Götterhauch von Flordelis (Löwenherz Chroniken III) ================================================================================ Kapitel 35: Nur ein Opfer ------------------------- Ein Stockwerk weiter oben hielt die Gruppe wieder inne. Nicht, weil es ein Hindernis gab, sondern sie das merkwürdige Rumoren ebenfalls hören konnten. „Was ist das?“, fragte Marc leise. „Ein Begrüßungskomitee, nehme ich an“, antwortete Seline. „Wenn unser Gastgeber nur halb so hinterhältig ist wie das Original, von dem er abstammen will, dann hat er etwas Nettes für uns vorbereitet.“ Anthony hätte gut darauf verzichten können. Vor allem weil es ihm unbegreiflich war, dass etwas sie hierher lotste, nur um sie dann zu bekämpfen – jedenfalls interpretierte er Selines Worte auf diese Weise. Anders konnte er sich nicht erklären, warum sie die Stirn gerunzelt hatte. Russel lief einige Schritte voraus und hob dabei die Schultern. „Soll er ruhig. Wir kommen schon daran vorbei, sobald ...“ Er verstummte allerdings schnell wieder, als sich plötzlich Türen in den Wänden öffneten und mit einem lauten Scheppern Gestalten herauskamen. Es waren Roboter, die entfernt an Menschen erinnerten und sogar Kleidung trugen, sich aber nicht im Mindesten so geschickt bewegen konnten wie ein echtes Lebewesen. All ihre Bewegungen waren von einem mechanischen Klang begleitet, das Anthony schon nach wenigen Sekunden in den Ohren schmerzte. Er glaubte, diese Roboter kennen zu müssen, aber er war ihnen noch nie zuvor begegnet. Allerdings irritierte ihn doch mehr, dass es sich anfühlte, als besäßen sie Seelen. Keine vollständigen Seelen, eher als ... Als hätten sie Seelensplitter von den Mimikry gestohlen. Aber wieso sollten sie das machen? Er würde das diesen Mann fragen müssen, wenn sie ihn trafen, aber vorher galt es, dieses Hindernis zu überwinden. Die Roboter stellten sich allesamt in einer geraden Linie vor ihnen auf und bildeten somit eine undurchdringbare Wand, machten sonst aber erst einmal keine Anstalten, irgendetwas zu tun. „Wir könnten jetzt Lionet gebrauchen“, sagte Vincent. „Ein wenig Wasser könnte die Gesellen zum Rosten bringen – oder einen Kurzschluss verursachen.“ „Dafür brauchen wir ihn nicht“, erwiderte Ryu, während er vortrat. Er hob die Hand mit dem Ring, dessen violetter Stein sofort zu glühen begann. Aus dem Nichts erschienen Blitze, die in die Roboter einschlugen. Sie stürzten zu Boden und rührten sich kein bisschen mehr, nicht einmal mehr ein Scheppern war zu vernehmen. Ryu ließ die Hand wieder sinken und bewegte sich weiter, durch die Reihen der Gefallenen hindurch, ohne ihnen noch einen Blick zu widmen. Anthony kam es dagegen zu misstrauenserweckend vor, dass es so einfach vorbei sein sollte. Wer immer sie erwartete, wusste doch sicher, über welche Fähigkeiten sie verfügten und dass es für den ein oder anderen ein Leichtes sein würde, derartige Feinde zu besiegen. Doch ihm blieb keine Gelegenheit, darüber nachzudenken, denn Marc schob ihn bereits vorsichtig voran. „Komm schon, Tony, wir müssen gehen.“ Erst als er sich in diesem Moment umsah, bemerkte er, dass die anderen schon vorausgegangen waren und am Fuß der nächsten Treppe standen. Um den anderen keinen Ärger zu bereiten, überwand er sich und lief nun von selbst weiter. Dabei trat er vorsichtig zwischen den Robotern auf den Boden auf, aus Furcht, dass sie direkt wieder aufspringen würden. Immerhin, besonders so aus der Nähe, sahen sie nicht so aus, als wären sie kaputt. Er versuchte, sich nicht mehr zu sehr darauf zu konzentrieren und blickte dafür geradeaus, hinter sich konnte er Marcs Schritte hören, als dieser ihm folgte. Die anderen unterhielten sich derweil über ein Thema, das er auf die Entfernung nicht ausmachen konnte, aber die Blicke, die sie immer wieder in seine Richtung warfen, versicherten ihm, dass es entweder um ihn oder um die Roboter gingen. Das hilft mir nicht gerade, um mich abzulenken. Plötzlich glaubte er, eine weitere Bewegung hinter sich ausmachen zu können. Doch