mund ist wohl auch neu. „Er ist hinter dir“, erwidere ich, weil ich weiß, dass ich Recht habe. Lee will es nur nicht glauben. „Hinter mir ist gar nichts außer einem deiner unzähligen Spiegel. Ich sollte ihn kaputt machen!“, entgegnet Lee hitzig. Ich hebe meine rechte Hand, die in einem Verband steckt. „Fred und ich haben das schon versucht, er kommt davon nicht raus. Er zerbricht nur in ganz viele Teile.“ Das war furchtbar, ich musste weinen, als ich nur noch Stücke von ihm gesehen habe. Ganz schnell bin ich ins Schlafzimmer gegangen, wo der größte Spiegel hängt, um mir zu versichern, dass er noch ganz und immer noch da ist. Die Scherben liegen immer noch im Bad, ich bringe es nicht über mich, sie wegzuwerfen. Auch, wenn sie nur einen kaputten Fred enthalten, es ist Fred. Lee setzt sich auf den Stuhl und vergräbt den Kopf in seinen Händen. Das finde ich gut, denn jetzt kann ich wieder ein Stück von Fred sehen. „Warum weinst du, Freddie?“, frage ich entsetzt, als ich realisiere, dass seine Augen ganz nass sind und ein paar Tränen auf seinen Wangen hängen. „Fred weint nicht“, entgegnet Lee kraftlos, obwohl ich gar nicht ihn gefragt habe, sondern meinen Bruder. „Du weinst.“ Ich fasse mir an die Wange und beobachte, wie Fred das Gleiche tut. Ziemlich perplex nicken wir. „Ja. Aber das überrascht mich nicht. Ich musste schon immer weinen, wenn Fred geweint hat.“ Es macht mich traurig, wenn er traurig ist, das ist wohl normal. Wenn ich weine, weint Fred schließlich auch. Lee seufzt und fährt sich mit der Hand über das Gesicht. Dabei weint er gar nicht, so wie Fred und ich. „Du bist nicht der Einzige, der jemanden verloren hat“, murmelt er und klingt so müde, dass ich ihm am liebsten mein Bett anbieten würde. Aber ich weiß, dass das eine andere Müdigkeit ist und, dass Schlafen nicht hilft. Ich habe das versucht. Die ersten Tage, nachdem Fred in die Spiegelwelt verschwunden ist, habe ich nur geschlafen, weil ich nicht wusste, dass er noch da ist. Ich habe wie alle anderen geglaubt, dass er tot ist. Als ich dann aufgewacht bin und in den Spiegel gesehen habe, da habe ich nicht mich gesehen. Da war Fred. Ich weiß das, ich kann uns nämlich unterscheiden. Seitdem ist er nicht mehr von meiner Seite gewichen. „Deine Mutter hat einen Sohn verloren. Deine Brüder haben einen Bruder verloren“, erklärt Lee. „Ich...ich habe meinen besten Freund verloren. Wir verstehen dich. Das fällt mir nicht leicht, George, das ist für alle hart. Und du machst es uns nicht einfacher.“ Ich verstehe nicht, was er meint. Fred ist doch noch hier. Und ich weiß nicht, wieso ich etwas härter mache. Ich mache doch gar nichts, ich verlasse nicht einmal unsere Wohnung. „Fred ist als Held gestorben, mit einem Lachen, als junger Mann. Genauso hätte er sterben wollen, das wissen wir beide. Und dir ist auch klar, dass er nicht wollen würde, dass du so...so wirst. Er würde wollen, dass du dein Leben für euch beide lebst.“ Fred weint nicht mehr, sondern er sieht sehr, sehr wütend aus. Vermutlich, weil Lee gesagt hat, dass Fred tot ist. Sogar, dass er so sterben wollte! Das macht mich auch wütend und wir beide springen ganz schnell auf. „Sag sowas nie wieder!“, fauche ich wütend und wieder synchron fegen Fred und ich mit einer Handbewegung die Tüte mit den Lebensmitteln, die Lee gebracht hat, vom Tisch. „Fred ist nicht tot, ich kann ihn doch sehen! Und er will nicht sterben, das sehe ich in seinem Gesicht! Und...und...