Carpe Mortem - Vom Glück, tot zu sein von Ixtli (Sommer-Wichtel 2010 für -Pan) ================================================================================ Tote leben länger ----------------- ~ Dieses Geschichtlein entstand für , und ihr ist es auch gewidmet. Das ursprüngliche Format enthielt ein paar Rahmen, die den Eindruck von Todesanzeigen vermitteln sollten. Leider musste ich darauf beim Hochladen hier verzichten - na ja, ganz habe ich nicht darauf verzichtet. ;D Viel Spaß beim Lesen. :) ~ _______________________________ Carpe Mortem - Vom Glück, tot zu sein _______________________________ Albert Seidler war wie man sich einen Bestatter eben so vorstellte. Ein höflicher junger Mann, etwas bleich um die schmale Nase, der seinen lebenden Mitmenschen gegenüber mit einer engelsgleichen Geduld gesegnet war. Was aber alles eher daher rührte, dass er die meiste Zeit in einem fensterlosen Büro saß, den anfallenden Papierkram erledigte und die Angehörigen der Verblichenen umsorgte. Denn was Albert von seinen übrigen Bestatterkollegen unterschied, war die Tatsache, dass er eigentlich gar nichts mit den Toten zu tun hatte. Oder: nicht mehr, seit er sich bei seiner ersten Leichenpräparation in den offenen Sarg übergeben hatte. Da hatte ihn sein Chef - der den stillen jungen Mann wirklich mochte - kurzerhand zum Sekretär ernannt. So könne sich Albert erst einmal aus der Ferne an die Toten gewöhnen, und die Arbeit war ebenso wichtig. Und weil Albert ein so vorzüglicher Sekretär war, beförderte ihn sein Chef bald schon zum Mädchen für Alles, was Alberts Tätigkeit auf sämtliche Bereiche des Bestattungsinstituts ausweitete. Bis auf die Sache mit den unvermeidlichen Leichen eben. Seitdem saß Albert in seinem Zimmerchen, tröstete die mal mehr und mal weniger weinende Verwandtschaft und beriet sie, in welchem Sarg ihre Liebsten am vorteilhaftesten in die Ewigkeit eingingen, während sich Zacharias Fröhlich mit seinen weniger sensiblen Gesellen um die Einsargungen und anschließenden Bestattungen kümmerte. Doch es gab etwas, wovon selbst Alberts Chef nichts ahnte, wenn er seinem Beruf bei einer Beerdigung nachging und den jungen Mann mit den Toten alleine im Bestattungsinstitut ließ. Der Sargdeckel klapperte im ängstlichen Takt von Alberts zitternden Händen, die ihn hochzuheben versuchten. Eine halbe Stunde lang war er um den braunen Sarg geschlichen, hatte ihn sich von allen fünf sichtbaren Seiten betrachtet und schließlich, bevor ihn der Mut wieder verließ, die messingfarbenen Flügelschrauben aufgedreht. Zwei Zentimeter hatte Albert den Deckel schon angehoben, so dass er bereits die weiße Spitze des Innenfutters erkennen konnte. Noch ein Zentimeter mehr. Die Spitze des dünnen Futters ging in glatten Stoff über. Ein Fingerbreit weiter und ein schwarzer, auf Hochglanz polierter Damenschuh, der unter dem Saum eines langen Kleides hervorlugte, wurde sichtbar. Nur noch ein kleines Stück... War das etwa schon der zweite Schuh? Alberts Knie wurden weich. In seinen Handflächen begann sich ein nasser Film zu bilden und der Holzdeckel drohte, seinen kraftlosen Armen zu entgleiten. Gleich darauf war es auch schon geschehen und mit einem lauten Knall schlug der Sargdeckel wieder zu. Ganz knapp hatte Albert seine Finger vor dem herabfallenden Deckel retten können. Am ganzen Leib zitternd stand Albert in sicherem Abstand zu dem Sarg da und ließ ihn nicht aus den