Babysitting?! von abgemeldet (I'm here for you) ================================================================================ Kapitel 1: Step 1 ----------------- Flüchtig überflog ich die Liste, die die Mutter meines neuen Sorgenkindes mir in die Hand gedrückt hatte, als ich angekommen war. Keine Horrorfilme, kein Alkohol, keine Obszönitäten, maximal eine halbe Stunde an der Playstation, spätestens um zehn im Bett... Immer der selbe Mist. Alles, was irgendwie Interessant war, war verboten. Aber mal ehrlich, wann hielt ich mich mal wirklich an diese Listen? Die Kids waren bis jetzt nie vor elf im Bett gewesen. Und gegen Horrorfilme konnte ich bis jetzt auch nie was unternehmen. Gut, das lag allerdings wohl eher an meiner persönlichen Schwäche für solche Streifen. Seufzend ließ ich das Papier vor mir auf den Küchentisch sinken und musterte den Jungen, der mir nach wie vor schweigend gegenüber saß. Sein Name war Roxas, soweit ich das mitbekommen hatte zumindest. Er war schon fünfzehn und seine Eltern glaubten immer noch, er habe einen Babysitter nötig. Absurd. Der Kleine konnte doch sicherlich schon gut auf sich selbst achten. Aber ich konnte mich ja eigentlich nicht beschweren. Immerhin kam mir das Ganze nur zu Gute. Fünfzehnjährige waren einfach zu handhaben. Das hatte ich herausgefunden, als meine Schwester in dem Alter gewesen war. Sie hat wirklich alles gemacht, was ich ihr aufgetragen habe. Natürlich hab ich das in vollen Zügen ausgenutzt. Vielleicht nicht unbedingt das, was man von einem sechzehnjährigen erwartet, aber hey! Ich war halt auf meinen eigenen Vorteil bedacht. Nun war ich ein Jahre älter und konnte der Verlockung ehrlich gesagt immer noch nicht widerstehen. Allerdings wusste ich auch noch nicht, wie die Pubertät sich bei Roxas äußerte. Also musste ich das wohl erst einmal in Erfahrung bringen und dann nach Möglichkeit zu meinem Vorteil nutzen. „Also, Roxas...“, begann ich und beobachtete, wie der blonde Strubbelkopf vor mir leicht zusammen zuckte. Hatte ich ihn aus den Gedanken gerissen? „Was willst du machen?“, fuhr ich unbeirrt fort und lehnte mich leicht auf dem Küchenstuhl zurück. Kurz blickten die tiefblauen Augen des Jüngeren mich prüfend an, doch dann sah er etwas in der Küche umher. Überlegte er, oder versuchte er mir auszuweichen? Es dauerte etwas, bis ich eine Antwort auf meine Frage erhielt, doch kam sie schlussendlich doch noch. „... Ich will Mom und Dad anrufen und ihnen sagen, dass sie wieder kommen sollen.“, murmelte Roxas leise und knetete seine Hände leicht in seinem Schoß. Bitte? Seine Eltern waren kaum zwei Minuten weg und schon wollte er, dass sie wieder kommen? Was war das denn für ein Knirps? So einen Fall hatte ich ja noch nie. „Warum?“, fragte ich automatisch und verschränkte die Arme vor der Brust. Stille war alles, was mir antwortete. Na prima. Ich hatte einen Jungen der ‚gesprächigen‘ Sorte erwischt. Damit war das Thema ‚Vorteile ausnutzen‘ schon mal gegessen. „Lass deinen Eltern doch ihren Spaß. Scheinbar haben sie in letzer Zeit ja nicht sonderlich viel Zeit dazu gehabt.“, seufzte ich schlussendlich und stand auf. Eigentlich war es mies jetzt diese Karte auszuspielen, aber wenn der Junge seine Eltern ansonsten sofort zurück holen würde, war sie nötig. Ich würd mich garantiert nicht um mein Geld bringen lassen, dass mir für diesen Abend in Aussicht stand. Die Information, dass Roxas‘ Eltern lange nicht mehr weg waren, entnahm ich der Tatsache, dass meine Mom mich nicht damit in Ruhe gelassen hatte. Ich hatte erst nämlich so gar keine Lust darauf, den Babysitter für den Sohn von Mom’s Freundin zu spielen. Und ich stand da immer noch nicht anders zu, allerdings musste ich da jetzt durch. „Hast du Hunger?“, lenkte ich dann doch vom Thema ab, als er mir keine Antwort gab. Er schüttelte nur leicht den Kopf und musterte weiterhin seine Hände, welche immer noch ihren Platz auf seinen Oberschenkel verteidigten. Ich runzelte kurz die Stirn, zuckte dann jedoch mit den Schultern. „Dann eben nicht.“ Langsam verließ ich die Küche, schnappte mir den Gitarrenkoffer, den ich bei meiner Ankunft im Flur hatte stehen lassen, und machte mich auf ins Wohnzimmer. Es war ein wirklich schöner Raum. Er war in hellen, warmen Tönen gehalten. Die Wand war von einer orangeroten Tapete geziert und der Boden mit hellem Parkett überzogen. Links neben der Tür stand eine schneeweiße Ledercouch, ihr gegenüber war der Fernseher an der Wand befestigt. Ein tiefliegender, runder Glastisch fand seinen Platz zwischen dem Gerät und der Sitzgelegenheit. An der Wand, die das Fernsehgerät hielt, fand sich auch eine Glastür, die hinaus in den Garten führte. Auch Regale kamen nicht zu knapp. Wobei die meisten bereits mit Büchern, oder kleinen Errungenschaften, wie kleinen Glasfiguren, gefüllt waren. Kurz ließ ich den Blick noch einmal schweifen, ehe meine Aufmerksamkeit an einer Sammlung Bilder, die neben dem Sofa hingen, hängen blieb. Langsam trat ich näher an die Erinnerungsspeicher heran. Es waren Familienbilder. Die Frau, die mich herein gelassen hatte, war auf fast allen zu sehen. Auch Roxas fehlte nirgendwo. Der mutmaßliche Familienvater war nur selten dabei. Sicherlich hatte er die meisten der Fotos gemacht und fehlte deshalb. Eines der Bilder fiel allerdings ziemlich aus dem Rahmen. Darauf war, neben dem blonden Strubbelkopf und seiner Mom, noch ein braunhaariger Junge, der Roxas ziemlich ähnelte, zu sehen. Ich legte den Kopf leicht schief. Wer das wohl war? Vielleicht ein Freund von dem Kleinen? Das leise Knarren des Parketts ließ mich meinen Blick von den Bildern abwenden und zur Tür sehen. Roxas stand etwas unentschlossen im Türrahmen und beobachtete mich genau. Er traute mir nicht. Schade eigentlich. Aber was sollte ich machen? Ich würde mir das Vertrauen von dem Jungen garantiert nicht durch schleimen holen. Nichts da. So einer war ich nicht. Der Kleine musste damit klar kommen, wie ich war. Ansonsten würde das hier wohl doch noch eine Katastrophe ergeben. Den Jüngeren nicht weiter beachtend ließ ich mich im Schneidersitz auf die Couch sinken und zog meine Gitarre aus ihrem Koffer. Kurz überprüfte ich, ob mein Liebling ordentlich gestimmt war. Nicht, dass sie sich auf dem Weg von mir zu Hause hierher selbst verstimmt hatte. Aber es war nicht von Nöten, dass ich sie nachstimmen musste. Super, das spart Zeit. Keine zwei Sekunden später wurden die Klänge der Gitarre von den Wänden des geräumigen Zimmers zurückgeworfen. Einige Zeit ging das so, bis ich plötzlich bemerkte, dass Roxas sich neben mich gesetzt hatte. Etwas fragend hob ich den Blick und musterte den Kleinen. „Das Lied kenn ich.“, erklärte er sich dann und ich hob fragend eine Augenbraue. Ja, klar. Der kleine Blondschopf sah auch wirklich danach aus, dass er Musik aus dieser Richtung hörte... Naja, das konnte ich eigentlich noch gar nicht festlegen, da der Junge definitiv noch zu jung war, als dass er sich bereits intensiver mit einer Musikrichtung auseinander gesetzt haben kann. „Ach ja?“, fragte ich daher nach und ließ die letzten Töne ausklingen. Er nickte eingehend. „Evil Angel ist ein schöner Song.“ Okay, das wunderte mich schon etwas. Hatte der Junge vielleicht doch schon mehr Ahnung von Musik, als ich ihm zumutete? „Stimmt!“, bestätigte ich grinsend und widmete mich wieder dem Instrument. Ehe ich in meinem Kopf allerdings einen anderen Song zusammen suchen konnte, spürte ich, wie der Kleine ziemlich zögerlich an meinem Oberteil zupfte. Verwirrt hob ich den Blick wieder: „Mh?“ Der Anblick, der sich mir bot war irgendwo ziemlich niedlich. Der Kleine war ein wenig rot im Gesicht und schien sich nicht so recht zu trauen mich anzusehen, worauf ich kam, weil sein Blick immer nur kurz scheu zu mir herüber schlich. Seine Hände knibbelten etwas nervös an einem der Kissen, dass er sich auf den Schoß gelegt hatte. „Was hast du?“, verdeutlichte ich meine Frage schließlich, als der Junge keine Anstalten machte, zu antworten. „Kann ich die mal kurz haben...?“, fragte er ziemlich leise und deutete kurz auf die Gitarre. Von der Frage ein wenig verwirrt musste ich lachen. „Klar, aber wehe ich find nachher einen Kratzer. Dann lernst du mich mal anders kennen.“ Augenblicklich wich jegliche Farbe aus dem Gesicht Roxas‘ und er rutschte ein Stück von mir weg. Erneut musste ich kurz lachen. Der Kleine hatte mich doch wohl nicht ernst genommen, oder? „Jetzt mach dir mal nicht ins Hemd, klar darfst du. Ich schau derweil mal, ob ich was vernünftiges zu Essen auf den Tisch bringen kann, denn im Gegensatz zu dir hab ich Hunger.“, grinste ich den Jüngeren an und stand auf. Ehe er protestieren konnte, zog ich das Kissen von seinem Schoß und drückte ihm mein Schätzchen in die Hand. Klar, man sollte meinen, dass ich das Teil nur ungern in den Händen anderer sah, aber Demyx hatte die Gute schon so oft ohne meine Erlaubnis in den Pfoten gehabt, da war ich diesbezüglich wohl schmerzfrei geworden. Wie vorhergesagt, verzog ich mich dann wieder in die Küche, ließ allerding die Türen beider Räume offen. Immerhin wollte ich schon erfahren, was Roxas da so praktizierte. Erst vernahm ich nur unsicheres Geklimper. Entweder kam er mit der Süßen nicht klar, oder er konnte es einfach nicht. Den Kopf schüttelnd wandte ich mich dem Schrank zu und zog eine Packung Spaghetti heraus. Gefundenes Fressen, wortwörtlich. Zu meinem Glück fand ich auch eine Fertigsoße in dem Küchenschrank und grinste triumphierend, denn nun musste ich mir nicht selbst eine zusammenkochen. Das wäre eine Katastrophe geworden. Das Kochen in unserer Clique übernahm eben in der Regel Demyx oder Zexion und nicht ich. Und einen der Jungs konnte ich jetzt nicht herbestellen, nur damit sie die Soße für mich zauberten. Diesen Gedanken verwerfend suchte ich mir die Kochutensilien in dem Raum zusammen. Die Töne aus dem Wohnzimmer wurden langsam sicherer. Als die Nudeln dann endlich auf dem Herd standen konnte man endlich erkennen, welches Lied der Kleine da im Wohnzimmer zu fabrizieren versuchte. Ich musste kichern. Scheinbar mochte der Junge Songs von Breaking Benjamin. Naja, das zeugte von gutem Geschmack. Grinsend wanderte ich zurück zum Wohnzimmer, blieb jedoch im Türrahmen stehen und beobachtete Roxas. Der Kleine brach sich echt einen ab, um das Lied zusammen zu bekommen. Ich schüttelte den Kopf. „Du bist zu verklemmt. So hast du nachher einen bösen Krampf in der Hand, und du hast die Saiten nicht so sicher unter Kontrolle, wie gedacht.“, riet ich ihm und er schrak irritiert hoch, blinzelte mich verwundert an. Da kam einer aber weit her. Grinsend stieß ich mich etwas vom Rahmen ab und ging auf den Jungen zu, ließ mich neben ihm auf das Sofa sinken. „Warte mal, ich zeig es dir.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, drehte ich den Jungen mit dem Rücken zu mir und zog ihn zu mir heran. Augenblicklich schien der Kleine sich noch mehr zu verkrampfen. Hoppla. Ich tat so, als hätte ich es nicht bemerkt, und tippte mit den Fingern gegen die rechte Hand des Jüngeren. Oha, der war echt verkrampft. „Entspann dich mal. Weder ich noch meine Süße beißen.“, erklärte ich grinsend und bemerkte, dass er sich dadurch nur noch mehr verkrampfte. Kein Freund von Nähe also, naja, egal! Unbekümmert zog ich seine Hand vorsichtig vom Gitarrenhals und drückte sie kurz: „Entspannen, Kleiner! Nicht noch mehr verkrampfen!“, schnurrte ich leise, provokant nah an seinem Ohr. Der Andere erzitterte und ich musste mir ein Lachen verkneifen. Zu meiner Verwunderung allerdings, entspannte sich der Blondschopf daraufhin sogar. Es verwirrte mich schon ein Wenig, aber ich schob es schnell wieder beiseite. „Probier’s jetzt noch mal. Und nicht vergessen: Locker bleiben. Verbissen gespielt klingt alles scheiße.“, erinnerte ich ihn und stand dann langsam auf, warf rasch einen Blick in die Küche, zu den Spaghetti, die fröhlich vor sich her kochten. Noch ehe ich den Topf, in den ich die Soße gegeben hatte, auf den Herd gestellt hatte, vernahm ich den Klang meiner Kleinen. Nun konnte man den Song ‚Diary Of Jane‘ auch endlich richtig erkennen und musste nicht erraten, ob er es war. Der blonde Junge schien doch mehr von Musik zu verstehen, als ich gedacht hatte. Schließlich zog ich nach kurzer Zeit die beiden Töpfe vom Herd, und beendete meine Koch-Aktion mit dem Abschütten des Spaghetti-Wassers. So. Essen fertig. Tisch gedeckt. Musste ich nur noch den Kleinen her holen. Und das stellte sich als einfach heraus. Denn kaum hatte ich ihn gerufen, kam der Junge schon in die Küche geflitzt. Soviel zum Thema: Er hat keinen Hunger. Kapitel 2: Step 2 ----------------- Der Rest des Abends verlief merkwürdigerweise ohne weitere Ereignisse. Der Kleine verzog sich in sein Zimmer und kam nicht mehr heraus. Nach einer Stunde machte ich mir dann doch Gedanken, und ging nach oben. Es war ungewohnt, Treppen zu nutzen, die von einem Teppich überzogen waren. Man sollte meinen, dass sowas im einundzwanzigsten Jahrhundert ziemlich ungewöhnlich war. Aber hier schien es das normalste der Welt sein, zumindest für die Hausbewohner. Mir war etwas unwohl dabei, da ich die ganze Zeit das Gefühl hatte, der Teppich würde jeden Augenblick wegrutschen. Wie kam man auch bitte auf die Idee, einen Teppich auf einer Treppe zu positionieren? Und dann auch noch einen blauen? Wenn er rot wäre, dann hätte man es noch auf die alten Zeit, wo es noch Könige und Kaiser und so einen Kram gab, verschieben können. Aber blau? Über diese Gedanken den Kopf schüttelnd suchte ich in der oberen Etage nach dem Zimmer meines Schützlings. Und siehe da: Es war definitiv einfach zu finden, da ein ziemlich ausgeschmücktes, schwarz-blaues ‚R‘ auf der Tür zu erkennen war. Die Form erinnerte mich stark an einen der detailierten und verschnörkelten Buchstaben, die in den älteren Büchern immer am Anfang eines neuen Kapitels zusehen waren. Ich musste gestehen, dass ich kein sonderliches Interesse, an dieser Art der Kunst hatte, aber irgendwo war es doch schon ein wenig faszinierend. Ich klopfte an die Tür und lauschte. Stille. Ich runzelte kurz die Stirn. Hörte er Musik? Vorsichtig drückte ich die Türklinke herunter und schob die Tür auf. Verwundert stellte ich fest, dass das Licht vom Flur wie ein Kegel auf den Zimmerboden fiel und offensichtlich die einzige Lichtquelle bot. Dunkelheit hielt den Rest des Raumes umschlossen. Ein kurzer Blick zur Zimmerdecke verriet mir, dass ich mir das nicht nur einbildete. Das Licht war wirklich gelöscht. Suchend ließ ich meine Finger über die Wand neben der Tür fahren, bis ich den Lichtschalter fand und ihn betätigte. Augenblicklich flammte die Lampe auf und erhellte den Raum. Mir bot sich der Anblick eines typischen Teenager-Zimmers. Poster an der Wand, ein paar Klamotten auf der Erde, ein von Schulsachen und CDs überfüllter Schreibtisch, Regale voller Bücher, eine kleine schwarze Couch mit roten Kissen, diesem gegenüber ein Fernseher mit angeschlossenen Konsolen... das übliche eben. Allerdings bot sich mir ein ziemlich seltsames Bild. Roxas lag in seinem Bett und kuschelte sich friedlich schlummernd in sein Kissen. Ich blinzelte mehrmals, um sicher zu gehen, dass ich mich nicht versah. Der schlief doch ernsthaft schon. Es war noch nicht mal halb zehn und der Junge schlief. Das war doch... mir fehlten jegliche Wörter, die die Situation beschreiben konnten. Der Blondschopf war wirklich kein gewöhnlicher Teenager. Nie zuvor hatte ich einen Fünfzehnjährigen vor Zehn im Bett gesehen. Niemals. Und ich hatte schon verdammt viel erlebt. Etwas verwundert betrat ich das Zimmer und schloss leise die Tür. Wenn er wirklich schlief, brauchte ich ihn nicht zu wecken. So war er immerhin definitiv am leichtesten zu handhaben. Dennoch vertraute ich dem Frieden nicht ganz. Wie kam es bitte, dass ein Junge, ein fünfzehnjähriger Rockmusik-Liebhaber, jetzt schon schlief? Das ergab einfach keinen Sinn. Vorsichtig näherte ich mich dem schlafenden Teenager. Er erschien richtig entspannt und friedlich, nicht so schüchtern und besorgt, wie ich ihn vorher kennen gelernt hatte. Und dieser unbesorgte Ausdruck gefiel mir auf seinem Gesicht wirklich besser. Es passte irgendwie nicht zu ihm, so in sich gekehrt zu sein, soweit ich das behaupten konnte. Immerhin hatte ich ihn auch schon einmal so erlebt, als er sich mit meiner Süßen beschäftigt hatte. Unweigerlich musste ich leicht grinsen und zog die Bettdecke aus der Ecke, in die der Kleinere sie wohl im Schlaf getreten hatte. Sie war relativ dünn, einer Wolldecke ähnlich, und doch umhüllte sie ein weißer Bezug mit Drachenaufdruck. Ich tendierte stark zu Mikrofaser. Ich sah mich noch einmal nach einer anderen Decke um, fand jedoch keine. Demnach musste das wirklich die Bettdecke des Kleinen sein. Skeptisch musterte ich sie. Vielleicht hatte er im Winter ja eine Andere und nutzte die dünne hier nur im Frühling und Sommer? Möglich. Ich hielt es bei den aktuellen Temperaturen auch nie wirklich lange unter meiner Decke aus, weil die einfach zu dick und warm war. Immer noch ein wenig mit dem Thema beschäftigt, breitete ich die Decke über dem Jungen aus. Wenn er sie wirklich nicht brauchte, würde er sie wieder in die Ecke befördern, davon war ich überzeugt. Also