Luftschloss von Jeschi ================================================================================ Kapitel 1: Luftschloss ---------------------- Hätte ich damals gewusst, wie schwer es sein würde, dich loszulassen, wäre ich damals einfach an dir vorbeigelaufen… Aber so wusste ich nichts davon und bin stehen geblieben. Wie hätte ich es auch ahnen können? Wir waren Kinder. Waren wir das nicht, Yuriy? Zugegeben, wir hatten mehr gesehen, als andere Kinder in unserem Alter. Aber wir waren noch immer Kinder. Naiv, leichtsinnig. Wir hatten noch nicht genug von der Welt gesehen, um zu ahnen, was alles geschehen würde. Ist das nicht ironisch, wo wir doch eigentlich schon zu viel gesehen hatten? Zu viel, und doch zu wenig. Damals, als ich dich da stehen sah. Da habe ich alles an dir bewundert. Deine Ausdauer, deine Kraft. Du warst nicht viel älter als ich, aber mir um Längen voraus. Ich wusste, ich würde mich anstrengen müssen, wenn ich dich jemals einholen wollte. Und ich strengte mich an. Irgendwann waren wir einander gleichgestellt. Irgendwann war keiner von uns Beiden bedeutend besser oder schlechter. Zumindest das haben wir geschafft. Haben wir das nicht, Yuriy? Zugegeben, du wusstest damals schon mehr, als ich. Du wusstest damals schon, dass es nichts werden würde. Ich hingegen, ich habe mein Luftschloss weiter aufgebaut. Ich habe in einer Welt gelebt, die nicht existiert hat. Ich habe für eine Welt gekämpft, die niemals existieren wird. Als ich dich damals fragte, ob du mein Trainingspartner sein möchtest, hatte es keine tiefsinnigere Bedeutung. Du warst gut und ich wollte gegen dich antreten, gegen keinen anderen. Zumindest dachte ich das. Aber wenn ich heute daran denke, dann muss ich auch daran denken, dass du nicht der einzige warst, der mir zu dieser Zeit voraus war. Es war einfach so, dass du mich irgendwie angezogen hast. Als hätte ich damals schon gespürt, was ich viel später erst wahrhaben wollte. Du warst mehr, als ein Freund für mich. Warst du das nicht, Yuriy? Zugegeben, es ist nie etwas geschehen, was mich dazu berechtigt, das zu behaupten. Wir waren niemals ein Paar. Aber es war mir nie genug, dich im Arm zu halten, dich zu trösten und mich von dir trösten zu lassen. Ich wollte so viel mehr. Ich wollte dich. Auf eine unsinnige Art und Weise hast du mir gehört, warst du mein Eigentum. Keiner war dir je so nah, wie ich. Wieso habe nur ich das so gesehen? Wieso nicht du, Yuriy? Zugegeben, du hast mir einmal gesagt, ich wäre einer der wichtigsten Bestandteile in deinem Leben, dein bester Freund, der, der alles über dich weiß. Aber ich war nie mehr Yuriy. Nie! Es gab diesen einen Moment, in dem ich mich am Ziel sah. Draußen war es dunkel und wir hielten uns fest in den Armen, wissend, dass etwas geschehen würde, was unser Leben verändern würde. Gravierend. Die Tatsache, dass Voltaire mich sehen wollte, war uns beiden nicht geheuer. Wir umklammerten uns und in dem Moment überkamen mich meine Gefühle. Ich habe dich geküsst, Yuriy. Und du hast es erwidert. Hast du das nicht, Yuriy? Zugegeben, du hast den Kuss abgebrochen und mir gesagt, es wäre falsch. Aber du hast es erwidert. Wie konntest du nur behaupten, es wäre falsch? Wie konntest du nur behaupten, dass du nicht das gleiche gefühlt hast, wie ich? Damals, da habe ich behauptet, es wäre ein Unfall. Hätte