Karamellbonbon von blechdosenfee ================================================================================ Prolog: Begegnungen ------------------- *** „Begegnungen, sind kein Zufall, sondern vom Schicksal geformte Fügungen, an die es sich immer wieder zu erinnern gilt.“ - Noch immer geisterten ihre Worte in seinem Kopf. Er hatte sie damals nicht verstanden und es sollte lange dauern, bis ihm die Bedeutung des Satzes bewusst wurde. Bis die Vergangenheit vor ihm stand. * Geliebte Babuschka. Als sie gestorben war, begann sein Leben in einem anderen Land. Weit weg von der Heimat und er war doch erst Sieben. Seine neuen Eltern überhäuften ihn mit Geschenken und gaben ihm all ihre Liebe und Zuwendung, die er brauchte, um zu leben. Es fehlte ihm an nichts und wenn er sich doch nach etwas sehnte, versuchte sein Adoptivvater alles in die Wege zu leiten, damit er es bekam. Seine Wünsche waren meist nichts weltbewegendes. Hier mal eine Süßigkeit und dort ein tolles Buch, das ihn interessierte und trotzdem, er spürte, das ihm was fehlte. Um die Anerkennung, die er von seinen Adoptiveltern bedingungslos bekam, zu huldigen, suchte er den Wettstreit mit Gleichaltrigen, oder Älteren. Das dieses Verhalten nicht im Sinne seiner Mitmenschen war, bekam er zu spüren, als er in der Privatschule mal wieder über die Strenge geschlagen hatte. Sie liebten ihn, ohne das er sich stets beweisen musste. Doch sein Verhalten besserte sich nicht, er braucht ein Ventil und so schickten sie ihn in eine Sportgruppe. * Kendo. Damals war er Neun und er entwickelte sich gut. Mit einer spielerischen Leichtigkeit schloss er ein Kapitel nach dem Anderen ab, bis sein Trainer meinte, dass er bei einer Landesmeisterschaft teilnehmen könnte. Er erreichte Sieg um Sieg und trotzdem blieb ihn ein Titel verwehrt. Der Jugendweltmeister. Ein anderer Junge wurde ihm vorgezogen Japan zu verteidigen und Ehre zu erbringen. Das betrübte ihn und ließ seine Kampfmoral sinken. Faul saß er daheim in seinem Zimmer und verweigerte das Training. Bis zu jenem Tag, als sein Vater – Ziehvater – auf die Idee kam, ihn unter der russischen Flagge anzumelden. Aus dem russischen Trainingslager kamen keine hervorragenden Kämpfer, daher war es ein leichtes ihn als den russischen Vertreter zu ernennen. * Wenn er an diese Zeit zurückdachte, musste er seiner Großmutter lächelnd Recht geben. Begegnungen waren kein Zufall. Nein, ein Zufall konnten sie nicht sein. Kapitel 1: Acht Jahre altes Karamellbonbon ------------------------------------------- *** Japan - Tokio Die sommerliche Mittagshitze verwandelte die Stadt in einen erbarmungslosen, siedenden und unerträglichen Kessel. Gelangweilt aalten sich die meisten Menschen in der brühenden Sonne und ließen sich bräunen. Nur wenige begaben sich in den Schatten, um enttäuscht festzustellen, dass die begehrte Abkühlung bei diesen Hochtemperaturen einer Utopie glich. Der Schweiß rann den meisten wie eine Flut kleiner Flüsse über den Körper und sammelte sich an bestimmten Stellen wie kleine Seen in der Kleidung, nur um unansehnliche dunkle Flecken zu hinterlassen. Trotz der großen Sommerhitze herrschte in einer kleinen Arena der Ausnahmezustand. Mit panischen Blick auf die Temperaturanzeige seines kleinen All-Round-Weckers tupfte sich der Veranstalter den Schweiß von der Stirn. Die Krawatte lag schon längst auf dem Tisch und fristete, wie das Jackett ein ungenutztes Dasein. 'Vierzig Grad' Da halfen nicht einmal mehr die kleinen Ventilatoren, die bis zum Anschlag die erwärmte Luft zirkulieren ließen, um den Schein zu wahren Kühle zu schaffen. Allen Anschein nach, hatten die Klimaanlagen auch schon besser Tage erlebt. Zumindest kühlere, die nicht erfordert hätten, dass sämtliche Anlagen auf dem Maximum ihrer Möglichkeiten liefen. Was hatte nochmal in der Beschreibung gestanden? Auch bei über fünfvierzig Grad einsetzbar. - Von wegen. Aber vielleicht lag es auch nur daran, dass gerade über 500 Zuschauer die Arena mit spannenden Blicken betrachteten, wo sich gerade Russland und Japan ein heißes Duell lieferten. Himmel, musste es ausgerechnet heute so heiß sein. Dem Veranstalter lief der Schweiß. In der Arena war das Finale eingeläutet worden. Kato gegen Kasakow. - Japan vs. Russland. Diese Konstellation der Gegner war neu. Sonst hieß es immer wir gegen die USA. Doch diesmal waren die verrückten Amis von Russland regelrecht weggefegt wurden. Der Journalist, der den ganzen Kampf mit der Kamera aufnahm und sich erste Notizen zu dem Spektakel machte, wusste schon, wie der Artikel lauten würde, der Morgen früh in allen Zeitung Japans zu lesen sein würde. 'Weltpremiere für Russland – Sieg Japan' Ryuu Tamaki, war nicht nur für seine langen und geschmeidigen Artikel mit aussagekräftigen Titel bekannt, sondern auch für die Gabe vorherzusagen, wer gewinnen würde und im Moment hatte Japans Goldjunge Takeru Kato die Nase vorne. Sehr weit vorne. Zu weit für den russischen Kontrahenten – aber der Junge war gut und vielleicht würde er heute nicht gewinnen, aber irgendwann würde Japan mal in die Knie gehen müssen. Der Gedanke schmerzte den Journalisten, aber was sein musste – musste nun einmal. „Hide-san, haben Sie alles auf der Totalen?“ „Ja, Tamaki-buchõ!“ „Dann ist ja gut.“, anerkennend nickte er seinem jungen Kollegen zu, der trotz der großen Hitze seit zwei Stunden hinter der Kamera stand und nun ein Kampfpaar nach dem anderen filmte. Die Zuschauer hielt es kaum noch auf den Rängen und die Hitze, die war momentan nicht in ihren Köpfen. Der Körper konnte leiden, aber der Kampf durfte nicht verpasst werden. Da konnte auch der kleine Hosenscheißer in Reihe vier auf Platz neun, so laut brüllen, wie er wollte. Papa hatte eh keine Augen mehr für ihn und im Grunde schrie er gegen eine Wand von grölenden und jubelnden Fans. Es war aber auch zu spannend, was die beiden Kontrahenten zeigten. Knapp verfehlte der Japaner seinen Gegner, um nur kurz darauf ihn doch noch irgendwie zu erwischen. Zwar waren seine Angriffe nicht die Welt wert, aber er brauchte nur noch einen Punkt auf dem Konto um gegen diesen Möchtegernjapaner, der nur im Land der aufgehenden Sonne lebte und in seinen Augen ein Zeittourist war, zu gewinnen. Knapp vorbei, war auch daneben. Um ein Haar hätte Kostja diesen aufgeblasen Japaner am Arm erwischt. Aber nur fasst. Der Typ bewegte sich seines Erachtens nach viel zu viel. Leider brachte dem diese Taktik auch die erwünschten Punkte, die ihm ausblieben. Es war aber auch wie verhext. Er hatte nicht mal einen Punkt und sein Gegner brauchte nur noch Einen. Und immer dieser Schweiß. Alles klebte. Plötzlich lag das Handgelenk von seinem Kontrahenten frei. Kostjas Shinai sauste hinab und … traf. Wenigstens schon mal einen Punkt. Doch freuen konnte sich der Russe nicht, denn nur wenige Sekunden später brach ihm der zweite treffsichere Schlag des Japaners symbolisch das Genick. Aus und vorbei. Kostja schrie vor Wut. Innerlich, äußerlich wahrte er das Gesicht eines Geschlagenen und gratulierte. Doch seine zur Faust geballte Hand verriet ihn. Takeru schlug ihn dankten auf die Schulter. „Hey, das nächste Mal.“ Welch gespielte Freundlichkeit von den Beiden an den jeweils anderen gesandt wurde, bekamen die Zuschauer nicht mehr mit. Sie wollte ihren Helden feiern. Kostja wollte ein bissiges Argument abgeben, doch ihm kam jemand zuvor. „Onii-san“ Der Russe sah, wie Takeru herumwirbelt und mit offenen Armen ein junges Mädchen empfing. Nicht älter als neun, schätzte er. „Onii-san. Du hast gewonnen.“, gluckste sie und ließ sich von ihrem Bruder auffangen. Dieser hob sie in die Höhe und drehte sich mit ihr um die eigene Achse. Beide strahlten um die Wette. Kostja wandte sich von dem Bild ab. Er hatte nicht verdient länger an dem Ruhm teilhaben zu dürfen. Er hatte versagt. Seine Nation enttäuscht und gezeigt, wie schwach Russland war. Ohne auf die umstehenden Moderatoren und Journalisten zu achten, lief er geradewegs in die verworrenen Gänge des Stadions. Duschen - den Schweiß abwaschen, frische Sachen an und dann weg. Er musste halt noch besser trainieren. Das die Siegerehrung noch stattfand, war im egal. Er hatte Monate wie ein Besessener auf den Tag hin trainiert und nun, war alles vorbei. Viel zu schnell. Für dieses Debakel brauchte er keine Medaille. Das Silber konnten sie behalten. Tamaki war einer der Ersten, die mit dem jungen Kendoweltmeister reden durften. Dieser hatte gerade seine Schwester wieder auf den Boden abgesetzt, als er schon von dem Artikelschreiber in Beschlag genommen wurde. * Der Jubel war laut und erinnerte ihn immer wieder an den verlorenen Kampf. Kostja wurde das alles zu viel. Seinen Adoptiveltern wollte er im Moment nicht unter die Augen treten. Sicherlich waren sie enttäuscht von ihm. Mit Wucht knallte seine Faust gegen die Wand, an der er sich seitlich mit dem Oberarm angelehnt hatte. Die Bewegung wiederholte sich - immer wieder. „Bist du sauer?“ Ruckartig drehte sich der Vize um und blickte erstaunt in zwei fragende Augen. Er konnte im ersten Moment nichts sagen. Sie lächelte nur. Nachdem sich Beide ein Zeit lang angesehen hatten, brach sie mit der Stille. „Warum bist du denn sauer?“ „Du bist doch die Kleine, die auf Kato-san zugerannt ist.“ Nicken. „Warum bist du nicht bei deinem Bruder?“ Die Lippen wurde aufeinander gepresst und der Blick gesenkt. Sie hatte ihre Hände hinter den Rücken verhakt und schien mit der Fußspitze den Betonboden aufkratzen zu wollen. „Ich.“, sie brach ab. Es dauerte einen Moment und Kostja meinte schon keine Antwort mehr zu bekommen. „Onii-san hat jetzt eh mit den Presseleuten zu tun.“, meinte sie. „Und da bin ich dir hinterher gelaufen.“ Kostja sah sie erstaunt an. „Warum?“ Wer lief schon dem Zweiten der Rangliste hinter her. Wieder ein Lächeln, das sich zu einem Grinsen wandelte. „Weil ich deinen Art, wie du mit dem Shinai umgehst, toll finde.“ Mit einem begeisternden Blick sah sie ihn an. „Mein Bruder mag zwar gewonnen haben, aber ich fand, du warst der bessere.“ „Woher willst du das beurteilen?“ Kostja erschrak über sich selber. Er wollte eigentlich nicht so grob klingen. Er sah es dem Mädchen an, dass sie diese Reaktion nicht erwartet hatte. Die Offenheit war weg und vor ihm zeigte sich ein kleines schüchternes Kind. Das sich wahrscheinlich umdrehen und weinend wegrennen würde. Doch wider erwarten blieb sie und sah Kostja mit einem zaghaften Lächeln an. „Weil ich, seit ich...“, sie musste überlegen, und schien etwas zu rechnen, „...weil ich seit meinem vierten Geburtstag von meinem Großvater das Kendo gelehrt bekomme, und nach vier Jahren sollte ich ja schon etwas Ahnung haben, oder?“ Die letzten Worte kamen so leise, dass Kostja Mühe hatte sie zu verstehen. Jetzt tat es dem Russen auch schon wieder leid, so überreagiert zu haben. „Ich bin aber nur Zweiter. Deine Meinung teilt keiner.“, es klang zwar nicht mehr so grob, aber der Spott war zu hören. „Na und.“, trotzig hielt sie gegen. „Erster sein, bedeutet zwar Ruhm. Aber der Zweite zu werden, bedeutet weniger Stress. Schließlich muss Onii-san jetzt ein Spießrutenlauf der Presseleute überstehen.“ Kostja schnaubte nur und blickte zur Seite, aus den Augenwinkel konnte er sehen, dass das Mädchen gehen wollte. Doch sie blieb stehen und schien etwas in ihrer Rocktasche zu kramen. Als sie es gefunden hatte, drehte sie sich um und hielt ihm ein Karamellbonbon entgegen. „Für dich.“, sie grinste. „Damit du nicht so traurig bist, dass du es nur auf den zweiten Platz geschafft hast.“ Kostja zögerte. Provokativ steckte er seine Hände in die Taschen seiner Jacke. Dabei liebte er Karamell. „Ach übrigens, ich heiße Sakura.“, meinte sie lächelnd „Schön für dich.“, brummte er. „Ich leg dir das Bonbon hier hin, dann kannst du entscheiden, ob du es nimmst.“, mit einem breiten Grinsen und strahlenden Augen legte sie das Karamellkonfekt, das durch die Wärme des Sommers deformiert war, auf den Boden nieder. Sie verbeugte sich und ging. *** Acht Jahre altes Karamellbonbon * Russland Es schepperte und knallte in allen Variationen, die mit einem Shinai verursacht werden konnte. Wieder und wieder schlug Kostja mit voller Wucht auf die sieben Dummies, die in einen Kreis um ihn bildeten, ein. Wer ihm zusah, erkannte das er gut war. Wirklich sehr gut, aber er sah es nicht und empfand den Titel als Vize für eine Erniedrigung seiner selbst und damit auch seinem Stolz. Seine Schläge waren hart und präzise, die Kraft entlud sich kurz bevor das Shinai auf den Dummie traf. Erneut knallte es und der Griff des Shinai flog durch die Halle. „Das war schon das Neunte. Wieviele willst du noch zerdeppern?“ Wütend blickte Kostja seinen Trainingspartner an, welcher gelangweilt in der Ecke hockte und dem ganzen Treiben seit Beginn zusah. „Das geht dich nen Dreck an!“, geifte es. „Ist ja gut.“, beschwichtigend wurden die Hände vor den Körper gehoben und deuteten beruhigende Gesten an. „Bleib locker.“ Kostja schnaubte. Locker bleiben. Natürlich, einen besseren Rat hätte er jetzt auch wirklich nicht haben brauchen. Grimmig stampfte er durch die Halle auf der Suche nach den Einzelteilen seines letzten Shinais, das wie die Acht davor der Raserei des Russen nicht standhalten konnte. „Du weißt schon, dass die Dinger teuer sind?“ Für einen Moment hielt der Angesprochene inne. Nur nicht nerven lassen, denn die waren schon strapaziert genug. „Hey, ich rede mit dir.“, flötete es fröhlich aus der Ecke. „Du weißt hoffentlich, was dich beim nächsten Trainingskampf erwartet?“, zischte Kostja, während er die zerfledderten Bambusüberreste aufsammelte. Dima sah auf. „Sag mal, bist du so drauf weil du Druck hast oder wegen der WM?“, ohne auf eine Antwort zu warten, sprach er einfach weiter. „Wenn du Druck hast, kann ich dir ein paar ganz süße Schnecken empf...“, sprachs und wurde von einem umherfliegenden Bambusstab unterbrochen. „Au! Das tat weh.“, nuschelte Dima, während er seinen Kopf hielt. „Ich brauch deine abgearbeiteten Schnecken nicht und die WM...“, Kostja haderte. Ja, die WM. Sollte er wirklich nochmal daran teilnehmen. Würde er es diesmal packen oder wieder Zweiter werden. „Die WM also.“ Dima brachte es auf dem Punkt und seufzte. „Schade, bei Weibern hätte ich dir mehr helfen können. Kenn' da ein super Mädchen, die auf ein Kerl wie dich steht.“, sein Grinsen wurde immer breiter. Er mochte es Kostja mit dem Thema aufzuziehen. Schließlich war dieser, was das Weibliche anbelangte relativ prüde und das für einen Russen. In den gesamten sieben Jahren hatte er den Vizemeister nur zwei Mal mit weiblicher Begleitung gesehen und diese Beziehungen waren nicht von Langlebigkeit gesegnet. „Aber bei der WM. Also, das musst du schon selber wissen was du willst.“ * Schweiz Hero schlug die Hände über den Kopf zusammen. Immer wieder ging sie die Melodie im Kopf durch und jedes Mal hatte sie einen Haken. Einen disharmonischen Haken. Es war zum aus der Haut fahren. Seit Jahren hatte sie die Noten immer wieder innerlich abgerufen und nun, war alles nur noch Schall und Rauch. Frustriert warf sie sich mit dem Rücken voran aufs Bett. Die weiche Matratze, mit Daunenbettwäsche im Seidenüberzug belegt, federte sie beruhigend ab, während qualvolle Laute Heros Mund verließen. „Nein! Nein! Nein!“, maulte sie. „Das ist doch alles Mist.“ Ihre Finger tasteten sich über die schlanke Tastatur ihres Notebooks, fanden irgendwann den Knopf, um die Melodie auszuschalten. Einen tiefen Seufzer und verzweifelte Blicke später, rappelte sich Hero auf. Dem stetigen Klopfen an der Tür antwortete sie mit einem müden 'Herein'. „Hey!“, pure Freude schlug der jungen Musikerin entgegen und ehe sie es sich versah schaukelte ihr Bett kurz auf und sie blickte in zwei tiefe Schokoladen. Der prüfende Blick ihrer besten Freundin ließ erkennen, Hero hatte wieder über ihren 'Niemals-passendes-Ende-gefunden-Song' gebrütet. „Sag's nicht.“, Heros Stimme klang leise und reuevoll. Nein, gesagt wurde vorerst nichts. Ein anklagender Seufzer wurde vorgeschickt und ein wissender Blick hinterher. Schlecht gelaunt ließ sich Hero nach vorne Kippen und landete treffsicher mit der Stirn auf der Schulter ihrer Freundin. „Ich kann nichts dafür. Es ist in meinem Kopf.“, hauchte die Angeklagte und ließ sich das Streicheln über den Rücken gefallen. Ein wahre Wohltat, die aber von einem extremen Schrei, der bis in den kleinsten Knochen drang, unterbrochen wurde. Beide Mädchen richteten ruckartig ihren Blick zur Tür, wo wie von der Tarantel gestochen etwas Blondes auf sie zugerast kam und im letzten Moment vor dem Bett abbremste. Die Sprinterin ließ die Verdutzten gar nicht erst zu Wort komme. „Oh mein Gott!“, schrie es. „Es ist der pure Wahnsinn.“, ihr Blick fiel auf Hero. „Was ist der purer Wahnsinn?“, unsicher was der blonde Wahnsinn als nächstes Tat, rückte die Musikerin zum Bettende. Man konnte ja nie wissen, was noch kam. „Also, du... - nein, wir geben ein Konzert.“, kreischte es diesmal. „Das wissen wir.“, gab die Schokolade von sich. „Kari. Ich meine nicht das Schulkonzert.“, eine abwinkende Hand betonte die Nichtigkeit der Schulaufführung. „Ach, noch eins?“ „Ja-a.“, das Strahlen wurde immer breiter. „Und wo?“, Hero rückte wieder näher. „In Russland.“, platzte es bei der Blonden heraus. Es herrschte Stille. Weder Kari noch Hero wussten was sie darauf erwidern sollten. Aufgeregte blickte die Übermittlerin zwischen ihren Freundinnen und Bandkolleginnen hin und her. „Ja, und? Freut ihr euch gar nicht? Das ist unser erster internationaler Auftritt. Die Jungs und Ju wissen auch schon Bescheid. Hey, nun sagt doch mal was.“ „Äh.“, Kari versuchte den Anfang zu machen, blickte jedoch hilfesuchend zu Hero, die nur mit den Schultern zuckte und kurzzeitig das Gesicht zu einer Ahnungslosen verzog. Beide sahen gleichzeitig auf. „Sag mal, Ni“, begann Hero, Kari beendete„Wieso in Russland?“ Nitan ließ sich grinsend vor dem Bett nieder und blickte die Beiden verschwörerisch an. „Ganz einfach...“, aufmerksam hörten diese zu, „...wir sind in erster Hinsicht eine fast stinknormale Schülerband. Die Betonung liegt auf fast, schließlich haben wir schon zwei Alben draußen.“, das eigene Kichern unterbrach die Erklärung für einen Moment, „Aber, wir sind auch die einzige Gruppe, die in der Kendo-AG aktiv ist.“ „Was hat das mit Kendo zu tun?“ „Das will ich ja gerade erklären.“, maulte es mit einem bösen Blick auf Kari gerichtet. „Also, im Frühjahr...“, weiter kam die Blonde nicht, denn Hero fiel ihr dieses Mal ins Wort. „Wir dürfen bei der WM als Band auftreten?“, ungläubig starrte das Mädchen ihre Kollegin an. „Bingo. Hundert Punkte für die Kandidatin.“, freudig klatschte Nitan in die Hände. „Ne, oder?“, Kari war baff. „Wie jetzt, seit wann treten da Bands auf?“ Diese Frage war sehr berechtigt. Eigentlich wurden solche Veranstaltungen kaum in der Öffentlichkeit genannt. Nur Insider und wahre Fans wussten wann und wo die Wettkämpfe stattfanden. Aber auch darauf wusste Nitan eine Antwort. „Dreimal dürft ihr raten.“, sprudelte es aus ihr heraus. „Weil wir selber Kendo praktizieren?“, unsicher kam die Antwort von Kari. „Nicht ganz, aber das ist ein Grund weshalb 'wir' auftreten dürfen.“, der diabolische Unterton war deutlich herauszuhören. Nach einigen Momenten der Stille und Nitans Beobachtung, wie die Köpfe der beiden Mädchen anfingen zu qualmen, unterbrach die Blonde die Denkanalysen. „Ich sag's euch.“, die Aufmerksamkeit war wieder auf sie gerichtet. „Der Veranstalter der kommenden WM, will mit uns als Band auch das jüngere Publikum ansprechen. Wir machen gute Musik, die jeder hören will und wir sind selber als 'Nicht-Profis' im Kendobereich tätig.“ „Ja, aber woher... wieso, äh nein, wie ist der Veranstalter gerade auf uns gekommen?“, das Hero verwirrt war, konnte deutlich gehört werden. „Tja, Schätzen.“, hauchte Nitan laziv, nur um gleich darauf freudig zu quietschen „Das hast du unserer guten Ju zu verdanken.“ „Wie jetzt?“, klinkte sich Kari ein. „Internet, Süße.“, der Zeigefinger wurde gehoben, um den nachfolgenden Worten mehr Beachtung zu schenken. „Ihr wisst ja, nach unserem ersten Album hat Ju eine Website eingerichtet – natürlich kostet so eine Website ja auch was, na ja und das Geld bekommen wir mit Werbebannern für Kendo rein. Wir verkaufen unsere Websitepixel an Kendoschulen... ähm, Dojos auf der ganzen Welt.“ Ungläubig wurde die Blonde angesehn. „Und so, ist der Typ auf uns gekommen?“ „Ja, so könnte man das sagen, Kari.“ Wäre Nitan eine Porzellanpuppe mit beweglichen Augen, so hätte das Klimpern mit den Wimpern nicht nur visuell, sondern auch akustisch stattgefunden. „Oh, das wird ein Spaß.“, schrie das blonde Ding, das voller Übermut aufstand und in Heros Zimmer im Kreis hüpfte, mitten im Finale stehen blieb und einen Freudenschrei von sich gab, bei dem die anderen Beiden vor Schreck in das Gekreische einstimmten. * Kostja hatte mit Dima im Schlepptau den Heimweg angetreten. Beruhigend knirschte der Schnee und ihren Stiefeln, während im Westen letzte Sonnengesandte den Himmel erhellten. Es wäre ein ruhiger Heimweg gewesen, wenn Dima nicht bei jedem Rock angehalten und geflirtet hätte. Ein Knurren kam von Kostja, was mussten diese Eiskunstlaufverrückten ausgerechnet zu diesem See, der nur wenige Meter von der Trainingshalle lag, gepilgert kommen. „Hallo, du Schönheit.“ Ein Kichern folgte und säuselnde Worte, die wie flüssiger Honig flossen, kamen Dima über die Lippen. Kostja murrte, jedes Mal der gleiche Scheiß, nur mit anderen Begriffen. Die Bedeutung blieb die Gleiche. Er sollte dem Ganzen keine Beachtung mehr schenken und einfach weiter laufen. Das Dima ihm hinterher rief, ignorierte er. Genauso wie die Mädchen, die ihm mit ihrem süßen Lächeln ansahen. Seine Augen streiften sie nur, doch keine konnte ihn fesseln. Kostja betrachtete die mit Schnee bedeckte Landschaft. Als Kind hatte er es genossen mit seiner Großmutter dieses Bild zu sehen, doch heute berührte es ihn schon lange nicht mehr. Der Anblick eines verschneiten Russland kannte er zur Genüge. Plötzlich tat es weh. Es schmerzte, allein diese Aussicht erblicken zu müssen. Er wollte das, was er sah, teilen. Er wollte es mir 'ihr' teilen. 'Ihr' jene Gegend seiner Heimat zeigen und 'ihr' die Dinge erklären, die ihm seine geliebte Babuschka eröffnet hatte. Seit seiner ersten Teilnahme an der WM hatte er Japan, die Zweitheimat, verlassen. Seine Adoptiveltern sah er nur noch drei bis viermal im Jahr. Das Training war für ihn zum Leben geworden. Na ja, fast. Irgendwo tief in ihm, da hatte kein Trainingsgedanke ihn ausgefüllt. Dort drehte sich alles um ein Karamellbonbon, besser gesagt um die Person, die es ihm geschenkt hatte. Es war verrückt. Sie war damals Acht gewesen. ...weil ich seit meinem vierten Geburtstag von meinem Großvater das Kendo gelehrt bekomme, und nach vier Jahren sollte ich ja schon etwas Ahnung haben... Ganze vier Jahre jünger als er und ihr Bruder. Das sie mit ihrer Art sein Herz berührt hatte, war ihm erst bei der nächsten WM aufgefallen. Unbewusst hatte er nach ihr gesucht. Er wollte sie wenigstens sehen, wissen, was aus ihr geworden war, ob es ihr gut ging. Doch sie war nicht da gewesen. Nicht einmal, um ihren Bruder zu gratulieren. „Ich würde zu gerne wissen, an was oder 'wen' du gerade denkst, dass du so lächelst.“ Kostjas Gesicht verhärtete sich auf der Stelle und er blickte böse zu Dima. „Das geht dich rein gar nichts an. Klar?“ „Klar.“, grinste dieser nur. „Aber, du stellst sie mir schon vor? Irgendwann mal.“ „Da gibt es nichts zum vorstellen.“, meinte Kostja gereizt. „Ja, klar. Und das Karamellbonbon, dass du immer in deiner Tasche trägst – das hat dann auch keinerlei Bedeutung?“ Dima ignorierte den warnenden Blick. „Ich wundere mich nur, denn wenn es keine Bedeutung hätte, hättest du es schon längst gegessen. Du Karamellfreak.“ Ruckartig drehte sich die Welt für Dima. Er merkte am Ziehen seines Kragens und den wütenden Blick, dass er bei seinem Trainingspartner einen wunden Punkt getroffen hatte, den es nicht wieder anzupeilen galt. Kostja blieb still. Doch seine Augen sprachen Bände. Gefährlich funkelten die Blauen den Älteren an. „Schon gut, Junge.“ Dima versuchte den harten Griff seines Gegenüber zu lösen. „Ich sprech das Thema nicht wieder an.“, Allmählich ging ihm die Luft aus und nur langsam löste sich die eiserne Faust. So schnell wie Kostja ihn geschnappt hatte, ließ er dann auch von ihm und lief weiter. Der Angegriffene lockerte seinen Kragen, um besser Luft zu bekommen. Karamellbonbons waren bei seinem jüngeren Trainingspartner ein heikles, wahrscheinlich auch gefährliches Thema. Dima grinste. Er würde diesen Punkt zwar nicht mehr aufgreifen, aber seine Neugier wollte er dennoch befriedigen. Was hatte es mit diesem acht Jahre altem Karamellbonbon auf sich. Er würde das Geheimnis lüften und vielleicht, nein mit bestimmter Sicherheit, war gerade diese Karamellbonbon-Affäre der Grund für Kostja verschlossenes Verhalten gegenüber dem weiblichen Geschlecht. Heilige! Das Grinsen auf Dimas Gesicht wurde immer breiter. Dieses Mädchen musste er kennenlernen. Erstes Kapitel Ende. Kapitel 2: Kirsch'blüte ----------------------- *** „Sakura, pass auf!“ Der Ton war scharf und ließ die Angesprochene zusammenzucken. „T'schuldigung.“, nuschelte sie aufgeregt und brachte sich in Position. Der Blick, welcher ihr zugeworfen wurde, war nicht mit Liebe beseelt. „Wenn du in einigen Jahren dieselben Erfolge wie dein Bruder erzielen willst. Musst du lernen dich zu konzentrieren.“ Stummes Nicken erfolgte. „Antworte, damit ich höre, dass du es auch verstanden hast.“, kam es schroff. „Ja, Papa.“, hauchte die Achtjährige. *** Kirsch'blüte * Ein wohlig warmer Duft von frischgebackenen Kirschkuchen breitete sich langsam in der kleinen Drei-Personen-WG aus. Hätte die Backmeisterin gewusst, dass mit Kostja heute nicht gut Kirschen essen war, es wäre Quarkkuchen geworden. Dank des Lärmschutzes nach DIN konnte sie Dimas Lachen durch das geschlossene Fenster hören und die Sendung des Nachbarn akustisch mitverfolgen. Gerade schien dieser durch die Programme zu zappen. Sie lauschte. Ah, heute mal wieder eine Kochsendung 'Die Zubereitung eines Braten'. Na fein! Es würde den gesamten Abend und die halbe Nacht nach Verbrannten riechen. Denn die verehrte Gattin des Nachbarn hatte die dumme Angewohnheit sämtliche Kochrezepte auszuprobieren, dass sie keine besondere Köchin war, wusste jeder im Eingang. Als ob der verbrannte Gestank nicht schon genug war, schienen die Übermieter im Ehekrach zu liegen. Ein Scheppern, gefolgt von einem Klirren und Kreischen, dann war Stille. Es hatte das das gute Geschirr erwischt, auch noch aus Ur-Omas Zeiten! Den Rest bekam die Bäckerin nicht mehr mit, denn das Klacken des Türschlosses hatte jetzt ihre Interesse geweckt. „Hey. Es riecht nach Kirsch.“ Es war Dimas Kopf, der zu erst zum Vorschein kam. Er strahlte und war das ganze Gegenteil von Kostja, der ohne ein Wort die Wohnung betrat und sofort in seinem Reich verschwand. Im Gegensatz dazu kam dessen Trainingspartner auf die junge Frau zu, die am Kücheneingang lehnte. „Hey, Leni. Es riecht mal wieder lecker. - Kirsch, nicht wahr?“, er grinste. Scheinbar wollte er von einem anderen Problem ablenken. Nur das Manöver klappte nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte. Leni ging nicht darauf ein. „Was hast du angestellt?“ „Nichts.“ „Dima!“, sie wurde laut. „Du musst was gemacht haben, das er so verärgert ist.“, die Arme wurden vor der Brust verschränkt und Blick auf den Unschuld spielenden war ungeduldig. Dima gab nach. „Er hat mal wieder seine Tage.“ „Seine..., was?“, sie sprach nicht weiter und starrte in ein Grinsen. „Ach Leni. Du kennst ihn, der kommt auch mal wieder raus.“ Da sprach der Unbekümmerte, während die Besorgte wieder in die Küche ging. Dima zog seine Jacke aus hängte sie sorgfältig an den Haken. „Mit was hast du ihn diesmal geärgert?“ Kritisch wurde nach dem Kirschkuchen im Ofen gesehen, um die Sorge wenigstens etwas zu verringern. „Ach nichts besonderes.“, lässig lehnte sich Dima an den Türrahmen der Küche und sah Leni bei der Arbeit zu. „Ich hab nur das Wort 'Karamellbonbon' erwähnt.“ Sie horchte auf. „Karamellbonbon?“ „Ja“, grinste es. „Er hat, wie soll ich sagen... er hat eine ganz besondere...“ „HALTS MAUL!“, eine unsanfte und unsittliche Unterbrechung, die von oben durch die Decke gedrungen war, ließ Dima inne halten. Genervt blickte Leni nach oben. Noch mal so ein Ding und sie würde mit dem Besenstiel gegen ihre Obermieter hämmern. Der Besen stand schon bereit. „Also, was war jetzt mit dem Karamellbonbon?“, sie lehnte sich gegen den Ofen, der bei einer solch kalten Zeit ein gern genutzter Wärmespender war. „Die hab ich aufgegessen und nicht an Kostja gedacht. Du kennst ihn ja, er ist verrückt nach dem Zeug.“, kam es in einer gespielten Verlegenheit von Dima. Leni besah ihn mit dem selben kritischen Blick, dem zuvor der Kuchen stand halten musste. „Nichts weiter?“ „Nö.“, das ruckelartige Kopfschütteln sollte das Ganze noch verstärken. Dima wusste, wenn ein Wink von Oben kam, dann sollte dieser auch angenommen werden. Selbst wenn es auf die Kosten der Nachbarschaft ging. Es schepperte erneut. Diesmal schien es das Teeservice zu sein. * Es gab nur wenige Sachen, die Kostja in der Wohnung sein Eigen nannte. Das meiste befand sich in seinem Zimmer. Dazu gehörte sein Bett auf dem er gedankenverloren saß. Für ihn waren fremde Betten eine grausame Vorstellung. Er wollte nicht wissen, was auf den Matratzen und mit den Gestellen schon passiert war. Für unvermeidbare Nächte außer Haus besaß er einen Schlafsack. Ja, in dieser Sache war er etwas penibel. Neben seinem Bett besaß er einen ganzen Schrank voll mit Büchern. Die einzelnen Regale bogen sich schon leicht durch. Es war nur noch eine Frage der Zeit bis dem Büchergewicht der Weg nach unten nicht mehr verwehrt blieb. Von fast jedem Genre ein Exemplar. Als Kind war er in die Märchen der Brüder Grimm und in jene, die ihn seine geliebte Babuschka erzählt hatte, eingetaucht. Nacherzählen konnte er sie alle. Später, interessierten ihn die großen Romane von Tolstoj, Hemingway und anderen Literaten. Er war mit Odysseus zu dessen Heimat Ithaka gereist, hatte Prinzessinnen von schaurigen Wesen befreit, erlebte die Ankunft des Marsmenschen, wurde von Feen verzaubert, litt mit Romeo und Faust und erfreute sich an Claudios und Iwans großem Glück. Das Kostja in gewissem Sinn eine romantische Ader besaß, konnte er nicht leugnen, aber gut verbergen. Neben diesen Dingen besaß er noch sein Notebook, eines von drei Dingen, die er aus Japan mitgenommen hatte. Es war seine Verbindung zu den geliebten und geschätzten Adoptiveltern. * Ein Kreischen und dann war Ruhe, bis sie erneute erbebte - ihre Stimme. „Mist! Wie habt ihr euch das vorgestellt?“, Hero blickte panisch zwischen ihren Bandkollegen hin und her. Das sich ihr zartes Organ fast überschlug und ihre Hände gefährlich an den eigenen Haaren zogen, war für sie unwichtig. Die Angesprochenen sahen erschrocken zu ihrem jüngsten Mitglied. Kein Wunder, sie war ja auch wie von Sinnen aufgestanden und hatte plötzlich losgeschrien. Vor Schreck war bei Jack die Saite gerissen und die Gitarre hatte beim Stimmen ein ekelhaftes und leierndes Geräusch von sich gegeben. „Hero. Alles okay?“, Kari sah ihre beste Freundin unsicher an. „Nein!“, kam es panisch. Gilbert erbarmte sich und ging auf die Jüngste zu. „Hero.“, er hatte ihre Aufmerksamkeit. Vorsichtig nahm er ihre Hände in die Seinen und versuchte die verkrampften Finger aus den schwarzen Strähnen zu lösen. „Jetzt bleib mal ganz ruhig und sag uns welcher Gedanke gerade in dein hübsches Köpfchen geschossen ist, dass du uns alle so erschrecken musst.“, der beruhigende Unterton hatte sich gegen Ende zu einem leicht tadelnden Vorwurf gewandelt. Ohne die Gelegenheit zu haben, mit ihren Händen wie wild zu gestikulieren – sie wurden von Gilbert gehalten – stammelte die Japanerin los. „Leute, wir können das Konzert, nein … ich … ihr müsst das Konzert alleine geben.“, nun war es raus. „Wie, du willst die Schulaufführung platzen lassen?“, Joe sah sie erstaunt an. „Was? Nein, die doch nicht. Ich mein Russland.“, ihr Blick wechselte zwischen Joe und Gilbert. „Du kannst übrigens meine Hände wieder los lassen.“, meinte sie zum Letzteren. „Sicher?“ „Ja.“ „Und warum?“ „Na weil ich meine Hände wieder unter Kontrolle hab.“, sie lächelte leicht. „Das meint er nicht.“, klinkte sich nun Nitan mit ein. „Nicht?“, verwundert sah Hero den Briten an, der nur langsam von ihren Fingern ließ. Dieser zeigte nur ein leichtes Grinsen. „Nein. Ich wollte wissen, wie die anderen sicherlich auch, weshalb du nicht mit nach Russland willst oder kannst.“ „Achso … na, wegen der Schule. Ich hab doch Prüfungen.“, auf ihrem Gesicht zeichnete sich die purer Panik ab, denn ein weiterer Gedanke ließ sie nervös werden. „Ihr habt ja auch Prüfungen. Och nein.“ Diese Information sickerte nur langsam bei den anderen ins Hirn. Die Erkenntnis traf die ersten wie ein Schlag. Schule, wer dachte schon bei einem internationalen Auftritt an Schule. Niemand, außer Hero. Doch Irren war menschlich, denn es gab noch jemanden, der sich an die Konsequenzen beim vier Wochen langen wegbleiben von der Schule erinnert hatte. „Na, wenn weiter nichts ist.“, flötete es aus der hintersten Ecke des Proberaums. „Wie wenn's weiter nichts ist?“, wiederholte Nitan empört und starrte wie der Rest in den riesigen Schatten, aus der die Stimme gekommen war. „Schon mal was von Fernunterricht gehört? - Autsch.“ Ein Klirren verriet, dass die Person gegen das veraltete Schlagzeug gekommen war. „Und hast du schon mal was von Genehmigungen gehört?“, nervte Kari. Nach ihrer Erfahrung konnte sich so etwas in dieser Schule Monate hinziehen. Langsam tauchte die Unbekannte aus dem Schatten auf. An ihrer Kleidung haftete der Staub von vier Jahren. „Was hast du gemacht?