Götterhauch von Flordelis (Löwenherz Chroniken III) ================================================================================ Kapitel 36: Einseitige Konfrontation ------------------------------------ Der Weg nach oben verlief ohne weitere Zwischenfälle. Jemand hatte die anderen Roboter bereits beseitigt, nur ein wenig Schrott übrig gelassen, der immer noch in unregelmäßigen Abständen Funken sprühte. Seline, die gemeinsam mit Russel voranlief, betrachtete das nachdenklich. „Glaubst du, das war Anthony?“ Er streifte diese Roboter nur mit einem kurzem Blick, ohnehin schien es ihr, als würden seine Schritte immer schneller werden, je weiter sie nach oben kamen, so dass es ihr langsam Mühe bereitete, überhaupt noch gleichauf mit ihm laufen zu können. „Ich gehe davon aus, dass es jemand anderes durch Anthony war“, antwortete er schließlich. Sein Gesichtsausdruck war dabei derart ernst, dass sie ihn lieber nicht ansehen wollte, da er ein ungutes Gefühl in ihrem Magen erzeugte. Ein Blick über ihre Schulter verriet ihr immerhin, dass die Gruppe noch vollzählig war. Ryu und Vincent liefen hinter ihnen, während Rena und Marc gemeinsam mit Maryl das Schlusslicht bildeten und sich dabei angeregt zu unterhalten schienen. Worum sich das Gesprächsthema drehte, konnte Seline nicht hören, aber ihr Interesse galt bereits wieder ihrer Umgebung, als sie endlich ganz oben angekommen schienen. In diesem Stockwerk konnte sie es spüren. Die Anwesenheit des Mannes, der sie seit ihrer Jugend immerzu verfolgte und den sie bereits totgeglaubt hatte. Dieses Stockwerk war erfüllt von seiner Kälte, die er unter einem Deckmantel von Wärme zu verstecken versuchte, und von überall schienen Hände nach ihr zu greifen, um sie in die Dunkelheit zu ziehen und sie nie wieder gehenzulassen, endlich das einzufordern, was sie vor langer Zeit in ihrer Verzweiflung einmal versprochen hatte. In einem ersten Impuls wollte sie näher zu Russel treten, damit er sie beschützen könnte, aber dann flammte ihr eigener Ehrgeiz wieder in ihr auf. Sie hatte sich geschworen, nie wieder die Damsel in distress zu sein, nie wieder nur auf die Hilfe anderer zu vertrauen und sich hinter ihnen zu verstecken. Sie würde selbst kämpfen und auch tapfer vorangehen. Das tat sie auch bereits und schaffte es endlich mühelos, Russel zu überholen, um als erstes dort anzukommen, wo ihr Gastgeber sie erwartete. Der Thronsaal schließlich war viel dunkler, als sie geglaubt hätte. Es war Seline nur möglich, wenige Meter weit zu sehen, ehe sich alles in Dunkelheit verlor, aber zumindest bemerkte sie eine Gestalt, die im Halbdunkel auf dem Boden lag – und sie kam zu demselben Schluss wie Marc, der diese als erstes bemerkte: „Anthony!“ So schnell er konnte, lief er zu der Gestalt hinüber. Im Dunkeln war wohl sein Gesicht nicht zu erkennen, denn er tastete den Oberkörper entlang und fuhr urplötzlich zurück. Als er sich den anderen zuwandte, wirkte er verwirrt. „Das ist nicht Tony.“ Neugierig geworden, ging Seline näher, um die Gestalt ebenfalls zu betrachten. Dabei schlossen sich ihr Russel und Rena an, letztere schaffte es, mit ihrem Ring eine kleine Flamme zu erschaffen, die für ausreichend Licht sorgte, um die Person zu erkennen. Es war wirklich nicht Anthony, aber dafür sog Russel scharf die Luft ein. „Das ist der Master!“ Seline runzelte die Stirn und musterte die Gestalt genauer. Das lange, silberne Haar schien angesengt, als wäre es kurzzeitig größer Hitze ausgesetzt worden, die goldenen Augen starrten blicklos in die Dunkelheit, aber er schien vollkommen unverletzt. Dennoch lebte er nicht mehr. „Wie ist das geschehen?