ich gewusst, ich würde dich danach nicht so schnell wieder sehen, vielleicht hätte ich diese Lüge dann nie erzählt. Aber so dachte ich, es wäre besser, wenn ich dich nicht verlieren wollte. War ich nicht naiv, Yuriy? Ja, das war ich. Und ich weiß es auch! Hätte ich klar nachgedacht, dann hätte ich verstanden, dass ich dich schon längst verloren hatte! Ich habe geglaubt, dass ich nichts mehr zu verlieren hätte. Als wir uns wieder sahen, da war ich einfach nur dankbar. Ich sah es als Zeichen. Und als du dich mir wieder öffnest, Yuriy, da habe ich geglaubt, dass du mich auch vermisst hast. Mehr, als es normal ist. Und das hast du auch, stimmt es nicht, Yuriy? Du hast mich mehr vermisst, als normal. Aber nicht, weil du mich liebtest, sondern, weil ich dein engster Vertrauter war. Wie konnte ich das nicht sehen? Wie konnte ich das nicht verstehen? Ich war dumm genug, dir meine Gefühle zu gestehen. Ich wollte nicht mehr davon laufen, war bereit, alles zu riskieren. Immer mit dem vermeintlichen Wissen, du würdest mich so lieben, wie ich dich. „Ich brauche dich. Du bist wichtig für mich. Mehr, als alle Menschen auf der Welt,“ habe ich gesagt. Und du hast mich angesehen und ich wusste, dass du wusstest, was ich meinte. Aber du hast nicht geantwortet, was ich hören wollte. Du hast mich in den Arm genommen und zu mir gemeint: „Ich brauche dich auch Kai.“ Nicht mehr. Und damit war klar, dass ich nicht derjenige war, dem dein Herz gehörte. Nach diesem Geständnis habe ich versucht, dich zu vergessen. Mir war klar, ich musste mich damit abfinden, dass du niemals mir allein gehören würdest. Mir war klar, dass all das, was ich mir eingeredet habe, nicht mehr war, als das. Dumme Gedanken, die mich durch das Leben getragen haben, weil alles, wofür ich lebte, du warst. Ist es nicht Absurd, das zu denken? Ist es nicht unfair, von dir zu verlangen, dass es dir genauso geht? Ich nahm Abstand, kehrte zu Tysons Team zurück. Ich ertrug es nicht, dich zu sehen. Ich ertrug gar nichts mehr. Ich habe dir meine Welt zu Füßen gelegt, aber du wolltest sie nicht. Das habe ich nicht bedacht. Ich war ja so dumm. Wie lange habe ich versucht, gegen meine Gefühle anzukämpfen? Wie lange habe ich mir eingeredet, du seiest mir egal? Lange genug, um mir sicher zu sein, dir wieder gegenüber treten zu können. Aber als ich dich dann wieder sah, da wusste ich, dass ich noch lange nicht über dir hinweg war, Yuriy. In dem Moment, als ich in deine Augen sah, da wusste ich, dass ich das niemals sein würde. Du aber ahntest davon nichts. Du dachtest, ich hätte mit dir abgeschlossen. Mit dir und der Vorstellung, es würde ein Uns geben. Du warst, wie immer. Du warst, wie früher. Du warst der Yuriy, den ich lieben gelernt hatte. Und damit machtest du alles noch schlimmer… Es tut mir Leid, dass ich damals aufgegeben habe, es zu unterdrücken. Es tut mir Leid, dass ich mich ganz verloren hatte, in dem ich mich in dich verliebt habe. Es tut mir Leid, dass ich es ausgesprochen habe. Ich wünschte nichts mehr, als es rückgängig zu machen. Es würde alles leichter machen. Dann würde es diese Distanz zwischen uns nicht geben. Diesen Graben, den ich selbst verursacht habe, bestehend aus deinem Wissen, dass ich dich liebe und immer lieben werde. Sag mir Yuriy, wie konntest du das sehen, wo ich es selbst nicht sah? Wie konntest du