“, Nitan stand in unmittelbarer Nähe, doch dies wurde rasch geändert. Schmutz! Uuh. „Inventur.“, grinste die Angesprochene und folgte der Blonden einige Schritte, nur um zu provozieren. Schließlich wusste sie um deren pingeligen Reinigungsfimmel. „Bleib wo du bist!“, fauchte die Verfolgte und zog es in Betracht sich neben der Tür zu postieren. Sicher war sicher. Von Madame 'Ich-hab-vier-Jahre-alten Staub-an-mir-hängen' kam nur ein amüsiertes Lachen, das jedoch schnell wieder verflog, denn ihr Blick richtete sich auf Hero. Diese hatte es sich in der Zwischenzeit neben Kari auf der Couch bequem gemacht. „Und nun zu dir.“, der Staubfinger zeigte auf die Jüngste in der Band. „Du brauchst dir keine Sorgen machen, ist alles schon mit dem Direktor abgeklärt, dank Internet und Email. Das gilt übrigens für uns alle.“, ein Auftreten wie Superwoman, die mit einem siegreichen Lächeln in die Runde sah. „Und was heißt das jetzt?“, Kari stand, besser gesagt, sie saß auf der Leitung, während Hero schon mit Strahlen anfing. „Schnucki. Das heißt für uns alle gibt es Fernunterricht über das Internet, damit wir nichts vom Stoff verpassen und für die Prüfungen gewappnet sind.“ „Nicht dein Ernst.“, kam es von Gilbert. „Doch.“ „JU, du bist die BESTE!“, quietschte Nitan und schaffte es gerade so dem Drang zu widerstehen, das verstaubte Etwas zu drücken. „Aber bevor ich dich zerquetsche, geh Duschen.“ „Da bleib ich lieber schmutzig.“, herausfordernd streckte sie Nitan die Zunge entgegen. * „Takeru. In zwei Monaten ist es soweit.“ „Ich weiß.“ „Gut. Dann bist du dir auch bewusst, was für dich das Ziel ist?“ „Ja, Vater.“ Takeru spürte die Präsenz seines Vaters im Rücken. Seine feinen Nackenhaare stellte sich auf, während er in die Nacht blickte. „Der Sieg.“, war seine Antwort auf die nonverbale Frage, die im Raum geschwebt hatte. „Ja.“, erklang es streng. „Leg dich schlafen. Das Training wird hart.“ Takeru nickte. Das leise Rauschen der Tür verriet ihm, das sein Vater gegangen war. Wieder einmal würde er eine WM ohne 'sie' bestreiten. Niemand aus seiner Familie hatte ihm gesagt, wo seine geliebte kleine Schwester hingegangen war. Sie war einfach weg, ein Jahr vor der zweiten Weltmeisterschaft. Und weshalb war sie gegangen? Nicht einmal den Grund kannte er. War sie denn nicht glücklich gewesen? Reuevoll blickte Takeru auf den Boden. Er, ihr großer Bruder, hätte sie beschützen müssen. Sie war doch seine kleine Imouto-chan. Die Finger krallten sich in das Hakama. „Opa, wo ist Sa-chan?“ Traurig blickten die alten Augen auf, während die Hand auf eine Stelle zum Setzen deutete. Der Enkel kam der stummen Bitte nach. Wie sollte er es dem Jungen erklären? Er konnte ihm doch nicht einfach sagen, dass seine Schwester die Koffer gepackt und der Familie entsagt hatte. Heilige! Nein. Aber irgendeine Erklärung musste er bringen. „Opa.“, forschend betrachtete Takeru seinen Großvater. Der Angesprochene nickte und deutete an, ihm noch einen Moment zu geben. Egal, welchen Weg er für die Erklärung gegangen war, er kam immer wieder zu dem einen Ergebnis, das eine Lüge nicht half. Ein letztes Mal atmete er tief ein. „Deine Schwester … versucht ihr Leben für sich zu gestalten.“ „Was meinst du damit?“, verwirrt sah Takeru zu dem alten Mann. „Vieles im Leben wird im ersten Moment nicht verstanden, Takeru-chan. Und es braucht Zeit gewisse Entscheidungen zu verstehen, besonders jene, die von geliebten Menschen getroffen wurden.“, müde senkte der Alte den Kopf. „Die Wahl deiner Schwester hab ich auch nicht verstanden, denn der Weg, den sie gewählt hat ist nicht an der Seite ihrer Familie.“ „Du meinst, sie hat unsere Familie verlassen?“, es war nur ein Hauch den seine Stimme hervorbrachte. Opa nickte. Er hätte es seinem Enkel auch ohne Ausschmückung sagen können, aber das wäre wahrscheinlich zu hart gewesen. „Warum hat man sie nicht aufgehalten?“, die Panik schwang mit. „Sie ist doch noch so jung, sie ist elf. Sie ...“ „Sie hat ihr Leben gewählt.“ Takeru wirbelte herum. Irritiert blickte er zu seinem Vater, der mit strenger Miene auf seinen Sohn herabsah. „Vater.“ „Lass dir eines gesagt sein, mein Sohn. In diesem Haus wird der Name deiner Schwester nie wieder erwähnt. Ihr Name 'Sakura' ist aus den Chroniken unseres ehrwürdigen Stammbaumes gestrichen.“, der Tonfall ließ keinen Widerstand zu. Takeru fügte sich und verneigte sich stumm. Was hatte seine kleine Schwester getan, das Vater so erzürnt reagierte. Als das zehnte Oberhaupt des Kato-Clans die Halle verlassen hatte, sah der Junge fassungslos zu seinem Großvater. „Was ist passiert? Und warum hat man sie nicht aufgehalten, warum hast du sie nicht aufgehalten?“, hauchte er. Seine Hände umfassten die Schultern des alten Mannes und fingen an ihn zu schütteln. „Du hast es zugelassen. DU! … Sie hat dir vertraut, sie hat dich mehr gemocht als Papa! Und du hast sie gehen gelassen!“, er schrie. „Takeru, komm zur Vernunft.“, der Alte riss sich los und packte den Jüngeren an den Handgelenken. „Sei vernünftig!“ „Du solltest dich fragen, wer die Vernunft nötiger hat.“, zischte Takeru. „Sie hat die Familie verlassen. Es ist das Recht des Oberhauptes abtrünnige Mitglieder aus den Chroniken zu bannen.“ „Ja, ich weiß.“, gab der Jüngere klein bei. „Aber sie ist doch erst elf.“ Die Erinnerungen waren schmerzhaft. Weshalb seine kleine Schwester die Familie mit elf Jahren verlassen hatte, wusste er nicht. Niemand hatte ihm eine Antwort gegeben. Seit jenem Tag hatte sein Vater die Tatsache Sakura aus dem Gedächtnis aller zu löschen, wahr gemacht. Es gab 'fast' nichts mehr im Dojo oder im Haus, das öffentlich darauf hingewiesen hätte, das er einmal eine Schwester gehabt hatte. Alles was an sie erinnerte oder mit ihr im Zusammenhang stand, wurde vernichtet oder weggeschlossen. Ihre Kimonos: verschenkt. Nur einen konnte er damals retten und den verbarg er gut unter den Seinen. Die Shinais mit denen sie geübt und Trainingskämpfe bestritten hatte: verbrannt. Das Zimmer, welches ihr Reich gewesen war, durfte nicht mehr betreten werden. Ein verächtliches Schnauben kam von Takeru. Sein Vater hatte einen Hang für theatralische Übertreibung. Der Raum war leergeräumt und gab keine Erinnerungen mehr her, welche Gefahr sollte von dort ausgehen. Vielleicht ihr Geist, der jeden verfluchte? Schwachsinn! Ein Lächeln kam zum Vorschein und es wurde breiter, bis ein Grinsen erschien. Vater konnte die Säuberung noch so reinlich durchgeführt haben, doch eine Sache, die durfte und konnte er nicht verbannen. Sakuras Katana. Jedes Mitglied des Kato-Clans besaß ein eigenes Schwert. Es wurde nur für eine Person geschmiedet und die symbolische Übergabe fand meist am Tag der Geburt statt. Die Klinge seiner Schwester befand sich sogar noch unter einem weißen Seitenumhang an ihrem Platz, dritte Reihe von links neben seinem Katana. Weder er oder ein anderes Clanmitglied, geschweige denn sein Vater – das Oberhaupt – durften dieses Schwert berühren. Ein Gesetz, welches in der ersten Generation erlassen wurde, verhinderte die komplette Auslöschung abtrünniger Familienmitglieder. Aber nur, wenn diese ihre Klinge nicht mitnahmen. Denn der Erlass besagte 'Es ist nicht gestattet, das Katana eines Familienmitglieds ohne dessen Einverständnis anzufassen, zu berühren oder es aus der ehrwürdigen Halle unseres Clans zu verbannen. Egal, welches Verbrechen der Besitzer begangen hat.', es stand zwar nicht so in den alten Schriften, aber so ähnlich. „Mama, werde ich auch mal so gut sein, wie Onii-san?“ „Bestimmt, mein Herz.“ * Das Kirschen verlockend waren, bekam auch Kostja mit. Der stetige Duft von warmen Kuchen, der mit dieser saftig und süß schmeckenden Kernfrucht gefüllt war, breitete sich unaufhörlich in seinem Zimmer aus. Seinen Hunger konnte er nicht verleugnen, denn der Magen gab seit einer halben Stunde das Startsignal zur Essensaufnhame. Damit blieb Kostja nur eine Möglichkeit, raus aus dem Zimmer und drauf auf den Kuchen. „Hey, Koschja.“, fröhliche mampfte Dima das erste Stück in sich hinein. „Hasch Hunger?“ „Kau aus, schluck und dann sprich.“, mahnte Leni, bevor sie sich an den Hungrigen wandte. „Hier, das Stück ist für dich. Beeil dich, sonst landet es auch noch in Dimas Bärenmagen.“, lächelnd hielt sie ihm den Teller mit Kuchen entgegen, der sofort abgenommen wurde. „Danke.“, Kostja setzte sich an das Tischende und begann zu essen. Leni, die ihm dabei zusah, seufzte. „Sei nicht traurig.“ Verwundert blickte der Angesprochene auf, während sie weiter sprach. „Dima hat mir alles erzählt.“ Was hatte er erzählt? Ein böser Blick traf den Ältesten in der Runde, der sich fast an einem Kirschkern verschluckte. Der Verrückte hatte ihr doch nicht die Sache mit dem Karamellbonbon erzählt. „Kostja.“, er sah wieder zu Leni. „Nicht böse sein. Dima hat mir versprochen, das nächste Mal einige Bonbons für dich übrig zu lassen.“ Bonbons – was für Bonbons? Irgendwas schien er verpasst zu haben, das wurde Kostja bewusst. „Nicht war Dima?“, dieser bekam gerade einen Tritt gegen das Schienbein, während sie ihn erwartungsvoll ansah. „Wasch?“, ein Blick zu ihr und die Sache war klar. „Äh … ja. Natürlisch, näschtes Mal lasch isch dir wasch übrisch.“ Für Kostja war es in diesem Fall besser dem Ganzen einfach mit einem 'Okay' beizustimmen und ganz nebenbei sollte er Leni endlich zum gelungen Kuchen gratulieren. Ende zweites Kapitel. Kapitel 3: Geliebte ... Liebe! ------------------------------ *** 'Liebe' Autsch! Das Thema hatte es in sich. Gelangweilt saß Kari im Unterricht und angelte mit dem Stift einige ihrer Strähnen aus dem Gesicht, während die Lehrerin einen Endlosmonolog von Goethe hielt. Besser gesagt, von Goethes verfassten Faust. '… Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin, und leider auch Theologie durchaus studiert, mit heißem Bemühn. Da … ' Leider waren dies auch die einzigen Verse, die Kari noch klar mitbekam. Der Rest ging in Tagträumen unter, während der gedankenverlorene Blick auf die Fenster gerichtet war, wo sich die Natur mit ihrer eisigen Kälte gegen die Scheiben drängte. Es schneite! Und wie es das tat, die ganze Nacht schon. Viele Mitschüler von den umliegenden Ortschaften waren erst gar nicht erschienen. In der Klasse befanden sich gerade mal vier ihrer Klassenkameraden und das auch nur, weil sie mit im Internat lebten. Eigentlich waren es fünf, aber der Fünfte lag mit einer Grippe im Bett. Mit der Zeit wurde der Schneefall langweilig. Karis Blick schweifte den vor ihr liegenden Block. In schönster Schrift, die ihre Laune gerade emporgefördert hatte, stand auf einem der vielen Blätter in einem quietschenden Finliner-Rosa 'Liebe' ganz groß als Überschrift. Ach ja, die liebe Liebe! Kari war verliebt. Die Gedanken wanderten immer wieder zu ihrem Angebeteten. Ganz langsam versank sie erneut in einen ihrer sommerlichen Tagträume, als eine Hand unerbittlich auf ihren Tisch knallte. Kerzengerade saß die Träumerin da und blickte erschrocken nach oben, direkt in das Gesicht ihrer Lehrerin. „Ich hoffe, wir haben süß geträumt?“ Süß schon, aber das Erwachen war ein wenig heftig - für Karis Geschmack. „Äh, nein. Hab ich nicht, ... ich hab zugehört und meine Gedanken während ihres Monologs dazu schweifen lassen.“, um eine Ausrede war sie nie verlegen. „Na, das hören wir doch gerne.“, der Blick der Lehrerin wanderte mit dem freudigen Lächeln eines Dämons über die Klasse und landete zielstrebig wieder bei ihr. „Da will ich Sie nicht weiter stören und hoffe, dass Sie mir und der Klasse bis Morgen in einem fünfseitigen Aufsatz das Thema 'Die Problematik der Gretchen-Tragödie in Faust im Zusammenhang mit der damaligen Sichtweise der Gesellschaft zu Goethes Zeiten' erörtern können.“ Kari schluckt. Ei, das würde eine lange Nacht werden, eine sehr lange. Wie gut, das es jemanden wie Jack gab. Als Jack vom Schluckauf heimgesucht wurde, weil Kari hilfesuchend an ihn dachte, befand er sich dafür am ungeeignetsten Ort der gesamten Schule. In der Bibliothek. Dieser Ort war die zweite Heimat für den wahrscheinlich strengsten Aufseher unter den Bibliothekaren dieser Welt. Mr. Wallace! Mr. Wallace war kein Mann der Geräusche einfach so billigte, und schon gar nicht wenn es ein einfacher 'Schluckauf – Hicks' war. Dies bekam auch Jack zu spüren. Sein erster 'Hicks' entkam ihm für die Stille, die in diesen Räumen vorherrschte, relativ laut. Er war selbst über sich erschrocken und bevor er richtig darüber nachdenken konnte, stellten sich bei ihm die Nackenhaare auf. Der erboste Blick des englischen Ordnungshüters war der Auslöser. Jack wagte es gar nicht in dessen Richtung zu sehen. Um die Bibliothek weiterhin als Ort des stillen Lernens zu wahren, stand Jack leise auf und nahm die Bücher und Aufschriften über denen er gerade gesessen hatte mit nach vorne zum Ausleihbüro. Die betagte ältere Dame, nicht mit Mr. Wallace liiert, blickte ihn streng durch ihre Brille an. „Ich möchte gern – 'Hicks' – diese Bücher ausleihen. Wenn – 'Hicks' – möglich übers Wochenende?“, immer freundlich Lächeln und diesen verdammten Schluckauf vergessen. Doch der Frau schien sein plötzlicher Schluckaufanfall nichts auszumachen. Mit einer Gelassenheit, von der sich Mr. Wallace eine Scheibe abschneiden konnte, deutete sie auf eine Karteikarte. „Name, Klasse und Hausvater hier eintragen!“ Während Jack seine Daten bekannt gab, notierte sich die Frau die Buchtitel und die Zeit der Ausleihe. „Bei allen Büchern bis nach dem Wochenende.“ Es wurde noch eine Unterschrift unter die Liste gesetzt und er konnte die Räumlichkeiten verlassen, während sie den Zettel mit der Karteikarte zusammen tackerte. Schleunigst verließ Jack die Bibliothek, aber nicht ohne Mr. Wallace seinen Gruß zu hinterlassen – nonverbal. Denn jeder 'Hicks' brachte den Mann nur ein Stück näher auf die Palme. Jack war keine fünf Meter weit gelaufen, da wurde er auch schon abgefangen. „Jack!“, hallte es durch den Flur. Ah! Die Stimme kannte er doch. Sofort blieb der Angesprochene stehen und drehte sich um. Eine strahlende Ju kam mit schnellen Schritten um die Ecke gesaust und hielt direkt auf ihn zu. Ihre Augen wurden groß als sie den Bücherstapel in den Armen ihres Bandkollegen betrachtete. „Bist du zum Bücherschleppen degradiert?“ „Was? Nein! Ich brauch die, für meine Abschlussarbeit.“ „Oh, okay. Was war dein Thema?“ „Das Theater im Wandel der Zeit – von den Anfängen bis zum 21. Jahrhundert.“ „Is' klar Alter. Aber du weißt schon, dass das eine Schulhausarbeit und keine Studienarbeit für ein Diplom oder den Doktor werden soll?“ Bei Hausaufgaben mutierte Jack immer zum König der Streber. „Klar, weiß ich. Deshalb schreib ich ja auch nur über das Theater.“ „Nur über das Theater … und das im Wandel der Zeit?“, ein skeptisches Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, aber sie kannte ihren Gegenüber schon lange genug. „Okay, dann schreib. … Soll ich dir tragen helfen?“ Da ließ sich Jack nicht zweimal fragen, doch ganz Gentleman überließ er Ju nur zwei von den fünf Büchern. Beide wollten gerade zu den Gemeinschaftsräumen gehen, als Ju stehen blieb und ihren Bandkollegen verwirrt anblickte. „Sag mal, hast du jetzt nicht Stillarbeit?“ „Ja, schon. Aber ich hab nen Schluckauf.“, verwundert unterbrach sich Jack selber und lauschte. „Aber wie es scheint, jetzt nicht mehr.“ „Schluckauf bei Wallace!“, Ju sagte dies, als sei es das Schlimmste, das einem je passierten konnte. Wahrscheinlich hatte sie recht. Der alte englische Bibliothekar hatte, wie er selbst sagte, schon der Queen ein Buch empfohlen. * „Von wem kam gerade der Anruf?“, mit einem Lolli im Mund blickte Dima dem Jüngeren über die Schulter. „Beljajew.“ „Was wollte der?“ „Fragen, ob ich bei der WM dabei bin.“ „Und?“ „Was und?“, Kostja drehte sich um und sah Dima an. „Hast du zugesagt?“ „ … .“ „Kostja!“ „Was?“, kam es gereizt. „Komm schon Alter, sag zu. Diesmal kannst du diesem Japaner so richtig eins drauf geben.“, um seine Worte zu veranschaulichen, schien Dima gegen einen unsichtbaren Gegner zu boxen. „Falls du es vergessen haben solltest, wir praktizieren Kendo und kein Schattenboxen.“, es klang genervt. „Schon klar.“, grinste der Angesprochene. „Hey, jetzt ruf diesen Beljajew zurück und sag ihm, wir sind dabei!“ „Wir?“, dezent schwang sich die Augenbraue nach oben. „Ja, wir. Du und ich … und Leni, als unsere gute Seele und Aufpasserin, sonst stellen wir ja sonst noch was an.“, ein volles Lachen erklang. Jetzt zeigte auch Kostja sein Lächeln. „Aber das sagst du ihr.“ „Oma, warum willst du nicht, dass ich allein auf den großen See gehe?“ „Weil ich Angst hab, dass er dich verschlingt.“, kam es sanft von der Alten, während sie die Milch auf dem Ofen vom Feuer erwärmen ließ. „Warum sollte er mich verschlingen? Er ist doch zugefroren.“ „Deswegen mein Junge, deswegen.“, hauchte sie. „An manchen Stellen ist das Eis nicht dick genug und bevor Pawel Iljin keine Freigabe gibt, lass ich dich nicht dort hin.“ Ihr Lächeln war faltig, aber voller Wärme als sie ihren Enkel ansah. „Okay. Dann werde ich dir keinen Kummer machen.“, versprach er freudig. Seiner Oma, seiner geliebten Babuschka, konnte er solch eine Bitte nicht abschlagen. Sie war schließlich immer so lieb zu ihm, da sollte er es auch sein. * Die Menschen hatten auch in Japan mit den Schneemassen zu kämpfen. Immer wieder mussten sie das lästige Weiß wegschippen, nur mit dem Resultat, dass es nach einer Stunde Dauerschneefall so aussah als sei noch gar nichts gemacht worden. Zu allem Überfluss war da auch noch diese Kälte, die nach einem Gierte, sobald das warme Heim verlassen werden musste. Ja, musste! Wer konnte blieb daheim. Selbst der Hund wurde nicht vor die Tür geschickt. Es herrschte Winter. Die eisige Kälte dieser Jahreszeit war auch im Dojo spürbar – doch der Schweiß floss an ihm herunter, als sei der Sommer über seinem Kopf hereingebrochen. Ein schmerzhafter Schlag auf sein Handgelenk ließ ihn zusammenzucken. „Takeru! Was soll das?“, barsch wurde er angefahren. „Wenn du so weiter machst, kann ich dich auch von der WM fern halten.“ „Nein! Vater.“, kam es demütig. „Dann streng dich an! Die Lektion nochmal, von Anfang an!“ „Ja, Vater.“ Takeru war außer Atem. Es war früher Abend und seit heute Morgen hatte er trainiert und nun wollte sein Körper nicht mehr. Doch das war dem Oberhaupt egal. „Wenn er ihn weiter so hart ran nimmt, kann es sein, dass er zusammenbricht.“, leise, wie ein Wispern vom Wind, kamen die Worte und drangen in das Bewusstsein des Alten. „Er packt das schon.“, flüsterte dieser rau und im gleichen gedämpften Ton zurück. „Hoffentlich. … Tsuyoshi-san hat es schon mal geschafft, ein Mitglied zu verjagen.“ „Leise.“, mahnte der Greis. „Takeru-chan ist stark. Er wird es ertragen.“ „Mögen eure Gebete diesmal besser erhört werden. Sonst gibt es keine Zukunft für dieses Haus.“ Das wusste der alte Mann auch. Betrübt sah er auf seinen Enkel, das einzige Glück, was ihm in dieser Welt geblieben schien – seit Sachikos Ableben. Sachiko, seine sanfte und edle Schwiegertochter. Ihr Tod betrübte ihn noch immer, denn seit diesem unheilvollen schwarzen Tag hatte sich alles verändert. Aus seinem großherzigen und liebevollen Sohn und Familienvater war ein verbitterter und sturer Dummkopf geworden – der sein eigenes Kind, das der Mutter so ähnlich sah, verjagt hatte. Den Auslöser dafür kannte er nicht, und nun musste der Alte erneut mitansehen, wie dem erstgeborenen Enkelkind der gleiche Zorn entgegen kam. Und er? Er konnte nichts tun. Er war alt und seit Takerus Geburt nicht mehr Oberhaupt des Clans. Also betete er und das täglich. 'Mögen die Götter über dich wachen, Sakura – und gnädig mit Takeru sein.' „Du, Opa.“, Kinderaugen blickten fragend. „Ja, meine Kleine.“ „Wo is' Mama?“, sie legte den Kopf schief. Er strich ihr übers Haar. „Siehst du die Sterne dort?“, mit der anderen Hand zeigte er zum Nachthimmel. „Ja.“, ihr Blick folgte der Bewegung. „Deine Mama, mein Liebes, ist jetzt dort oben.“ „Sie is' ein S'tern?“, Skepsis schwang mit. „Eh … ja, deine Mama ist ein Stern.“ Eigentlich sollte die Erklärung anders stattfinden, aber wenn sie in diese Richtung verlief, dass Mama zum Stern geworden war, dann sollte es dem alten Mann auch Recht sein. Vielleicht war es so einfacher für sie. „So wie im Märchen?“ „Welches Märchen?“ „Das, was Mama mir erzählt.“ „Deine Mama hat dir immer viele Märchen erzählt.“ Sie nickte, lächelnd. „Welches meinst du denn?“ „Na das, mit dem S'tern und dem König.“, das Mädchen stand auf. „Warte hier Opa, ich bin gleich wieder da.“, schon rannte sie aus dem Raum, kam aber bald darauf wieder und hielt ihm ein Buch entgegen. „Das hier.“, mit ihren kleinen Fingern zeigte sie auf den Titel. „Der Sternenwanderer.“, flüsterte er. „Ja, magst du mir vorlesen?“ Der Alte deutete mit der Hand neben sich. Mit dem Blick zum Himmel bettete das Kind ihren Kopf auf Opas Schoss und lauschte der Stimme, die heute irgendwie traurig klang. * Die Kälte kroch langsam über ihre Füße nach oben. Verdammt war das kalt! Glücklicherweise hatte es mit Schneien aufgehört. Dick eingepackt stapften Nitan und Hero durch die Landschaft. Böse blickten sie zu den Jungs, die weiter vorne ihren Spaß hatten und sich mit Schneebällen bewarfen. An dem Fußmarsch war nur Gilbert Schuld. Schließlich war es seine Idee gewesen ins Dorf zu laufen und Joe, der hatte grinsend die Mädchen dazu überredet mitzugehen. 'Die Straßen seien frei!' – Von wegen. Hier lag meterhoch der Schnee. Hero vergrub ihr Gesicht noch tiefer in den Schal, die Finger spürte sie schon lange nicht mehr. Es war nicht ihr erster Winter in der Schweiz, wenn es aber nach ihrer Meinung ging, war es der Frostigste. Mit einem kurzen Blick schielte sie zu Nitan, der die Kälte nichts auszumachen schien. Oh ja, die Blonde hatte es gut. Schließlich kam sie aus Finnland, das lag ja irgendwie gleich neben Russland und dort war es eh immer kalt. Sie seufzte. „Sag mal, wer von den Beiden hatte noch mal die blöde Idee ins Dorf zu laufen?“, nuschelte die Japanerin in ihren Schal. „Gil.“, hauchte die Blonde und zog ihre Mütze etwas tiefer. „Und warum sollten wir mit?“ „Um die Jungs zu beraten, was sie für Geschenke kaufen sollen.“ „Hat Gil deins nicht schon?“ „Ja, deswegen ist er vergangene Woche schon im Dorf gewesen. Da hat er aber Kari und Ju mitgezerrt. … Heute sind wir dran, schließlich soll der Rest der Band auch was bekommen.“ „Aha.“, Hero seufzte, während sie sich in ihrem Kopf schon eine leckere Schokolade und eine warme Dusche vorstellte. Oh ja, das waren tolle Vorstellungen, doch dazwischen lagen noch drei Kilometer ins Dorf, eine fachmännische Beratung und fast vier Kilometer wieder zurück. Sie würde bis dahin erfroren sein, vielleicht nicht ganz, aber ihre Füße auf jeden Fall. Zur selben Zeit wurde Jack, der Strebsame von Kari, der Träumerin belagert. Ihre Strafarbeit in Literatur stand noch aus. Und ohne Hilfe, das wusste sie, konnte bei dem Thema und diesem Drachen von Lehrerin gleich das Zeitliche gesegnet werden. „Komm schon Jack, hilf mir, bitte!“, bettelte sie. „Nein, das musst du jetzt selber machen. Ich kann vielleicht nachher noch drüber lesen, aber ich hab jetzt keine Zeit.“ „Dann halt nachher, wenn du eh drüber gelesen hättest.“, konterte Kari und hatte dabei ihren traurigsten Blick aufgesetzt, der sogar einem Welpen Konkurrenz machte. Jack sah sie an. Himmel! Das Mädchen immer diese Masche abzogen, nur um zu bekommen was sie wollten. „Kari, deine Lehrerin wird bemerken, dass jemand anderes den Aufsatz geschrieben hat, und nicht du.“ „Ach, quatsch. Ich ändere den noch ein bisschen ab und dann hört sich morgen alles an wie meins.“, sie grinste. „Und außerdem, sollst du den Aufsatz nicht schreiben, sondern mir nur dabei helfen.“ Der Angeflehte seufzte. Wenn es etwas gab, das Kari auf jeden Fall beherrschte, dann war es hilfsbedürftig zu blicken und mit den Augen zu klimpern, dass er einfach nicht 'Nein' sagen konnte. „Okay.“, seufzte er. Es erfolgte ein Jubelschrei. „Aber nur, eine Stunde. Mehr Zeit hab ich nicht.“, mahnte Jack und ließ sich in den Sessel fallen. * Er fühlte fast nichts mehr. Seine Glieder waren taub, nur Herz und Atmung schienen ihre Funktion nicht verloren zu haben. Das Training hatte sein Wirkung und es war hart gewesen, manche hatte er 'brutal' flüstern hören, als er mit schweren Schritten die Halle verließ. Ein Zittern hatte ihn auf dem Weg zu seinem Zimmer überkommen, wurde verstärkt von einem Brechgefühl, dass beides jedoch wieder abgeklungen war. Jetzt lag er einfach nur und wollte sich nicht mehr bewegen. War er doch der Meinung, seine Sehnen würden reißen und die Muskeln den Kraftakt eh nicht mehr schaffen. Er konnte nicht mehr. Selbst das Schließen der Augen fiel im schwer, war gar unmöglich. Also starrte er zu Decke und betrachtete die einzelnen Unebenheiten, die den Eindruck einer unwirklichen Mondlandschaft gaben. Nie, in seinem bis her gelebten Dasein, hatte er solch ein Training absolviert und einen Vater so kalt und unerbittlich erlebt. War das der Grund für Sakuras verschwinden? Das eisern geführte Regime des Oberhauptes, der diesen Weg nur eingeschlagen hatte, um das Ziel 'Erfolge zu erbringen' zu erreichen. Wenn ja, sie hätte doch was sagen können und nicht weg gehen brauchen. Nur ein Wort. Takeru seufzte. Es war verrückt. Immer wieder fanden seine Gedanken zu seiner Schwester und deren Abkehr von der Familie. Egal, mit was er sich beschäftigte – Sakura schien in seinem Kopf allgegenwärtig. Je mehr sein Vater versucht hatte, sie in Vergessenheit geraten zu lassen, desto öfter war Takeru zu seiner Tante Amaya gegangen und hatte mit ihr über seine Schwester geredet und gleichzeitig Kindheitsgeschichten seiner Mutter gehört. Seine geliebte Mutter. Ein brennender Schmerz kam in ihm auf. Es tat weh. Alles zog sich zusammen und schien ihn peinigen zu wollen. Warum verlor er die Menschen, die er so liebte? Takeru schloss die Augen, um dem aufkeimenden Drang sich von der Melancholie leiten zu lassen, standzuhalten. Es fiel ihm schwer. 'Mama' Geliebte Mutter! Ihr Bild schoss ihm durch den Kopf und im nächsten Moment sah er seine lachende Sakura. Geliebte Schwester! Beide waren fort. Die eine Tod, ihre Asche ruhte in einer Urne im Schrein und die andere lebte, war aber verschollen und niemand hatte eine Spur. Ende drittes Kapitel. Kapitel 4: Freundschaft. ------------------------ *** Sie schrie! … und wollte im Grunde gar nicht mehr aufhören. Doch irgendwann versagte auch die kräftigste und ausdauerndste Stimme des Universums, nur um eine beängstigende Stille für die gepeinigten Ohren zu hinterlassen. Es passierte nicht jeden Tag, dass die Nachbarn was zu hören bekamen. Zu oft herrschte in Wohnung 20, Hauseingang Nr. 3 – nicht in Moskau ansässig, eine beruhigende Stille. Die dazu führte, dass manch ein Blockmitbewohner dachte, die dort lebende Jugend konsumiere Hasch oder andere beruhigende Mittel. Daher war es ein wahres Ereignis für die umliegenden Mieter von Block Nr. 3, wenn nach ewiger Ruhe der Sturm ausbrach. Das der Sturm aber so heftig wurde, daran hatten Kostja und Dima nicht im Traum gedacht. Ihre herzensgute und nach Gerechtigkeit strebende Mitbewohnerin förderte in ihrer Wut eine Seite zu Tage, die der Öffentlichkeit lieber vorenthalten werden sollte. Das Gesicht hatte sich wegen der anstrengenden Schreierei gefährlich gerötet. Jetzt stand Leni einfach nur da und starrte ihre beiden Jungs an, die mit beschämten Gesichtsausdruck zu Seite blickten. Gerade so, als sei die verhasste Vase zu Bruch gegangen, nur um im Nachhinein zu verdeutlichen, dass sie aus der Ming-Dynastie entstammte. „Leni.“, Dima versuchte den Anfang, doch der erboste Blick ließ ihn inne halten und weiterhin betroffen zum Boden blicken. Wenn Leni sauer war, dann aber richtig. Dagegen waren Kostjas Ausbrüche Balsam für die Seele. „Jungs! Was glaubt ihr eigentlich, wer ihr seid?“, zischte es mehr, als artikuliert wurde. „Glaubt ihr eigentlich ich hätte in den fünf Wochen...“ „Drei, knappe vier.“, unterbrach Dima, sich dessen bewusst, dass er sich dem Tod weiter näherte. „... unterbrich mich nicht! Glaubt ihr ich hab in der Zeit nichts zu tun?“, grollte sie mit beleidigten Unterton. Es war aber auch eine Frechheit einfach im Redefluss gestört zu werden. Aber auf ihre Frage, da trat nur verhaltenes Schweigen ein. Typisch! Da gab sie den Jungs – besonders Dima – die Möglichkeit zu sprechen und nun, nahm er sie nicht wahr. Also setzte Leni ihren Monolog fort. „Was glaubt ihr, wie ich meinen Beitrag für die Miete zusammen bekomme? Bestimmt nicht mit Kuchen backen und Wäsche waschen.“, sie unterbrach sich selbst und rieb sich die Stirn. „Ich arbeite, während ihr zum Training geht und euer Geld vom Elternhaus oder vom Förderverein des russischen Sportbundes, kurz: Staat bezieht, beziehungsweise von irgendwelchen Turnieren, die ihr gewonnen habt! Und von daher kann ich mir keinen vier bis fünfwöchigen Urlaub leisten!“ „Aber du kannst...“ „Nein, Dima! Ich kann nicht zu meinem Chef rennen und ihn darum bitten mich für fünf Wochen zu beurlauben.“ Treffer! Dima sollte lieber schweigen, denn jedes seiner Worte brachte die Sache nur noch mehr zum besagten 'Tropfen, der das Fass überlaufen ließ'. Aber Dima, wäre nicht Dima, wenn er den Fettnapf – der die Größe eine überdimensionalen Bottichs besaß – nicht mitnehmen würde. Und so stellte er eine Frage, die lieber unerwähnt geblieben wäre. Kostja traute seinen Ohren nicht, als er die Frage seines Trainingspartners realisiert hatte. Er wagte es nicht in Lenis Richtung zu blicken und es war besser so. Die gute Leni war kreidebleich und starrte wie vom Schlag getroffen in das grinsende Gesicht ihres Mitbewohners. In ihrem Kopf spielten sich tausend Möglichkeiten ab, wie sie Dima ermorden, erniedrigen, zusammenschlagen, ignorieren oder anschreien sollte. Doch nichts kam. „Also, was hältst du von dem Vorschlag?“, das Grinsen wurde breiter. Oh, die Frage hatte sie gebraucht. Der Damm brach und Dima wurde in ihrer Welt auf einmal ganz klein. Ja, so hatte Leni sich das immer vorgestellt, wenn sie den Spruch hörte 'ganz klein mit Hut'. „Du willst WISSEN was ich davon HALTE?“, ihre Stimme überschlug sich fast. „Ja … ?“, es klang unsicher. „ICH sag dir was ich davon HALTE! Ich halte davon rein GAR nichts! … Sag mal, was geht in deinem Kopf ab? Hast du den Schuss nicht gehört? Wann hast du das letzte Mal die Nachrichten gesehen oder gelesen?“, mit bebenden Nasenflügeln und einem Ausdruck im Gesicht, vor dem sogar eine Furie weinend weggerannt wäre, blickte sie den Utopisten an. Das Beide sich durch den Raum bewegt hatten, wurde ihnen erst klar, als Dima wirklich kleiner als Leni war. Der Russe hatte vor Schreck – nicht vor Angst – den Rückwärtsgang eingelegt und war irgendwann bei einem Stuhl angekommen, auf den er sich prompt fallen ließ. Kostja hatte dem Ganzen interessiert zugesehen. Es war schon beängstigend welche Macht das weibliche Geschlecht meist unbewusst mit sich umhertrug. Ein Schmunzeln huschte über die sonst so starren Gesichtszüge. „Ähm … ja, den Sportteil und was haben die Sportnachrichten damit zu tun?“ Leni verzweifelte. „Die Sportnachrichten – nichts. Ich meine die Wirtschaftsnachrichten – die russischen Wirtschaftsnachrichten.“, es war in diesem Fall besser das Land mit zu benennen. „Nö, die hab ich mir nicht angesehen. Sollte ich?“ „Ja! Dann würdest du wissen, dass die Arbeitslosenzahl in Russland steigt und gute Jobs, wie ich ihn habe, wahre Glücksfälle sind. Besonders in einem Kaff wie diesen, wo die Arbeitslosen fast neunzig Prozent ausmachen … Aus diesem Grund kann ich es mir nicht leisten, meinen JOB zu KÜNDIGEN und ihn nach dieser blöden WM wieder aufzunehmen!“ Langsam machte es bei Dima 'Klick'. Jetzt verstand er Leni und das mit den 'Nachrichten'. Was sie sagte, stimmte auch. Wer Arbeit hatte, ging sogar arbeiten, wenn die Grippe einen lieber im Bett haben wollte. Solch ein Leben kannte er nicht. Denn das Geld seiner Eltern hatte immer ausgereicht und würde es die nächsten Jahrhunderte weiterhin tun. Umso mehr tat ihm seine Ignoranz leid, die ausgerechnet Leni zu spüren bekam. Ausgerechnet sie. Es kam ganz leise, doch sie konnte es hören. „Sorry!“, mit einem aufrechten Blick in ihre Augen, die ihn immer an Bernstein mit einem Hauch von Jade erinnerten, sah er sie an. Sie brach den Kontakt und ließ sich auf den Stuhl gegenüber nieder. „Dima.“, hauchte sie. „Wach auf. Nicht jeder lebt ein Leben, wie es dir seit deiner Geburt geboten wird.“. „Leni...“ „'Schh', sag nichts.“, ihre Kopf bewegte sich leicht, um ihre Bitte visuell zu verdeutlichen. Sie konnte es nicht hören, diese endlosen Monologe von Verzeihung, nicht wenn es um dieses Thema ging. „Dima, ich wäre gerne mitgekommen. Aber ich kann mir das nicht leisten.“, es war ein Flüstern und trotzdem füllte ihre Stimme den gesamten Raum aus. „Ich will in einem Jahr studieren. Mir den Grundstein für ein Leben, weg von der Armut meiner Familie aufbauen. Damit ich später dem bisherigen Dasein meiner Eltern und Geschwister Einhalt gebieten und ihnen finanziell helfen kann.“ Dima erhob sich und es hatte für Leni den Anschein, dass er einfach so den Raum verlassen wollte. Doch dem war nicht so. Er blieb vor ihr stehen, beugte sich runter und zog sie hoch in seine Umarmung. „Ich bin ein Idiot.“, hauchte er ihr ins Haar. Sie war verwirrt, stimmte ihm mit dem Anflug eines leichten Lächelns dennoch zu. Während Dima Leni in seinen Armen hielt, sah er zu Kostja, der sich sehr für die Wandstruktur zu interessieren schien. Es war schon interessant, wie akribisch der Junge die Raufasertapete analysierte. „Kostja, her kommen!“ Verwundert sah der Angesprochene auf. Leni ahnte schon was jetzt kam. 