Augen. Damit war der dritte Versuch auch gescheitert, dachte er verbittert. Wenigstens hatte er sich nicht wieder übergeben müssen, wie beim ersten und zweiten Mal. Ein verhaltenes Lächeln grub sich in Alberts Mundwinkel. Für ein Lächeln war es tatsächlich winzig, aber nicht weniger stolz auf die für seine ängstlichen Verhältnisse großartige Leistung, was Albert für einen Wimpernschlag lang den Rücken straffen ließ. Dann fielen ihm die noch offenen Flügelschrauben an dem Sarg ein und Alberts Schultern gaben sich augenblicklich wieder der Schwerkraft hin und sanken gleich seiner Stimmung. So leise, als könne er jemanden stören, schob Albert die Tür zu seinem kleinen Büro auf. Mit einem erleichterten Seufzer ließ er sich an seinem Schreibtisch nieder und bemühte sich, die Verstorbenen zu vergessen, die nur ein Stockwerk tiefer im Keller unter seinem Büro auf ihre Bestattung warteten. Hier oben fühlte er sich gleich um ein Vielfaches wohler. Es gab genügend Lampen, deren Licht nahezu jede Ecke in dem fensterlosen Raum beleuchteten, und vor allem gab es hier keine Särge, weder mit, noch ohne darin liegender Kundschaft. Geschäftig schob Albert ein paar Papiere auf dem Tisch vor sich auseinander und zog eine dünne, in vergriffenes Leder gebundene Mappe darunter hervor. Noch ein letztes Mal horchte er in die Stille, die einzig von dem leisen Ticken einer Wanduhr unterbrochen wurde, und vergewisserte sich, dass er auch tatsächlich alleine war. Von dem, was er in den Händen hielt, hatte sein Chef ebenso wenig Ahnung, wie von Alberts ganz eigener Art der Konfrontationstherapie. Als auch nach einer weiteren, verstrichenen Minute nichts als Stille um ihn herum herrschte, nahm Albert endlich ein unbeschriebenes Blatt Papier aus der Mappe und platzierte es vor sich auf der Tischplatte. Er griff nach dem Füllfederhalter, tauchte ihn in das daneben stehende Tintenglas und begann, das Blatt zu beschriften. Die Feder kratzte leicht über das Papier, während Albert in sorgfältiger Schrift einen tintenschwarzen Buchstaben an den nächsten reihte, bis das Blatt zur Hälfte beschrieben war. Er nahm sich ein neues, leeres Blatt und wiederholte sein Tun. Hochkonzentriert arbeitete Albert weiter, den Kopf über die Papiere gesenkt. Nur manchmal blickte er für einen Moment auf, sah nachdenklich in die Ferne durch die Mauern seines winzigen Büros hindurch, ehe er weiter schrieb. Es wurde immer später und - was Albert in seinem fensterlosen Zimmerchen nicht bemerkte - draußen versank bereits die Sonne am Horizont. Gerade hatte er eine besonders gute Passage erwischt und schrieb diese mit vor Eifer geröteten Wangen und flink über das Papier gleitender Feder nieder, als ihn eine Stimme aus den Gedanken riss und ihn vor Schreck den Füller aus der Hand fallen ließ. Ein wässrig schimmernder Tintentropfen spritzte aus der Feder und landete auf Alberts Unterlagen - mitten auf 'Balduin'. "Herr Fröhlich?", erklang es von der Tür her. "Oh, nein", murmelte Albert leise vor sich hin und betrachtete verärgert den glänzenden Tintenklecks, der das eben Geschriebene verunstaltete. Hektisch suchte er zwischen den Unterlagen nach dem Löschpapier und begann, damit den schwarzen Klecks aufzusaugen. Doch aus dem dicken Tropfen wurde lediglich ein flacher Fleck, der weiterhin den armen Balduin bedeckte. Albert blieb wohl nichts anderes übrig, als alles wieder neu zu schreiben. "Sind Sie Herr