Whiskey und Schokolade von SummoningIsis ================================================================================ Kapitel 11: Talk, Talk, Talk ---------------------------- Einzelne Bilder tauchen auf, fügen sich zu kurzen Sequenzen zusammen, die ich nun in einer imaginären Zeitleiste versuche zusammenzufügen. Mein Gelingen hält sich in Grenzen, zu viele schwarze Pfützen durchziehen den eh noch löchrigen Filmstreifen meines Gehirns. Eine Tatsache jedoch ist glasklar und unbefleckt: Christian hat mich vor Elias gerettet. Und ich habe mit Christian im Taxi... gekuschelt. Nein! Das kann doch nicht wahr sein! Und... war da noch mehr? „Gnahhh!“, entfährt es mir und ich möchte mir am liebsten die Haare raufen, weil diese gesamte Situation einfach total abstrus ist. Und doch weiß ich: ich bilde mir das nicht ein. Nicht jenen Fakt des desaströsen Abends. Scheiße. Christian. „Das kann doch nicht sein“, murmele ich und ärgere mich im nächsten Moment schon, dass ich jetzt auch noch Selbstgespräche wegen des Kerls führe, der sich wahrscheinlich gerade irgendwo über mich lustig macht und Sprüche bringt wie „selbst die Tucken fahren voll auf mich ab, ich hab's so drauf, Mann!“. Bei diesem Gedanken läuft es mir wirklich eiskalt den Rücken runter und ich schüttele mich regelrecht. Christian. Unglaublich. Abrupt bleibe ich stehen. Da ist etwas. Etwas Signifikantes, direkt in meiner Erinnerung. Aber was? Ich grübele und grübele. Irgendwann raufe ich mir tatsächlich die Haare. Ich frage mich auch die ganze Zeit über, wie ich eigentlich so betrunken sein konnte. Normalerweise kann ich Cocktails gut ab, auch wenn ich vorher schon Whiskey getrunken habe – und es waren dann auch nur zwei von den bunten Dingern. Zwei große. Aber trotzdem. Ich kaue auf meiner Unterlippe und klopfe letztendlich an Bens Tür. Nichts. Er ist nicht da. Irgendwie habe ich ein ziemlich mulmiges Gefühl wenn ich an die Konfrontation mit meinem Mitbewohner denke – aber wieso? Ich rufe Michi an. Das Freizeichen nervt mal wieder gewaltig, vor allem, da Nick Carter verdammt lange braucht, um diesen dringlichen Anruf entgegen zu nehmen. Und dann klingt er auch... einfach nur scheiße. „...mnghhhhh..... wasis'nn?“, nuschelt Michi ins Telefon. „Ähm“. Ja. Was ist denn? „Ich hatte eigentlich gehofft, du könntest mich darüber aufklären.“ Ich höre Michi gähnen und irgendetwas raschelt im Hintergrund. „Michi?“ „...hmmm?“ „Bist du überhaupt ansprechbar.“ „....mhhh.... rufspäteran...“ Ein weiteres Gähnen. „Müüüde.“ Klick. „Verfickt!“, rufe ich aus und halte mir unmittelbar die Hand vor den Mund. Mann, so spreche ich doch sonst nicht! Aber ich gerate normalerweise auch nicht in solche verzwickten Situationen. Die Zeit schleicht vor sich hin. Es wird 11, dann 12 – irgendwann ist es schon drei. Und ich habe mich nicht getraut, Ben anzurufen. Irgend so ein Gefühl sagt mir, dass es vielleicht unschön werden könnte. Habe ich das Bad voll gereiert? Nein, ich hab nur ein Mal gekotzt. Scheiße gelabert? Bestimmt. Vielleicht habe ich ihn blamiert? Könnte hinkommen. Habe ich ihn genervt? Möglich. Vielleicht hat er ja nen echt heißen Kerl kennengelernt, hat sich aber mir gegenüber verpflichtet gefühlt, mich in solch einem Zustand nach Hause zu bringen. ...und wieso war dann Christian mit im Taxi? „O Gott!“ Schon wieder diese Selbstgespräche, gekoppelt an diesen krassen Gedankengang – der leider auch noch ziemlich viel Sinn ergibt, je länger ich darüber nachdenke. Ben hatte doch schon öfters geäußert, er fände Christian, sagen wir mal, attraktiv. Und dann taucht der auch noch in unserer Stammkneipe auf – ner Schwulenbar. Und... und.... und genau: Ben und Christian. Ein One-Night-Stand mit anschließendem Brunch irgendwo draußen, vielleicht sind sie im Kino und... Nein. Es macht doch keinen Sinn. Denn das würde ja bedeuten, dass Christian schwul sein müsste. Oder zumindest bi. Und er ist es ganz sicher nicht! Oder doch? Drehe ich langsam hier durch? Ich schnappe das Telefon und wähle Bens Nummer. Als das Freizeichen ertönt, klingelt es auch plötzlich schrill im Flur. Als ich herum wirbele, schlüpft Ben gerade aus seinen Schuhen und sieht mich an. Ich lege auf, sein Handy verstummt und mein Mitbewohner grinst. „Mann, du lebst ja!“, neckt er mich. Irre ich mich, oder ist die Portion Sarkasmus in seiner Stimme ziemlich groß? „Halbwegs...“, entgegne ich etwas unsicher. „Wo, ähm, wo warst du denn...?“ „Äh, arbeiten?“ „Oh! Achso!“ Meine Theorie stimmt also Gott sei Dank NICHT! Leicht skeptisch betrachtet er mich, den Kopf etwas schief gelegt. „Und? Wie geht’s dir, du Partyhengst?“, fragt er mich dann und bedeutet mir, ihm in die Küche zu folgen. Während er sich einen Obstsalat schnibbelt, rutsche ich nervös auf meinem Stuhl herum. „Ich musste Gott sei Dank nicht nochmal kotzen“, beende ich meine kleine Zusammenfassung des Kater-Status und blicke ihn erwartend an. Ben schiebt sich eine kleine Erdbeere in den Mund und kaut genüsslich langsam auf ihr herum. Und ich denke die ganze Zeit an diese Szene im Taxi. Mit Christian. Dann halte ich es nicht mehr aus. „Was hat Christian eigentlich im Rainbow's gesucht und wieso ist er mit uns ins Taxi gestiegen?!