brauchte ich mir keine Gedanken zu machen. Kurz musterte ich den Jüngeren noch einmal. Japp, ihm stand dieser entspannte Ausdruck definitiv besser. Das würde ich ihm auch sagen, sollte ich ihn nach heute noch mal sehen. Vielleicht zumindest. Aber vorerst würde ich es wohl für mich behalten. Rasch und ebenso leise verließ ich das Reich meines kleinen Schützlings wieder und schaltete das Licht aus. Wenn er schon einmal schlief, wollte ich ihn auch schlafen lassen. Ein Grinsen schlich sich auf meine Lippen. So. Hatte ich nun also unverhoffter Weise doch noch einen Abend für ‚mich‘. Ohne groß auf ein Kind achten zu müssen und, was noch besser war, ohne Erziehungspersonen, alias Eltern! Eventuell wurde das heute ja doch noch richtig angenehm. Blieb nur noch zu hoffen, das Roxas nicht in einer Stunde wieder aufwachte. Aber solang ich nicht unbedingt den Krach des Jahrtausends veranstaltete, war die Wahrscheinlichkeit ziemlich gering. Erneut über den Teppich den Kopf schüttelnd, ging ich wieder die Treppe hinab und verzog mich in das Wohnzimmer. Meine Gitarre bezog, wie nach der raschen Reaktion des Jüngeren vor dem Abendessen zu erwarten war, auf der Couch Stellung. Ich musste ein wenig schmunzeln. Irgendwie war es ja schon niedlich gewesen, wie verkrampft der Kleine vorher versucht hatte, die Gute zu spielen. Aber im Endeffekt hatte er es ja dann auch hinbekommen. Mit Sicherheit würde der Blondschopf das nächste Mal gleich entspannter mit einer Gitarre umgehen, wenn er eine in die Finger bekam. Ein wenig triumphierend verstaute ich die Gitarre wieder in ihrem Koffer. Verwenden würde ich sie heute ohnehin nicht mehr, da ich nicht riskieren wollte, den Jüngeren doch wieder aufzuwecken. Also musste nun mein guter alter Freund, der I-Pod, herhalten. Man sollte meinen, dass ein I-Pod nicht wirklich viel Bedeutung im Leben eines Abiturienten haben sollte, aber das hatte er. Und wie er das hatte. Ohne das Teil wäre ich im Leben ziemlich aufgeschmissen. Nicht, weil ich die stundenlangen Reden meiner Lehrer darauf abgespeichert hatte (die nebenbei nicht ganz erlaubter Weise darauf gelandet waren), sondern eher, weil ich alle meine Musik-Dateien drauf gezogen hatte. Von A bis Z war wirklich alles aus meiner Musiksammlung dabei – natürlich mit Ausnahme der Phil Collins-, Genesis- und Pur-Songs meiner Mom, von denen zugegebener Maßen nicht alle so schrecklich waren, wie ich gern behauptete. Flink wühlte ich den schwarzen Player aus meiner Tasche und schaltete ihn ein. Oder eher, ich versuchte ihn einzuschalten. Aber Fehlanzeige. Immer, wenn ich dachte, dass er jetzt endlich anging, verabschiedete sich das Teil direkt wieder. Das Symptom sprach Bände. Akku leer. Na prima. Dabei hatte ich den doch heute morgen erst aufgeladen. Naja, im Laufe des Tages lief der I-Pod ununterbrochen, das war mit großer Wahrscheinlichkeit der Grund für die nun fehlende Energie. Mist. Und jetzt? Jetzt musste wohl oder übel mein Handy herhalten. Zwar war die Auswahl an Titeln nicht ganz so groß, wie bei meinem Player, aber dafür befanden sich auf dem Handy nur meine Favoriten. Auch irgendwo ein Vorteil. Leider kam ich gar nicht mehr zum Hören, da ich auf dem Display meines Handys erkannte, dass jemand versucht hatte, mich anzurufen. Irritiert runzelte sich die Stirn. Wer rief mich bitte an einem Mittwochabend an? Zudem an diesem? Ich hatte den Jungs gesagt, dass ich heute nicht konnte, da ich auf Roxas aufpassen musste. In solchen Fällen wagte es eigentlich keiner aus der Truppe, mich anzurufen. Allerdings schien es heute anders zu sein. Denn nun verriet der Display, dass Demyx der Übeltäter war. Merkwürdig. Rasch betätigte ich die Rückruftaste und lauschte dem regelmäßigen Tuten, welches von Demyx‘ nervigen Freizeichenton begleitet wurde. Seit er sich diesen Ton zugelegt hatte, hegte ich einen tiefergehenden Hass auf das Spiel Tetris, über den die Anderen sich gerne amüsierten, indem sie gerade dieses Spiel jeden Sonntagabend vorschlugen. Nach dem ersten Durchlauf der Melodie, befreite Demyx mich allerdings von der Qual: „Hey, Ax! Wie schaut’s aus?“ „Aktuell ganz gut.“, gab ich auf die durchaus typische Begrüßung des blondhaarigen Musikers zurück, allerdings ließ mich ein kleiner Unterton in der Stimme meines Freundes ein wenig stutzen. Irgendwas war, aber ich konnte es noch nicht ganz genau zuordnen. Als Demyx dann auch noch leise zu kichern begann, war ich vollends verwirrt. „Was ist so komisch?“, forschte ich nach, als der Andere sich auch nach einigen kurzen Minuten nicht eingekriegt hatte. „Nüx! Ich freu mich nur, dassu anrufst!“, antwortete er immer noch recht amüsiert und nun wusste ich auch, was dieser seltsame Unterton zu bedeuten hatte. „Demyx? Bist du besoffen?“ „Nee! Wie kommsu denn darauf?“ Da war es wieder. Dieser nun doch ziemlich deutliche Unterton. „Du lallst!“ Mehr als ein kleinlautes ‚Oh‘ bekam ich darauf nicht als Antwort. Na toll. Ich wartete kurz, ehe ich zum Sprechen ansetzte: „De...“ „Ax? Kann ich zu dir komm‘?“, unterbrach mein Freund mich und ich stutzte kurz. Hatte er vergessen, wo ich war? „Dem, du weißt, ich...“ „Bitte!“ Autsch! Die Tonlage war mir mehr als bekannt. Irgendetwas war passiert. Irgendetwas, dass den Guten ziemlich aus der Bahn geworfen hatte. Aber ich konnte ihn jetzt eigentlich schlecht holen. Immerhin wusste ich nicht, wann Roxas‘ Eltern wieder nach Hause kommen würden. Und wenn die einen Demyx hier neben mir vorfänden, ergäbe das ziemlichen Stress. Kurz überlegte ich, schüttelte dann jedoch den Kopf. Das hier, war jetzt definitiv wichtiger, als alles andere. Demyx griff niemals unüberlegt zum Alkohol. Er war in der Regel sogar der, der unsere Gruppe davon abhielt, sich das Hirn wegzusaufen. Also musste echt etwas Weltbewegendes vorgefallen sein. Und bei Demyx konnte das ziemlich viel sein. Seine Familie, seine Beziehung, sein Job... Ich tippte auf das Zweite. Ich wusste genau, wie es aktuell zwischen Demyx und seiner Flamme aussah. Marluxia war zurzeit beruflich in Paris. Das zerrte ziemlich an ihrer Beziehung und Demyx hatte deswegen schon oft bei mir geschlafen, nur damit er nicht alleine sein musste. Er war noch nie der Typ für Fernbeziehungen gewesen. Er musste seine Liebsten immer in der Nähe und für ihn greifbar wissen, sonst war er nicht glücklich. Das Marluxia angehender Mode-Designer war, machte die ganze Sache noch um einiges komplizierter, da er dadurch wirklich oft verreisen musste und Demyx wegen seinem Job nicht mitkonnte. Die ersten Tage ging es mit der Einsamkeit bei dem Musiker meist noch, aber nach vier Tagen allein ging es dann gar nicht mehr. Dann nistete er sich meist bei einem aus der Clique ein, um Ablenkung zu finden. Bisher hatte das auch blendend funktioniert. „Klar!“, stimmte ich also zu und nannte ihm die Adresse. Er wohnte zwar keine sechs Blocks von hier entfernt, aber trotzdem hatte ich irgendwie ein schlechtes Gewissen. „Sorry, dass ich dich nicht holen kann.“ „Nich‘ schlimm. Bin gleich da!“ und damit legte er auf. Langsam ließ ich das Handy wieder sinken. Innerlich hoffte ich, dass es nichts mit seiner Beziehung zutun hatte. Denn dann half vorerst nur eines: Ein Telefonat mit Marluxia, und das war um diese Uhrzeit wahrscheinlich mit das Schwerste, was man veranlassen konnte. Seufzend ließ ich mich auf das Sofa fallen und legte den Kopf in den Nacken. Problemgefüllter Abend, herzlich Willkommen im Hause Heaven. „Wer war das?“ Erschrocken setzte ich mich auf und blickte zur Tür. Roxas stand dort und sah mich fragend an. „Hab ich dich geweckt?“, versuchte ich das Thema sofort umzulenken. Er schüttelte jedoch den Kopf. „Ich habe eigentlich nicht geschlafen.“ Nicht? Mist, dann hatte er mitbekommen, dass ich in seinem Zimmer war. Na toll. Aber scheinbar hatte es ihm nichts ausgemacht, sonst hätte er mich sofort verbannt. „Also, wer war das?“, bohrte er noch einmal nach. Ergebend seufzend stützte ich das Kinn auf einer Hand ab. Er würde es spätestens in zehn Minuten ohnehin herausfinden, also warum groß hinter den Berg halten? „Ein Freund von mir. Er hat gerade offensichtlich die Kacke am dampfen und kommt vorbei.“, gestand ich dem Blondschopf und erhob mich. Sein verwirrter Blick sprach Bände. „Keine Panik. Ich werde ihn nicht rein lassen, wenn du das nicht möchtest.“ Kapitel 3: Step 3 ----------------- Und wie der Junge das nicht wollte. Ich hatte mir geschlagene zehn Minuten anhören müssen, dass ich nicht einmal die Information über die Adresse hätte weiter geben dürfen. Erst, als ich ihm versichert hatte, dass Demyx garantiert Besseres zutun hatte, als bei Roxas‘ Familie Klingelmännchen zu spielen, hatte er mich damit in Ruhe gelassen. Wieso konnte er es nicht einfach hin nehmen, dass ich für einen Freund da sein wollte? Er hätte es doch bestimmt genauso gemacht, wenn er in meiner Situation gewesen wäre. Zumindest glaubte ich das, da ich keinen möglichen Vergleich fand. Allerdings musste ich Roxas schon irgendwo Recht geben. Ich wohnte hier nicht. Mir stand es also eigentlich nicht zu, ‚Fremde‘ hierher einzuladen, aber bei Demyx musste das nun einfach sein. Und wenn Roxas oder seine Eltern damit ein Problem hatten, konnten wir da später auch noch drüber reden. Demyx hatte definitiv Vorrecht! Und dann klingelte es endlich. Augenblicklich lief ich zur Tür und öffnete sie, nicht darauf achtend, dass Roxas dies mit Adleraugen beobachtete. Ich erhaschte nur einen flüchtigen Blick auf Demyx, da dieser sich ohne Vorwarnung an mich drückte und die Finger in meinem Shirt vergrub. Allerdings genügte dieser winzige Augenblick, um zu erfassen, dass das sonst so heitere Gemüt meines Freundes seit dem Telefonat noch um einige Etappen tiefer in die Verzweiflung gesunken war. Das war ganz und gar kein gutes Zeichen. Instinktiv legte ich die Arme um den blondhaarigen Musikliebhaber und drückte ihn leicht. „M-Marlu, er... er hatte...“ , der Rest des Satzes ging in leisem Winseln unter. Autsch. Es hatte also wirklich etwas mit dem Guten zutun. Na, der würde sich was anhören dürfen, wenn er wieder im Lande war. „Shh, jetzt beruhig dich erstmal...“, flüsterte ich leise und strich dem Älteren beruhigend über den Rücken. Ich musste seine Tränen nicht sehen, um zu wissen, dass er weinte. Das Zittern, das seinen gesamten Körper eingenommen hatte, und das regelmäßige Schluchzen reichten vollkommen aus, um das zu bemerken. Es dauerte eine ganze Weile, bis Demyx sich, unter beruhigenden Zusprüchen, wieder einigermaßen gefangen hatte. Noch immer verließen leise Schluchzer seine Kehle, doch das Zittern klang immer mehr ab. Auch seine Finger krallten sich nicht mehr ganz so haltsuchend in meinem Shirt fest, dennoch löste ich meine Arme nicht. Demyx konnte jede Sekunde wieder in dem Loch versinken, aus dem er nun schon halb heraus war, und das durfte ich nicht zulassen. Erst, als er tief durchatmete und etwas den Kopf hob, löste ich meine Umarmung etwas. Besorgt musterte ich das verweinte Gesicht des Kleineren. „Geht’s etwas?“, fragte ich vorsichtig und erhielt sogar ein seichtes Nicken zur Antwort. „Axel?“, meldete sich hinter mir erstmalig Roxas wieder. Fragend sah ich zu dem kleinen Blondschopf, der nach wie vor hinter mir im Flur stand. Innerlich befürchtete ich schon, dass er mich gleich wieder auf unsere Diskussion berufen würde, bezüglich Demyx‘ Eintreten, allerdings schien er nichts in der Art zu wollen. Stattdessen nickte er Richtung Wohnzimmer. „Das lässt sich im Sitzen bestimmt leichter regeln.“, verdeutlichte er seine Aufforderung und erst dann verstand ich die Geste. Unweigerlich schlich sich ein leichtes Grinsen auf meine Lippen. Das hatte aber ziemlich gedauert. Kurzerhand fasste ich den Entschluss, mich bei Gelegenheit mal bei Roxas dafür zu revangieren und wandte mich wieder an mein Sorgenkind. „Na komm.“, forderte ich ihn leise auf, schob die Haustür in einer nebensächlichen Bewegung zu und dirigierte ihn ins Wohnzimmer. Roxas verschwand derweil in der Küche. Weshalb erfuhr ich erst, als ich mit Demyx bereits auf der Couch saß und der kleine Hausherr mit einer dampfenden Tasse nachkam. Lautlos seufzend ließ er sich neben Demyx auf die Couch sinken und hielt ihm die Tasse hin. „Danke...“, murmelte der Musiker etwas kleinlaut und nahm sie entgegen. Als sein Blick auf die bräunliche Flüssigkeit fiel, entdeckte ich ein kaum merkliches Lächeln auf seinen Lippen. Da hatte Roxas direkt eine von Demyx‘ Schwächen getroffen. Er liebte Kakao über alles. Naja, fast zumindest. Aber mit dem süßlichen Schokoladengetränk konnte man unseren kleinen Wirbelwind immer locken. Und da Schokolade bekanntlich glücklich macht, sprach auch nie etwas dagegen. Langsam machte eine unangenehme Stille sich breit, in der Demyx sich voll und ganz dem Getränk widmete. Ich ließ ihn machen, konnte ich ihn ohnehin nicht zum reden zwingen. Er musste schon von sich selbst zu reden beginnen, aber das machte er immer. Spätestens, wenn er mit den Gedanken wieder in die Problemrichtung abdriftete. Das kannte ich mittlerweile ziemlich gut. Allerdings schien Roxas dieses Schweigen doch ziemlich zuzusetzen. Sein Blick wanderte immer wieder unsicher zu mir und dann wieder zu Demyx. Entweder stellte er gerade fest, dass er sich mit der Situation doch etwas übernommen hatte, oder ihm war immer noch nicht wohl dabei, meinen Freund in seinem Haus zu wissen. Bei Ersterem konnte ich ihm nicht helfen und Letzteres war er selbst Schuld, immerhin hatte er es angeboten. Als der kleine Blondschopf zum Sprechen ansetzten wollte, deutete ich ihm leise zu sein. Er quittierte es mit einem verwirrten Blick, dem ich allerdings keine große Beachtung schenkte. Er würde schon noch herausfinden, warum er jetzt lieber die Klappe halten sollte. Und wenn nicht, würde ich es ihm später wohl erklären. Natürlich nur, wenn er nachfragte. Ein leises Seufzen neben mir, verriet, dass Demyx endlich bereit war, uns sein Problem zu erklären und bestätigte mir erneut, dass ich die kleinen Macken meines Freundes im Laufe unserer Freundschaft ziemlich gut einzuschätzen gelernt hatte. Der Blick des blonden Musikers fixierte weiterhin den Inhalt der Tasse, während er anfing: „Amy hat mich vorhin angerufen. Sie meinte, Marlu würde über seine freien Tage wohl doch nicht zurück kommen können. Sie klang ziemlich aufgewühlt, und das hat mich stutzig gemacht. Ich hätte mir da schon denken können, dass irgendwas passiert war, aber ich konnte es ja nicht einfach so hinnehmen und musste weiter nachfragen.“ Er brach ab, um tief durchzuatmen. Kurz gewann die Stille wieder die Oberhand und Demyx löste den Blick von dem Kakao und ließ ihn etwas verloren durch den Raum wandern. Aufmunternd streichelte ich ihm über den Rücken. Amy, oder eher Amanda, war Marluxias Schwester. Ich kannte sie zwar nicht persönlich, allerdings wusste ich durch Demyx und Marluxia, dass sie ziemlich hartnäckig war und sie himmelte ihren Bruder ziemlich an. Er war ihr ‚großes Idol‘ und sie freute sich immer riesig, wenn sie eine der Ersten sein durfte, die Marlus neuen Ideen zu Gesicht bekam. Scheinbar hatte sie ihren Bruder auch oft angefleht, sie als Model einzusetzen, nur damit sie seine Entwürfe tragen durfte. Dennoch sollte sie eigentlich nur schwer aus dem Konzept zu bringen sein. Also musste etwas gravierendes passiert sein, und das würde auch erklären, weshalb Demyx so verdammt fertig war. „A-als ich dann nachgefragt hatte, herrschte einige Minuten Totenstille. Ich hatte schon Angst, sie hätte aufgelegt, aber dann hörte ich die Stimme ihrer Mutter und sie meinte, dass es einen kleinen Unfall gegeben hätte, ich mir aber keine Sorgen machen bräuchte. Ihre Stimme klang allerdings fast genauso zerstreut, wie Amys, also hab ich mir natürlich Sorgen gemacht und umgehend Marlu angerufen. Aber er ist nicht an sein Handy gegangen!“, fuhr er schließlich fort und mit jedem Wort, dass seine Lippen verließ, klang seine Stimme belegter. Er kämpfte schon wieder mit den Tränen. Verständlich. Ich wüsste nicht, wie ich mich in dieser Situation fühlen würde, aber gewiss war es alles andere als blendend. Als die blauen Augen meines Freundes mich fixierten, zuckte ich leicht zusammen. Diese Besorgnis in den sonst so verträumten und heiteren Augen machte mir ein wenig Angst. Ich hatte Demyx schon oft niedergeschlagen, aufgewühlt oder besorgt erlebt, aber das toppte gerade wirklich alles Bisherige. „Axel, er hat nicht abgehoben! Marluxia geht immer dran, egal wo er ist und ob es ihm passt, oder nicht! Wenn er sein Handy anhat und sieht, dass ich es bin, nimmt er das Gespräch immer an! Immer! Ich hab’s mehrmals versucht. Er... Er hat auch nicht zurückgerufen!“ Da war sie wieder. Diese tiefe Verzweiflung, die ich am Telefon schon aus seiner Stimme heraus gehört hatte. Doch ehe ich irgendwas erwidern konnte, wandte er seinen Blick ab und kramte sein Handy aus der Tasche. Ziemlich hektisch suchte er etwas in seinem Nachrichten-Ordner. Kurz darauf hielt er mir das Telefon vor die Nase. „U-und dann hat Amy mir nach zwei Stunden diese SMS geschickt, da war mir dann klar, warum er nicht dran ging.“ Der Inhalt der Nachricht war etwas verwirrend geschrieben, und doch sagte er alles: ‚Autounfall; Paris, Hôpital Saint-Vincent de Paul, Room 1.53; melde dich, Amy.’ Augenblicklich wurde mir ganz anders zumute. Wenn ich das richtig verstanden hatte, -und da war ich mir zu neunundneunzig Prozent sicher- lag Marluxia jetzt im Krankenhaus, wegen eines... Autounfalls? Aber Marluxia besaß doch gar keinen Führerschein. Sollte das etwa heißen...? Unweigerlich wurde mir schlecht. Nein, das konnte nicht wahr sein. Langsam sah ich von dem Display auf. „Hast du versucht sie...“ „Ja, hab ich! Aber weder Amys Handy, noch das Handy ihrer Mom sind zu erreichen. Und in der Agentur konnte mir auch niemand sagen, was los ist!“, unterbrach Demyx mich und krallte sich in dem Stoff seiner Jeans fest. Die Schleusen, die bis zu diesem Zeitpunkt versucht hatten, seine Tränen zurückzuhalten, öffneten sich wieder und ließen die salzigen Tropfen über seine Wangen wandern. „Axel, was soll ich jetzt machen? Bitte, sag’s mir! Ich... Ich hab... Was wenn...“ Erneut wurde der Rest des Satzes von dem Schluchzen des blonden Musikers verschluckt. Ohne lange zu zögern zog ich ihn zu mir und drückte ihn leicht an mich. „Hey, du kennst doch unsere Rose. Der packt das. Den kriegt Nichts so schnell klein. Mach dir keine Gedanken.“, flüsterte ich dem Kleineren ins Ohr. Leider wusste ich nicht genau, ob ich damit wirklich Demyx beruhigen wollte, oder mich selbst. Klar, Marluxia war hart im Nehmen, aber sowas... Ich war mir nicht unbedingt sicher, wie das ausgehen würde und das machte mich wirklich krank. Wir hatten schon einmal einen aus unserer Truppe auf diese Art verloren, und das hatte uns fast auseinander gebracht. Lexaeus‘ Tod ging jedem von uns ziemlich an die Nieren, noch einmal würde unsere Clique das nicht überstehen. Demyx antwortete mir irgendetwas. Was konnte ich durch sein Nuscheln leider nicht verstehen, aber das brauchte ich auch nicht. Es reichte mir, dass er meine Worte registriert hatte und nicht zu versinken drohte. Das war schon viel Wert. Sehr viel. Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte ich auf einmal, wie Roxas sich erhob und Anstalten machte, den Raum zu verlassen. Fragend sah ich ihn an und erntete ein kleines Lächeln. „Telefon.“, sagte er leise und verschwand dann aus dem Wohnzimmer. Irritiert sah ich zur offenstehenden Wohnzimmertür. Telefon? Aber das klingelte doch gar nicht, oder? Kurz lauschte ich, aber außer Demyx‘ regelmäßigem Schniefen war nichts zu hören. Hatte der Kleine etwa Halluzinationen? Oder lag das an mir? Scheinbar war keines von beidem der Fall. Denn keine zwei Minuten später kam der kleine Blondschopf wieder ins Wohnzimmer und hielt einen Katalog und ein kabelloses Telefon in den Händen. Etwas skeptisch musterte ich den Katalog, während ich weiterhin versuchte, Demyx zu beruhigen. Was wollte der Junge denn jetzt damit? Shoppen? Das war nun wirklich nicht die richtige Zeit dafür. Roxas kam zurück zur Couch, kniete sich vor den kleinen Tisch und legte das Telefon und den Katalog darauf ab. Dann hielt er mir eine Hand hin. Was denn nun wieder? Er verwirrte mich immer mehr. „Was?“, fragte ich irritiert und hob skeptisch eine Augenbraue. „Das Handy. Was stand in der Nachricht?“, fragte er leise und jetzt verstand ich. Der mutmaßliche Katalog war ein Telefonbuch. “Paris, Hôpital Saint-Vincent de Paul.“, antwortete ich ihm brav und sofort blätterte der Junge in dem Telefonbuch. Es dauerte eine Weile, aber dann schien er es gefunden zu haben. Als er die Nummer dann jedoch abtippte, wurde mir das Ganze zu bunt. „Du willst da jetzt ernsthaft anrufen? Spinnst du? Die verstehen dich doch gar nicht! Du weißt doch wie die Franzosen sein können, wenn’s um englisch...“ „Aus dem Grund werde ich kein englisch mit ihnen sprechen.“, unterbrach er mich und ich stutzte. „Hä?“ „Sechs Jahre Französisch-Leistungskurs*.“, grinste Roxas ein wenig triumphierend und ich musste mich geschlagen geben. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Japp, ich war dem Kleinen definitiv was schuldig. ~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ * = Hi, ich meld mich jetzt mal einfach an dieser Stelle, um etwas los zu werden: Ja, ich weiß, dass das mit den sechs Jahren Französisch einigen Chinesich/Spanisch vorkommt (nach zwei Anmerkugnen dacht ich mir, ich meld mich mal dazu xDD), aber das hat einen Grund xD Ja, klein Ruby macht diesen kleinen 'Fehler' bewusst, da das allerdings noch im späteren Verlauf der Geschichte erklärt wird, sag ich dazu jetzt erstmal nichts, da ich nichts vorweg nehmen will. Argh, aber jetzt hab ich meinen Vorsatz über den Haufen geworfen, mich in dieser Fanfiktion nicht auf diese Art an die Leser zu wenden. *schande über mein haupt* Naja, jetzt ist es nunmal so xD Viel Spaß noch beim weiteren Lesen von 'Babysitting' dat Ruby-chan Kapitel 4: Step 4 ----------------- Ein wenig gespannt beobachtete ich Roxas, wie er die grüne Taste betätigte und sich den Hörer ans Ohr hier. Es schien relativ lange zu dauern, bis jemand an der anderen Seite der Leitung abhob. „Ah, Bonjour, madame. Je m’appelle Roxas Heaven…“, und damit verloren sich meine kümmerlichen Französisch-Kenntnisse in den schier endlosen Worten des Blondschopfs. Man sollte meinen, dass ich nach einem Jahr Zwangs-Französisch zumindest ein klein wenig mehr als die Begrüßungsfloskeln im Kopf behalten hatte, allerdings war dem nicht so. Deshalb wandte ich mich auch recht schnell wieder ab. Der Junge würde schon wissen, was er tat. Auch wenn ich ehrlich bezweifelte, dass es klappte. Krankenhäuser gaben nur selten Informationen über Patienten heraus. Und diese Ausnahmefälle, in denen sie es taten, wurden meist durch die Polizei hervorgerufen. Zumindest war das bei uns so. Ob die in Frankreich die selbe Regelung hatten wusste ich nicht, aber ich war davon überzeugt. Krankenhaus war Krankenhaus, egal in welchem Land. Ich verwarf die Gedanken lieber schnell und widmete mich wieder Demyx, der sich immer noch nicht so recht fangen konnte. Verständlich. Auch wenn ich nicht ganz so offen mit meinen Gefühlen war, war ich mir sicher, dass ich jetzt nicht anders reagieren würde, als der Musikliebhaber. Es verging einige Zeit, in der Roxas mit seiner Gesprächspartnerin diskutierte und ich es schaffte, Demyx zu beruhigen. Leider wurde der Kleine ein wenig zu ruhig. Er hatte sich auf dem Sofa zusammengerollt, den Kopf auf meinen Schoß gelegt und schlief tief und fest. Einerseits war es ganz gut, dass Demyx schlief. Immerhin konnte er sich in dieser Zeit nicht irgendwas zusammen fantasieren, was mit Marluxia geschehen sein könnte und sich damit wieder hochschaukeln. Außerdem war das für meine und für Roxas‘ Nerven definitiv ein wenig gesünder, wenn wir keinen aufgelösten Demyx auf dieser Couch sitzen hatten. Ein wenig abwesend strich ich dem Kleineren eine Haarsträhne aus der Stirn. Armer Kerl. Das ausgerechnet jetzt sowas passieren musste. Der blonde Musiker hatte sich so sehr darauf gefreut endlich wieder etwas Zeit mit seinem Herzblatt zu verbringen und dann hat dieser einen Unfall und kann nicht kommen. Die Zwei waren echt nicht mit Glück beschenkt. Aber vielleicht wirkte sich das ja sogar irgendwo positiv auf ihre Liebe aus, dass sie immer wieder mit so einem Scheiß zu kämpfen hatten. Immerhin waren sie nun schon seit zwei Jahren zusammen, und damit war das sowohl Marluxias, als auch Demyx‘ längste Beziehung bisher. Und es würde gewiss nicht bei diesen zwei Jahren bleiben, wie ich das einschätzte. „Hier!“, wurde ich plötzlich von Roxas‘ Stimme aus den Gedanken gerissen und blinzelte verwirrt. Perplex musterte ich den Zettel, den der Junge mit entgegen hielt, ebenso wie das Telefon. „Hä?“, war die doch recht sinnvolle Antwort meinerseits und ich ließ meinen Blick über den Zettel schweifen. Fein geschriebene Ziffern zierten das weiße Papier. Kurz musterte ich die Zahlen, ehe ich mir wieder bewusst wurde, was das ganze sollte. Das war eine Telefonnummer. Mit Vorwahl und allem drum und dran. „Was genau mit eurem Freund ist, hat man mir nicht verraten wollen. Aber das ist die Telefonnummer von euer Freund, während seines Aufenthalts.“, klärte der blonde Strubbelkopf mich dann auch auf und in meinem Kopf schaltete endlich auch der letzte Schalter um. „Du hast sie echt bekommen?“, fragte ich verwirrt und nahm den Zettel an mich. „Dumme Frage. Würde sie sonst da stehen?“ Wo der Kleine Recht hatte, hatte er Recht. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen und ich musterte erneut die Nummer. Mit etwas Glück würden wir gleich wissen, was mit unserer Rose los war. „Danke, du bist echt spitze, Roxy!“, lobte ich ihn, sah von dem Zettel auf und erntete einen verwirrten Blick. Hm? Hatte ich etwas Falsches gesagt? „R-Roxy?“, erfuhr ich schließlich, was den Kleineren so verwirrt hatte und konnte beobachten, wie sich ein leichter Rotschimmer um seine Nase bildete. Ach nein, wie niedlich. War ihm das peinlich? „Darf ich dich nicht so nennen?“, fragte ich rhetorisch und nahm mir direkt vor, ihn weiter so zu nennen. Selbst wenn ich jetzt ein ‚Nein‘ zu hören bekäme. Allein schon, um den Kleinen wieder rot werden zu sehen, würde ich diesen Spitznamen ausnutzen. Diesbezüglich kannte ich kein Erbarmen, das hatten sogar Marluxia und Zexion bereits zu spüren bekommen. Auch wenn sich Letzterer immer noch gegen seinen Spitznamen zu wehren versuchte. Grinsend beobachtete ich, wie Roxas beschämt das Gesicht abwandte. Zu meiner Verwunderung allerdings schüttelte er den Kopf: „Nein, ich schon okay...“ „Na dann ist das ja geklärt.“, grinste ich und versuchte vorsichtig mein Handy aus der Hosentasche zu bekommen, ohne Demyx dabei aufzuwecken. Ein unmögliches Unterfangen, da der Musikliebhaber es sich genau auf der Tasche bequem gemacht zu haben schien. Na prima. Ein leises kichern ließ mich in der Bewegung stoppen und zu meinem Schützling sehen. Roxas schüttelte nur amüsiert den Kopf und hielt mir den Hörer vom Festnetzanschluss hin. „Ist bestimmt billiger!“, versicherte er mir und ich brach meinen Versuch ab. Das war natürlich auch eine Möglichkeit, ab die ich ehrlich gesagt nicht gedacht hatte. „Danke, Kleiner.“ Doch ein wenig angespannt tippte ich die Nummer von dem Zettel ein und lauschte dem nervigsten Freizeichenton aller Zeiten: Ein langweiliges Tut-Tut! Da war mir ja selbst Demyx‘ Tetris-Ton lieber. Zu allem Überfluss schien erst niemand abheben zu wollen, doch kurz bevor ich es aufgeben wollte, erklang eine wohlbekannte verschlafene Stimme am anderen Ende der Leitung: „Ja?“ Ein erleichterter Seufzer entfloh meinen Lippen. Japp, das war eindeutig Marluxia. Augenblicklich fiel mit ein Stein von Herzen. Ich hatte zwar darauf gehofft, das unsere Rose selbst annahm, allerdings hatte ich nicht damit gerechnet. Eher dachte ich, Amy, oder seine Mutter würden das Gespräch annehmen. „Du bist in Frankreich und nimmst ein Telefonat auf englisch an? Ziemlich enttäuschend, wenn du mich fragst, Marlu.“, grinste ich triumphierend. Kurz herrschte Stille in der Leitung. Entweder er wusste meine Stimme nicht ganz einzuordnen, oder er konnte es nicht fassen, dass ich anrief. „Sehr lustig. Alte Gewohnheiten rosten eben nicht. Abgesehen davon hab ich bis vor drei Minuten noch geschlafen, da darf mir das schon mal passieren. Was gibt’s denn?“ „Das sollte ich wohl eher dich fragen. Was machst du für Sachen? Demyx ist vorhin vollkommen aufgelöst bei mir aufgetaucht, hat unverständliches Zeug gebrabbelt und mir die Mail deiner Sis gezeigt. Verdammt, was ist passiert?! Wie geht’s dir? Und warum zur Hölle hast du dich nicht sofort bei Demyx gemeldet?! Du weißt genau, dass er bei sowas gern zur Überreaktion neigt!“ Ich bekam gar nicht mit, wie ich mich selbst in Rage redete. Oh ja, das konnte ich gut. Sehr gut sogar. Wenn es ein Schulfach dafür gäbe, hätte ich dort gewiss den Platz des Klassenbesten besetzt. Allerdings musste ich nicht nur die Luft raus lassen, weil Marluxia Demyx solche Sorgen bereitet hatte. Nein, teils hatte das wohl auch etwas mit den Sorgen zutun, die sich in mir selbst aufgebaut hatten. Ich würde es zwar niemals vor irgendwem zugeben, aber ich sorgte mich schon um meine Jungs. Selbst, wenn einer von ihnen nur einmal nicht zur Schule kam, machte sich bereits dieses beklemmende Gefühl in mir breit. Und dem musste ich jetzt erstmal Luft machen. Unbewusst, versteht sich. Erst, als ich eine Hand auf meiner Schulter spürte, bemerkte ich, wie angespannt ich eigentlich war. Roxas, dessen Hand der Auslöser meiner Erkenntnis war, hatte sich neben mich auf die Couch gesetzt und musterte mich. Wenn ich mich nicht ganz irrte, lag ein unauffälliger Schleier der Sorge in seinem Blick. Unweigerlich musste ich schmunzeln, doch verschwand dies, mit den nächsten Worten meines Freundes am anderen Ende der Leitung: „Freut mich, dass du dir Sorgen gemacht hast, Ax. Hätte ich dir gar nicht zugetraut.“ Mist. „Als würde ich mich um dich sorgen. Ich hasse es nur, wenn Demyx wegen dir weint.“, knurrte ich leise in den Hörer und erntete ein leises Lachen. „Na gut, dann eben nicht. Aber sag dem Kleinen, dass es nicht so schlimm ist. Mit etwas Glück darf ich übermorgen schon wieder raus. Die wollen mich nur zur Beobachtung hier behalten, weil sie einen Verdacht auf ein Schädelhirntrauma haben. Wenn du mich fragst, die spinnen. Mein Kopf hat gar nichts abbekommen und wegen einem verstauchten Knöchel und einer geprellten Rippe können die mich nicht hierbehalten, wenn ich nicht mag.“ Erneut verließ ein erleichtertes Seufzen meine Kehle und ich lehnte mich um einiges entspannter in die Rückenlehne der Couch. Alles im grünen Bereich. Nichts Bedrohliches. Das klang doch fast wie Musik in meinen Ohren. „Du bist mir echt einer... Was ist denn jetzt eigentlich passiert? Amy hat es in ihrer Nachricht ja ziemlich kurz gehalten.“ „Naja, so genau weiß ich das nicht mehr. Ich war mit ihr shoppen und sie schwärmte gerade von irgendeinem Kleid, dass sie vor ihrem Flug nach Paris im Flugharfen von Chicago gesehen hat. Wir überquerten eine Straße und irgend so ein Trottel meinte, genau in dem Moment losfahren zu müssen. Tja, das Ergebnis kennst du ja.“ Ich runzelte leicht die Stirn. Das klang ziemlich merkwürdig. Waren die Beiden etwa bei Rot über eine Straße gegangen? Zuzutrauen wäre es ihnen. Wenn die sich mal über Mode verquatschten, blendeten sie gerne mal alles aus. „Hast du dem Idioten wenigstens die Motorhaube schön zerkratzt?“ „Klar, was denkst du denn? Ich hatte deinen Lieblingsgürtel an, das hat vollkommen ausgereicht.“, erklang es amüsiert von dem Designer. Ich musste lachen. Oh ja. Mein Lieblingsgürtel, den ich Marluxia zu seinem Achtzehnten geschenkt hatte. Der Gürtel war das reinste Waffenlager, wie meine Mutter zu sagen pflegte, wenn sie Marluxia damit herumlaufen sah. Ich zog die Bezeichnung ‚Nietengürtel mit Zusatz‘ eher vor. Immerhin war er nichts anderes. Ein Nietengürtel, mit dezentem Kettenschmuck. Ich hatte mich sofort in das Teil verliebt, als ich ihn bei einem der vielen Streifzüge mit den Jungs durch die Malls gesehen hatte. Demyx, Zexion und ich hatten uns verbündet und Marluxia den Gürtel, ein passendes Shirt und eine passende Hose besorgt und ihm das Outfit zu seinem Geburtstag überreicht. Erst hatte unsere Rose ziemlich skeptisch gewirkt, allerdings hatten die Sachen sich auch auf seiner Beliebtheitsliste nach oben geschlängelt. Sie waren eben verdammt gemütlich und machten den Designer definitiv interessant, das musste selbst ich zugeben. „Ah, da fällt mir ein: Wolltest du heute nicht babysitten?“ „Ja, mache ich doch auch. Meine Aufgabe sitzt sogar neben mir auf der Couch.“ „Du musst auf Demyx aufpassen?“ Vor meinem inneren Auge konnte ich förmlich sehen, wie Marluxia skeptisch eine Augenbraue hob. „Nein, nicht Demyx. Ich bin bei den Heavens.“ „Demyx auch?“ „Klar, Roxy hat’s erlaubt.“, klärte ich meinen Gesprächspartner auf und linste zu Roxas. Der gewünschte Effekt war aufgetreten. Der Kleine war wieder leicht rot im Gesicht. Gott, wie niedlich. „Sag diesem Roxy danke von mir und...“ „Sag’s ihm selbst. Ihm hast du es immerhin auch zu verdanken, dass ich dich deines Schlafes berauben konnte.“, grinste ich und achtete nicht groß auf den Protest des Anderen. Grinsend hielt ich Roxas den Hörer hin. Etwas unsicher nahm er ihn entgegen: „J-ja?“ Hoppla. Die Sicherheit, mit der er mit der Frau aus der Klinik gesprochen hatte, war vollkommen verschwunden. Roxy klang vollkommen verschüchtert. War vielleicht doch keine so gute Idee gewesen, ihm jetzt auch noch Marlu auf’s Auge zu drücken. Dennoch lauschte der Junge brav. Ich konnte Marluxias Stimme gedämpft hören und musste mir ein lachen verkneifen. Er tat es echt. Tja, irgendwo war er eben doch Gentleman, und wenn es nur darum ging, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Mit einem leisen „Keine Ursache“ beendete Roxas sein Gespräch mit unserer Rose und gab mir den Hörer zurück. „Ziemlich kleinlaut der Junge.“, war das einzige Kommentar, welches Marluxia dafür übrig hatte. Ich konnte ihn allerdings nur bestätigen. Roxas hatte vorhin noch ziemlich selbstbewusst gewirkt. Erst seitdem ich ihm das erste Mal mit seinem Spitznamen konfrontiert hatte, war er wieder so zurückhaltend. Vielleicht war das doch keine so gute Idee gewesen. Nicht, dass ich damit das anfängliche Vertrauen ruinierte. Kapitel 5: Step 5 ----------------- „Kann ich meinen Kleinen denn mal sprechen?