Carpe Mortem - Vom Glück, tot zu sein von Ixtli (Sommer-Wichtel 2010 für -Pan) ================================================================================ Tote leben länger ----------------- ~ Dieses Geschichtlein entstand für , und ihr ist es auch gewidmet. Das ursprüngliche Format enthielt ein paar Rahmen, die den Eindruck von Todesanzeigen vermitteln sollten. Leider musste ich darauf beim Hochladen hier verzichten - na ja, ganz habe ich nicht darauf verzichtet. ;D Viel Spaß beim Lesen. :) ~ _______________________________ Carpe Mortem - Vom Glück, tot zu sein _______________________________ Albert Seidler war wie man sich einen Bestatter eben so vorstellte. Ein höflicher junger Mann, etwas bleich um die schmale Nase, der seinen lebenden Mitmenschen gegenüber mit einer engelsgleichen Geduld gesegnet war. Was aber alles eher daher rührte, dass er die meiste Zeit in einem fensterlosen Büro saß, den anfallenden Papierkram erledigte und die Angehörigen der Verblichenen umsorgte. Denn was Albert von seinen übrigen Bestatterkollegen unterschied, war die Tatsache, dass er eigentlich gar nichts mit den Toten zu tun hatte. Oder: nicht mehr, seit er sich bei seiner ersten Leichenpräparation in den offenen Sarg übergeben hatte. Da hatte ihn sein Chef - der den stillen jungen Mann wirklich mochte - kurzerhand zum Sekretär ernannt. So könne sich Albert erst einmal aus der Ferne an die Toten gewöhnen, und die Arbeit war ebenso wichtig. Und weil Albert ein so vorzüglicher Sekretär war, beförderte ihn sein Chef bald schon zum Mädchen für Alles, was Alberts Tätigkeit auf sämtliche Bereiche des Bestattungsinstituts ausweitete. Bis auf die Sache mit den unvermeidlichen Leichen eben. Seitdem saß Albert in seinem Zimmerchen, tröstete die mal mehr und mal weniger weinende Verwandtschaft und beriet sie, in welchem Sarg ihre Liebsten am vorteilhaftesten in die Ewigkeit eingingen, während sich Zacharias Fröhlich mit seinen weniger sensiblen Gesellen um die Einsargungen und anschließenden Bestattungen kümmerte. Doch es gab etwas, wovon selbst Alberts Chef nichts ahnte, wenn er seinem Beruf bei einer Beerdigung nachging und den jungen Mann mit den Toten alleine im Bestattungsinstitut ließ. Der Sargdeckel klapperte im ängstlichen Takt von Alberts zitternden Händen, die ihn hochzuheben versuchten. Eine halbe Stunde lang war er um den braunen Sarg geschlichen, hatte ihn sich von allen fünf sichtbaren Seiten betrachtet und schließlich, bevor ihn der Mut wieder verließ, die messingfarbenen Flügelschrauben aufgedreht. Zwei Zentimeter hatte Albert den Deckel schon angehoben, so dass er bereits die weiße Spitze des Innenfutters erkennen konnte. Noch ein Zentimeter mehr. Die Spitze des dünnen Futters ging in glatten Stoff über. Ein Fingerbreit weiter und ein schwarzer, auf Hochglanz polierter Damenschuh, der unter dem Saum eines langen Kleides hervorlugte, wurde sichtbar. Nur noch ein kleines Stück... War das etwa schon der zweite Schuh? Alberts Knie wurden weich. In seinen Handflächen begann sich ein nasser Film zu bilden und der Holzdeckel drohte, seinen kraftlosen Armen zu entgleiten. Gleich darauf war es auch schon geschehen und mit einem lauten Knall schlug der Sargdeckel wieder zu. Ganz knapp hatte Albert seine Finger vor dem herabfallenden Deckel retten können. Am ganzen Leib zitternd stand Albert in sicherem Abstand zu dem Sarg da und ließ ihn nicht aus den Augen. Damit war der dritte Versuch auch gescheitert, dachte er verbittert. Wenigstens hatte er sich nicht wieder übergeben müssen, wie beim ersten und zweiten Mal. Ein verhaltenes Lächeln grub sich in Alberts Mundwinkel. Für ein Lächeln war es tatsächlich winzig, aber nicht weniger stolz auf die für seine ängstlichen Verhältnisse großartige Leistung, was Albert für einen Wimpernschlag lang den Rücken straffen ließ. Dann fielen ihm die noch offenen Flügelschrauben an dem Sarg ein und Alberts Schultern gaben sich augenblicklich wieder der Schwerkraft hin und sanken gleich seiner Stimmung. So leise, als könne er jemanden stören, schob Albert die Tür zu seinem kleinen Büro auf. Mit einem erleichterten Seufzer ließ er sich an seinem Schreibtisch nieder und bemühte sich, die Verstorbenen zu vergessen, die nur ein Stockwerk tiefer im Keller unter seinem Büro auf ihre Bestattung warteten. Hier oben fühlte er sich gleich um ein Vielfaches wohler. Es gab genügend Lampen, deren Licht nahezu jede Ecke in dem fensterlosen Raum beleuchteten, und vor allem gab es hier keine Särge, weder mit, noch ohne darin liegender Kundschaft. Geschäftig schob Albert ein paar Papiere auf dem Tisch vor sich auseinander und zog eine dünne, in vergriffenes Leder gebundene Mappe darunter hervor. Noch ein letztes Mal horchte er in die Stille, die einzig von dem leisen Ticken einer Wanduhr unterbrochen wurde, und vergewisserte sich, dass er auch tatsächlich alleine war. Von dem, was er in den Händen hielt, hatte sein Chef ebenso wenig Ahnung, wie von Alberts ganz eigener Art der Konfrontationstherapie. Als auch nach einer weiteren, verstrichenen Minute nichts als Stille um ihn herum herrschte, nahm Albert endlich ein unbeschriebenes Blatt Papier aus der Mappe und platzierte es vor sich auf der Tischplatte. Er griff nach dem Füllfederhalter, tauchte ihn in das daneben stehende Tintenglas und begann, das Blatt zu beschriften. Die Feder kratzte leicht über das Papier, während Albert in sorgfältiger Schrift einen tintenschwarzen Buchstaben an den nächsten reihte, bis das Blatt zur Hälfte beschrieben war. Er nahm sich ein neues, leeres Blatt und wiederholte sein Tun. Hochkonzentriert arbeitete Albert weiter, den Kopf über die Papiere gesenkt. Nur manchmal blickte er für einen Moment auf, sah nachdenklich in die Ferne durch die Mauern seines winzigen Büros hindurch, ehe er weiter schrieb. Es wurde immer später und - was Albert in seinem fensterlosen Zimmerchen nicht bemerkte - draußen versank bereits die Sonne am Horizont. Gerade hatte er eine besonders gute Passage erwischt und schrieb diese mit vor Eifer geröteten Wangen und flink über das Papier gleitender Feder nieder, als ihn eine Stimme aus den Gedanken riss und ihn vor Schreck den Füller aus der Hand fallen ließ. Ein wässrig schimmernder Tintentropfen spritzte aus der Feder und landete auf Alberts Unterlagen - mitten auf 'Balduin'. "Herr Fröhlich?", erklang es von der Tür her. "Oh, nein", murmelte