wissen, was ich selbst nicht wusste. Warum war dir von Anfang an klar, dass meine Gefühle nie ganz verschwinden würden, während ich glaubte, es würde irgendwann vorbei gehen? Als du damals sagtest, du würdest mich nicht lieben, als du es mir klar gemacht hast. Da habe ich dich gehasst. Ich habe lange versucht, dich zu hassen. Aber ich konnte dich nicht hassen, Yuriy. Ich konnte es nicht. Es heißt, man kann nur Menschen hassen, die man einst geliebt hat. Aber ich liebe dich noch immer. Vielleicht würde ich dich hassen, wenn mein Herz sich von dir erholt hätte. Aber das hat es nicht. Ich werde dich nie hassen können, weil ich dich immer lieben werde. Ich habe damals gesagt, ich brauche dich. Und du brauchst mich auch. Deshalb darf ich dich nicht hassen, Yuriy. Denn ich möchte für dich da sein, auch, wenn es weh tut. Die Erinnerung an dich, lässt mich nicht los. Ich schlafe nachts nicht, weil meine Gedanken bei dir sind. Und holt mich der Schlaf ein, dann träume ich doch nur von dir. Ich frage mich oft, warum ich nicht einfach loslassen kann? So schwer kann das doch gar nicht sein, oder Yuriy? So viele Menschen schaffen es, warum dann nicht ich? Vielleicht, weil ich dachte, es würde ewig halten, das mit uns. Wenn wir uns erst einmal gefunden hätten, so dachte ich, würden wir einander nie mehr loslassen. Aber auf unserer gemeinsamen Reise haben wir nie zueinander gefunden. Wir wussten, unsere Wege würden uns ewig gemeinsam durch das Leben führen, gemeinsam, aber niemals miteinander. Verstehst du den Unterschied, Yuriy? Verstehst du, was ich fühlte und was Realität ist? Und warum änderst du nichts daran? Ich kann nicht mehr länger lügen, Yuriy. Ich kann nicht sagen, ich hätte dich überwunden, wäre bereit für etwas Neues. Ich kann es nicht, weil du weißt, dass es nicht so ist. Und ich kann es nicht, weil damit verbunden wäre, dass ich für etwas Neues wirklich offen sein müsste. Wie lange kann dieser Schmerz anhalten? Wie lange brauche ich, bis ich jemand anderen in mein Leben lassen kann? Ich kann mich damit abfinden, dich ewig zu lieben. Aber nicht damit, niemals Liebe zu erfahren. Verstehst du meine Lage, Yuriy? Verstehst du, dass ich das gar nicht will, aber es doch nicht ändern kann? Es tut mir Leid, dass ich so unfähig bin, aber in meinem Leben wird es immer nur dich geben. Es ist ein furchtbarer Blick in die Zukunft, ein grausamer Ausblick auf das, was mir bevorsteht. Ich werde irgendwann in den Spiegel sehen und dort weiße Haare und Falten erblicken. Und ich werde mich fragen: Wann wirst du ihn je vergessen? Nicht in diesem Leben, Yuriy. Nicht in diesem Leben. Als ich dich dann das erst mal mit ihm sah, da habe ich geglaubt, gehofft, ihr würdet euch nur gut verstehen. Aber du hast mir nie zu verstehen gegeben, dass du weniger für ihn empfinden würdest, als es den Anschein hatte. Im Gegenteil. Du hast mir knallhart ins Gesicht gesagt, dass du ihn liebst. In dem Glauben, dass es mich nicht stören würde. Das ich bereit war, für etwas Neues. Ich habe geschwiegen und das war Antwort genug. Nein, Yuriy. Ich freue mich nicht für euch. Ich wünsche euch, dass es auseinander geht. Ich wünsche euch, dass ihr nur schlechte Zeiten erlebt, bis eure Beziehung daran zerbricht. Und doch tue ich es nicht. Ich kann dir nichts Schlechtes wünschen, Yuriy, aber du kannst mir glauben, dass