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Carpe Mortem - Vom Glück, tot zu sein

Sommer-Wichtel 2010 für -Pan
von

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Unvergessen

Siebzehn Stufen später standen sie im Erdgeschoss vor Alberts kleinem Büro. Höflich wartete Cornelius, bis sein Begleiter den Raum betreten hatte.

Albert hätte vor Verzweiflung schreien können. Cornelius war ihm wie selbstverständlich gefolgt und Albert war zu feige gewesen, zu flüchten. Aber eigentlich ahnte er, dass genau das ohnehin vergeblich war.
 

Jetzt saß er also wieder an seinem Schreibtisch und suchte nach seiner Schreibfeder. Die Tinte in dem eckigen Glas schwappte hin und her, als Albert versuchte, sie mit fahrigen Händen zu öffnen. Er tauchte die wiedergefundene Feder ein, strich die überflüssige Tinte ab und begann zu schreiben.
 

Cornelius hatte unterdessen die Papiere entdeckt, die Albert verfasst hatte, als er in seinem Büro aufgetaucht war. Er hielt sich die Blätter näher vor die Augen und las laut vor, was darauf stand. Auf jedem Blatt stand ein anderer Name samt Geburts- und Todestag und einem kleinen, persönlichen Zusatz.

"Tust du das für jeden?"

Albert schüttelte kaum merklich mit dem Kopf. "Nur für diejenigen, für die es sonst niemand tut."

Nachdenklich schürzte Cornelius die Lippen. "Deshalb hatte dieses alte Ekel auch einen Nachruf?!"

"Ich finde es traurig, wenn jemand stirbt und niemand nimmt daran teil." Albert unterbrach sein Tun kurz, um die Feder wieder in das Tintenglas zu tauchen. "Wir hatten schon einige Beerdigungen, zu denen kein Mensch erschien, um Abschied von dem Toten zu nehmen."

Cornelius beobachtete sein schreibendes Gegenüber. Nein, diesen Albert würde er ganz sicher nicht mehr einfach so gehen lassen...
 

Still arbeitete Albert eine Weile weiter. "Hast du noch Verwandte?"

"Wenn, dann erinnere ich mich nicht mehr an sie. Und sie sind sicher froh, wenn sie sich nicht mehr an mich erinnern müssen." Cornelius lachte heiser auf.

"Was ist mit einem Grab?"

"So ähnlich", wich Cornelius aus. "Ein richtiges mit Grabstein und dem ganzen Plunder nicht. Ich kann froh sein, dass sie mich nicht einfach irgendwo im Wald verscharrt haben. Und ich schätze, ich habe auch keinen Nachruf bekommen."

Albert bekam Mitleid mit dem Mann, der neben ihm gegen die Tischkante gelehnt dastand und ihm über die Schulter sah.

"Du hättest mir sicher einen geschrieben, oder?" Cornelius' lauernde Blicke ruhten auf Albert, dem sich wieder die Nackenhaare sträubten.

"Vermutlich."

"Was hättest du geschrieben?", hakte Cornelius interessiert nach.
 

Albert hatte die Feder wieder niedergelegt. Bewegungslos saß er auf seinem Stuhl und sah vor sich auf die ganzen Papiere, die sich auf der Tischplatte türmten. Er saß hier im Beerdigungsinstitut in dem er als Bestatter angestellt war, ohne überhaupt etwas mit den Toten zu tun zu haben, schrieb Nachrufe auf Unbekannte und hatte Gesellschaft von einem Vampir. Die ersten Dinge waren nichts neues für ihn, aber bei dem letzten Punkt war er sich nicht sicher, wie er für ihn enden würde.
 

Langsam wandte Albert den Kopf, bis er Cornelius im Augenwinkel erkennen konnte. "Wie ist das?"

"Was?"

"B-Blut zu trinken", stotterte Albert und senkte hastig die Blicke. Eigentlich fürchtete er sich vor der Antwort, doch seine Neugier war noch um einiges größer.

"Wie ist es denn für dich, einen Apfel zu essen", fragte Cornelius Albert im Gegenzug.

Albert lachte tonlos auf. "Du kannst doch Menschen nicht mit Äpfeln vergleichen!"

"Doch", erwiderte Cornelius ruhig und ignorierte Alberts Lachen. "Menschen und Äpfel sind sich sogar sehr ähnlich."

Tapfer drehte sich Albert zu Cornelius um und blickte ihn herausfordernd an. "Ich wollte eine ehrliche Antwort."