Albert leise vor sich hin und betrachtete verärgert den glänzenden Tintenklecks, der das eben Geschriebene verunstaltete. Hektisch suchte er zwischen den Unterlagen nach dem Löschpapier und begann, damit den schwarzen Klecks aufzusaugen. Doch aus dem dicken Tropfen wurde lediglich ein flacher Fleck, der weiterhin den armen Balduin bedeckte. Albert blieb wohl nichts anderes übrig, als alles wieder neu zu schreiben. "Sind Sie Herr Fröhlich?", wiederholte unterdessen der unerwartete Besucher seine vorangegangene Frage und Albert sah endlich auf. Alles, was er erblickte, war ein schemenhafter Umriss, der sich kaum aus dem Dunkel der geöffneten Tür hervorhob. "Nein, tut mir leid, das Institut ist eigentlich schon geschlossen. Herr Fröhlich kommt erst morgen wieder." Albert kniff seine lichtblinden Augen ein wenig zusammen und versuchte, etwas in den Schatten des unbeleuchteten Flures zu erkennen. Wie unhöflich es von diesem Mann doch war, ein offensichtlich verschlossenes Haus zu betreten! Ja, er war sich ganz sicher, dass sein Chef die Vordertür abgeschlossen hatte, ehe er nach Hause gegangen war. Und um die Hintertür hatte sich Albert selbst gekümmert. Albert hielt die Luft an, als ihm das bewusst wurde. "Nun, dann werden Sie mir eben behilflich sein." Endlich löste sich die schattenhafte Gestalt aus ihrer düsteren Umgebung und trat in die hellen Lichtkegel, welche die Lampen in Alberts Büro auf den Boden warfen. Mit einem unwohlen Kribbeln im Magen sah Albert dem Fremden entgegen, der sich ihm mit aller Seelenruhe näherte. Seine Schritte verursachten dabei kaum Geräusche auf dem sonst knarrenden Parkett. Direkt vor Alberts Schreibtisch blieb der Mann schließlich stehen und sah auf den erschrocken dreinschauenden Sekretär hinab. Die eindringliche Musterung seiner Person ließ Albert noch ein Stück auf seinem Sitzplatz zusammensinken und darauf hoffen, irgendwo darunter verschwinden zu können. "Wa-was kann ich für Sie tun?", stotterte Albert verzagt. Statt einer Antwort knallte der Mann seine Faust auf die Tischplatte, die geschunden ächzte. Als er seine Hand wieder wegnahm lag ein zerknittertes Blatt Papier vor Albert auf dem Tisch. "Wer hat das geschrieben?" Die ruhige Stimme des Fremden bekam einen bedrohlichen Unterton, was auch zu der wütenden Falte passte, die sich zwischen seinen zusammengezogenen Augenbrauen gebildet hatte. Alberts Hand zitterte so stark, als er nach dem Zettel griff, dass er fürchtete, ihn zerrissen zu haben, noch ehe er ihn lesen konnte. Mühsam glättete er den Zeitungsausschnitt und las ihn durch. __________________________________________ Gustav Angermann * 02 .03 .18xx - † 13 .07 .19xx ~ Schmerzlich vermisst ~ Bestattungen Zacharias Fröhlich, Engegasse 3 __________________________________________ Albert musste einige Male schlucken, um überhaupt ein Wort aus seiner staubtrockenen Kehle hervorzubringen. "Ja, der Nachruf ist in der Tat von uns", antwortete er und bemühte sich, seiner Stimme einen festeren Klang zu geben, als es unter den kontrollierenden Blicken des fremden Mannes möglich schien. "Wer hat ihn verfasst?" "Das war ich." Albert besann sich seiner erlernten Aufgabe. Er setzte sich gerade hin und verschränkte die Hände locker vor sich auf der Tischplatte, wie er es bei jedem Gespräch mit einem Kunden tat. Es sollte den Eindruck vermitteln, dass seinem Gegenüber seine vollste Aufmerksamkeit gebührte und er sich ganz seiner Trauer hingeben konnte. Und er sollte wissen, dass er dafür bei Albert ein offenes Gehör finden würde. Doch der Mann vor ihm, war weit davon entfernt. Da lag keine Trauer auf dem schmalen Gesicht, nur etwas undefinierbares, lauerndes, das Alberts Unwohlsein verstärkte. "Stimmt etwas nicht mit dem Nachruf? Gab es einen Druckfehler?" Albert konnte sich auch getäuscht haben, aber er meinte, gerade einen Anflug von Belustigung im Gesicht des Mannes erkannt zu haben. Jedenfalls wirkte das minimale Zucken um seinen Mund so. "Wenn das der Fall ist, dann werden wir ihn selbstverständlich umgehend und ohne, dass Ihnen-" "Es dürfte ihn nicht geben", unterbrach der Fremde Alberts langatmige Erklärungsversuche. "Wen?", hakte Albert verblüfft nach. "Den Verstorbenen?" "Den Nachruf!" Das erste Mal seit seinem Erscheinen erhob der Mann seine Stimme. Die Heftigkeit, mit der der Unbekannte gesprochen hatte und der plötzliche Stimmungswechsel, ließen Albert unwillkürlich zusammenzucken. Er traute sich kaum noch, etwas zu sagen. Der Mann stützte sich mit beiden Händen auf der Tischplatte ab und beugte sich etwas zu dem Sekretär hinab. "Der alte Widerling hat alleine gelebt. Wahrscheinlich war das eine die Folge des anderen, nur wird das niemanden interessiert haben als er das Zeitliche segnete", zischte er wütend. "Wer sollte für dieses Ekel also einen Nachruf verfassen, nachdem jeder, der einmal mit ihm zu tun hatte, froh darüber sein wird, dass sich nun die Würmer durch sein Schandmaul fressen?! Dieses 'Schmerzlich vermisst' alleine ist schon pure Ironie." Albert räusperte sich. Was für eine Reaktion... Aber der Mann wäre nicht der erste Erbe, der unverhofft leer ausgegangen war und seinem Ärger im Bestattungsinstitut Luft machte. "Sind Sie ein Angehöriger oder Bekannter des Verstorbenen?", wagte es Albert schließlich, den Mann erneut anzusprechen. "Nein", kam die prompte Antwort, mit der Albert, wenn er ehrlich war, nicht gerechnet hatte. "Woher wissen Sie dann, dass er alleinstehend war?" Albert fand, dass das eine berechtigte Frage war. Sein Gegenüber irritierte sie allerdings. "Meine Mahlzeiten haben keine Verwandten, da achte ich pingelig darauf...", murmelte er kaum verständlich vor sich hin. Doch Albert hatte den Mann sehr wohl verstanden. Und trotzdem dachte er, sich verhört zu haben. "Mahlzeit?" Der Mann hob leicht die Schultern. "Na, wenn wir schon so weit sind... Meine Mahlzeit!" Den letzten Satz begleitete ein breites Lächeln, das - absichtlich oder nicht - die Zähne des Mannes entblößte, welche eigentlich recht ansehnlich waren; weiß und gerade. Nur eben mit dem Unterschied, dass zwei der oberen Eckzähne länger als üblicherweise nötig waren und spitz zuliefen. Schreiend fuhr Albert von seinem Sitzplatz auf und stolperte zur rückwärtig gelegenen Wand, um so viel Abstand wie möglich zwischen sich und den Fremden zu bekommen, der Albert, ohne sich zu rühren, belustigt bei seinem Fluchtversuch