bevor er sich umsehen konnte, spürte er, wie Marc ihm einen heftigen Stoß in den Rücken versetzte, der ihn zu Boden gehen ließ. Im selben Moment hörte er ein leises Zischen, gefolgt von einem Schmerzensschrei – und dann kam es Anthony so vor, als würde die Zeit langsamer verlaufen. Während er versuchte, sich wieder aufzurichten, landete Marcs Körper neben ihm auf den Boden, gleichzeitig erhoben sich die Roboter wieder und formten einen Kreis um sie herum. Einem der Wesen rauchte die Hand, was Anthony noch nicht wirklich verstehen konnte. Erst als er Renas Stimme hörte, die von außerhalb des Kreises Marcs Namen rief, blickte er auf seinen Freund hinab und stellte fest, dass dieser sich nicht mehr rührte und das galt auch für seinen Brustkorb. Es war allerdings keine Verletzung zu erkennen. Anthony legte eine Hand an die Schulter seines Freundes und schüttelte ihn leicht, dabei wiederholte er seinen Namen mehrmals – aber Marc öffnete seine Augen nicht, seine Atmung setzte nicht wieder ein. Für einen kurzen Moment fühlte er sich in seine Kindheit zurückversetzt, er sah seinen Vater neben sich bewegungslos in einer Blutlache liegen und egal wie oft Anthony an seiner Schulter rüttelte, die starren Augen wandten sich ihm nicht zu. Der Erinnerungsfetzen verschwand wieder, in seiner Brust baute sich dafür ein Druck auf, der ihm unter anderen Umständen Angst gemacht hätte, ihm im Moment aber nur willkommen war. Er spürte, wie jemand außerhalb des Kreises einen Zauber wirkte, der allerdings ohne Wirkung blieb, dafür begannen nun die Hände der anderen Roboter zu glühen. Gleichzeitig wurde der Druck in seiner Brust geradezu unerträglich. „Gib. Endlich. Nach“, verlangte eine ihm unbekannte Stimme in seinem Inneren mit Nachdruck. Darüber machte er sich keine Gedanken, es war einfach zu verlockend, diesem Drang einfach nachzugeben. Deswegen legte er den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und stieß einen Schrei aus, der ihm Befreiung verschaffen sollte. Rena versuchte, sich mit Händen und Füßen gegen Vincent zu wehren, der sie weiterhin mit aller Gewalt festhielt und dabei etwas sagte, das sie nicht einmal verstand. Ihr Blick war auf die Roboter fokussiert, zwischen ihnen konnte sie Marcs leblosen Körper erkennen, der – das wusste sie einfach – tot war. Sie wusste, sie könnte nichts mehr tun, aber dennoch wollte sie zu ihm, als könnte sie ihn damit einfach wiederbeleben. Sie wollte nicht akzeptieren, dass er tot war, einfach fort, nur weil sie ihn in dieses Gebäude gezogen hatte, statt ihm zu sagen, dass er besser in der Schule bleiben und dort aufpassen sollte. Nur weil sie sich gewünscht hatte, dass er sie begleitete, um ihr ein wenig mehr Sicherheit zu verleihen. Irgendwo nebenbei bemerkte sie, dass Ryu wieder versuchte, einen Zauber zu wirken, aber diesmal schien er keinen Einfluss mehr auf die Roboter, die sich wieder aufgerichtet hatten, zu besitzen. Ihre Versuche, sich gegen Vincents Griff zu wehren, endeten erst, als Anthony den Kopf in den Nacken legte und einen Schrei ausstieß, der aus den Tiefen einer gequälten Seele zu stammen schien. Die anderen hielten ebenfalls inne und beobachteten, was weiter geschah. Ein blassgrüner Wirbel entstand um Anthony herum, vereinnahmte die Roboter und sorgte dafür, dass sie sich in glitzernde Funken auflösten. Vincent ließ sie dennoch nicht los, was sie durchaus verstehen konnte. Auch wenn die Feinde nun fort waren, existierte nun eine Macht an diesem Ort, die ihr geradewegs die Luft abzuschnüren schien. Es war eine uralte Kraft, die ihr bekannt vorkam und ihr gleichzeitig Furcht einjagte, als müsste sie damit eine schreckliche Erinnerung verbinden, die sie aber glücklicherweise vergessen hatte. Keiner der Anwesenden rührte sich in diesem Moment, auch nicht als Anthony aufstand und, ohne ihnen Beachtung zu schenken, an ihnen vorbei, die Treppe hinauflief. Die anderen wichen sogar zur Seite aus, als er an ihnen vorüberging. Keiner richtete das Wort an ihn und er schien