“, forschte Marluxia dann fast schon drängend. „Ähm, klar! Wenn du mir sagst, wie ich ihn wach bekomme.“, war mein Kommentar und ich musterte den nach wie vor schlafenden Demyx. Schon merkwürdig, dass ich ihn bis jetzt nicht geweckt hatte, aber naja, der Gute hatte eben schon immer einen tiefen Schlaf. „Er schläft so tief?“ Ich gab ein bestätigenden Laut von mir. „Zwick ihm ins linke Ohr. Dann ist er sofort wieder wach.“, riet mein Gesprächspartner mir und ich stutzte. Marluxia hatte echt eine Taktik herausgefunden, wie er den blonden Musiker wecken konnte, ohne den Wassereimer zu Rate zu ziehen? Cool, warum verriet er mir diesen Trick erst jetzt? Sogleich nutzte ich mein neues Wissen und traf sogar auf Resonanz. Mit einem leisen Quieken saß Demyx plötzlich kerzengerade auf dem Sofa und ich musste mir ein Lachen stark verkneifen. Hätte ich gewusst, dass es so einfach sein könnte, diesen Wirbelwind zu wecken, dann hätte ich schon so mancher Verspätung vorbeugen können. Aber das Demyx bei sowas banalem aufwachen würde, hätte ich niemals erwartet. In mir stieg unweigerlich die Frage auf, wie Marluxia das wohl herausgefunden hatte. Mir fiel sogar eine Möglichkeit ein, die ich ziemlich beunruhigend fand und sie deshalb sehr schnell aus meinem Kopf verbannte. Uwah, nein! Ich wollte gar nicht wissen, was Marlu alles bewerkstelligte, bis er die effektivste Methode fand, Demyx aus seinen Träumen zu holen. Kurz schüttelte ich den Kopf und hielt Demyx den Telefonhörer hin. „Für dich!“, grinste ich und sah zu, wie mein Freund sichtlich irritiert den Hörer an sich nahm und forschend das Gespräch aufnahm: „Ja?“ Es war durchaus interessant zu beobachten, wie der Gesichtsausdruck des Musikers von verwirrt und skeptisch zu überrascht, und dann zu freudig überging. Was hatte ich gesagt? Marluxia war und blieb immer die beste Medizin für unseren kleinen Dem. Auch, wen ich froh darüber war, dass sich die Welt für unseren Musikliebhaber langsam wieder aufbaute, zog ich es lieber vor, aus dem Raum zu flüchten. Die Gespräche zwischen unseren Turteltäubchen konnten schnell mal in eine etwas eigene Richtung gehen. Ich deutete Roxas, dass er lieber mit kommen sollte. Ich wollte den Jungen nicht alleine hier lassen, sonst würde er noch Sachen mitbekommen, die für ihn vielleicht nicht so ganz geeignet wären. Und ich bezweifelte stark, dass Roxy sowas unbedingt wissen wollte. Der Junge sträubte sich nicht, als ich ihn aus dem Wohnzimmer in die Küche dirigierte. Vielleicht waren meine Sorgen ja doch unbegründet gewesen? Oder aber, es lag wirklich an dem Spitznamen. Mist, das musste ich schnell in Erfahrung bringen. Nur wie? Direkt fragen hatte nichts gebracht, er meinte immerhin, es sei in Ordnung. Und unterschwellig? Wie fragt man jemanden indirekt, ob man ihm beim Spitznamen nennen darf? Meines Wissens nach, war das ein Ding der Unmöglichkeit. Vielleicht wüsste Zexion eine Antwort darauf, aber der lag bestimmt schon im Bett, oder beschäftigte sich mit seinem neusten Buch, von dem er in der Schule heute schon geschwärmt hatte. „Es ist schon elf...“, riss mich die leise Stimme Roxas‘ aus den Gedanken und ich folgte seinem Blick zur Küchenuhr. Er hatte Recht. Die kleine unscheinbare Uhr zeigte kurz nach Elf an. Ich hatte gar nicht mitbekommen, wie schnell die Zeit vergangen war. Wie viel Zeit wohl noch blieb, bis Roxas‘ Eltern wieder nach Hause kommen würden? Ich konnte es nicht sagen. Die Mutter des Jungen meinte immerhin nur, dass es nicht all zu spät werden würde. Was hieß bei dieser Frau wohl ‚nicht all zu spät‘? Bei mir war es klar. Meine Definition dieser Aussage hieß übersetzt: ‚Ich bin zwischen zwei und drei Uhr morgens wieder da!‘ Aber bei Erwachsenen? Keine Ahnung. „Wie gut, dass deine Eltern noch nicht wieder da sind.“, antwortete ich ihm schließlich und ließ mich auf einen der gepolsterten Stühle sinken. Der fragende Blick seiner blauen Augen trieb mir ein Grinsen ins Gesicht, während ich auf den Zettel mit den Anweisungen seiner Eltern deutete, der nach wie vor seine Stellung auf dem Küchentisch bezog. „Die würden mich regelrecht zusammenfalten, weil du noch nicht im Bett bist, Kleiner.“, klärte ich ihn dann auf und er setzte sich neben mich. Anscheinend traute er sich nicht so Recht, etwas zu sagen, denn immer wieder erschien es, als würde er zum Sprechen ansetzen, seine Worte dann aber wieder verwerfen. „Danke, Roxy!“, unterband ich seine doch recht unwirksamen Versuche, das Gespräch weiterzuführen. Erneut sah ich mich einem verwirrten und leicht erröteten Roxas gegenüber. Oh mein Gott, wie niedlich! Für diesen Ausdruck sollte der Junge einen Waffenschein beantragen, ganz dringend. Innerlich schüttelte ich den Kopf, um diesen Gedanken schnell wieder los zu werden. Sowas hatte da drin gerade nichts zu suchen. „Ohne dich hätten wir Marluxia wohl erst wieder erreicht, wenn er aus dem Krankenhaus raus ist, und Demyx wäre uns in der Zeit noch zu einem richtigen Trauerkloß geworden.“ Und damit vertiefte sich die rötliche Verfärbung auf den Wangen des Jungen um einige Nuancen. Gott, so schüchtern konnte der kleine Blondschopf doch gar nicht sein. „Ist doch selbstverständlich...“, murmelte Roxas leise und spielte mit dem Saum seines Shirts. Entschieden schüttelte ich den Kopf. „Nicht wirklich. Jeder Andere hätte gesagt, dass Demyx mit seinem Problem alleine fertig werden soll oder dass wir das später klären sollen, oder sowas. Das Theater hatten wir schon einmal. Ich bin dir echt was schuldig.“ Lächelnd wuschelte ich dem Kleineren über den Kopf, sodass er sich von seiner Frisur verabschieden konnte. „Wirklich?“, fragte Roxas schon fast aufgeregt und irgendetwas blitzte verräterisch in den tiefblauen Augen auf. Oder hatte ich mir das bloß eingebildet? „Natürlich. Würde ich es sonst sagen?“ Ein Kopfschütteln antwortete mir und ein kleines Lächeln schlich sich auf das Gesicht meines Schützlings. „Okay, dann sei morgen früh um halb sieben am Haupteingang unserer Schule!“, verkündete er dann freudig und ich musste mir ein Lachen verkneifen. „Okay, einverstanden. Erfahre ich denn wenigstens, warum?“ „Nein, das sag ich dir erst morgen!“ Wie spannend. Was der Kleine wohl wollte? Bestimmt hatte es was mit der Schule zutun, wenn er extra bis morgen damit warten wollte. Oder aber er wollte es einfach spannend machen. Beides war ziemlich leicht zu verkraften, wenn da nicht diese tierische Neugier wäre, die sich in mir bemerkbar machte. Es war ungefähr das selbe Gefühl, welches ich früher, als ich noch kleiner war, jedes Jahr an Heilig Abend hatte, wenn ich ins Bett ging. Leider brachte mich das Gefühl am Weihnachtsabend immer dazu, nicht schlafen zu können. Ich wartete immer ab, bis meine Eltern so gegen ein, zwei Uhr morgens ins Bett gingen und konnte mich dann ungestört über die Geschenke her machen. Oh ja, das war immer lustig und hatte mich so manchen Nerv gekostet. Aber ich bezweifelte stark, dass es mir dieses Mal auch den Schlaf rauben würde, dazu war es dann einfach noch nicht bedrängend genug. Wobei... eigentlich ja schon. Dennoch kam ich nicht mehr dazu, den Jungen weiter auszufragen, da er aus der Küche verschwand und die Treppen hoch flitzte. Sollte mir das jetzt zu bedenken geben? Wenn ja hatte es nicht funktioniert. Ich wartete einige Minuten in dem Glauben, dass Roxas wieder herunter kam, allerdings wurde ich dabei ziemlich enttäuscht. Nach einer halben Stunde wurde mir das alleine in der Küche hocken dann doch zu blöd und ich begab mich wieder ins Wohnzimmer. Dort musste ich unweigerlich schmunzeln. Demyx war wieder gut drauf. Das erkannte man daran, dass er nicht, wie jeder Durchschnittsbürger auf dem Sofa saß, sondern in seiner typischen ‚Telefoniermanier‘ –auf dem Bauch liegend, die Beine angewinkelt und den Kopf auf einer Hand abgestützt- die gesamte Couch in Beschlag nahm. Ich musste nicht mal auf mich Aufmerksam machen, denn kaum hatte ich den Raum betreten, drehte der blondhaarige Musikliebhaber das Gesicht in meine Richtung und grinste bis über beide Ohren. Spätestens jetzt wäre selbst jedem Außenstehenden klar geworden, dass Demyx‘ Welt wieder heile war. „Sorry, wenn ich stören muss, aber so langsam solltet ihr mal Schluss machen, Dem. Die Eltern von Roxy kommen bestimmt gleich nach Hause.“ „Och man, noch ein Bisschen! Bitte, Ax! Ich bin dann auch die ganze nächste Woche so lieb, wie noch nie.“, bat mein Freund mich und setzte seine Geheimwaffe ein, die bei fast jedem funktionierte, außer bei mir: Der Hundeblick. Ich seufzte resigniert und nahm dem Musiker das Telefon ab, ignorierte dabei gekonnte seinen Protest. „Marlu? Tu mir bitte den Gefallen und ruf Demyx zu Hause an.“, ein Grinsen schlich sich auf mein Gesicht. „Er ist bestimmt in circa zehn Minuten da.“ Der Unglaube in Demyx‘ Augen war wirklich Gold wert. Mist, warum hatte man in solchen Situationen eigentlich nie eine Kamera zur Hand? „Okay, mach ich. Bis dann!“, und damit war das Gespräch beendet. „In zehn Minuten? Das kann doch nicht dein Ernst sein!“, jammerte Demyx betont übertrieben und ich stubste ihm gegen die Stirn. „Und ob das mein Ernst war, Kumpel. Also beeil dich, sonst werden doch mehr daraus.“ „A-aber Axel! Das sind sechshundert Sekunden! Ich...“ „Je länger du hier mit mir diskutierst, desto weniger Zeit bleibt dir, um nach Hause zu kommen und weiter mit Marlu zu telefonieren.“, unterbrach ich Demyx und grinste triumphierend. Ich hatte jetzt schon gewonnen. Alles, das Demyx jetzt noch erwidern könnte, würde untergehen. Und er wusste das ebenso gut wie ich. Mit dem Argument ‚Marluxia‘ war bei Demyx wirklich fast alles zu bewerkstelligen. Und so auch dieses Mal. Schneller als ich es erwartet hatte, sprang der blondhaarige Musiker auf und drückte mich kurz an sich. „Okay, dann bin ich schon weg. Grüß mir Roxy noch mal, okay? Bis morgen, ciao!“ und weg war Demyx. Ich hörte nur noch wie die Haustür ins Schloss fiel und dann war alles wieder still. Hoppla. Jetzt hatte der Gute es aber eilig. Hätte ich ihm vielleicht doch eine Viertelstunde geben sollen? Kurz überlegte ich. Nein, war schon gut so. Leicht grinsend ließ ich mich auf die Couch fallen und legte den Kopf in den Nacken. So. Alles, was ich jetzt noch zutun hatte war warten. Gut, das war das Einfachste der Welt. Langsam schloss ich die Augen. Hoffentlich würden Roxas‘ Eltern bald kommen. Ich wollte nur noch ins Bett und eine runde schlafen. Morgen würde die Schule wieder den halben Tag in Anspruch nehmen, von der Dauer der Hausaufgaben mal abgesehen. Diesen Gedanken so weit wie möglich von mir schiebend, driftete ich ab und ohne es wirklich mitzubekommen schlief ich ein. Eine leise Stimme zog mich aus den Tiefen des Schlafs und ließ mich an der Grenze zwischen Erwachen und Schlaf schwanken. Es war eine sanfte Frauenstimme. Sie schien gezielt leise zu sprechen, als wolle sie nicht, dass jeder sie hörte. Ich kannte diese Stimme flüchtig. Aber mir wollte noch nicht einfallen, woher. Mein Erinnerungsvermögen schien noch ziemlich von der Schläfrigkeit gesteuert zu werden. Naja, das legte sich hoffentlich bald wieder. Eine dunklere, rauere Stimme antwortete, sie achtete allerdings wenig auf eine leise Aussprache. Merkwürdig. Vielleicht scherte der Besitzer sich nicht viel um die Bemühungen seiner Begleitung, oder aber er hatte nicht viel für Geheimnistuerei übrig. Mir konnte er egal sein. Mit einem leisen Murren rollte ich mich auf die andere Seite und hoffte, dass die Personen einfach wieder gehen würden. Allerdings wurde mein Hoffen nicht erhört, denn keine Sekunde später spürte ich eine Hand an meiner Schulter und wurde endgültig meines Schlafes beraubt. „Axel? Komm, ich fahr dich nach Hause.“, erklärte die sanfte Frauenstimme –sie klang ein wenig nach meiner Mom, aber sie betonte die Worte ganz anders. Ich stutzte. Nach Hause? Moment. Was redete diese Frau da? War ich nicht schon zu Hause? Verschlafen schlug ich die Augen auf und blickte in die freundlich funkelnden blauen Augen einer jungen Frau. „Mh?“ Das war definitiv nicht meine Mom. Weder Augen- noch Haarfarbe stimmten, geschweige denn die Gesichtszügen. Orientierungslos ließ ich meinen Blick schweifen. Ich lag auf einer weißen Couch in einem ziemlich geräumigen Wohnzimmer, also definitiv nicht zu Hause. In diesem Moment schien mein Hirn gemerkt zu haben, dass ich bereits erwacht war, denn mit einem Mal konnte ich meine Umgebung wieder vollkommen klar zuordnen: Das Wohnzimmer der Heavens. Und die Frau, die mich geweckt hatte war Roxas‘ Mom. Da war es klar, weshalb sie meiner Mutter nicht so wirklich ähnelte. Ich war wohl eingeschlafen, nachdem Demyx sich verabschiedet hatte. Gott, wie peinlich. Dabei war ich doch gar nicht so geschafft gewesen. „War Roxas so anstrengend?“, fragte Roxas‘ Mom dann ein wenig amüsiert und ich schüttelte rasch den Kopf. „Nein, überhaupt nicht. Er war sogar überraschend lieb. Ich hatte es mir schwieriger vorgestellt.“, erzählte ich ihr noch ein wenig verschlafen und rieb mir über die Augen. „Ich hatte nur einen ziemlich anstrengenden Tag heute.“ Gut, das war nicht ganz die Wahrheit, aber ich brauchte jetzt irgendeine Ausrede dafür, dass ich hier einfach eingeschlafen war. Ich konnte ja schlecht sagen, dass es mich einfach so überkommen hatte. Auch wenn es den Tatsachen entsprach. Nein, auf keinen Fall. „Freut mich zu hören. Na komm, ich bring dich jetzt erstmal nach Hause. Deine Mom hat schon angerufen und gefragt, wo du bleibst.“, klärte Mrs. Heaven mich auf und ich stutzte. Ach, hatte sie das? Oh man, das hatte ich gar nicht mitbekommen. Dennoch nickte ich brav. Gegen ein Shuttle von hier nach Hause konnte ich schließlich nichts einwenden, wenn es mir schon so bereitwillig angeboten wurde. Kapitel 6: Step 6 ----------------- Der Morgen kam schneller als erwartet. Und damit auch die morgendliche Hektik bei uns zu Hause. Immer wieder hörte ich die aufgebrachte Stimme meiner kleinen Schwester. Das übliche Problem: Mom hatte ihre Klamotten weg geräumt und sie fand sie nun nicht mehr. „Nimm doch einfach ein anderes Top. Wir können das Andere doch heute Nachmittag noch suchen.“, drang die gedämpfte Stimme meiner Mom durch die geschlossene Zimmertür und ich zog mir die Decke über den Kopf. Es war kurz nach sechs, wie mein Wecker mir verriet, ich hatte also noch mehr als genug Zeit. Leider schienen die zwei weiblichen Mitglieder unseres Haushalts darauf verdammt wenig Rücksicht zu nehmen. „Auf keinen Fall! Ich hab dir gesagt, dass ich das Shirt heute anziehen muss! Du weißt doch, dass heute der Austauschschüler kommt. Naminé hat gesagt er soll einfach nur heiß sein!“ Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Daher lief also der Hase. Das morgige Gezicke hatte heute also ausnahmsweise mal einen triftigen Grund. Herzlichen Glückwunsch, Schwesterchen. Mich dann doch endlich meinem Schicksal ergebend, tastete ich neben meinem Bett nach dem Lichtschalter. Es dauerte nicht lang und die Deckenlampe flammte auf und flutete den gesamten Raum mit Licht. Dabei wurde leider auch das herrschende Chaos aufgedeckt. Prüfend ließ ich den Blick über das Schlachtfeld, dass sich mein Zimmer nannte, schweifen. Einige Klamotten lagen auf dem Boden verteilt und schienen sich in kleinen Häufchen zu sammeln, darunter auch die von gestern. Auch die Ladekabel von diversen Geräten machten sich auf dem rötlichbraunen Teppichboden breit. Meinem Schreibtisch schenkte ich lieber keine Beachtung. Ja, Mom hatte doch Recht. Es war wieder an der Zeit aufzuräumen. Aber das musste bis nach der Schule warten. Vielleicht auch noch ein bisschen länger. Gähnend streckte ich mich und schwang die Beine aus dem Bett. Das Stimmengewirr vor meiner Tür wurde etwas leiser. Anscheinend hatten die zwei sich in die Küche verzogen. Ob das Drama allerdings ein Ende gefunden hatte, würde ich wohl später in Erfahrung bringen müssen. Von der trügerischen Stille in Sicherheit gewogen, stand ich auf und suchte mir frische Sachen aus meinem Schrank, ehe ich das Zimmer Richtung Bad verließ. Allerdings musste ich, dank meiner ach so lieben Schwester, das Badezimmerritual noch ein bisschen verschieben. „Axel! Du musst mir unbedingt helfen!“ Ich rollte kurz mit den Augen, ehe ich mich zu meiner Schwester umdrehte und sie kurz musterte. Holla. Ich musste schwer schlucken, um nicht irgendeinen Kommentar abzulassen, den ich spätestens drei Sekunden später bereut hätte. Meine Schwester hatte ihr Lieblingsoberteil an: ein ziemlich knappes und verdammt tief ausgeschnittenes schwarzes Top mit der Aufschrift ‚Shit happens, wanna try?‘. Eigentlich hatte ich nichts gegen dieses Oberteil, es gefiel mir eigentlich sogar. Allerdings gehörte es verdammt noch mal nicht an meine kleine Schwester. Das Ding schrie förmlich, dass es seiner Trägerin vom Leib gerissen werden wollte, und dafür war die Kleine nun wirklich noch zu jung! Demyx und Zexion meinten dazu immer, ich würde übertreiben. Aber ich wusste es besser. Nicht mit meiner kleinen Schwester! Nicht mit Kairi! „Wobei denn?“, fragte ich rasch, um mich selbst von ihrem Outfit abzulenken. Nein, ich würde dazu jetzt nichts sagen. Das würde ich schön Dad überlassen. „Du hast doch bestimmt gestern im Bad meine Kette gesehen, oder?