zusah. "Ich bevorzuge ja 'Cornelius' anstelle von 'Ohmeingotteinechtervampir'..." Albert presste sich so fest gegen die Wand, dass sich die Holzvertäfelung schmerzhaft in seinen Rücken drückte. Wie kam er hier bloß wieder raus? Seine gehetzten Blicke gingen zwischen Schreibtisch und Tür hin und her. Dieser Vampir stand genau dazwischen und blockierte seinen Fluchtweg. Es war aus mit ihm. Das war sicher. Dass der Mann tatsächlich ein Vampir war, daran zweifelte Albert kein bisschen. Morgen früh würde ihn sein Chef hier tot vorfinden, ohne einen einzigen Tropfen Blut im Leib. Dabei war er doch noch so jung! "Immer diese Panik." Cornelius seufzte gekünstelt und rollte die Augen theatralisch in Richtung Decke. "Ich habe für heute schon gespeist." Die Haare in Alberts Nacken stellten sich ängstlich auf und ein kalter Schauer überlief ihn. Was immer dieser Cornelius auch sagte, einem Vampir durfte man nicht glauben. Vermutete Albert. Zu Alberts Entsetzen verließ Cornelius nun seinen Platz vor dem Schreibtisch und schlenderte gemächlich zu Albert hin, der vor Schreck wie gelähmt dastand und ihm entgegen sah. Als Cornelius schließlich so dicht vor Albert stand, dass dieser den Atem des Vampirs auf seiner Haut fühlen konnte, hob er seine Hand und ergriff das Kinn des zitternden Sekretärs. "Hast du eigentlich noch Angehörige?" Albert spürte, wie seine Beine vor Angst nachzugeben drohten. Wenn ihm das passierte, dann war alles zu Ende, dachte er und zwang sich, so ruhig wie möglich zu bleiben. Cornelius' schraubzwingenartiger Griff ließ gerade noch so viel Freiraum zu, dass Albert nicken konnte. "Natürlich habe ich noch Verwandte. Eine ganze Menge sogar", presste Albert zwischen den Zähnen hervor. Augenblicklich löste Cornelius seine kühle Hand von Alberts Kinn, der seine Freiheit kaum fassen konnte. "Wie schade", säuselte Cornelius lächelnd und trat einen Schritt zurück, "da ich meine bereits erwähnten Prinzipien habe, bin ich wohl um ein Dessert gebracht worden." "Ja, scheint so", bestätigte Albert erleichtert. Ein Vampir war schon seltsam genug, aber dann noch einer mit Prinzipien. Das war fast schon etwas zu viel für einen normalen Sekretär wie ihn. Auch, wenn es ihm für den Augenblick wohl das Leben rettete. Cornelius lächelte wissend. Was für ein schamloser Lügner dieser Albert doch war... Albert blieb weiter eisern vor der Wand stehen, die ihm momentan den einzigen Halt bot. Hoffentlich hatte ihn Cornelius nicht durchschaut. Doch dessen Aufmerksamkeit lag bereits bei etwas anderem. "So, so, Albert Seidler..." Cornelius schlenderte gemächlich zum Schreibtisch zurück und tat, als interessierten ihn die Dinge, die darauf standen. "Wenn das Institut abends geschlossen ist, warum bist du dann noch hier?" "Nun, weil ich- weil ich-" Albert fühlte sich wie ein gejagtes und gestelltes Tier, das dem Jäger in die Öffnung seiner Flinte blickte. Nur dass der Jäger in eine völlig andere Richtung schaute. Spielte dieser Vampir mit ihm? Wenn ja, war es ein grausames Spiel und Albert musste, so lange er hier nicht wegkam, mitspielen und auf der Hut sein, wann es in Ernst umschlug. "Du hast meine Frage noch nicht beantwortet", bemerkte Cornelius. Albert hob leicht die Schultern. "Weil es etwas ist, das kaum jemand verstehen würde." "Ich habe alle Zeit der Welt." Cornelius lachte auf. "Erwartest du noch Kundschaft?" "Ich versuche mich an die, die schon hier ist, zu gewöhnen." Cornelius wartete darauf, dass Albert über seinen eigenen Witz zu lachen begann. Doch der stand mit der gleichen erstarrten Mimik vor ihm, wie er es schon die ganze Zeit über tat. "Du bist dabei, dich an deinen Beruf zu gewöhnen?" "Nein - nur an die Toten", erwiderte Albert kleinlaut. Offensichtlich irritiert schwankte Cornelius zwischen Lachen und Kopfschütteln und entschied sich schließlich für eine Kombination aus Beidem. "Wie soll ich das verstehen?" Ganz knapp konnte sich Albert das 'Habe ich es nicht gesagt...' verkneifen, das auf seiner Zunge lag. Der einzige, der das je verstanden hatte, war sein Chef gewesen. Er war allerdings auch der Einzige, der davon wusste. Das hoffte Albert jedenfalls. "Du bist also ein Bestatter, der nichts mit den Verstorbenen zu tun hat?", schloss Cornelius. "Ich würde es zwar ein wenig anders formulieren, aber, ja, genau das trifft es wohl..." Cornelius hatte aufgehört zu lachen. Albert machte ein so ernstes Gesicht, dass man meinen sollte, es passe hervorragend zu seinem Beruf. "Wie hältst du es hier mit all den Leichen aus?" Albert zögerte die Antwort einen Moment hinaus. Es war etwas, über das nicht einmal sein Chef Bescheid wusste. "Ich übe jeden Tag, schaue mir die Toten an, bis ich dann hoffentlich irgendwann keine Angst mehr vor ihnen habe." "Und wie weit bist du schon gekommen?" "Bis zu den Füßen", antwortete Albert beschämt aber ehrlich. Cornelius' Gesicht erhellte sich. "Das ist doch weit. Kein Grund, den Kopf so zu senken." "Ich fange bei den Füßen an." "Oh", war alles, was Cornelius dazu noch einfiel. Unzähligen Leuten war er im Laufe seines Unlebens so begegnet - den meisten davon nur einmal - aber dieser schüchterne Mann da vor ihm, übertraf sämtliche Menschen, denen Cornelius mit Genugtuung die Hälse perforiert hatte, selbst wenn sie ihn noch so angefleht hatten, sie zu verschonen. Mit Albert hatte er das erste Mal einen der wirklich seltenen, interessanten Personen vor sich. "Ich helfe dir", bot Cornelius großzügig an. "Helfen? Bei was? Und warum?" Albert schien die Freude des Vampirs nicht teilen zu wollen. Er rückte wieder zur Wand zurück und verfolgte misstrauisch jede noch so kleine Geste Cornelius'. "Ich komme viel herum und habe schon mehr Leichen gesehen, als hier auf dem Kirchhof liegen." Cornelius lächelte selbstgefällig. Was sollte das? Alles, was Albert wollte, war diesen Cornelius loszuwerden und dann so schnell wie möglich von hier weg zu kommen. Verständnislos starrte Albert den Mann an, der nun voller Enthusiasmus damit begann, von den Toten zu erzählen, die er gesehen hatte, und dabei kein noch so kleines, dafür aber um so grausiges Detail ausließ. "... aber richtig furchtbar sind die, die eine Weile im Wasser gelegen haben." "Ich kann's mir gut vorstellen. Leider..." Albert unterdrückte ein Würgen. "Daran wirst du dich schon gewöhnen. Und besser jetzt, als später." Cornelius lachte schallend und Albert konnte nicht anders, als beim