nicht einmal zu wissen, dass sie da waren. Seine grauen Augen, die Rena sehen konnte, als er an ihr vorbeilief, waren starr geradeaus gerichtet. Es war nicht Kai, dieser hatte immerhin blassgrüne Augen, so viel konnte sie sagen, aber sie wusste nicht so recht, wer es sonst sein könnte – und eigentlich wollte sie es auch gar nicht wissen. Allein das Gefühl, in seiner Nähe zu sein, war zu grauenvoll. Kaum war er fort und hatte die furchterregende Aura mit sich genommen, ließ Vincent sie los, worauf Rena sofort zu Marc hinüberstürzte. Doch als sie endlich neben ihm kniete, wagte sie es kaum, ihn anzufassen. Sie wusste, seine Wärme würde bald schwinden und sie wollte nicht spüren, wie kalt er sich anfühlen würde. Vielleicht könnte sie die Realität damit noch ein wenig hinauszögern, wenn sie nur nicht akzeptierte, dass er tot war. Hinter sich hörte sie die Gruppe darüber diskutieren, welche Entität das eben gewesen war, aber es kümmerte sie nicht weiter. Sie konnte nicht anders, als weiter Marc anzustarren und dabei zu hoffen, dass er gleich wieder die Augen öffnen und ihr sagen würde, dass es alles gut war. Sie wollte über diesen Verlust weinen, ihn beklagen und am besten nie wieder von seiner Seite weichen. Aber die Tränen kamen einfach nicht. Plötzlich spürte sie, wie jemand sich neben sie kniete und sie vorsichtig in die Arme nahm. Als sie den Kopf wandte, bemerkte sie, dass es sich dabei um Maryl handelte, die sie traurig anlächelte. „Warum ist das passiert?“, fragte Rena und wunderte sich darüber, wie zerbrechlich ihre Stimme klingen konnte. Maryls Lächeln wurde ein wenig hilflos. „Marc hat nur versucht, seinem Freund zu helfen.“ Einem Freund, der nun vollkommen verändert durch dieses Gebäude lief, während die anderen nur darüber diskutieren konnten, wie sie nun vorgehen sollten. Während Seline, Ryu und Russel weitergehen und Anthony folgen wollten, sprach Vincent sich dafür aus, dass sie Marc nehmen und erst einmal zurückgehen sollten, nur um sicherzugehen. Rena war es vollkommen gleich, was die anderen tun wollten, sie würde keinen einzigen Zentimeter von Marcs Seite weichen. Etwas an seinem Oberkörper lenkte plötzlich ihren Blick auf sich. Unter seinem Hemd leuchtete etwas blassgrün, was sie nun doch dazu bewegte, ihn zu berühren, um seine Kette hervorzuziehen. Es war der einstmals schwarze Anhänger, der nun in einem sanften, grünen Licht glühte und dabei Energie absonderte, die sie einen Moment zuvor bereits bei Anthony gespürt hatten – nur mit dem Unterschied, dass es diesmal eine gute Form eben dieser war. Es war keine, die zerstören, sondern erschaffen wollte. Maryl bemerkte das ebenfalls und lenkte die Aufmerksamkeit der anderen mit einem heiseren Ausruf sofort darauf. Rena nahm nicht einmal den Blick von Marc, während sein Körper von diesem grünen Licht eingehüllt wurde und der Stein das Glühen langsam wieder verlor. Kaum war der Anhänger wieder vollkommen schwarz, erlosch das Licht, das Marc umgeben hatte, ebenfalls wieder. Rena verstand nicht, was geschehen war, aber zu ihrem Glück ging es den anderen wohl ebenso, denn als die Gruppe sich um sie versammelt hatte, hörte sie lediglich, wie Seline leise flüsternd fragte, was eigentlich gerade vor sich ging. Plötzlich bewegte sich Marcs Brustkorb wieder, worauf Rena einen überraschten Ruf ausstieß. Im nächsten Moment sog er fast schon panisch die Luft ein und schlug die Augen wieder auf. Sein Blick ging fragend umher und blieb dann an Rena hängen. „Oh“, sagte er und klang dabei so wie immer, „was habe ich verpasst?“ Als er sich aufrecht hinsetzte, konnte Rena sich nicht entscheiden, ob sie ihm einen Schlag verpassen oder ihn einfach umarmen sollte, weswegen sie sich kein bisschen rührte und auch keinen Ton von sich gab. Sie bemerkte aber durchaus, wie Maryl, Russel, Seline, Vincent und Ryu sich wieder von ihnen entfernten, um weiter, mit gedämpften Stimmen, über diese ganze Sache zu diskutieren. Offenbar waren sie genauso verwirrt über das Geschehen wie sie. Er sah verwirrt zu ihnen hinüber und konzentrierte sich dann wieder auf Rena. „Was ist denn los? Worüber diskutieren die? Und wo ist Tony?