“ „Welche?“, fragte ich ein wenig überfordert. Warum konnte sie nicht von selbst genauer definieren, welche sie meinte? Sie hatte ihren gesamten Schmuck immerhin im ganzen Haus verteilt deponiert, warum auch immer. „Na, meine Medaillon-Kette mit der Rosengravur. Die mit den kleinen Bildern von Naminé und mir.“, beschrieb sie dann ein wenig hecktisch und ich schüttelte den Kopf. Nein, das Teil hatte ich seit Ewigkeiten nicht mehr zu Gesicht bekommen. Dass Kairi sich daran noch erinnerte, wunderte selbst mich. Sie hatte es die letzten Wochen kaum beachtet. „Och nee!“, jammerte sie aufgebracht und verschwand wieder in ihrem Zimmer. Mädchen hatten definitiv zu viele Probleme. Wie gut, dass ich mir das nicht antun musste. Wäre ich ein Mädchen, dann würde ich wohl fast genauso rumrennen, wie ich es jetzt auch tat. Halt nur mit dem Unterschied, dass ich einen BH drunter tragen müsste. Über diese Gedanken den Kopf schüttelnd setzte ich meinen Weg ins Bad fort. Dort angekommen verschloss ich die Tür, beförderte die frische Kleidung auf die Ablage neben dem Waschbecken und meine Schlafsachen in den Wäschekorb. Kurze Zeit später nieselte das wohlig warme Wasser aus dem Duschkopf auf mich nieder. Es hatte wirklich was, wenn man in einem Vier-Personen-Haushalt als letztes aufstand: Man hatte in der Regel bereits warmes Wasser und musste nicht erst warten, bis es sich vernünftig eingestellt hatte. Genüsslich schloss ich die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Heute morgen würde ich mir Zeit lassen. Da konnte niemand was dran drehen. Der Unterricht begann erst um viertel vor Acht, also... Ich stockte. Moment. Irgendwas meldete sich bei mir. Kurz überlegte ich und dann fiel mir wieder ein, was da gerade in mir so einen Terror veranstaltete. Fuck! Ich konnte mir gar nicht so viel Zeit lassen. Ich hatte Roxy doch versprochen, um halb sieben an der Schule zu sein. Ohne weiter drüber nachzudenken, schmiss ich meinen relaxten Morgen über den Haufen. Und nachdem ich dann auch schon in meiner Schuluniform steckte und mich gerade meinen Haaren widmen wollte, tat sich mir ein neues Hindernis auf: Das Haarspray war leer. Es war leer. Irgendwer hatte sich an meinem Haarspray vergriffen und jetzt war es leer. Noch gestern war definitiv genug drin gewesen, für zwei weitere Tage. Argh, aber nein, jetzt war es leer! So ein Scheiß auch. Immer dann, wenn man es am wenigsten gebrauchen konnte. Gut, dann eben improvisieren. In der Schule würde ich Demyx einfach fragen, ob er mir seins mal leihen könnte. Bis dahin würde ich ohne auskommen müssen. Ich klaute mir eines von Kairis Haargummis und band damit flüchtig meine Haare zurück. So war es wenigstens annehmbar. Ein Blick auf meine Armbanduhr verriet mir, dass ich es auf keinen Fall mehr pünktlich schaffen würde. Mist. Schnell eilte ich in mein Zimmer und schnappte mir mein Handy. Schnell suchte ich die Nummer der Heavens aus meinem Speicher und betätigte die grüne Taste. Es klingelte nur einmal, und dann erklang schon die sanfte Stimme von Roxas‘ Mutter: „Heavens?“ „Mrs. Heaven? Ich bin’s Axel. Ist Roxas zufällig noch zu Hause?“ „Nein, der ist gerade eben raus. Er meinte, er hätte es ziemlich eilig. Wieso?“ Mist! So ein Pech auch. Aber zumindest kam ich nicht als einziger zu spät. Der Kleine würde auch nicht um Punkt halb dort sein. „Ach, hat sich erledigt. Ich werde ihn einfach auf dem Weg abfangen, danke.“ Und schon war die Verbindung getrennt. Sicherlich hatte ich die gute Frau jetzt ziemlich verwirrt, aber das konnte ich gerade nicht wirklich beachten. Rasch schnappte ich mir meine Sachen und verließ mit einem gerufenen „Bin weg“ unsere Wohnung. Der Weg dauerte eine Weile, und als ich dann endlich an der Schule ankam, war es bereits fünf vor Sieben. Doch daran störte ich mich nicht. Zumindest versuchte ich mir einzureden, dass es mich nicht störte. Den Gedanken an die Uhrzeit in eine hintere Ecke meines Hirns schiebend, betrat ich den Schulhof und ließ meinen Blick über die Frontseite des Gebäudes schweifen. Und zu meinem Glück erblickte ich die gesuchte Person sofort. Er war tatsächlich noch da. Perfekt. Ein triumphierendes Grinsen schlich sich auf meine Lippen und ich lief auf den blonden Strubbelkopf zu. Auf halbem Weg schien er mich entdeckt zu haben und kam mir entdecken. „Morgen, du Langschläfer. Ich dachte schon, du lässt mich hängen.“, begrüßte Roxy mich und ich sah ihn gespielt empört an. „Wie kommst du dazu, mir sowas vorzuwerfen? Ich halte mich an Verabredungen... okay, zugegeben, ich bin spät dran, aber das ist egal.“, gestand ich mir ein und sah mich prüfend um. Ich war für gewöhnlich nie so früh hier. Es war ungewohnt, den Schulhof so leer zu sehen. Irgendwo fast unheimlich. Schnell lenkte sich meine volle Aufmerksamkeit wieder auf Roxas, der mich leicht irritiert musterte. „Was ist?“, forschte ich nach, als er keine Anstalten machte, auf meinen fragenden Blick zu reagieren. Ertappt zuckte der Kleinere zusammen und schüttelte hecktisch den Kopf. „Nichts, ich hab dich nur noch nie mit zusammengebundenen Haaren gesehen.“, klärte er mich auf und legte den Kopf schräg. Ich musste mir ein Grinsen verkneifen. „Ist auch bloß eine Nothandlung gewesen. Irgendein Spinner hat sich an meinem Haarspray vergriffen und die ganze Dose geleert.“ Ich schüttelte den Kopf. „Aber egal. Verrätst du mir jetzt, was für ein Gefallen ich dir tun kann?“, wollte ich zum eigentlichen Punkt übergehen. Kurz schwieg der Kleinere mich an und ließ seinen Blick über das Schulgelände gleiten, doch dann packte er mich am Handgelenk und zog mich hinter sich her ins Schulgebäude. Den gesamten Weg über schwieg Roxas und erst, als er die Tür zur Bibliothek öffnete und mich hineinzog, schien er sein Ziel erreicht zu haben. Bedacht schloss der Jüngere die Tür und ich hob skeptisch eine Augenbraue. „Was sollen wir denn hier?“, fragte ich eher nebenbei und sah mir die Unmengen an Büchern an, die die Regale füllten. Zexions Paradies. Ich mied die Bibliothek in der Regel. Hier war es mir zu bedrückend. Die wohlgehütete Stille machte einen doch nach knapp fünf Minuten kirre. „Bring es mir bei!“ Ich stockte. Was? Fragend wandte ich mich zu Roxy um. Er sah mich ein wenig flehend an. „Was beibringen?“ „Na, Gitarre spielen! Du kannst es doch...“ Der bittende Ausdruck in den blauen Augen wich einem unsicheren Schimmer. Irgendwie machte er gerade ein wenig den Eindruck, als wäre er ein verlorener Welpe, der nicht wusste, ob er nun den einen, oder den anderen Weg nehmen sollte. Ich musste lächeln. „Aber du kannst es doch auch.“ Ich erhielt ein Kopfschütteln zur Antwort. „Ich kann nur ganz wenig, weil ein Freund mir mal gezeigt hat, wie man ein paar meiner Lieblingssongs spielt. Aber ich kann nicht richtig spielen. Also, bringst du’s mir bei?“ Ich war ein miserabler Lehrer. Das hatten wir schon einmal herausgefunden, als Demyx Probleme in Mathe hatte und ich auf ziemlich umständlichem Wege versucht hatte, es ihm zu erklären. Schließlich hatte ich das Thema dann doch lieber Zexion überlassen. Bei dem hat Dem es dann auch keine drei Minuten später verstanden. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf, schüttelte ich den Kopf. „Nein, kann ich nicht.“, eröffnete ich Roxy und dem Kleineren entglitten jegliche Gesichtszüge. „A-aber du hast gesagt, dass du mir was schuldig bist. Du kannst also gar nicht ‚nein‘ sagen!“, ein leicht angesäuerter Unterton schwang in den Worten des blondhaarigen Jungens mit. Während ich mein Handy aus meiner Hosentasche angelte, grinste ich ihn an. „Hey, mach mal halblang, Roxy. Ich hab gesagt, dass ich es dir nicht beibringen kann. Aber ich kann dir jemanden organisieren, der es hundertprozentig machen wird.“ „Wer denn?“ „Das Nervenbündel von gestern. Der bringt es dir dann auch vernünftig bei, und nicht nur so huddelig, wie so mancher Musiklehrer es gern zu tun pflegt.“ Roxas runzelte etwas irritiert die Stirn. Er schien nicht genau zu wissen, von wem ich sprach. „Ich red‘ von Demyx, Kleiner.“, half ich ihm dann ein wenig auf die Sprünge und augenblicklich schien es bei ihm ‚klick‘ zu machen. „Der kann Gitarre spielen?“, fragte er ungläubig und seine Augen spiegelten den Unglauben deutlich wieder. „Nicht nur das. Der Gute ist richtig fanatisch, was Musik angeht. Er spielt noch Klavier, Bass, gelegentlich Geige, wenn er eine in die Pfoten bekommt, und noch ein paar andere Instrumente, die mir gerade nicht einfallen wollen. Im Großen und Ganzen lässt er eigentlich nur die Finger von den Blasinstrumenten, die sind ihm zu anstrengend.“ Was ich voll und ganz verstand. Die Instandhaltung eines Bläsers war definitiv nichts für einen Chaoten wie Demyx. Roxas starrte mich nach wie vor ungläubig an, allerdings kümmerte ich mich nicht weiter darum, und machte mich lieber daran, den Musikliebhaber per SMS in die Schulbibliothek zu beordern. Er hatte zwar heute eigentlich erst zur Zweiten, aber er würde es mir sicherlich vergeben, wenn er den Grund erfahren würde. Es dauerte keine Minute, bis ich eine Antwort erhielt. Ein knappes ‚Nagut‘ und ein augenrollender Smiley war alles, was in der Nachricht stand. Aha, er lag noch im Bett, sonst würde er sich nicht so kurz fassen. Scheinbar ging das Telefonat mir Marluxia gestern Abend noch eine ganze Weile. Triumphierend ließ ich das Handy wieder in der Hosentasche verschwinden. „Er kommt gleich.“, klärte ich den blondhaarigen Jungen mir gegenüber auf und lief zu einer der Sitzgruppen, die in einer Ecke der Bibliothek aufgestellt waren. Leise seufzend ließ ich mich auf einem der Sofa nieder und stellte belustigt fest, dass Roxy mir nur zögerlich folgte. Kapitel 7: Step 7 ----------------- Es dauerte eine ganze Weile. Leider konnte man die Uhr, die über dem Eingang zur Bibliothek hing, von unserer Position auf nicht sehen und da ich keine Lust hatte, extra mein Handy heraus zu kramen, blieb uns die genaue Zeit verwehrt. Aber ich machte mir nichts groß draus. Demyx würde schon noch vor dem Klingeln hier aufkreuzen. Uns selbst wenn nicht, war das auch keine Schande. Die Lehrer hier kamen in der Regel immer fünf bis zehn Minuten zu spät zum Unterricht. Also würde Roxy keine großen Schwierigkeiten bekommen. Der Kleine hatte es sich derweil neben mir auf dem Sofa bequem gemacht und schmökerte etwas in seinem Biologiebuch herum. Ein kurzer Blick in das Buch und ich verzog das Gesicht. Gentechnik. Irgh, das Thema war einfach nur mies. Okay, ich konnte mit Biologie im Allgemeinen nichts anfangen, mal von der durchaus angenehmen, angewandten Version abgesehen, bei der ich mich wirklich verdammt gern immer wieder vergewisserte, dass sie sich auch ja nicht veränderte, wenn ich mal anderweitig beschäftigt war. Aber das Thema Gentechnik war wirklich nichts für mich. Ich hatte nie das Bedürfnis gehabt, Wissenschaftler zu werden, wozu also das Thema? Schnell verbannte ich das Thema aus meinen Gedanken, schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Neben mir erklang regelmäßig das leise Knistern von Papier, als Roxas umblätterte, doch plötzlich blieb es aus und an deren Stelle trat die Stimme des Jüngeren: „Ähm, Axel? Kennst du...“ Noch während er sprach, spürte ich plötzlich ein seichtes Gewicht auf meinem Schoß und Lippen, die sich verlangend auf Meine legten. Augenblicklich verspannte sich jeder Muskel in meinem Körper und ich riss erschrocken die Augen auf. Ich sah mich zwei graublauen Augen gegenüber, die von einem lüsternen Funkeln durchzogen waren. Diese Augen kannte ich nur zu gut. Augenblicklich fiel die Anspannung wieder von mir. Sie hielt den Kuss noch einige Momente aufrecht, ehe sie sich langsam von meinen Lippen löste. „Du hast dich gestern nach der Schule gar nicht mehr gemeldet!“, stellte Jess anklagend fest und verschränkte die Arme vor der Brust. Oh man. Stimmt. Ich hatte es total vergessen, mich bei ihr zu melden. Egal. „Und du sollst dich nicht immer so anschleichen.“, entgegnete ich lediglich und strich ihr eine ihrer schwarzen Haarsträhnen aus der Stirn. Anscheinend hatte ihr meine Antwort gereicht, denn sogleich ging sie zum nächsten Thema über: „Was machst du eigentlich hier? Dich trifft man sonst doch auch so selten in der Bibliothek an.“ „Wir warten auf Demyx.“, antwortete ich schlicht und musste leicht schmunzeln, als sie mich skeptisch musterte. Sie war nie gut auf den Musikliebhaber zu sprechen. Der Grund lag einfach dabei, dass er ihr vor ein paar Jahren eine ziemlich heftige Abfuhr verpasst hatte. „Wir?“, fragte sie dann ebenso misstrauisch. Ich nickte in Richtung Roxas. Sofort folgte ihr Blick meiner Geste und sie musterte den Jüngeren prüfend. Der ließ das schweigend über sich ergehen, musterte mich allerdings etwas unsicher. „Roxy, darf ich vorstellen? Jessica Smith, meine Freundin. Jess, das ist Roxas Heaven, einer meiner Schützlinge.“, stellte ich die Beiden einander vor und unweigerlich trat etwas Feindseliges in den Blick Jess‘. Ups, hatte sie wieder einen ihrer Eifersuchtsanfälle? Nicht gut! Sofort legte ich die Arme um ihre Taille und zog sie etwas näher an mich. Das schien sie zu beruhigen und sie schmiegte sich zufrieden an mich. Ach ja, die Gute war zu einfach gestrickt. „Hast du am Wochenende Zeit für mich?“, fragte sie dann in leicht quengelndem Ton und ich rollte genervt mit den Augen. Und schon hatten wir zwei Sachen an diesem Morgen durch, die ich an ihr nicht leiden konnte: Ihre ‚Überraschungen‘ und ihre kindische Seite. „Samstag um 17 Uhr bei dir?“, schlug ich vor und sie legte den Kopf schräg. „Warum nicht schon morgen?“ „Weil morgen Spielabend bei Demyx ist und ich bezweifle ernsthaft, dass du mitkommen willst.“ Oder gar, dass sie erwünscht wäre. Nichts gegen Jess. Ich mochte sie echt gern, aber bei unseren Freitagabendaktionen hatte sie nichts zu suchen. Wie würde mein Dad es nennen? Das war eben unser ‚Männerabend‘, da hatten Mädels nichts zu suchen, zumal ich stark in Frage stellte, ob Demyx sie überhaupt rein lassen würde. „Okay, dann bleibt es bei Samstag.“, schnurrte sie leise und schlang die Arme um meinen Nacken. Ich nickt kurz und verwickelte sie in einen zärtlichen Kuss. Sanft fuhr ließ ich meine Zuge über ihre Lippe streichen, in der Hoffnung, Einlass zu erhalten. Und wie Jess nun mal war, konnte sie ihn mir nicht lange verwehren. Allerdings kam es nicht weiter, da eine ziemlich bissige Stimme uns unterbrach: „Nehmt euch ein Zimmer, man!“ Seufzend löste ich mich von meiner Süßen und meine Hoffnung, auf etwas mehr vor dem Unterricht, zerplatzten mit einem Mal. Ein wenig anklagend sah ich zu Demyx auf, der mit verschränkten Armen vor dem Sofa stand und uns missbilligend beäugte. Meine Freundin fixierte den Neuankömmling nicht minder abgeneigt, und ich strich ihr beruhigend über den Arm. „Wir seh’n uns am Samstag, Süße.“, schnurrte ich ihr zu, ehe sie von meinen Schoß aufstand, Demyx noch einen vernichtenden Blick zuwarf und dann aus der Bibliothek verschwand. „Ihr seid echt anstrengend!“, jammerte ich leise und legte mir eine Hand an den Kopf. Würden die zwei wohl jemals länger als fünf Minuten in einem Raum aushalten, ohne sich gegenseitig zu zerfleischen? Wohl kaum. Demyx setzte sich vor mir auf dem niedrigen Tisch. „Gib ihr endlich den Laufpass, dann ist alles okay.“, grummelte er miesgelaunt und ich schüttelte leicht den Kopf. Nein, dass würde ich wohl weniger tun. Zumindest nicht, bis ich was Besseres hatte. Und... Gott, es würde schwer sein, was Besseres als sie zu finden, denn sie war heiß und eine echte Bombe im Bett. Okay, das waren nicht unbedingt die bedeutendsten Faktoren, aber ich war eben auch nur ein Kerl. Die schlechte Stimmung des Musikliebhabers schlug augenblicklich um, als er Roxy neben mir auf dem Sofa entdeckte. „Roxy!“, quiekte er freudig und knuddelt den Kleineren erbarmungslos. Roxas war deutlich mit dem plötzlichen Umschwung überfordert und ich konnte mir ein Grinsen nicht vertreiben. Ihm waren seine Gedanken deutlich auf die Stirn geschrieben: ‚Hilfe?‘ „Was ist denn nun der Grund dafür, dass du mich so früh hierher zitierst? Doch wohl hoffentlich nicht, um dich und deine... Freundin beim rummachen zu beobachten, oder?“, fragte Demyx schließlich, als er endlich vor Roxas abgelassen hatte, und der Jüngere sich wieder zu mir auf das Sofa flüchten konnte. Ich musste lachen. „Nein, es geht viel eher um dein Hobby. Hast du aktuell Zeit für einen ‚Schüler‘?“, fragte ich und nickte Richtung Roxas. Demyx legte kurz nachdenklich die Stirn in Falten. „Worin?“ „Gitarre.“, ergriff nun Roxy selbst das Wort und ich sah kurz etwas irritiert zu ihm. Auch? Hatte er seine Zunge doch noch nicht verschluckt? Demyx nickte grinsend. Ein sehr gutes Zeichen. „Da kann ich was machen, insofern ein gewisser fauler, inkonsequenter Weiberheld nichts gegen einen Mitschüler hat.“ Hach, diese Beschreibung meiner Selbst war doch echt zu liebenswert. Demyx, das bekommst du morgen wieder, ging es mir sofort durch den Kopf und ich nahm mir strikt vor, den Guten bei irgendeinem der Spiele leiden zu lassen. In welcher Art auch immer. „Aber, ich habe eine Bedingung.