'Gruppenkuscheln' Da stand sie nun, zwischen zwei Jungs eingepfercht. Der Eine umarmte sie, weil er dazu gezwungen wurde und der Andere, weil er den Jüngeren festhalten musste, damit dieser bei der Aktion ja brav mitmachte. Das die Sache nicht gerade typisch war für einen gestanden Kerl wie Dima und einen 'Ich-bewahre-meine-Gefühle-für-besondere-Momente-Kostja' wusste Leni, aber manchmal, da brauchten auch ihre Jungs ein wenig freundschaftliche Nähe. Und sie? Sie liebte diese Momente, weil sie 'ihm' so nah sein konnte. Sein Aroma atmen, dass sich mit dem After Shave vermischte, welches so angenehm nach Moschus mit einem Hauch würziger Holznote duftete. Nicht umsonst ließ sie Dima beim Duschen den Vortritt, denn nur so konnte sie den angenehmen Geruch, der die Luft des gesamten Bades geschwängert hatte, einatmen. Aber genauso schnell, wie dieses Aktionen kamen, gingen sie auch wieder. Dima entließ sowohl sie als auch Kostja aus seiner Umarmung. Dieser nahm sofort Abstand und gab vor in der Küche sei noch der Abwasch zu erledigen. Das Geschirr stand aber schon seit einer halben Stunden zum Abtropfen und Trocknen auf der Ablage der Spüle. Leni blickte Kostja hinterher und wollte auch die 'Flucht' ergreifen. Schließlich musste Dima nicht unbedingt sehen, dass sie leicht gerötete Wangen hatte. Doch ehe sie sich wegdrehen konnte, fanden seine Finger den Weg zu ihrem Kinn und übten leichten Druck aus. Sie wurde dazu gebracht Dima in die Augen zu sehen. Gott! Was tat er? Und das unmittelbar nach einer Gruppenkuschel-Aktion. Das konnte nicht gut gehen. Ihr Herz bebte und was eben noch ein Beben war, wandelte sich in ein Zittern, als sie ihm in die Augen sah. Konnten Herzen zittern? Ja, Leni ihres schon. „Wäre doch gelacht, wenn ich dein Problem nicht regeln kann.“ „Mein Problem?“, hauchte es. „Ja, dein Problem!“, verwirrt sah Dima sie an. Eben noch hatte das Mädchen ihn und Kostja deswegen angeschrien und jetzt schien sie sich nicht mehr zu erinnern. Er konnte ja nicht ahnen, dass Leni alles scheiß egal war, solange sie in seine Augen blickte. Besonders, wenn vorher eine 'Gruppenkuscheln-Aktion' gewesen war – sonst hätte sie sich sicherlich im Griff gehabt. „Ich werde mich höchstpersönlich darum kümmern, dass du mitkommst und deinen Job behältst.“ „Was?“ Langsam sickerte die Realität wieder in Lenis Gehirn und ehe sie sich versah, hatte Dima ihr Kinn losgelassen und war zum Ausgang des Raumes gelaufen. Ruckartig drehte sie sich um und lief dem Älteren hinterher. „Das tust du nicht.“, schrie sie. „Oh doch.“ „Dima! Wir haben gerade darüber geredet, dass das nicht geht.“ Mit Gewalt stemmte sich Leni gegen die Eingangstür, um zu verhindern, dass er aus der Wohnung kam. Seinen skeptischen Blick und das Wissen, dass sie keine Chance gegen ihn hatte, verdrängte sie. „Leni.“ „Dima. Nein!“ Der Blick schweifte zur Küche und Hoffnung keimte in ihr auf. „Kostja. Jetzt sag du auch mal was.“, ein Hilferuf. Doch der Angesprochene blieb stumm, denn der Augenausdruck von seinem Trainingskollegen sprach Bände. „Kostja.“, sie wurde drängender. „Er wird nicht antworten.“ Verwirrt sah sie zwischen den beiden Jungs hin und her. „Vertrau mir.“, hauchte ihr der Ältere entgegen. Dima war so nah, dass sein Atem über ihre Haare strich und damit ein Kribbeln in ihr auslöste, dass sie Angst bekam bei der kleinsten Berührung von ihm auf den Boden sinken zu müssen, weil ihre Beine dem nicht standhalten würden. Doch Leni sank nicht auf den Boden. Und seine Stimme. Da war irgendwas in seiner Stimme, dass sie ergriff und ihm die Möglichkeit gab, sie sanft zur Seite zu dirigieren. „Ich werde das schon regeln. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“, er lächelte. Es war dieses typische Dima-Lächeln. „Du behältst deinen Job und kommst dennoch knappe vier Wochen mit uns nach Moskau.“ Dann schloss sich die Tür und zurück blieben Kostja und Leni. „Er ist verückt.“, hauchte sie. „Er ist nicht verrückt.“ Leni drehte ihren Kopf in die Richtung, aus der die Stimmung kam. Die Arme verschränkten sich vor der Brust, der Blick war empört. „Ach, jetzt sprechen wir wieder?“, elegant hob sich eine ihrer Augenbrauen nach oben. „Leni. Er würde sowas nicht sagen, wenn er nicht einen Plan hätte.“ „Einen Plan? So einfach aus dem Nichts … klar … “, Unglauben schwang in der Stimme mit. Selbst Kostja schien diese Tatsache ein klein wenig suspekt. Aber es handelte sich um Dima – und dem war alles zuzutrauen. „Joa, darüber hab ich mich auch gewundert.“, seufzte er und grinste. „Im Grunde ist Dima ziemlich schnell mit denken, er wendet es aber nur ungern an.“ * Der Duft von warmer Schokolade lag in der Luft und ließ jeden in warme Gedanken verfallen, der diesen Geruch wahr nahm. In drei Decken eingepackt, schlürfte Hero langsam ihren heißen Trunk. Ah! Das tat gut. Kein Wunder, sie war ja auch drei Stunden, neunundvierzig Minuten und ungefähr zwanzig Sekunden in dieser verdammte Kälte herumgewandert, die außerhalb der warmen Internatsmauern herrschte. Und alles wegen Weihnachtsgeschenken, die Gilbert zu gerne und alljährlich einfach viel zu spät besorgte. Verflucht sei der Typ! Während Hero in den flauschigen Decken da saß und sich jeden Schluck munden ließ, tippte Kari in der gegenüberliegenden Ecke eifrig ihr Referat für Literatur ab. Interessiert, weshalb ihre beste Freundin wie eine wütende Sekretärin auf das Notebook hämmerte, blickte die Halberfrorene auf. „Sag mal, was machst du da eigentlich?“ Ohne die Augen vom Bildschirm zu lassen, gab Kari die Antwort. „Meinen Aufsatz.“, nuschelte sie. „Was für'n Aufsatz?“ Jetzt ließ die Brasilianerin doch von der Tipperei ab und sah zu ihrer Freundin. Verlegen lächelte sie. „Für Literatur.“ „Literatur?“ „Ja.“ „Seit wann vergibt Sikorski Aufsätze als Hausaufgabe?“ „Seit ich in ihrem Unterricht geschlafen hab.“ „DU HAST WAS?“, vor Schreck hätte Hero ihre Tasse fallen lassen. „Na ja, nicht so ganz. Eher gesagt vor sich hingeträumt.“, ein breites Grinsen zierte die Antwort. „Das ist ja kein Deut besser.“, der mahnende Ton ließ bei Kari die angespannten Muskeln wieder erschlaffen. „Ja, ja. Ich weiß. Aber wir hatten so ein beschissenes Thema.“ „Was denn für eins?“ „Faust.“ „Wie?“ „Na, Faust … der Typ von Goethe.“ „Das ist mir auch klar. … Und der Aufsatz handelt von Faust?“ „Nein.“ „Sondern?“, erwartungsvoll starrte Hero zu Kari. Diese scrollte mit der Maus ihr Dokument nach oben, um ihrer Freundin den Titel vorzulesen. „Also, das Thema lautet 'Die Problematik der Gretchen-Tragödie in Faust im Zusammenhang mit der damaligen Sichtweise der Gesellschaft zu Goethes Zeiten'.“ „ … .“ „Ich glaub, ich hab genauso bescheuert aus der Wäsche geschaut, als mir das Thema genannt wurde. Soll ich es dir nochmal vorlesen?“ „Was? … Äh, nein. Ich hab schon begriffen, was deine Aufgabe ist.“ Das was Hero nur so verwunderte, war der Umstand, dass ihre Bandkollegin sich mit dem Thema ohne fremde Hilfe befasst hatte und zur einer Lösung gekommen war. „Du also auch.“, Kari reagierte erstaunt und gab dieses Gefühl gleich an ihre Freundin weiter, die prompt darauf reagiert. „Wie, ich auch?“ „Na, Jack hat auch gleich gewusst, was meine Aufgabe ist – ohne dabei diese zu lesen. So wie du!“ „Du hast Jack um Hilfe gebeten?“ Die wunderbare Vorstellung, Kari hätte es geschafft das Kriegsbeil mit der Literatur zu begraben, verpuffte. Jack war also die helfende Kraft gewesen. „Ja. Du warst ja nicht da.“ „Hatte der überhaupt Zeit?“ „Nein.“ „ …“ „Aber er hat sich für mich welche genommen.“ Manchmal war es einfach besser die Klappe zu halten und Kari machen zu lassen. Besonders in diesen Momenten, wenn Kari sich mit der Literatur schlug. Das der Schlagabtausch immer zu Gunsten des Faches verlief und die Brasilianerin regelmäßig K.O. ging, war die Regel. Ausnahmen gab es hier keine. Jack hatte Heros gesamtes Mitgefühl. „Du und der Literaturunterricht.“, schmunzelt es. „Daran ist nur Sikorski schuld.“, das Standart-Statement 'die Lehrer sind daran Schuld', das zu fünfundsiebzig Prozent immer passte. Nur in diesem Fall nicht. Kari wandte sich wieder ihrer Tipperei zu, während Hero einen großen Schluck ihrer bereits lauwarmen Schokolade nahm und ganz in ihre Fantasiewelt eintauchte. Das diese Idylle nicht ewig hielt, hätten Beide wissen müssen. Kaum hatte Kari die ersten Absätze nach ihrem Dialog mit Hero abgetippt, da schwang die Tür mit einer Wucht auf, dass die regelrecht gegen den Stopper krachte. Erschrocken blickten die Mädchen zum Eingang. „Hier bist du!“, flötete Nitan in Richtung Kari. „Ja. Wo sonst?“ „In deinem Zimmer?“ „Nö, Hero hat hier die besser W-Lan Verbindung.“ Die Blonde sah zu der Schokoschlürferin und ihre Augen wurden groß, als sie die Tasse erblickte. „So ein Leben will auch mal führen, Kari hat dir die Schokolade heiß gemacht. Oder?“ „Ja.“ „Ich muss Gil einfach besser erziehen.“ Nun mischte sich auch Kari wieder ins Geschehen. „Das hat nichts mir Erziehung zu tun.“ „Ach nein?“, Nitan wandte sich zu der Tipperin um. „Nein.“ „Und … mit was hat es dann zu tun?“ „Mit der Weiblichkeit.“ „Was?“, es klang erstaunt. „Wir sind einfühlsamer.“ „Und?“ „Na, wir können uns schneller in andere hineinversetzen, besonders in unsere besten Freunde … und als ich Heros frierende SMS gelesen hab, wusste ich, was sie braucht. Eine heiße Schokolade.“ „Frierende SMS?“ „Ja.“ „Woran erkennst du, ob eine SMS friert?“ „Na, mein Handy hat vibriert.“ Nitan resignierte. „Sag mal, Ni. Weshalb hast du Kari gesucht?“, fragende blickte Hero das Bandmitglied an. „Ach, ich hab eigentlich euch beide gesucht.“, die Tür wurde von innen geschlossen und es wurde auf dem Boden im Schneidersitz platz genommen. „Also, Ju hat heute Nachmittag Jack gefragt, wo wir dieses Jahr feiern.“, Nitan sah zu Hero. „Das wir bei dir nicht feiern, ist klar.“ „Meinst du Neujahr oder Weihnachten?“, Kari blickte fragend vom Notebook auf. „Beides.“ „Ich würde sagen, Weihnachten bei Gilbert und Neujahr bei Jack und Joe.“ „Warum Weihnachten bei Gilbert?“ „Mistelzweig.“, flötete Kari. „Ich hätte es wissen müssen.“, die Blonde schüttelte lachend ihren Kopf. „Der Mistelzweig ist nicht für mich. Ich hab mehr nen Faible für den Plumpudding.“ Nun sahen Nitan und Hero verwirrt zu Kari, die ein breites Grinsen aufgesetzt hatte. „Für wen dann?“, warf die Jüngste in die Runde. „Dreimal dürft ihr raten.“, trillerte die Gefragte. „Ju und Jack.“, es kam aus der Finnen geschossen, wie eine Kugel aus dem Waffenlauf, nachdem der Abzug betätigt wurde. „Ju und Jack?“, Hero hatte irgendwas nicht mitbekommen. „Hast du es noch nicht bemerkt?“ „Nein.“ „Das sieht doch jeder.“ „Ich bin aber nicht jeder.“ „Stimmt auch wieder.“, Nitan lachte leicht auf und schielte zu Kari. „Wenn du die Beiden meinst, dann vergiss es gleich. Die merken noch nicht einmal das sie für einander bestimmt sind, wenn Beide die letzten Menschen auf der Erde wären.“ „Eigentlich sind Ju und Jack gar keine schlechte Idee. Aber du hast wahrscheinlich Recht.“ „Wie, die beiden sind eine gute Idee? Lag ich nicht richtig?“ „Nein.“ „Wer dann?“ „Eigentlich bleibt ja nur eine Möglichkeit.“ Langsam, wie in Slow-Motion der Matrixfilme drehte sich Nitan zu Hero, deren Augen die pure Erkenntnis, gemischt mit mehr als nur einem Hauch Panik und blankem Entsetzen, widerspiegelten. „Nein.“, war ihre Gegenwehr. „Doch.“, das Kichern war deutlich herauszuhören. „Nein.“ „Doch!“, kam es diesmal von Nitan, die aber Kari ansah. „Sag mal, mit wem?“ „Gilberts Cousin.“ „Anthony?“, begeistert klang anders. „Nein.“, die Brünette winkte geschockt ab. „Doch nicht der, ich mein Ewan.“ „Ist das der mit den grünen Augen und den drei Lachgrübchen.“ „Ja.“ „Der passt perfekt zu ihr.“ „Sag ich doch.“ Die Euphorie schwappte von Nitan zu Kari und wieder zurück und wurde bei jedem Wechsel noch ein wenig euphorischer. „Hallo. Ihr wisst schon, dass ich auch noch hier bin?“ Der Blick, der ihr durch die beiden Bandmitglieder entgegenschlug, ließ das Mädchen nichts Gutes ahnen. „Also ich wäre dafür, wenn wir Weihnachten auch in New York verbringen.“, hauchte sie und nur mit wenig Hoffnung in der Stimme, das dies auch passierte. Sobald der Rest der Band von Karis Idee Wind bekam, würde eh alles darauf angepasst werden, dass sie mit Gilberts Cousin unter einem Mistelzweig stand. Eine Tatsache, die ihr das Weihnachtsfest vermiesen könnte. * Langsam kämpfte sich die Sonne durch die dicken Schwaden, die auch im Sammelbegriff 'Nebel' genannt wurden. Leicht verschlafen öffnete Takeru die Augen. Das beständige Piepen seines Weckers hatte ihn aus dem Traum gerissen, der so spannend gewesen war. Leider konnte sich der Japaner auch nach längerem Überlegen an kein Detail erinnern, einzig das wunderbare Gefühl war ihm hinterlassen worden. Mühselig rappelte er sich vom Futon hoch und erstarrte, als er stand. War er gestern nur matt gewesen und konnte sich nicht mehr bewegen, kündigte ihm heute der Muskelkater einen langen schmerzhaften Tag an der Uni an. Nur langsam konnte sich Takeru umkleiden und den Weg ins Bad finden, dort ließ ihm der Schmerz in den Muskeln ebenfalls keine schnellen Bewegungen ermöglichen. Als er in der Küche ankam, wurde er schon erwartet und dementsprechend reagierte er erstaunt, auch der Person wegen. „Guten Morgen, Takeru-kun.“ „Akemi-chan. Guten Morgen.“, verdutzt sah er sie an und versuchte sich einen Reim darauf zu machen, wie sie ins Haus gekommen war. „Dein Großvater war so freundlich und hat mich reingelassen.“ „Ah, aber was machst du um diese Zeit hier?“ „Um diese Zeit? Hast du mal auf die Uhr gesehen, du bist schon seit zehn Minuten überfällig.“ Ungläubig blickte Takeru auf die Uhr, die in einer stoischen Ruhe darauf wartete den Minutenzeiger um einen Schritt nach vorne schieben zu können. „Oh! Verdammt.“ „Wir sollten uns beeilen. Sonst sitzen während der Vorlesung auf der Treppe.“ „Äh ja.“, sehnsüchtig schielte er zum Reistopf, aber die Zeit drängte und Akemi auch. Sie schob ihn einfach aus der Küche und dirigierte ihn zum Ausgang. „Los, zieh dich an und ich mach dir noch schnell einige Reisbällchen für den Weg.“ „Ja, Danke.“, er konnte gar nicht so schnell reagieren, da war sie wie der Wind herumgewirbelt und mit fließenden Schritten über den Flur entlang geschwebt. Als sie wiederkam, hatte er sich für die Kälte des Winters gewappnet und nahm mit Begeisterung die Reisbällchen entgegen. Doch Zeit, das Erste noch in Ruhe zu genießen hatte er nicht. Akemi war, was die Pünktlichkeit anging, eine wahre Tyrannin. Das ließ sie auch Takeru spüren, als der trotz Schmerzen im Ausdauerlauf durch den tiefen Schnee watete und dem Drang widerstand seine Hand aus Akemis zu reißen. Sie meinte es schließlich nur gut. Erst als Beiden die Metro erreicht hatten und mit der Ginza-Linie unterwegs waren, bekam Takeru die Gelegenheit die restlichen drei Reisbällchen zu essen. „Takeru-kun.“ „Hm?“ „Es tut mir leid.“ Es war schwierig ein Mund voller Reis in Sekundenschnelle frei zu bekommen, aber manchmal war alles möglich, auch wenn es mit einem kurzlebigen Hustenanfall einher ging. „Was … tut dir denn leid?“ „Das ich dich eben so gehetzt hab.“ „Es braucht dir doch nicht leid zu tun, wir haben die Bahn noch geschafft und brauchen nicht auf der Treppe zu sitzen.“ Sie nickte, aber ihr Blick war für einen kurzen Moment gesenkt. „Akemi-san?“ Die Angesprochene sah auf. „Dein Großvater hat mir erzählt, dass dein Vater gestern ein ziemlich hartes Training für dich aufgestellt hat und du deswegen … na ja, so lange gebraucht hast, um heute morgen fertig zu werden.“, eine Pause wurde eingelegt, in der Akemi kurz an das Gesagte nachdachte. „Wie hat er es so schön ausgedrückt, Takeru leidet heute an einem Schmerz, der meist nach hoher körperlicher Anstrengung der Muskelpartien nach einigen Stunden auftritt. Kurz: Übersäuerung des Muskels durch Milchsäure … das waren seine Worte.“ Daraufhin erklang bei Takeru ein leises Lachen, in das Akemi mit einstimmte. „Keine Sorge, Akemi-san. Der Ausdauerlauf bringt mich nicht gleich um.“ „Gut zu wissen.“, ihr Kichern wandelte sich zu einem Lächeln, dass sie aber kurz darauf durch das drängende Geschiebe einsteigender Gäste unterbrach. Die Beiden wurden mit einem Schlag regelrecht aneinander gepresst. Aber es wäre ungewöhnlich, wenn sie diese Situation nicht schon erlebt hätten. Sein linker Arm schlang sich automatisch um ihrer Taille, damit sie Halt hatte, während er mit der rechten Hand an einer Schlaufe griff, die über ihm hing. Da war es auch kein Wunder, dass Beide in der Uni unter ihren Freunden als zukünftiges Ehepaar dargestellt und in manch einer Zeichnung mit dieser Zukunft konfrontiert und parodiert wurden. Als ob dieses Geschiebe und Gedränge nicht schon schlimm genug war, bohrte sich zusätzlich eine unangenehme Ecke eines Aktenkoffer in Takerus Kreuz. Er hasste es, wenn irgendwelche Geschäftsmänner ihre Taschen an ihre Brust drückten und so manch einem Mitsteher in der Metro unangenehme blaue Flecken bescherte. So gut es ging, drehte sich der Kendo-Weltmeister zu dem Aktenträger. Er braucht nicht einmal was zu sagen, sondern einfach nur Böse zu blicken und der Koffer verschwand aus seinem Kreuz. „Danke.“, war das einzige Wort, das sehr gereizt klang. * Es war spät, sehr spät oder auch eher nicht. Es konnte auch als früh bezeichnet werden, wenn es nach der Tageszeit ging. Außerhalb der Wohnblocks herrschte tiefste Nacht, es sollte noch zwei Stunden dauern bis die Sonne aufging. Genau zu dieser Zeit kam Dima in die heimische dreier WG zurück. Sowohl Kostja als auch Leni waren noch in ihren wunderbaren Träumen gefangen. Der Eine träumte von Karamellbonbons und die Andere von einem tollen Kerl, der manchmal alles zu leicht nahm aber nach einem wunderbar duftenden After-Shave roch. Mit jeder Menge Alkohol im Blut und nach Frauenparfüm riechend, fand Dima den Weg ins Bad. Der Anblick sollte verboten werden, denn das was ihn da im Spiegel entgegensah, war nicht er. Die Halonierung der periorbitalen Region war bombastisch und alles nur, damit Leni ohne Jobverlust mit zur WM durfte. Er hoffte nur, dass ein wenig Schlaf und Schminke diese dunklen Schatten unter den Augen vertuschen konnten. Ja, auch ein Kerl wie er besaß Abdeckungs-Make-Up … und außerdem, die männlichen Schauspieler wurden auch geschminkt. Was jetzt aber zählte war eine heiße Dusche, die ihm den Gestank von minderwertigen Parfüm nehmen sollte. Denn wenn er etwas hasste, dann waren es Clubs in denen die Frauen nach billigen Deos rochen, schließlich gab es auch gute Düfte für wenig Geld und man sollte immer mit der Zeit gehen. Das Wasser fiel wie Regen auf seinem Körper und jede Stelle wurde von dem Laster der Nacht befreite. Nichts, aber auch rein gar nichts sollte daran erinnern, dass er Lenis Chef nur von seiner Idee überzeugen konnte, in dem er diesen in einen Club seiner Wahl mitnahm und einen Monat die anfallenden Kosten bezahlte. Ein Glück, dass der Typ nicht wusste, dass Dima einer reichen Familie entstammte – sonst wären mit Sicherheit aus dem Einen ganz schnell viele Monate geworden. Leni hatte den Drang immer gegen vier Uhr in der Früh aufs stille Örtchen zu müssen. Das Blöde daran, in der Wohnung gab es nur einen solchen Platz und der befand sich genau in dem Raum, der von Dima belegt war. Eine Sache die genauso dumm war, war der Aspekt, dass Dima vergessen hatte a) abzuschließen und b) das Schild 'Bitte nicht stören' außen dran zu hängen. So kam, was kommen musste und der Morgen endete für die gesamte Nachbarschaft durch einen spitzen aber sehr intensiven, bis ins Mark gehenden Schrei. Das hatte zur Folge, dass der arme Kostja nicht im Bett mit offenen Augen lag, auch nicht saß, sondern sich neben dem Bett wiederfand. Wie von der Tarantel gestochen sprang der Russe auf und sprintete in den Flur. 'Einbrecher' war sein erster Gedanke und als er Leni neben der Badtür nach Luft schnappen sah, wurde er in seinem Einfall bestärkt. „Ist er da drin?“ Erschrocken fuhr sie herum und starrte Kostja an. „Ja~a.“, kam es zittrig. Ohne weiter nachzufragen, stürmte der Jüngere das Bad, nur um langsam wieder herauszukommen, dicht gefolgt von Dimas Beschimpfungen – die lieber nicht an die Öffentlichkeit dringen sollten. Der Übereilige sah Leni mit erhobenen Augenbrauen an. „Ich dachte, du hättest nen Einbrecher da drin.“ „Einbrecher? Ich hab nichts gesagt von nem Einbrecher.“ „Aber du hast so geschrien.“ „Was?“ „Dein Schrei hat sich angehört, als ob du nem Schwerverbrecher gegenüber stehst.“ „Ist das nicht ein wenig übertrieben? Und außerdem, war das Einzige dem ich gegenüberstand Dima und zwar so, wie ihn Mutter Natur erschaffen hat.“ Das Zittern war aus ihrer Stimme verschwunden und die Empörung hatte dafür den Platz eingenommen. Bevor Kostja etwas erwidern konnte, wurde die Badtür geöffnet. „Sagt mal Leute, wenn ihr mich unbedingt im Adamskostüm sehen wollt, fragt mich doch einfach.“, er schielte zu dem Jüngeren. „Obwohl, bei dir … wäre ich mir nicht sicher, ob ich meine Hosen fallen las.“ „Halts Maul!“, kam es von diesem und Leni gab ebenfalls ihre Meinung zu Gehör. „Warum hast du nicht abgeschlossen?“ „Weil ich gedacht hab 'Hey, es ist Nacht. Da wird eh keiner ins Bad wollen.' Aber so wie es aussieht, hab ich mich geirrt.“ „Ja, hast du. Denn ich gehöre zu den Leuten, die einmal in der Nacht raus müssen.“ „Woher soll ich das denn wissen?“ „Gesunder Menschenverstand? Und überhaupt, wo warst du?“ „Feiern, damit du mit uns zur WM kannst.“ „Was?“, verwirrt blickte Leni ihren Wohnungskollegen an, während Kostja nur die Frage beschäftigte, ob sie mitkam. „Dein Chef wollte feiern, also bin ich mit ihm feiern gegangen und du darfst im Gegenzug mit uns mitkommen.“ „Nur weil er einmal feiern war?“ „Na ja, manche kann man halt schneller befriedigen als andere.“, das schmutzige Grinsen übersah Leni einfach. „Is klar. Das Bad ist jetzt frei, oder?“ „Ja, du kannst jetzt rein.“ „Okay und hör auf so dreckig zu Grinsen.“, damit verschwand Leni im Bad. „Was ist passiert?“ „Was soll passiert sein, Kostja?“ „Sie hat dich wirklich ohne alles gesehen?“ „Hey, irgendwann musste es ja passieren. Nur den Moment hab ich mir anderes vorgestellt.“ „Ich will keine Details … aber ich finds cool, das du die Sache mit ihrem Chef geregelt hast.“, mit einem freundschaftlichen Schlag auf die Schulter verabschiedete sich Kostja wieder in sein Zimmer. Schließlich wollte er die letzten Stunden vor dem regulären Weckerklingeln noch ein wenig im Traumland verbringen. Die Tatsache, dass Lenis Chef einen Freimonat im billigsten Club der Stadt hatte, brauchte das Mädchen nicht zu erfahren. Ende viertes Kapitel. Kapitel 5: 24. Dezember ----------------------- *** Vollkommen unerwartet traf der Schlag Takerus Schulter. Ein heftiges Zucken, dass nicht mehr unterdrückt werden konnte, durchwanderte für einen kurzen, kaum wahrnehmbaren Moment, den gesamten Körper und ließ das Herz für Sekunden schneller schlagen, als es sollte. Tief nach Luft ringend, drehte sich der Japaner zu dem Übeltäter seines Schockes um und blickte in das grinsende Gesicht seines Mitkommilitonen Koji. „Na Alter, wie läufts mit dir und Akemi-san?“, Anstand kannte der Kurzhaarige mit der schiefen Nase und dem breiten Grinsen in solchen Dingen nicht. „Bekommt sie dieses Jahr zum Jahreswechsel eine Kleinigkeit geschenkt oder sollte sie langsam 'Waiting-Akemi-san' genannt werden?“ Während Takeru seine Jacke wieder zurecht rückte, ein reiner Reflex des menschlichen Daseins, nuschelte er brummend in seinen nicht vorhanden Bart: „Das geht dich und die anderen Wettmitglieder gar nichts an.“ * Es war ein grandioser Erfolg – und das auf der ganzen Linie. Sie hatten die Halle gerockt, ob mit Gesang oder den musikalischen Fertigkeiten am Instrument, ihre Mitschüler waren bei jedem Lied regelrecht ausgeflippt und hatten fast immer mit voller Inbrunst mitgesungen. Fans und Band schaukelten ihre Ekstase im Wechselspiel nach oben, um sich gegen Ende zum finalen Höhepunkt zu bringen, der in einer Lichtershow mit schnellen Akkorden und dem gewissen Groove eingestimmt wurde. Wann das Ende kam, konnte niemand so richtig sagen, denn nach dem Konzert schien die Party erst richtig loszugehen. Drei Stunden spielte die Band ununterbrochen, danach durften arrangierte DJs ihr Können zeigen und der Band so richtig einheizen. Mit einem Dröhnen im Ohr und dem Gefühl, dass der Kopf gleich platzte, wachte Nitan auf. Noch immer ausgelaugt von der nächtlichen Feier kroch sie einer Schnecke gleich aus ihrem Bett. Dabei wurde die störrische Bettdecke hinterher gezogen, um der Kälte nicht gleich in die Arme fallen zu müssen. Der Weg ins Bad erschien wie ein Marsch der Unendlichkeit und jeder Schritt den sie bleiern tat, verlangte die mühselige Überwindung des inneren Schweinehundes - der anstatt die Schritte zu erschweren, den Blick in den Spiegel hätte verhindern sollen. Denn das was Nitan da sah, war der erschreckende Anblick einer jungen Frau, die sich nach einem nächtlichen Partytrip einfach nur noch ins Bett geschmissen hatte. Dort wo einst Ordnung über Haar und Make-Up geherrscht hatte, fand sich das pure Chaos wieder. Die sonst so geordnete Haarpracht stand gehalten vom übermäßigen Gebrauch von Haarspray und Haarlack in alle Richtungen ab. Schon der bloße Gedanke das Wirrwarr auf ihrem Kopf zu zähmen, ließ in Nitan die pure Panik aufsteigen. Den Schmerz, der ihr beim Ausbürsten bevorstand würde unerträglich werden. Im Gegensatz dazu, war ihr Gesicht noch einigermaßen human anzusehen. Lidschatten, Eyeliner, Lippenstift und Rouge waren nur an den Augen und dem Mundbereich zu einer einzig großen Masse an bunter Farbmischung zusammengelaufen, aber sowas konnte mit etwas Wasser und dem Benutzen von Make-Up Entfernungslotion wieder in Ordnung gebracht werden. Aber die Haare – Nitan litt schon beim Betrachten des monströsen Haarnestes auf ihren Kopf Qualen. „Leg die Bürste weg“, hörte Nitan hinter sich sagen. „Warmes Wasser, falls du das als Finnin kennst und Shampoo helfen bei so was viel besser weiter.“, ehe die Blonde mit der Katastrophenfrisur sich umdrehen und einen Schrei der Empörung von sich geben konnte, stand Ju aufmunternd lächelnd neben ihr. Doch der Blick, den sie zugeworfen bekam, war beseelt mit Zorn und lodernder Wut. „Du glaubst wohl, wir Finnen leben noch immer hinterm Mond?“, zischte Nitan. „Noch immer?“, hakte Ju belustigt nach und schwang ihre Augenbraue nach oben. „Ach.“, meinte Nitan unwirsch und wandte sich wieder ihrem Spiegelbild zu, dass ihr kritisch entgegen blickte. Leicht angeekelt fischte sich die Blonde eine Strähne aus ihrem hellem Vogelnest heraus, dass auf ihrem Kopf manifestiert war und zwirbelte die Spitze zwischen ihren Fingerspitzen hin und her. Ju betrachtete das Geschehen und seufzte. „Tu was ich dir gesagt hab.“ Nach diesem Satz war die Halbchinesin schon fast aus dem Bad verschwunden, da hielt sie abrupt inne und drehte sich am Türrahmen gelehnt zu Nitan. „Bevor ich es vergesse, wir treffen uns Punkt sechzehn Uhr in der Eingangshalle.“, dieser Satz ließ die Finnin noch mehr erstarren, als ihr verwahrlostes Spiegelbild. In einer hundertachtzig Grad Drehung platzte es aus ihr heraus: „WAS?“ „Heute ist der 23.“, meinte Ju fast schon gelangweilt, während bei ihrer Bandkollegin das Gesicht verrutschte. „Wi … wir … – Wir fliegen heute?“, geschockt von der Erkenntnis, die sie nicht wahr haben wollte, stolperte Nitan zurück und stieß gegen das Waschbecken, an dem sie mit ihren Fingern Halt suchte. „Heute?“, krächzte es aus ihr hervor. „Ja, heute. Das weißt du doch.“ Wusste sie es? Das zarte Zittern ihrer Mundwinkel verriet das sie sich langsam an die Besprechung mit dem Rest der Band erinnerte. „Oh“, entwich es ihr. Hilfesuchend blickte sie zur Tür, doch Ju war schon weg. „JU?“, schrie Nitan verzweifelt. Ihre Zimmergenossin konnte sie doch nicht einfach so allein lassen. Nicht jetzt. Doch die Finnin blieb allein zurück. Mit panischen Blick sah sie zu dem kleinen Radio, das im silbernen Grau an der gefliesten Wand hing und ihr verriet, dass nur noch drei Stunden blieben. Erneut schien ihr Gesichtsausdruck zu entgleisen und so sehr sie sich auch bemühte, das Display mit ihrem Blick zu erdolchen, die Mechanik ließ sich einfach nicht davon abbringen die Zahlen weiterlaufen zu lassen. Als ob die Erkenntnis der knappen Zeitbemessung noch nicht ausreichte, erwachte in ihrem Kopf eine kleine piepsige Stimme, die nur leise daran erinnerte, dass sie die Koffer noch zu packen hatte. Drei Stunden später hatte Nitan etwas geschafft, was sie sonst immer als unmöglich gehalten hatte. Ihre drei Koffer waren bis zum Anschlag vollgepackt mit Kleidung, Schuhen, Schmuck und Kosmetika. Den letzten und größten hatte sie nur mit Hilfe zu bekommen, dabei war ihr der Fingernagel sogar abgebrochen. Glücklicherweise unecht und daher leicht ersetzbar. Nun stand sie auf der obersten Treppenstufe und sah erhobenen Hauptes mit zufriedenen Blick auf den Eingangsbereich hinab. Aus ihrem einstigen Vogelnest waren goldenen Wellen geworden, die einen samtenen Schimmer an den Tag legten. Ihr Make up war zwar nicht wie sonst, saß aber perfekt und war trotzdem typisch Nitan. Elegant, so wie es die Mutter ihr beigebracht hatte, schritt sie die Treppe hinunter. Das ihr dabei über die Hälfte der männlichen und weiblichen Blicke gehörten, war für die Finnin eine alltägliche Nebensache. Wenn sie einem Blick mit zarten Lächeln huldigte, dann gehörte dieser ihrem Freund, der am unteren Treppenende mit einem schelmischen Grinsen wartete. Ju, die sie ebenfalls als erblickt hatte, konnte sich einem frechen Spruch einfach nicht verwehren. Der Anblick von vor drei Stunden war einfach zu göttlich gewesen. „Ich dachte schon, du schaffst es nicht.“, stichelte sie. Auf der drittletzten Stufe verharrend, strich Nitan ihre Haare elegant zurück, während die zweite Hand stützend auf der Hüfte ruhte. Von oben herabblickend, wandte sie sich kurz von Gil ab und meinte zu Ju: „Glaubst du, ich will Weihnachten allein unterm Mistelzweig verbringen?“ Ein keckes Lächeln und ihre Aufmerksamkeit gehörte wieder ihrem Freund, der ihr in bester Manier die Hand reichte, um ihr die letzten Stufen eine Stütze zu sein. Gil konnte sich bei dieser Aussage ein Schmunzeln nicht verkneifen. Seine blonde Wildkatze konnte manchmal nicht einmal allein unterm Duschkopf stehen. Kari, die mit geschlossenen Augen und den Kopf an Joes Schulter gelehnt, das Szenario akustisch mitbekommen hatte, fragte müde und nuschelnd in die Runde: „Sind wir jetzt komplett?“, „Nein, Hero fehlt noch.“, gab Joe ebenso schläfrig zur Antwort und schmiegte seine Wange an Karis Haar. „Was?“, empört wandte sich Nitan von Gil ab und sah sich suchend um. Als sie feststellen musste, das Joe nicht gelogen hatte, stemmte sie ihrer Hand in die Hüfte und motzte: „Da beeile ich mich extra und dann müssen wir trotzdem warten?“ „Es liegt nicht an ihr.“, versuchte Ju das lodernde Feuer zu beschwichtigen. „Herr Direktor wollte nochmal mit ihr sprechen.“, gab sie als Erklärung an. „Kann er das nicht vertagen?“, zischt sie und warf das goldene Blond schnaubend über die schmale Schulter. „Das haben wir ihn auch gefragt und gleichzeitig gesagt, dass wir es eilig haben, aber du kennst ja unseren Direktor, der kommt nie zu einem Ende.“ Das stimmte. Da konnte sogar der Weltuntergang vor der Tür stehen, erst wenn der Direktor mit seinem Monolog fertig war, durfte der Niedergang kommen. Dementsprechend laut war auch das verzweifelte Seufzen von Nitan. „Und so, wie ich Hero einschätze, wagt sie es nicht, der Höflichkeit und dem Anstand wegen, das Gespräch zu einem schnellen Ende zu bringen.“ „Etwas was du nicht hast.“, kicherte Kari. „Wozu auch. - Ich bekomme immer was ich will.“, gab sie frech zur Antwort und drehte sich wieder zu Gil. Dieser grinste breit und flüsterte ihr ins Ohr. „Selbst dann, wenn du es nicht willst.“ Das laszive Lächeln, dass er dafür erntete, war Vorfreude genug auf den ersten Mistelzweig. „Naja, wir dachten, wir lassen ihr und dem Direktor so lange Zeit mit Quatschen, bis unser Gepäck verstaut wurde.“, entgegnete Joe gähnend und schmiegte sich noch näher an Kari heran. Nicht ahnend, welchen Sturm er losgetreten hatte. Nitan horchte bei der genannten Information auf. Plötzlich wurde Gilbert mit einem seltsames Glitzern in ihren Augen bedacht. „Die Autos sind schon da?“, fragte sie erfreut. „Na jetzt hast du was gesagt.“, meinte Gil an Joe gewandt und ging Nitan hinterher, die in der Zwischenzeit zu einem der vier Fenster gelaufen war und nun versuchte durch die Verzierungen etwas von draußen zu erkennen. Doch die ins Glas eingelassenen Ornamente verwerten der Finnin jeglichen Blick. „Geh doch einfach zur Tür.“, gab ihr Gil den Rat, nachdem er dem Ganzen etwas länger als eine Minute zugesehen hatte. Mit zusammengezogenen Augenbrauen und gerunzelter Stirn sah Nitan ihn an. „Da ist es aber kalt.“, sie zeigte mit dem Finger auf die Tür. „Ich hab schließlich keinen Mantel an.“ „Aber du hast mich.“, entgegnete dieser und stellte sich hinter sie, um ihr sofort seine Wärme demonstrieren zu können. Dieser zärtlichen Geste konnte sie einfach nicht widerstehen und so blieb sie da, wo sie stand. Die Automarke war zu Nebensache geworden, viel mehr erstaunte es Nitan immer wieder aufs Neue, wie ihr Freund es schaffte, seinen wahrlich starken, nicht überdreht muskulösen Oberkörper unter einem einfachen Oberteil, wie einem Hemd zu verstecken. Mit dem Rücken schmiegte sie sich an ihn, um auch jeden Muskel wahrnehmen zu können. Dies blieb Gil nicht verborgen. Er neigte sich zur ihrem Ohr und wisperte: „Wenn du so weitermachst, könnte es passieren, dass wir den Abflug verpassen.“ Jack grinste während er das Paar beobachtete. An den Rest der Gruppe gewandt, meinte er amüsiert: „Kaum liegt sie in seinen Armen, zerfließt sie und ist zahm wie ein Kätzchen.