"Sie war ehrlich", beharrte Cornelius. "Menschen schmecken so, wie sie gelebt haben. Manche nach Äpfeln, andere nach Birnen oder Orangen. Du schmeckst sicher nach Aprikosen."
 

Albert blieb das Lachen förmlich in der Kehle stecken. "Wenn es also Unterschiede gibt - was hat dir am besten geschmeckt?"

"Ach, da gibt es einige Situationen."

"Welche denn?" Albert biss sich auf die Unterlippe. Ehe er darüber nachgedacht hatte, war ihm die Frage schon rausgerutscht. Und Cornelius schien nur darauf gewartet zu haben.

"Davon hast du sicher keine Ahnung", erklärte er sanft. "Du bist ja noch eine Aprikose."

Prompt färbten sich Alberts Wangen tief rot. Was für eine Unterstellung! Er war doch keine Aprikose! Was immer Cornelius damit auch gemeint hatte...

Er zuckte zusammen, als Cornelius' kühle Finger über seine Wange hinab bis zu seinem Kinn strichen und sich darum schlossen. Widerstandslos hob Albert den Kopf, bis seine Blicke auf Cornelius' trafen.

Es ging hier gar nicht um Obst.
 

Alberts Zunge fuhr über seine trockenen Lippen. Im gleichen Moment wusste er, dass das ein Fehler gewesen war, denn Cornelius hatte es sofort wahrgenommen. Gebannt sah er auf Alberts Mund, wo gerade die rosa Spitze seiner Zunge blitzschnell zwischen den nun glänzenden Lippen verschwand.

Cornelius' Fingernägel bohrten sich feste in Alberts vor Schreck wieder erbleichte Wangen. Der eiserne Griff des Vampirs, der sich schmerzhaft um sein Kinn schloss, ließ Albert kaum noch Bewegungsfreiheit. Cornelius' freie Hand grub sich unnachgiebig in Alberts Haar und riss ihn daran einige Zentimeter in die Höhe.

Vermutlich reichte eine unbedachte Bewegung von ihm, um den Mann vor sich zu reizen. Ein Zucken und Cornelius würde ihm mit Leichtigkeit das Genick brechen, als wäre sein Hals ein Blumenstängel.
 

Albert schloss kurz die Augen. Das Rauschen seines Blutes übertönte nun fast das Ticken der Wanduhr neben der Tür. "Musst du nicht wieder zurück?"

Cornelius wirkte wie ein Schlafwandler. Seltsam entrückt und berauscht. "Bitte?"

"Es ist fast Fünf und draußen wird es langsam hell." Alberts Kiefer schmerzte mit jedem Wort unter dem stetigen Druck der Vampirfinger, die seinen Kopf von zwei Seiten umschlossen. "Musst du nicht zurück in deine Gruft oder deinen Sarg oder was immer du auch hast?"

Von einer Sekunde auf die andere war Cornelius wieder bei Sinnen. Er nahm einen tiefen Atemzug und hielt kurz inne. Seine Augen waren starr auf Albert gerichtet, lediglich sein lauernder Blick war einem entsetzten gewichen, nachdem er auf die Uhr gesehen hatte. Cornelius ließ von dem Sekretär ab und ging im Zimmer auf und ab. Fehlte eigentlich nur, dass er auch noch die Hände rang, dachte Albert bei sich.
 

"Warum hast du mich nicht früher daran erinnert?", fuhr Cornelius Albert an.

Albert rieb sich seinen schmerzenden Unterkiefer. "Ich dachte, du seist eine neue Art von Vampiren, die den Tag nicht mehr im Dunkeln verbringen müssten..."

"Neue Art?", rief Cornelius spitz. Er konnte kaum glauben, was Albert da von sich gegeben hatte. "Denkst du etwa Vampire sind Vögel, von denen es unterschiedliche Arten gibt?"

"Woher soll ich das wissen", entschuldigte sich Albert. "Du bist der erste, den ich getroffen habe."

Jetzt rang Cornelius die Hände.

"Leg dich doch einfach hier in einen Sarg", schlug Albert dem panisch im Kreis gehenden Vampir vor.

"Bist du wahnsinnig?" Cornelius fuhr herum und funkelte Albert wütend an. "Was ist, wenn dein Chef mich findet?"

Albert zuckte mit den Schultern. "Was soll er denken? Dass da ein Toter liegt, sonst nichts?!"
 