Fröhlich?", wiederholte unterdessen der unerwartete Besucher seine vorangegangene Frage und Albert sah endlich auf. Alles, was er erblickte, war ein schemenhafter Umriss, der sich kaum aus dem Dunkel der geöffneten Tür hervorhob. "Nein, tut mir leid, das Institut ist eigentlich schon geschlossen. Herr Fröhlich kommt erst morgen wieder." Albert kniff seine lichtblinden Augen ein wenig zusammen und versuchte, etwas in den Schatten des unbeleuchteten Flures zu erkennen. Wie unhöflich es von diesem Mann doch war, ein offensichtlich verschlossenes Haus zu betreten! Ja, er war sich ganz sicher, dass sein Chef die Vordertür abgeschlossen hatte, ehe er nach Hause gegangen war. Und um die Hintertür hatte sich Albert selbst gekümmert. Albert hielt die Luft an, als ihm das bewusst wurde. "Nun, dann werden Sie mir eben behilflich sein." Endlich löste sich die schattenhafte Gestalt aus ihrer düsteren Umgebung und trat in die hellen Lichtkegel, welche die Lampen in Alberts Büro auf den Boden warfen. Mit einem unwohlen Kribbeln im Magen sah Albert dem Fremden entgegen, der sich ihm mit aller Seelenruhe näherte. Seine Schritte verursachten dabei kaum Geräusche auf dem sonst knarrenden Parkett. Direkt vor Alberts Schreibtisch blieb der Mann schließlich stehen und sah auf den erschrocken dreinschauenden Sekretär hinab. Die eindringliche Musterung seiner Person ließ Albert noch ein Stück auf seinem Sitzplatz zusammensinken und darauf hoffen, irgendwo darunter verschwinden zu können. "Wa-was kann ich für Sie tun?", stotterte Albert verzagt. Statt einer Antwort knallte der Mann seine Faust auf die Tischplatte, die geschunden ächzte. Als er seine Hand wieder wegnahm lag ein zerknittertes Blatt Papier vor Albert auf dem Tisch. "Wer hat das geschrieben?" Die ruhige Stimme des Fremden bekam einen bedrohlichen Unterton, was auch zu der wütenden Falte passte, die sich zwischen seinen zusammengezogenen Augenbrauen gebildet hatte. Alberts Hand zitterte so stark, als er nach dem Zettel griff, dass er fürchtete, ihn zerrissen zu haben, noch ehe er ihn lesen konnte. Mühsam glättete er den Zeitungsausschnitt und las ihn durch. __________________________________________ Gustav Angermann * 02 .03 .18xx - † 13 .07 .19xx ~ Schmerzlich vermisst ~ Bestattungen Zacharias Fröhlich, Engegasse 3 __________________________________________ Albert musste einige Male schlucken, um überhaupt ein Wort aus seiner staubtrockenen Kehle hervorzubringen. "Ja, der Nachruf ist in der Tat von uns", antwortete er und bemühte sich, seiner Stimme einen festeren Klang zu geben, als es unter den kontrollierenden Blicken des fremden Mannes möglich schien. "Wer hat ihn verfasst?" "Das war ich." Albert besann sich seiner erlernten Aufgabe. Er setzte sich gerade hin und verschränkte die Hände locker vor sich auf der Tischplatte, wie er es bei jedem Gespräch mit einem Kunden tat. Es sollte den Eindruck vermitteln, dass seinem Gegenüber seine vollste Aufmerksamkeit gebührte und er sich ganz seiner Trauer hingeben konnte. Und er sollte wissen, dass er dafür bei Albert ein offenes Gehör finden würde. Doch der Mann vor ihm, war weit davon entfernt. Da lag keine Trauer auf dem schmalen Gesicht, nur etwas undefinierbares, lauerndes, das Alberts Unwohlsein verstärkte. "Stimmt etwas nicht mit dem Nachruf? Gab es einen Druckfehler?" Albert konnte sich auch getäuscht haben, aber er meinte, gerade einen Anflug von Belustigung