“, warf der Musikliebhaber noch grinsend ein und sah zwischen mir und Roxy hin und her. Uh, jetzt wurde es spannend. Mal sehen, ob es was Annehmbares war, sonst müsste ich mich doch noch mal als Lehrer versuchen, und Roxas damit quälen. Unangenehme Vorstellung. „Mach’s nicht so spannend, Dem.“, drängte ich ein wenig ungeduldig, als genannter eine ziemlich lange Pause eingelegt hatte, und der Ältere hob mahnend einen Finger. „Also wirklich, Axel. Jetzt übe dich doch in Geduld.“, wieder ein breites Grinsen. „Ich will, dass Roxy morgen Abend auch kommt.“ Sofort entglitten mir jegliche Gesichtszüge. Bitte was?! „Demyx, du weißt, dass der Kleine fünfzehn ist, oder?“, erinnerte ich ihn, ehe Roxas auch nur irgendwas einwerfen konnte. Vergnügt grinste mein Freund mir entgegen. „Japp, dem bin ich mir vollkommen bewusst. Und?“ Und?! Hallo?! Seine Eltern brummten ihm mit Fünfzehn noch einen Babysitter auf, da ließen sie ihn hundert Prozentig nicht zu einem Spielabend, bei dem es zu neunundneunzig Prozent weder jugendfrei noch alkoholfrei zugehen würde. „Überleg mal ganz scharf, Kumpel!“, forderte ich ihn auf und musterte ihn durchdringend. „Ach, das wird schon! Stimmt’s, Roxy?“, fragte der Musikliebhaber und blickte den Jüngsten der kleinen Runde erwartungsvoll an. Etwas verwirrt nickte der Blondschopf und Demyx schlug in voller Vorfreude die Hände zusammen. „Siehst du? Alles paletti!“ Von wegen ‚Alles paletti‘. Ich war nun wirklich nicht derjenige, der bei solchen Aktionen nicht mitspielte, aber ich wusste jetzt schon, dass ICH am Ende derjenige sein würde, der Roxas‘ Eltern erklärte, warum ihr Sohn betrunken war. „Nun komm schon Axel! Wir brauchen ohnehin noch einen Spieler, wo Marlu doch nicht kommen kann. Also sei kein Frosch.“, flehte Dem in seiner typischen Art und ich musste mich geschlagen geben. Seufzend ließ ich mich zurücksinken. „Schön, aber nur, wenn du das mit seinen Eltern klärst.“, willigte ich schließlich ein und ahnte jetzt schon, dass das Ganze tierisch in die Hose gehen würde. „Das dürfte kein Problem sein.“, meldete Roxas sich dann doch wieder und sowohl Demyx, als auch ich fixierten ihn verwirrt, ehe er weiter sprach und mich ansah: „Meine Eltern wollten heute noch mal bei euch anrufen und fragen, ob du am Freitag noch mal auf mich aufpassen könntest.“ Schön, dass ich das auch mal erfuhr. Dann musste ich mir nicht die vorwurfsvollen Blicke meiner Mom antun, wenn ich abgelehnt hätte. Gut, dann stand es also fest, dass der Kleine mitkommen würde. Wie gut, dass er sich offensichtlich einigermaßen mit Demyx verstand. Mussten wir nur noch herausfinden, wie die Konstellation zwischen ihm und Zexion enden würde. Aber da hatte ich eigentlich wenig Bedenken. Zexy war sanft wie ein Lamm, wenn man ihn nicht reizte, oder beim Lesen störte. „Dann verschweigen wir ihnen das mit dem Abend bei mir einfach.“, warf Demyx begeistert ein und Roxas zuckte zusammen, schüttelte energisch den Kopf. „Das können wir nicht machen. Ich bin nicht gut darin meinen Eltern was zu verheimlichen. Ich verplapper mich dann sicherlich!“, gestand er ein wenig kleinlaut und senkte betroffen seinen Blick. Ich musste unweigerlich grinsen. Der Kleine war echt niedlich. Ich strubbelte ihm aufmunternd durch seine Haare. „Ach, das wird schon. Überlass das einfach Demyx, der kann ziemlich überzeugend sein. Dann brauchst du deine Eltern nicht zu belügen.“, sprach ich sanft und der Jüngere blickte zögerlich auf, nickte unsicher. Das schrille Läuten der Schulglocke ließ uns alle zusammenfahren. Woah, wieso war die hier bitte so unglaublich laut?! „Ax, du gibst mir gleich in Mathe die Nummer der Heavens, damit ich das heute Abend klären kann, okay?“, fragte Dem und ich nickte knapp, ehe ich mich erhob. Dann wandte der Musikliebhaber sich an Roxas: „Kommst du in der Pause gleich zu uns? Wir treffen uns hinter den Sporthallen.“ Allerdings wartete er nicht auf eine Antwort, sondern verschwand er schnell aus der Bibliothek. Okay, Demyx hatte wirklich einen Narren an dem Kleinen gefressen. Und er würde nicht locker lassen, bis Roxas ein Teil unserer Clique war. Das konnte ja noch heiter werden. „Was hast du jetzt?“, riss mich die Stimme Roxas‘ aus den Gedanken. „Physik.“, gab ich ihm die geforderte Information und schnappte mir meine Tasche. Unübersehbar schlich sich ein Lächeln auf das Gesicht des Jüngeren. Huh? „Dann können wir noch ein Stück zusammen gehen. Ich hab Bio!“ Woher nahm er plötzlich diesen Enthusiasmus? Das war mir nicht ganz geheuer. Aber ich wusste das zu verdrängen. Und Recht hatte der Blondschopf. Der Weg zu den Naturwissenschaftsräumen konnte man zusammen hinter sich bringen. Und der Unterricht war ganz genauso wie immer: Langweilig! Ich hätte sterben können. Es war immer das Selbe. Nichts wollte so recht interessant klingen. Nicht mal annähernd. Aber was erwartete ich auch? Die spannenden Themen hatten wir in der Middle-school durchgenommen. Aber da musste ich nun einfach durch. Und solange mein Notenschnitt nicht drunter litt, musste ich im Unterricht auch nicht aufpassen. So einfach war das. Basta! Kapitel 8: Step 8 ----------------- Als hätten alle darauf gewartet, durchzog sofort ein reges Stimmengewirr den Klassenraum, als die Klingel die Stunde beendete. Endlich Pause! Für die nächsten Minuten hatten wir Ruhe vor unseren Paukern. Auch wenn alle immer wieder sagten, dass Lehrer auch nur Menschen seien, schienen sie ein verdammtes Vergnügen daran gefunden zu haben, die Schüler auf die außergewöhnlichsten Arten zu quälen – Unterschwellig, versteht sich. Achtlos stopfte ich meine Mathe-Sachen in die Tasche und stand auf. Keine Sekunde später stand ein, wie immer, gut gelaunter Demyx neben mir und drängte mich aus dem Raum den Flur hinunter. Erst als wir an unseren Spinden waren, hielt der Ältere an. „Was hast du es denn so eilig?“, forschte ich, während der Musikliebhaber an seinem Schloss werkelte. Kurz hielt er inne und wandte den Blick zu mir. „Na, wenn wir uns nicht beeilen, dann denkt Roxy vielleicht, dass wir nicht kommen.“, erklärte er mir dann, als wäre es selbstverständlich und zog den Spind auf. Ich schüttelte ein wenig fassungslos über diese Antwort den Kopf und ließ meine Hand vor der von Demyx in dessen Spind wandern. Ich musste nicht mal hinsehen, um das gewollte Objekt zu finden. Gezielt schnappte ich mir die Haarspraydose und grinste Demyx an. „Ich darf ja sicher.“ Ein Nicken als Antwort. Hach, wie sehr ich es doch mochte, wenn ich Recht behielt. Erstrecht wenn es in einer solchen Sache war. „Geh schon mal vor. Ich komm gleich nach.“, fuhr ich dann fort und ging davon aus, dass Demyx genau wusste, was ich noch machen würde. Es war ja ziemlich offensichtlich. „Okay, aber beeil dich. Sonst hast du nichts mehr von der Pause.“, scherzte mein Freund, schloss seinen Spind und machte sich auch gleich auf den Weg zu unserem Stammplatz hinter den Turnhallen. Ich hingegen machte mich, wider meiner Natur, auf den Weg zu den Jungentoiletten. Ich mied sie in der Regel. Nicht weil sie nicht okay waren, sondern viel eher, weil es Feindesterritorium war. Die Toiletten galten schon seit dem Beginn meiner Schullaufbahn hier, als Sammelpunkt für die Schüler, die glaubten, es sei cool, immer wieder mit ihren Bettgeschichten zu prahlen, sich mit ihren Lehrern bis aufs Blut in die Haare zu kriegen, sich mit Drogen jeglichen Rest an Verstand zu ruinieren, der vielleicht noch vorhanden war, etc.! Niveau? Ein Fremdwort für diese Schüler. Der Grund warum wir sie mieden lag also so ziemlich auf der Hand. Trotzdem kamen wir nicht umhin ab und zu doch mal vorbeizuschauen, wenn die menschlichen Bedürfnis nicht mehr zu unterdrücken waren. Und in diesen seltenen Fällen endete das Ganze meist ziemlich böse. Der momentane Plan also: ‚Hoffen, dass sie mich einfach ignorieren.‘ Klingt leicht. Allerdings zweifelte ich ernsthaft daran, dass es auch so einfach verlaufen würde. Aber davon ließ ich mich nicht aufhalten. Meine Frisur hatte Priorität. Keinen weiteren Gedanken an die Idiotenfraktion verschwendend betrat ich die Toiletten. Augenblicklich verstummten jegliche Gespräche und ein Grinsen schlich sich auf meine Lippen. Oh, ich war aufgefallen. Welch Wunder. Mich nicht groß daran störend ging ich zu einem der Waschbecken, zog das Haargummi in einer nebensächlichen Bewegung aus meinen Haaren und stellte Demyx‘ Haarspray auf der Ablage ab. Ein leises Murren war hinter mir zu hören, leider zu leise, um es zu verstehen. Na? Würden sie mein Auftauchen vielleicht doch einfach so hinnehmen? Seelenruhig kramte ich den Kamm, denn ich am morgen noch hecktisch irgendwo in die Tiefen meiner Tasche geschmissen hatte, hervor und stellte erleichtert fest, dass er unter meinen Schulsachen nicht verbogen war. Ein verbogener Kamm würde die gesamte Prozedur nur unnötig erschweren. Ich machte mich daran, meine Haare in ihre gewohnte Form zu bringen, als ich das leise Geräusch von Schritten hinter mir wahr nahm. Ich runzelte kurz die Stirn. Hatte ich mich vielleicht doch zu früh gefreut? Ich würde es drauf ankommen lassen, wie immer. Und bestimmt würde ich es auch wie immer am Ende bereuen. Tja, nicht aus allen Fehlern lernt man. Doch wider meiner Erwartungen blieb es ruhig. Die Schüler innerhalb der Toilettenräume nahmen sogar ihre Gespräche wieder auf. Merkwürdig. War einer der Lehrer anwesend? Wohl kaum. Dann wären die Anwesenden sofort geflüchtet. Noch ziemlich in Gedanken, beendete ich mein Styling und ließ das Haarspray in meiner Tasche verschwinden. Ich würde es Demyx wohl lieber sofort wiedergeben. Sonst würde er morgen das selbe Problem haben, wie ich heute. Und im Gegensatz zu mir, konnte er sich nicht mit einem einfachen Haargummi retten. „Kann ich mir eben deinen Kamm leihen?“, wurde ich plötzlich angesprochen. Ich stutzte und brauchte erstmal einen Moment, um den Inhalt der Worte zu verstehen. Wow, was ein Akzent war das denn? Ich wandte mich um und sah mich einem Jungen mit silbernen Haaren gegenüber. Ich schätzte ihn in Kairi’s Alter, vielleicht war er auch ein Jahr älter. Allerdings wunderte mich das weniger, als die Tatsache, dass ich ihn noch nie gesehen hatte. Klar, man konnte nicht alle Schüler hier kennen, aber ein Kerl mit einer solch auffallenden Haarfarbe hätte mir sofort ins Auge springen müssen. Er musterte mich abwartend. Ich schüttelte kurz den Kopf, um meine Verwunderung abzuschütteln. „Klar!“, gab ich ihm dann als Antwort und reichte ihm das gewünschte Utensil. Ein kaum merkliches Lächeln schlich sich auf seine Lippen und er nahm ihn dankend an. „Du bist neu hier, oder?“, forschte ich dann vorsichtig nach und er schien zu überlegen. „Naja, so in etwa. Ich bin für ein paar Wochen hier, Schüleraustausch eben.“, erklärte er mir und unweigerlich musste ich an den Kleinkrieg zwischen Kairi und unserer Mom denken. Ach, von dem Kerl hier hatte sie gesprochen? „Das erklärt deinen Akzent.“, merkte ich grinsend an, erhielt allerdings keine wirkliche Reaktion darauf. „Hat Kairi sich eigentlich schon an dich gehängt?“, lenkte ich das Thema dann in eine andere Richtung und sofort hatte ich wieder seine volle Aufmerksamkeit. „Wenn du die kleine Rothaarige meinst: Ja, hat sie. Und sie und ihre Freundin sind äußerst anhänglich.“ Ich musste lachen. Ja, das klang ziemlich nach Kairi und Naminé. Der Kerl konnte einem schon Leid tun. „Gut, denn ich muss jetzt los. Gib ihr den Kamm, sie ist meine kleine Schwester.“ Den verwirrten Blick, den er mir schenkte, beachtete ich kaum und schnappte mir meine Tasche. „Man sieht sich.“, verabschiedete ich mich dann und verließ das feindliche Territorium. Als ich die Toiletten verließ, entdeckte ich sofort meine Schwester und Naminé an der anderen Wand des Ganges. Ich konnte genau erahnen, worüber sie sprachen. Zugegeben, es war denkbar einfach, immerhin war ich dem Objekt ihrer Begierde vorhin über den Weg gelaufen. Die Mädchen schienen ziemlich in ihr Gespräch vertieft zu sein, also ließ ich sie lieber in Ruhe und machte mich zu den Anderen auf. Ein rascher Blick auf meine Uhr verriet mir, dass ich bereits die Hälfte der Pause gefehlt hatte. Na hoffentlich ließ Demyx Roxy ganz, sonst käme ich in ziemliche Erklärungsnöten bei den Eltern des Jungen. Die Aussage ‚Sorry, Ihr Sohn wurde von meinem besten Freund zu Tode geknuddelt‘ klang verdammt banal, selbst wenn es die Wahrheit wäre. Und scheinbar kam ich gerade recht. Als ich um die Ecke der Sporthallen kam, lief mir ein ziemlich verschreckter Roxas entgegen, dicht von Demyx verfolgt, und versteckte sich hinter mir. Der Musikliebhaber bremste sofort ab und grinste mich unschuldig an. Ein Seufzen entflog meinen Lippen. „Dem, lass es, wenn der Kleine nicht will.“ Sofort zog der Angesprochene eine Schmollmund und sah mich unschuldig an. „Ich wollte doch nur knuddeln. Roxy hat gerade so niedlich ausgesehen.“ Konnte ich mir gut vorstellen. Aber das war nun wirklich kein Grund, den Jüngeren sofort so zu verängstigen. So würde Demyx‘ Vorhaben, ihn in unsere Gruppe zu integrieren, ganz klar nach hinten los gehen. Ich schüttelte leicht den Kopf und sah mich dann um. Zexion saß seelenruhig auf einer der Tischtennisplatten und blätterte in einem seiner Bücher. Typisch, dass er nichts versucht hat, um Dem zu stoppen. „Also? Wie sieht’s aus?“, fragte ich dann und ließ mich neben unserem Bücherwurm auf der Platte nieder. „Ich hab schon bei Roxy zu Hause angerufen. Seinen Eltern ist es Recht, solange wir ihn nach Mitternacht nicht mehr raus lassen, du dabei bist und es keinen Alkohol gibt.“, berichtete Demyx und ich runzelte die Stirn. Ersteres war verständlich. Zweiteres auch, da die Familie mich kannte. Letzteres allerdings irritierte mich. „Und du hast ‚Ja‘ gesagt, oder?“ „Klar, die müssen ja nicht wissen, dass wir uns nicht an die Vorgaben halten.“, strahlte Demyx fröhlich. „Ich musste ihnen auch meine Nummer geben, damit sie im Notfall anrufen könnten, aber das ist ja kein Problem.“ Ein Grinsen schlich sich auf meine Lippen. Erneut hatte Demyx seine Naivität unter Beweis gestellt. „Dem, du weißt schon, dass die jetzt eventuell alle halbe Stunde anrufen, nur um sicher zu gehen, dass ihrem Sohn auch ja nichts zustößt?“, fragte ich amüsiert und beobachtete, wie Demyx mich irritiert musterte. „Nein, da hab ich nicht drüber nachgedacht.“, gestand er und ich verkniff mir ein Lachen. „Aber wir müssen ja nicht immer ran gehen. Wenn’s um unseren Roxy geschehen ist, dann gehen wir nicht mehr ran und die glauben, wir schlafen schon.“, präsentierte er uns dann seine Glanzidee und ich hob skeptisch eine Augenbraue. Inwiefern war das ‚um unseren Roxy geschehen‘ nun gemeint? „Demyx, du planst was.“ „Nein! Wie kommst du dazu, mir sowas vorzuwerfen?“, kam es empört von dem Musikliebhaber und ich wusste, dass ich Recht hatte. Oh man, das konnte noch was werden. Mein Blick wanderte zu Roxas, der Zexion über die Schulter blickte und sich von diesem erklären ließ, wie unser Politisches System aufgebaut war. Warum auch immer. Vielleicht hatte der Kleine Zexion ja gefragt, was er da las. Meistens ein böser Fehler. Auch wenn unser Bücherwurm meist eher einer der schweigsamen Sorte war, konnte er richtig weit ausholen, wenn es um ein Thema ging, dass ihn wirklich interessierte. Und leider gehörte Politik dazu. Aber das hatte sowohl Demyx, als auch mir schon so manche schlechte Note erspart. Kapitel 9: Step 9 ----------------- „Du bist aber früh dran...“, stelle Demyx irritiert fest, als er mich erblickte. Ich hatte dafür nur ein Grinsen übrig. Also eine halbe Stunde früher, würde ich nicht als ‚früh‘ bezeichnen. Gut, es war ungewöhnlich, aber ab und zu kam es eben mal vor. Aber warum verwunderte das Demyx so sehr? „Stör ich etwa bei etwas?“, fragte ich spaßeshalber und schlüpfte an meinem Freund vorbei ins Haus, ohne auf eine Antwort zu warten. Vielleicht hätte ich besser daran getan, auf diese zu warten, denn kaum, dass ich das Wohnzimmer betreten hatte, eröffnete sich mir ein Bild, dass ich mich ziemlich verwunderte. Merkwürdigerweise war es nicht die Tatsache, dass Marluxia gerade in einem Kleiderhaufen herumwühlte und Roxas, der ziemlich perplex danebenstand, einige der Kleidungsstücke in die Hand drückte, die mich verwirrte, sondern eher der Faktor, dass Marluxia überhaupt in Demyx‘ Wohnzimmer war. Als die Beiden mich bemerkten, blickten sie auf. „Lange nicht gesehen, Ax!“, grinste Marluxia und ich wusste nicht so recht, ob ich unter Halluzinationen litt, oder ob unsere Rose nun wirklich vor mir stand. Irritiert blinzelte ich ihn an. „Was machst du denn hier?“ Nette Begrüßung? Eine meiner leichtesten Übungen. „Darf ich etwa nicht hier sein?“, fragte der Designer gespielt beleidigt und verschränkte die Arme vor der Brust. „Nein, nein, so war das nicht gemeint! Ich meine eher, warum bist du hier und nicht mehr im Krankenhaus?“, verdeutlichte ich meine Frage und lockte ein Grinsen auf die Lippen meines Gegenübers. „Ich hab ein bisschen Radau gemacht, sodass die Ärzte mich irgendwann haben gehen lassen.“, erklärte er und stemmte die Hände triumphierend in die Hüften. „Und heute morgen stand er ohne ein Wort der Warnung bei mir auf der Matte.“, warf Demyx ein und schlüpfte an mir vorbei ins Wohnzimmer. „Und das hast du heute morgen einfach vergessen zu erzählen, was?