“, fragte Rena leise. Noch bevor Seline sich irgendeine Theorie zurechtlegen konnte, erklang ein leises Lachen aus der Dunkelheit, worauf die ganze Gruppe sich diesem Geräusch zuwandte. Seline spürte, wie die Anwesenden ihre Ringe aktivierten, um sofort kampfbereit zu sein, während in ihr alles wieder dazu riet, einfach wegzurennen und zu hoffen, dass die anderen ihn lange genug ablenken könnten, bis ihr die Flucht gelungen war – aber noch immer weigerte sie sich, zu fliehen. Sie spannte ihren Körper an, bereitete sich auf die unvermeidliche Konfrontation vor. Die Dunkelheit zog sich langsam zurück, als verschwände sie in Ritzen und Nischen, ängstlich abwartend, was geschehen würde. Der Thron wurde langsam sichtbar und auf diesem, als könne ihn kein Wässerchen trüben, saß Anthony. Oder jemand, der aussah wie Anthony, aber nicht er war, wie sie sofort sehen und auch spüren konnte. Seine Augen waren nicht länger blau, sondern blassgrün und blickten erstaunlich kalt auf sie alle hinab, obwohl ein spöttisches Lächeln sein Gesicht zierte. Seine gesamte Aura, nein, sogar sein Blick, entsprach jenem Mann, dem Seline bislang immer hatte entfliehen konnte und der nun zurückgekehrt war, um sie zu holen: „Ladon ...“ Für einen kurzen Moment spürte sie, wie die Augen aller Gruppenmitglieder auf ihr ruhten, ehe sie wieder zu ihm hinübersahen. „Das ist Ladon?“, fragte Vincent. „Ist er etwa erwacht?“ Der Schock durch Marcs Tod musste stark genug gewesen sein, Anthony nachgeben zu lassen, zumindest stellte Seline sich das so vor. Aber wieder kam sie mit ihren Theorien nicht weit, da Ladon noch einmal zu lachen begann. „Das ist richtig. Ich bin erwacht und nun hier, um endgültig Frieden über die Menschheit zu bringen.“ Eine Vorstellung, die Seline derart lächerlich fand, dass sie am liebsten gelacht hätte, wäre die Furcht in diesem Moment nicht noch ein wenig größer gewesen. Sein Blick wanderte über die Anwesenden, dann runzelte er die Stirn. „Es stimmt mich sehr unzufrieden, dass zwei von euch fehlen. Aber was soll's?“ Er zuckte mit den Schultern. „Sie zögern nur das Unvermeidliche hinaus.“ Dann schlug er die Beine übereinander und lächelte wieder, was eiskalt und geradezu höhnisch wirkte. „Aber nun widme ich mich einfach euch, meine Freunde. Es ist so lange her, seit wir uns zuletzt gesehen haben.“ Mit eine einzigen, gelangweilten Handbewegung, wehrte er einen Blitz ab, der von Ryu geschickt worden sein musste, direkt gefolgt von einem Feuerball von Rena, beides vollkommen unbemerkt von Seline. Schließlich schüttelte er mild amüsiert den Kopf. „Ist es so schwer zu verstehen, dass eure Zauber mir nichts anhaben können? Ich habe euch allen eure Fähigkeiten erst gegeben – deswegen gehorchen sie mir.“ Diesen Worten folgte eine weitere Handbewegung. Schwarze Seile schossen aus dem Nichts heraus, schlangen sich um Ryu und Rena und hielten sie an der Stelle gefesselt. Elektrische Funken sprühten von den Fesseln, gingen auf die Gefangenen über und ließen diese mit schmerzverzerrten Gesichtern innehalten. Als Seline sie genauer zu mustern versuchte, stellte sie fest, dass es aussah, als wären sie wirklich gelähmt. Russel zögerte nicht länger, zog sein Schwert und stürmte auf den Thron zu, gleichzeitig wirkte er einen Zauber, der zahlreiche Blüten um ihn wirbeln ließ. Ein Seil schoss aus dem Nichts auf ihn zu, wollte ihn ebenfalls ergreifen, doch Vincent schritt sofort ein und zerschnitt dieses mit seinem Degen, ehe es Schaden anrichten konnte. Geschickt wirbelte er umher und wehrte damit