Anblick der Eckzähne erneut zu erschauern. Er musste weg von hier. Nur wie? Sich verabschieden und zur Tür rausgehen fiel als Möglichkeit weg. "Könnten wir damit aufhören?" Albert presste seine Hände gegen die Brust, hinter der sein Herz heftig gegen die Rippen schlug. "Eine Hilfe ist das nämlich nicht." Zu Alberts Unmut hatte Cornelius gleich noch einen weiteren Vorschlag parat. "Dann zeig mir, wo ihr die Toten vorbereitet. Vielleicht ist es für dich am besten, direkt am Anschauungsobjekt zu üben." Sprachlos stand Albert vor Cornelius. "Sie sind im Keller", hauchte Albert schließlich atemlos vor Angst. Und da war sie - die nächste Zwickmühle aus der ausgerechnet Cornelius ihn unfreiwillig hinaus bugsierte, indem er seine Hand Richtung Tür schwenkte. "Gehen wir." Albert schüttelte ungläubig den Kopf, nickte aber schnell als Cornelius ihn schräg ansah. Steifen Schrittes setzte sich der Sekretär in Bewegung, an dem Vampir vorbei zur Tür hinaus. Die Odyssee durch die furchtbarste Nacht seines Lebens hatte gerade begonnen. Ende des ersten Teils Das Copyright der Story liegt alleine bei mir. Sie darf nicht - auch nicht in Teilen - ohne mein Wissen und schriftliche Zusage anderweitig veröffentlicht oder auf sonstige Weise verarbeitet werden. N.P. 11/2010 Siebzehn Stufen --------------- Den Vampir nicht aus den Augenwinkel lassend ging Albert durch den Flur. Die Leuchter an den Wänden warfen schummrige Kegel aus Licht auf Flur und Wand. Albert, der mit seinem Leben fast schon abgeschlossen hatte, stieg die Treppe in den Keller hinab. Unten angekommen, öffnete er die Holztür, die in den Raum führte, in dem sein Chef die Leichen vorbereitete, sie wusch, Wunden und andere nicht gerne gesehenen Verunstaltungen kaschierte, sie ankleidete und schließlich in ihre Särge bettete. Albert hasste diesen Raum. Es fasste alles, was sein Beruf beinhaltete und wovor er sich wirklich fürchtete, in einem einzigen Zimmer zusammen. Das grell-weiße Licht an der Decke flammte auf. Kalt erleuchtete es den karg möblierten Raum, in dessen Mitte eine Reihe mit Särgen aufgebaut war. Gemächlich schlenderte Cornelius zu den Särgen hin, während Albert im Türrahmen stehen blieb und dem Mann atemlos zusah. Dass er sich dazu hatte überreden lassen... Behutsam strichen Cornelius' Finger über den gewölbten Deckel. Er entdeckte die Schrauben an den Seiten und machte sich daran, eine zu öffnen. Trotz aller Bedenken verließ Albert nun seinen Platz an der Tür. Er trat an Cornelius heran und legte eine Hand auf den Sarg. "Das Öffnen und Schließen der Särge ist ausschließlich den Mitarbeitern unseres Instituts erlaubt." In Cornelius' Augen blitzte es belustigt auf. "So gesehen bin ich doch auch ein Mitarbeiter." Alberts Wangen verloren etwas von ihrer Blässe. "Ich finde, da gibt es einen kleinen Unterschied zu dem, was du tust und was wir tun", empörte er sich. "Du tötest die Leute." "Und sorge so für eure Arbeit. Aber bitte", Cornelius trat höflich beiseite. "Ich lasse dir gerne den Vortritt..." Erschrocken schnappte Albert nach Luft. "N-n-nein, danke", stammelte er und verzog sich wieder in Richtung Tür. "Na siehst du", triumphierte Cornelius. Geschwind öffnete er alle übrigen Schrauben und stemmte den Sargdeckel in die Höhe. Aus sicherer Entfernung beobachtete Albert unterdessen, wie Cornelius eine Weile stumm in den Sarg sah. Seine Mundwinkel bogen sich hinab. "Was - was ist denn damit?" Alberts Kehle war wie zugeschnürt. "Die ist nicht gut, um damit zu beginnen", murmelte Cornelius nur und ließ den Deckel wieder auf den Sarg sinken. Er wandte sich dem nächststehenden Sarg zu und begann das Prozedere von vorne. Flügelschrauben aufdrehen, Deckel hochklappen, reinschauen. Albert musste sich zwingen, ruhig zu atmen, während Cornelius wieder stumm da stand und abzuwägen schien, ob er den Anblick dem blassen Sekretär zutrauen konnte. Schließlich kam er zu einem Ergebnis. "Der hier ist in Ordnung. Du kannst gerne herkommen." "Oh, gütiger Gott", hauchte Albert kaum hörbar. "Ich weiß nicht, ob ich das will..." "Unfug!" Cornelius wedelte mit seiner freien Hand, als wolle er so Alberts Bedenken fortwischen, der darüber nachdachte, vor was er sich jetzt mehr fürchtete. Vor dem Toten oder vor dem Vampir. Vermutlich vor Beidem gleichermaßen. "Er tut dir nichts", witzelte Cornelius auf Alberts Kosten, der noch immer wie ein verschrecktes Reh am Türrahmen lehnte und sich nicht rührte. "Er ist anschaubar. Ganz und gar nicht schlimm zugerichtet", lockte Cornelius nun etwas ernster, als er merkte, dass er mit den zweideutigen Anspielungen keinen Erfolg hatte. Und dieses Mal wirkte es. Die Blicke gesenkt setzte sich Albert langsam in Bewegung und näherte sich mit staksigen Schritten dem geöffneten Sarg. Dass er überhaupt noch gehen konnte, war ein Wunder. Alberts Atem schien in seiner Brust festzustecken, die unter der Anspannung schmerzte. Wie gut, dass er mit seinen ängstlich verschwitzten und zittrigen Händen den Deckel nicht selbst halten musste. Cornelius hatte seine Blicke der Leiche der zugewandt und erzählte gerade etwas über diese. Doch Albert hörte ihm nicht zu. Er stand nun so nah am Sarg, dass er meinte, den unverkennbaren Geruch des Toten riechen zu können. Er wartete darauf, dass ihm wieder übel wurde, aber nichts dergleichen geschah. Cornelius' Anwesenheit war in der Tat beruhigend. Den Blick noch gesenkt, zählte Albert stumm in Gedanken. Bei Fünf würde er die Augen ganz öffnen und in den Sarg schauen. Eins - Von weit entfernt hörte er die Stimme des Vampirs, der den Toten wohl gekannt hatte, doch die Bedeutung seiner Worte versickerte in Alberts Gehörgang, bevor sie seine Gedanken erreichten. Wie Regen in lockerer Erde. Zwei - Albert hätte ihn gerne gefragt, ob er auch zu einer seiner Mahlzeiten gehört hatte, aber da war er schon bei Drei angelangt. Bei Vier nahmen Alberts Hände endlich wieder ihre fast normale Temperatur an und er spürte, wie sich seine Schultern und sein Nacken entspannten. Fünf. Albert öffnete die Augen und blickte direkt in das Gesicht des Toten. Cornelius hatte tatsächlich nicht gelogen. Hätte Albert es nicht besser gewusst, hätte man denken können, er schliefe. Einzig die bleiche, wie erhärtetes Kerzenwachs wirkende Haut und die seltsam gelöste Miene des Verstorbenen erinnerte daran, dass der Kreislauf seinen Dienst eingestellt hatte. Das Kinn des alten Mannes war ein