ich dir auch nichts Gutes wünsche, wenn du dein Leben mit ihm verbringen willst! Ich werde dir immer treu sein, Yuriy. Ich werde darauf warten, dass es vorbei geht, mit ihm. Immer noch in der Annahme, dass du nur mich lieben kannst, weil ich dich liebe. Es ist jetzt so viele Jahre her, dass ich dir gesagt habe, was ich fühle. Nun trete ich dir erneut gegenüber, um dir noch einmal zu sagen, wie Leid es mir tut. Ich wünschte wirklich, ich hätte mich nie in dich verliebt. Aber wir wissen beide, dass ich darauf keinen Einfluss hatte. Du hast mir nie einen Vorwurf gemacht. Du hast mir nie Hoffnungen gemacht. Du hast mir immer klar vor Augen gehalten, was deine Gefühle zu mir betrifft. Du warst immer ehrlich, im Gegensatz zu mir. Yuriy… Glaube mir, ich wollte dich nie belügen, ebenso nicht mich. Doch ich tat es. Ich habe mein Leben kaputt gemacht, indem ich mich an dich klammerte, an dich und an mein Luftschloss. Ich kann dir keinen Vorwurf machen, nur mir selbst. Aber dennoch tue ich es mit jedem Blick. Immer die gleiche Frage, die zwischen uns kreist. Immer die gleiche Frage, Yuriy. Wie nur konntest du nicht fühlen, was ich fühlte? Ich habe dich das nie gefragt, also habe ich auch nie keine Antwort bekommen. Doch was verlange ich auch? Darauf hättest du keine Antwort gehabt. Das hätte keiner. “Yuriy,” habe ich zu dir gesagt, als du gesagt hast, du würdest ihn lieben. “Yuriy, gib mir zu verstehen, wenn du dir eingestanden hast, dass ich der Richtige für dich bin.“ Damit habe ich mich wieder zu erkennen gegeben und wieder etwas von unserer Beziehung zerstört. Aber ich baute mein Luftschloss weiter auf. In der Hoffnung, du würdest einsehen, dass er nicht der ist, der dich glücklich machen kann… Jetzt blicke ich auf, als du zu mir herüber kommst, mit ernstem Gesicht. Ich hasse dieses Turnier, denn ihr tretet gegen uns an. Du wirst nicht gegen mich bladen, hast du gesagt. Das wirst du nicht, weil wir Freunde sind und weil du meine Gefühle kennst. Das heißt, ich blade gegen ihn. Vielleicht habe ich Glück, und er überlebt es nicht. Aber wenn dem so wäre, dann würde es dir wehtun und du würdest mich hassen. Beides möchte ich nicht. „Kai…“, meinst du und siehst mich lange an. Ich sehe deine Augen, sehe dein Gesicht. Du bist so schön, wie eh und je. Du strahlst noch immer das aus, was du als kleiner Junge ausgestrahlt hast. Damals war ich fasziniert von dir, das weiß ich jetzt, denn noch immer ergeht es mir so. Ich warte, dass du mehr sagst, als nur meinen Namen, aber das tust du nicht. Du schüttelst nur den Kopf, mit einem traurigen Blick. Wir sind Beide gut darin, Dinge nicht auszusprechen. Aber dennoch wissen wir Beide wieder genau, was es bedeutet. Mein Luftschloss zerfällt, während ich dir zusehe, wie du zu ihm zurückkehrst. Ich muss einsehen, dass meine Träume nie mehr sein werden, als Träume. Sie werden nicht zur Realität. Auch dann nicht, wenn ich es mir noch so sehr wünsche, es mir einrede… Und doch höre ich nicht auf damit. Hätte ich damals gewusst, wie schwer es sein würde, dich loszulassen, wäre ich damals einfach an dir vorbeigelaufen… Aber so wusste ich nichts davon und bin stehen geblieben. Heute weiß ich es besser, doch könnte ich die Zeit rückgängig machen, Yuriy, so würde ich auch diesmal nicht weitergehen… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)