“ Ohne von ihrem Buch aufzusehen, gab Ju ihr Statement dazu ab: „Tja, die Beiden wissen halt, was sie aneinander haben. Heute haben sie sich lieb und morgen zanken sie wieder, wenn niemand anderes da ist, der Nitan die Würze in ihrem Leben geben kann und trotzdem kann sie nicht ohne ihn. Ist wie mit Pfeffer und Salz, zu viel davon ist nie gut aber ohne... geht nicht.“ „Ach ja?“, Jack sah sie mit hochgezogener Augenbraue an. „Woher willst denn du so was wissen, so weit ich weiß...“, er hielt einen Moment inne und wandelte seinen Satz in eine Frage um: „Wann hattest du deinem letzten Freund den Laufpass gegeben?“ Nun war es Kari, die sich mit einem empörten Unterton und ihrem Sinn zur Gerechtigkeit zu Wort meldete und gegen den Amerikaner aufbegehrte, auch wenn es Ju nicht im Geringsten störte, was über sie gesagt wurde. „Jack, das war gemein.“ „Wieso?“, kam es von diesem, der verwundert zu der zierlichen Brasilianerin blickte. „Weil das gemein war.“, gab diese nur als Begründung an. Sie war empört über Jacks Ausrutscher, schließlich wusste auch er, dass Ju, was die Liebe anging ein Mauerblümchen war und sobald sich jemand für sie interessierte, die Flucht in sieben Meilen Stiefeln ergriffen wurde. Zum Leidwesen der Sehnsucht nach Liebe, die in Ju wie ein zarte Blume vor sich hin vegetierte, gab es das Paar 'Sieben Meilen Stiefel' nur einmal und daher konnte keiner der hitzigen Bewerber der Halbchinesin folgen. Ein lautes, negativ gestimmtes Brummen kam aus Nitan und Gilberts Richtung. Sie hatte zwar aufgehört ihren Freund unbewusst zu stimulieren, dafür war aber der Drang die Automarke endlich in Erfahrung zu bringen, wieder erwacht. Stimmungsvoll verstimmt starrte Nitan durch das Fenster und drehte sich am Ende grummelnd in der Umarmung ihres Freundes zu diesem um. Die vorgeschobene Unterlippe und der trotzigen Blick ließ nur erahnen, wie empört sie über das verzierte Fenster war, dass ihr einfach nicht den Blick freigeben wollte, so oft sie es auch niederstarrte. „Was?“, hakte Gil nach. „Ich konnte nichts erkennen?“, nuschelte die Finnin maulend, wie ein kleines Kind. Mit großen Augen sah sie ihren Freund an und erhoffte die rettende Antwort von ihm zu erfahren, welche Automarke da draußen auf die Gruppe und auf sie wartete. Joe, der kleine Bruder von Jack, sah dem Ganzen amüsiert zu. Mit monotoner Stimme, die sogar Kolibris hätte einschlafen lassen können, meinte er schließlich: „Kein Mercedes.“ Kaum hatte er dies ausgesprochen, erntete er einen ungläubigen und bohrenden Blick. „Was?“, war das Einzige, dass Nitan in der Lage war zu sagen, während ihre Augen einen fokussierten Wechsel zwischen Gilbert und Joe veranstalteten, als ob sie einen PingPong-Ball im Spiel verfolgen würden. „Sag, dass das nicht wahr ist.“, murrte Nitan, mit dem vielsagenden 'ich-glaube-kein-einziges-Wort-Blick'. „Es stimmt aber.“, meinte Gil frei raus und hielt sie dabei nur noch fester in seinen Armen, um ihr den Weg zur Tür unmöglich zu machen. Zuerst wandte sich sich, dann zerrte sie und zum Schluss stemmte sich Nitan gegen ihren Freund. „Gil!“, jammerte sie kläglich, mit dem Gedanken den Fuß auf den Boden zu stampfen, wie es Rumpelstilzchen einst getan hatte. Doch sie unterließ lieber den Versuche, man konnte schließlich nicht wissen, ob sich der Boden bei ihr nicht doch auftat. Noch ehe sie ihrer zweiten Vorstellung nachkommen konnte und wie bockiges Kleinkind zu reagieren, meinte Ju: „Es ist auch kein Maybach.“ „Kein Rolls Royce“, fügte Jack hinzu. „Und auch kein Bentley.“, nuschelte Kari und versuchte ihren Kopf weicher auf Joes Schulter zu betten. Der Pegel ihrer Fassungslosigkeit war bei jedem genannten Namen weiter nach oben geschnellt und hatte nun den Zenit erreicht. Die Wandlung ihre Gesichtsmimik bis zur endgültigen Entfaltung, war in Zeitlupe verfolgbar gewesen. Allein ihr Mund, der schon leicht geöffnet war, schien größere Dimension annehmen zu wollen, da das Kiefer immer weiter nach unten wanderte. Dem wollte ihre Augen nach einigen Sekunden in nichts nachstehen, während die rosige Farbe ihrer Wangen spätestens bei 'Rolls Royce' ein kalkfarbenen Blässe gewichen war. „Tut mir leid“, raunte Gil ihr ins Ohr. Das süffisante Lächeln auf seinen Lippen war kaum wahrnehmbar. „Aber meine Großeltern waren der Ansicht, uns bei dem Wetter da draußen mit zwei Porsche Cayenne zum Flughafen fahren zu lassen.“ Die Stille, die nun eintrat, war Nitan ihrer Auffassungsgabe zu verdanken. Denn der Satz sickerte wie eine zähe Masse nur langsam in ihr Bewusstsein. Zur selben Zeit war beim Rest der Gruppe ein breites Grinsen sichtbar. Selbst Kari hatte nun ihrer Augen geöffnet, um sich diesen Moment nicht entgehen zu lassen. Das so wenige Wörter soviel Bedeutung besitzen konnten, wurde Nitan in diesem Moment wieder schlagartig bewusst. Natürlich war diese momentane Erkenntnis über die verbale Macht nicht so bedeutend, wie die Nacht, in der Gilbert ihr kurz vor dem gemeinsamen ekstatischen Höhepunkt in horizontaler Lage die drei bedeutungsvollsten Worte ins Ohr gehaucht hatte. Es war mehr eine Kombination aus Zischlauten und knurrenden Grollen gewesen, das aber sehr erregend geklungen hatte. Noch heute war sie mit Peinlichkeit erfüllt, wenn sie an die Nacht zurück dachte – und alles nur wegen diesen verdammten drei kleinen Wörtern, die sie fast an den Rand des Wahnsinns gebracht und ganz nebenbei Tränen der Freude in ihren Augen entwickelt hatten. Damals war sie einer glücklichen Heulattacke nah gewesen. Doch bevor sie sich so etwas erlaubte, wurde Gilbert für den Rest der Nacht mit Küssen überhäuft und ihm gleichzeitig verständlich gemacht, dass sie sich für den Rest der Nacht immer wieder von ihm Lieben lassen wollte, bis beide ihren Trieben der Müdigkeit wegen ins Traumland entflohen. In ihrem bisherigen Leben hatte sie auch nie so für einen Kerl gekämpft, wie für Gil. Natürlich hatte sie vor ihm schon einige andere gehabt, aber das waren Ein-Wochen-Beziehungen, die nur für die Ausfüllung ihres hormongesteuerten Haushaltes herhielten. Seit sie dreizehn war wechselte sie ihre fast gleichaltrigen Liebhaber wöchentlich, bis vor drei Jahren Gilbert einfach so in ihr Leben gestolpert war. Während andere sofort die Zündung starteten, wenn sie Interesse zeigte, war Gilbert noch nicht einmal aufgefallen, dass es sie überhaupt gab. Nitan hätte sich wahrscheinlich in den ersten drei Monaten nackt vor ihm hinstellen können und er wäre nicht darauf eingegangen. Erst nach einem halben Jahr hatte sie es geschafft, seine Aufmerksamkeit nur auf sich bezogen zu gewinnen. Ganze zwei Monate hatte es noch gedauert, bis sie endlich soweit waren, dass man von einem Paar sprechen konnte und wer meinte, dass die kühle Blonde ihn nach einem weiteren Monat fallen lassen würde, wie ein Kind, dem das Spielzeug zu langweilig geworden war, der hatte seinen Wetteinsatz verspielt. Es dauerte zwar noch ein weiteres halbes Jahr, bis sie endlich an dem Punkt gemeinsamer ekstatischer Höhe in horizontaler Lage und den drei Wörtern angekommen waren, doch in dieser Zeit hatte Nitan die Liebe mehr als nur auf diese eine Art lieben gelernt. Die Zeiten in denen sie mit der ebenso triebgesteuerten Dame 'S.J' aus einer erfolgreichen US-Serie verglichen wurde, waren vorbei. Nitan war sesshaft geworden und jeder der das Gegenteil behauptete oder schamlose Verleumdungen säte, konnte sich darauf gefasst machen den Zorn einer blonden Furie zu spüren. Sie hatte seit zwei Jahren und einigen zerquetschten Monaten und Wochen bewiesen, dass sie ihre Liebe und erotische Seite mehr als nur einmal an ein und den selben verschenken konnte. Die Farbe kam wieder in Nitans Gesicht zurückgeschossen und die Fassungslosigkeit wandelte sich in euphorische Begeisterung. „Porsche Cayenne.“, hauchte sie spitz, während ihr Atem einem holprigen und bebenden Zustand annahm, der den erregenden Ekstasen seit einer gewissen Nacht glich – und wahrlich, es gab nicht viele Dinge, die Nitan in diesen Zustand fallen lassen konnten. Dafür war die Finnin, wie ihr Heimatland, viel zu kühl. Ein der beiden Stimulanzen formte sich zu ihrem Freund, die ander teilte sich in Bühnenleben und Autos auf. Letzteres war nur erregend, wenn es teuer, elegant und viel PS unter der Haube besaß. Plötzlich wurde sie von einer unerträglichen Hitze erfasst, die von Gil und dem Wissen der Automarke ausging und sie zum Schmelzen brachte. Das Herz schlug Saltos, Purzelbäume und sämtliche akrobatischen Hüpfer, die möglich waren und schien gar nicht mehr aufhören zu wollen. Wäre Hero nicht als Rettung erschienen, Gil hätte seine Freundin im neuen Aggregatzustand 'flüssig' mitnehmen müssen. „Bin da.“, erklang die helle Stimme der Japanerin. Gleichzeitig zeigte sich wieder diese uneingeschränkte Macht, die verbale Kommunikationsausgabe haben konnte. Wie von einem Bann erlöst, befreite sich Nitan von der Umarmung ihres Freundes und sauste zur Tür hinaus. „Dann kann's ja losgehen!“, hörten die anderen sie schreien, während Gil erstaunt hinterher sah. Ju, die dem panischen Lauf ihrer Freundin verfolgt hatte, meinte verwundert: „Und was ist mit ihrem Mantel?“ „Sie braucht keinen Mantel, die Autos wärmen sie.“, meinte Kari, die in der Zwischenzeit Hero geschnappt hatte und diese im eingehakten Zustand der Arme, mit sich zog. Es sollte erwähnt werden, dass sich Joe und Hero, was die erste Geige bei Kari anging, abwechselten. Je nachdem, wer zuerst auf der Bildfläche war, spielte in dem Zeitraum die Hauptrolle in Karis Welt, bis die zweite geliebte Person erschien. Joe war das abrupte Fallen lassen schon gewöhnt. Hero hingegen wurde sanft bei Seite gelegt. * Leni war an diesem Abend nur in Bewegung, sie glich einer aufgescheuchten Henne, der man den Fuchs in den Stall gesetzt hatte. Von einer Ecke des Lokals raste sie im hohen Tempo in die Andere. Extremsportler hätten ihr wahres Vergnügen gehabt, für Leni war das der pure Stress. Kaum hatte sie den fünf neuen Gäste an Tisch 7 die Bestellung abgenommen, da rief auch schon Kollegin Natascha an Kuchentheke ihr zu. Es gab mal wieder Schwierigkeiten mit der Kaffeemaschine. Typisch! Kaum herrschte Hektik in dem Laden, stieg das Erbe aus Zarenzeiten aus. Auf den Weg zur Theke knallte Leni den Zettel für Tisch 7 dem Ober, der gerade mit einem leeren Tablett in die Küche wollte, entgegen. „Hier, sag du mal Bescheid.“, meinte sie mit überschlagender Stimme und konnte nur darauf hoffen, dass ihr ältere Mitstreiter es auch tat. Bei Natascha angekommen, verschnaufte Leni, während die rothaarige Kollegin ohne Punkt und Komma auf sie einredete. „... und plötzlich blieb das Ding hängen, jetzt funktioniert gar nichts mehr und schau die dir die vielen Menschen an. Die wollen alle Kaffee. Ich hab sie schon gebeten, einen Tee zu nehmen, aber heißes Wasser, so meinen sie, können sie auch daheim kochen.“, kam es panisch. „Schon gut, ich schau mal, wo das Problem liegt.“, meinte Leni noch immer Atemlos und ließ einen prüfenden Blick über das Gerät schweifen. Im Hintergrund ertönte die Stimme einer sehr ungeduldigen Frau im Pelzmantel und tiefroten Lippen, die sich darüber empörte, dass das Personal einfach unfähig sei. Bei jedem Wort konnte jeder sehen, wie die dunkelrote Farbe ihres Lippenstiftes an ihren Zähnen hängen blieb und dort in kleinen Schlieren verwischte. Appetitlich war anders. Leni bedachte die Frau nur mit einem genervten Blick, sie hatte keine Zeit sich mit solchen Personen über banale Bemerkungen zu streiten. Viel wichtig war es, dass das Kaffeemaschinenproblem gelöst wurde. Äußerlich schien mit dem klapprigen Teil alles in Ordnung zu sein, nur das scharrend, quietschende Zischen und der metallische Klang der Wasserpumpe ließ Leni erahnen, das etwas nicht stimmte. Das Gesicht verziehend, öffnete sie den Schrank unterhalb der Maschine und konnte gerade so ihre Füße in Sicherheit bringen. Ein Schwall aus Wasser plätscherte heraus und ergoss sich über den roten Teppich. Entnervt seufzte sie und blickte zu Natascha. „Die Wasserzufuhr ist unterbrochen, der Schlauch hat sich gelöst. Sag Oleg, er soll das Wasser hier für einen Moment abstellen, sonst haben wir hier gleich eine Überschwemmung.“ Sofort flitzte die Rothaarige in die Küche und bat den Koch das Wasser abzustellen. Dieser kam der Bitte nur mürrisch nach, aber er tat es. Kaum, dass das Wasser aufgehört hatte zu sprudeln, versuchte Leni den Wasserschlauch mit der Maschine zu verbinden. Sie drehte die Verbindungsmutter so fest an, wie sie konnte. Danach gab sie Natascha das Zeichen, damit das Wasser wieder angedreht werden konnte. Prüfend blickte Leni auf den Kaffeespucker. Erst tat sich gar nichts, doch dann waren brodelnde Geräusch zu hören. Die Pumpe gab keinen metallischen Klang von sich und das grauenhafte Zischen hatte auch aufgehört. Ein Pfiff ertönte und plötzlich schoss ein heißer Strahl Kaffee aus der Öffnung direkt in die Tasse hinein. Mit einem warmen Lächeln wandte sich Leni an die Kundschaft und meinte mit einem vorangehenden Gruß der Entschuldigung, dass der Betrieb an der Kuchentheke wie gewohnt weitergehen würde. Der Vorfall mit der Kaffeemaschine hatte genau die Zeit in Anspruch genommen, die der Koch und seine Helfer für die Essenszubereitung für Tisch 7 gebraucht hatten. Somit brauchte Tisch 7 nicht auf sein Essen zu warten und hatte als Zeitüberbrückung die 'Legende der nicht Kaffee spuckenden Kaffeemaschine' miterleben dürfen. Na, wenn das kein Gesprächsstoff gab. Leni war gerade auf den Sprung zu einem anderen Tisch, um das benutzte Geschirr abzuräumen, da ertönte ein ihr bekannte Stimme. „Frau Leni Solowjowa, haben Sie einen Moment?“, es war ihr Chef, Anton Koslow. Leni hatte ihn erst gar nicht wahrgenommen, da er an einem der Tische saß. Erstaunt wirbelte sie herum und sah ihn verdutzt an. „Sicher.“, meinte sie freundlich und kam der Bitte nach, sich mit an den Tisch zu setzen. Verwundert und darauf wartend, was er wollte, sah sie ihn an. Es dauerte einen Moment, bevor ihr Chef sein Anliegen hervorbrachte. Zwischenzeitlich kam ein ältere Gast vorbei, der dem Chef die Hand auf die Schulter legte und sich bei diesen für die Übernahme der Kosten bedankte. Erst als dieser gegangen war, legte Koslow seine gesamte Aufmerksamkeit auf Leni. „Ein Freund von Ihnen, ich glaube ihr Mitbewohner.“, der Chef legte eine Pause ein, um sich den Namen ins Gedächtnis zu rufen. „Dimitri Mo...“ „Dima Morosow.“, erklärte Leni schnell und erschrak über sich selbst, dass sie so frei raus geantwortet hatte. Entschuldigend sah sie Koslow an, der sie verwundert betrachtete aber gleich darauf weiter sprach. „Ganz genau, der. Dieser junge Mann hat mich darum gebeten, Ihnen während dieser WM, die da in Moskau stattfinden soll, frei zu geben. Er meinte, ohne sie würden er und sein Trainingspartner sich nicht richtig auf die WM was das kulinarische Befinden angeht, vorbereiten können und auch während der WM bräuchten beide ihre Unterstützung.“, Koslows Stimme klang gelangweilt und desinteressiert. Doch die Aufregung in Leni, ließ sie die monotone, fast einschläfernde Stimmlage überhören. Sie lächelte sogar verlegen, als sie hörte, welche Begründung Dima ihren Chef angebracht hatte, um diesen davon zu überzeugen sie mitfahren zu lassen. „Nun ja, was das Wissen von Rezepten angeht, sind beide wirklich nicht die Gesündesten.“, hauchte sie als Bestätigung zu dem, was sie eben gehört hatte. Ihren Blick hatte sie nach unten gerichtet, doch in ihrem Gesicht war ein Lächeln zu sehen, welches Koslow nicht entging. „Deswegen mein liebes Kind, werde ich es nicht zulassen, dass die Beiden allein nach Moskau reisen.“, der plötzliche Hautkontakt ließ Leni erschrocken aufsehen. Aus den Augenwinkeln sah sie seine Hand auf ihrer ruhen. Nur langsam, murmelte Leni ein 'Danke'. Sie konnte nicht sagen warum, aber die Berührung zwischen ihr und dem Chef ließ ein unbehagliches Gefühl aufkeimen. Die junge Russin war wirklich froh persönlich von ihrem Chef zu hören, dass sie mit durfte, aber ihr Inneres zog sich immer mehr zusammen, je länger seine Hand ihre umgab.Vorsichtig versuchte Leni ihre Hand aus der männlichen Gefangenschaft zu befreien, doch Koslow ließ dies nicht zu. Im Gegenteil, er nahm nun seine zweite Hand hinzu und fing an ihre zu tätscheln. Nun spannte sich ihr gesamter Körper an. Verkrampft saß sie auf den Stuhl und blickte sich so unauffällig wie möglich nach ihren Kollegen um. Der Versuch ihrem Chef zu sagen, dass sie diesen beim Trubel beistehen musste, gelang ihr nicht. Koslow forderte Aufmerksamkeit und Augenkontakt. „Wissen Sie Leni, ich weiß nicht ob Sie wirklich nur wegen der Verpflegung mit müssen, aber...“, er brach mit dem visuellen Kontakt und ließ seinen Blick über ihren Körper streifen. Unterhalb ihres Halses, in der Nähe des bedeckten Dekolletés, blieben seine Augen für einen Moment mit begierigen Ausdruck hängen, bevor er den Augenkontakt mit ihr wieder aufnahm. „Ich kann es den jungen Männern nicht verdenken. Warum sollten die Beiden erst was bezahlen, wenn sie es doch von Haus her geliefert bekommen.“, den letzten Satz hatte er in Gedanken zu sich selbst unbewusst im flüsternden Ton ausgesprochen. Doch Leni hatte es gehört und verstanden. Ihr Puls raste, sie hatte das Gefühl jeder in diesem Raum konnte ihr Herz schlagen hören. Dieser prüfende Blick hatte ihr den Rest gegeben und diese Anspielung auf ihren Körper, wie konnte er denken, dass sie nur aus dem Grund von den Jungs mitgenommen wurde. Ihr wurde heiß und wieder kalt, alles fühlte so unrealistisch an und seine Berührungen an ihrer Hand ekelten sie regelrecht. „Nun,“, versuchte sie als Ansatz. Sie brach ab. Ihre Stimme zitterte, sie musste sich fassen, durfte keine Schwäche zeigen. Das Beste war, so zu tun, als ob sie seine Deutungen falsch interpretierte. „Ja, Leni?“, Koslow wartete auf eine Antwort. Wie konnte er sie nur beim Namen nennen, beim Vornamen. Noch einmal holte Leni tief Luft. „Frei Haus, das glaube ich weniger.“, meinte sie. „Die Zutaten müssen schließlich auch bezahlt werden.“ „Natürlich müssen sie das. Das Auge soll ja schließlich auch was davon haben.“, sein Lächeln erschien Leni in diesem Augenblick dreckig und gleichzeitig verwirrte sie dieser Satz. Er sprach einfach weiter. „Leni. Wissen Sie, dieser Morosow hat ihr Essen in den höchsten Tönen gelobt. Warum versuchen Sie nicht mal in der Küche ihr Glück.“ Jetzt verstand sie gar nichts mehr. Eben hatte er noch auf ihren Körper angespielt und nun sprach er über ihre Kochkünste, die von Dima so hoch gelobt worden waren. „Nun, was meinen sie?“, hakte er nach. „Sie meinen, ich sollte dem Koch beim Backen und Braten helfen?“, stotterte sie vor Aufregung. Doch ihr panisches Verhalten kam nun nicht mehr von der Berührung, sondern von ihrer Psyche. In ihr wirbelten Fragen herum, auf denen sie keine Antwort zu wissen schien. Hatte sie sich die Anspielungen auf ihren Körper nur eingebildet? War ihr deshalb die Berührung so ekelhaft vorgekommen? Waren ihr die Nachrichten über Missbrauch am Arbeitsplatz und Übergriffen von ranghöheren Arbeitskollegen zu Kopf gestiegen und hatten ihr ein Trugbild vorgespielt? Sie konnte doch nicht so Paranoid geworden sein, nur weil er ihre Hand in einer so vertrauten Art und Weise tätschelte. Leni war so sehr in ihren Gedanken versunken, dass seine Stimme sie aufschrecken ließ. „Ja, aber nicht jetzt. Sie müssen ja erstmal zeigen, dass Sie auch was drauf haben.“, schon wieder fanden seine Augen den Weg zu ihren Brüsten. Leni war fassungslos. Nein, Paranoid war sie nicht, die Bestätigung folgte auf dem Fuß. „Wie wäre es, nach Lokalschluss? Sie backen einen kleinen Kuchen und den koste ich und wenn ich zufrieden bin, dann dürfen sie einige ihrer Kuchen in der Theke verkaufen. Na, wie wäre das?“ „Nach Ladenschluss?“, sie hätte heulen können. „Ja, sicher. Während der Öffnungszeiten ist das nicht möglich, mein Kind.“ Koslow rückte näher an sie heran und führte eine Hand zu ihrer Wange, dort strich er hauchfein über ihre Haut und spielte mit einer Strähne die nicht in den streng geflochtenen Zopf eingebunden war. „Schließlich müssen die Einnahmen, die während ihrer Fehlzeit nicht reinkommen, nachgeholt werden. Und warum sollten Sie dabei nicht ein wenig Spaß haben. Immer nur die beiden Jungs daheim zu bekochen, ist doch nicht das Wahre. Nach dieser WM machen wir es uns einen Abend hier gemütlich und Sie zeigen mir, wie es mit Ihrer Kochkunst bestellt ist.“ „Ja, natürlich. Danke.“, hauchte Leni und wich den Berührungen in ihrem Gesicht aus. Die Strähne wurde verächtlich von ihr hinter das Ohr gestrichen. „Du brauchst dich nicht zu bedanken, das mach ich doch gerne. Sie sind doch ein braves Mädchen und würden alles tun, um das Studium zu finanzieren und um bei den Jungs zu sein, nicht?“, mit diesen Worten entließ Koslow sie aus seinen körperlichen Fängen. Benommen und blass, taumelte Leni zur Theke, hinter der Natascha stand. Würde sie wirklich alles tun? Das unbehagliche Gefühl blieb als sie mit leicht zittrigen Beinen neben der Rothaarigen stand. Bis zum Ende hatte sie gehofft, dass dieses Tätscheln und Betrachten nur eine Marotte von ihm war, doch der Moment als er das 'du' angesprochen hatte, wurde ihr bewusst, dass die Angst begründet war. „Hast dich ja prächtig mit dem Alten unterhalten.“, meinte Natascha muffig. Darauf konnte Leni nichts sagen. Sie zahlte Geld in die Kasse ein, entschuldigte sich bei der Kundschaft, dass sie sich einfach den nächsten Kaffee nahm und setzte sich in eine ruhige Ecke. Verwundert sah Natascha ihr nach und winkte eine Kollegin hinzu, die für einen Moment den Verkauf übernehmen sollte. „Bist ja kreidebleich. Was wollte der Chef den von dir?“, gelangweilt an der Wand lehnend und ihre roten Krallen betrachtend, die mal wieder eine unbezahlbare Maniküre notwendig hatten, wandte sie sich Leni zu. Mit kurzen Schlücken versuchte diese den Kloß in ihrem Hals herunterzuschlucken, bevor sie eine Antwort gab. „Er hat zweideutige Anspielungen gemacht. Er will mich nach Ladenschluss hierbehalten, damit ich ihm meine Kochkünste vorführen soll.“ „Und? Was ist daran zweideutig? Dann kochst du halt für ihn und gut ist.“, meinte Natascha mit den Schultern zuckend. „Ach, du verstehst das nicht.“, winkte Leni ab und versuchte das Gespräch zu beenden. „Wie du meinst.“, kam es von der Rothaarigen, die einmal genüsslich mit vorgehaltener Hand gähnte. „Beschwer' dich aber nicht. Du bekommst fast einen gesamten Monatslohn umsonst. Mit eins, zwei Gefälligkeiten musst du ihm schon beweisen, dass du sehr dankbar bist, die Erlaubnis bekommen zu haben mit deinen Jungs nach Moskau zu reisen.“ Erstaunt sah Leni Natascha an. „Dann hast du ja doch verstanden was ich meine.“, flüsterte sie. „Süße, du bist nicht die Erste und auch nicht die Letzte mit der er einen schönen Abend hatte und haben wird. Wer eine Extrawurst haben will, der muss auch Leistung bringen und wenn er die Gelegenheit hat mit einem Mädchen, dass nicht so vertrocknet wie sein Alte daheim ist, zu flirten, dann macht er es auch.“, gab sie gelangweilt an und zwirbelte ihre Haare zwischen den Fingern. „Wie 'nur flirten' kam mir das aber nicht rüber.“ „Herrgott, wie sind nicht im Paradies. Um zu überleben musst du halt auch Opfer bringen.“, motzte Natascha. „Klar, dass ich nicht flirten gemeint hab. Er will ne schöne Nacht. Keine Sorge, du wirst es bequem haben und schwängern will er auch niemanden. Nur eine bisschen Spaß.“ „Natascha“, hauchte Leni fassungslos. „Du?“, mehr brauchte sie nicht zu sagen. „Himmel, was glaubst du denn, wie ich die Erlaubnis bekommen habe, mit meinem Freund Silvester in Moskau verbringen zu dürfen und nicht hier arbeiten zu müssen.“ Leni durchbohrte mit ihrem Blick die Kollegin, diese stieß genervt die Luft aus und gab der Kollegin Bescheid eine Raucherpause einlegen zu müssen. Sie schnappte Leni am Arm und zerrte sie durch die Küche zum Hinterausgang hinaus auf den schneebedeckten Hof. „Au! Du tust mir weh!“, zischte Leni böse. „Was soll das, Natascha?“ „Halt den Mund und hör zu.“, maulte diese sie an, während sie den Hof und den Angestellteneingang überprüfte, ob sie auch wirklich allein waren. „Für mich war es auch nicht gerade toll zu wissen, was er wollte. Aber ich hab es getan und so schlimm war es auch gar nicht.“ „Bitte?“, allein der Gedanke daran ekelte Leni. „Ich hab es für meinen Freund und für mich getan. Schließlich will ich Silvester nicht hier allein bei der Arbeit verbringen.“ „Weiß Viktor davon?“ „Spinnst du? Natürlich nicht.“, schoss es aus Natascha. „Der wird schon eifersüchtig, wenn mich ein Halbstarker nur mal anlächelt. Was meinst du, was der getan hätte, wenn er davon erfahren hätte.“ „Aber ...“ „Kein 'aber', Leni. Du wirst Vik nichts sagen. Klar.“ „Ja.“, zur Bestätigung nickte die Angesprochene. Den Blick zu Natascha wollte sie nicht erwidern. „Leni.“, die Stimme der Rothaarigen klang brüchig. „Es … ich hab es mir schlimm vorgestellt. Aber … er will nur einen jungen Frauenkörper berühren und vergessen, dass er daheim eine alte und vertrocknete Schachtel hat.“ „Kannst du es vergessen?“, hauchte Leni und sah ihrer Freundin in die Augen. Diese wandte sofort den Blick ab und wischte sich unwirsch die Tränen aus dem Gesicht. „Du wirst es lernen. – Ich hab es schließlich auch gekonnt.“, damit sah sie Leni wieder an. „Wie oft hat er...?“ „Nur das eine Mal.“, gab Natascha zur Antwort. „Nur einmal.“ Leni wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Es behagte ihr nicht, Natascha in die Arme zu nehmen und sie zu trösten und trotzdem tat es ihr weh, die Rothaarige zu sehen. „Leni.“, mit festen Blick sahen sich beide an. „Er wird nicht von dir verlangen, dass du dich komplett entkleidest. Nur, so viel, wie nötig ist.“, damit war das Thema für Natascha beendet und sie ging ihre Kollegin wieder ablösen. Leni blieb mit ihren Gedanken allein zurück. Opfer bringen, mussten diese wirklich so aussehen. Natascha hatte bestätigt, was sie geglaubt hatte in den Anspielung auf ihren Körper zu sehen. Das an dem Abend mehr als nur Essen kochen passieren würde, falls es überhaupt dazu kam, war so sicher, wie die Tatsache, dass es von der Jahreszeit her, Winter war. Es fröstelte Leni, doch nicht die Kälte des Dezembers stieg in ihr auf, es war eine andere Art des Zitterns. Ein tiefe dunkle Vorahnung, die ihr mehr als nur Angst einjagte. Dima ahnte nicht, was auf die Frau, für deren Urlaub er so gekämpft hatte, zukam. Nein, er ahnte gar nichts. Fröhlich und mit seinem gesamten Charme flirtete er auf den Heimweg mit einigen Mädchen, die ihm süß und verlegen zulächelten. Sein Säuseln ließ sie alle Reihenweise weiche Knie bekommen und es schien, dass sie nicht genug von seiner tiefen Stimme bekommen konnten. Natürlich machte es dem Schürzenjäger Spaß Frauen den Kopf zu verdrehen, aber was nützte es ihm, wenn er bei der Einen, die er für sich auserkoren hatte, nicht landete. Hin und wieder konnte er sie in Verlegenheit bringen und ihr die Röte auf die Wangen zaubern, doch die meiste Zeit blieb sie eisern und mimte die Unantastbare. Im Grunde gefiel ihm ihr Verhalten, so konnte er wenigstens Sicher sein, dass sie treu sein würde, sobald sie ihm sein Herz geschenkt hatte. Doch er liebte auch diese andere Seite an ihr, wenn der Wodka ihr inneres Feuer weckte und sie freizügiger und sinnlicher werden ließ. Da sie nur selten Alkohol trank und dadurch die traditionelle Trinkmethode nicht regelmäßig frönte, wie er und Kostja, hatte er nur ein einziges Mal diese geheimnisvolle Seite an ihr erleben dürfen und er wäre glücklich gewesen, wenn sie diese auch im nüchternen Zustand vor ihm präsentiert hätte. Die Erinnerung daran raubte Dima immer wieder den Atem. Wie konnte ein so elegantes Mädchen, wie sie, so sündig und verrucht werden. Er hätte seine Chance nutzen sollen, als er sie hatte – aber sein Anstand und die Liebe zu ihr, obwohl sie unerwidert war, hatten ihn davon abgehalten. Passiert war alles vor einem Jahr zum Neujahresfest. Kostjas Adoptiveltern waren aus Japan zu Besuch gekommen. Wie bei jeder ordentliche Feier floss auch der Wodka. Kostja, der vor seinen Eltern nicht so viel Wodka trinken wollte, wie er es eigentlich konnte und seine Eltern, denen soviel Alkohol nicht gut tat, hielten sich von dem russischen Nationalgetränk fern. Er selber genehmigte sich immer einen Extraschluck auf dem Weg in die Küche und Leni nippte nur daran. Es hätte ihm auffallen müssen, dass mir ihr etwas nicht stimmte. Den gesamten Tag hatte sie sich schon merkwürdig verhalten, doch er hatte es durch den Trubel mit Kostjas Adoptiveltern nicht bemerkt. Hätte er gewusst, dass Leni an dem Abend noch so ausgetickt wäre, er hätte den gesamten Inhalt der Wodkaflaschen in den Abfluss verbannt. Während Kostja seine Eltern zum Hotel begleitete, waren bei Leni irgendwie die Sicherungen durchgebrannt. Sie hatte es geschafft innerhalb einer halben Stunde eine und ne viertel Wodkaflaschen allein zu leeren, leider hatte sie das Essen nebenbei vergessen und so passierte, was geschehen musste. Der Wodka wirkte und er hatte sie so lasziv, wie noch nie erlebt. Sie konnte von Glück sprechen, dass er aus einer wohlerzogenen Familie kam und ihm wirklich etwas an ihr lag, sonst wäre er ihrem lockenden Rufen, Bitten und Flehen verfallen. Immer wenn er an diesem Moment zurückdachte, wurde Dima ganz warm ums Herz. Zu wissen, dass ihn dieses Paradies erwartete, sobald er ihr Herz eroberte und er sie SEIN nennen konnte, machte ihn ganz wirr im Kopf. „Leni, wo bist du?“ Suchend hetzte Dima durch die Räume der kleinen Wohnung. Eben noch war sie in der Stube gewesen, doch jetzt, nachdem er vom stillen Örtchen wiederkam, war sie weg. Und bei ihrem angeheiterten Zustand, war sie eine Gefahr für sich selbst. Fast alle Zimmer hatte er durchsucht, selbst auf dem Treppenflur hatte er nachgesehen, keine Leni. Der einzige Ort, wo sie nun sein könnte, war sein Zimmer. `Nie im Leben`, dachte sich Dima, doch nachzusehen schadete ja nichts. Schließlich würde Kostja ihm die Hölle heiß machen, wenn der guten Seele dieser WG etwas in seiner Abwesenheit passieren würde, in seiner Anwesenheit hätte Leni es gar nicht geschafft, eine Flasche Wodka in einer halben Stunde leer zu trinken und eine andere anzubrechen. Vollkommen geschafft und mit dem letzten Funken an Hoffnung, stürmte er sein Zimmer und blieb nach zwei Schritten wir angewurzelt stehen. Das was er da sah, verschlug ihm nicht nur den Atem, auch sprachlich schien sein Gehirn auszusetzen. Nach den ersten kurzen Atemstößen bemerkte er den süßen und lockenden Duft, der ihn umfing und einhüllte. Das dämmrige Licht seiner Schreibtischlampe gab den Blick auf die Konturen einer jungen Frau preis, die auf seinem Tisch platz genommen hatte. Die Beine waren übereinander geschlagenen, währen die Hände den Oberkörper nach hinten weg abstützend. Eng lag die schwarz-bordeauxroten Corsage mit dem passenden Höschen an dem Körper an. Die roten Ohrringe funkelten ihm entgegen, genauso wie der Glanz in ihren Augen, die leicht erregt blickten. „Und?“, hauchte sie, „Steht sie mir? Ich wollte gerne deine Meinung dazu wissen.“, ihre Stimme war zittrig vor Aufregung und ihr Blick, trotz des erotischen Auftrittes, schüchtern und scheu. Dima schluckte, er bekam gar nicht mit, wie er selbst die Tür hinter sich schloss und langsam den Schlüssel herumdrehte. Nicht, damit die süße Versuchung keine Chance bekam zu fliehen, sondern, damit er mit ihr nicht gestört wurde – bei Kostja konnte ja man nie wissen. Wie in Zeitlupe ging er auf die junge Frau zu. Er beobachtete, wie ihr Körper bei jedem Atemzug bebte. Unsicher blickte sie ihn an. „Steht sie mir?“, sie klang nervös und unsicher. In Gedanken schüttelte Dima amüsierte den Kopf, wie konnte so eine elegante und durchsetzungsfähige Frau, unter Alkoholeinfluss, in der Gegenwart eines Mannes so nervös werden. Ruhig stand er nun vor ihr und betrachtete den wunderbar geformten Körper, dessen Haut sich hinter der Seidencoursage versteckte. In Dima drängte sich die Frage auf, wie sie dieses Stück Stoff überhaupt bezahlen konnte und genauso schnell, kam auch seine Antwort. Das Paket, das einen Tag vorher für Leni gebracht wurde und von ihrer Großmutter stammte, hatte genau die Größe, das sowohl Schmuck und der Stoff hineingepasst hätten. Was war das bitte schön für eine Großmutter? Andere schenkten etwas zum Naschen oder lang haltbare Lebensmittel, die am Besten noch selber zubereitet und eingekocht waren und Lenis Großmütterchen, Valja, schenkte ihrem Enkelkind Reizwäsche. „Dima“, hauchte Leni leise und bekam somit seine Aufmerksamkeit. Ihre großen Augen blickten ihn unsicher an, er begegnete ihr mit einem Lächeln. Vorsichtig berührten seine Finger ihr Gesicht und strichen über ihre Wange. „Sie steht dir. Dir steht alles.“, wisperte er mit rauer Stimme ihren Lippen entgegen und vernahm die Wandlung ihres Blickes von Unsicherheit in Unglauben. „Du bist wunderschön.