wenig Richtung Brust gesunken. Das würde Herr Fröhlich wohl noch einmal korrigieren müssen. Bläuliche Flecken schimmerten unter der marmornen Haut und das erkaltete und erstarrte Blut war in die unteren Regionen abgesunken. Nichts an dem Toten war so schrecklich, wie Albert es sich ausgemalt hatte. Er musste sich auch nicht übergeben, dachte er und freute sich winzigen Moment lang. Er wollte es gerade Cornelius sagen, der noch immer vor sich hin redete, aber aus irgendeinem Grund verweigerten seine Lippen ihren Dienst. Mehr als ein erstickter Laut kam nicht aus seiner Kehle. "... schade, dass er starb", endete Cornelius seine Erzählung. Das leise Rascheln an seiner Seite ließ ihn das erste Mal aufblicken. Es kam von Albert, der ohnmächtig neben dem Vampir zu Boden sank. Cornelius ließ den Sargdeckel hinab. Stumm stand er eine Weile neben Albert und blickte nachdenklich auf den still Daliegenden hinab. Schließlich ging er neben dem Sekretär in die Knie und rüttelte leicht am Arm des Ohnmächtigen. Keine Reaktion. Die dunklen Wimpern, die seine Lider säumten, ruhten reglos auf den bleichen, sommersprossigen Wangen. Er hatte ihm wohl doch zu viel zugemutet. Cornelius schob einen Arm unter Alberts Nacken hindurch und hievte ihn in eine halb sitzende Position. "Albert?" Vorsichtig strich Cornelius dem Angesprochenen ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht und betastete dessen blasse Wange. Warm war sie, wie erwartet. Warm und weich, mit einem kleinen verschmierten Tintenfleck direkt unter dem Ohrläppchen. Neugierig beugte Cornelius seinen Kopf hinab. Natürlich nur um zu schauen, ob da noch einer war. Verdammt düster war es hier. Wie sollte er so etwas sehen können?! Er musste noch näher ran. Als seine Lippen Alberts Hals berührten, erschauerte Cornelius kurz. Trotz der Normalität, die diese Art seiner Nahrungsbeschaffung mit sich brachte, empfand er genau diesen Moment immer als etwas besonderes. Es war üblicherweise der Augenblick, kurz bevor er seine Zähne in das pochende Fleisch bohrte, um ihm so viel wie möglich von dem auszusaugen, was es am Leben hielt. Die winzige Schwelle zwischen Leben und Tod. Der Wimpernschlag, auf den das unwiderrufliche Ende folgte. Nicht immer hielten die Menschen still. Was man ihnen auch nicht verdenken konnte; sie wussten oft, was auf sie zukam. Meistens war es ein regelrechter Kampf, den Cornelius ausfechten musste, um an das Begehrte zu kommen, doch am Ende war stets er derjenige, der ihn für sich entschied. Mal mehr und mal weniger brutal. Doch Albert jetzt so still vor sich zu wissen, war auf eine Art reizvoll, die Cornelius sonst belächelte. Üblicherweise biss er keine Schlafenden oder Ohnmächtige. Das war etwas für Anfänger. Aber es war wert, wieder einmal darüber nachzudenken. Darüber, dass es jederzeit möglich war, dass er wieder zu sich kam. Cornelius' Zunge fuhr sachte über Alberts Hals, dem leichten, regelmäßigen Klopfen folgend, das durch die zarte Haut zu ihm drang. Was für eine Verschwendung, wenn er diesen Albert heute gehen lassen würde. Albert seufzte leise, als Cornelius seine Lippen öffneten und sich seine Zähne gegen seine Kehle drückten. Er hob die Hand, um das störende Objekt an seinem Hals wegzudrücken, doch seine Finger kamen nicht einmal in die Nähe davon, ehe sie gepackt und ihrerseits nun weggeschoben wurden. Alarmiert schlug Albert die Augen auf. Über sich sah er die Decke. Also lag er noch auf dem Boden. Aber der Winkel stimmte nicht. Statt der Lampe, die in der Mitte der Zimmerdecke hing, sah er den Übergang zur Wand. Und direkt vor sich, im unteren Drittel seines Sichtfeldes, erkannte er einen Haarschopf. Einen erschrockenen Laut von sich gebend, wand sich Albert in der Umarmung des Vampirs, der ihn eisern umklammert hielt. Panisch ruderte Albert mit den Armen, packte nach allem, was er gerade in die Finger kriegen konnte und riss daran. Unvermittelt ließ Cornelius von dem wild zappelnden Albert ab, der prompt nach hinten zu Boden fiel. Alberts Kopf schlug so fest auf dem harten Steinboden auf, dass er reglos liegen blieb und sich Cornelius beinahe sicher war, dass Albert wieder die Besinnung verloren haben musste. Doch Albert tat genau das Gegenteil. Er war schockiert, aber seine Sinne waren da. Jeder einzelne. Er konnte noch spüren, wo sich Cornelius' Zähne befunden haben mussten. Der leichte Druck hielt noch an. Zitternd betastete Albert die Stelle an seinem Hals, doch da war nichts als glatte Haut. Mühsam setzte sich Albert auf. Cornelius befand sich noch an der gleichen Stelle, wo er neben Albert in die Knie gegangen war und beobachtete jede Regung des Sekretärs. "Was hast du getan?", waren Alberts erste, entsetzte Worte. "Deinen Puls gefühlt." "Mit dem Mund?" Albert starrte den Mann vor sich an, der ihn möglichst unschuldig anblinzelte. "Ja, natürlich mit dem Mund", Cornelius zuckte lächelnd mit den Schultern. "Der Mund gehört schließlich zu den sensibelsten Körperstellen." Albert war zu verblüfft, um zu antworten. Er stand auf und ging zu einer Vitrine, um seinen Hals in der spiegelnden Glasscheibe zu begutachten. Er hatte sich nicht geirrt. Da waren tatsächlich keine Bissspuren zu sehen. Nichts. Nicht mal ein kleiner Kratzer. "Ich habe dir doch von meinen Prinzipien erzählt." Cornelius war aufgestanden und strich sich den Staub von den Knien. Seelenruhig ging er zu Albert hin, der ihm misstrauisch entgegen blickte und wohl abwägte, ob er floh oder blieb. Er blieb. Ein sanftes Lächeln bog Cornelius' Lippen nach oben. "Wenn du mich nicht belogen hast, Albert Seidler, dann hast du doch auch nichts zu befürchten, oder nicht?", erklärte er dem jungen Mann so ruhig, als hätte er mit diesem ein kleines Kind vor sich. Albert schluckte schwer. Himmel, konnten Vampire eigentlich auch Gedanken lesen? Hoffentlich nicht. "Richtig", log Albert. "Gut", Cornelius' Lächeln wurde breiter. "Sollen wir weitermachen?" Albert zuckte zusammen. Seine Hände bedeckten schützend seinen Hals. "Bloß nicht!" "Mit der Leichenbeschau", entgegnete Cornelius schmunzelnd. "Nein, danke. Davon bin ich vorerst auch kuriert." Albert schüttelte den Kopf, ohne dabei die Hände von seinem Hals zu nehmen. Jetzt stand er wieder vor dem gleichen Problem, wie zu Anfang, bei dem es nur eine Lösung gab. Cornelius loswerden. Oder zu Beginn: raus aus dem Keller. "Ich habe noch was zu tun", nuschelte Albert und