“, entweicht es meinen Lippen und Ben hält inne. Er sieht überrascht aus. Dann lacht er kurz, schüttelt den Kopf. „Öhm, bevor ich jetzt darauf eingehe – wie viel weißt du eigentlich noch von dem gestrigen Abend?“, fragt er mich dann und der Obstsalat scheint völlig vergessen. „Ich hab mit Michi Whiskey getrunken, Mike ist nach Hause, wir sind ins Rainbow's, haben zwei Cocktails getrunken, dann war Elias plötzlich da und hat mich tierisch genervt, dann bist du aufgetaucht, ähhhhh, dann waren wir tanzen und Elias war aufdringlich und ja. Dann war plötzlich Christian da und... O Gott, ich hab wirklich mit ihm geschmust in dem Taxi, oder?“, jammere ich. Ben sagt in den ersten Sekunden einfach gar nichts. Dann bricht er in leichtes Gelächter aus und schüttelt ungläubig den Kopf. „Was?!“, blaffe ich ihn an, doch er reagiert gar nicht darauf. „Manu, mal ein ernst gemeinter Tipp“, setzt er immer noch grinsend an und schaut mir jetzt direkt in die Augen. „Sauf mal weniger.“ Was soll ich darauf denn entgegnen? „Das waren nur zwei Cocktails, keine Ahnung, wieso die so eingeschlagen haben.“ Okay. Jetzt lacht Ben richtig laut. „Zwei? Alter... Du hast mich gestern mit deinem dritten oder vierten Ding auf der Tanzfläche total vollgekleckert, weil du ja unbedingt gleichzeitig tanzen und trinken wolltest. Und dein werter Herr Elias“, hier wird Bens Miene und Stimme langsam ernster. „hat dir ständig Kurze ausgegeben. Saurer Apfel. Sambuca. Klingelt's?“ Ups. „...ja, so ein... kleines Glöckchen schellt irgendwo...“ Und in meinem Film überklebe ich einige seiner Löcher mit den Szenen der kleinen Tabletts mit den noch kleineren, vollen Schnapsgläsern. Autsch. Das erklärt mir auf jeden Fall schon mal, wieso ich so betrunken war. Aber... wieso habe ich mir von Elias was ausgeben lassen?! Mein Mitbewohner verschränkt seine Arme vor seiner Brust und lehnt sich im Stuhl zurück. „Du warst gestern ein richtiges Arschloch, weißt du das eigentlich?“, meint er dann. „W-wieso?“, frage ich vorsichtig. „Naja....“, Ben fährt sich mit seinen Fingern über sein Kinn und scheint dabei nach den richtigen Worten zu suchen. „Mann, du sagst mir, 'rette mich vor Elias', ich Idiot halte dich fern von dem Typen und dann springst du ihn wenige Minuten später aus freiem Willen an, knutschst mit ihm, nur um ihn dann wieder weg zu schubsen und mir wieder zu sagen 'hilf mir'. Ey, ich hab's ne Weile mitgemacht, aber irgendwann, und das musst du auch verstehen, hatte ich keinen Bock mehr darauf.“ „...oh....“ Verfickt. Ja, verfickt! Wie kann man denn bitte so ein Idiot sein? Wie kann ICH bitte so debil sein? Es geht noch weiter und hätte ich nicht solch einen Mordskater, würde ich mir glatt Whiskey einschenken. Ich hab auch mit Michi rumgeknutscht. Scheinbar, um Elias auf diesem Weg zu zeigen, dass ich an anderen interessiert bin. Was ihn allerdings eher wütend und eifersüchtig gemacht und nicht dazu geführt hat, dass er mich einfach in Ruhe lässt. Surprise, surprise! Und Michi? Der war ebenso voll wie ich, weil Elias auch ihm die Kurzen unter die Nase geschoben hat. Was wiederum dazu geführt hat, dass ich ihm auf der Tanzfläche komplett ausgeliefert war. Bis Christian kam. „Ich wusste ja, dass Christian bi ist“, fährt Ben unbeirrt mit seinem Monolog fort, doch dieser so selbstverständlich klingende Satz bringt mich total aus dem Konzept. „Du... Bitte was?!“, schreie ich schon fast. Mein Mitbewohner grinst. „Ich hatte ja mal ne Gelegenheit ein wenig allein mit ihm zu schnacken. Du erinnerst dich?“ Der überragende Joggingausflug... „O Mann... Und wieso hast du's mir nicht vorher gesagt?!“ „Äh... Es gab nicht unbedingt Grund dazu“, meint er nur. „O Mann...“ Mir ist schwindelig. Gut, dass ich bereits sitze. „Ich war dann aber doch überrascht, ihn im Rainbow's anzutreffen. Wir haben ein wenig geredet. Er geht wohl nicht oft in Schwulenbars, aber hat halt einige Bekannte, die ihn ab und an mitschleppen. Eigentlich wollte er gehen, wir sind dann noch kurz zur Tanzfläche, weil er dir noch schnell hallo sagen wollte – tja, und dann hat er dich vor Elias gerettet, der echt ziemlich aufdringlich war. Dass das aber deine eigene Schuld ist, muss ich dir nicht dazu sagen, oder?“ „Nein. Musst du nicht. Schon klar. O Mann...“, brabbele ich und starre den Tisch an. „Sag mal, weißt du eigentlich noch, dass du ihn geküsst hast?“, lässt Ben mit einem breiten Grinsen in seinem Gesicht die Bombe platzen. „Wen jetzt?“ Mein Herz pocht. „Christian.“ „WAS?!“, brülle ich. Und da ist sie, diese kurze und doch in ihrer Essenz signifikante Szene, bis eben noch schwarz befleckt in meiner Erinnerung war; jetzt ist sie glänzend und hell und mehr als offensichtlich. Meine Lippen auf Christians Lippen. Ein kurzes Anstupsen mit der Zunge. Himmelherrgott nochmal! Wieso? „Ich habe ihn geküsst? Oder er mich?“ „Du hast dich, nachdem du ihn ziemlich übel als Super-Macho und zu sehr von sich selbst überzeugten Vollspasti beschimpft hast, ihm irgendwann einfach an den Hals geworfen. Und er schien nicht wirklich etwas dagegen zu haben, mein Lieber...“, fügt Ben amüsiert hinzu. „Er hat mir dann den Aufpasser-Job abgenommen und dich davon abgehalten, noch mehr Schnaps in dich zu schütten. Dann ist er noch mit ins Taxi, mit dem er dann weiter nach Hause gefahren ist. End of Story.