im Gesicht des Mannes erkannt zu haben. Jedenfalls wirkte das minimale Zucken um seinen Mund so. "Wenn das der Fall ist, dann werden wir ihn selbstverständlich umgehend und ohne, dass Ihnen-" "Es dürfte ihn nicht geben", unterbrach der Fremde Alberts langatmige Erklärungsversuche. "Wen?", hakte Albert verblüfft nach. "Den Verstorbenen?" "Den Nachruf!" Das erste Mal seit seinem Erscheinen erhob der Mann seine Stimme. Die Heftigkeit, mit der der Unbekannte gesprochen hatte und der plötzliche Stimmungswechsel, ließen Albert unwillkürlich zusammenzucken. Er traute sich kaum noch, etwas zu sagen. Der Mann stützte sich mit beiden Händen auf der Tischplatte ab und beugte sich etwas zu dem Sekretär hinab. "Der alte Widerling hat alleine gelebt. Wahrscheinlich war das eine die Folge des anderen, nur wird das niemanden interessiert haben als er das Zeitliche segnete", zischte er wütend. "Wer sollte für dieses Ekel also einen Nachruf verfassen, nachdem jeder, der einmal mit ihm zu tun hatte, froh darüber sein wird, dass sich nun die Würmer durch sein Schandmaul fressen?! Dieses 'Schmerzlich vermisst' alleine ist schon pure Ironie." Albert räusperte sich. Was für eine Reaktion... Aber der Mann wäre nicht der erste Erbe, der unverhofft leer ausgegangen war und seinem Ärger im Bestattungsinstitut Luft machte. "Sind Sie ein Angehöriger oder Bekannter des Verstorbenen?", wagte es Albert schließlich, den Mann erneut anzusprechen. "Nein", kam die prompte Antwort, mit der Albert, wenn er ehrlich war, nicht gerechnet hatte. "Woher wissen Sie dann, dass er alleinstehend war?" Albert fand, dass das eine berechtigte Frage war. Sein Gegenüber irritierte sie allerdings. "Meine Mahlzeiten haben keine Verwandten, da achte ich pingelig darauf...", murmelte er kaum verständlich vor sich hin. Doch Albert hatte den Mann sehr wohl verstanden. Und trotzdem dachte er, sich verhört zu haben. "Mahlzeit?" Der Mann hob leicht die Schultern. "Na, wenn wir schon so weit sind... Meine Mahlzeit!" Den letzten Satz begleitete ein breites Lächeln, das - absichtlich oder nicht - die Zähne des Mannes entblößte, welche eigentlich recht ansehnlich waren; weiß und gerade. Nur eben mit dem Unterschied, dass zwei der oberen Eckzähne länger als üblicherweise nötig waren und spitz zuliefen. Schreiend fuhr Albert von seinem Sitzplatz auf und stolperte zur rückwärtig gelegenen Wand, um so viel Abstand wie möglich zwischen sich und den Fremden zu bekommen, der Albert, ohne sich zu rühren, belustigt bei seinem Fluchtversuch zusah. "Ich bevorzuge ja 'Cornelius' anstelle von 'Ohmeingotteinechtervampir'..." Albert presste sich so fest gegen die Wand, dass sich die Holzvertäfelung schmerzhaft in seinen Rücken drückte. Wie kam er hier bloß wieder raus? Seine gehetzten Blicke gingen zwischen Schreibtisch und Tür hin und her. Dieser Vampir stand genau dazwischen und blockierte seinen Fluchtweg. Es war aus mit ihm. Das war sicher. Dass der Mann tatsächlich ein Vampir war, daran zweifelte Albert kein bisschen. Morgen früh würde ihn sein Chef hier tot vorfinden, ohne einen einzigen Tropfen Blut im Leib. Dabei war er doch noch so jung! "Immer diese Panik." Cornelius seufzte gekünstelt und rollte die Augen theatralisch in Richtung Decke. "Ich habe für heute schon gespeist." Die Haare in Alberts Nacken stellten sich ängstlich auf und ein kalter Schauer überlief ihn. Was immer dieser Cornelius auch sagte, einem