Der Sekretär war aufgestanden und um den Schreibtisch herumgekommen. Schweigend sah er zu, wie Cornelius vor ihm auf und ab lief. Wie ein Tier in der Falle. Albert konnte sich ein winziges triumphierendes Schmunzeln nicht verkneifen. Das erste Mal seit Cornelius' Erscheinen fühlte er sich selbst in der Position des Überlegenen. Was nutzten diesem raubtierähnlichen Wesen nun seine scharfen Zähne?

Vor Albert blieb Cornelius stehen. Stumm starrte er ihn an, als wisse er genau, was dieser gerade dachte. Seine Wangenknochen traten rhythmisch hervor und verschwanden, doch kein Wort kam über seine Lippen, als würde er das, was er Albert zu sagen hatte, hinunterschlucken.
 

"Das hattest du von Anfang an vor", knurrte Cornelius schließlich. Die Stimme des Vampirs klang nun nicht mehr so sanft, verführerisch und lockend und seine Nasenflügel blähten sich unter den wütenden Atemzügen. Die Augen unbeweglich auf Albert gerichtet, schien er innerlich abzuwägen, ob er den Sekretär auf der Stelle zerreißen sollte.

"Mein Angebot war ernst gemeint", entgegnete Albert ruhig.

"Das würde dir so passen", fauchte Cornelius.

"Was bleibt dir denn schon anderes übrig? Zu Staub zu zerfallen..."

Cornelius ballte seine Hände zu Fäusten. Seine Kieferknochen mahlten wieder. "Na schön", hauchte er tonlos.
 

Noch nie hatte sich Cornelius so unwohl gefühlt, wenn er in einen Sarg gestiegen war, wie jetzt. Der spitzenbespannte Baumwollstoff raschelte trocken als er sich hinlegte. Langsam senkte sich der Deckel auf sein Gefängnis hinab.

Cornelius packte den Deckel und hielt ihn fest. Er blickte Albert einen Augenblick schweigend an, der sich über den Sarg gebeugt hatte.

"Lässt du mich wieder raus?"

Alberts Mund bog sich zu einem verständnisvollen Lächeln. "Natürlich. So ist es doch abgemacht. Ich habe auch so meine Prinzipien."
 

Cornelius' Augen wurden zu zwei schmalen Schlitzen. "Du könntest mich auch einfach so loswerden..."

Albert seufzte. "Ich habe die ganze Nacht mit dir verbracht, obwohl ich fürchten musste, als deine Mahlzeit zu enden."

"Ja, das hätte passieren können."

"Und warum hast du es nicht getan?"

Cornelius nahm die Hand vom Sargdeckel. Kurz darauf herrschte vollkommene Finsternis um ihn herum. Er hörte das leise Quietschen der Flügelschrauben und wenig später Alberts sich entfernende Schritte. Jetzt war er alleine. Wer wusste, für wie lange.
 

Albert gähnte müde als er sich an seinem Schreibtisch niederließ. Einen Moment lang dachte er an den Vampir, der nun unten in einem Sarg lag und darauf vertraute, dass Albert ihn am Abend wieder hinausließ.

Albert griff nach der Schreibfeder und dem Tintenfässchen. Noch einen Nachruf hatte er zu schreiben, dann war seine Arbeit vorerst getan.
 


 

"Guten Morgen, Albert."

Albert schrak auf. Vor seinem Schreibtisch stand Zacharias Fröhlich und sah schmunzelnd auf den Sekretär hinab, der sich nun durch das zerzauste Haar strich.

"Morgen", murmelte Albert schläfrig. Er war eingeschlafen. Am Schreibtisch. Wie viel Uhr war es?

"Neun", antwortete sein Chef.

Hatte er die Frage laut gestellt? Albert kratzte sich an der Stirn als könne er dahinter die Antwort finden.

"Wie lange bist du schon hier?" Zacharias Fröhlich blickte sich auf dem Schreibtisch um, der vor beschriebenen Blättern förmlich überquoll.

"Oh, eigentlich schon seit gestern." Albert schob die Papiere zusammen, steckte die Feder mit der eingetrockneten Tinte in ihr Etui und verschloss das Tintenfass.

"Du warst die ganze Nacht hier?"

Albert nickte peinlich berührt. "Es kam noch Kundschaft."

"Hast du den Leichnam etwa alleine zurechtgemacht?"

"So ähnlich", wich Albert seinem Chef aus, über dessen Gesicht nun ein stolzes Lächeln huschte.

"Siehst du, ich habe immer gewusst, dass du das eines Tages schaffen wirst!" Zacharias Fröhlich lachte laut.