“ Ich weiß absolut nicht, was ich Ben sagen soll. Ich weiß nicht, was ich denken soll. Ich bin überfordert. Absolut überfordert. Ich kann nicht glauben, was ich da höre. Und doch sind sie da: Diese nunmehr sich kristallisierenden, verschwommenen Erinnerungen, die meinen Kopf beinahe zum Zerbersten bringen. Ben seufzt. „Ey, so geht das nicht weiter, Manuel!“, meint er dann. „Du machst dich langsam aber sicher total kaputt und verläufst dich in irgendwelche Sachen. Ich dachte ja, Elias würde dir gut tun, aber du verhältst dich ihm gegenüber wie das letzte Arschloch und tust dir im Grunde genommen selbst damit weh. Dass du den Kerl verletzt, muss ich ja wohl nicht sagen. Und langsam aber sicher pisst du auch Leon an, wenn du dich nicht von ihm lösen kannst und ihm ständig gegens Bein pinkelst, weißte...“ „Ich weiß“, sage ich und beiße mir auf die Zunge, stiere den Fußboden an. In meiner Brust schmerzt es leicht. „Reiß dich endlich zusammen“, meint Ben mit Nachdruck. „Und klär das mit Elias. Sonst geht das immer so weiter und wer weiß, was dann noch passieren kann. Achja und noch ein kleiner Tipp: red mit Christian.“ Er steht auf und klopft mir noch einmal auf die Schulter im Vorbeigehen. „Hey...“, halte ich ihn auf und er dreht sich in meine Richtung. „Sorry... für alles.“ Ben winkt lächelnd ab. „Ich bin meine Wut auf dich schon losgeworden. Aber nochmal habe ich echt keine Lust auf sowas, okay?“ „Kay...“ Als ich ihm hinterher blicke, erscheinen wieder einige Bilder von unserer... Nacht. Sie erscheint irgendwie unrealistisch. So, als wäre sie nie passiert. Ob ich durch diese Empfindungen wohl ein Problem weniger habe? Und was bringt mir ein Problem weniger, wenn ich gleich wieder neue ins Boot hole? Ich lasse mich auf meinem Bett nieder und starre die Decke an. Eigentlich sagt mein Körper mir, ich solle schlafen. Aber meine Gedanken sind in Aufruhr und blockieren diese physische Erschöpfung. Ich wälze mich hin und her. Doch dieses beklemmende Gefühl in meiner Brust kann ich dadurch trotzdem nicht abschütteln. Die ganze Zeit denke ich an Leons Blick, an seine Stimme. Was er wohl gerade macht? Händchenhaltend mit Martin durch die Stadt gehen, ihn küssen, den Tag genießen, am Abend ins Hotelzimmer einkehren, unbekümmerte Stunden der Zweisamkeit genießen. So wie es sein sollte. So wie es in Zukunft sein wird. Vielleicht nicht für immer mit Martin, an dessen Platz könnte auch ein Michael treten, ein Karl oder ein Tom. Ich schließe die Augen. Fest drücke ich diesen dämlichen Pinguin an mich und lasse die Tränen einfach laufen. Ich bin alle. Fix und fertig. Ich kann nicht mehr. Das ist zu viel. Ich weiß nicht mehr weiter. Leon, Elias, Christian, Ben, Michi. Was mache ich hier eigentlich?! Ich baue nur noch scheiße. Und ich wiederhole mich. Ich mache einen Schritt nach vorn, um dann sofort zurückzugehen. Immer wieder. Ich liebe Leon, ihn liebe ihn nicht, ich brauche Leon, ich brauche ihn nicht. Wie auf Bestellung klingelt mein Handy. Es ist allerdings nicht Leon. Natürlich nicht! Es ist Michi. „Alter, mein Kopf“, lacht er ins Telefon. „Jop. Bei mir auch. Ich hab gestern auch schön gekotzt...“, entgegne ich, wieder diese hübsche, weiße Decke anstierend. „Haha, ich auch!“ „Na, großartig...“ „Ey, wie bist du eigentlich nach Hause gekommen?“, fragt er mich dann. „Taxi, mit Ben und äh...“ „Oah, bitte sag' mir jetzt nicht mit Elias....“ „Nein. Christian.“ „Wer?“ „Na, Mr. Engel, Nachwuchsmodell, der Typ aus Leons Studium...“ „Was?! Der war da? Im Rainbow's??? Ich dachte... Haha, wie geil ist das denn? Hat Ben ihn abgeschlabbert? Haha!“, amüsiert sich mein Freund herrlich und ich bin einfach nur froh, dass er scheinbar auch ziemlich große Lücken in seiner Erinnerung hat. Vielleicht erinnert er sich dann ja auch nicht an unsere Action... Ich werde ihn nicht darauf ansprechen. Vielleicht ist das besser so. Ein Problemchen weniger. „Nicht so ganz, kein Plan, er ist nur mitgefahren.“ „Ja, aber was hat er denn im Rainbow's gemacht?!“ „Ähm, Party?“, entgegne ich und Michi kichert. „Also ist er schw...?“ „Bi!“, falle ich ihm ins Wort. „Hammer! Du meintest doch, das sei voll die Macho-Hete!“ „Naja... Ist er auch. Nur dass er scheinbar wohl doch auch mal Männchen vögelt.“ „Meinst der ist Top oder Bottom?“ „Ich denke... Alter, müssen wir darüber reden?!“ Genervt seufze ich, während Michi sich weiterhin amüsiert. „Ey, ich hab so den Filmriss. Ich weiß nur noch, dass Elias uns ständig Kurze ausgegeben hat. Vieeeele davon.“ „Das meinte Ben auch.“ „Oh, was hat er denn noch so erzählt?“ „Nicht... viel?“ „Hm, oh! Ich habe gerade eine Erinnerung gefangen!“ Oh-oh. „Du hast volle Kanne mit Elias rumgeleckt!“ „....ja...“ „Hm. Äh. Also. Jetzt doch wieder Elias? Oder was? Oder biste jetzt scharf auf Christian, haha! Jetzt weißt du ja, dass du mit deinem Schwanz Chancen hast!“ „Alter, du bist immer noch voll...“, meine ich nur und versuche, diese seichte Nervosität in den Hintergrund zu drängen. „Jop! Glaube' ich auch. Ich ruf gleich mal Mike an. Mal sehen, was das gestern noch mit Ole geworden ist.“ Ein schlechtes Gewissen überkommt mich. Daran hatte ich ja gar nicht mehr gedacht... „Grüß die beiden lieb von mir, ja?“, sage ich Michi. „Mach ich. Danke für den witzigen Abend.“ „...immer wieder gern...