“, gab ich ein wenig genervt von mir und sah dem Kleineren nach. Keine Sekunde später spürte ich, wie Marluxia seinen Arm um meine Schultern legte. „Sorry, das war meine Schuld. Ich hab den Süßen darum gebeten, nichts zu erzählen. Es sollte eine Überraschung sein.“, schnurrte die Rose der Gruppe mir ins Ohr und unweigerlich jagte mir ein Schauder den Rücken runter. Gott, ich hasste es, wenn Marluxia das machte. Nicht, weil ich ihn nicht mochte, sondern eher, dass der Kerl es damit immer wieder schaffte mich ein wenig meiner Fassung zu berauben. Entschieden schlüpfte schob ich seinen Arm von mir und sah ihn fragend an. „Und was wird das?“, lenkte ich das Thema schnell um und nickte in Richtung des beladenen Roxas‘. Es dauerte etwas, bis ich eine Antwort erhielt. „Roxys Eltern haben ihm nicht wirklich Klamotten mitgegeben. Wahrscheinlich dachten sie, dass er heute noch wieder nach Hause kommt.“, begann Demyx und ich stutzte. Hatte Demyx nicht klar gemacht, dass der Junge wohl kaum noch am selben Tag wieder nach Hause kommen würde? Dann könnte das wirklich in einem Telefonterror seitens Roxas‘ Eltern enden. Na toll. „Deswegen habe ich Demyx‘ Kleiderschrank etwas geplündert, damit der Kleine morgen früh was zum Anziehen hat!“, führte der angehende Designer dann die angefangene Erklärung des Jüngeren fort. Das machte wenigstens Sinn. Auch wenn uns erst am Morgen darum hätten Gedanken machen müssen, aber gut, besser früh, als gar nicht. Dann schüttelte ich seufzend den Kopf. Wie auch immer, daran sollte ich mich vorerst nicht stören. Das Problem konnten wir später noch erörtern, wenn es wirklich zu einem Problem werden sollte. „Wenn Zexy kommt, müssen wir uns leider in mein Zimmer verziehen.“, erklärte Demyx schließlich, als Marluxia seine Suche nach passenden Klamotten für Roxas beendet und wir es uns in der Sitzgruppe des Wohnzimmers niedergelassen hatten. Irritiert flogen unsere Blicke auf den blondhaarigen Musikliebhaber. Wieso das auf einmal? Sonst hatten wir uns doch auch immer im Wohnzimmer rumgetrieben. „Meine Eltern kommen gegen Mitternacht nach Hause und bringen Arbeitskollegen mit.“ „Das ist ja was ganz Neues.“, kommentierte ich und erntete einen halb grimmigen, halb zustimmenden Blick Demyx‘. Wie bekam er es nur immer hin, so vollkommen unterschiedliche Gefühle in einen Blick zu bringen? Das war ein Kunststück der Sonderklasse. Damit sollte er zu Supertalent gehen. Ernsthaft. „Ist egal. Dem’s Zimmer ist groß genug, und wenn wir das Bett und die Couch noch an die Wand schieben, hätten wir sogar genug Platz um drei Twister-Flächen nebeneinander auszubreiten, also dürfte das kein Thema sein.“, warf Marluxia ein und unweigerlich mussten Demyx und ich lachen. In einem Anflug von Ärger knurrte unsere Rose leise auf. Er mochte es gar nicht, wenn er nicht wusste worum es geht und trotzdem konnten wir nicht anders. „Sorry, Marlu.“, kicherten wir synchron, doch schien dies das Gemüt des rosahaarigen Designers in keinster Weise zu mildern. Man sollte es nicht glauben, aber Demyx und ich haben so mal sein Zimmer ausgemessen. Wir hatten zwei alte Twister-Spiele bei ihm im Keller gefunden, als wir auf der Suche nach einem Zollstock waren. Da kam uns dann die blendende Idee, das Zimmer mit dem Spielfeld auszulegen, um die Größe des Zimmers zu ermitteln. Danach hatte Demyx wochenlang einen weißen, buntgepunkteten Plastikteppich, bis seine Mom ein Machtwort gesprochen hatte und wir den Mist wegräumen mussten. Schade, ich fand den Teppich cool. Als wir Marluxia dann aufgeklärt hatten, schüttelte dieser nur verständnislos den Kopf. Anscheinend konnte er nicht so ganz nachvollziehen, warum Demyx und ich das Ganze so lustig fanden. War vielleicht auch besser so. Einige Dinge musste der Ältere nicht verstehen. Es dauerte dann auch nicht mehr lange, bis es an der Tür schellte und Zexion zu auch eintrudelte. Dann konnte der Spaß ja endlich beginnen. Rasch verzogen wir uns in Demyx‘ Zimmer, schoben wie zuvor vorgeschlagen, Bett und Couch näher an die Wand und schafften so unseren Spielplatz für die Nacht. Wir begannen mit dem simplen Kartenspiel ‚Blödsinn‘. Ein Vorschlag von Roxas. Keiner von uns kannte das Spiel, aber wir hatten den Dreh recht schnell raus. Das Spiel hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Poker, war nur um einiges Simpler. Wer gut Bluffen konnte, wurde seine Handkarten schnell los und war fein aus dem Schneider. Schnell war klar, dass Demyx eine Null im Bluffen war. Man konnte es ihm immer genau anmerken, wann er Blödsinn erzählte und wann nicht. Entsprechend leicht war es für mich, da ich neben ihm saß. Am Ende lief es darauf hinauf, das Marluxia, Zexion und ich unsere Karten los waren, das Spiel eigentlich schon vorbei gewesen wäre, wir die beiden Blondchen aber noch weiterspielen lassen haben, und Roxas mit Demyx nun ein ziemlich leichtes Spiel hatte. Es wunderte mich etwas, dass der Kleine bis zu letzt dabei war. Ich hatte in Gedanken immer falsch gelegen, wenn Marluxia entscheiden musste, ob Roxas Quatsch erzählte, oder nicht. Letzlich endete es, wie es Enden musste: Demyx verlor auf ganzer Linie, nahm es aber nicht schlecht. Der Musiker war noch nie ein schlechter Verlierer gewesen. Wobei es doch ein wenig lächerlich erschien, da Demyx immerhin die Karten auf der Hand hatte, die Roxas eben nicht haben konnte und deswegen immer genau hättet sagen können, dass der Blufft, oder nicht. Leider Hatte Demyx die Übersicht über sein Blatt total verloren. Das Spiel schien genau das Richtige zu sein, denn man merkte mit jeder Runde, wie Roxas ein bisschen mehr auftaute. Seine bis dahin noch leicht versteifte Haltung wurde immer lockerer, bis er schließlich aufgelassen mit über jeden kleinen Witz von Demyx lachte. Vielleicht war es doch keine so schlechte Idee von dem Musiker gewesen, den kleinen Strubbelkopf mit einzubinden. Roxas passte immerhin in die Gruppe, auch wenn man es erst auf den zweiten Blick bemerkte. Nur sein Alter passte nicht so unbedingt, aber das würde ich mit der Zeit regeln, davon war ich überzeugt. Das nächste Spiel wurde liebevoll ‚Schnapshai‘ genannt. Warum? Ganz einfach. Es war eigentlich ein Hai, dessen Maul man aufsperren konnte. Sinn des Spiels war es einfach, nacheinander einen der Zähne runter zu drücken und der, bei dem der Hai zuschnappt, hat verloren und muss einen Schnaps exen. Da wir allerdings einen Minderjährigen –eigentlich zwei, aber ich zählte mich nicht mehr als minderjährig- dabei hatten, nahmen wir lieber etwas Harmloseres, das nicht so rein knallt. Immerhin wollten wir nicht dazu beitragen, dass Roxy am nächsten Morgen im Krankenhaus mit einer Blutvergiftung aufwacht. Wundersamer Weise wäre das, selbst wenn wir härtere Spirituosen genommen hätten, nicht mal annähernd passiert, da der Kleine nur zwei- oder dreimal vom Hai gebissen wurde. Der Glückspilz. Marluxia und mich traf es dagegen ziemlich oft. Dieser Hai war eindeutig verflucht. Ich schwöre! So oft wie an diesem Abend hatte ich noch nie bei diesem verdammten Hai einen trinken müssen. Das war… unheimlich. Das Telefon klingelte den ganzen Abend über nicht. Anscheinend machten Roxas‘ Eltern sich auch einen schönen Abend. Gut so, dann würden sie uns nicht stören. Denn kurz nach Mitternacht war keiner von uns mehr so recht zurechnungsfähig. Vermutlich hätten wir der guten Frau sonst was am Telefon erzählt, wenn sie angerufen hätte. Gott, das wäre schrecklich gewesen. Roxy hätte den Umgang mit uns verwehrt bekommen, oder Schlimmeres. Der einzige Moment, wo unsere Mini-Party unterbrochen wurde, war als Demyx‘ Eltern nach Hause kamen und seine Mom den Kopf einmal durch die Tür steckte, um nach dem Rechten zu sehen. Sie wurde mit einem fröhlich geträllerten ‚Morgen‘ von uns allen begrüßt und verschwand direkt wieder. Ob sie beruhigt war, dass alles noch stand, oder ob wir einfach nur zu unmöglich waren, wussten wir nicht so recht, aber interessiert hat es uns auch nicht. Letztlich kam es zur Vater aller Partyspiele. Poker. Aber nicht irgendein Poker. Nee, wir wollten es genau wissen. Strippoker war angesagt. Und da wir alle angeheitert waren, drückte sich auch keiner. Okay, bis auf Zexion. Der hatte sich bereits beim Twister verabschiedet, sich auf dem Sofa zusammengerollt und war weggepennt. Der Kleine vertrug einfach Nichts, gar nichts. Und Gott, ich war noch nie so schnell beim Poker draußen. Missmutig grummelnd blickte ich auf die Karten, die Roxas breit grinsend vor sich ausbreitete. Das gab‘s doch nicht. Vier gottverdammte Ace und ein König. Dafür, dass der Kleine beim ‚Blödsinn‘ komplett abgeschmiert war, hatte er das pokern verdammt gut drauf. Genervt ließ ich mich zurückfallen. „Bin raus…“, murmelte ich und spürte wie Demyx mir mitfühlend eine Hand auf den Bauch legte. „Ich werd‘ dich räch‘n, Bruder!“, schwör er melodramatisch, doch wurde daraus nicht wirklich etwas, da auch er in der nächsten Runde rausflog. An diesem Punkt wurde mir klar, dass der Abend für mich gelaufen war. Der Alkohol ließ leider nicht mehr mit sich reden und zeigte so langsam Wirkung. So ein Dreck auch. Hey, ich hatte nichts gegen das Gesöff, nur die auf die Nebenwirkungen konnte ich eigentlich getrost verzichten. Leider schien mein alter Freund das nicht ganz so zu sehen, wie ich, denn er ließ nicht locker. Leise irgendwas vor mich hin jammernd fuhr ich mir mit der Hand über das Gesicht und setzte mich wieder auf. Offensichtlich hatten die letzten beiden verbliebenden Spieler die Pokerpartie beendet, denn Roxas saß triumphierend da und Marluxia hatte schmollend die Arme verschränkt. Das war selten, dass Marluxia in ‚seinem‘ Spiel besiegt wurde. Demyx begann etwas von Flaschendrehen zu quengeln, doch ich winkte ab: „Ohne mich…“ und krabbelte zum Sofa hinüber. An meinem Ziel angekommen ließ ich mich davor auf dem Boden auf den Rücken fallen und schloss die Augen. Wuhu, endlich hörte alles zu schwanken auf. Oder kam mir das nur so vor, weil ich es nicht mehr sehen konnte? Egal. Schwarz konnte nicht schwanken, entsprechend hatte es aufgehört zu schwanken. Einige Zeit verging, in der ich etwas vor mich hin döste. Vernünftiges Schlafen war bei dem Gekicher von der Seite nicht unbedingt möglich. Immer wieder quiekten die drei auf, oder lachten sich über irgendwas kaputt. Aber so wirklich verstehen, worum es ging, konnte ich nicht. Und zum gucken war ich dann doch zu beschäftigt. Auf einmal wurde es still. Zu still, um normal zu sein. Hatte Demyx‘ Mom ein Machtwort gesprochen, weil sie nicht schlafen konnte? Es war ja mittlerweile schon recht früh… Möglich war es, auch wenn ich die Frauenstimme doch bestimmt gehört hatte. Ich wurde ruckartig aus meinen Gedanken gerissen, als sich jemand auf meinen Bauch fallen ließ. Erschrocken riss ich die Augen auf und versuchte mich auf zusetzten. Dummer Fehler. Aufsetzen fiel flach, weil die Person mich an den Schultern auf den Boden gepinnt hielt. Es war nicht besonders stark, aber unter dem Einfluss des Alkohols war mein Körper irgendwie nicht mehr so ganz er selbst. Gut, dann eben nicht. Ich blinzelte einige Male, bevor ich wieder halbwegs klar erkennen konnte, wer es sich da auf mir bequem gemacht hatte. Blonde Haare… Demyx? Nee, der war doch bestimmt bei Marlu. Mein Besucher beugte sich über mich und gab mir so die Möglichkeit ihn genauer zu betrachten. Ah, diese tiefblauen Augen kannte ich genau. Die gehörten Roxy. Aber Moment, wieso sollte Roxy es sich auf meinem Bauch gemütlich machen? Mein Hirn versuchte verzweifelt eine Antwort darauf zu finden, doch war da irgendwie keine, die es als wahrscheinlich einstufen konnte. Blödes Hirn. Ich wusste mir nicht zu helfen, aber irgendwie wirkten die Augen des Jüngeren ein wenig glasig, oder kam mir das nur so vor? Bestimmt bildete ich mir das nur ein. Beruhigt schloss ich wieder meine Augen. Jedoch riss ich sie im nächsten Moment wieder irritiert auf, als ich etwas Weiches auf meinen Lippen spürte. Doch so wirklich viel konnten meine Augen nicht aufnehmen. Da war irgendwie nur Roxys Gesicht… Und mit einem Mal machte es ‚klick‘. Der Kleine saß nicht nur auf mir, nein, er küsste mich auch. Deutliche Verwirrung breitete sich in mir aus, doch drängte ich sie schnell in eine Ecke. Die Lippen des Jüngeren waren so unbeschreiblich weich… und plötzlich wollten sie wieder verschwinden. Nicht mit mir! Sofort ließ ich eine Hand in Roxys Nacken wandern und zog ihn wieder zu mir runter, nahm nun meinerseits den Kuss auf und fuhr vorsichtig mit der Zunge über seine Lippen. Zu meiner Verwunderung erhielt ich sofort Einlass, ließ mir die Chance natürlich nicht entgehen und schlüpfte mit der Zunge in seinen Mund, erkundete das unbekannte Gebiet und forderte schließlich meinen Spielkameraden heraus. Die Herausforderung wurde mit einem leisen Seufzen angenommen. Er schmeckte nach dem süßlichen Kirschlikör, den Demyx irgendwann im Laufe des Abends geöffnet hatte, oder war das doch der Sherry-Cola-Geschmack? Ich verlor mich etwas in dem Geschmack und dem Spiel mit Roxy, sodass ich ein leises Knurren von mir gab, als der Kleinere den Kuss unterbrach. Allerdings verschwanden seine Lippen nicht von meiner Haut. Sie suchten sich ihren Weg von meinen Lippen über meine Wangen hinab zu meinem Hals. Unweigerlich entwich mir ein leises Keuchen und ich bemerkte, wie der Kleine schmunzelte. Verdammt, ich verfluchte mich für meine offensichtlichen Schwachstellen. Warum konnte ich nicht an ungewöhnlichen Stellen empfindlich sein? Das war so unfair. Zu allem Überfluss schien der Jüngere auch noch Gefallen daran gefunden zu haben, wodurch es dann schneller um mich geschehen war, als es gut für uns Beide war… Kapitel 10: Step 10 ------------------- Am nächsten Morgen riss mich ein dumpfes Dröhnen in meinem Kopf aus dem Schlaf. Aus reinem Reflex hob ich einen Arm und presste mir die Hand auf die Stirn. Autsch. Die Realität erwies sich wieder einmal als Arschloch. Ich brauchte einige Zeit, bis ich die Ereignisse des Abends rekonstruiert hatte, um diesen höllischen Kopfschmerzen einen Grund zuordnen zu können. Alkohol, ganz klar. Und dann auch noch zu viel davon. Prima. Die Rechnung, Axel plus Alkohol gleich Kater, war mal wieder aufgegangen. Erneut nahm ich mir vor, dieses Teufelszeug nie wieder in meinem Leben anzurühren. Natürlich wusste ich jetzt schon, dass ich mich nicht dran halten würde. Verflucht, warum musste das Zeug auch so gut schmecken? Erst jetzt bemerkte ich, dass neben mir etwas freudig vor sich hin dudelte. Moment, der Ton kam mir mehr als bekannt vor. Es dauerte noch etwas, bis ich den Ton als meinen Handyklingelton identifizieren konnte. Mit einem leise Murren tastete ich nach meiner Hose, fand das Teil sogar relativ nahe bei mir und kramte, mit nach wie vor geschlossenen Augen, nach dem Störenfried. Schnell war dieser gefunden und ich nahm das Gespräch an: „Mhm?“, war alles, was ich zur Begrüßung zustande bekam. „Mhm? Was heißt hier ‚mhm‘? Hast du eine Ahnung, wie viel Uhr wir haben, mein Lieber? Hatten wir uns nicht verabredet? Wann hast du gedacht hier aufzutauchen?“, wurde ich sofort angezickt und ich verzog schmerzlich das Gesicht. Das war alles andere als förderlich für meinen Kopf. „Sorry, Süße, aber geht das auch ein wenig leiser? Ich hab Kopfschmerzen…“, murmelte ich in dem Versuch, sie ruhiger zu stimmen. Leider hatte dies genau das Gegenteil bewirkt. „Nichts da leiser! An den Kopfschmerzen bist du wahrscheinlich selbst Schuld, also warum sollte ich mich drum kümmern? Krieg ich jetzt wenigstens eine Antwort?“ Antwort? Worauf noch gleich? „Jess, bitte ich bin gerade erst aufgewacht, drück dich deutlicher aus…“, bat ich meine Freundin ein wenig gequält und hatte das starke Bedürfnis sofort wieder aufzulegen. Stille. Oh, du geliebte Stille. So sehr ich dich auch in diesem Moment genossen hätte, war es mir unheimlich, dass Jess so urplötzlich die Klappe hielt. „Schatz, du bist gerade erst aufgewacht?“, fragte sie dann verwirrt und ich gab nur einen bestätigenden Laut von mir. „Wie lang habt ihr gestern bitte gemacht? Hast du mal einen Blick auf die Uhr geworfen?“, forschte sie nach und ich stockte kurz. Nein, hatte ich nicht. Daran hatte ich bis jetzt auch noch keinen wirklichen Gedanken verschwendet. „Sekunde…“, bat ich sie und hob das Handy von meinem Ohr weg, blickte auf den Display. 17.24 Uhr leuchtete in den weißen Ziffern in der oberen Ecke auf. Diese Uhrzeit verwirrte mich. Sie verwirrte mich zu sehr. Da konnte was nicht stimmen. „Verdammt…“, fluchte ich leise und widmete mich wieder meinem Handy. „Jess, ich bin gegen halb sieben bei dir.