Albert gähnte bloß ausgiebig. Wenn sein Chef nur wüsste, was er nicht wusste...
 

"Geh nach Hause, Junge, du schläfst hier ja gleich wieder ein." Zacharias Fröhlich hatte die Arme in die Seiten gestemmt und schickte seinen Worten ein bekräftigendes Nicken hinterher. "Wenn du ausgeschlafen hast, kommst du wieder. Heute wird nicht viel los sein."

"Das wird wohl das Beste sein." Albert erhob sich. Er schlurfte zur Garderobe und nahm seine Jacke vom Haken. Ohne einen weiteren Gedanken an den eingeschlossenen Cornelius zu verschwenden, verließ er das Bestattungsinstitut.

Die Sonne ließ Albert draußen die müden Augen zusammenkneifen. Er tat einen tiefen Atemzug und machte sich auf den Heimweg.
 


 

Wenig später lag Albert in seinem Bett und hatte sich die Decke über die Ohren gezogen. Er lag, das Gesicht zur Wand gedreht, da und sinnierte über einen Sonnenstrahl, der auf die vergilbte Tapete seines kleinen Zimmerchens fiel. Winzige Staubkörnchen tanzten fröhlich in dem hellen Strahl auf und ab. Was dieses nichtgreifbare Licht alles anstellen konnte?! Ihn störte es nur beim Einschlafen, aber Cornelius würde augenblicklich zu einem Häufchen Asche zerfallen.
 

Als Albert wieder erwachte, war es in seinem Zimmer nahezu stockdunkel. Hektisch suchte er nach dem Schalter der Nachttischlampe und las gleich darauf ungläubig die Zeit vom Ziffernblatt seines Weckers ab. Das konnte nicht sein! Er hatte fast zwölf Stunden geschlafen?

Albert sprang aus dem Bett und sammelte hastig seine Kleider ein, die davor verstreut lagen.

Nach einer schnellen Katzenwäsche und dem ebenso schnellen Ankleiden machte er sich auf den Weg ins Bestattungsinstitut.
 


 

Die Fenster des Instituts blickten dunkel in die Nacht hinaus. Natürlich war um diese späte Uhrzeit niemand mehr da. Wenn, dann war es meistens Albert, der als Letztes ging.

Albert durchwühlte einen Blumentopf, der neben der Tür stand. Normalerweise stach ein Ersatzschlüssel in der Erde. Für alle Fälle.

Siedendheiß war ihm auf dem Weg hierher eingefallen, wie leichtfertig er seinen Chef in Gefahr gebracht hatte. Im Keller lag, wenn auch in einem verschlossenen Sarg, ein Vampir. Am Tag war Zacharias Fröhlich ja sicher vor diesem, aber was, wenn er nach Einbruch der Dämmerung den Sarg geöffnet hatte?

Albert grub nun mit beiden Händen die Erde in dem Blumentopf um. Endlich fand er den Schlüssel und schloss zitternd die Tür auf.
 

"Herr Fröhlich?", rief Albert verzagt in den düsteren Flur. Seine Hand schwebte über dem Lichtschalter, ohne diesen zu betätigen.

Wenn Cornelius nun seinen Chef - Alberts Magen drehte sich bei diesem Gedanken um - umgebracht hatte? Vielleicht lag er hier irgendwo im Flur. Auf der Flucht dahin gemetzelt von dem sicher hungrigen Cornelius. Und Albert war verantwortlich für den grausigen Tod des einzigen Menschen, der es je gut mit ihm gemeint hatte. Nun, wenn sein Chef denn tatsächlich ein Opfer des Vampirs geworden war, dann musste er sich auch seiner Schuld stellen.

Das Licht flammte auf und zu Alberts Erleichterung traf nichts von dem, was er sich in seiner Fantasie ausgemalt hatte, ein. Die Lampen an den Wänden warfen wie üblich ihre gelben Lichtkegel auf den Boden des Flures, der sich leer vor ihm erstreckte.
 

Wie dumm er doch war, dachte Albert. Wenn Cornelius seinen Chef getötet hatte, warum hätte er sich die Mühe machen sollen, die Tür wieder abzusperren? Vielleicht, um ihn zu linken? Aber dann hätte er ihn auch im Laufe der letzten Nacht schon beißen können...

Albert schüttelte den Kopf über seine sich im Kreis drehenden Gedanken und folgte den Lichtern bis zur Treppe, die hinunter in den Keller führte.