“ Noch Stunden nach diesem Telefonat liege ich regungslos auf dem Bett. Es ist beinahe zehn. Da ertönt der SMS-Ton. Als ich die Nachricht lese, wird mir gleichzeitig eiskalt und unheimlich heiß. Ein dämliches Wechselbad der Gefühle erfasst mich. „Hallo Herr Fotograf. Geht’s dir gut? Hab mir ja gestern ein wenig Sorgen um dich gemacht ;) Christian“ „Gnahhhhh!“ Ich schmeiße das olle Ding auf den Fußboden. War ich so voll, dass ich eigentlich mit jedem rumgeknutscht hätte? Mann, zu Leon zu gehen war ja mal so eine blöde Idee! Scheiß Trotzreaktionen! Aber wieso dann auch noch gerade Christian?! Ich fasse es nicht...! Nein, ich kann einfach nicht sein – und doch weiß ich, dass es stimmt. Dass er bi ist, dass ich ihn geküsst habe. Aber was verdammt soll diese dumme SMS? Ich antworte nicht drauf. Dieser dumme Smiley. Und dieser Ton. Als wären wir irgendwie befreundet...! Verdammt. Ich schlüpfe in meine Schlafklamotten. Und ich kann nicht schlafen. Weil ich ständig an Elias denke. An Christian. An Leon. Es ist eine Endlosschleife dieser Gesichter. Als ich am nächsten Morgen aufstehe, geht es mir noch beschissener als am Tag zuvor. Dabei habe ich nicht nochmal gesoffen. Ich schleppe mich zur Arbeit. Meine Kollegen lassen mich in Ruhe. Über meinem Kopf scheint eine schwarze Wolke zu schweben. Die Blitze von sich schleudert. Die Mittagspause verbringe ich allein im kühlen Hinterzimmer. Ich bin froh, dass Anton heute die ganzen Kiddies übernimmt und mir dieses dämliche Rumgealbere erspart bleibt. Ben sehe ich an diesem Montag nur kurz. Weil er spät nach Hause kommt und fast direkt ins Bett fällt. Um den Whiskey mache ich einen großen Bogen. Und ich versuche mich, die ganze Zeit abzulenken. Leon ist online. Aber er spricht nicht mit mir und ich entscheide mich auch, das Chatprogramm aus zu machen. Niemand ruft mich an. Ich bekomme auch keine SMS. Ich gucke Fernsehen. Und doch klappt es nicht, meine Gedanken aufzuhalten. Ich bin ein Arschloch. Ich mache Leon das Leben zur Hölle und zerstöre all seine Bemühungen, unsere Freundschaft zu retten. Ich behandele Elias wie ein Stück Dreck, gebe ihm falsche Signale und nutze ihn aus. Zu feige mit ihm zu sprechen bin ich auch. Ich zerstöre den Abend für Ben und degradiere ihn ständig zu meinem persönlichen Baby-Sitter und Aufpasser. Ich schere mich einen Dreck um Mikes und Oles Beziehungsprobleme. Und dann küsse ich auch noch Christian – nachdem ich ihn beschimpfe. Dieser Punkt ist einfach nur eines – peinlich. Ich erzittere. Wieso hat Christian das überhaupt zu gelassen? Vielleicht, damit ich endlich die Klappe halte? Wahrscheinlich habe ich ihn überrascht. Das muss es sein. Verdammt, dieser kurze Moment, dieses Anstupsen unserer Zungen – er hat doch reagiert. Ich kann meine Gedanken nicht aufhalten. Sie wandern zurück in der Zeit, in mein Foto-Studio, zu diesem leicht provokanten Posen, dann zum Gothic-Shooting. Christian sieht eben gut aus. Das ist ein Fakt. Und als ich kurz dieses leichte Kribbeln meine zu spüren, fallen mir seine Sprüche ein. Dieses „Mamma Mia!“ in Bezug auf Karolina. Oder „pervers ist gut“. Oder dieses ständige „Herr Fotograf“. Dieses spitzbübische, selbstsichere Grinsen dabei auf seinen Lippen und das Funkeln in seinen grünen Augen, wenn er seine Sprüche bringt. „Na, stellst du dir mich wieder in dieser knappen Latexhose vor?“ Ja. Äh, nein! NEIN! Hammer Body aber dumm wie Brot. Das ist Christian. O Gott, ich hoffe, er hat das nicht weiter erzählt. Ich hoffe, Ben hat es nicht weiter gegeben. Scheiße, das sollte Leon nie erreichen. Er wird sich totlachen. Er wird mich hammer mäßig auslachen. Wobei das mit Elias für ihn wahrscheinlich viel schlimmer ist... Ich muss Ben und Michi unbedingt bitten, diesen Abend in Leons Gegenwart nie zu erwähnen. Weder Elias noch das mit Christian. Gesagt, getan. Michi schicke ich eine SMS, Ben schreibe ich eine kurze Notiz und lege sie ihm bei der Kaffeemaschine hin, damit er sie gleich am nächsten Morgen liest. Doch als ich am nächsten Morgen, mal wieder total unausgeschlafen, gequält von diesem emotionalen Tumult in die Küche tapse, liegt dort ein Zettel für mich, der mich in ein tiefes Loch stürzen lässt. „Ups! Zu spät – Michi hat's Mike gesteckt, der Ole und der – leider – Leon. Sorry, Kumpel! Von mir hätte es niemand erfahren, ehrlich! Das mit Christian bleibt auf jeden Fall unter uns. BEN“ Und da es Michi war, kann ich davon ausgehen, dass es nur die Sache mit Elias war – schließlich weiß Michi nichts von dem Kuss mit Christian... und der Kuschelaktion. Hammer Body. „Und dumm wie Brot!“, füge ich zähneknirschend an. Ich fühle mich scheiße. Mir geht es elendig. Heute, den Tag danach und auch noch am Donnerstag. Ich habe das Thema der Partynacht nicht mehr mit Ben angesprochen. Ich habe mich in die Arbeit gehängt, viel Papierkram erledigt und bin jeden Abend danach einen Umweg gefahren. Einfach, um ein wenig unterwegs zu sein, Musik zu hören, nachzudenken. Und jetzt stehe ich vor Elias' Haustür. Ein tiefer Atemzug, dann klingele ich. Frau Schlabberklamotten öffnet mir wieder die Tür. „Oh. Du bist's“, fasst sie etwas überrascht zusammen und runzelt die Stirn. „Komm rein. Ich ruf Elias.