“, flüsterte er, während seine Handfläche auf ihrer Wange ruhte, um dann langsam ihren Nacken hinunter wanderte. Er zog sie an sich heran, brachte ihren Verstand dazu, ihn zwischen ihre Beine zu lassen. Wie in Trance umfingen ihre Arme seinen Körper, um näher bei ihm zu sein. Als sich ihre Lippen berührten, spürte Dima das zarte Beben ihrer naiven Unschuld. Sie war die pure süße Sünde. Hatte sie wirklich nie erfahren, was ein Kuss bedeutete oder hatte sie schon unzählige Male geküsst, aber nie mit solch einem Antlitz, mit solch viel frei gezeigter Natur? Und wenn schon, ihm war es egal, ob andere Männer diese Lippen schon im Besitz hatten, jetzt lagen sie an den Seinen und er würde ihnen nicht so schnell ihren eigen Willen lassen. An ihren geschmiegt verführten seine Lippen die vollen Weiblichen zu einem Tanz, der mit jeder Sekunde an Genuss und Feuer zunahm. Es war längst kein einfacher Kuss mehr, der nur über die Münder stattfand. Ihr Zungen verhakten und neckten sich, während ihre Leiber noch immer von Kleidung bedeckt gegeneinander drängten. Seine Hände lösten das Band auf der Rückseite der Coursage, durch jede Schlaufe zog er es, ihre hingegen griffen in sein Haar und die Beine umschlangen seine Hüfte. Ihr Atem war heiß und zittrig, als er von ihr ließ und seine Lippen ihre Wange liebkosten. Sie krallte sich für den Moment, an dem er an ihrem Hals entlangwanderte, tiefer in sein volles Haar. Ihre Beine rieben an seinen Seiten, während sie ihren Rücken durchbog. Das Einzige was sie davon abhielt sich vollendend auf dem Tisch niederzulegen, war er, mit seinen starken Armen und dem Drang ihren Bewegungen nicht in dem Maß nachzukommen, wie sie es verlangte. Dima gebot seinen Lippen an ihrem Dekolletés Einhalt und betrachtete die erregte Leni, die leise mit einem flehenden Blick in seine Augen seinen Namen wimmerte. Lockrufe einer Sirene. Die Coursage hatte er fast offen. Er musste das Band nur noch durch eine Schlaufe ziehen und der erste Schritt ins Paradies war sein. Die Augen wieder auf ihren sich betörend bewegenden Körper gerichtet, fuhr er langsam mit den Händen über die noch bedeckte Haut. Lenis Atem nahm zu, als er sich ihren weichen Rundungen nährte und dort zärtlich Druck ausübte. Ein kleiner Funke ihres Daseins hoffte, dass Dima nicht bemerkt hatte, dass sie noch so unerfahren war, wie ein junges Reh, dass zum ersten Mal den sicheren Wald verließ. Doch das Hoffen war vergeblich, schon an ihrem unbeholfenen zittrigen Kuss, der am Ende feurig und zärtlich zugleich war, hatte Dima erkannt, dass nie ein Mann Leni einmal als sein Mädchen betitelt hatte. Sie war so unschuldig, aber so verführerisch. Alles an ihr wollte er berühren, begehren und verführen. Ihr Haar duftete nach diesem süßen und leichten Parfum, dass er so liebte. Ihr Körper war so warm und passte sich genau seinem an. Die Lippen voll und rosig, bereit jederzeit seinen Mund zu begrüßen und sich auf diesen wilden Tanz einzulassen. Ihr Busen – perfekt. Nie hatte er geglaubt, solch eine Gelegenheit geboten zu bekommen. Wenn er wollte, konnte er sie jetzt haben, doch er wagte nicht, diesen letzten Schritt zu gehen. „Leni“, hauchte Dima. „Ja“, brachte sie leise hervor. „Du bist schön. Atemberaubend. Gott allein weiß, wie sehr ich dich in diesem Moment haben will.“ „Dann nimm mich.“, sie schlang ihre Arme wieder um ihn und zog ihn an sich ran. „All das ist dein.“ Dima küsste nacheinander ihre beiden Wangen, den Mund, die Nasenspitze und die Stirn, dann zog er sie in seine Arme und wiege sie ein wenig hin und her. „Dima.“, kam es leise von ihr. Sie war verwirrt. Der Angesprochenen brauchte noch einen Moment, er sah zur Zimmerdecke und atmete tief ein. Seine Hand fuhr zu ihrem Kinn und er hob ihren Kopf leicht an. „Süße Leni, wie gern würde ich dich in dieser Nacht mein nennen und dir das Verlangen und die Sehnsüchte erfüllen, die du begehrst. Aber, was wäre das für eine Nacht, wenn nicht du selbst bestimmst, was du willst, sondern der Wodka, der erst deine Leidenschaft wecken musste.“, während er die Worte sagte, konnte er sehen, wie die Enttäuschung in ihr hochkam. „Aber wenn ich irgendwann solch eine Wirkung auf dich hab, dass du wegen mir und nicht wegen dem Alkohol solch ein Verlangen nach mir bekommst, dann lass dir gesagt sein, es wird keinen Moment geben, in dem ich darüber nachdenke, ob es falsch oder richtig ist was wir tun.“. Oh, konnte der Kerl Süßraspeln. In den nächsten Momenten hoffte dieser Kerl inständig, dass Kostja nicht zur Wohnungstür hereinspaziert kam. Sobald er aber Leni in ihrem Bett abgeliefert und selber aus ihrem Zimmer verschwunden war, durfte der jüngere Russe die Wohnung so oft stürmen, wie er wollte. Am nächsten Morgen stellte sich heraus, dass Leni keinen Schimmer hatte, wie sie in ihr Bett gekommen war und noch weniger, dass sie ihren ersten Kuss an Dima verloren hatte. Nur Dima, der musste mit den Gedanken an diese eine Nacht leben, die trotz des Abbruchs seinerseits, auf Platz eins seiner Favoritenliste kam. Es stellte sich nur eine Frage: Was war wohl am nächsten Morgen in Lenis Kopf vorgegangen, als sie bemerkt hatte, dass sie die geschenkte Corsage trug. Omas und Alkohol konnten manchmal so gemein sein. „Sag mal träumst?“, Kostja stieß seinen Kameraden unsanft in die Rippen. „Au!“, meinte dieser gespielt wehleidig und blickte den Jüngeren an. „Eifersüchtig, he? Das die ganzen Mädchen nur mich begrüßen. Musst halt netter zu ihnen sein.“ „Das Thema hatten wir schon.“, brummte Kostja und stiefelte weiter. Dima lachte und versuchte Schritt zu halten. „Was machen wir heute zu essen?“, fragend wurde er von Kostja angesehen. „Sind wir dran?“, vollkommen erstaunt, dass nicht Leni, sondern die beiden Jungs mit Kochen dran waren, erwiderte er den Blick. „Na, Leni hat Spätdienst. Die Arme kommt erst, wenn das Lokal schließt.“ „Achso.“, raunte der Ältere und rieb sich den nicht vorhandenen Bart, aber dafür die schon ansatzweise wieder gewachsenen Stoppeln. „Ich muss mich rasieren.“, hauchte er und betastete seine Wangen. „Wenn das deine einzige Sorge ist, dann fällt das Essen aber flach.“ „Ach was. Wir finden schon was.“ „Es muss aber auch Leni schmecken.“ „Vielleicht hat sie ja was eingefroren.“ Ein tiefer Seufzer entrann Kostjas Kehle. Es war ein Verzweifelter. Daheim angekommen, drehte Dima verwundert den Schlüssel im Schloss um. Hatte Leni vergessen ordentlich abzuschließen oder war sie schon daheim? Aber von unten hatte er kein Licht brennen sehen. Er hielt inne. „Stimmt was nicht?“, fragend sah Kostja ihn an, diesen gab er nur das Zeichen sich still zu verhalten. So leise wie möglich öffnete Dima die Tür, alles war dunkel als sie in den Flur eintraten. Vorsichtig schloss Kostja den Eingang und wartete, was als nächstes passieren würde. Dima tastete nach dem Lichtschalter und betätigte diesen. Sorfort brannte die kleine Birne und brachte flackernd warmes Licht in die Wohnung. Nichts regte sich, kein Ton war zu hören. Spätestens jetzt hätte ein Einbrecher einen Laut von sich gegeben und wenn es nur die Geräusche der Flucht waren. Schließlich gab es so manch eine Diele, die gerne im Dunkeln so laut knackte und knarrte, dass sich sogar der Untermieter einmal beschwert hatte. Am Ende hatte es sich aber herausgestellt, das die Geräusche, die ihn in der Nacht geweckt hatten, von seiner Frau kamen. Die Gute war auf einer Diät gewesen, um ihren Mann zu gefallen und wurde in der Nacht vom Hunger heimgesucht und das in einer Lautstärke, da verkrochen sich sogar gestandene Bären ganz tief in ihrer Höhle. Gerade als die Beiden glaubten, dass alles in Ordnung war, hörten sie das Knarren einer Tür. Leni kam aus ihrem Zimmer. „LENI“, gaben Beide lauter als sie wollten von sich, erschrocken von dem plötzlichen Bruch mit der Stille. „Was?“, vollkommen erstaunt über den Auftritt ihrer Jungs sah sie diese an. „Was?“, äffte Dima, „wir dachten, hier sei eingebrochen wurden, weil die Tür nicht abgeschlossen war und kein Licht brannte.“ „Ich war in meinem Zimmer und hab geschlafen und wenn ich schlafe, braucht kein Licht zu brennen.“, vollkommen genervt zog sie sich wieder in ihren Raum zurück. Doch bevor sie ihre Tür schloss, rief sie ihnen noch was entgegen. „Essen steht im Ofen.“ „Ich glaub, ihr geht es nicht gut.“, meinte Kostja besorgt. „Das hab ich auch mitbekommen, sonst wäre sie ja nicht schon daheim.“, Dima zuckte mit den Schultern und lief in Richtung Küche, „Wahrscheinlich hat sie die für Frauen typische Krankheit.“ „Was denn?“ „Kopfschmerzen.“ * Seit einer Woche war für Akemi die Welt, wie sie eigentlich war, nicht mehr vorhanden. Für sie existierten nur noch zwei Farben, das restliche bunte Treiben nahm sie nicht mehr war. Abhängig von ihren Gefühlen erschien ihr die Umgebung in einem quietschenden Rosarot oder fröstelnd Weiß – und alles nur, wegen einer Einladung. Das sie damit auch ihre Familie den letzten Nerven kostete, bekam das liebestrunkene Mädchen gar nicht mit. Akemis Mutter hatte fast den Notarzt gerufen, als ihre Tochter vor einer Woche mit hochroten Kopf, leichtem Fieber und erhöhter Herzfrequenz von der Uni nach Hause geschickt worden war. Zu allem Überfluss schien ihr armes Kind durch das Fieber zu halluzinieren. So behauptete Akemi doch tatsächlich, die Bäume wären nicht vom Schnee bedeckt, sondern von hellroter Zuckerwatte und wenn ein Familienmitglied mit ihr sprach, so saß einem ein mit total verklärten Blick schauendes Mädchen gegenüber, das wie ein Dusel vor sich hinlächelte. Es hatte nicht viel gefehlt, Frau Ono hatte schon das Telefon in der Hand gehabt, da wäre Akemi eingewiesen worden. Doch glücklicherweise gab es noch Oma Ono – und die erkannte auf einen Blick, von welcher Krankheit ihre arme Enkeltochter heimgesucht worden war. Seit einer Woche war für Akemi die Welt, wie sie eigentlich war, nicht mehr vorhanden – denn die Gute war bis über beide Ohren verliebt. „Akemi-chan, gib Ruhe. Du musst morgen nochmal in die Uni.“, bellte ihr Opa mit begleiteten Husten aus dem Nebenraum. „Ja, Oji-san.“, kicherte Akemi und versuchte der Bitte nachzukommen. Doch irgendwie wollte das nicht so klappen, wie sie es vor hatte. Immer wieder geisterte der Moment in ihrem Kopf, als Takeru leicht verlegen mit ihr auf dem Plateau des Tokio Tower stand, abseits der restlichen Unikameraden, und sie darum bat in einer Woche seiner Einladung zu folgen. Ihr Herz wusste in diesem Moment nicht genau was es tun sollte, genauso wenig ihr Verstand. So vergaß sie doch tatsächlich für einen Moment zu atmen und ihre pumpende Antriebskraft schien auch nicht mehr so zu hüpfen, wie es eigentlich sein sollte. Nur stotternden hatte sie ein 'Ja' aus sich herauspressen können und nun lag sie auf ihrem weichen Futon, von der gesamten Familie – außer Oma – für verrückt erklärt, total verliebt und aufgeregt auf den nächsten Tag wartend. Während Akemi noch ihren Milchschaumträumen in Rosa nachhing, beschäftigte Opa nebenan ruhend, viel mehr die Sorge, was das für ein Kerl war, der es schaffte seiner kleinen Lotusblüte den Kopf so zu verdrehen, dass das arme Ding eine Hondo-Eule Konkurrenz machen konnte. „Über was grübelst du nach, mein Lieber?“, Oma sah ihrem Ehegatten mit fragenden Blick an. „Über diesen Taugenichts, der meiner Lotusblüte fiebrige Gedanken bringt.“, gab dieser grummelnd zur Antwort. Daraufhin konnte sich Oma nur amüsieren. „Wenn du ihn mal kennengelernt hast, dann wirst du keinen anderen für unsere Lotusblüte haben wollen.“ „Für meine Lotusblüte ist keiner gut genug und wenn es der Kaiser-Thronfolger-Enkelsohn persönlich wäre.“ „Der Sohn des Kaisers hat aber keinen Sohn. Er hat eine Tochter.“ „Na und.“, meinte Opa. „Und eigentlich, woher willst du wissen, wie dieser Kerl ist?“ „Weil ich ihn schon kennengelernt habe.“, bei diesen Worten fing Oma an zu schwelgen. „Ach ja, nochmal jung sein.“, gluckste sie vergnügt und beobachtete mit Freude, wie die Empörung im Gesicht ihres Mannes anstieg. „Bin dir wohl nicht gut genug.“, bellte er erzürnt und schob dabei beleidigt seine Unterlippe nach vorne. Oma lächelte nur und meinte, „Keinen anderen außer dir, hätte ich mir lieber gewünscht. – Aber, gib den Jungen eine Chance. Er ist ein guter Junge aus gutem Haus, für seine berufliche Zukunft ist schon gesorgt. Er ist außerdem gescheit und wenn ihn Akemi-chan doch so lieb hat, dass sie sogar Fieber bekommt, nachdem sie eine Einladung von ihm erhalten hat, dann kann da gar nichts schief gehen.“ „Um wen handelt es sich hier eigentlich?“, nun war Opa doch neugierig geworden und dass Oma soviel mehr über diesen Kopfverdreher wusste, passte ihm gar nicht. Er war schließlich das älteste Familienmitglied und somit mehr Recht als Schlecht das Oberhaupt – auch wenn keiner so richtig auf ihn hören wollte, allen voran Oma. „Ah, jetzt willst du also den Namen wissen.“, den Triumph über ihren Gatten kostete Oma aus und das ließ sie ihn auch spüren, was diesem überhaupt nicht gefiel. „Nun sag schon.“, drängt er sie. „Takeru-kun.“ „Wer ist das?“ Eindringlich sah Oma ihn an. „Kato-Clan.“, fügte sie hinzu. „Na, funkt es jetzt?“ Es erschien ihr, als ob bei ihrem Alten die Augen ausfallen würden, so weit riss dieser die Lider nach oben und der Mund vollführte stumme Gestiken, die einem Koi der nach Futter schnappte, glichen. Erst nach einigen Minuten gelang es Opa die Stimme wieder anzuwerfen. „Du meinst den Spross vom Kato-Clan?“ Oma nickte. „Warum hast du das nicht gleich gesagt?“, Opa wusste gar nicht, was er als Erstes tun sollte. „Wann ist die Hochzeit?“ „Also, Masao. Das du dich nicht schämst, lass die beiden erst einmal ein Paar werden und sich dann verloben.“, motzte Oma und sah ihren Gatten empört an, der dem Ganze mit einem verschmitzten Lächeln entgegnete und am Ende mit Lachen anfing. „Könntet ihr bitte aufhören, die Zukunft meiner Ältesten zu bestimmten. Es reicht schon, wenn ihr mit meiner gesponnen habt.“, rief Akemis Mutter im genervten Ton durch die Tür. * So hektisch wie der Vortag den Abreisetag am Internat veranstaltet hatte, so ruhig wurde es unter den Bandkollegen als diese ihren Platz im Privatjet von Gilberts Vater gefunden hatten. Obwohl Kari solche Flüge nutzte, um mit ihrem Freund zu kuscheln, wurde dieser, sobald Hero mit von der Partie war auf den zweiten Rang degradiert. Mit einer großen Tasse Kakao, die dampfend serviert worden war, lehnten sich Kari und Hero aneinander und sahen mit friedlichen Blick in den großen Flachbildschirm. Was konnte es schöneres geben, als mit der besten Freundin Kakao zu trinken und sich Jane Austens Verfilmung „Sinn und Sinnlichkeit“ mit Kate Winslet in einer der Hauptrollen anzusehen. Ein seliges Lächeln der Zufriedenheit war auf den beiden Gesichtern zu sehen. Obwohl die Anderen zur selben Zeit weniger ruhig auf ihren Plätzen saßen und am laufenden Band plapperten und lachten, war es wenige Minuten nach dem Start vollkommen still. Der Kakao dampfte halb getrunken in den Tassen vor sich hin und der Film gab ungesehen seinen Inhalt wieder. Jetzt rächte sich der Schlafentzug der Weihnachtsfeier in der vergangenen Nacht. Den drei Flugbegleiterinnen und den zwei Piloten mit einem Lotsen, konnte dieser Schlafmangel nur Recht sein. Sie kannten die Truppe, besonders die Jungs, als laute und wilde Horde, die jeden Flug als Party ansahen. Selbst wenn er so kurz war und nur über Europa hinweg ging. In London herrschten Temperaturen unter Null. Die meisten Straßen mussten jede Stunde vom heftigen Schneefall befreit werden. Am Heathrow Airport herrschte das Chaos. Die Enteisungsmaschinen kamen gar nicht mehr so schnell nach, wie die Flugzeuge vom scharfen Wind und den Minustemperaturen vereisten und es war ein Wunder, dass der kleine Privatjet der Familie Gray noch landen durfte. Die Flugbegleiterinnen hatten ihre Passagiere einige Minuten vor Ansage der Landung geweckt. Nun stand die Maschine, doch bei einigen der Insassen kam das große Bedürfnis zum Vorschein erst gar nicht Aussteigen zu wollen. Beim Blick aus dem Fenster fing Ju an zu frösteln. „Ach, sieht das kalt aus.“ „Es sieht nicht nur kalt aus, es ist bestimmt auch kalt.“, meinte Kari mit einem Blick auf Temperaturenanzeige ihres iPhones. „Müssen wir da wirklich raus?“, brummte Joe. „Jetzt sag nur, du bist ein Weichei.“, stichelte Nitan und ließ sich von Gilbert helfen, den Mantel anzuziehen. „Ich bin kein Weichei, aber die Kälte mag ich nicht.“, brummte Karis Freund in seinen Schal. „Ist ja auch kein Wunder, bist ja nur das sonnige Florida gewöhnt.“, nervte sie weiter, während Joe ihre einen bösen Blick zuwarf. „Ach, und wer wollte bei der Abreise nicht an der Tür nachsehen, um zu wissen um welche Autos es sich handelt?“, giftete er zurück. „Leute, es ist Weihnachten.“, warf Hero fröhlich in die Runde und hoffte, die Spannungen etwas zu lösen. „Wie jedes Jahr.“, gab Nitan schulterzuckend zur Antwort, die wie Öl auf Wasser an Hero abprallte. Sie hatte einfach ein zu sonniges Gemüt. „Nitan!“, zischte Ju mahnend. „Schon gut.“, meinte die Blonde amüsiert über Jus Mutterinstinkte gegenüber Hero. Ihr Blick wandte sich zur Flugbegleiterin, die im Begriff war, die Tür zu öffnen. Ein wahrlich eisiger Wind kam der Flugbesatzung und ihren Gästen entgegen. Selbst die an Kälte gewöhnte Nitan zuckte kurz zusammen und hoffte, dass keiner das gesehen hatte. Wäre ja peinlich gewesen. Dick eingehüllt in ihren Mänteln verließ die Gruppe das Flugzeug. Dabei ließ es sich niemand nehmen der Crew ein schöne Fest zu wünschen. Anstandshalber bei einigen. Mit einem Blick auf die Uhr stellte Gilbert fest, dass sie, wenn die Straßen ihnen gütig gesinnt waren, noch vor Mitternacht bei seinen Eltern ankamen. Also verlor die Truppe keine Zeit die Autos aufzusuchen. Nachdem kontrolliert worden war, dass die Koffer vollzählig in den Stauräumen der Autos verschwunden waren, konnte die Fahrt beginnen. Raus aus London, weg von dem hektischen Trubel, der in der Stadt durch die weihnachtliche Stimmung noch Schlimmer war als sonst. Die Fahrt ging in die Nähe des fast 70 Kilometer entfernten Aylesbury, Hauptstadt der Grafschaft Buckinghamshire. Dort besaßen Gilberts Eltern ein großes Anwesen mit einigen Hektar Land und den einen oder anderen zahlungsunwilligen Pächter. Wenn alles gut ging, würden die Jugendlichen durch das Wetter bedingt, nach einer eineinhalbstündigen Fahrt endlich ankommen. „Du, Kari-chan.“, Hero klang jammernd. „Willst du mich wirklich mit Gilberts Cousin Ewan verkuppeln?“ Kari seufzte und lehnte sich zurück. „Ich? Wir.“, betonte sie auf die Gruppe deuten. „Und außerdem, du hast dich doch gut mit ihm verstanden und ich weiß von Gilbert das Ewan noch keine Freundin hat und sich sehr auf deinen Besuch freut.“ Frustriert blickte Hero aus dem Fenster. Sie war kurz davor zu schmollen. „Hero, wir bleiben ja nur über Weihnachten und...“, lenkte Kari ein und kuschelte sich ein wenig an ihre Freundin „Und sie es doch mal so, vielleicht kannst du was die Liebe angeht, endlich dein Glück finden.“ Beide sahen sich mit einem vertrauten, lächelnden Blick an. „Meinst du?“, fragt Hero schließlich leise. „Lass es auf einen Versuch ankommen. – Du hast ja selbst gesagt, erst wenn du weißt, wie es ist zu Lieben, dann wirst du es schaffen, diese Melodie in deinem Kopf perfekt zu vollenden.“, sprach die Brasilianerin, deren Stimme mit jedem Wort euphorischer geworden war. „So hab ich das aber nicht gesagt.“, wehrte sich Hero. „Das wäre doch was, dann hätte unsere Hero auch ihren Topf gefunden.“, meinte Joe belustigt. „Wie kannst du nur.“, empörte sich Kari. „Als ob Hero ein blindes Huhn wäre, dass keine Körner findet.“ „Du weißt wie ich es meine.“, grinste er. „Weiß ich das?“, kam es ahnungslos von ihr. Joe, der auf der anderen Seite von Kari saß, beugte sich vor, um Hero zu erblicken. „Hero, sag ihr, dass sie es weiß.“, flüsterte er gespielt. Die Angesprochene lachte. „Ich weiß nicht, ob sie weiß, was du behauptest, dass sie es wissen müsste.“, erklärte Hero ihm mit einem Schulterzucken, wissend das dieser Satz bei Kari einen noch Lachkrampf hervorrief und den armen Joe mit gestressten Nerven unbeantwortet ließ. Dieser lehnte sich eine Schnute ziehend wieder zurück und starrte aus dem Fenster. Sollten doch die Weiber ihren Spaß haben. Doch sein grummelndes und vor sich hin trotzendes Ego verschwand genauso schnell, wie es gekommen war, da sich Kari an ihn kuschelte und mit leiser Stimme „Ich weiß, was du meinst.“ hauchte. Den nächsten Satz vollkommen aus dem Kontext gerissen, meinte Hero: „Ich hätte eine viel bessere Idee, als mir Ewan aufzuschwatzen.“, unterbrach sie die für wenige Minuten existierende Zweisamkeit. „Wie wäre es, wenn wir Ju und deinen Bruder … “, sie blickte zu Joe. „... zusammenbringen.“ Ein euphorisches Augenzwinkern folgte, kombiniert mit einem breiten Grinsen. Vollkommen perplex wurde Hero von zwei Augenpaaren angesehen. „Wie kommst du denn auf so was?“, entfuhr es Kari. „Ich hab mich an das Gespräch zwischen dir, mir und Nitan erinnert, als wir darüber diskutiert haben wo wir Weihnachten und Silvester verbringen wollen.“, meinte dies unschuldig blickend. Empört darüber, nichts von dieser Verschwörung gewusst zu haben, meinte Joe etwas angesäuert: „Du willst meinen Bruder, mit der Chinesin...“, „Halbchinesin.“, verbesserte Hero ihn. „Dann halt Halbchinesin.“, brummt er. „Du willst Ju und Jack zusammenbringen? Du weißt doch gar nicht, ob die Beiden sich mögen.“, meinte er aufgebracht. „Tun sie.“, flüsterte Kari in die Runde. „Sie selber sehen es nur nicht, aber ihre Umwelt.“ „Aha.“, grummelte es. „Natürlich muss ihre Umwelt auch genau darauf achten.“ „So so.“ Kari sah ihren Freund an. „Das ist mein Ernst.“ Seine Augenbraue zuckte skeptisch, während der Blick schon längst diese Emotion zeigte. „Darf ich auch fragen, wie du gedenkst, es anzustellen.“, fragte er Hero. „Ja, darfst du. Aber nen Plan hab ich noch nicht, ich dachte, wir können ja noch nen Plan zusammenschustern.“, grinste sie vergnügt. Noch bevor die beiden Wagen bei Gray Manor angekommen waren, tüftelten Hero und Kari eifrig am Plan, wie sie die Beiden noch vor Neujahr zusammenbringen konnten. Joe, hörte sich alles in Ruhe an und erklärte sich bereit, die Aufgaben für das Liebesglück seine Bruders zu übernehmen, die im zugewiesen worden. Die Uhr auf dem Grundstück von Gray Manor schlug nicht einmal Mitternacht, da bogen die schwarzen Limousinen in die Einfahrt ein. Auf den obersten Treppenstufen wartete schon Familie Gray, allen voran Gray Senior, mit seinem Sohn Sohn Charles E. Gray, der Ewans und Anthonys Vater war. Die Frauen blieben mit den angeheirateten Männern im Hintergrund und standen am Hauseingang. Gilbert blickt erwartungsvoll aus dem Fenster als die Wagen zum stillstand gekommen waren. „Na dann, raus mit uns und rein ins Vergnügen.“, grinste er und stieg aus. Die anderen taten es ihm gleich und ließen den Spießrutenlauf von Händeschütteln, Kuss links und rechts auf die Wange und festen Umarmungen über sich ergehen. Sie hätten auch keine andere Wahl gehabt, alles andere wäre eine beleidigende Verletzung der Familie gewesen. Jack, der gerade beim Senior der Familie angekommen war, wurde besonders in Augenschein genommen. „Jack D. Dawson Junior. Oder?“, meinte der alte Mann mit kräftiger Stimme als er genauso kraftvoll die Hand des Amerikaner schüttelte. Dieser bejahte und hoffte keinen Schaden von der schwungvollen Begrüßung im Handgelenk zu bekommen. „Siehst wie dein Vater aus, nur etwas schmaler.“, lachte Gray Senior und klopfte dem Jungen ziemlich heftig auf die Schulter, so dass Jack das Gefühl hatte in die Steinplatte eingehämmert zu werden. Der Trubel war groß, während sich alle begrüßten und untereinander den neusten Klatsch austauschten. Für einen Moment wurden sogar die eisigen Minusgrade der besonders klaren Nacht vergessen. „Hero.“, freudig sah Ewan das Mädchen an, dem er gerade die Hand gereicht hatte. „Ewan.“, hauchte sie lächelnd zurück. „Ich hab mich so gefreut, als ich gehört hab, dass du dieses Jahr wieder dabei bist.“, verlegen blickte er in Heros Augen, bevor er sich auf seine Manieren besann „Wie geht es dir?“ „Gut, und dir?“ , hakte Hero überrumpelt von so viel Euphorie nach. „Auch. Vater hat mir zu Weihnachten ein neues Pferd gekauft.“ „Toll.“, gab Hero mit gespielter Freude von sich und hoffte, das ihr Spiel nicht durchschaut wurde. Pferde waren nicht gerade ihre Leidenschaft, über einen neuen Hund für Ewan hätte sie sich mehr gefreut. „Ja... ich war selber überrascht als er vor zwei Wochen mit ihm ankam.“, grinste der Brite. „Wir können uns ja Prestige, so heißt er, morgen ansehen.“, in seinen Augen sah Hero das ein 'Nein' nicht akzeptiert wurde und so kam sie „Gerne“ der Einladung nach. Eine warme Schokolade mit einem spannenden Buch war für sie eher was, als die kalten Gänge der Stallungen. Doch für ein standhaftes 'Nein' ohne Kompromisse und anderen herzlosen Gesten war Hero einfach zu weich. Sie konnte andere Menschen ihretwegen nicht traurig sehen, zu sehr hatte sie in ihrer Vergangenheit ihre Liebsten verletzt. Es war Kari, die Hero erlöste und mit in das Haus hineinzog. „Sei nicht so verkrampft.“, flüsterte diese ihr zu. Der fassungslose Blick über diese Aussage wurde gnadenlos ignoriert. Gleichzeitig fragte sich Hero, was sie denn hätte machen sollen, um nicht verkrampft zu wirken – vielleicht eine stürmische Umarmung? Das konnte Kari nicht von ihr verlangen, schließlich war sie Japanerin und der Rest Anstand, der von ihrer Erziehung übrig geblieben war, wurde in allen Bereichen bis aufs Extremste ausgekostet. Verkrampft … oder nicht. Im Haus wurden den Gästen und Hauseigentümern die Mäntel von der Dienerschaft abgenommen und in einen extra dafür vorgesehen Raum gehängt. Mrs. Smith, nur Molly genannt und Hausdame über die gesamte Belegschaft, brachte die Herrschaften in den blauen Salon. „Ich hoffe, Sie hatten eine gute Reise.“, meinte die, in die Jahre gekommene, ältere Frau an Ju gewandt. „Gewiss, Molly. – Und hatten Sie ein gutes Jahr?“ „Wie man es nimmt. Es gab wenig Fuchsjagden. Die Bürgerschaft hat vieles vereitelt. Dafür startet Mr. Gray Senior am am morgigen Tag eine Hetzjagd zu Pferde, aber ohne Hunde. Eine Schnitzeljagd.“, gab die Frau mit leicht gehobener Nase zu. „Oh, fein. Wissen Sie ob die Gäste von Mr. Gray daran teilnehmen dürfen?“, flüsterte Ju. „Aber mein liebes Kind. Mr. Gray Senior besteht darauf.“ Nach dem kleinen Gespräch wartete Ju auf die anderen. Sie neigte sich zu Kari und Hero, die ihre Köpfer verschwörerisch zusammengesteckt hatten. „Egal, was ihr ausheckt.“, beide Mädchen fuhren erschrocken zusammen. „Vor der Schnitzeljagd könnt ihr euch nicht drücken.“ „Eine Schnitzeljagd?“, fragte Kari überrascht. „Ja. Morgen.“, gab Ju triumphierend etwas zu laut an die Beiden weiter. „Hat Molly wieder geplaudert.“, bellte Mr. Gray Senior von hinten. „Aber nein.“, beschwichtigte Ju. „Geben Sie der Armen keine Schuld. Ich hab sie halt so lange belegt, bis sie nachgeben musste. Sie wissen doch, wie ich bin.“, meinte sie Augenzwinkernd und mit ihrem schönsten Lächeln, dass selbst den alten Mann besänftigte. Dieser hatte sein Augenmerk auf Hero gerichtet. Wusste er doch, dass sie die Einzige war, die nicht viel vom Reiten hielt und das hatte sich, seit sie Evida unterm Sattel gehabt hatte, nicht zum positiven verbessert. „Hero.“, mehr brauchte er nicht zu sagen. „Ja, Sir. Ich werde an der Gesellschaft teilnehmen.“, es blieb ihr ja auch nichts anderes übrig. „Gut so.“, gab er lächelnd und stolz über ihre mutige Entscheidung an. „Und keine Sorge, diesmal hab ich das passende Pferd für dich.“ „Das haben Sie das letzte Mal auch gesagt.“, gab Kari zum Einwand. „Ja. Da wusste ich aber nicht, das Hero nicht wirklich etwas mit Pferden anfangen kann.“, er grinste. „Aber dieses Mal ändert sich das, ich hab vor einem halben Jahr eine hübsche Fuchsstute vom alten Cedric abkaufen können. Liebes Ding. Total brav, egal was ist. Geht nicht durch. Ihr Name ist Rubys Star. Sie ist schon etwas in die Jahre gekommen, trägt aber ihren Reiter, ob erfahren oder nicht, sicher über jedes Gelände.“, sinnierte er. „Kannst sie dir ja morgen, wenn du mit Ewan den Stall besichtigen gehst nochmal genauer ansehen. Denn bei der Jagd wirst du dir nur den Hals betrachten können.“ Mit großen Augen sah Hero den alten Mann an. Dieser legte auf sein faltiges und bärtiges Gesicht ein Lächeln. „Glaubst wohl, ich hab die kleine Verabredung nicht gehört. Aber keine Sorge, Molly wird ein Auge auf euch zwei haben.“, er neigte sich zu Hero und flüsterte: „Im Stall passieren nämlich ohne Überwachung die merkwürdigsten Dinge.“ Das beruhigte ungemein. Ohne darauf zu achten, dass Hero auf einmal von der Farbe her ganz Rot im Gesicht wurde, lief der alte Gray in den Salon. „Jetzt könntest du Ruby Konkurrenz machen.“, trillerte Kari und zog Hero mit sich. Im Salon herrschte eine umhauende Wärme. Auf dem kleinen Kaffeetisch aus dem späten 18. Jahrhundert stiegen kleine weiße Nebelschwaden vom Tee hinauf und luden in Kombination mit Schokoladenplätzchen zur Mitternachtsteezeit ein. Die Frauen nahmen auf den roten 18. Jahrhundert Sofas, die mit eleganten und floralen Blumenmustern verziert waren, platz. Während die Männer sich die Spirituosen am anderen Ende genehmigten. Für Hero war der Besuch bei den Grays wie ein Sprung durch die Zeit, zurück in die Vergangenheit. In eine Ära, in der das britische Empire noch seinen Bestand hatte, als Earls und Lords mit Kutschen durch die Gegend fuhren und die Industrielle Revolution noch in den Kinderschuhen steckte. Hier hatte sie den ersten ungewollten Kontakt zu Pferden gehabt. Keine grausige aber auch nicht überragend schöne Erinnerung. Sie wusste auch nicht, aber ihre Angst war von Anfang an da gewesen. Gilbert und die anderen hatten ihr zum 13. Geburtstag einige Reitstunden geschenkt, damit sie bei diesen Schnitzeljagden teilnehmen konnte. Eine richtige Freundschaft mit den, für vielen Menschen, edlen Tieren konnte sie bisher noch nicht aufbauen. Doch die Familie Gray würde wahrscheinlich schon dafür sorgen, dass sie sich, trotz ihrer geringen Zuneigung, zu einer eleganten und sehr sicheren Reiterin entwickelte. Ein unumgängliches Muss, das in höheren britischen Gesellschaften zur guten Erziehung gehörte. 'God save the Queen – und ihre Liebe zu den Pferden'. Dies und einiges andere, waren die kleinen Mangos, die eine Freundschaft zu Menschen wie Gilbert und Nitan – eigentlich zu allen aus der Band – mit sich brachte und in manchen Momenten auch erschwerte. „Ich hab gehört die Winter in Finnland sind sagenhaft schön aber nichts für ambitionierte Pferdezüchter, wie wir Gray es sind.“, meinte Gilberts Mutter, Anne Victoria - geborene Gray, leicht spöttisch an Nitan gerichtet. „Aber reden wir nicht über das Wetter. Mich würde es eher interessieren, wie es dir geht?“ Während die Frau an ihrem Darjeeling nippte, wurde jede Bewegung und jedes Wort ihrer Schwiegertochter in Spe gedanklich protokolliert. Denn der Ruf der Finnin war noch vor dem ersten Besuch bekannt gewesen. „Oh, sehr gut. Und Ihnen?“, gab die Blonde als Gegenfrage zurück, nicht zeigend, dass sie am Liebsten in die Luft gegangen wäre. Sie wusste, dass dieses und viele folgende Gespräche nur an der Oberfläche kratzten – wie immer, in öffentlicher Gesellschaft. Selbst der eigene Mann, oder die besten Freunde der Zukünftigen waren ein oder mehrere Zuhörer zu viel. Zu den klaren Gesprächen zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter kam es in dieser Gesellschaftsebene auf publizistische Art nie. Entweder beide akzeptierten sich oder sie bekamen die Eifersucht und den Hass der jeweils andern in spitzen Bemerkungen und unmissverständlichen Taten zu spüren. Besonders, wenn es zu Familientreffen kam, war sich eine Schwiegermutter nie darum verlegen ihre verhasste Schwiegertochter, und sei sie noch in Spe, vor allen bloß zu stellen. Die Hauptsache war, das gezeigt wurde, wer die Macht über den weiblichen Teil der Familie besaß. So kam es in der Familienchronik der Grays schon öfters vor, dass der Sohn, der eine ungeliebte Schwiegertochter ehelichte, ganz und gar enterbt wurde. Merkwürdigerweise waren die Sprösslinge aus solch schicksalhaften Verbindungen nie vom Hass betroffen. Im Gegenteil, alle weiblichen Familienmitglieder, die von Geburt mit der Schwiegermutter verwandt waren, benutzten diese Kinder als Werkzeuge gegen die nicht akzeptierte Schwiegertochter. Ewan und Anthony waren zwei dieser Werkzeuge gewesen, dadurch Scheidungskinder und in der Rangfolge nur die Neffen von Gilbert J. Grays Mutter, Anne Victoria Gray. Ewan entfernte sich von den Gesprächen der Männer, die untereinander darüber wetteten, wer als erster den 'Fuchs' am morgigen Tag fangen würde. Seine Aufmerksamkeit galt Hero, die mit Gilberts Großmutter nicht beim Rest der Frauen saß, sondern im kleinen Winterpalais einen Rundgang machte. Die alte Dame mochte Heros Anwesenheit. Da war es auch nicht verwunderlich, dass Oma Evelyn Gray die treibende Kraft gewesen war, die ihren Verwandten, angeboren oder nicht, davon überzeugte dem einzigen aus nicht wohlhabender Familie stammenden Menschen im Freundeskreis von Gilbert immer ein Zimmer bereit zu stellen. Das war das Erste aber sicher nicht das letzte Mal, dass sich Oma Gray über ihre Tochter, Anne Victoria, hinweggesetzt hatte. Mittlerweile akzeptierte das verwöhnte und die Nase immer zum Himmel streckende Töchterchen das japanische Bandmitglied. Manchmal sogar mehr als Nitan. „Ich lass dich mal allein.“, meinte die alte Frau mit kecken und faltigem Lächeln. Das junge Mädchen wusste gar nicht, wie ihr geschah, als mit einmal Ewan neben ihr stand und die Großmutter zwischen den Blumen verschwunden war. „Hero, ich war so frei ...“, Ewan reichte ihr ein Glas mit etwas Gin. „... und hoffe, du verträgst ihn. Aber wenn du ihn nicht trinken willst, hier stehen genügend Töpfe.“, meinte er leise Lachend und mit einem kurzen Blick auf die Pflanzen gerichtet. „Danke. Ich glaub, ein wenig Gin kann nicht schaden.“, gab sie verlegen an und wagte sich nur sacht in die glänzenden Augen ihres Gegenüber zu sehen. „Lass uns doch ein wenig laufen.“, meinte der Brite und bot ihr seinen Arm an. Zögernd kam sie der Bitte nach und hakte sich bei ihm unter. Nach einigen Schritten, erschien es Ewan doch zu ruhig. „Wie ist es dir in dem Jahr ergangen?“ „Gut. Und dir?