blickte Cornelius dabei starr an, als könne er ihn durch pures Anstieren von seinen Worten überzeugen und ihn gleichzeitig von dem Zittern in seiner Stimme ablenken. "Wenn du nichts dagegen hast, komme ich mit", war die Antwort des Vampirs. Auf das 'wenn du nichts dagegen hast' erwartete er wohl keinen Widerspruch, denn er wandte sich in Richtung der Tür und machte ein paar Schritte darauf zu. Kurz bevor er den Raum verließ, blickte er sich nach Albert um, der noch immer vor der Vitrine stand. Albert seufzte. Wie vermutet hatte seine vorgeschobene Arbeit Cornelius nicht dazu gebracht, sich zu verabschieden. Albert setzte sich in Bewegung und folgte Cornelius die Treppe hinauf. Siebzehn Stufen hatte er Zeit, sich eine neue Taktik zurechtzulegen, um mit heiler Haut hier wegzukommen. Ende des zweiten Teils Unvergessen ----------- Siebzehn Stufen später standen sie im Erdgeschoss vor Alberts kleinem Büro. Höflich wartete Cornelius, bis sein Begleiter den Raum betreten hatte. Albert hätte vor Verzweiflung schreien können. Cornelius war ihm wie selbstverständlich gefolgt und Albert war zu feige gewesen, zu flüchten. Aber eigentlich ahnte er, dass genau das ohnehin vergeblich war. Jetzt saß er also wieder an seinem Schreibtisch und suchte nach seiner Schreibfeder. Die Tinte in dem eckigen Glas schwappte hin und her, als Albert versuchte, sie mit fahrigen Händen zu öffnen. Er tauchte die wiedergefundene Feder ein, strich die überflüssige Tinte ab und begann zu schreiben. Cornelius hatte unterdessen die Papiere entdeckt, die Albert verfasst hatte, als er in seinem Büro aufgetaucht war. Er hielt sich die Blätter näher vor die Augen und las laut vor, was darauf stand. Auf jedem Blatt stand ein anderer Name samt Geburts- und Todestag und einem kleinen, persönlichen Zusatz. "Tust du das für jeden?" Albert schüttelte kaum merklich mit dem Kopf. "Nur für diejenigen, für die es sonst niemand tut." Nachdenklich schürzte Cornelius die Lippen. "Deshalb hatte dieses alte Ekel auch einen Nachruf?!" "Ich finde es traurig, wenn jemand stirbt und niemand nimmt daran teil." Albert unterbrach sein Tun kurz, um die Feder wieder in das Tintenglas zu tauchen. "Wir hatten schon einige Beerdigungen, zu denen kein Mensch erschien, um Abschied von dem Toten zu nehmen." Cornelius beobachtete sein schreibendes Gegenüber. Nein, diesen Albert würde er ganz sicher nicht mehr einfach so gehen lassen... Still arbeitete Albert eine Weile weiter. "Hast du noch Verwandte?" "Wenn, dann erinnere ich mich nicht mehr an sie. Und sie sind sicher froh, wenn sie sich nicht mehr an mich erinnern müssen." Cornelius lachte heiser auf. "Was ist mit einem Grab?" "So ähnlich", wich Cornelius aus. "Ein richtiges mit Grabstein und dem ganzen Plunder nicht. Ich kann froh sein, dass sie mich nicht einfach irgendwo im Wald verscharrt haben. Und ich schätze, ich habe auch keinen Nachruf bekommen." Albert bekam Mitleid mit dem Mann, der neben ihm gegen die Tischkante gelehnt dastand und ihm über die Schulter sah. "Du hättest mir sicher einen geschrieben, oder?" Cornelius' lauernde Blicke ruhten auf Albert, dem sich wieder die Nackenhaare sträubten. "Vermutlich." "Was hättest du geschrieben?", hakte Cornelius interessiert nach. Albert hatte die Feder wieder niedergelegt. Bewegungslos saß er auf seinem Stuhl und sah vor sich auf die ganzen Papiere, die sich auf der Tischplatte türmten. Er saß hier im Beerdigungsinstitut in dem er als Bestatter angestellt war, ohne überhaupt etwas mit den Toten zu tun zu haben, schrieb Nachrufe auf Unbekannte und hatte Gesellschaft von einem Vampir. Die ersten Dinge waren nichts neues für ihn, aber bei dem letzten Punkt war er sich nicht sicher, wie er für ihn enden würde. Langsam wandte Albert den Kopf, bis er Cornelius im Augenwinkel erkennen konnte. "Wie ist das?" "Was?" "B-Blut zu trinken", stotterte Albert und senkte hastig die Blicke. Eigentlich fürchtete er sich vor der Antwort, doch seine Neugier war noch um einiges größer. "Wie ist es denn für dich, einen Apfel zu essen", fragte Cornelius Albert im Gegenzug. Albert lachte tonlos auf. "Du kannst doch Menschen nicht mit Äpfeln vergleichen!" "Doch", erwiderte Cornelius ruhig und ignorierte Alberts Lachen. "Menschen und Äpfel sind sich sogar sehr ähnlich." Tapfer drehte sich Albert zu Cornelius um und blickte ihn herausfordernd an. "Ich wollte eine ehrliche Antwort." "Sie war ehrlich", beharrte Cornelius. "Menschen schmecken so, wie sie gelebt haben. Manche nach Äpfeln, andere nach Birnen oder Orangen. Du schmeckst sicher nach Aprikosen." Albert blieb das Lachen förmlich in der Kehle stecken. "Wenn es also Unterschiede gibt - was hat dir am besten geschmeckt?" "Ach, da gibt es einige Situationen." "Welche denn?" Albert biss sich auf die Unterlippe. Ehe er darüber nachgedacht hatte, war ihm die Frage schon rausgerutscht. Und Cornelius schien nur darauf gewartet zu haben. "Davon hast du sicher keine Ahnung", erklärte er sanft. "Du bist ja noch eine Aprikose." Prompt färbten sich Alberts Wangen tief rot. Was für eine Unterstellung! Er war doch keine Aprikose! Was immer Cornelius damit auch gemeint hatte... Er zuckte zusammen, als Cornelius' kühle Finger über seine Wange hinab bis zu seinem Kinn strichen und sich darum schlossen. Widerstandslos hob Albert den Kopf, bis seine Blicke auf Cornelius' trafen. Es ging hier gar nicht um Obst. Alberts Zunge fuhr über seine trockenen Lippen. Im gleichen Moment wusste er, dass das ein Fehler gewesen war, denn Cornelius hatte es sofort wahrgenommen. Gebannt sah er auf Alberts Mund, wo gerade die rosa Spitze seiner Zunge blitzschnell zwischen den nun glänzenden Lippen verschwand. Cornelius' Fingernägel bohrten sich feste in Alberts vor Schreck wieder erbleichte Wangen. Der eiserne Griff des Vampirs, der sich schmerzhaft um sein Kinn schloss, ließ Albert kaum noch Bewegungsfreiheit. Cornelius' freie Hand grub sich unnachgiebig in Alberts Haar und riss ihn daran einige Zentimeter in die Höhe. Vermutlich reichte eine unbedachte Bewegung von ihm, um den Mann vor sich zu reizen. Ein Zucken und Cornelius würde ihm mit Leichtigkeit das Genick brechen, als wäre sein Hals ein Blumenstängel. Albert schloss kurz die Augen. Das Rauschen seines Blutes übertönte nun fast das Ticken der Wanduhr neben der Tür. "Musst du nicht wieder zurück?" Cornelius wirkte wie ein Schlafwandler. Seltsam entrückt und