“ Wir sind wieder in eine sitzende Position geplumpst, meine Stimme ist mitten im Satz abgebrochen und wir ziehen die Nase hoch. Ich hasse es, dass mir immer die Nase läuft, wenn ich weine. Aber bei Fred ist es auch so. „Und sag nie wieder, dass ihr das Gleiche durchmacht und, dass ihr es versteht. Niemand versteht das! Niemand hat sich verloren, niemand von euch. Fred war...ist...war...Nein, er ist meine andere Hälfte. Es war immer Fred und George, verstehst du? Niemand hat von Fred Weasley oder von George Weasley geredet, es gibt kein ich, es gibt nur uns. Und jetzt ist die andere Hälfte von mir dort gefangen und alle sagen mir, dass er tot ist, dabei kann ich ihn genau sehen...! Jetzt bin ich nur noch halb, ich bin nicht mehr ich, ich bin nicht mehr uns.“ Verzweifelt sehe ich Lee an und, obwohl ich nicht hinsehe, weiß ich, dass Fred das auch tut. Er ist genauso verzweifelt wie ich, denn auch er ist nur noch halb. „Ich bin niemand mehr, Lee. Ich bin gar nichts!“ Unser bester Freund sieht mich an und scheint wenigstens auch ein bisschen verzweifelt. Vielleicht hat er erkannt, dass er es wirklich nicht versteht. Denn das tut er nicht, er hat noch einen besten Freund. Aber mein Zwillingsbruder ist weg! Am liebsten würde ich auch in die Spiegelwelt gehen, aber ich weiß nicht wie. Ich habe schon darüber nachgedacht, mich einfach umzubringen, aber ich weiß nicht, ob das funktioniert. Was, wenn ich dann einfach sterbe und Fred in der Spiegelwelt alleine bleibt? Das könnte ich ihm nicht antun, niemand kann ihn sehen und niemand kann ihn rausholen. Deshalb muss ich hier bleiben, bei Fred bleiben. Obwohl er nicht ganz hier ist und ich ihn nicht hören oder spüren kann. Ich kann ihn sehen und das muss reichen. „George...“, flüstert Lee. „Fred!“, schreie ich zurück. Dann geht alles ziemlich schnell. Ich weiß nicht genau, ob es mehr Fred ist oder, ob mehr ich es bin, aber wir schmeißen Lee raus. Er ist zu müde und zu traurig, um sich zu wehren. Schnell haben wir die Haustür hinter ihm zugeknallt. Ich bin gar nicht richtig wütend, nur enttäuscht und traurig, weil er es nicht versteht und, weil er trotzdem meint, dass er sich einmischen könnte. Hastig laufen Fred und ich wieder ins Schlafzimmer, denn dort ist schließlich der größte Spiegel. Ich will ihm in die Arme fallen, aber ich kann nur meine Hände gegen das Glas pressen und meine Stirn, meine Nase. So viel von mir, wie es eben geht. Fred tut das Gleiche und wir versuchen uns so nahe wie möglich zu sein. Aber ich fühle mich immer noch, als wären Hunderte von Kilometern zwischen uns. Ganze Welten vielleicht. Das ist so falsch, das darf gar nicht sein. Als wir klein waren, hat Mum immer gesagt, niemand wird uns je trennen dürfen. Wieso kann ein blöder, alter Spiegel das dann? Wie kann er dann beide, Fred und mich, gleichzeitig gefangen halten? Ich bin hier gefangen, zusammen mit den Leuten, die mich nicht verstehen, in einer Welt, die mich nie verstehen wird. Der ich etwas vorspielen muss, sobald ich bereit dazu bin. Und mein Fred ist dort gefangen. Mein Fred, mein Bruder, mein Seelenverwandter, meine andere Hälfte. Fred, der alles für mich ist, alles, was zählt. Gefangen dort, wo ihn niemand erreichen kann. Er ist stumm, kann nichts fühlen, nichts schmecken, nichts hören. Wir sind beide allein und können das nicht ertragen. Fred lächelt ganz schwach. Ich glaube, er will mich ein bisschen aufmuntern, weil ich ziemlich doll heule und schluchze und immer wieder seinen Namen sage. Dabei macht er genau das Gleiche. „Georgie...“, es ist seine Stimme, aber sie kommt aus meinem Mund. Es ist sein Mund, der sich bewegt, aber auch meiner. Wir sind eins und doch berühren wir uns nicht einmal. „Ich liebe dich, Georgie. Für immer, okay? Niemand darf uns trennen. Niemand, niemand, niemand. Nie.“ Wir nicken und wir weinen und wir lächeln und wir lieben uns. Für immer, hat Fred gesagt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)