auch jedes weitere Seil ab, das nun nach ihm zu greifen versuchte. Russels Schwert traf derweil auf ein hell leuchtendes Schild, das sich direkt vor Ladon aufgebaut hatte, die Spitze war gerade einmal fünf Zentimeter vom Gesicht des Gottes entfernt. Aber dieser lächelte nur amüsiert. Eine knappe Kopfbewegung von ihm genügte, um Russel fortzuschleudern. Die Blüten verflüchtigten sich, nachdem sie einen großen Teil der Wucht abgefangen hatten, Russel selbst wurde von aus den Boden schießenden Ranken daran gehindert, hart auf dem Boden aufzuschlagen. Dankbar nickte er Maryl zu, die diese Geste nur knapp erwiderte. „Ihr langweilt mich“, bemerkte Ladon, der nun einen Ellenbogen auf die Armlehne stützte, um seine Schläfe auf seiner Faust ruhen zu lassen. „Es wird Zeit, dass ihr lernt, wo euer Platz ist.“ Er hob die ungenutzte rechte Hand, worauf der Raum plötzlich von diesen schwarzen Seilen erfüllt war, was es unmöglich machte, ihnen auszuweichen oder sie abzuwehren. Ein heiserer Schrei verriet Seline, dass Maryl ergriffen worden war, während Vincent und Russel noch immer versuchten, sie abzuwehren – nur um schlussendlich zu scheitern. Die Fesseln schlangen sich um ihre Hand- und Fußgelenke, so dass sie keine Angriffe mehr verwenden konnten, dann wurden sie von mehreren Stromstößen ruhiggestellt. Kaum war das geschehen, schwanden die verbliebenen Fesseln wieder und Seline stand allein da, wenn man von Marc absah. Sie presste die Kiefer aufeinander und ballte die Hände zu Fäusten, in einem Versuch, sich weder von der Furcht, noch von der Wut übermannen zu lassen. Wenn sie nur einen falschen Schritt machte, waren die Leben der anderen in Gefahr, das wusste sie, auch ohne dass Ladon es ihr erst sagen musste. Seine folgenden Worte galten nämlich erst einmal den Gefangenen: „Um euch kümmere ich mich später, sobald ich Fleera und Lionet auch eingefangen habe. Vorerst würde ich gern meine Tochter begrüßen.“ Sein Blick fokussierte sich wieder auf Seline, traf direkt mit ihrem zusammen und ließ sie ein wenig schwerer atmen. Sie wusste, was er wollte und dass er von ihr verlangte, es freiwillig zu tun, noch bevor er es aussprechen würde. Doch jede Faser ihres Körpers weigerte sich und wollte verhindern, dass sie nachgab, egal wie sehr sie unter diesem Blick leiden müsste. Wieder spannte sie den Körper an, sammelte Magie um sich, damit sie einen Zauber sprechen könnte, doch leises Keuchen, das von allen Gefangenen gleichzeitig zu kommen schien und damit zu einem unüberhörbaren Chor von gequälten Stimmen wurde, ließ sie wieder innehalten. „Tu lieber nichts Unüberlegtes“, riet Ladon ihr spöttisch. „Sonst überlege ich es mir anders und lasse die anderen doch schon direkt hier sterben.“ Sein überhebliches Lächeln, der Spott in der Stimme, die eigentlich Anthony gehörte, all das verriet ihr, dass er die anderen nur am Leben gelassen hatte, um sie zu erpressen – und dass es sinnlos wäre, ihm zu trotzen, um die anderen zu retten, wenn das doch gleichzeitig deren Tod bedeutete. Es war dieser Moment der Erkenntnis, der sie unschlüssig sein ließ, wie sie weiter verfahren sollte. Marc, der immer noch neben der Leiche stand, ging augenblicklich einen Schritt vor. „Tony, warum tust du das? Was ist geschehen?“ Endlich schwenkte Ladon seinen Blick von ihr zu Marc, behielt sie dabei aber immer noch im Auge, so dass sie genau wüsste, dass es immer noch unsinnig war, etwas tun zu wollen. „Hast du es immer noch nicht begriffen?“, fragte Ladon. „Anthony ist nicht mehr hier. Dieser Körper gehört nun mir, genau wie es sein sollte. Er war lediglich dafür gedacht, mich zu diesem Punkt zu bringen – und die anderen gleich mit.