“ Sie verschwindet die Treppe hinauf und ich stehe in der Diele, in der wir uns das letzte Mal leidenschaftlich geküsst haben. Bin ich nervös? Und wie. Ich fühle mich so, als wäre ich zu meiner eigenen Hinrichtung gegangen. Noch schlimmer wird es, als ich ihn die Treppen hinab kommen sehe. Auf seinem Gesicht liegt dieses Mal kein Grinsen, kein Lächeln. Seine Miene ist ernst. Er verzieht leicht den Mund, als er sich dann direkt vor mir aufbaut. „Hallo“, meint er kühl. „Hi...“, entgegne ich und muss mich räuspern, weil ich wie ein kleines, feiges Mäuschen klinge. Ich korrigiere mich: ich bin ein kleines, feiges Mäuschen. „Na, wie geht’s dir?“, fragt er mich immer noch in diesem kalten Ton. „Können wir reden?“, schlage ich vor und er verschränkt die Arme vor der Brust. „Tun wir das nicht gerade?“ „...ich meine, richtig reden...“ Ich kaue auf meiner Unterlippe herum. „Schieß los“, meint er schulterzuckend. Ich hole erneut tief Luft. Mann, ich hasse Konfrontationen. Ich hasse reden. Ich hasse es, meine Gefühle in Worte zu fassen, wenn ich sie selbst nicht verstehe. Ich hasse es, mich so zu offenbaren. „Es tut mir leid...“, setze ich an und mir bleiben die restlichen Wörter in der Kehle stecken. „Was tut dir leid?“, will er wissen. „Alles?“ „Ey, entweder redest du jetzt Klartext oder du gehst wieder“, sagt Elias leicht genervt und starrt mir direkt in die Augen. „Okay. Sorry. Ich bin nicht so gut darin. Im Reden.“ „Merkt man.“ Autsch. „Okay, hör zu“, setze ich erneut an. „Es tut mir sauleid, wie das mit uns gelaufen ist. Das letztes Wochenende war auch mega scheiße von mir. Ich... mag dich. Aber nicht genug, um mir... was mit dir vorzustellen und ich habe das Gefühl, dass ich das vielleicht nicht soooo gut signalisiert habe?“ Elias schweigt. Dann seufzt er. Sein Mund ist ein einzelner, gerade Strich. „Das war voll... voll dumm von mir zwei Mal mit dir ins Bett zu steigen, ohne vorher die Fronten geklärt zu haben, öhm“, blubbere ich weiter. „Okay? Also: sorry! Sorry, sorry, sorry! Ich war ein Mega-Arsch. Vor allem letztes Wochenende. Ich war total besoffen und irgendwie konnte ich nicht mehr klar denken und es schmeichelt mir total, dass du mich toll findest und ich mal jemand anderen küssen kann als immer nur Leon und.. das ist alles neu und du bist ein feiner Kerl, aber, äh... ich denke... wir wollen wohl nicht unbedingt beide das Gleiche...?“ „Du servierst mich ab“, fasst er meine Worte kurz zusammen. „...wahr...scheinlich...“ Langsam schleicht sich in Grinsen in sein Gesicht. Ein minimales, kaum erkennbares Grinsen. „Ja oder nein, Manuel?“ „...ja...“ Elias seufzt. „War irgendwie klar. Ich denke, wenn du mich wirklich, wirklich toll gefunden hättest, dann wäre das Ganze eh viel eher passiert. Und anders.“ Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich bin immer noch irgendwie ein bisschen paralysiert von dem ganzen Reden und diesen mich quälenden Gedanken. Also sage ich noch ein weiteres Mal: „Tut mir leid.“ „Tja, das Leben ist halt ne Schlampe. Aber ich bin froh, dass du endlich mal deinen Mund aufmachst. Ist echt nicht so geil, wenn man tagelang auf ne SMS wartet, sich total die Gedanken macht, dann ins Bett gezerrt wird und man sich so denkt 'hach, ist ja doch alles OK' – und dann wird man das nächste Mal plötzlich behandelt wie Müll.“ „...sorry...“ Ich fühle mich wirklich wie der letzte Idiot. „Vor allem mich voll als Grabscher und aufdringlichen Penner darzustellen fand ich nicht so toll. Dein neuer Schwarm hat mir sogar Schläge angedroht, wenn ich dich nicht in Ruhe lasse – dabei hattest du mir Minuten davor die Zunge in den Hals gesteckt.“ „...s-sorry...“ Neuer Schwarm... Christian. O Mann... „Hey, bei dem wäre ich aber vorsichtig“, meint Elias plötzlich und lacht tatsächlich, er verschränkt auch nicht mehr die Arme vor seiner Brust. „Ich bin ja noch ein chilliger Typ und auch wenn ich Samstag richtig Lust hatte, dir eine zu verpassen, hätte ich es sowieso nicht gemacht. Aber der Kerl war ziemlich aggressiv...“ „Oh... Ähm. Ja.“ Christian will eh nichts von mir. Und ich will nichts von ihm. Ich seufze. „Das ist mir alles total unangenehm...“, gebe ich zu. Elias nickt. „OK. Sätze wie wir bleiben in Kontakt und Freunde und so'n Scheiß können wir uns wohl auch sparen, was? Nimm du mir das jetzt nicht übel, aber verpiss dich; warst ein Griff ins Klo“, lauten seine letzten, zum Teil belustigten Worte. „Ja, sorry...“ Ich bleibe noch eine ganze Weile in meinem Auto sitzen, bevor ich endlich den Motor anwerfe und davon fahre. Als ich nach Hause komme, erwartet mich eine Überraschung. Die Balkontür steht offen und ich hör Stimmen, als ich auf unseren Balkon trete, um nachzusehen, erfassen mich umgehend diese karamellfarbenen Augen. Da sitzen Leon, Martin, Ole, Mike und Ben auf unserem Balkon. „Hey!“, begrüßt mein Ex-Freund mich und auch die Augen der anderen richten sich nun auf mich. „Alter, hast du nen Geist gesehen?“, scherzt Mike und springt auch schon auf, um mich zu umarmen. Ich bekomme sogar einen kleinen Kuss auf meine Wange. „Danke, danke, danke, dass du mir zugehört hast und dich um mich gekümmert hast und alles!“, wispert er aufgeregt in mein Ohr. „He, genug ihr beiden!“, kommt es dann auch schon von Ole, zu dem Mike wieder hinhopst, direkt auf seinen Schoß, damit ich auf dem nun freien Gartenstuhl Platz nehmen kann. Dem Rest der Gesellschaft nicke ich einfach mal zu mit einem genuschelten „Hallo“. Ich bin leicht überfordert hier... „Ich hab dir ne SMS geschrieben“, sagt Ben dann plötzlich, der direkt neben Martin auf der großen Bank sitzt, von der aus auch Leon mich betrachtet, mit einem nicht wirklich definierbaren Gesichtsausdruck. „aber scheinbar hast du sie nicht bekommen.