berauscht. "Bitte?" "Es ist fast Fünf und draußen wird es langsam hell." Alberts Kiefer schmerzte mit jedem Wort unter dem stetigen Druck der Vampirfinger, die seinen Kopf von zwei Seiten umschlossen. "Musst du nicht zurück in deine Gruft oder deinen Sarg oder was immer du auch hast?" Von einer Sekunde auf die andere war Cornelius wieder bei Sinnen. Er nahm einen tiefen Atemzug und hielt kurz inne. Seine Augen waren starr auf Albert gerichtet, lediglich sein lauernder Blick war einem entsetzten gewichen, nachdem er auf die Uhr gesehen hatte. Cornelius ließ von dem Sekretär ab und ging im Zimmer auf und ab. Fehlte eigentlich nur, dass er auch noch die Hände rang, dachte Albert bei sich. "Warum hast du mich nicht früher daran erinnert?", fuhr Cornelius Albert an. Albert rieb sich seinen schmerzenden Unterkiefer. "Ich dachte, du seist eine neue Art von Vampiren, die den Tag nicht mehr im Dunkeln verbringen müssten..." "Neue Art?", rief Cornelius spitz. Er konnte kaum glauben, was Albert da von sich gegeben hatte. "Denkst du etwa Vampire sind Vögel, von denen es unterschiedliche Arten gibt?" "Woher soll ich das wissen", entschuldigte sich Albert. "Du bist der erste, den ich getroffen habe." Jetzt rang Cornelius die Hände. "Leg dich doch einfach hier in einen Sarg", schlug Albert dem panisch im Kreis gehenden Vampir vor. "Bist du wahnsinnig?" Cornelius fuhr herum und funkelte Albert wütend an. "Was ist, wenn dein Chef mich findet?" Albert zuckte mit den Schultern. "Was soll er denken? Dass da ein Toter liegt, sonst nichts?!" Der Sekretär war aufgestanden und um den Schreibtisch herumgekommen. Schweigend sah er zu, wie Cornelius vor ihm auf und ab lief. Wie ein Tier in der Falle. Albert konnte sich ein winziges triumphierendes Schmunzeln nicht verkneifen. Das erste Mal seit Cornelius' Erscheinen fühlte er sich selbst in der Position des Überlegenen. Was nutzten diesem raubtierähnlichen Wesen nun seine scharfen Zähne? Vor Albert blieb Cornelius stehen. Stumm starrte er ihn an, als wisse er genau, was dieser gerade dachte. Seine Wangenknochen traten rhythmisch hervor und verschwanden, doch kein Wort kam über seine Lippen, als würde er das, was er Albert zu sagen hatte, hinunterschlucken. "Das hattest du von Anfang an vor", knurrte Cornelius schließlich. Die Stimme des Vampirs klang nun nicht mehr so sanft, verführerisch und lockend und seine Nasenflügel blähten sich unter den wütenden Atemzügen. Die Augen unbeweglich auf Albert gerichtet, schien er innerlich abzuwägen, ob er den Sekretär auf der Stelle zerreißen sollte. "Mein Angebot war ernst gemeint", entgegnete Albert ruhig. "Das würde dir so passen", fauchte Cornelius. "Was bleibt dir denn schon anderes übrig? Zu Staub zu zerfallen..." Cornelius ballte seine Hände zu Fäusten. Seine Kieferknochen mahlten wieder. "Na schön", hauchte er tonlos. Noch nie hatte sich Cornelius so unwohl gefühlt, wenn er in einen Sarg gestiegen war, wie jetzt. Der spitzenbespannte Baumwollstoff raschelte trocken als er sich hinlegte. Langsam senkte sich der Deckel auf sein Gefängnis hinab. Cornelius packte den Deckel und hielt ihn fest. Er blickte Albert einen Augenblick schweigend an, der sich über den Sarg gebeugt hatte. "Lässt du mich wieder raus?" Alberts Mund bog sich zu einem verständnisvollen Lächeln. "Natürlich. So ist es doch abgemacht. Ich habe auch so meine Prinzipien." Cornelius' Augen wurden zu zwei schmalen Schlitzen. "Du könntest mich auch einfach so loswerden..." Albert seufzte. "Ich habe die ganze Nacht mit dir verbracht, obwohl ich fürchten musste, als deine Mahlzeit zu enden." "Ja, das hätte passieren können." "Und warum hast du es nicht getan?" Cornelius nahm die Hand vom Sargdeckel. Kurz darauf herrschte vollkommene Finsternis um ihn herum. Er hörte das leise Quietschen der Flügelschrauben und wenig später Alberts sich entfernende Schritte. Jetzt war er alleine. Wer wusste, für wie lange. Albert gähnte müde als er sich an seinem Schreibtisch niederließ. Einen Moment lang dachte er an den Vampir, der nun unten in einem Sarg lag und darauf vertraute, dass Albert ihn am Abend wieder hinausließ. Albert griff nach der Schreibfeder und dem Tintenfässchen. Noch einen Nachruf hatte er zu schreiben, dann war seine Arbeit vorerst getan. "Guten Morgen, Albert." Albert schrak auf. Vor seinem Schreibtisch stand Zacharias Fröhlich und sah schmunzelnd auf den Sekretär hinab, der sich nun durch das zerzauste Haar strich. "Morgen", murmelte Albert schläfrig. Er war eingeschlafen. Am Schreibtisch. Wie viel Uhr war es? "Neun", antwortete sein Chef. Hatte er die Frage laut gestellt? Albert kratzte sich an der Stirn als könne er dahinter die Antwort finden. "Wie lange bist du schon hier?" Zacharias Fröhlich blickte sich auf dem Schreibtisch um, der vor beschriebenen Blättern förmlich überquoll. "Oh, eigentlich schon seit gestern." Albert schob die Papiere zusammen, steckte die Feder mit der eingetrockneten Tinte in ihr Etui und verschloss das Tintenfass. "Du warst die ganze Nacht hier?" Albert nickte peinlich berührt. "Es kam noch Kundschaft." "Hast du den Leichnam etwa alleine zurechtgemacht?" "So ähnlich", wich Albert seinem Chef aus, über dessen Gesicht nun ein stolzes Lächeln huschte. "Siehst du, ich habe immer gewusst, dass du das eines Tages schaffen wirst!" Zacharias Fröhlich lachte laut. Albert gähnte bloß ausgiebig. Wenn sein Chef nur wüsste, was er nicht wusste... "Geh nach Hause, Junge, du schläfst hier ja gleich wieder ein." Zacharias Fröhlich hatte die Arme in die Seiten gestemmt und schickte seinen Worten ein bekräftigendes Nicken hinterher. "Wenn du ausgeschlafen hast, kommst du wieder. Heute wird nicht viel los sein." "Das wird wohl das Beste sein." Albert erhob sich. Er schlurfte zur Garderobe und nahm seine Jacke vom Haken. Ohne einen weiteren Gedanken an den eingeschlossenen Cornelius zu verschwenden, verließ er das Bestattungsinstitut. Die Sonne ließ Albert draußen die müden Augen zusammenkneifen. Er tat einen tiefen Atemzug und machte sich auf den Heimweg. Wenig später lag Albert in seinem Bett und hatte sich die Decke über die Ohren gezogen. Er lag, das Gesicht zur Wand gedreht, da und sinnierte über einen Sonnenstrahl, der auf die vergilbte Tapete seines kleinen Zimmerchens fiel. Winzige Staubkörnchen tanzten fröhlich in dem hellen Strahl auf und ab. Was dieses nichtgreifbare Licht alles anstellen