“ Und damit legte ich auf. Mir war klar, dass sie jetzt tobte, weil ich sie verschob. Aber so wie ich die Sache einschätzte, war ich noch nicht wieder ganz nüchtern, und konnte deswegen nicht den Wagen nehmen, was schon mal eine Halbestunde kosten würde, um zu ihr zu kommen. Und dann musste ich ja auch noch die Zeit zurechnen, die ich nun sicherlich brauchen würde, um mich halbwegs wieder klar zu kriegen. Und ich wollte noch etwas liegen bleiben, bevor ich mich auf die Beine quälen würde. Mein Handy landete neben mir auf dem Boden und ich rieb mir über die Schläfen. So viel Stress am frühen… Nachmittag, war nicht gesund für mich. Ich vergrub eine Hand in meinen Haaren und starrte an die Decke. Die Kopfschmerzen machten keinerlei Anstalten mich in Ruhe zu lassen. So ein Mist. Nach gefühlten zehn Minuten war mein Kopf dann wieder halbwegs klar, zumindest konnte ich so langsam meine Umgebung wieder genauer und vor allem bewusst registrieren. Und erst jetzt bemerkte ich, dass irgendwas Schweres auf mir lag. Ich runzelte die Stirn und senkte den Blick, um zu schauen, was mich denn da so belastete. Augenblicklich stockte mir der Atem, als ich einen blonden Strubbelkopf erblickte, der definitiv nicht dahin gehörte. Sofort drückte ich mich mit den Armen etwas hoch, was dem Strubbelköpfchen ein leises Murren entlockte und er sich an mich kuschelte. Oh. Mein. Gott. Wieso lag Roxas auf mir? Und wieso zur Hölle hatten wir beide nicht so besonders viel an? Eine böse Vorahnung machte sich in mir breit. Nein, das durfte nicht sein. Das konnte doch nicht… Argh! Verloren ließ ich meinen Blick durchs Zimmer gleiten. Demyx und Marluxia schliefen noch seelenruhig in Demyx‘ Bett. Zexion allerdings war von der Couch verschwunden, seine Sachen mit ihm. Verdammt, also konnte ich niemanden fragen. Kurz entschlossen setzte ich mich auf, schob den kleinen Blondschopf von mir runter, darauf bedacht ihn nicht zu wecken. Meine Kopfschmerzen waren mit einem Mal das geringste Problem, mit dem ich zu kämpfen hatte. So schnell ich konnte, zog ich mich an und ging zu Demyx’ Bett, rüttelte leicht an dem blonden Musikliebhaber. „Dem, verdammt wach auf!“, knurrte ich leise und schien sogar Erfolg mit meinem Tun zu haben. Wow, sonst schlief er doch so tief, dass man ihn nicht so leicht wach bekam. Mein Glück also. Fragend blinzelte der Ältere mich an und rieb sich über die Augen. „Was’n los…?“, fragte er leicht gequält, was mich zu dem Entschluss führte, dass auch er nicht so ganz von dem Kater verschont geblieben war. Aber darauf konnte ich jetzt keine Rücksicht nehmen. „Was ist gestern Abend passiert, nachdem ich ausgestiegen bin?“ Ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimme leicht zitterte. Ich konnte mir nicht helfen, aber ich hatte Angst, dass ich jetzt das zu hören bekam, was ich nicht hören wollte. Demyx runzelte kurz die Stirn und überlegte. Dann schüttelte er leicht den Kopf. „Weiß nich‘…“, murmelte er und setzte sich auf. „Wieso?“ „Weil ich verdammt noch mal nicht dran gewöhnt bin, aufzuwachen und halbnackt unter Roxas zu liegen!“, knurrte ich hilflos und mein Freund musterte mich fragend, ehe ihm scheinbar ein Licht aufging. Ein verstehendes Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Keine Panik, da lief nichts. Wir haben Flaschendrehen gespielt und Roxas musste dich deswegen Küssen.“, ein Grinsen legte sich auf seine Lippen, „Und dann hast du den Jungen gar nicht mehr gehen lassen. Aber viel weiter als ein bisschen Rumgeknutsche seit ihr nicht gekommen, weil ihr beide eingepennt seit.“ Gut, das beruhigte mich zumindest etwas. Aber auch wirklich nur etwas. „Verdammt, wie kommt ihr dazu mich in ein Spiel einzubinden, bei dem ich gar nicht mitgemacht habe?“ Ich? Sauer? Niemals! Wie kommt man nur auf die Idee? Ich unterdrückte ein Winseln, als meine Kopfschmerzen sich wieder in den Vordergrund schieben wollten. Nein, böse Kopfschmerzen. Um euch kann ich mich später kümmern. „Das war Marlus Idee, frag ihn.“, gab Demyx nur zurück und kuschelte sich an eben diesen. Unweigerlich flammte in mir das Bedürfnis auf, den rosahaarigen Designer im Schlaf zu erdrosseln, aber ich konnte es im Keim ersticken. Es war ja nichts weiter passiert, also brauchte ich mich nicht unnötig aufregen. Zumindest glaubte ich das. „Darf ich jetzt weiterschlafen?“, forschte der Musikliebhaber dann und ich schüttelte nur den Kopf. „Es ist halb Sechs, Dem. Raus aus den Federn!“ Ein enttäuschtes Jammern war seine Antwort, ehe ich mich wieder von dem Bett abwandte und die Rollladen öffnete. Mit einem Mal wurde ich von beiden Seiten her angeknurrt, ich solle das Licht ausmachen, was mir ein Grinsen auf die Lippen zwang. „Nix da. Aufstehen, Schlafmützen. Der Tag ist gleich schon wieder um.“, verkündete ich den drei jammernden Jungen und erntete daraufhin drei Blicke, die Potenzial zum Töten hatten. Oh, Yes. Das war die Rache. Warum ich Roxas miteinbezog? Ganz einfach: Er hatte bei dem Scheiß mitgespielt. Der kleine Blondschopf setzte sich, etwas Unverständliches knurrend, auf und rieb sich die Schläfen. Ups. Hätte ich bei ihm vielleicht doch ein wenig Rücksicht nehmen sollen? Immerhin war das sicherlich das erste Mal, dass Roxy mit alkoholbedingten Kopfschmerzen aufwachte. Ich war mir eigentlich sogar ganz sicher, dass es das erste Mal für den Jüngeren war. Seine Eltern hielten den Alkohol bestimmt immer Kilometer weit von ihm entfernt, oder in einem Safe mit dreihundertsechzig Schlössern. Naja, konnte man jetzt auch nichts mehr dran ändern. Da musste er nun durch. „Kommt schon. Sonst habt ihr nichts mehr vom Tag.“, versuchte ich die drei zerknirschten Teenager etwas zu motivieren, doch schlug der Versuch deutlich fehl. Marluxia drehte sich lediglich auf die andere Seite und knurrte etwas davon, dass es ihm egal sei, ob er den Tag nun nutzen, oder nicht nutzen würde. Demyx schloss sich dem in etwa an, allerdings quälte er sich aus dem Bett und tapste grummelnd in das anliegende Badezimmer. Ich konnte nur den Kopf über diese Trägheit schütteln, mit dem Wissen, dass ich für gewöhnlich auch nicht besser war. Aber das Adrenalin am Morgen… Oder eher Mittag, hatte schon seine Arbeit getan und ich war hellwach, wenn auch die Kopfschmerzen noch nicht ganz verschwunden waren. Aber das hätte an ein Wunder gegrenzt. Apropos Kopfschmerzen, die Viechern versuchten schon wieder überhand zu nehmen. Konnten die nicht einmal auf mich hören? Was das zu viel verlangt? Als mein Blick wieder zu Roxas wanderte, sammelte dieser sich, mit dem Elan einer Schnecke, seine Klamotten zusammen. Er wirkte wirklich nicht so, als könnte man ihn guten Gewissens zurück zu seinen Eltern schicken und sagen, dass alles okay sei. Nein, dann würden seine Eltern durchdrehen und uns zum Teufel jagen. So wie ich seine Mutter einschätzte, würde sie Roxas nach dieser Aktion nie wieder raus lassen. Also mussten wir es entweder schaffen, den Jungen noch bis heute Abend hier bei Demyx zu behalten, oder ihn innerhalb der nächsten Stunde weitestgehend wieder aufpushen. Ersteres war die deutlich einfachere Variante. Und wenn wir uns eine schöne Lüge überlegten, würden Roxys Eltern auch nichts dagegen sagen können. Aber konnte ich den Jungen wirklich mit Dem und Marlu alleine lassen? Würde er das ohne bleibende Schäden überstehen? Ich war mir nicht ganz sicher. Aber mir blieb nichts anderes übrig. Ich konnte Jess jetzt nicht doch noch absagen. Das würde sie endgültig an die Decke gehen lassen und ich durfte zusehen, wie ich das wieder in Ordnung brachte. Sie konnte ziemlich ausrasten, wenn ihr danach war… Das braucht nun wirklich niemand. Und ich heute vor allem nicht. Innerlich bat ich, dass sie ein paar Asperin für mich parat hatte. Sonst würde ich für den Rest der Zeit wohl zu nichts mehr zu gebrauchen sein. Diesen Gedanken abschüttelnd ging ich zu Roxas hinüber und strubbelte ihm durch die Haare. „Sorry für den groben Weckruf, Roxy. Hab nicht wirklich nachgedacht.“, entschuldigte ich mich und erntete ein leises Grummeln. Uh, böses Foul. Anscheinend nahm der Junge mir das nun wirklich übel. Shit. Egal. Irgendwie würde ich das schon wieder grade gebogen kriegen. „Meinst du, es macht dir was aus, wenn du noch bis heute Abend hier bleibst? Ich glaub nicht, dass du in deiner jetzigen Verfassung bereit für deine Eltern bist.“ Der Jüngere nickte leicht und verzog darauf das Gesicht. „Erinner mich daran, nie wieder irgendwas alkoholisches anzurühren…“, brummte er leise und rieb sich über die Augen. Ich musste lachen. „Das wäre schade. Dann könntest du auch kaum noch Pralinen essen, oder Tiramisu.“ „Mag ich sowieso nicht…“ „Dann hast du noch nie das Tiramisu von Demyx’s Mom gegessen. Das ist einfach Klasse.“ Oh ja. Nichts ging über die selbst gemachte Nachspeisen von Demyx‘ Mutter. Niemand, aber auch wirklich niemand, konnte so geniales Süßzeug zaubern, wie diese Frau. Schade, dass Demyx in Sachen Nachspeisen machen nicht halb so viel Talent hat, wie sie. Aber wenigstens kann er so gut kochen, wie seine Mutter. Roxas blickte mich leicht irritiert an und ich konnte einfach nur Grinsen. Dann schüttelte der Kleine leicht den Kopf und seufzte schwer. „Hoffentlich bekommen meine Eltern das nicht spitz…“ „Wir halten alle die Klappe. Und wenn du bis heute Abend noch hier bleiben kannst, kriegen Dem und Marlu dich schon irgendwie wieder halbwegs aufgebaut. Und wenn’s soweit kommt, dass sie zu Asperin greifen müssen.“, erklärte ich frei weg und richtete mich wieder auf, wuschelte dem Blondschopf noch einmal durch die Haare, ehe ich zum Badezimmer tapste und leise anklopfte. „Dem, beeil dich. Ich muss eher raus als du.“, rief ich durch die Tür und erntete ein „Kann was länger dauern“ ehe ein eindeutiges Würggeräusch ertönte. Ich verzog das Gesicht. Na super. Da würde ich jetzt nicht freiwillig rein gehen. Gut, würde ich eben bei Jess das Bad kurzzeitig beanspruchen, auch, wenn ich kein Fan von ihrem rosa Plüschteppich war. Ein kurzer Blick zu Marlu verriet mir, dass der Gute schon wieder eingeschlafen war. Vermutlich auch besser so. „Dem, ich lass dir den Kleinen hier. Falls seine Eltern anrufen, sag Bescheid, dass er später kommt.“ „Is‘ gut…“, erklang es kleinlaut und ich schüttelte leicht den Kopf. Da hatte es jemand wirklich übertrieben. Demyx wusste eben doch noch nicht so ganz, wo seine Grenzen sind. Aber Hut ab: Er hatte es lange ausgehalten, den Mist zurückzuhalten. Dafür war ich ihm auch ziemlich dankbar. Kapitel 11: Step 11 ------------------- Ich entschuldige mich offen, für die lange Wartezeit, die wohl noch länger wird. Ich bin jetzt im ersten Jahr meiner Oberstufe und muss entsprechend pauken (was noch zu dem vorangegangenen unerhoffen Spanienurlaub dran kommt). Entsprechend bin ich nicht wirklich ans Schreiben gekommen, wollte diese Geschichte aber nicht brach so liegen lassen. Also hab ich mich dazu entschlossen 'Step 11' etwas kürzer und auch nicht auf das eigentliche Thema bezogen zu halten. Es ist quasie als eine Art Zwischenkapitel zu sehen. Also bitte nicht den Kopf abreißen. QwQ lg Ruby-chan ~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ Es hatte nicht lange gedauert, Demyx‘ Zuhause zu verlassen. Auch wenn seine Mutter mich noch mal abgefangen hatte und mir ein wirklich verlockendes Angebot gemacht hatte, doch noch zum Essen zu bleiben. Es war schwer abzulehnen, aber ich wollte Jess nun wirklich nicht noch länger warten lassen. Die Arme saß bestimmt schon unruhig zu Hause und starrte die Tür an, darauf wartend, dass die Klingel ertönte. Schließlich stand ich dann auch vor besagter Tür und betätigte die Klingel. Nichts passierte. Verwirrt runzelte ich die Stirn. Warum passierte nichts? Warum kam Jess nicht und öffnete in ihrer typischen Manier schwungvoll die Tür und fiel mir um den Hals? Sollte das eine Strafe dafür sein, dass ich sie hab warten lassen? Oh bitte nicht. Dann würde sie mich noch Stunden hier draußen stehen lassen. „Jess?“, rief ich nach einer weiteren Minute des Wartens, doch passierte weiterhin nichts. Okay, das war nun wirklich nicht normal für sie. Kurzerhand entschied ich, ums Haus herum zu gehen. Vielleicht saß sie ja auch einfach im Garten und hörte die Klingel nicht. Wobei sie auf die Türklingel meist achtet wie ein Luchs und es sofort hört. Im Garten stellte ich fest, dass sie die Hintertür offen gelassen hatte. Nun noch irritierter drückte ich die Tür weiter auf und trat ins Wohnzimmer. „Jess, wo bist du?“, rief ich ins Haus und wartete kurz auf eine Antwort. Diesmal erfolgte sie auch, in Form eines deutlichen Rumpelns und einem hecktischen „Moment“ aus dem Badezimmer. Aha. Das erklärte, warum sie nicht die Tür geöffnet hatte. Schmunzelnd lief ich die Treppen hoch und blieb vor der Badezimmertür stehen. „Nicht hetzten, Schatz.“, grinste ich und hörte ein kleinlautes bestätigendes Murren ihrerseits. Manchmal konnte sie wirklich schusselig sein, aber dafür mochte ich sie. Daran keinen Gedanken mehr verschwendend, lief ich in ihr Zimmer und ließ mich rücklings auf ihr Bett fallen. Ah, das tat gut. Und jetzt einfach wieder die Augen schließen und einschlafen. Aber nein, das konnte und würde ich ihr nicht antun. Eine ganze Weile herrschte Stille, ehe die Zimmertür erneut aufschwang und ich hob leicht den Kopf, um das schwarzhaarige Mädchen mit einem Lächeln zu begrüßen: „Hey, Sweetie.“ Sie rubbelte sich mit einem Handtuch die Haare halbwegs trocken, ehe sie das Lächeln erwiderte und sich neben mir auf das Bett sinken ließ. Kurz darauf wandelte sich ihr Blick in einen Besorgten. „Geht’s?“ Verwirrt sah ich sie an. „Wie meinen?“ „Na, dein Kopf. Geht’s?“ Da machte es Klick und ich musste leicht Lachen. „Ja, geht. Drückt noch ein bisschen, aber nichts, was ich nicht überleben würde.“, versicherte ich ihr und sofort kehrte das Lächeln auf ihre Lippen zurück. „Das freut mich.“ Und mich erst. Man sollte meinen, dass man an Kopfschmerzen nicht sterben konnte, doch konnte ich versichern, dass es sich manchmal trotzdem genau so anfühlte. „Also, was möchte die Prinzessin denn unternehmen? Ich stehe den Rest des Wochenendes zu deiner freien Verfügung.“ Oh, wie ich diese Worte bereute. Denn keine Stunde später saß ich in einem der Einkaufzentren der Stadt –auf den Namen hatte ich nicht geachtet- und beobachtete meine Freundin, wie sie durch die Gänge voller Kleider, Hosen, Röcke und Oberteile wuselte und ab und an in einer der Kabinen verschwand, um die Klamotten anzuprobieren. Und natürlich musste darauf die Weltberühmte frage folgen: „Schatz, wie findest du’s?“ Ich hatte eine Taktik entwickelt, wie ich es vermeiden konnte, bei ihr einen falschen Nerv zu treffen. Es war eigentlich ganz simpel. Immer sagen, dass es an ihr blendend aussieht. Sollte sie dann Zweifel aussprechen, einfach bestreiten, dass es so ist. Recht schnell kam es zu eben dieser Situation und meine Taktik ging wie erwartet auf. Trotzdem konnte ich mich nicht wirklich für ihr Hobby begeistern. Im Endeffekt kaufte sie nur zehn Prozent von den Klamotten, die sie mir so stolz gezeigt, oder anprobiert und dann wieder verworfen hatte. Aber das war typisch. Manchmal war es sogar so, dass sie den ganzen Tag durch ein Geschäft wuselte, und am Ende gar nichts daraus mitnahm. Sowas würde mir niemals passieren. Ich ging meistens mit einer Entscheidung in einen Laden, holte das jeweilige Teil und verkrümelte mich dann wieder. Niemals dauerte es länger als fünf bis zehn Minuten. Außer ich war mit meiner Freundin hier. Dann musste ich verdammt viel Platz im Terminkalender dafür frei halten. Während Jess mich in den nächsten Laden zog, rief Demyx an, um mir bescheid zu geben, dass Roxas‘ Eltern nichts mitbekommen hatten. Anscheinend war der Junge ein guter Schauspieler, oder Dem und Marlu hatten es auf irgendeine unerklärbare Weise hinbekommen, den Jungen von seinem Kater zu befreien. Wenn Letzteres der Fall war, musste ich unbedingt nach dem Rezept fragen. Es würde sich sicherlich noch das ein oder andere Mal als äußerst nützlich erweisen. Aber heute würde ich wohl nicht danach fragen. Morgen war auch noch ein Tag. Und am Montag würde ich die Chaoten ohnehin wieder sehen. Zumindest Demyx und Roxas. Ob Marluxia auch bei uns in der Schule aufkreuzen würde, wagte ich ehrlich gesagt zu bezweifeln. Obwohl es gewiss eine angenehme Überraschung für unsere Lehrer sein würde, wenn sie den Designer mal wieder zu Gesicht bekamen. Und es gäbe endlich wieder jemanden, der vernünftig über die Klamotten unserer Lehrer herziehen konnte. Und das Ganze auch noch mit einem Niveau, dass die kleinen Zicken aus der Mittelstufe grün vor Neid werden ließ. Oh yes, das wäre mal wieder was. Dennoch hielt ich es für unwahrscheinlich. Zumal unsere Rose sich ja auch noch von seiner Verletzung erholen musste.Meine kleine Vorstellung würde also Fantasie bleiben. Blieb nur noch zu hoffen, dass wir Roxas nicht mit dem Freitagabend verschreckt hatten. Der kleine Blondschopf war mir mittlerweile wirklich ein wenig ans Herz gewachsen, auch wenn ich ihm das niemals direkt sagen würde. Am Ende bekam er das dann nur in den falschen Hals und ich musste zusehen, wie ich das wieder ausbügelte. Der Kleine regierte immerhin ein wenig sensibler, als mein übliches Umfeld, dem ich sowas einfach ohne Konsequenzen an den Kopf werfen konnte. „Axel, komm endlich!“, riss meine Freundin mich aus den Gedanken. Sie stand bereits am Eingang des nächstens Geschäfts und winkte mich zu ihr. Das würde noch ein sehr langer Nachmittag werden. Soviel stand bei Jessicas Lächeln schon mal fest. Aber ich gönnte und schuldete es ihr dafür, dass ich sie so lange hatte warten lassen. Aber das sollte mir auf jeden Fall eine Lektion für die Zukunft sein: Wenn ich mit meinen Jungs den Abend verbrachte, sollte ich am nächsten Tag kein Date mit meiner Freundin haben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)