Vampir durfte man nicht glauben. Vermutete Albert. Zu Alberts Entsetzen verließ Cornelius nun seinen Platz vor dem Schreibtisch und schlenderte gemächlich zu Albert hin, der vor Schreck wie gelähmt dastand und ihm entgegen sah. Als Cornelius schließlich so dicht vor Albert stand, dass dieser den Atem des Vampirs auf seiner Haut fühlen konnte, hob er seine Hand und ergriff das Kinn des zitternden Sekretärs. "Hast du eigentlich noch Angehörige?" Albert spürte, wie seine Beine vor Angst nachzugeben drohten. Wenn ihm das passierte, dann war alles zu Ende, dachte er und zwang sich, so ruhig wie möglich zu bleiben. Cornelius' schraubzwingenartiger Griff ließ gerade noch so viel Freiraum zu, dass Albert nicken konnte. "Natürlich habe ich noch Verwandte. Eine ganze Menge sogar", presste Albert zwischen den Zähnen hervor. Augenblicklich löste Cornelius seine kühle Hand von Alberts Kinn, der seine Freiheit kaum fassen konnte. "Wie schade", säuselte Cornelius lächelnd und trat einen Schritt zurück, "da ich meine bereits erwähnten Prinzipien habe, bin ich wohl um ein Dessert gebracht worden." "Ja, scheint so", bestätigte Albert erleichtert. Ein Vampir war schon seltsam genug, aber dann noch einer mit Prinzipien. Das war fast schon etwas zu viel für einen normalen Sekretär wie ihn. Auch, wenn es ihm für den Augenblick wohl das Leben rettete. Cornelius lächelte wissend. Was für ein schamloser Lügner dieser Albert doch war... Albert blieb weiter eisern vor der Wand stehen, die ihm momentan den einzigen Halt bot. Hoffentlich hatte ihn Cornelius nicht durchschaut. Doch dessen Aufmerksamkeit lag bereits bei etwas anderem. "So, so, Albert Seidler..." Cornelius schlenderte gemächlich zum Schreibtisch zurück und tat, als interessierten ihn die Dinge, die darauf standen. "Wenn das Institut abends geschlossen ist, warum bist du dann noch hier?" "Nun, weil ich- weil ich-" Albert fühlte sich wie ein gejagtes und gestelltes Tier, das dem Jäger in die Öffnung seiner Flinte blickte. Nur dass der Jäger in eine völlig andere Richtung schaute. Spielte dieser Vampir mit ihm? Wenn ja, war es ein grausames Spiel und Albert musste, so lange er hier nicht wegkam, mitspielen und auf der Hut sein, wann es in Ernst umschlug. "Du hast meine Frage noch nicht beantwortet", bemerkte Cornelius. Albert hob leicht die Schultern. "Weil es etwas ist, das kaum jemand verstehen würde." "Ich habe alle Zeit der Welt." Cornelius lachte auf. "Erwartest du noch Kundschaft?" "Ich versuche mich an die, die schon hier ist, zu gewöhnen." Cornelius wartete darauf, dass Albert über seinen eigenen Witz zu lachen begann. Doch der stand mit der gleichen erstarrten Mimik vor ihm, wie er es schon die ganze Zeit über tat. "Du bist dabei, dich an deinen Beruf zu gewöhnen?" "Nein - nur an die Toten", erwiderte Albert kleinlaut. Offensichtlich irritiert schwankte Cornelius zwischen Lachen und Kopfschütteln und entschied sich schließlich für eine Kombination aus Beidem. "Wie soll ich das verstehen?" Ganz knapp konnte sich Albert das 'Habe ich es nicht gesagt...' verkneifen, das auf seiner Zunge lag. Der einzige, der das je verstanden hatte, war sein Chef gewesen. Er war allerdings auch der Einzige, der davon wusste. Das hoffte Albert jedenfalls. "Du bist also ein Bestatter, der nichts mit den Verstorbenen zu tun hat?", schloss Cornelius. "Ich würde es zwar ein wenig anders formulieren, aber, ja, genau das