“, Hero hatte keinen blassen Schimmer, was sie sich mit dem hochgewachsenen und zwei Jahre älteren Jungen unterhalten sollte. Über das Wetter? Nein, beide wussten das es ein scheußlicher Winter war und sehr kalt. Mit dem Lieblingsthema, dem Ewan sehr angetan war, der Pferdezucht, kannte sich Hero genauso gut aus, wie Kari mit den PS-Stärken der teuren Autos, in denen sie heute gesessen hatte – nämlich gar nicht. Trotzdem versuchte Hero so neugierig wie möglich zu klingen. „Dein Pferd heißt also Prestige? Was ist mit Agamemnon?“ Verwundert, dass sie ihn über seine Pferde ausfragte, blickte er Hero mit großen Augen an. Sie hatte ihn mit dieser Frage so überrumpelt, dass Ewan im ersten Moment nicht wusste, was er sagen sollte. „Hero. Du brauchst dich nicht zwanghaft mit mir über Pferde zu unterhalten.“, grinste er. „Aber...“, sie hielt inne. „Aber mich interessiert es nun einmal, was mit deinem Schimmel passiert ist.“, zwischendurch trank sie kleine Schlücke vom Gin und hoffte, dass sein Wirkung bald einsetzte. „Nun ja.“, begann Ewan. „Agamemnon ist in die Planung meiner Großmutter mit eingeflossen.“ „Was für eine Planung?“ „Die Zucht.“ „Oh...na, dann... auf Gutes gelingen.“ Ewan lachte leise. „Danke.“ Er blieb mit Hero an einem der vielen Fenster stehen, welches jedoch nicht von Pflanzen überwuchert war und eine herrliche Aussicht auf die vom halb verdeckten Mond und dem Schnee erleuchtete Landschaft frei gab. Schneeflocken, die sanft auf den weißen Untergrund niedergingen, glitzerten wie kleine Sterne. Vorsichtig blickte Hero nach oben, um erleichtert feststellen zu müssen, das dort kein von ihr so verfluchter Mistelzweig hing. Ewan, der sie beobachtet hatte, grinste amüsiert. „Hast du Angst?“ Verwundet sah Hero ihn an. „Nein! Wie kommst du darauf?“ „Weil du so angstvoll nach oben geblickt hast.“, gab er belustigt zur Antwort. „Ähm.“, meinte sie sichtlich verlegen. „Ich wollte nur … nachsehen, ob das Dach den vielen Schnee standhält. In letzter Zeit haben ja viele Dächer den schweren Lasten der Schneemassen nachgeben müssen.“ „Ach so?“, flüsterte Ewan. „Da brauchst du dir aber keine Gedanken zu machen. Heute morgen...“, er verbesserte sich, nach einem Blick auf seine Uhr. „...ich meine gestern Morgen, da habe ich Mortimer auf genau diesem Dach den Schnee herunter schieben sehen.“ „Auf genau diesem?“, mit dem Finger zeige Hero nach oben. „Auf genau diesem.“, beantwortete Ewan ihre Frage und tat es ihr, was den Fingerdeut anging, gleich. „Da bin ich ja erleichtert.“, hauchte sie und versuchte sich mit der weißen Landschaft, die im starken Kontrast zu den gut gepflegten Pflanzen im Winterpalais standen, abzulenken. Ewan vereitelte diesen Plan, da er sich zu ihr herunter beugte und flüsterte. „Die Mistelzweige werden erst heute aufgehangen.“, und im selben Moment hielt er einen über ihren Kopf. Wo er ihn hergeholt hatte, wusste Hero nicht zu sagen. Wahrscheinlich hatte der Zweig schon vorher von ihm oder der Großmutter gut versteckt zwischen all dem Grün gelegen. Doch zu wissen, woher das Ding jetzt kam, war für das Mädchen vollkommen nebensächlich. Viel wichtiger war das, was unter einem Mistelzweig geschah und davor hatte sich Hero geängstigt, seit sie von der Verkupplungsgeschichte wusste. Schließlich war sie selber bei der Ratsversammlung anwesend gewesen, aber mit vollkommener Mehrheit überstimmt worden. Musste sie jetzt wirklich jemanden auf den Mund küssen? Es war zwar nicht so, dass sie Ewan für abstoßend hielt, dennoch hatte sie sich das Ganze total anders vorgestellt. Zumindest hatte sie gehofft, dass sie demjenigen einen Mistelzweigkuss schenkte, den sie vielleicht schon zuvor auf ganz natürliche Art geküsst hatte, ohne einen traditionellen Brauch zu frönen. Bevor sie aber etwas tun musste oder konnte, vereinfachte Ewan die ganze Sache. Der Kuss war flüchtig, fühlte sich dennoch warm an. Er war federleicht und trotzdem erschien es Hero, dass sie bis ins Mark getroffen wurde, so sehr prickelte es. Ihr gesamter Kopf war wie leergefegt, während ihr Herz zu rasen begann und das bei einem Kuss, der nur auf die Wange gesetzt worden war. Erschrocken sah sie Ewan an, während ihre Fingerspitzen die Stelle berührten, auf der sie für einen Augenblick seine Lippen gespürt hatte. Ihre andere Hand wurde von seiner genommen und bekam den Mistelzweig auf die Handinnenfläche gelegt. „Schenke ich dir.“, meinte er, bevor er ging. Vollkommen desorientiert stand Hero im Winterpalais und hielt den Mistelzweig so sanft in ihrer Hand, als ob es dabei um einen kleinen Vogel handeln würde, der nicht weg fliegen, aber auch nicht sterben durfte. * Der Morgen brach viel zu schnell und eigentlich zu früh an. Doch ändern konnte Akemi nun auch nichts mehr. Leicht schwankend taumelte sie ins Bad und nur langsam geschah das, wofür sie eigentlich nur wenige Minuten brauchte. Erst das nervende Geschrei ihrer kleinen Schwester, sie brüllte ununterbrochen schon seit fünf Minuten, brachte Akemi dazu diesen Raum gegen ihren zu wechseln. Noch immer benommen, hüpfte sie singend den Flug entlang. Hina, der Schreihals, sah ihrer Schwester den Kopf schüttelnd hinterher. „Die hat doch ne Klatsche.“, murmelte sie und verschwand im Bad. Mit den Gedanken in den Wolken und den Füßen eine Ebene über der Erde schlitterte die Verliebte in die Küche. Die Haare waren nicht wie sonst frisiert. Einige Stellen erschienen länger gebürstet worden zu sein, als gut war und hatten dadurch ein ziemlich schwebendes Dasein und den Drang sich überall anzuschmiegen. Kurz um: durch das viele Bürsten, waren die Haare elektrisch geladen. Na hoffentlich wurde das kein genauso elektrisierendes Treffen, dachte sich Opa, als er seine Lotusblüte am Frühstückstisch begrüßte. Oma Ono verhinderte, das Akemi mit solch einem elektrischen Haarbeat das Haus verließ. Grummelnd sah Opa Masao ihr nach. „Wann trifft sie sich mit dem Jungen?“ „Erst heute Abend.“, gab Oma zur Antwort. „Und da ist jetzt schon so durch den Wind.“ „Sie war schon die ganze Woche so.“, meinte Hina und packte sich das von Oma angefertigte Frühstück in die Tasche. „Sei nicht so vorlaut.“, rief Opa ihr nach, an Oma gewandt meinte er dann: „Sie werden viel zu schnell groß.“ „Das hast du bei unserer Tochter auch gesagt.“, meinte diese. „Ist doch auch wahr.“, rechtfertigte sich Masao. „Seit sie arbeiten geht, sehen wir sie nur noch je nachdem, wenn ihre Schicht günstig ist und selbst da ist es nicht mal sicher, dass ihre Kinder und wir sie sehen.“, brummte er und erhob sich von seinem Sitzplatz. „Und alles nur, wegen diesem Taugenichts von Yamada.“ „Sprich nicht so verachtend von ihm. Er zahlt wenigstens für die beiden Mädchen und unternimmt in den Ferien auch was mit ihnen. Das sieht in anderen Familien ganz anders aus.“, ermahnte Oma ihn. „Pah! Ich spreche so, wie es mir passt.“, bellte er und verließ den Raum, es war schließlich schon nach Sieben und jeden Morgen traf er sich mit seinen Freunden im Park, um seinen Körper fit zu halten. Oma hingegen, blieb daheim und bereitete das Essen vor, für ihren verehrten brummelnden Gatten. In der U-Bahn war Akemi allein. Takeru sah sie erst nach der Mittagszeit, da seine Kurs durch den vielen Schnee verlegt wurden oder auch ausfielen, weil die Dozenten eingeschneit waren. Erst am Nachmittag hatten beide wieder beim gleichen Professor und da dieser im Gegensatz zu seinen älteren Kollegen nur wenige Meter neben dem Unigelände lebte, war dieser Unterricht regulär angekündigt. An ihrer Zielstation wurde Akemi schon von ihren Freundinnen Chiyo und Emi erwartet. Nach einer kurzen Begrüßung im morgendlichen Gedränge ging es auch schon in Richtung Uni. Die Mädchen wickelten sich ihre Schals enger um den Hals, damit der schneidende Wind nicht so sehr durch die Schuluniform zog. „Sag mal Akemi-chan. Wo gehst du heute mit Takeru-kun hin?“ Erschrocken sah die Angesprochene ihre Freundin an. „Woher weißt du das?“, statt einer Antwort hörte sie nur das leise Kichern ihrer Freundinnen. „Aber, das weiß doch jeder, der euch beide kennt.“, grinste Chiyo. „Und außerdem.“, ergänzte Emi. „War es ja schon ziemlich verdächtig, wie ihr vergangene Woche, als wir den Tokio Tower besucht haben, so allein in der Ecke gestanden habt und du auf einmal bleich und dann knallrot geworden bist.“ Akemi seufzte. „Wie kommt ihr eigentlich darauf, dass es heute ist?“ „Das hat uns Koji verraten. Wir haben ihn darüber ausgefragt, wann Takeru Training und wann er einen Abend frei hat.“, gab Emi zur Antwort. Das sie selber ein wenig Rot um die Nasenspitze wurde, versteckte sie gut hinter ihrem Schal und ließ dabei nur ihre Augen hervorblitzen. „Oh!“, meinte Akemi erstaunt. „Also ist es heute?“, hakte Chiyo nach. Nur zögernd kam die Antwort. „Ja.“, gab die Verliebte mit Herzklopfen zu. „Und, weißt du schon wo es hin geht?“ „Nein, Chiyo-chan! Er hat mich nur gefragt, ob ich den späten Nachmittag und frühen Abend mit ihm verbringen möchten.“, erzählte sie verlegen. „Was?“, Emi klang empört. „Nur bis zum frühen Abend. Also wenn, dann sollte er schon den gesamten Abend mit dir verbringen.“ „Ja, spinnst du denn?“, fuhr es auch Chiyo heraus. „Wohl am Besten noch die ganze Nacht. Die beiden können doch nicht den gesamten Abend miteinander verbringen.“ „Wieso nicht? Und das mit der Nacht...“ „Das gebietet der Anstand.“ „Der Anstand.“, äffte Emi und schüttelte ihren Kopf. Dabei flogen die Bommel an ihrer Mütze wie wild umher. „Heutzutage läuft doch die Polizei nicht jedem Paar hinterher und wartet darauf, dass sie die Zeit des Anstandes überziehen.“, meinte sie euphorisch. „Heute ist wilde Romantik angesagt.“, schwärmte das Mädchen und seufzte zufrieden über ihre Vorstellung, die sich in ihrem Kopf eröffnete. „Ich glaub, dir ist der gestrige Festtag zu Kopf gestiegen.“, meinte Chiyo und schnappte sich Akemi, um schnell von Emi wegzukommen. Diese lachte. „Du bist doch nur neidisch, weil du nicht so tolle Vorstellungen hast.“ „Ach, halt doch den Mund.“, schrie Chiyo zurück, die arme Akemi immer noch mit sich zehrend. „Chiyo-chan. Könntest du mich loslassen?“, bat die junge Verliebte flehend ihre beste Freundin. „Was? – Oh.“, damit wurde Akemi vom Klammergriff befreit und konnte wieder selbstständig durch die Welt laufen. Das Ganze blieb jedoch nicht unbeobachtet und hatte amüsierte Zuschauer angelockt. „Versuchst wohl Akemi-san vor Takeru-kun in Sicherheit zu bringen.“, lachte eine der Unikolleginnen. Dafür erntete diese einen bösen Blick von Chiyo. „Lass uns gehen.“, flüsterte Akemi und zog diesmal Chiyo mit sich. Das Emi wieder den Anschluss zu den Beiden bekommen hatte, kümmerte das aufgebrachte Mädchen nicht. Im Gegenteil, sobald die Drei ihren Sitzplatz im Vortragssaal 4-a gefunden hatten, würde Emi in einen verschwörerischen Plan mit eingebunden werden, der spätestens beim Mittagessen wieder verflogen wäre. Aber zuerst wurde sich über diese ungehobelte Frechheit aufgeregt. Das war Chiyos ihre Art. Takeru war mit seinem Großvater im Zentrum von Tokio unterwegs. Der alte Mann hatte noch einige Besorgungen zu tätigen, die nicht eben beim 24Stunden-Markt um die Ecke eingekauft werden konnten. Die seltene Gelegenheit wieder in die Innenstadt der Millionenmetropole zu kommen, nutzte er auch, um alte Freundschaften zu pflegen und gleichzeitig hatte er die Chance mit Takeru ein vertrautes Mann zu Mann Gespräch über Akemi zu führen. „Wo wollt ihr heute Abend hin?“ „Wen meinst du mit 'ihr'?“, unschuldig blickte der Enkel seinen Opa an. „Du weißt was ich meine.“, grinste dieser. „Opa, ich hab echt keine Ahnung, was du willst!“, damit wäre für Takeru das Gespräch beendet. Schließlich war es doch seine Sache, wohin er heute Abend mit Akemi ausging. „Takeru.“, räusperte sich der Großvater. „Ich weiß, dass du heute mit Akemi-san verabredet bist.“, selbst das tiefe Seufzen seines Enkels ließ den alten Mann nicht weiter davon abhalten seine Rede zu halten. „Reg dich nicht auf. – Ich freue mich ja, dass du endlich bemerkt hast, wie es zwischen dir und Akemi-san steht.“ „Opa!“, kam es genervt. „Lass mich ausreden! Ich finde es schön, dass du endlich jemanden gefunden hast, besonders, weil es sich hierbei um so ein nettes und hübsches Mädchen, wie Akemi-san handelt. Deswegen, hör meinen Rat an.“, Opa Isamu sah seinen Enkel eindringlich an. „Dass du es dir mit Akemi-san nicht verscherzen willst, habe ich mitbekommen und das du auch nichts überstürzen wirst, dessen bin ich mir auch sicher – aber worüber ich mir nicht sicher bin, wie du es deinem Vater beibringen willst.“ Nun kam keine aufgebrachtes 'Opa'. Isamu bemerkte, dass er ins Schwarze getroffen hatte. „Dein Vater, dass weißt du, hält nicht viel davon, wenn du dich mit Mädchen triffst oder eine Freundin hast. Im Gegenteil, er glaubt sogar, dass du durch eine Freundin abgelenkt wirst. Also, würde ich mit der Bekanntmachung bis nach der WM warten.“ „Opa, darüber hab ich auch schon nachgedacht.“, grinste Takeru, konnte sich aber ein Schmunzeln nicht verkneifen, da er alles an Themen erwartet hatte: Von Verhütung bis hin zu 'was mach ich, wenn es doch schief gelaufen ist', aber nicht dieses Sache. „Ich bin nur um dein und Akemis Wohl bedacht oder was hast du geglaubt, über was ich mich mit dir unterhalten wollte.“, spitzbübisch sah Isamu seinen Enkel an. „Ich glaube doch, du weißt, wie das mit dem Bienchen und Blümchen funktioniert und das so etwas auch Folgen haben kann.“, am Ende konnte sich Opa diese belehrende Bemerkung doch nicht verkneifen, schließlich kannte er die neue Angewohnheit der Jugend zum 24. Dezember und erntete dafür einen genervten Blick. „Ich wusste es.“, seufzte Takeru und schob seine Hände tief in die Taschen. * Leni schlief schlecht. In ihren Träumen durchlebte sie den vergangenen Tag. Immer wieder sah sie ihren Chef vor sich sitzen und ihre Hand berühren und am Ende erwachte sie, schweißgebadet im Bett sitzend. Obwohl es Winter war, empfand die junge Russin eine unheimliche Hitze in ihrem Zimmer. Sie stürzte förmlich zum Fenster und riss es auf. Weit beugte sich Leni hinaus und atmete die trockene Kälte der eisigen Winternacht in kurzen hektischen Atemzügen ein. Erst als sich ihr Herzschlag und der rasselnde Atem beruhigt hatten, griff sie in den Schnee, der auf dem Fensterbrett lag und presste diesen zu einer kleinen Kugel zusammen. Diese hielt sie an ihr Dekolletés, um das erhitzte Gemüt schneller abkühlen zu können. Zittrig bewegte sie sich zu ihrem Kleiderschrank. Es war schon das vierte Tank-Top in dieser Nacht, dass gewechselt wurde. Wenn das so weiter ging, würde sie ohne Trinken mit hoher Wahrscheinlichkeit bald dehydriert sein. Noch immer war das Fenster geöffnet, doch das interessierte nicht. Vollkommen geschafft vom Tag und den Träumen, ließ sich Leni in ihr Bett fallen und blieb dort einfach auf der Seite liegen. Wenn sie krank werden würde, war es doch nur ein Glück für sie. Dann brauchte sie wenigstens nicht mehr zur Arbeit gehen und konnte rechtzeitig Gesund sein, wenn die Jungs mit ihr nach Moskau wollten. Den Tränen nah, griff Leni nach ihrem Kissen und vergrub ihr Gesicht darin. Wie von selbst kamen die Gedanken an das Gespräch mit ihrem Chef. Seine Berührungen, sein Blick – alles hatte sie angewidert und nun bekam sie diese Erinnerungen nicht los. Verächtlich blickt die junge Russin auf ihre rechte Hand, die vor einigen Stunden in den Händen dieses Mannes gelegen hatte. Wie verrückt hatte Leni, als sie heimgekommen war, mit Kernseife und einer Bürste auf der Haut umher geschrubbt. Am Ende war ihr Handrücken leicht aufgerissen und die Seife brannte in den Verletzungen. Nun trug sie einen weißen Verband, der auch die rötliche Färbung verdeckte, die ihre rechte Hand angenommen hatte. Bei Fragen würde sie einfach sagen, dass sie mit heißem Wasser in Berührung gekommen war. Anstatt das Fenster zu schließen, zog sich Leni die Bettdecke über den Kopf und weinte sich leise in einen tiefen Schlaf. * Irgendwas krabbelte und zwar an seiner Nase, also rümpfte Gil diese und versuchte mit dem seitlichen Drehen seines Gesichts, dem krabbelnden Irgendwas zu entfliehen. Zwecklos. Denn hinter dem nervigen Irgendwas steckte Nitan, die der Länge lang in Gilberts Bett lag und versuchte ihren Liebsten irgendwie zu wecken. Das glückte ihr nach wenigen Sekunden auch. „Morgen.“, murmelte sie leise und bettete ihren Kopf auf seine Brust. Gilbert erwiderte den Gruß desorientiert, er brauchte noch einen Moment, bis er kapierte wo er und was eigentlich Sache war. Erst dann legte er seinen Arm um Nitans Körper und zog sie näher an sich heran. „Hast du gut geschlafen?“, flüsterte er. „Ja.“, gab sie schnurrend zur Antwort. „Aber ich hätte noch viel besser geschlafen, wenn ich bei dir gelegen hätte.“, Nitan streckte ihren Körper, um sich während des nächsten Satzes ein wenig vom Bett erheben zu können. „Aber deine Mutter hat mich höchstpersönlich in mein Zimmer begleitet.“, maulte sie. „Oh! Du Arme.“, grinste Gilbert und strich ihr über den Rücken, was dazu führte, dass sie dieser Berührung nachgab und ein Hohlkreuz formte. „Ja, ich bin wirklich arm dran.“, seufzte sie und zog mit ihren Fingern kleine Kreise auf dem unbedeckten Oberkörper ihres Freundes. Zeichen genug für den Briten, um zu verstehen, was seine blonde Schmusekatze wollte. „Nitan. Nein! Molly kann jederzeit hineinkommen.“, warnte er. Doch das schien die Finnin nicht zu interessieren. Im Gegenteil. Ohne das er sie aufhalten konnte, saß sie plötzlich rittlings auf dem unteren Teil seines Körpers und bewegte langsam ihr Becken auf dem Seinen. „Ni!“, zischte Gil und versuchte ihren Bewegungen mit den Händen Einhalt zu gebieten. Er packte sie an ihre Hüfte und hielt sie somit von den kreisenden Bewegungen ab, die sie verflucht gut beherrschte. „Was denn?“, fragte sie keck lächelnd, sich dabei mit der Zunge über die obere Lippe leckend. Sie beugte sich zu seinem Ohr runter und hauchte: „Hast du Angst, das Molly uns so sieht?“ Gilbert konnte ein leises Lachen vernehmen, während sie an seinem Ohr knabberte. Das brachte ihn aber nicht dazu, die eiserne Umklammerung ihrer Hüften zu lockern. Als Nitan bemerkte, dass ihre Liebkosungen nicht den Effekt hatten, den sie wollte, erhob sie sich wieder. „Entspann dich.“, schnurrte sie. Entspannen konnte sich Gilbert nicht, denn der Gedanke, dass Molly oder schlimmer noch seine Mutter genau in den Moment hineingeplatzt kommen konnten, in denen seine Raubkatze die Krallen ausfuhr und er seine Beherrschung verlor, ließ bei ihm jede Lust davon flattern. Genau diese eben bedachte Raubkatze legte ihre Hände zärtlich auf Seine. „Soll ich dir ein Geheimnis verraten?“, flüsterte sie. „Dann leg mal los.“, knurrte er, an seiner Beherrschung zerrend. „Die Tür ist verschlossen.“, hauchte sie und fing seine Lippen mit ihren ein. So wie sie seinen Mund verwöhnte, durfte sie auch wieder die untere Region bearbeiten. Mit einem Kniff in ihrem Hintern, bekam Gilbert die Aufmerksamkeit von Nitan, die er wollte, bevor sein Verstand dem Verlangen den Vortritt ließ. „Au!“, zischte sie in den Kuss und löste diesen, nachdem Gilbert nicht aufgehört hatte, sie zu kneifen. „Okay. Sagen wir mal, Molly kann nicht hier rein. Aber, da ist immer noch die Sache mit meinen Eltern. Wir müssen zum Frühstück pünktlich sein und außerdem findet heute morgen die Schnitzeljagd statt.“ „Oh.“, kicherte das blonde Irgendwas. „Weißt du.“, flüsterte sie. „Du hast genau zwei Stunden, bist du aufstehen und dich für das Frühstück einkleiden musst.“ Verwundert wurde sie angesehen. „Wie bitte?“ Rasch blickte Gilbert auf den Wecker, der neben dem Bett stand und dann zu den zugezogenen Vorhängen. Kein Sonnenstrahl drang durch sie hindurch. Das Licht, welches den Raum erhellte, waren die Wandlampen gewesen. Der Blick mit dem Nitan bedacht wurde, ließ bei ihr ein helles Lachen über die Lippen kommen, bevor sich die Welt für sie drehte und ihr liebstes Stimulanzmittel plötzlich über ihr war. Sie vernahm nur noch ein leises, tiefes Raunen: „Na, wenn das so ist.“, bevor ihr Mund räuberisch geplündert wurde und sich eine starke, raue Hand den Weg unter ihr Top hoch zu ihren Rundungen bahnte. Voller Vorfreude schlang Nitan ihre Arme um seinen Hals und stieß mit ihrer Hüfte hart an seine. Für dieses boshafte Vergehen, vernahm sie ein dunkles Grollen, tief aus seiner Kehle und einen mahnenden und zwickenden Biss in ihrer Unterlippe, worauf sofort eine raue Zunge zur Versöhnung folgte. Ihre lustvollen Laute, die durch seine Berührungen hervorgebracht wurden, versanken in einem Kuss, der einem Wechselspiel von Bissen glich. Das Ende eines solchen Kampfes war erfüllt von einem leidenschaftlichen hin und her ihrer Zungen. Als sich Gilbert von ihrem Mund löste und langsam den Weg in tiefere Regionen anstrebte, zog Nitan ihn wieder zurück zu ihren Lippen. Wispernd kamen ihre Worte, die sie mit flehenden Blick sprach. „Und irgendwann...“, hauchte sie, „... in einem der beiden Porsche Cayenne.“, das Funkeln in ihren Augen verriet, dass sie es Ernst meinte. Trotzdem verkniff sich Gilbert nicht seine Bemerkung. „Du bist verrückt.“ „Küss mich.“ Insgesamt hatten sie in der vergangenen Nacht nur vier Stunden Schlaf bekommen und die restlichen Zwei hätten sie wahrscheinlich dringend benötigt, doch das war ihnen an diesem Morgen vollkommen egal. Jede Sekunde, die sie jetzt in den 120 Minuten hatten, wurde mit ihrer Leidenschaft und Hingabe füreinander bis an ihre ekstatischen Höhepunkte ausgereizt. * Total übermüdet und verfroren schloss Leni ihr Fenster. In der Nacht, nachdem sie eingeschlafen war, hatte es wieder zu Schneien begonnen und im ganzem Zimmer lag der Schnee verteilt. Doch Interesse an dem Chaos hatte sie keine. Im Gegenteil, Leni zog sich einen warmen Pullover über und verließ ihr Zimmer in Richtung Bad. Die beiden Männer der Wohnung schliefen noch. Als Leni sich im Spiegel sah, erschrak sie. Ihre Augen waren gerötet und getrocknete Tränenspuren lagen auf ihren Wangen. Die Lippen waren trocken und blass, während das Haar spröde an ihre herab hing. Ein wenig Rouge, Lidschatten und Lippenstift mit Lipgloss kombiniert, ließen das Bild von ihr schon wieder viel heller und wärmer wirken. Sie musste nur ihre zerzausten Haare in einen eleganten Bauernzopf flechten und schon war sie die Leni, die freundlich die Gäste im Lokal bewirtschaftete und dafür ihren Lohn verdiente, damit sie ihr Studium bezahlen konnte. Fünfzehn Minuten und aus dem verweinten Gesicht und der Strohfrisur war eine adrette junge Frau geworden. Auf dem gesamten Weg zur Arbeit hatte sie mit ihren Tränen zu kämpfen. Sie war froh, dass ihr Schicht heute nur bis zum späten Nachmittag andauerte, somit konnte ihr Chef in den späten Abendstunden keine privaten Angriffe auf sie verüben, die von seinem natürliche Drang her stammten. Im Lokal angekommen bewegte sie sich so unauffällig wie möglich und hielt sich weites gehend im öffentlichen Bereichen auf. Doch als es schon auf elf zuging, wunderte sich selbst Leni, dass sie bis jetzt ihren Chef weder gehört, noch gesehen hatte. Langsam wurde sie schon neugierig und während sie Natascha hinter der Theke aushalf, konnte das junge Mädchen nicht länger an sich halten. „Tascha. Kommt der Chef heute nicht?“, sie versuchte die Frage so belanglos klingen zu lassen, wie möglich. Die Rothaarige drehte sich zu ihr und meinte gelangweilt. „Der Chef? Der ist im Urlaub.“ „Im Urlaub?“, hakte Leni zur Sicherheit nach, während sie einen der Kuchen in gleichgroße Teile schnitt. „Ja. Er ist heute gefahren und kommt erst im neuen Jahr wieder ... ich glaub', Mitte des Monats.“ „Wirklich?“ „Wenn ich es dir doch sage.“, meinte Natascha leicht genervt, weil Leni ihr nicht glauben wollte. Dabei dachte sie gar nicht mehr an den Vorfall vom gestrigen Tag. Das hatte sich schon längst vergessen. Leni hingegen fiel ein Stein vom Herzen. Wenn alles gut ging, brauchte sie ihren Chef nur noch eine Woche lang zu sehen und das nur in der Frühschicht. Vielleicht sollte sie sich doch einen anderen Job suchen. Nein, nicht vielleicht! Mit hundertprozentiger Sicherheit sollte sie sich eine neue Arbeit suchen. Vielleicht hatte Olga eine Stelle für sie. Nicht so gut bezahlt wie hier aber sicherlich ohne einen Chef, der seinen weiblichen Angestellten am liebsten die Kleider vom Leib reißen wollte. Die Suche würde schwierig werden, da es wirklich kaum freie Arbeitsplätze gab und wenn doch, dann waren zu viele Arbeitslose da, die sich darauf stürzten. Sie wollte es dennoch versuchen. Mit diesem Entschluss schnitt sie den nächsten Kuchen an. * Akemi konnte sich endlich von dem Gedanken an das Treffen mit Takeru ablenken und war regelrecht in das Buch, das jeder Student für die Vorlesung zu kaufen hatte, versunken. Doch ihre Ruhe dauerte nicht lange. Ein herber männlicher Duft von After Shave lag plötzlich ganz zart in der Luft, kaum wahrnehmbar. Von diesem Aroma geleitet, drehte Akemi ihren Kopf nach rechts und erblickte Takeru, der den Platz neben ihr als seinen auserkoren hatte und selbst gedankenverloren im Buch las. „Takeru-kun.“, hauchte sie. Der Angesprochene blickte auf und lächelte. „Akemi-chan.“ Das 'chan' ließ bei Akemi die Wangen erröten. „Bleibt es bei heute Abend?“, hakte sie sich zur Sicherheit nach. „Ja.“ „Ich freue mich schon.“, gab sie schüchtern zu und unterbrach den Augenkontakt, um ihre Verlegenheit zu verbergen. „Ich mich auch.“, flüsterte Takeru und im selben Moment hätte er sich am Liebsten selbst eine runter gehauen. Wie konnte er nur 'Ich mich auch' sagen, wenn ja die Einladung von ihm kam. Da war es doch selbstverständlich, dass er sich auch freute. Mit leicht geröteten Wangen blickte er hinunter zum Dozenten, der gerade im Begriff war seinen Vorlesung zu beginnen. Es war wirklich spät geworden als die Beiden das Unigelände verließen. Die Arbeitsgruppen hatte mehr Zeit in Anspruch genommen, als erwartet. Gemütlich spazierten Akemi und Takeru zu der U-Bahn Station. Dabei spiegelte die in rosafarbene getauchte Umgebung Akemis Traumzustand wieder. Die Sonne stand schon etwas tiefer und war in ein leichtes rot – orange getaucht, dass vom Schnee reflektiert wurde. „Darf ich fragen, wo es heute hin geht?“, verlegen blickte sie zu Takeru, der nach der Frage ein wenig herum druckste und erst spät mit der Antwort herausrückte. „Dürfen schon, aber ich möchte dir den Ort nicht verraten.“, gab er lächelnd zurück. „Oh! Na gut, dann lass ich mich überraschen.“, kicherte Akemi, doch die Enttäuschung war nicht zu überhören. Als Beide auf den Zug warteten, standen sie unbeholfen nebeneinander. Takeru wusste selbst nicht, warum er so nervös war. Schließlich war Akemi nicht sein erstes Date. Drei, vier Mal hatte er ein Mädchen schon ausgeführt – Kino, Zoo, Park waren die idealen Orte für Verabredungen und nicht vertrauter Zweisamkeit gewesen. Bei Akemi war aber alles anders. Er lud sie zum Essen ein und dann war da noch dieses kleine silberne Etwas in seiner Tasche, dass die ganze Sache auch nicht leichter machte. Glücklicherweise wusste Akemis nichts von dem Geschenk, sonst hätte sie womöglich einen Ohnmachtsanfall nach dem anderen bekommen und aus dem Diner wäre ein gemeinsamer Aufenthalt im Krankenhaus geworden. Der Einzige, der sich vielleicht daran teilweise erfreut hätte, wäre Opa Ono gewesen. Schließlich wollte er den Kopfverdreher kennenlernen, obwohl er ihn schon aus dem Fernsehen, der Zeitung und durch das Fenster gesehen hatte. Die Tatsache, dass Takeru nur 'Einladung' und nicht zum 'Essen ausführen' erwähnt hatte, beruhte auf dem Wissen, dass Akemi nach solchen Ankündigungen immer in Atemnot geriet und den Anschein erweckte, einfach durch das Aussetzen ihres Luft-hol-Verstandes, Tod umzufallen. Um jegliche Aufregung zu vermeiden, die zu einem ungewollten Erstickungstod führen konnten, musste er das Essen so einfach wie möglich betiteln. Also, wurde dem Kind der Name 'Einladung zum Treffen nach dem Unibesuch' gegeben, das hatte aber auch nicht viel gebracht. Bei Akemi brannten die Sicherungen trotzdem durch. Da konnte Takeru nur von Glück sprechen, dass er ihr die Wahrheit vorenthalten hatte. Wahrscheinlich gehörte seine Angebetete zu jenen Mädchen, die irgendwann wegen Herzschmerzen beim Arzt landeten. Für eine junge Frau, in Akemis Alter, war es eine normale Sache sich mit einem Gleichaltrigen fürs Kino zu verabreden, aber eine Spezielle, von diesem zum Essen ausgeführt zu werden und eventuell im extremen Fall noch ein Geschenk überreicht zu bekommen und alles am 24. Dezember. Denn das Alles waren die klarsten und brutalsten Anzeichen auf ein erhofftes Zusammenkommen, in Form eines liebenden Paares. Allein die Vorstellung an so etwas, konnte bei jungen Frauen eine erhöhte Herzfrequenz verursachen und in manchen Fällen sogar zu kleinen Unregelmäßigkeiten führen, die vom Arzt als Herz-Rhythmus-Störungen meist fehl diagnostiziert wurde. Hinzu kam die verzweifelnde Ungewissheit, ob es sich bei solche einem Date nur um eine einmalige nächtliche Sache handelte oder mehr dahinter steckte. Das fünf Minuten zur Ewigkeit werden konnten, hatten Beide schon des Öfteren erfahren. Doch diesmal schienen sich die einzelnen Zeitabschnitte wie flüssiger Camembert in die Länge ziehen. Die stichelnden Sprüche und Gestiken der anderen Studenten machten das Ganze nicht einfacher, um so erlösender erschien Takeru und Akemi die Ankunft der Bahn. Wie zwei Ausgesetzte flüchteten sie in den sicheren Wagon. Das die Hälfte der störenden Kommilitonen ebenfalls einstiegen, war den Beiden erst im Inneren der Bahn aufgefallen. Amüsiert über ihr merkwürdiges Verhalten grinsten sie sich an und versuchten den Rufen kein Gehör zu schenken. Die Sonne stand extrem tief und blitzte gerade so durch die Skyline Tokios. Die Nacht schien klar und kalt zu werden, sofern es der Schmutz der Stadt zuließ. Nachdem Takeru und Akemi eine Weile mit der Bahn gefahren waren, zog er sie urplötzlich bei einer Haltestelle hinaus. „Wo sind wir?“, noch desorientiert, blickte sich das Mädchen um und stellte fest, dass sie im Ginza Viertel waren. „Ginza. Aber das hast du ja schon bemerkt.“, meinte Takeru und ging zu Ausgang der Station. „Komm, sonst sind wir zu spät.“ „Warte!“, rief Akemi ihm nach und versuchte so schnell wie möglich Takeru zu folgen, der ihr lächelnd die Hand hin hielt, während er auf sie wartete. Mit verkrampft dargestellter Freude bahnten sich beide durch das Viertel, doch der Gedanke, dass es sich hierbei um ein Date handelte, bremste die aufgesetzte 'breites Lächeln - Mimik' in manchen Momenten. Der Weg, den Takeru einschlug, führte in Richtung des Hibiya Parks. Akemi hatte schon öfters von ihren Freundinnen gehört, das junge Studenten, zu denen sie ja auch gehörte, sich gerne zu Zweit im Park trafen und dieser ein idealer Ort für den 24. Dezember war. Daher malte sich die verliebte Japanerin in ihren Gedanken einen romantischen Spaziergang bei Mondschein und der weihnachtlichen Beleuchtung aus. In einem ihrer Lieblingsmangas waren die schönsten Momente auch immer im mondbeschienen Park passiert. Obwohl, diese ganz intimen Momente wollte sich Akemi nun nicht vorstellen und schon gar nicht so schnell, wie es in den meisten Mangas und Animes vorkam. Hinzu kam, dass die Kälte dem Ganzen ebenfalls einen Strich durch die Rechnung machen würde. Peinlich berührt von ihren verrückten Gedankengängen blickte Akemi verlegen in eines der vielen Schaufenster und war froh, dass ihre gerötete Gesichtsfarbe vom Schatten der Stadt überdeckt wurde. Ohne es zu merken, drückte sie Takerus Hand ganz fest. Dieser reagierte natürlich prompt und drehte sich zu 'seinem' Mädchen um. „Hast du was?“ „Wie? Nein. Nein.“, meinte Akemi hastig und aufgescheucht, wie ein Huhn. Gleichzeitig schüttelte sie zur Bestätigung ihrer Aussage den Kopf. „Alles in bester Ordnung.“, künstlicher konnte sie nicht mehr Lächeln. „Wie du meinst.“ Welch katastrophaler Auftritt dachte sich die Japanerin in der Hoffnung, dass es bei einem gemeinsamen Abend im Park bleiben würde. Das wäre von ihrer Vorstellung her voll und ganz ausreichend. Umso erstaunter war sie, als Takeru in ein Hotel wollte, an dem sie eigentlich vorbei gegangen wären, wenn er den Park als Ziel im Kopf gehabt hätte. Doch er hatte diesen nicht einmal in seinen Plan miteinbezogen. So musste Akemi ihre Gedanken neu spinnen, während sie mit halb geöffneten Mund und großen Augen das Hotel anblickte. „Takeru-kun.“, hauchte sie. „Was wollen wir hier im Hotel?“ „Lass dich überraschen.“ Überraschen? Klar und das am 24. Dezember, wenn alle Hotels, unabhängig ihrer Preisvorstellungen, belegt waren. Vollkommen fassungslos sah die Japanerin ihren Schwarm an, denn wie aus heiterem Himmel war ihr ein aufregender aber auch unsittlicher Gedanke durch den Kopf geschossen. Er wollte doch nicht – er konnte doch nicht, nein, das war doch unmöglich. Trotzdem war sich Akemi nicht sicher, ob sie Takeru folgen sollte. Ihr Verstand spielte verrückt. Gedanklich wurde sie von ihrem inneren Teufel beschimpft, nur so schlichte Unterwäsche zu tragen, doch auf der anderen Seite flehte ein Engel sie schreiend an, Takeru nicht zu folgen. Bilder von ähnlichen Szenen, wie sie in Animes, Mangas oder realen Filmen vorkamen, flogen im Akkord durch ihren Kopf.. „Takeru.“, flüsterte Akemi fast atemlos. „Ja?“ „Wir sollten das nicht machen!“ „Was nicht machen?“, verwundert über das zögerliche Verhalten trat er auf sie zu. „Akemi-chan. Was hast du denn?“ Verlegen blickte die Angesprochene weg und spielte mit dem Träger ihrer Tasche. „Ich...“ „Ja?“, hakte Takeru nach. „Ich...“, mit ihrem gesamten Mut sah sie ihm in die Augen. „Ich fühle mich nicht bereit, für solch einen Schritt.“ Trotz ihrer großen Gefühle für ihn. Es herrschte Stille. Ihr Gegenüber wusste nicht so schnell, was er sagen sollte. Von diesem plötzlichen Ausbruch überrascht, versuchte er seine Stimme wiederzufinden. „Woher weißt du... ähm.