Zweimal war er sie in Begleitung von Cornelius hinabgestiegen. Und beide Male war er wieder lebend nach oben gekommen - im Gegensatz zu Cornelius. Der war in den Sarg gestiegen, ohne zu wissen, ob Albert ihn je wieder rauslassen würde.

Und da stand er. Auf dem gleichen Platz wie heute morgen.
 

Albert schlich zu dem hölzernen Sarg und horchte. Alles war still. Er könnte es jetzt einfach darauf beruhen lassen. Cornelius bekäme ein zweites Begräbnis und er selbst hätte seine Ruhe.

"Dürfte ich jetzt bitte wieder hinaus?", tönte es dumpf aus dem Sarg vor Albert, der ertappt zusammenzuckte.

Nachdenklich kaute Albert auf seiner Unterlippe.

"Komm schon, ich weiß, dass du da bist."

Albert beugte sich ein wenig vor, um besser zu hören, was im Innern des Sarges vor sich ging. "Hast du schon gegessen?"

"Du scherzt!", blaffte Cornelius.

"Herr Fröhlich lebt also?"

Cornelius' Lachen klang hohl aus dem hölzernen Behältnis. "Er war zwar äußerst unverschämt, aber ja, ich habe ihn leben lassen..."

Mit einer Erleichterung, die er schon lange nicht mehr verspürt hatte, hörte Cornelius wie die Flügelschrauben eine nach der anderen geöffnet wurden und sich der Sargdeckel hob.

"Vielen Dank!", fauchte Cornelius und wurde gleich darauf von einem Hustenanfall unterbrochen. Ächzend setzte er sich auf. "Die Luft hier drinnen war ganz schön trocken."

"Entschuldige, ich hatte verschlafen", nuschelte Albert. Er sah zu, wie Cornelius aus dem Sarg stieg und sich streckte. Ob er wohl jede Nacht so begann? Bevor... bevor er sich seine Mahlzeiten suchte.
 

Unter Alberts vorsichtigen Blicken strich Cornelius seine Kleider glatt.

"Er hat gesagt, so eine streng riechende Leiche hätte er noch nie vor sich gehabt."

"Wer?", hakte Albert nach, beantwortete aber gleich selbst seine eigene Frage. "Mein Chef?"

"Natürlich, dein Chef." Cornelius funkelte Albert verärgert an, der sich das Grinsen erfolglos zu verbeißen versuchte.

"Und über meine altmodische Kleidung hat er sich lustig gemacht. Ich hätte ihn auf der Stelle beißen sollen!" Cornelius bleckte die Zähne und erinnerte Albert wieder daran, mit was für einem Wesen er es hier zu tun hatte. Aber der Vampir war beleidigt, statt zornig.
 

"Du bist der trotteligste Nicht-Bestatter-Bestatter, der mir je über den Weg gelaufen ist, Albert Seidler."

"Und du bist sicher auch nicht das hellste Exemplar deiner Gattung", erwiderte Albert nun seinerseits beleidigt. "Du hattest ausgesprochenes Glück, mich trotteligen Bestatter getroffen zu haben. Welcher Vampir vergisst schon, vor Morgengrauen seinen Sarg aufzusuchen?"

Cornelius lächelte überheblich. "Das kommt daher, dass ich nachts in Ruhe zu speisen pflege, anstatt mir die Nacht mit meiner Mahlzeit um die Ohren zu schlagen."
 

Albert horchte auf. Er sah dem Vampir nach, der um ihn herum schlich und wohl nur darauf wartete, dass er wieder panisch schreiend in eine Ecke des Zimmers lief. Doch den Gefallen würde ihm Albert nicht tun. Beharrlich hielt er Cornelius' lauernden Blicken stand.

"Wetten, dass ich auch ein Apfel bin und keine Aprikose!?"

Cornelius' angespannte Miene löste sich. Sein Lächeln wurde sanfter. "Diese Wette gehe ich ein, ganz egal, ob ich sie gewinne oder nicht."
 

Tapfer straffte Albert die Schultern. Wenn Herr Fröhlich am nächsten Morgen das Bestattungsinstitut betrat, dann ohne, dass er jemals wieder Gefahr laufen musste, dort Opfer eines hungrigen Vampirs zu werden. Und wenn er dann irgendwann Alberts Schreibtisch ausräumen würde, dann fiele ihm auch der letzte Nachruf in die Hände, den Albert geschrieben hatte - und vielleicht stimmte ja das, was darauf stand.
 


 

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Albert Seidler

* 15 . 05 . 19xx - † 19 . 08 . 19xx

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Unvergessen

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† E N D E †


 



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