“ „Du hast keine Ahnung, was gerade geschehen ist?“, fragte sie. „Absolut keine.“ Statt ihm zu erklären, geschehen war, beugte sie sich ein wenig vor, um ihn wortlos zu umarmen. Sie spürte, dass er weiterhin verwirrt war, aber er legte dennoch die Arme um sie. „Ist ja schon gut.“ „Ja, jetzt wieder“, erwiderte sie. Es war besser, wenn er nicht erfuhr, dass er für kurze Zeit nicht mehr am Leben gewesen war, beschloss sie. Falls er es sich nicht selbst zusammenreimte, wollte sie nicht diejenige sein, die ihm eine solche Botschaft mitteilte. Zumindest jetzt noch nicht. Schließlich lösten sie sich aber wieder voneinander. Noch einmal sah er sich um und stieß dann ein frustriertes Seufzen aus. „Wo ist denn Tony nun?“ „Er ist weitergegangen.“ Sie deutete die Treppe hinauf. Marc wurde augenblicklich blass und richtete sich auf, wobei er Rena ebenfalls mit sich nach oben zog. „Worauf warten wir dann noch? Wenn es hier wirklich gefährlich ist, können wir ihn doch nicht einfach allein hier herumlaufen lassen.“ Statt ihn dafür zurechtzuweisen, dass es seine Schuld war, dass sie immer noch hier standen, nickte sie lächelnd. „Du hast recht, wir sollten gehen.“ Damit schlossen sie sich wieder der restlichen Gruppe an, um den Weg endlich fortzusetzen, wobei jeder von ihnen hoffte, dass kein weiteres ihrer Mitglieder bei dieser Unternehmung zu Schaden kommen würde. Anthony lief derweil durch das Gebäude, ohne wirklich Einfluss auf sein eigenes Handeln zu nehmen. Jeder weitere Feind, der ihm begegnete – immer mehr von diesen Robotern – wurde von ihm mit einer einfachen Handbewegung mühelos beiseite gewischt. Es war ... eigenartig, derart fremdbestimmt zu werden und dennoch zu wissen, dass es etwas tief in seinem Inneren war, das ihn dazu antrieb, das alles zu tun. Etwas, das seine ganze Wut und Trauer in jeden einzelnen Angriff entlud und damit den Gedanken an Marcs leblosen Körper stets weiter fortscheuchte. Gleichzeitig wurde der schwarze Schleier vor seinen Augen immer dichter, aber noch schaffte er es, bei Bewusstsein zu bleiben. Nichts hinderte ihn daran, jedes Mal die Treppe in das nächste Stockwerk zu nehmen, bis er schließlich ganz oben war. Das Gefühl, gerufen zu werden, war an diesem Ort besonders stark und Feinde gab es hier ebenfalls keine mehr. Wer immer hier auf ihn wartete, war vielmehr erfreut darüber, dass er endlich gekommen war. Schließlich betrat er den Thronraum, in dem auch Alona zuvor schon gewesen war. Der Mann saß immer noch auf dem Thron und blickte ihm amüsiert entgegen. „Endlich hast du es bis hierher geschafft, mein Lieber.“ Anthony wollte ihn fragen, weswegen er ihm Hindernisse aufgebaut hatte, wenn er ihn doch erwartete, doch das andere Ich sagte nichts und starrte seinen Gegenüber nur an. Eine enorme Macht ging von diesem Mann aus, die Anthony nur noch mehr ermüdete und den Schleier noch einmal verstärkte. Er wollte zurückweichen und weglaufen, aber das andere Ich ließ es nicht zu und wies ihn an, einfach stehenzubleiben. Sein Gastgeber erhob sich und lief einige Schritte auf ihn zu. „Aber jetzt, da du endlich hier bist, werde ich vollständig sein können. Dann werde ich deinen Plan verwirklichen und alle Ungläubigen auslöschen.“ Er hob die Arme und legte den Kopf in den Nacken. Es hätte nur noch gefehlt, dass er in manisches Gelächter ausgebrochen wäre. Unzählige Schauer liefen über Anthonys Rücken, noch nie zuvor hatte er sich so sehr Unterstützung gewünscht, wie in diesem Moment. Da er immer noch schwieg, stellte Master sich wieder normal hin und kam weiter auf ihn zu. „Na komm. Du weißt genausogut wie ich, dass es jetzt Zeit wird.“ Als er die Arme nach ihm ausstreckte, als wolle er Anthony an sich ziehen, wurde der schwarze Schleier schließlich undurchdringlich und sein Bewusstsein verschwand endgültig in die Tiefen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)