“, vollkommen perplex starrte Takeru sie an. Sie wollte nicht mit ihm Essen gehen. Bei Takeru kletterte die Panik langsam nach oben. Er spürte wie sein Herz gegen die Rippen hämmerte, schließlich hatte er einen Großteil seines ersparten Geldes von Gelegenheitsjobs und gewonnen Wettkämpfen für einen Tisch in diesem verdammt teuren Hotel ausgegeben. „Takeru-kun, können wir gehen.“, flehte sie mit Stimme und Blick, so dass er nur einen Entschluss fassen konnte: Sie nach Hause zu bringen. „Okay.“, kam es gehaucht von ihm und leicht enttäuscht. „ Aber... ich muss trotzdem rein und den Tisch abbestellen.“ Erfreut darüber, dass Takeru sie verstand, überhörte sie 'fast' die letzten Worte. Gerade als er hinein gehen wollte, hatte das Verarbeitungszentrum ihres Gehirns die Information der letzten Aussage erfasst. „Den TISCH?“, platzte es aus ihr heraus, lauter als sie wollte. Takeru drehte sich abrupt um und sah sie verwirrt an. „Ja, den Tisch.“, bestätigte er. „Was hattest du vor?“, fragte Akemi lieber nach. Denn einen Tisch brauchten sie für das, was bei ihr mal wieder abgegangen war, nicht. Zumindest brauchte sie dafür keinen Tisch, da sie irgendwann einen Film gesehen hatte, wo 'es' auch im Stehen geklappt hatte. „Was hast du denn gedacht?“, stellte Takeru die Gegenfrage. Fassungslos über sich selbst, rang Akemi nach Luft und spielte nervös mit dem Träger ihrer Tasche. „Auf jeden Fall nicht das, was du vor hattest.“ Sie wünschte sich ein tiefes schwarzes Loch in das sie springen konnte. Ihre Lächerlichkeit toppte wahrscheinlich alles. In Gedanken verpasste sie sich eine Ohrfeigte nach der anderen, während sie die Frage:„Können wir … den Plan, den du hattest, weiterverfolgen?“, verlegen stammelte. Mit einem leisen, amüsierten Lachen, blickte Takeru sie an. Er ahnte, was in ihrem Kopf abgegangen war. Schließlich war heute nicht irgendein Tag, sondern der 24. Dezember. Ein Tag für alle Oberstufenschüler und Studenten, die eine schöne Nacht mit ihren Liebsten haben wollten. Egal wo, egal wie, am Besten waren dafür die Hotels geeignet und dafür wurde schon Wochen vorher das Geld gespart und die Dates verabredet. War kein Hotelbett mehr aufzutreiben, so konnten an diesem Tag sämtliche bettlosen Paare in der Gegend von Shinjuku angetroffen werden. Dort blieb keine Bank und Ecke unbesetzt. „Ich will gar nicht wissen, was du dir in deinem hübschen Kopf zusammen gesponnen hast.“, grinste Takeru. „Lass uns meinen Plan weiterverfolgen.“ Gemeinsam betraten sie das Imperial Hotel und das dazugehörige Restaurant. * „Das ist Rubys Star.“ Voller Stolz präsentierte der alte Gray seine neue Errungenschaft für Hero. Die Fuchsstute stand aufgezäumt und gesattelt mit den anderen Pferden auf dem Hof vor den Stallungen. Unsicher trat das Mädchen, für die das Pferd gedacht war, auf das große Tier zu. „Sie haben aber vergessen zu erwähnen, dass sie sehr groß ist. Sir.“, stotterte Hero und betrachtete sich das Tier eingehend. „Unsinn.“, brummte dieser. „Sie hat den perfekten Stockmaß für eine junge Reiterin, wie sie. Auf.“, damit winkte er den Pferdewirt herbei. „Cameron, helfen Sie der jungen Dame in den Sattel.“, und ehe sich Hero versah, saß sie auch schon auf dem großen Pferd. „Ich hoffe, du weißt noch, wo Gas und Bremse sind.“, bellte der alte Gray und sah amüsiert zu ihr rauf. „Ich hoffe es auch.“, flüsterte Hero und versuchte sich an das, was sie gelernt hatte zu erinnern. Zögerlich nahm sie die Zügel auf und verkürzte damit die Länge dieser Leinen, die die einzige Verbindung zum empfindlichen Maul waren und daher mit bedacht verwendet werden sollten. Doch im selben Moment stieg in Hero die Angst auf wieder abgeworfen zu werden, wie beim letzten Mal, als sie bei der Schnitzeljagd teilgenommen hatte. Da hatte sie noch Glück gehabt und war im hohen Bogen nur im Heuhaufen gelandet, aber wie würde es diesmal werden und war die Stute wirklich so brav, wie Mr. Gray Senior es beschrieben hatte. Hero seufzte und konnte nur dem Sprichwort nachgehen 'Abwarten und Tee trinken'. „Na. Hast du dich schon mit ihr angefreundet.“, das Ewan mit seinem Hengst Prestige neben ihr stand, hatte Hero gar nicht mitbekommen. Erschrocken, aber sichtlich erleichtert, einen so erfahren Reiter, wie Ewan neben sich zu wissen, ließ sie zögerlich Lächeln. „Na ja. Das Anfreunden wird wahrscheinlich erst da draußen passieren.“, damit blickte sie zur verschneiten Wiese. „Keine Sorge. Sie ist wirklich brav.“, meinte Ewan lachend und versuchte Hero die Angst zu nehmen. „Ich bin auch immer in deiner Nähe.“ „Das brauchst du doch nicht. Bestimmt ist dein Pferd schneller als meines und mit mir würdest du nur verlieren.“, gab Hero zum Einwand. „Ach, das glaube ich nicht.“, meinte der Brite und ließ seinen Prestige näher an Heros Rubys Star herantreten. „Mit dir, würde ich in jedem Fall gewinnen.“, flüsterte er in einem ernsteren Ton. Die Bedeutung dieser Worte ließen Hero verstummen und leicht Rot um die Nase werden. Ewan bemerkte, dass er mit diesem Satz sie peinlich berührt hatte. „Entschuldige!“, kam es hastig. „Aber sieh nur, Prestige und Ruby stecken jetzt schon ihre Köpfe zusammen. Da kann gar nichts schief gehen.“, meinte er leise lachend und versuchte die Stimmung wieder aufzulockern, doch ganz gelang es ihm nicht. „Oh mann! Jetzt bleib stehen.“, fauchte Nitan, während sie zum fünften Mal versuchte auf den Hengst Black Ten zu steigen. „Fahr ihn doch nicht so an.“, lachte Ju. „Nicht jeder will von dir geritten werden.“ „Ju!“, zischte die Blonde und blickte erbost zu der Halbchinesin, die schon auf dem braunen Green Tea saß. Amüsiert über das Bild, dass die Finnin und der Apfelschimmel abgaben, beugte sich die IT-Managerin der Band zu Blacks Zaum und hielt diesen dann fest. „Versuch es jetzt.“ Nitan ließ sich diesmal von Cameron helfen und in wenigen Sekunden saß sie ihm korrekten Sitz auf dem Pferd. „War der schon immer so zappelig?“, murrte sie eher zu sich selbst, als zu dem Pferdewirt. Doch dieser fühlte sich angesprochen. „Nein. Aber im Sommer wurde er für die Zucht eingesetzt und jetzt bei den vielen Stuten und konkurrierenden Hengsten, ist er immer so.“ „Aha.“, murmelte Nitan und stellte ihren Bügel um zwei Löcher kürzer. Nervös tänzelte der Apfelschimmel über den verschneiten Boden und warf seinen Kopf hektisch nach oben. Widerwillig kam er den Paraden nach, die ihm seine Reiterin mit Schenkeldruck und Zügelverkürzung sendete. „Er steht zu hoch im Blut.“, flüsterte Nitan und schien ein Einsehen mit dem störrischen Hengst zu haben. Während andere Reiter sich mit ihren Pferden für den Ritt noch bereit machten, versuchten jene, die schon im Sattel saßen aber eine Nervenbündel drunter hatten, ihre Tiere zu beruhigen. Kari, die auf einer dunkelbraunen Stute saß, ritt näher an Ju heran und kicherte. „Na, was ist denn so lustig?“, fragte Ju. „Schau mal.“, grinste diese und zeigte mit dem Finger auf Hero und Ewan. „Süß, nicht wahr.“ „Hach! Die Beiden passen zueinander.“, flüsterte Ju. „Wenn er so weiter macht, liegt er gleich auf Rubys Hals.“, gluckste Kari. „Oder Ewan zieht Hero auf seinen Prestige.“, kicherte Ju. „Na, was ist so lustig?“, ertönte eine warm klingende Stimme. „Oh! Guten Morgen, Mrs. Gray.“, riefen beide Mädchen gleichzeitig. „Guten Morgen.“, erwiderte die ältere Dame und Großmutter von drei Jungs. „Sie reiten mit uns?“, fragte Ju und sah leicht besorgt auf die gebrechliche Frau, die noch immer im Damensattel ritt. „Sicher.“, meinte diese. „Meine Bella und ich sind ein eingespieltes Team und außerdem, brauch ich es nicht so schnell anzugehen.“, ihr Blick ruhte auf ihren Enkel Ewan und seiner Angebeten. „Wenn es nach mir ginge, wäre Hero schon längst ein Teil dieser Familie, ohne das sie sich mit jemanden der Grays einlassen müsste.“ Verwundert sahen die Mädchen die ältere Frau an. „Wie meinen Sie das denn?“, fragte Ju. „Wenn Sie eine Adoption im Auge gehabt haben, muss ich Sie enttäuschen.“, gab Kari als Einwand. Erneut zeigte sich ein faltiges aber warmes Lachen auf dem Gesicht von Mrs. Gray, die sanft ihre Stute am Hals liebkoste. „Nein, das mein ich nicht. Ich hätte ihr den Namen Gray einfach verpasst.“, gab sie mit stolzem Ton an. „Einfach so?“, fragte Kari fassungslos. „Einfach so.“, bestätigte Mrs. Gray. „Mit Geld, lässt sich vieles 'einfach so' erledigen.“ „Und ihr Mann?“, Jus Blick war skeptisch, daraufhin lachte die alte Dame herzlich. „Mein Mann hat dieses Kind genauso ins Herz geschlossen wie ich.“, sie tätschelte erneut ihre Stute am Hals und seufzte. „Wir sind glücklich über unsere Enkelkinder. Gilbert ist auf dem besten Weg in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, Anthony hat sich in den Kopf gesetzt Arzt zu werden und Ewan, er hat ein Händchen für die Pferdezucht und schon groß angekündigt, er werde das Gestüt weiterführen.“ „Aber?“, hakte Kari nach. „Aber ein Mädchen als Enkelkind, das wie Hero ist … das blieb uns verwehrt.“, seufzte die alte Frau. Daraufhin fing Ju hinter vorgehaltener Hand mit Kichern an. Den Blick, den ihr Mrs. Gray zuwarf, bemerkte sie sofort und hörte dementsprechend gleich wieder auf. „Ich lache nicht wegen Ihnen.“, versuchte sie sich zu retten. „Ach nein?“, fragte die ältere Dame nach. „Was ist dann so lustig?“ „Hätten Sie Hero auch vorher um Erlaubnis gefragt?“ Die gespielte Empörung, die Ju von Mrs. Gray zu spüren bekam, brachte nun alle Drei zum Lachen. Die Pferdewirte Cameron und Heston gaben mit den Jagdhörnern das Signal zum Start. Der 'Fuchs' hatte mit der farbigen Spreu einen großen Vorsprung und konnte nun die Meute, wenn er gut war, gekonnt abhängen. Doch der Schnee vereinfachte die Situation für den 'Fuchs' nicht, sondern erschwerte das Ganze. Kaum war der Klang der Jagdhörner erloschen, starteten die Reiter ihre Verfolgungsjagd. Hero sah zu Ewan, der der Meute hinterher blickte und sein Pferd dazu brachte nicht zu folgen. „Na los, hol dir den Sieg.“, mit erwartungsvollen Blick musterte sie den Briten. Dieser erwiderte den Augenkontakt und lächelte. „Bist du dir sicher?“ „Ja.“, grinste Hero. „Ich kenne dich doch, du würdest dich das gesamte restliche Jahr ärgern.“ Daraufhin lachte Ewan und verkürzte den Zügel seines Pferdes. Er beugte sich zu Hero und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange und flüsterte: „Der Sieg ist unser!“ Kaum hatte er dies gesagt, lies er seinen Prestige in Bewegung kommen. Verdutzt über den Kuss sah Hero ihm nach und hatte auf einmal ein warmes, flattriges Gefühl. „Na? Ohne Mistelzweig schon auf Kussfang?“, stichelte Nitan von der Seite. „Na? Keine Lust dein reiterliches Können zu zeigen? Hast dich wohl heute morgen schon verausgabt?“, dabei blickte sie der Älteren herausfordernd entgegen. Der stand für einen kurzen Moment erstaunt der Mund offen, bevor sie mit Grinsen anfing. „Nicht schlecht, Kleine. … Gar nicht schlecht.“, meinte sie und folgte der Meute. Hero sah ihr nur nach und dachte gar nicht daran los zu reiten. Es war die alte Mrs. Gray, die sie dazu aufforderte sich in Bewegung zu setzen. „Nur Mut mein Kind.“, rief ihr die ältere Frau zu, die ihre Stute in den Galopp fallen ließ und sich entfernte. Nun war Hero mit Ruby ganz allein und konnte nur der Schneespur folgen. Ihr war das aber egal, für sie war es nur Wichtig ohne Abwurf ins Ziel zu kommen. Der Lärm der jagenden Reiter war schon weit weg, da fasste sie den Mut es im gemäßigten Galopp über die Wiese zu versuchen. Etwas unbeholfen gab sie der Stute die Paraden. Sanft wechselte diese vom Trab in die schnellere Gangart Galopp und flog so elegant und sicher über den Schnee, als ob sie zu wusste, was für Hero gut war. Derweil war an der Spitze der Meute ein heißer Kampf entbrannt. Allen voran Gilbert und Ewan. Hier wurde kein Wert auf einen sanften und langsamen Galopp gesetzt, hier zählte die Schnelligkeit. Ihrer Reitkünste und der gut ausgebildeten Pferde wegen, bildeten die beiden Grays den Anfang. Die Anderen hatten zwar auch, was die Ausbildung anging, exzellente Pferde unter sich, doch im schneebedeckten Gelände trauten sie sich gewagte Manöver nicht zu. Gilbert und Ewan hingegen waren schon als kleine Jungen mit ihren Ponys durch den tiefsten Schnee getobt und kannten das Land wie ihre Jackentasche, dementsprechend waren auch ihre waghalsigen Reitmanöver. Ewan ließ seinen Prestige über eine vom Schnee bedeckte Hecke springen, während die Anderen die drei Meter weiter entfernte Lücke nahmen und damit ein kleiner Stau entstand, da nicht alle gleichzeitig durchpassten. Gilbert tat es seinem jüngeren Cousin gleich. Für sein Pferd, dem zehnjährigen Biscuits, war es einfaches das ein Meter breite und halbe Meter hohe Schneehindernis zu überspringen. Seine langen Beine und die enorme Sprungkraft vereinfachten das Ganze. Beide waren mit ihren Pferden Kopf an Kopf. Da drehte sich Ewan zu Gilbert und lachte. „Der Sieg ist mein!“ „Das denkst nur du!“, schrie der Ältere. Die Spur führte in den naheliegenden Wald. Dort lag der Schnee zwar nicht so hoch, doch die Gefahr kam von oben. Die Äste der Bäume konnten unter dem Gewicht des Schnees brechen und die Reiter treffen. Da es nur ein kurzes Stück durch den Wald ging, billigte die Familie Gray diese Gefahr. Wenn man Reich war, musste man sich den Nervenkitzel halt suchen. Vor lauter Übereifer vergaßen die Jungen die vereiste Stelle am Beginn des Waldes. Dadurch kamen Prestige als auch Biscuits ins Rutschen und konnten sich nur durch die Hilfe ihrer erfahrenen Reiter auf den Beinen halten. Während die beiden Gray Jungs das Kopf an Kopf Rennen an der Spitze nach dem Ausrutscher weiterführten, gab es weiter hinten ein Duell der besonderen Art. Gilberts Mutter und dessen Freundin, Nitan, lieferten sich nicht nur einen heißen Kampf um den dritten Platz. Hier ging es viel mehr um den ganz natürlichen Wettstreit zwischen einer Mutter, die sich für ihren Sohn eine andere Freundin wünschte und genau dieser Freundin, die die sich von der Mutter sicherlich nicht vergraulen lassen wollte. Die beiden Frauen schenkten sich und ihren Pferden nichts und die, wollten auch nichts geschenkt haben. Sie waren irische Jagdpferde, dazu gezüchtet im hohen Tempo über freies Gelände unabhängig der Jahreszeit zu galoppieren. Nitans Hengst, Black Ten, war wie ausgewechselt. Der anfangs zappelige und nervöse Hengst, war zu einem aufmerksamen und leicht zu reitenden Pferd geworden. Ein idealer Partner für Nitan bei solchen Jagden, doch die Finnin musste zugeben, dass die Stute ihrer Schwiegermutter in Spe ebenso gut war. Anne Victoria wusste um den vereisten Platz am Waldrand und hielt ihre Stute Farah mit Absicht zurück. Sie würde im langsamen Tempo einen Umweg durch das Dickicht nehmen, dafür aber ohne Rutschgefahr durchkommen. Was die Intrigen der Grays anging, war sie die Königin. Leider wusste die selbst ernannte Queen nicht, dass einer der Pferdewirte Tage vorher mit Black Ten genau den Weg geritten war und er fast einen Unfall an der Stelle gehabt hatte. Ein Vorteil für Nitan, denn ihrer zappeliger Apfelschimmel besaß neben einem enorm guten Gedächtnis auch extrem viel Mut. Angst war für dieses Pferd ein Fremdwort und als er mit seiner energischen und zu allem entschlossenen Reiterin bei der vereisten Stelle angekommen war, sprang er ohne das geringste Anzeichen von Scheu über das kaum sichtbare Hindernis. Das Einzige was Nitan in diesem Moment spürte, war ein gewaltige Ruck und eine etwas unsanfte Landung auf dem Sattel. Ihrem reiterlichen Können hatte das Mädchen es zu verdanken, dass sie auf dem Rücken des Hengstes blieb. Verwundert über das plötzliche Buckeln ihres Pferdes sah sich die Nitan um und bemerkte, dass Gilberts Mutter einen anderen Weg eingeschlagen hatte und zurück lag. Mit Staunen stellte Anne Victoria fest, dass ihre Schwiegertochter in Spe ohne Straucheln über die Vereisung gekommen war und nun vorne lag. Doch sobald sie aus dem Dickicht heraus war, wurde Farah dazu angespornt wieder in den Galopp zu fallen. So einfach ließ sich eine geborene Gray nicht abschütteln. Bei Hero hingegen ging es weniger hektisch zu. In der Zwischenzeit hatte sie die alte Mrs. Gray eingeholt. „Ah.“, lächelte diese erfreut darüber, das Mädchen zu sehen. Im gleichen langsamen Tempo ritten sie über die Wiese und folgten den Spuren der vorangegangen Reiter. Bei der Hecke konnten Beide gemeinsam durchreiten und die vereiste Stelle erkannten sie schon von weitem, da einer der Reiter einen Ast auf die Vereisung geworfen hatte, um anderen zu Signalisieren einen Bogen zu machen oder drüber zu springen. * Die Atmosphäre im Les Saison, dem hauseigenen Restaurant des Imperial Hotels, ließ in Akemi ein Kribbeln emporsteigen. Sie wagte sich gar nicht ihrem Gegenüber in die Augen zu sehen, dieser versuchte im glattstreichen seiner Ärmel von der eigenen Nervosität abzulenken. „Es ist schön hier.“, meinte Akemi den Saal betrachtend. „Bitte?“, fragte Takeru, der mit seinen Gedanken beim Ablauf des Abends vom Essen zur Geschenkübergabe bis zum Abschied vor Akemis Haustür gewesen war und die einzelnen Szenarien immer wieder durchgespielt hatte. „Ich hab gesagt, dass es ein tolles Ambiente ist.“, meinte sie leise. „Ja. Ich dachte, dass die gesamte Atmosphäre dir gefallen könnte.“ „Da hast du richtig gedacht.“, die kleine steife Unterhaltung wurde von einem der Ober gestört. Vornehmlich, um auf sich aufmerksam zu machen, räusperte sich dieser. „Pardon, Madame et Monsiuer. Wenn ich mir erlauben dürfte, die Karten.“, damit reichte er den Beiden jeweils eine Karte. „Wissen Sie vielleicht schon, was Sie trinken möchten?“ Unsicher blickte Akemi zu Takeru, in der Hoffnung, dass er mehr Erfahrung ins solchen Dingen hatte. Dieser bemerkte den Blick und betrachtete rasch die Frontseite der Speisekarte. Erschlagen von dem überwältigend, teuren Angebot sah Takeru zu dem freundlich wartenden Ober auf. „Was können Sie uns den empfehlen? Also, kulinarisch und auch bei den Getränken.“ „Wenn ich dürfte.“, er ließ sich die Speisekarte geben und schlug die dritte Seite auf. Damit seine Gäste auch sehen konnten, was es empfahl, drehte er diese um. „Unsere Speisen richten sich nach der Jahreszeit.“, gab er als Information vorne weg. „Ich empfehle als Vorspeise den leicht geräucherten Lachs mit Kaviar und Kartoffeln als Beilage, dazu einen Kreuzkümmelsalat. Wenn sie aber eine Eigenkreation unseres Chefkochs Gérard de Bleyedere möchten, dann wären die Trüffelkuchen genau das Richige.“, nach dieser Ansage wurde eine Pause eingelegt, um das eben Gesagte bei seinen Gästen ankommen zu lassen. „Wenn ich Ihnen noch den Hauptgang empfehlen darf?“ „Gewiss.“, meinte Akemi und sah verwirrt über die exzellente Auswahl des Menues zu Takeru. Halleluja, hier war mindestens ein Stern am Kochen und die Fortführung der Gerichte bestätigte die wage Vermutung. „Als Hauptgang können Sie sich zwischen Früchten des Meeres und Fleisch entscheiden. Das saisonale Angebot aus dem Meer ist diesmal sehr vielfältig. Wir haben französische Seezunge gefüllt mit Krabbe, Haselnüssen und französischen Pilzen.“, erneut wurde die Pause eingelegt, bevor die Speisen mit dem Fleisch kamen. Diese klangen genauso, wie die anderen, schön teuer – nur die Nachspeise hörte sich relativ preiswert an. Eine einfache typisch, japanische weiße Weihnachtstorte mit frischen, roten und süßen Erdbeeren als Verzierung. Es sollte sich nach dem Essen herausstellen, dass diese Torte das teuerste in der gesamten Speiseabfolge war. Dabei war das Ding in jedem gängigen Restaurant zu preisgünstigeren Angeboten während der westlichen Weihnachtszeit in Japan anzutreffen. Doch zuerst mussten Vor – und Hauptspeise gewählt werden, bevor es zur Nachspeise kam. „Takeru“, flüsterte Akemi, nachdem der Ober seinen appetitlichen und kostenfreien Monolog beendet hatte. Sie zeigte mit dem Finger auf ihrer Menuekarte die entsprechenden Speisen. „Herr Ober, ich glaub, die Dame hat gewählt.“, räusperte sich Takeru. Sofort richtete sich die Aufmerksamkeit des Mannes auf Akemi, der das Ganze etwas peinlich war. Verlegen lächelte sie den Bediensteten an und deutete, während sie das Essen wählte, auf die jeweiligen Speisen. Takeru bestellte sich das Gleiche. Das Getränk vom Ober bestimmt wurde. Nachdem der gewählte Weißwein da war, fing Akemi zu flüstern an. „Takeru, dass ist alles...“, sie sah sich im Saal um und erblickte Geschäftsmänner, die im Anzug ihren ebenso feinen Frauen gegenüber saßen. „...so...so teuer.“ „Ich weiß.“, lächelte ihr Takeru aufmunternd zu. „Ich mein... das Geld für das Essen.“ „Akemi, du bist von mir eingeladen worden, komm ja nicht auf die Idee dein Essen bezahlen zu wollen.“, ermahnt er sie. * Ewan war es, der den 'Fuchs' zuerst gesehen hatte und nun hinter ihm her jagte. Verfolgt wurde er noch immer von Gilbert, der seinem Cousin jedoch zugestehen musste, dass dieser wahrscheinlich das bessere Pferd besaß. Der Rest der Meute war abgeschlagen, während das Ziel zum Greifen nah war. Doch bevor der 'Fuchs' dort ankam, wurde ihm das rote Tuch, welches locker am Sattel befestigt war von Ewan abgenommen. „Gewonnen!“, schrie der junge Brite und ließ sein Pferd in Schritt fallen. Bei den Stallungen angekommen, nahmen die beiden Pferdewirte Cameron und Heston die Tiere der Drei entgegen. Während sie diese in den Stall führten und versorgten, nahm Gil seinen Cousin in den Schwitzkasten. „Du alter Haudegen. Gib's zu, den Sieg hast du dir nur nicht entgehen lassen, weil Hero dabei ist.“ Als sich Ewan befreit hatte und Gilbert freundschaftlich gegen den Arm boxte, lachte er: „Welcher Ansporn könnte schöner sein und du... du hast dich wohl schon in der Nacht mit wilden Reitkünsten verausgabt, dass du heute so langsam warst.“ „Pass ja auf!“ „Selbst Großvater ist es nicht entgangen, dass du und Nitan ziemlich unwirsch beim Frühstück erschienen seid.“, grinste der Jüngere auf dem Weg ins Haus. Als Nächste traf Nitan ein, sie hatte es geschafft ihren Vorsprung gerade so auf eine Pferdelänge halten zu können, um den dritten Platz zu ergattern. Gerade als sie sich ins Haupthaus begeben wollte, wurde sie von Mrs. Anne Gray aufgehalten. „Gar nicht schlecht, meine Liebe.“, noch immer wurde die Nase in den Himmel gehoben, doch es hatte den Anschein das sie sich um einige Grad nach unten gesenkt hatte. „Danke. Ihr Reitstil kann sich aber auch sehen lassen.“, meinte Nitan respektvoll. „Ich gratuliere.“ „Ich hab nur den vierten Platz.“, meinte Anne frustriert. „Besser den Vierten, als gar keinen.“, grinste die Blonde und reichte ihrer Schwiegermutter in Spe die Hand. Diese zögerte für einen Moment, kam der Geste jedoch nach. Diesen Kampf hatte sie schließlich verloren und das bedeutete, dass sie für die gesamte Zeit, die Nitan über Weihnachten zu Besuch da war, keine negativen oder spitzen Bemerkungen über die Finnin abgeben durfte. „Glaube aber ja nicht, dass du dir damit Vorteile erkämpft hast.“ „Keine Sorge, aber ich werde Gilbert nicht aufgeben.“, lächelte Nitan zu allem entschlossen. Somit begaben sich die beiden Frauen nebeneinander zum Haupthaus. Wo sie erfahren mussten, dass Ewan der Gewinner war. Nitan wollte nach dieser Jagd nur noch Eines, ein schönes langes und heißes Bad. Nicht ahnend, dass ihre Plan durchkreuzt wurde, da sie ohne darauf zu achten unter einem Mistelzweig trat, der direkt im Eingangsbereich von Gilberts Zimmer hing und zum Anderen war sie von der Jägerin zur Beute degradiert wurden. Ihren Gedanken an das Bad nachhängend, hatte die Blonde nicht bemerkt, wie Gilbert ihr leise gefolgt war und nun die Gelegenheit des Mistelzweigs nutzte. Sie zuckte zusammen, als zwei starke Arme sich um ihren Körper schlangen und eine raue Stimme „Mistelzweig“ in ihr Ohr flüsterte. Nitan hatte ihren Jäger erkannt, doch bevor sie reagieren konnte, wurde sie einmal um 180 Grad gedreht und ihre Lippen von den Seinen in Beschlag genommen. Sofort wanderte eine von ihren Händen zu seinem Haar und griff fest hinein, während die andere den Weg nach unten suchte. Ein kehliges Grollen von ihm verriet ihr, dass er mit dem was ihre Hand tat, mehr als nur einverstanden war. „Biest.“, zischte es ihr entgegen. „Gibs zu, du hast den Mistelzweig da oben aufhängen lassen.“, meinte sie lächelnd, während ihre Hand seine Nerven strapazierte. „Und wenn? Dich stört es doch am wenigsten.“, meinte Gil nach ihren Lippen schnappend. „Aber ich wollte jetzt baden.“, hauchte sie nur noch, da in der Zwischenzeit Gilberts Hand ebenfalls den Weg nach unten gefunden hatte, aber auf ihrem Körper. „So?“, säuselte er und drängte Nitan gegen seine Tür. „Ja.“, gab sie spitz zur Antwort und versuchte den geschickten Fingern irgendwie auszuweichen, während seine Hüfte gegen ihre drängte und sie seine erwachte Lust in der Hand spürte. Wie um alles in der Welt konnte er da noch laufen, geschweige denn so 'ruhig' bleiben. Plötzlich überkam Nitan ein ungewollter Schub an ekstatischer Hitze, der ihren gesamten Körper erbeben ließ und sie dazu veranlasste ihre Hand aus seiner Hose zu nehmen und sich wie eine Ertrinkende an seinen Hals zu klammern, während sie auf den Zehenspitzen tänzelte und an der Tür lehnte. „Hör auf. Reicht dir der Morgen noch nicht?“, hauchte sie und musste sich zusammennehmen, um nicht über den gesamten Flur zu stöhnen. „Der Morgen war doch nur das Vorspiel...“, raunte er „... und du willst es doch auch“, damit ließ er Nitan spüren, wie feucht sie schon war. Es fühlte sich so unvollkommen an, als sein Finger sie verließ. Ein berauschender Kuss seinerseits, veranlasste sie dazu ihren Körper noch mehr an seinen zu schmiegen. Gleichzeitig entrann ihr ein kehliges Stöhnen, als seine Hände ihren Hintern umgriffen und sie nach oben hoben. Instinktiv schlangen sich ihre langen Bein um seine sich Hüfte. Im Unterbewusstsein bekam Nitan mit, wie die Tür hinter ihr nicht mehr den nötigen Halt gab. Doch das war ihr egal, selbst die Tatsache, dass er sie noch einmal absetzen musste, um die Tür zu schließen war zu Nebensache geworden. Was sie jetzt wollte, war er. So ließ sie selbst als er ihr dem Pullover über den Kopf zog nur ungern von ihm ab. Glücklicherweise trug er nur ein Hemd, dessen Knöpfe sie einfach nur öffnen musste und schon kam seine harter Oberkörper zum Vorschein, der unter den Sachen kaum vermutet wurde. Sie wollte ihre Lippen auf seine Haut legen, doch er hielt sie auf Abstand und dirigierte sie mit Küssen auf ihren Mund durch den Raum. „Deine Schuhe“, hauchte er ihr entgegen und ließ sie aufs Bett sinken. Während sie sich auf dem Bett räkelte, zog Gil ihr unter der Belastung seiner harten Lust die Reitstiefel aus und warf sie achtlos zu Boden. Etwas ruppig zerrte er an ihrer Hose und öffnete diese für Nitans Geschmack zu langsam. Doch dafür ging das Ausziehen wesentlich schneller, auch bei seiner eigenen. Nitan war schon im Begriff vollkommen auf das riesige Bett zu krabbeln, als er sie am Fußgelenk festhielt und zu sich zog. Seine Hand erfasste die ihre und er brachte sie wieder in die vertikale Lage. Mit einem Arm umschlang er ihre Taille, während er mit der anderen Hand das Spiel wiederholte und seine Finger für sich sprechen ließ. Vollkommen benebelt von dem, was Gil tat, schlang sie ihre Arme um ihn und bewegte sich gegen seine massierende Hand. Nur langsam dämmerte es ihr, dass sie am Bett vorbeidirigiert wurde. „Gil?“, hauchte sie und sah ihn mit verklärten Blick an. „Du wolltest doch Baden.“, kam es rau. Es dauerte fast eine Ewigkeit bis die beiden im Bad angekommen waren und sich unter der Dusche wiederfanden. Hätte Nitan es nicht besser gewusst, dann hätte sie behauptet, die ganzen Armaturen in der Dusche waren allein dafür da, dass sie sich besser auf ihren Beinen halten konnte, während Gilbert ihr den Verstand raubte und das nicht nur mit seinen Küssen. Ihre Sinne wussten nicht mehr worauf sie sich konzentrieren sollten. Auf seine Berührungen, die er mit seinen Händen auf ihrer Haut ausübte, auf das warme Wasser, dass wie ein leichter Regenschauer auf beiden Körpern herabfiel oder doch eher auf diese rhythmische Bewegung, die er mit seiner Hüfte vollführte und ihr mit jeden vorwärts gehenden Drang das Gefühl der Vollkommenheit gab. Sie wusste es nicht. In ihr schlugen die Sinne Purzelbäume und fuhren Achterbahn. Jeder ihre lustvollen Laute, gefüllt mit Emotionen und Leidenschaft gingen in seinem räuberischen Mund unter. Das Einzige was sie tun konnte, war sich an den Armaturen festzuhalten und sie tat es, als ob sie nie etwas anderes getan hatte. Gleichzeitig wurden seine Bewegungen immer heftiger aber auch fordernd, während seine Hände schon längst quälend langsam ihre Rundungen massierten. Sie hoffte, dass die Armaturen ihr Gewicht halten würden, als sie eines ihre Beine um seine Hüfte schlang und mit der Hand in sein nasses Haar griff. Die Kühle der Fliesen an ihrem Rücken konnte ihre Hitze nicht mehr lindern. Ein wolliger Laut entrann ihr, als Gils Hände an ihren Seiten, über ihren Hintern hinab glitten und an der Rückseite ihrer Oberschenkel zu Ruhe kamen. Kurz verloren sie ihre Verbindung. Woraufhin er einen gedämpften, jammernden Laut aus ihrem Mund vernahm, als sie seine harte Lust nur noch gegen ihren inneren Schenkel streifen spürte. Doch genauso schnell, wie der Entzug kam, gab er ihr das, was sie wollte und brauchte zurück. Seine Lippen lösten sich von ihrem Mund und fanden den Weg zu Nitans Hals hinab. Dort fing er mit der Zunge das tropfende Wasser auf und knabberte zärtlich an ihrer feuchten Haut. Das Ziehen an seinem Haar, das Drängen ihrer kreisenden Hüfte, ließen ihn im Takt seines Rhythmus gedämpft gegen ihr Ohr knurren. Ein kehliges, tiefes Grollen, dass sie nur all zu gerne hörte. Ihre Hand griff noch fester in das nasse Haar, dabei rieb sie ihre Wange an seiner Schläfe, während die andere Hand hilflos Halt an den Fliesen suchte. Sie schlang ihre Beine noch enger um seine Hüfte und versuchte zu verhindern, dass er durch seine Bewegungen immer wieder zurückglitt. Gleichzeitig drängte sie mit ihrer ihm entgegen. Eine emotionale Welle von Sternen und ekstatischer Leidenschaft überrollte Nitan, den schmerzhaften Biss, den ihr Gilbert am Hals verpasste, nahm sie nur für Sekunden wahr. Als dieses Explosionsgefühl nach einigen Nachbeben verebbt war, küsste dieser zärtlich die Stelle, an der er sie gebissen hatte. Nur langsam ließ er Nitan auf ihren eigenen Beinen stehen. Noch ein wenig atemlos und sich halb an Gilbert klammernd, hauchte sie: „Also wenn das Baden jedes Mal so abläuft...dann wird das eine ganz schön lange Angelegenheit.“ Nitan lag mit ihrer 'langen Angelegenheit' gar nicht so daneben. Während das Paar unter der Dusche ein feucht fröhliches Erlebnis nach dem anderen feierte, waren alle Teilnehmer der Schnitzeljagd längst zurückgekehrt und mit warmen Getränken versorgt worden. In der Zwischenzeit hatte Hero von Kari angefeuert Ewan zum Sieg gratuliert und diesmal vor versammelter Familie einen Kuss auf die Wange bekommen, sehr nah am Mundwinkel. Sie hatte dabei nicht unter einem Mistelzweig gestanden. Ein wiederholt krächzender Husten, der eigentlich ein Räuspern sein sollte und von einer gewissen Haushälterin kam, die auf dem Namen Molly hörte, ließ daran erinnern, dass sich Nitan und Gilbert irgendwann an dem Tag nochmal blicken lassen mussten. Spätestens zum Mittag, das in einer viertel Stunde serviert wurde. Für den Aufschrei von Nitan, dass ihre Haare noch feucht waren, hatte Gilbert nur ein müdes Lächeln übrig. Mit hochgezogener Braue meinte er: „Na, wenn das alles ist, was an dir feucht ist, muss ich da beunruhigt sein?“ Dem Handtuch, dass ihm entgegengeflogen kam, wich er lässig aus. * Die Sonne war schon längst verschwunden und daran war nicht die Skyline von Tokio Schuld, als Akemi mit Takeru vor ihrem Elternhaus stand. Verlegen kratzte Takeru mit dem Schuh im Asphalt und versuchte ein Loch hineinzubohren, was aber eher dazu führte, dass sein Schuh eines bekam. „Also...“, begann er. „....ich fand den Abend echt schön.“ „Ich auch.“, hauchte sie verlegen und lächelte einmal ungekonnt ihm entgegen. Beide waren frustriert und verwirrt, sonst waren ihnen solche Abschiede immer leicht gefallen. Er hatte 'Tschüß' gesagt und war weiter gegangen und sie war einfach ins Haus hinein. Doch diesmal war es so anders. Befremdend anders. „Ich... es ist schon spät.“, meinte Akemi und deutete damit an, ins Haus gehen zu wollen. „Ja.“, bestätigte Takeru und sah hilflos zu, wie sie sich zum Eingang bewegte. 'Jetzt oder nie' schallte es plötzlich in seinem Kopf und wie von einer fremden Hand geführt, griff Takeru nach Akemis Arm. Überrascht drehte diese sich um. „Ta...“, weiter kam sie nicht. „Das wollte ich dir noch schenken, und hoffe, du nimmst es an.“ Mit diesen Worten drückte er ihr eine kleine Schachtel mit einem silbernen Armband als Inhalt in die Hand. Verdutzt blickte sie auf das Päckchen. Nur langsam wurde die Schleife gelöst und das Papier heruntergezogen. Zögerlich hob sie den kleinen blauen Deckel vom Rest der Schachtel und schluckte hart als sie das Innere erblickte. Takeru hatte es zwar nie ausgesprochen und den Gerüchten hatte sie keinen Glauben geschenkt, doch jetzt schien sich Akemi sicher zu sein, dass er sie mit der Verabredung und mit dem Geschenk fragen wollte, ob sie mit ihm 'zusammen sein' wollte. Nicht dieses freundschaftliche Zusammensein, sondern dass, bei dem man sich sogar auf den Mund küssen durfte. Sofort fing ihr Herz an unregelmäßig zu galoppieren. Mal bäumte es sich auf und im nächsten Moment raste es, wie eine unaufhaltsame Lawine, die den Berg hinunter brach. Eine Sache, die Beide nicht wussten, war, dass der gesamte Haushalt der Onos hinter den Fenstern und runter gelassenen Rollos stand und nun gespannt die Luft anhielt. Selbst Akemis kleine Schwester Hina, die natürlich ihrer Schwester nie zeigen würde, dass sie sich für ihr Glück freute, stand mit offenen Mund da. Es waren schon zwei Minuten und 25 Sekunden vergangen, seitdem Akemi wie angewurzelt auf das Armband starrte. Da startete Takeru einen Versuch, um in Erfahrungen zu bringen, was sie nun dachte. „Und? Gefällt es dir?