“ Ich zücke mein Handy. Da wartet tatsächlich eine Nachricht auf mich. „Oh.“ Hätte ich das gewusst... wäre ich wahrscheinlich noch ein wenig in der Gegend umher gefahren. Ich habe das Gespräch mit Elias noch immer nicht verdaut. Und jetzt werde ich auch noch mit Leon konfrontiert. Der alles weiß... Fast alles. …ich denke an Christian. Mir wird ganz mulmig. Vor allem, da Leons Blick noch immer auf mir ruht. „Guck mal, was die beiden mir mitgebracht haben!“, bricht Ben das kurze Schweigen und hält einen XXL-Becher mit einem Aufdruck eines Muskelprotzes hoch. „Nett“, sage ich und lächel. „Für dich haben wir auch etwas“, meint Martin plötzlich und ich muss blinzeln. Surferboy lächelt mich tatsächlich ehrlich an. Doch es ist Leon, der mir ein etwas größeres Päckchen unter die Nase hält. „Da“, sagt er milde. Schokolade. Eine riesen Box mit verschiedenen Schokolädchen. „Die haben uns da am meisten geschmeckt!“, fügt er an. „Wow, danke!“ Natürlich öffne ich sie sofort und wir vertilgen die Hälfte. Leon und Martin erzählen von ihrem Trip, wie sie weggegangen sind in einen riesigen Gay-Club mit hellweißen Wänden überall, inklusive Schaumparty, wie sie am Wasser spazieren waren, im Meer gebadet und die City erkundet haben. Meine Gedanken dabei kann ich nicht wirklich beschreiben. Ich versuche zu lauschen und mich für die beiden zu freuen – und ich kann nicht. Es ist aber auch nicht so, als würde mich diese Erzählung total deprimieren. Ich spüre zwar einen kleinen Stich, als Martins Hand sich auf Leons Oberschenkel legt – aber ich fühle mich nicht so, als müsste ich direkt aufspringen und mich heulend aufs Bett werfen. Vielleicht, weil in den letzten Tagen einfach so viel passiert ist oder es mir wenigstens so vorkommt. Vielleicht, weil ich noch immer aufgewühlt bin wegen der Sache mit Elias. Erst jetzt realisiere ich, dass ich traurig deswegen bin. Nicht wegen Elias an sich – ich habe keine Gefühle für ihn. Aber genau das ist es: Ich bin enttäuscht, dass aus uns nichts geworden ist; dass Elias kein Mann war, mit dem es hätte klappen können. Jetzt erst wird mir so richtig bewusst, dass ich meine Freiheit als Single gar nicht genießen will. Ich will eine Beziehung. Das ist der wunde Punkt. Ich seufze und spüre Oles Blick unmittelbar auf mir ruhen. „Alles klar?“, fragt dieser mich nun und ich nicke, reibe mir über die Augen. Es ist spät geworden und diese Gedanken, die Erinnerungen an das Wochenende und alles andere lasten einfach zu schwer auf meinen Schultern. „Ich bin müde... ich werde mich mal so langsam verziehen, irgendwie hab ich in der letzten Zeit nicht wirklich so viel Schlaf bekommen.“ Ich verabschiede mich, verdrücke mich in mein Zimmer und starre – mal wieder – die Decke an. Dann schon klopft es an meiner Tür. Es ist Leon. Er kommt zu mir und setzt sich auf mein Bett. Ich bewege mich nicht, schaue ihn weiterhin an und mir wird ganz heiß – dann wieder ganz kalt. „Hey“, haucht er. „Hey...“, entgegne ich im selben, leisen Ton. „Mh. Ich fand es nicht so gut, wie wir das letzte Mal auseinander gegangen sind“, fängt er ruhig an. „Sorry, das war meine Schuld“, sage ich sofort und setze mich nun doch auf. „Ich sagte ja schon, vergiss einfach, dass ich da war.“ „Ist schon in Ordnung“, fällt er mir ins Wort. „Ich wollte das nur klar stellen und zusehen, dass alles okay ist zwischen uns. Ist es das?“ „Sag du mir das. Ich weiß in letzter Zeit gar nichts mehr...“, entweicht es mir. Schon wieder so etwas ungeplantes... Ich beiße mir auf die Zunge und starre meine Bettwäsche an. Verdammt, es ist immer noch total seltsam ihm so nah zu sein, ohne ihm dabei wirklich nahe zu stehen. Abstrus. Strange. Leon seufzt. „Was, äh... was ist das denn jetzt eigentlich genau mit Elias?“, erkundigt er sich dann. So vorsichtig. Ungehalten drängen sich diese Bilder des vergangenen Samstags auf. Ich schlucke. '...verpiss dich; warst ein Griff ins Klo.' „Da läuft nichts mehr. Gar nichts mehr. Ich hab' ihn heute, wenn man so will, abserviert...“ „Oh...“ „Und Leon“, füge ich noch hinzu und schaue ihm direkt in die Augen, brauche noch etwas Zeit, um die Worte zu finden. „Da lief vorher auch nichts. Ich hätte dich niemals betrogen. Das weiß du doch, oder?“ Stille. Dann ein geflüstertes: „Ich weiß.“ Leon lächelt. „Ich hab vielleicht etwas überreagiert...“, fügt er dann hinzu, doch ich schüttel den Kopf. „Du hattest allen Grund zu diesen Gedanken. Ich wäre wahrscheinlich noch viel schlimmer gewesen...“ „Okay. Dann ist ja alles geklärt. Fast“, sagte er und betrachtete eine kurze Weile die Wand. „Soll ich... jetzt trotzdem lieber auf Abstand gehen? Es wäre gut, wenn du mir ab jetzt ehrliche Infos gibst. Dass das mit Martin im Nachhinein doch zu schnell war, ist mir jetzt auch klar. Und sorry wegen heute, Ben sagte ja, du seist nicht da und er würde dir Bescheid geben, damit du dann entscheiden kannst, ob du herkommst oder eben nicht.