trifft es wohl..." Cornelius hatte aufgehört zu lachen. Albert machte ein so ernstes Gesicht, dass man meinen sollte, es passe hervorragend zu seinem Beruf. "Wie hältst du es hier mit all den Leichen aus?" Albert zögerte die Antwort einen Moment hinaus. Es war etwas, über das nicht einmal sein Chef Bescheid wusste. "Ich übe jeden Tag, schaue mir die Toten an, bis ich dann hoffentlich irgendwann keine Angst mehr vor ihnen habe." "Und wie weit bist du schon gekommen?" "Bis zu den Füßen", antwortete Albert beschämt aber ehrlich. Cornelius' Gesicht erhellte sich. "Das ist doch weit. Kein Grund, den Kopf so zu senken." "Ich fange bei den Füßen an." "Oh", war alles, was Cornelius dazu noch einfiel. Unzähligen Leuten war er im Laufe seines Unlebens so begegnet - den meisten davon nur einmal - aber dieser schüchterne Mann da vor ihm, übertraf sämtliche Menschen, denen Cornelius mit Genugtuung die Hälse perforiert hatte, selbst wenn sie ihn noch so angefleht hatten, sie zu verschonen. Mit Albert hatte er das erste Mal einen der wirklich seltenen, interessanten Personen vor sich. "Ich helfe dir", bot Cornelius großzügig an. "Helfen? Bei was? Und warum?" Albert schien die Freude des Vampirs nicht teilen zu wollen. Er rückte wieder zur Wand zurück und verfolgte misstrauisch jede noch so kleine Geste Cornelius'. "Ich komme viel herum und habe schon mehr Leichen gesehen, als hier auf dem Kirchhof liegen." Cornelius lächelte selbstgefällig. Was sollte das? Alles, was Albert wollte, war diesen Cornelius loszuwerden und dann so schnell wie möglich von hier weg zu kommen. Verständnislos starrte Albert den Mann an, der nun voller Enthusiasmus damit begann, von den Toten zu erzählen, die er gesehen hatte, und dabei kein noch so kleines, dafür aber um so grausiges Detail ausließ. "... aber richtig furchtbar sind die, die eine Weile im Wasser gelegen haben." "Ich kann's mir gut vorstellen. Leider..." Albert unterdrückte ein Würgen. "Daran wirst du dich schon gewöhnen. Und besser jetzt, als später." Cornelius lachte schallend und Albert konnte nicht anders, als beim Anblick der Eckzähne erneut zu erschauern. Er musste weg von hier. Nur wie? Sich verabschieden und zur Tür rausgehen fiel als Möglichkeit weg. "Könnten wir damit aufhören?" Albert presste seine Hände gegen die Brust, hinter der sein Herz heftig gegen die Rippen schlug. "Eine Hilfe ist das nämlich nicht." Zu Alberts Unmut hatte Cornelius gleich noch einen weiteren Vorschlag parat. "Dann zeig mir, wo ihr die Toten vorbereitet. Vielleicht ist es für dich am besten, direkt am Anschauungsobjekt zu üben." Sprachlos stand Albert vor Cornelius. "Sie sind im Keller", hauchte Albert schließlich atemlos vor Angst. Und da war sie - die nächste Zwickmühle aus der ausgerechnet Cornelius ihn unfreiwillig hinaus bugsierte, indem er seine Hand Richtung Tür schwenkte. "Gehen wir." Albert schüttelte ungläubig den Kopf, nickte aber schnell als Cornelius ihn schräg ansah. Steifen Schrittes setzte sich der Sekretär in Bewegung, an dem Vampir vorbei zur Tür hinaus. Die Odyssee durch die furchtbarste Nacht seines Lebens hatte gerade begonnen. Ende des ersten Teils Das Copyright der Story liegt alleine bei mir. Sie darf nicht - auch nicht in Teilen - ohne mein Wissen und schriftliche Zusage anderweitig veröffentlicht oder auf sonstige Weise verarbeitet werden. N.P. 11/2010 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)