konnte?! Ihn störte es nur beim Einschlafen, aber Cornelius würde augenblicklich zu einem Häufchen Asche zerfallen. Als Albert wieder erwachte, war es in seinem Zimmer nahezu stockdunkel. Hektisch suchte er nach dem Schalter der Nachttischlampe und las gleich darauf ungläubig die Zeit vom Ziffernblatt seines Weckers ab. Das konnte nicht sein! Er hatte fast zwölf Stunden geschlafen? Albert sprang aus dem Bett und sammelte hastig seine Kleider ein, die davor verstreut lagen. Nach einer schnellen Katzenwäsche und dem ebenso schnellen Ankleiden machte er sich auf den Weg ins Bestattungsinstitut. Die Fenster des Instituts blickten dunkel in die Nacht hinaus. Natürlich war um diese späte Uhrzeit niemand mehr da. Wenn, dann war es meistens Albert, der als Letztes ging. Albert durchwühlte einen Blumentopf, der neben der Tür stand. Normalerweise stach ein Ersatzschlüssel in der Erde. Für alle Fälle. Siedendheiß war ihm auf dem Weg hierher eingefallen, wie leichtfertig er seinen Chef in Gefahr gebracht hatte. Im Keller lag, wenn auch in einem verschlossenen Sarg, ein Vampir. Am Tag war Zacharias Fröhlich ja sicher vor diesem, aber was, wenn er nach Einbruch der Dämmerung den Sarg geöffnet hatte? Albert grub nun mit beiden Händen die Erde in dem Blumentopf um. Endlich fand er den Schlüssel und schloss zitternd die Tür auf. "Herr Fröhlich?", rief Albert verzagt in den düsteren Flur. Seine Hand schwebte über dem Lichtschalter, ohne diesen zu betätigen. Wenn Cornelius nun seinen Chef - Alberts Magen drehte sich bei diesem Gedanken um - umgebracht hatte? Vielleicht lag er hier irgendwo im Flur. Auf der Flucht dahin gemetzelt von dem sicher hungrigen Cornelius. Und Albert war verantwortlich für den grausigen Tod des einzigen Menschen, der es je gut mit ihm gemeint hatte. Nun, wenn sein Chef denn tatsächlich ein Opfer des Vampirs geworden war, dann musste er sich auch seiner Schuld stellen. Das Licht flammte auf und zu Alberts Erleichterung traf nichts von dem, was er sich in seiner Fantasie ausgemalt hatte, ein. Die Lampen an den Wänden warfen wie üblich ihre gelben Lichtkegel auf den Boden des Flures, der sich leer vor ihm erstreckte. Wie dumm er doch war, dachte Albert. Wenn Cornelius seinen Chef getötet hatte, warum hätte er sich die Mühe machen sollen, die Tür wieder abzusperren? Vielleicht, um ihn zu linken? Aber dann hätte er ihn auch im Laufe der letzten Nacht schon beißen können... Albert schüttelte den Kopf über seine sich im Kreis drehenden Gedanken und folgte den Lichtern bis zur Treppe, die hinunter in den Keller führte. Zweimal war er sie in Begleitung von Cornelius hinabgestiegen. Und beide Male war er wieder lebend nach oben gekommen - im Gegensatz zu Cornelius. Der war in den Sarg gestiegen, ohne zu wissen, ob Albert ihn je wieder rauslassen würde. Und da stand er. Auf dem gleichen Platz wie heute morgen. Albert schlich zu dem hölzernen Sarg und horchte. Alles war still. Er könnte es jetzt einfach darauf beruhen lassen. Cornelius bekäme ein zweites Begräbnis und er selbst hätte seine Ruhe. "Dürfte ich jetzt bitte wieder hinaus?", tönte es dumpf aus dem Sarg vor Albert, der ertappt zusammenzuckte. Nachdenklich kaute Albert auf seiner Unterlippe. "Komm schon, ich weiß, dass du da bist." Albert beugte sich ein wenig vor, um besser zu hören, was im Innern des Sarges vor sich ging. "Hast du schon gegessen?" "Du scherzt!", blaffte Cornelius. "Herr Fröhlich lebt also?" Cornelius' Lachen klang hohl aus dem hölzernen Behältnis. "Er war zwar äußerst unverschämt, aber ja, ich habe ihn leben lassen..." Mit einer Erleichterung, die er schon lange nicht mehr verspürt hatte, hörte Cornelius wie die Flügelschrauben eine nach der anderen geöffnet wurden und sich der Sargdeckel hob. "Vielen Dank!", fauchte Cornelius und wurde gleich darauf von einem Hustenanfall unterbrochen. Ächzend setzte er sich auf. "Die Luft hier drinnen war ganz schön trocken." "Entschuldige, ich hatte verschlafen", nuschelte Albert. Er sah zu, wie Cornelius aus dem Sarg stieg und sich streckte. Ob er wohl jede Nacht so begann? Bevor... bevor er sich seine Mahlzeiten suchte. Unter Alberts vorsichtigen Blicken strich Cornelius seine Kleider glatt. "Er hat gesagt, so eine streng riechende Leiche hätte er noch nie vor sich gehabt." "Wer?", hakte Albert nach, beantwortete aber gleich selbst seine eigene Frage. "Mein Chef?" "Natürlich, dein Chef." Cornelius funkelte Albert verärgert an, der sich das Grinsen erfolglos zu verbeißen versuchte. "Und über meine altmodische Kleidung hat er sich lustig gemacht. Ich hätte ihn auf der Stelle beißen sollen!" Cornelius bleckte die Zähne und erinnerte Albert wieder daran, mit was für einem Wesen er es hier zu tun hatte. Aber der Vampir war beleidigt, statt zornig. "Du bist der trotteligste Nicht-Bestatter-Bestatter, der mir je über den Weg gelaufen ist, Albert Seidler." "Und du bist sicher auch nicht das hellste Exemplar deiner Gattung", erwiderte Albert nun seinerseits beleidigt. "Du hattest ausgesprochenes Glück, mich trotteligen Bestatter getroffen zu haben. Welcher Vampir vergisst schon, vor Morgengrauen seinen Sarg aufzusuchen?" Cornelius lächelte überheblich. "Das kommt daher, dass ich nachts in Ruhe zu speisen pflege, anstatt mir die Nacht mit meiner Mahlzeit um die Ohren zu schlagen." Albert horchte auf. Er sah dem Vampir nach, der um ihn herum schlich und wohl nur darauf wartete, dass er wieder panisch schreiend in eine Ecke des Zimmers lief. Doch den Gefallen würde ihm Albert nicht tun. Beharrlich hielt er Cornelius' lauernden Blicken stand. "Wetten, dass ich auch ein Apfel bin und keine Aprikose!?" Cornelius' angespannte Miene löste sich. Sein Lächeln wurde sanfter. "Diese Wette gehe ich ein, ganz egal, ob ich sie gewinne oder nicht." Tapfer straffte Albert die Schultern. Wenn Herr Fröhlich am nächsten Morgen das Bestattungsinstitut betrat, dann ohne, dass er jemals wieder Gefahr laufen musste, dort Opfer eines hungrigen Vampirs zu werden. Und wenn er dann irgendwann Alberts Schreibtisch ausräumen würde, dann fiele ihm auch der letzte Nachruf in die Hände, den Albert geschrieben hatte - und vielleicht stimmte ja das, was darauf stand. __________________________________________ Albert Seidler * 15 . 05 . 19xx - † 19 . 08 . 19xx ~ Unvergessen ~ __________________________________________ † E N D E † Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)