“ Ich spiele mit dem Stoff der Bettdecke und presse meine Lippen zusammen. Heute ist wohl mein Gesprächstag. Wie ich es hasse... Tief seufze ich. Ich überlege. Natürlich ist es OK wenn die beiden Ben besuchen, ist ja nicht meine Bleibe allein. Ich kann ja weggehen. Wenn es mir zu viel ist? Ist es mir zu viel? „Vielleicht wäre das besser“, sage ich schließlich – und nachdem ich diese Worte ausgesprochen habe, erfasst mich eine Welle aus Traurigkeit, gleichzeitig aber auch aus Erleichterung. „Ich muss erst mal klarkommen. Ich habe in der letzten Zeit irgendwie Mist in meinem Privatleben gebaut, weißt du...“ „Ich hoffe, nichts allzu Schlimmes?“ „Naja, die Sache mit Elias und so.“ „Oh. Achso... Okay.“ „Ja. Aber ich krieg das wieder hin. Und dann kriegen wir das auch wieder hin.“ Wenn ich einen festen Freund habe, wenn ich mich in irgendwen verguckt habe, dann klappt das mit uns beiden, füge ich im Gedanken an. Dann geht Leon. Und ich? Ich starre weiter die Decke an. Es ist Freitag. Ben geht mit Michi und Ole Essen. „Willst du wirklich nicht mit?“, fragt mein Mitbewohner mich, kurz bevor er in seine Schuhe schlüpft, doch ich schüttel einfach den Kopf. Ich will nicht raus. Ich will einfach nur abhängen. Scheiß auf das schöne Wetter und auf die Tatsache, dass ich frei habe. Mir ist nach Verkriechen. Ich schalte den Fernseher ein, esse Eis und trinke Tee. No Whiskey today. Auch wenn er mir vielleicht gut tun würde, denn ich kann meine Gedanken nicht im Zaum halten. Ständig kreisen sie um mich herum, wie in einem Orbit – und ich übe eine starke Anziehungskraft aus. Ich kann noch immer nicht glauben, was alles passiert ist. Die gesamte Geschichte mit Elias, der Sex mit Ben… bei dieser Erinnerung werde ich ganz rot. Nein, selbst wenn ich es mir einrede, so richtig ehrlich kann ich ihm noch immer nicht in die Augen sehen. Da tauchen einfach noch zu viele Empfindungen der ganz besonderen Art auf; schade eigentlich, dass ich mich nicht in Ben vergucken kann. Das mit uns beiden wäre allerdings eh katastrophal. Ich der Sportmuffel, er der Joggingfreak, der ja jetzt schon die Augen verdreht, wenn ich mich mit Fast-Food vollstopfe. Ach, das ist Ben. Und ich wünschte, das wäre das Heftigste gewesen, was ich in letzter Zeit gemacht habe. Aber hinzu kommt ja noch die Tatsache, dass ich Christian geküsst habe. Ich habe ihn geküsst. Ich schlage meinen Kopf gegen das weiche Küssen und seufze laut hinein. Das ist zum Haare raufen. Wie auf Kommando vibriert mein Handy. Oh-oh. Aber die Nachricht ist nicht von Christian. Erleichterung erfasst mich. Es ist nur Ben, der mich informiert, dass er und die Jungs nun ins Kino wollen. Ich habe trotzdem keine Lust mitzugehen, ich zappe, ich trinke weiter diesen Scheißtee und futtere die ganze Eiscremepackung auf, bis mir schlecht wird. Und diese Zeit – sie will einfach nicht vergehen. Ich setze mich an den PC und spiele irgendwelche dummen Flash-Games. Einfach, um etwas zu tun, das mein Hirn etwas mehr beanspruchen könnte. Das passiert allerdings nicht. Ich habe Christian geküsst. Wie kann man denn bitte so blöd sein?! Wie kann man so doof sein, mit Elias ins Bett zu steigen, ohne etwas für den Kerl zu fühlen und ihn so aufs Glatteis zu führen?! Wie konnte ich mich letztes Wochenende nur so… arschlochmäßig verhalten und dabei auch noch Ben auf den Wecker gehen? Und… wieso habe ich Christian geküsst?! Das darf echt niemand erfahren. Weder Leon, noch Mike, noch Michi, noch Ole, noch Anton, noch Wiebke. Einfach niemand! Was sollte eigentlich seine dumme SMS? Ich mache mir ne Pizza. Und während ich sie futtere und mir dumme Sitcoms aus den 90ern reinziehe, fällt mein Blick irgendwann aufs Handy. Schon wieder eine Nachricht. Und dieses Mal stammt sie von Christian. Beinahe verschlucke ich mich an dem Thunfischstück, was ich mir eben noch so gierig in den Mund gestopft habe. „Hi, hier ist nochmal Christian. Ist meine SMS letztens angekommen? Du hast nicht geantwortet. Wollte nur wissen, ob alles OK bei dir ist. LG,Christian“ Das Display starre ich bestimmt einige Minuten lang an. Und so verlockend der Gedanke, das Ding einfach mal wieder in die Ecke zu schmeißen und so zu tun, als wäre nichts, auch ist – irgendwie muss ich an die Worte von Elias denken. 'Ist echt nicht so geil, wenn man tagelang auf ne SMS wartet, sich total die Gedanken macht, dann ins Bett gezerrt wird und man sich so denkt 'hach, ist ja doch alles OK' – und dann wird man das nächste Mal plötzlich behandelt wie Müll.' Und nach diesen Worten wird mir irgendwie... anders. Auch wenn ich mit Christian nicht ins Bett gesprungen bin und es auch nicht tun werde. Auch wenn das mit Elias im Allgemeinen anders war, weil Elias auf mich stand, und mit mir zusammen sein wollte und Christian... äh... was will er überhaupt von mir? Ich höre Bens Stimme in meinem Kopf: „Du hast dich ihm irgendwann einfach um den Hals geworfen. Und er schien nicht wirklich etwas dagegen zu haben, mein Lieber...“ Ach, das kann doch nicht sein! Wieso ist der überhaupt plötzlich bi?! Ich raufe mir schon wieder die Haare... Und dann wird mir plötzlich ganz kalt. Es kann doch wohl nicht sein, dass Mr. Engel etwas von mir will...?! Diese Nacht kann ich kaum schlafen. Ben kommt irgendwann gegen 4 Uhr nach Hause. Da liege ich immer noch wach. Um 5.30 Uhr gucke ich das letzte Mal auf die Uhr. Um 10 Uhr klingelt mein Handy – es ist Anton. Und Anton ist verdammt sauer. „Alter Manuel, wir haben besprochen, dass du heute in den Laden kommst und meine Schicht übernimmst, momentan ist aber Nina völlig alleine da und ist davon ausgegangen, dass ich noch irgendwann herkomme. Was zur Hölle treibst du?! Die Kunden rennen uns den Laden ein, ruf Wiebke an, damit sie aushilft, klar?!