“ Er machte eine ausholende Handbewegung, mit der er die Gefangenen alle einschloss. Sein Blick galt nun Marc, aber in ihrem Rücken spürte sie ebenfalls eine Präsenz, die sie daran erinnerte, dass sie weiterhin beobachtet wurde, von wem oder was auch immer, und dass jede unbedachte Bewegung den anderen schaden könnte. Deswegen hielt sie weiterhin widerwillig still und überlegte, was sie tun sollte, um das alles hier zu beenden. „Ich weiß nicht, wie du den Tod überwinden konntest“, sagte Ladon zu Marc. „Aber du hast meinen Respekt dafür. Hoffentlich verstehst du dennoch, dass ich das nicht so stehen lassen kann.“ Er hob die Hand und deutete damit auf Marc, der ihn nur ungläubig ansehen konnte. „Bleib da nicht stehen!“, rief Seline. „Du musst verschwinden! Los!“ Aber er schien sie nicht einmal zu hören, er schüttelte den Kopf. „Nein ...“ Ladon runzelte, vermutlich über den Mangel an Furcht irritiert, runzelte die Stirn. „Was ist los mit dir, Mensch? Du solltest weglaufen oder zittern und um dein Leben flehen.“ „Das werde ich nicht“, erwiderte Marc ruhig, er klang dabei wie jemand, der ohnehin bereits mit dem Leben abgeschlossen hatte – oder für den es nichts mehr zu verlieren gab. Seline kam nicht umhin, ihn ein wenig für seinen Mut zu bewundern und sich gleichzeitig über seine Dummheit zu ärgern. Wenn er nicht bald floh, würde er nie wieder etwas tun können. An ein Wunder, das sie retten würde, glaubte sie schon nicht mehr. Aber er zumindest war noch nicht verloren. Sofern sie danach gemeinsam mit Ladon sterben würde, könnte noch alles gut werden. „Ich glaube fest daran, dass Tony noch da ist“, fuhr Marc fort, „und ich vertraue ihm. Er würde mir niemals etwas antun. Deswegen glaube ich nicht, dass du mich töten wirst.“ Ladon schnaubte amüsiert. „Zu schade, dass dein Glaube dir hier nicht weiterhelfen wird.“ Energie sammelte sich um seine Hand, manifestierte sich in grauen Funken, die um seinen Arm herum tanzten und zwischen seinen Fingerspitzen wirbelten. Selines Blick war wie gebannt darauf gerichtet, nur aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, dass Marc noch immer entschlossen in die Augen des Gottes starrte. Und in diesem Moment, in dem der Zauber seine höchste Konzentration erreichte, verschwanden die Funken schlagartig wieder. Ladon gab ein schmerzerfülltes Keuchen von sich. Seline blinzelte mehrmals, als ihr das endlich wieder möglich war, und betrachtete den Gott verwirrt, als dieser in die Knie ging und sich den Kopf hielt. „W-was ist das?“, brachte er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. Marc überlegte da gar nicht lange: „Das muss Tony sein! Ich wusste doch, dass er noch lebt!“ Dennoch ging Seline zu ihm hinüber und stellte sich schützend vor ihn. „Du solltest vorsichtiger sein und jetzt lieber hier verschwinden.“ Doch er schüttelte rasch den Kopf. „Nein! Tony braucht mich!“ Er blickte über ihre Schulter hinweg wieder zu Ladon. „Hörst du, Tony?! Ich bin hier!“ Gerade wollte sie erwidern, dass das nichts bringen würde, als der Gott nur ein weiteres Keuchen ausstieß, aus dem sie undeutlich „Lass das endlich“ heraushören konnte. „Es bringt doch etwas“, stellte sie ungläubig fest. Vielleicht war das ein neuer Hoffnungsschimmer, um die Menschheit zu retten. Und sie selbst auch. „Mach weiter, Marc.“ Auf diese Worte hin nickte er zufrieden und ließ sich nicht ein zweites Mal bitten: „Tony! Komm wieder zu dir! Wir brauchen dich hier! Tony!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)