“, brüllt er in den Hörer – so bin ich wenigstens sofort wach. Wie konnte ich das denn schon wieder vergessen?! „Scheiße, Mann! Ich hab's total vergessen, Sorry!“, beteure ich ihm, während ich schon, den Hörer immer noch an mein Ohr gepresst, versuche in meine Jeans zu steigen. „Ach neeee!“, meint er nur zynisch. „Ich bin schon unterwegs!“ „...du hast wahrscheinlich auch vergessen, dass Mama heute kommt?“ „...oah nee.... echt? Heute?“ „Ach, Mensch, Manu... 20 Uhr, Dinner bei mir, Anke und Nina kommen auch. Sei bitte nicht zu spät. Ach, am besten rufe ich dich ne Stunde vorher an, du bist in letzter Zeit echt alles andere als zuverlässig.“ „Ja, ist ja gut...“, murmele ich genervt. „Bis dann und beeil' dich.“ Nina ist ziemlich angepisst von mir und Wiebke ist sogar vor mir vor Ort. Ein Scheißtag. Wenigstens gibt es viel zu tun, sodass ich nicht nachdenken muss. Jedenfalls nicht so viel... Irgendwie starre ich ständig mein Handy an. Ich weiß, dass ich noch eine SMS beantworten muss. Aber ich bin eben ein Feigling und drücke mich davor. Wenn... wenn er ein drittes Mal schreibt, dann schreibe ich zurück! Wir machen pünktlich um 14 Uhr dicht. Meine ältere Kollegin ist schon ein wenig besser drauf. „Wir sehen uns heute Abend!“, verabschiedet sie sich von mir. Als ich nach Hause komme, steht die Balkontür wieder auf. Ich bin so müde, dass ich gar nicht wissen will, wen Ben sich eingeladen hat. Selbst wenn es Michi oder Mike und Ole sein könnten, oder Karolina. Ist mir egal. Ich will einfach nur ins Bett und jenes wirkt tatsächlich sehr einladend, als ich mein Zimmer betrete und mich dann einfach vorne über drauf fallen lasse. Meine Augen fallen zu – ich bin sofort weg. Ich weiß nicht, wie lange ich schlafe, aber irgendwann klopft es verdammt penetrant an meiner Zimmertüt. O Gott! Ich habe bestimmt das Dinner verschlafen! Mit einem Ruck springe ich auf, haste zu meiner Zimmertür und reiße sie auf und... blicke in ein Paar leicht erschrockener und irgendwie auch amüsierter, grüner Augen... „Was... was machst du denn hier?!“; fahre ich Christian an. Eine Spur – oder auch 'zwei Spuren' – zu laut und zu heftig. Sein Mund geht auf, aber es kommt kein Ton heraus. Und ich werde irgendwie nervös und fühle mich total dämlich, dass ich meinen Besucher so angeschrien habe, direkt zum Hallo. Und dessen SMS ich nicht beantwortet habe. Obwohl er sich die Zeit genommen hat, letztes Wochenende auf mich aufzupassen, auch wenn er nach Hause gehen wollte... Der mich aber auch zurück geküsst hat, als ich so besoffen war, dass ich nicht wusste, wo vorne oder hinten ist. Ja, genau! Er hat mich ausgenutzt. „Ähm, h----i“, sagt Christian schließlich und lächelt ganz leicht. Jetzt fühle ich mich wieder dumm. „Hi, ähm. Sorry. Ich hab geschlafen und... wie spät ist es?“ „Kurz vor sechs“, meint er nur. „Oh. Okay. Dann ist alles in Ordnung.“ Außer der Tatsache, dass Christian direkt vor meiner Zimmertür steht... „Kann ich... vielleicht reinkommen?“ „Was? Äh. Klar.“ Ich setze mich auf mein Bett und Christian schlendert hinüber zum blauen Sessel. Leger schlägt er die Beine übereinander und seufzt. „Sorry, dass ich dich aufgeweckt habe“, meint er dann und sieht mir direkt in die Augen. „Ach, ist schon OK, ich muss um acht bei meinem Bruder sein, das passt schon...“ Christian trägt ein ziemlich eng anliegendes, und all seine Muskeln betonendes Poloshirt in Dunkellila. Die verspiegelte Pilotenbrille ruht wieder auf seinem strubbeligen, hellen Haar. Untenrum trägt er eine knielange, schwarze Shorts im Cargo-Stil und ebenso dunkle Sneaker. Erst jetzt fällt mir auf, dass er ziemlich braun gebrannt ist. „Ähm... wegen dem letzten Wochenende...“, fängt er an und ich könnte schwören, dass sich in meinem Hals ein ganz großer Klumpen formt und meine Stirn ganz warm wird, so als würde sich ein Fieber anbahnen. Ich hab Angst. Wovor? Das weiß ich noch nicht so genau. Aber ich bin schon mal das wachsame Kaninchen, das in der nächsten Millisekunde direkt in seinen Bau flüchten könnte. Die Frage ist nur: wo ist mein Bau? Und: wieso sollte ich einen haben, wenn ich kein Kaninchen bin? Und: nur mal angenommen, ich wäre ein Kaninchen, und wenn ich eins wäre und quasi einen Bau hätte, wäre das dann nicht mein Zimmer? Und in jenem sitzt doch schon der Wolf, oder nicht? Fressen Wölfe eigentlich Kaninchen oder ist da zu wenig Fleisch dran? „Äh, hallo?“, fordert Christian meine Aufmerksamkeit wieder ein und ich blinzel. „Was?“, keuche ich. Hatte er jetzt schon etwas gesagt? Christian lacht. Laut. Dann schüttelt er den Kopf und fährt sich mit seiner Zunge über die Lippen. Er beugt sich etwas vor im Sessel und lässt mich dabei nicht aus seinem intensiven Blick. Dann meint er: „Ich sagte: ich glaube, du bist unsterblich in mich verliebt, aber du checkst es noch nicht.“ Ich bin nicht das Kaninchen. Ich bin der Wolf. Der böse Wolf. Grrrr! Samstag, 10. August ICH FASSE ES NICHT! GRRRR!!! WTF? Der Wolf Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)