“, die Hoffnung bebte. Sie gab keine Antwort und das verunsicherte den jungen Japaner noch mehr. Nach weiteren Minuten des Wartens, meinte er: „Ich sollte lieber gehen.“ Noch ehe er aber sich umdrehen konnte, schnappte Akemi seine Hand und küsste ihn ohne weiteres Nachdenken auf den Mund. So schnell wie der Kuss gekommen war, schreckte das Mädchen zurück und hielt sich die Finger an ihre Lippen, dabei hatte sie das Armband fest in der anderen Hand umschlossen. Überrascht blickte Takeru sie an. „Akemi...“ „JA!“, schrie sie. „Ja, ich will mit dir zusammen sein.“, platzte es aus ihr heraus. Kaum das sie dies gesagt hatte, schlich sich nach einem erschrockenen Ausdruck eines der wunderbarsten Lächeln, für Akemi, auf Takerus Gesicht. Im gleichen Moment wurde die junge Japanerin aber von Unsicherheit und Zweifel erfasst. Die nächsten Worte flüsterte sie mit einem Unterton der Angst zittrig über die Lippen. „Du wolltest mich das doch fragen, oder?“ Anstatt einer verbalen Antwort, ließ Takeru Taten sprechen. Er küsste sie. Dieser Kuss war zärtlicher als ihrer. Es war fast wie ein Hauch, aber für Akemi, war es alles. Kleine heiße Tränen der Freude rannten ihr über das Gesicht als sie ihre Augen schloss und diese zärtliche Geste von Takeru einfach genoss. Viel zu schnell lösten sich seine Lippen von den ihren, so kam es zumindest Akemi vor. Währenddessen herrschte bei den vier Zuschauern kollektives Luft anhalten, Aufatmen und erleichtert sein. Vor Aufregung hatte sich Oma Ono setzen müssen. Soviel Spannung und das in ihrem Alter – ach ja, Enkelkinder waren schon was feines und wenn sie Glück hatte, konnte sie vielleicht noch ein Urenkel miterleben. In diesem Moment beherrschte ein glückseliges Lächeln die faltige Mimik von Oma. „An welchen Arm willst du es gerne haben?“ „Was?“, Akemi stand auf den Schlauch. 'Was wollte sie an welchen Arm?', plötzlich dämmerte es ihr, das Armband, dass sie gerade in ihrer Hand zerdrückte. Erschrocken blickte sie hinunter und konnte mit Erleichterung feststellen, dass es aus Silber war und keinen Schaden ihrer euphorischen Kraft genommen hatte. „Rechts.“, murmelte sie. Stumm, aber lächelnd legte Takeru das zierliche Armband um ihr Handgelenk und schloss es. Dabei entdeckte Akemi den kleinen funkelnden Stein, der an dem Armband hing. Seine Farbe war zu dunkel für einen Bernstein und für ein Tigerauge war die Farbstruktur zu unregelmäßig. So klein wie er war, doch sein Farbspektrum reichte von einem sanften Gold bis hin zu einem tiefen Sirupbraun. „Ist das eine Edo-Sarasa?“, ihre Stimme war ein heißeres Krächzen, dass ihr die Röte ins Gesicht schießen ließ. „Ja.“, bestätigte Takeru ihre Vermutung. Erstaunt über die wunderbare Natur des Steins blickte sie diesen eindringlich an. Sie hatte schon einige bei Juwelieren gesehen, doch alle hatten nur ein Lederband als Halterung, mit der silbernen Einfassung schien der Stein jedoch regelrecht zu strahlen. In der Zwischenzeit hatte sich einer der Onos durch das Zupfen am Rollo bei Takeru verraten. Ausgerechnet Opa Ono, der dem Ganzen äußerlich skeptisch zusah aber innerlich schon seine Urenkel durch die Gegend springen sah. Wie das Herz doch gleich anfing zu flattern. „Ich glaub, du solltest jetzt rein gehen.“, meinte Takeru leise und schob Akemi, die noch immer wie verzaubert war in Richtung Tür. „Ja.“, hauchte sie, mehr abwesend als alles andere. Mechanisch kamen die Bewegungen, die ihr halfen die Tür aufzuschließen und diese auch zu öffnen. Bevor sie jedoch reinging, erwachte sie aus ihrem Zauber und drehte sich zu Takeru um. Ihr Blick war schüchtern, so wie der Klang ihrer Stimme. „Und wir sind jetzt wirklich 'fest' zusammen?“, ihr Verstand wollte das Ganze nicht glauben, obwohl Kuss und Armband ausreichende Beweise waren. „Ja.“, Verwirrung machte sich bei Takeru breit. „Ich meine, so richtig, richtig zusammen?“ „So richtig, richtig.“, bestätigte er. „So mit Kuss und allen drum und dran?“, sie wollte es ja so gerne glauben, wenn da nur nicht ihr ungläubiger Verstand wäre, der nach mehr Indizien für diese Tatsachen suchte. Um ihrem Gefühl endlich Ruhe zu verschaffen, beschränkte Takeru seine Beteuerungen, sie als feste Freundin zu wissen, nicht mehr auf Worte, sondern ließ erneut seine Lippen auf andere Art sprechen. Seine Hand fuhr zu ihrem Kinn, er hob es leicht an. Erneut jagten die Blitze durch ihren Körper, als sie seine Lippen auf ihren eigenen spürte. Doch diesmal war der Kuss anders, er war nicht so leicht, sondern herber aber trotzdem voller Zärtlichkeit und da war noch etwas, seine Lippen bewegten sich. Das hatten sie bei den letzten zwei Küssen nicht getan. Gott, ihr wurde schwindlig. Irgendwie setzte das Denkvermögen aus und da sie Angst hatte, einfach so in die Knie zu gehen, schlang sie für Takeru überraschend die Arme um ihn. Außer den beiden vorangegangen Flüchtigkeitsküssen, hatte sie bisher noch nie jemanden geküsst. Ungewollte entfuhr ihr ein Seufzer des Glückes, kurz bevor er von ihr ließ. Während Akemi noch um ihren Verstand bangte, schien sich Takeru gefangen zu haben. „Gute Nacht.“, murmelte er und löste sich aus ihrer Umarmung. Er war es auch, der die Haustür schloss, als er ging. Minuten flossen dahin und Akemi stand noch immer allein im dunklen Flur verträumt auf die Tür starrend da. Ihre Lippen bebten und in ihr war eh alles von einem Beben nach dem anderen erschüttert worden. Tief seufzend lehnte sie sich mit der Stirn an die Tür, drehte sich nach einer Weile und ließ sich an der Tür gelehnt, hinunter auf den Boden gleiten. Ein Blick auf ihr Armband verriet, dass es kein Traum war. Plötzlich überkam sie eine Welle des Glücks und aus den Tiefen ihrer Lungen kam ein Aufschrei der Freude, der die gesamte Familie bis ins Mark erschrecken ließ. „Gute Nacht.“, flüsterte sie ihrem Armband entgegen und überhäufte es mit Küssen. * Zum Mittagessen hatte Mr. Gray Senior die Tischplatzsituation selber bestimmt, trotz der Proteste seiner Tochter. Schließlich war er noch immer das Oberhaupt im Haus und das konnte tun und lassen was es wollte, solange alles in einem gewissen sittlichen, britischen Rahmen getan wurde. Diese Vormachtstellung hatte zur Folge, dass Nitan ihren Sitzplatz zwischen der in Spe-Schwiegermutter und Bandkollegin Ju wiederfand. Gilbert saß ihr zwar Gegenüber, aber die phänomenale Tischdekoration von geschmückten Minitannenbäumen verlangte von ihr einen Giraffenhals, um wenigstens seine Augen sehen zu können. Wäre das die einzige Anordnung des alten Mr. Gray gewesen, Hero hätte sich herzlichst gefreut. Da Gray Senior die Annäherungsversuche seines Enkels aber nicht entgangen waren, fanden sich Ewan und Hero in der Mitte der Tafel nebeneinander platziert wieder. Während des Essens wurde sich ausgesprochen laut unterhalten und das Gilbert sich den Sieg vor der Nase hatte wegschnappen lassen, warf immer wieder aufs neue Diskussionen auf. Spekulationen wurden in den Raum ge – und verworfen. Bei manch einem Hirngespinst schoss einigen Damen sogar das Blut in die Wangen, doch im Allgemeinen blieb die Unterhaltung für britische Verhältnisse gesittet. Ewan neigte sich zu Hero. „Bleibt es bei unserem Spaziergang durch die Ställe? Da kann ich dir Prestige nochmal vorstellen.“, flüsterte er. Wie gerne hätte Hero ihre beste Freundin Kari vorgeschoben, doch die war von Mr. Gray Senior ans hintere Drittel der Tafel verfrachtet wurden. „Ja, gerne.“, und insgeheim hoffte Hero, das Haushälterin Molly ein wachsames Auge haben würde. Denn die Aussage vom alten Gray war noch immer in ihrem Kopf manifestiert. Den inneren, sorgenvollen Gedanken keine äußerlichen Anzeichen gebend, wandte sich Hero wieder ihrem Rehbraten in Weinsauce zu. * Es war kurz nach 16 Uhr. Der Schneesturm hatte sich nach langer Zeit des Überlegens endlich dazu entschlossen sich zu legen, damit die Straßen von mehr oder weniger fleißigen Männern geräumt werden konnten. Bei den Meisten war der Fleiß weniger vorhanden, dafür die Furchen im Gesicht, die den russischen Ackerfeldern Konkurrenz machten, umso mehr. Leni hatte endlich ihre Schicht hinter sich gebracht. Erschöpft seufzend zog sie die weiße Schürze aus und verstaute sie in ihrer Tasche. Erneut hatte die 'Legende der Kaffeemaschine' zugeschlagen und wer hatte es abbekommen? Leni und ihre Schürze. Doch diesmal war es nicht bei einem Schwall Wasser geblieben, das gesamte Ding war ihr um die Ohren geflogen und sie konnte von Glück sprechen, dass sie sich keine Verbrennung durch das spritzende, erhitzte Wasser zugezogen hatte. Nun war nicht nur Leni zerschlagen, sondern auch die 'Legende'. Das Überziehen des Mantels fiel ihr schwerer als sonst. Daher war es nicht verwunderlich, dass eine männliche Person hinter dem Lokal Sorge schob sie verpasst zu haben, da es schon fünf Minuten nach Schichtende war. Nachdem Leni sich komplett in Mantel und Schal eingepackt hatte, ging sie müde zum Hinterausgang. Den gesamten Morgen hatte sie sich nicht wohl gefühlt, was wahrscheinlich an der Sache mit dem offenen Fenster in der Nacht lag. Schließlich war ihr Chef durch Urlaubspläne aus dem Verkehr gezogen. „Ich dachte schon, ich hätte dich verpasst.“, begrüßte eine gutgelaunte Stimme sie. Verwundert blickte Leni auf. „Dima?“, hauchte sie spitz. „Was machst du denn hier?“ „Dich abholen.“ „Und das Training?“ „Is' flach gefallen.“, skeptisch sah sie ihn an, während beide den Weg zur WG antraten. „Das Training und flach gefallen? Das glaubst du doch selbst nicht.“ „Doch.“, grinste Dima amüsiert. „Kostja steht daheim in der Küche und bereitet schon Kaffee zu.“ Oh ja! Denn könnte sie sehr gut vertragen. „Das erklärt auch warum du hier bist.“ „Hey, mach mir keine Vorwürfe, ich hab ihn sogar gefragt, ob ich ihm helfen kann.“ „Und warum ist das Training nun ausgefallen?“ „Die Halle ist zu geschneit, und niemand hat daran gedacht sie frei zu schaufeln.“ „Das bisschen Schnee hätte euch beiden auch nichts ausgemacht.“, empörte sich Leni. „Da wäre ich mir aber nicht so sicher. Denn mit Sicherheit wären Kostja und ich trotz oder wegen des Schneeschippens nicht mehr zum Training gekommen.“, ein verwunderter Blick traf Dima nach seiner Aussage. „Ich mein ja nur. Schließlich liegen auf drei Kilometer verteilt Schneemassen in einer Höhe von ein bis zwei Metern.“, zur Verdeutlichung gestikulierte er mit seinen Händen, wie groß und riesig diese Schneeberge waren. Als von Leni keine Antwort darauf kam, fügte er in einer bühnenreifen, theatralischen Darstellung noch hinzu: „Du hättest mich und Kostja sicherlich nicht da durchbutteln lassen?“ Daraufhin verdrehte sie nur die Augen. Nach 30 Minuten waren beide in der heimischen WG angekommen. Es duftete herrlich nach frischen Kaffee als Leni zur Tür hereinkam. Dima konnte sich einen seiner Scherze nicht verkneifen. „Ja, ja, jetzt muss man sich ihn nur noch mit Schürze vorstellen, dann ist er perfekt.“, dafür erntete er einen Seitenhieb von Leni. Kostja versuchte die Aussage zu überhören und stellte die leckeren Butterkekse neben dem Kaffee auf den Tisch. „Will dich mal Kaffee kochen sehen.“, brummte er dann doch in sich hinein. „Das macht die Maschine für mich.“, flötete Dima und ließ sich auf seinem angestammten Platz nieder. „Außerdem musste ich Leni abholen.“ „Sie hätte sicherlich auch allein Heim gefunden. Oder traust du ihr das nicht zu?“, grummelte Kostja während er platz nahm. „Ich dachte er hätte dich gefragt, ob er dir helfen kann?“, meinte nun Leni verwundert, da ihr Dima auf dem Heimweg so etwas ähnliches berichtet hatte. „Hat er auch.“, bestätigte der Jüngere. „Nur zu dem Zeitpunkt war sein Kopf nur noch hier, der Rest war schon auf dem Weg zu dir.“ Dima wurde von Lenis tadelnden Blick regelrecht durchbohrt. Sich keiner Schuld bewusst, sah er auf. „Was?“, empörte sich dieser. „Dein Kaffee ist heiß.“, meinte sie nur. „Und ich? Bin ich nicht heiß?“ „Du bist zum abgewöhnen.“, gab sie ruhig zur Antwort bevor sie einen Schluck ihres Kaffees nahm, den Kostja mal wieder exzellent hinbekommen hatte. * Im Stall war es angenehm, wenn Hero an die Kälte außerhalb der Pferdeboxen dachte. Eine friedvolle Ruhe war nach dem hektischen Morgen eingetreten und jedes der Tiere tat das, was es immer tat. Manche hatten ihre Köpfe tief in ihren Futtertrog gesteckt und versuchten an die übrig gebliebenen Haferkönner heranzukommen. Dabei war ein sanftes Schnauben zu vernehmen. Andere blickten interessiert aus ihren Boxen den beiden Zweibeinern entgegen oder zeigten ihnen in bester Manier den Allerwertesten, da sie die weiße Landschaft durch ihren Ausguck für viel interessanter erachteten. Ewan führte Hero zu seiner neusten Errungenschaft, Prestige. Für die Japanerin war das Pferd ein Riese. Schon am Morgen hatte sie den deutlichen Größenunterschied zwischen Rubys Star und dem Koloss bemerkt – und dabei hatte sie zum alten Gray gemeint, dass die Stute schon ziemlich groß war. „Er ist vom Stockmaß ganz schön groß, aber leicht zu händeln und hat nen erstklassigen Stammbaum.“, meinte Ewan mit stolzem Blick auf das Namensschild, das an der Box angebracht war. Der große Braune trat näher an die Tür heran und streckte seinen Kopf den Beiden entgegen. Ohne zu zögern strich der junge Brite über den sehnigen Hals seines Pferdes. Leicht schmunzelnd kraulte Ewan die Partie hinter den Ohren und blickte dabei zu Hero. „Du kannst nichts mit ihm anfangen, nicht wahr?“ Hundert Punkte für den Kandidaten. So teilnahmslos, wie Hero vor dem Riesen stand, konnte es auch gar nicht anders sein. Da hatte sogar ein Grashalm mehr Interesse an dem Pferd, als es bei ihr vorhanden war. „Ewan...“, stammelt sie, doch weitere Worte fand sie nicht. Dafür war aber das amüsierte Lachen des jungen Briten zu hören, der die Liebkosungen zum Leidwesen des Braunen für beendet erklärte und die Hände lieber in die Seiten stemmte, als in dessen Winterfell. Da konnte der große Kopf noch so sehr gegen das Gesicht des jungen Mannes stupsen, der entzog sich einfach mit einigen Schritten von der Box weg. Ein entrüstetes Schnauben half da auch nicht und das Mädchen, die stand einfach so da und ließ nicht einmal ein Anzeichen dafür erkennen, dass sie ihn streicheln wollte. Prestige brummelte. Einen Moment würde er noch warten, dann aber konnte diese Zweibeinigen seinem Hinterteil 'Hallo' sagen. „Großvater hat es gefreut, dass du trotzdem mit gemacht bist.“, meinte Ewan aufmunternd, „Er war sich nicht sicher, da die Jagd im vergangenen Jahr weniger erfreulich für dich geendet hat.“ Der Abwurf. Jetzt dämmerte es bei Hero. „Achso... na ja, ich hab einfach nur den Reiterkodex befolgt, der besagt doch 'gleich wieder in den Sattel steigen' – oder so ähnlich.“ „Ja, so ähnlich, aber es kommt ja auf den Inhalt an.“, gab Ewan zur Antwort, da er den eigentlichen Wortlaut auch nicht mehr kannte. „Ich hab dich noch gar nicht gefragt, ob du gut mit Ruby klar gekommen bist.“ Ihre Antwort klang schnippischer als sie es wollte: „Sonst wäre ich ja nicht hier.“ „Ah, ja. Klar.“, lächelte Ewan, der bemerkte hatte, das Hero nie eine Pferdeliebhaberin sein würde. Sie bemühte sich, doch er konnte ihrer Haltung ansehen, dass sie dem Gestüt nichts abgewinnen konnte. Doch die Hoffnung keimte bei Ewan trotzdem weiter, denn bisher hatte sie noch keine Abneigung gegen ein Leben auf dem Land gezeigt. Hero hatte bemerkt, dass sie mit ihrer Antwort etwas barsch gewesen war. „Ich hab das nicht so gemeint, wie es geklungen hat. Ich ...“ „Du brauchst dich nicht zu erklären. Wenn man vom Pferd geworfen wird, bleibt das immer in Erinnerung.“, meinte er. „Danke.“, hauchte sie leicht lächelnd. „Wir können ja nochmal nach Ruby sehen.“, gab sie als Kompromiss an. „Ja, das können wir machen.“ Gemeinsam verließen sie den Stall, in dem nur die Hengste standen und gingen hinüber zum Stutenstall. „Na nu?“, meinte Hero erstaunt. „Hier stehen aber wenig Pferde.“ „Die Stuten mit denen wir züchten stehen alle auf dem Zweitgestüt in der Nähe von Dover.“ „Ihr habt ein Zweitgestüt?“ „Ja. Dort sind auch die ganzen Fohlen und Jährlinge untergebracht. Wenn sie dann nicht mehr für die Zucht gebraucht werden oder die Junghengste zweieinhalb sind, kommen sie dann hier her oder werden von London aus bei Auktionen verkauft.“ In der Zwischenzeit waren beide bei Ruby angekommen. Die Stute kümmerte sich nicht um die zwei Störenfriede, ihr Interesse galt dem duftenden Heu, dass sie an die heißen Tage im Sommer auf einer vom saftigen Gras überwucherten Weide erinnerte. Ein genussvolles Schnauben entkam ihren Nüstern, bevor sie ihr Maul gänzlich im dem getrockneten Sommergras verschwinden ließ. „Sie scheint nicht viel von mir zu halten.“, meinte Hero belustigt. „Das ist Gemüt.“, grinste Ewan. „Ihre Mutter 'Touching of Ruby' ist Rennen gelaufen und hatte auch großen internationalen Erfolg gehabt. Aber ihr Vater ist unbekannt und es wird vermutet, dass sie von ihm das Gemütliche hat.“ „Wie meinst du das unbekannt? Ich dachte bei der Zucht wird alles schriftlichen festgehalten.“, fragend sah sie den Briten an. Was die Zucht anging, wusste sie nur das es Geld, Zeit und viele Geduld brauchte und jede Menge Schreibarbeit bedeutete. „Wird es ja auch, aber sie wurde unbeobachtet gedeckt.“, meinte Ewan. „Wie bitte?“ „Na ja, der Vater von Ruby ist schon bekannt, kommt aber nirgends offiziell zur Sprache, da es halt eine unbeaufsichtigte Deckaktion war.“, erklärte er ihr. „Wir wollte eigentlich nicht mit ihre Züchten, daher stand sie den Sommer über auch hier und nicht in Dover. Der Stalljunge hatte vergessen Rubys Mutter abends in die Box zu bringen, also stand sie die gesamten Nacht draußen und am anderen Morgen stand der fremde Hengst auf der Koppel.“ „Oh.“, kommentierte Hero das Ganze. „Ja, und dummerweise war der Vater kein englisches Vollblut, sondern eine ganz andere Sorte.“, Ewan seufzte. „Ein Kaltblut.“ „Ein was?“ „Kaltblut. Die haben im Gegensatz zu Rassen, wie dem englischen Vollblut, ein höheres Körpergewicht und sind vom Temperament wesentlich ruhiger. Sie wurden vor der industriellen Revolution als Kutsch- und Zugpferde eingesetzt.“ Jetzt war Hero in Sachen Pferde wieder etwas klüger geworden, obwohl sie sich sicher war, dass dieses erworbene Wissen ihr eh nirgends weiterhelfen würde. „Und so eine Kaltblut ist Rubys Vater?“ „Ja, das Kaltblut vom Nachbarn. Er hat sich auch bereit erklärt, falls ein Fohlen aus der der Nacht entsteht, würde er es bei sich aufnehmen.“ „Das Kaltblut gehört dem alten Cedric?“, verdutzt sah sie Ewan an. „Ja. Du hättest mal sein Gesicht sehen sollen, als Großvater vor einem halben Jahr bei ihm anklopfte und nachfragte, wie viel er denn für den einstigen Querschläger haben will.“, lachte der Brite amüsiert über die Erinnerung. Hero hingegen sah die Stute fassungslos an. Da hatte sie sich gefreut, auf einem Pferd zu sitzen, dass nicht aus der Zucht der Grays stammte und nun erwies es sich als Irrglaube. Ruby war ein Zuchtunfall, den die Grays nicht geplant hatten. Genauso wenig, wie die Tatsache, dass Nitan sich nicht davon abbringen ließ Gilbert trotz der gemeinen Sticheleien vom Rest der Familie, treu zu bleiben. „Na ein Wunder, dass sie hier im Stall bei anderen Pferden leben darf und nicht allein in einem Schuppen hausen muss.“ „Kein Sorge, sollte einer der Hengste in Versuchung geraten, wäre das auch nicht schlimm. Und außerdem ist schon zu alt für ein Fohlen.“ „Wie jetzt?“, empört sah sie Ewan an. „Auf der einen Seite wird sich aufgeregt, wenn ein zuchtfremder Hengst eine Stute von Gestüt deckt und auf der anderen Seite ist es aber nicht schlimm, wenn ein Gestütshengst Interesse an Ruby hat?“ „Es wäre eine Verbesserung des Blutes.“ Hero riss die Augen auf. Eine Verbesserung des Blutes ... Rassismus unter Pferden und deren Zucht. Sie musste ihr weg. Die erhaltenen Informationen waren schon zu viel des Guten gewesen, mehr wollte sie auch gar nicht in Erfahrung bringen. „Mir ist kalt. Können wir wieder ins Haus?“ „Ja, klar.“, grinste Ewan. „Aber vorher, muss ich noch was abholen.“ „Was willst du denn abholen?“ Für die Antwort zeigte Ewan mit dem Finger nach oben. Heros Augen folgten dem Verlauf und blieben bei etwas Grünem mir roten Früchten hängen. 'Das durfte doch nicht wahr sein!' Mit offenem Mund starrte sie zur Decke. Erneut stand sie unter einem Mistelzweig. Wenn das in den nächsten Tagen so weiterging, würde sie sich bis zum Abreisetag nicht mehr aus dem Zimmer wagen. Denn eins stand fest, sich die ganze Zeit abknutschen zu lassen, wollte sie auf keinem Fall. „Wer hat den da oben aufgehangen?“, hauchte sie. „Ich glaub mein Großvater.“, flüsterte Ewan gegen ihr Ohr. Sofort überrannte eine flatterndes Frösteln ihren Körper und hinterließ eine Gänsehaut. So nett wie Gilberts Cousin auch sein konnte, doch wenn er die Gelegenheit hatte sie zu küssen, dann nahm er diese auch wahr. Hero wagte nicht ihn anzusehen und als seine Finger ihr Kinn berührten zuckte sie leicht zusammen. Obwohl es ihr widerstrebte fügte sie sich seinem Drängen und wandte ihm ihr Gesicht zu. Ihre Blicke trafen sich. Kurz darauf konnte sie erkennen, wie er ihr gesamtes Profil musterte, um am Schluss bei ihren Lippen hängen zu bleiben. Sanft strich Ewan mit dem Daumen über ihre Unterlippe. Hero schreckte wenige Zentimeter zurück. Doch seine Hand, die zu ihrem Nacken wanderte, brachte sie wieder dazu näher an ihn heranzutreten. Noch immer war sein Fokus auf ihren Mund gerichtet. Sie standen sich so nah, dass Hero den herben und schweren Duft seines After-Shaves mit jedem ihrer hektischen Atemzüge wahrnahm. „Ewan.“, wisperte sie, während das mulmige Gefühl in ihr immer stärker wurde. „Schhh.“, mit dieser verbalen Geste, legte er ihr seinen Zeigefinger für einen kurzen Moment auf die Lippen. „Es ist nur ein Kuss.“ Seine Stimme klang in Heros Ohren seltsam rau und gedämpft. Zögerlich betrachtete sie seine Augen eingehender. Die grünbraunen Iriden schimmerten nicht mehr so hell, wie sonst. Es schien ihr, als wären sie von einem dunklen Schleier überlegt worden. Erneut hauchte sie seinen Namen. Ihre Stimme zitterte und klang ängstlich, doch er nahm es nicht wahr. Ohne auf ein Zeichen ihrer Einwilligung zu warten, legte er seine Lippen auf ihre. Aus einem Reflex heraus schloss Hero die Augen und wartete, dass der Kuss zu Ende ging. Sie wollte doch nicht auf den Mund geküsst werden, nicht unter einem Mistelzweig. Nicht so! Nicht von ihm! Und auf einmal schmerzte es tief in ihrer Brust, dort wo das Herz unaufhörlich schlug. Zurückweichen konnte sie nicht. Das Gegenteil trat ein. Der drängte Druck in ihrem Nacken, verursacht durch die starke männliche Hand, ließ sie noch näher an Ewan herangekommen. Alles verkrampfte sich, nur ihr Unterkiefer zitterte. Es dauerte nur Sekunden, wenn überhaupt, bis Ewan nicht nur seinen Mund auf ihren liegen haben wollte. Er wollte mehr. Für Hero so überraschend, dass sie ihre Augen aufriss, wurde der Kuss fordernder. Erst bewegten sich nur seine Lippen, doch dann strich auch seine Zunge über ihren immer noch Verschlossenen. Sie verzweifelte. Reichte es ihm nicht, sie auf dem Mund zu küssen? Immer herber forderte er von ihr, dass sie seinem stummen Verlangen nachgab und ihm endlich mehr Spielraum gewährte. Doch sie öffnete ihren Mund nicht. Nicht darauf achtend, das Hero dem Ganzen nicht so erfreut gegenüberstand, legte er seine zweite Hand auf ihre Taille und übte dort einen besitzergreifenden Druck aus. Er zog sie an seinen Körper heran, schmiegte seinen an ihren und beachtete gar nicht ihre zarten Hände, die sich abwehrend gegen ihn stemmten. Um ihr jegliche Flucht zu untersagen, wanderte seine Hand von der Taille auf ihren Hintern und ertastete dort mit kreisenden Bewegungen das neue Areal. Gleichzeitig versuchte Hero sich von ihm zu lösen. Jammernde Laute der Angst waren von ihr zu hören, während sie sich in seinen Armen wandte. Doch je mehr sie von ihm weg wollte, desto heftiger wurde sein Verlangen und Kraft, mit der er sie festhielt. Es klang wie ein Zischen, doch sie verstand es. Ohne nur einen Zentimeter ihrer Lippen freizugeben, flüsterte er: „Komm schon.“ Alles nur das nicht, schoss es Hero in den Kopf. Doch es war zu spät. Um zu erreichen, was er wollte, griff er fest in ihren Hintern, so dass sie ein Schmerzenslaut von sich gab und somit den Mund leicht öffnete. Die Chance ließ sich der kopflose Ewan nicht nehmen und drängte seine Zunge zwischen ihre Lippen. Vollkommen berauscht drängte er Hero gegen ein der Boxen und zwängte sie zwischen sich und der Wand ein. Mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte stemmte sich das Mädchen mit ihren Händen und Armen gegen ihn. Doch er war ganze zwei Köpfe größer als sie und wesentlich stärker. Als sie seine Zunge gegen ihre streichen spürte, überkam sie eine Welle der Übelkeit. Immer wieder leckte er über ihr. Ihr Wimmern wurde immer lauter, doch Ewan interpretierte es als hingebungsvolle Seufzer und begann langsam seine Hüfte gegen ihre zu Kreisen. Hero zuckte zusammen und versuchte seinen Bewegungen auszuweichen, doch eine unerbittliche Hand hielt sie an der Taille und versuchte sogar das sie sich seinem Rhythmus anpasste. Ein Keuchen entkam Ewan. Für Heros Ohren klang es wie das Grunzen eines Schweines. Die Tränen in ihren Augen fanden keinen Halt mehr und versenkten die rosigen Wangen des Mädchen mit ihren heißen Fluten. Sie wusste nicht, wo sie die Kraft hernahm und wie sie es überhaupt schaffte, doch der Knall war durch den gesamten Stall zu hören. Sichtlich verwirrt sah Ewan sie an, während sich auf seiner linken Wange ein roter Fleck bildete, der Heros Handform ähnelte. Er blickte in ein Paar weit aufgerissener Augen, die ihn mit einer Mischung aus Wut, Angst, Unglaube und der kleinen Prise Verachtung ansahen. „Hero“, hörte er sich selber sagen und zuckte bei ihrer Reaktion zusammen. Sämtliche Pferdeköpfe schossen nach oben und einige Tiere, die hoch im Blut standen, tänzelten nervös in ihrer Box. „HÖR AUF!“, schrie sie ihn an. Dabei stieß sie ihn von sich und stolpere seitlich von ihm weg. Angstvoll und verweint blickte sie ihm in die Augen, während sie sich immer weiter von ihm entfernte. Seinen Versuch ihr nach zukommen, unterband sie sofort. „BLEIB WO DU BIST!“ Ihr ganzer Körper bebte. „Komm mir nicht zu nah.“, zischte sie. Bevor endlich die bleierne Schwere ihre Beine freigab, damit sie wegrennen konnte und sie rannte. „Hero?“, flüsterte er ihr hinterher. Sich nicht umsehend, wo sie hinrannte, stürzte sie in das Foyer. Nitan die gerade mit Gilbert dort stand, wurde fast von ihr umgerissen. „HEY!“, motzte die Blonde im ersten Moment, war dann aber doch verdutzt als sie erkannte, wer sie da angerempelt hatte. „Hero!“, verwundert sahen beide dem Mädchen nach, dass die Treppen fast hoch stolperte und an der letzten Stufe sogar hängen blieb und auf die Knie fiel. Sich aber nicht darum kümmernd, stand sie wieder auf und rannte in ihr Zimmer, das von innen abgeschlossen wurde. Sie wollte niemanden sehen oder hören. Von wegen die Liebe finden. Vollkommen in Tränen aufgelöst und mit Verzweiflung angefüllt schmiss sie sich in das Bett und schrie ihren Kummer in eines der Kissen. Einige Sekunden später traf Ewan im Haus ein. Dort wurde er von Nitan mit schiefen Blick bedacht. Sie brauchte nicht lange, um Eins und Eins zusammenzuzählen. „Sag mir nicht, dass du an dem Elend, dass eben vorbei gerannt ist, Schuld bist?“, zur Sicherheit legte Gilbert ihr seine Hand auf die Schulter. Denn wenn Nitan etwas außer rhythmischen Hüftbewegungen ebenso gut konnte, dann war es den anderen die Augen auszukratzen. „Wenn das Elend Hero war, dann ja.“, gab der junge Brite leise zur Antwort. „Was hast du angestellt, dass sie so AUFGELÖST ist?“, fauchte sie. Das war schließlich ihre Aufgabe, andere aufzulösen, aber nicht so, dass sie weinend wegrannten. Zumindest nicht, wenn es sich dabei um enge Freunde handelte, wie die Bandmitglieder. Von dem Lärm angezogen, kam Ju neugierig aus der Bibliothek, nicht ohne ein Buch in der Hand zu haben. „Wer oder was ist aufgelöst?“ Gilbert drehte sich zu ihr. Allein an seinem Gesichtsausdruck konnte sie erkennen, dass es ernst war. „Hero.“, gab er nur zur Antwort. „Wieso?“, Nervosität erklang in ihrer Stimme. Der vielsagende Blick von dem Paar auf den jungen Mann an der Tür, sagte ihr schon alles. „Hast du es dir mit Hero verscherzt?“, kam es etwas ungläubig von der Halbchinesin. Seit sie Hero kannte, hatte sich nicht einen Tag erlebt, an dem das Mädchen durch jemanden anderen verstimmt oder wegen einem gemeinen Spruch aufgelöst war. „Ja, ich glaub schon.“, flüsterte er. Erschlagen von diesen Worten krächzte Ju: „Was hast du getan?“, und wiederholte damit die Frage von Nitan, nur etwas schlichter gehalten. „Ich … ich glaub, ich war zu forsch.“ „ZU FORSCH?“ Erschrocken blickten alle vier Anwesenden zur Treppe. Dort stand eine aufgebrachte Kari, die sich wutentbrannt am Geländer festhielt. Ihre Stimme bebte. „Ich kann sie durch die Zimmertür hören, so heult sie sich gerade die Augen aus. Da braucht es mehr als nur die Tatsache, dass jemand zu FORSCH war!“, schrie sie Ewan an, während ihre Lungen nach Luft schnappten. „Von forsch kann da keine Rede sein, ÜBERTRIEBEN wäre die besser Bezeichnung!“ So zierlich wie die Brasilianerin auch war, aber das Haus konnte sie zusammenschreien. Nacheinander kamen die anderen Band- und Familienmitglieder verwundert ins Foyer. In der Zwischenzeit stand Kari vor dem betroffenen Ewan und zog ganz langsam einen Strohhalm aus seinem Haar, dass sie dann direkt zitternd vor Wut unter seine Augen hielt. „Was wolltest du ihr außer Prestige und Ruby noch zeigen, wie das mit dem Decken funktioniert?“, während sie ihn zur Rede stellte, erkannte sie die rote Schwellung, die er durch das Neigen seines Kopfes zu verstecken versucht hatte. Geschockt darüber und der Erkenntnis, die sie wie ein Schlag traf, taumelte sie zurück. „Kari.“, kam es besorgt von Nitan. Diese drehte sich zu der Blonde und sah sie fassungslos an. Erst als sie sich gefasst hatte, blickte sie wieder zu Ewan. „Hero ist keines dieser Mädchen, die einfach so Ohrfeigen verteilen. Ich will gar nicht wissen, was du getan hast oder tun wolltest.“, hauchte sie kopfschüttelnd, während sie auf den Weg zur Treppe war. Der Rest der Band zog bei diesem Satz scharf die Luft ein. Sie kannten Hero, seit sie elf war und sie wussten, das Mädchen war noch nicht mal in der Lage einer Spinne etwas zu tun. Obwohl sie Angst vor diesen hatte. Auf der ersten Stufe angekommen blieb die 17-jährige Brasilianerin stehen. „Und ich hab ihr gesagt, Ewan ist ein ganz netter. Sie soll es doch einfach mal versuchen.“, ihre Stimme klang brüchig. „Ich kann es nicht glauben. Ich lag falsch, so falsch.“, böse war ihr Blick als sie Ewan in die Augen sah. „Sie ist nichts für dich, sie ist zu gut für dich.“, mit diesem Worten verschwand sie in der oberen Etage und begab sich auf den Weg zu Heros Zimmer. Gray Senior, der das Spektakel erst beim Strohhalm mitbekommen hatte, erhob bevor alle anderen losquatschten, die Stimme. „EWAN!“ „Ja, Großvater?“ „Schließ' die Tür, hier drin wird es kalt und dann erzählst du uns allen, warum Hero, nach Karis Meinung, sich die Augen wegen dir ausweint.“, brummte er. Und das zu Weihnachten! Skandal! Das brauchten die Grays nicht. Der Enkel kam der Aufforderung nach und stellte sich dann dem versammelten Haus. Haushälterin Molly stand hinter Mr. Gray Senior und wünschte sich nicht auf diesen verfluchten kleinen Bengel von Enkel gehört zu haben. 'Ich werd schon nichts mit ihr anstellen' und jetzt heulte das arme Ding. „Ich höre nichts.“, kam es fordernd von Mr. Gray Senior. Ewan seufzte und senkte den Kopf. Ja, er gab sich reumütig aber er wusste nicht was er falsch gemacht hatte. Ihr hatte es doch gefallen, sonst hätte sie doch nicht so 'geseufzt' und sich so anrüchig in seinen Armen bewegt. Als er mit seiner Erklärung was passiert war fertig war, herrschte Stille. Einzig das monotone Ticken der Standuhr war zu hören und zerrte an den Nerven des Angeklagten. Es erschien fast wie eine Ewigkeit, bis jemand die Stimme erhob und es war ausgerechnet Mrs. Anne Victoria Gray. „Du siehst deine Schuld nicht, nicht wahr?.“, fragte sich sachlich. Ihr Neffe sah sie mit großen Augen an. Allein an seinem Blick sah sie, dass er nichts verstand. „Das, was du als Aufforderung gedeutet hast, war ihre Art dir zu zeigen, dass du aufhören solltest.“, sprach sie einem tadelnden Ton. „Die Tatsache, dass sie dir nichts sagen konnte, das sie nicht wollte … diesen Fehler musst du bei dir suchen.“ Geschockt über diese Aussage sah Ewan sie verwundert an. Doch Anne Victoria erinnerte ihren Neffen, dass er sie die ganze Zeit geküsst hatte. „Du hast doch selber gesagt, das deine Lippen nur auf ihren waren. Wie hätte sie da bitte sprechen sollen? … Sobald sie den Mund aufgemacht hätte, hättest du den Kuss vertieft.“ Fassungslos über das Benehmen ihres Neffen ging sie langsam auf ihn zu. „Versetz' dich doch mal in ihre Lage.“, meinte sie. „Du hast seit sie hier ist alles falsch gemacht. Sie hat dich das letzte Mal vor einem Jahr gesehen und gesprochen und da meinst du mit ein wenig Small-talk kann das Jahr aufgeholt werden? Sie ist noch nicht mal 24 Stunden hier und du willst sie an einem Tag zu deiner Freundin empor heben. So was braucht Zeit. Frag deinen Großvater, wie lange er gebraucht hat, bis deine Großmutter sich bereit erklärt hat einen kleinen Kuss auf die Wange zu akzeptieren.“ „Tante...“, begann Ewan, doch sie tadelte ihn mit erhoben Finger. „Ich war mit dir noch nicht fertig, mein lieber Neffe. … Die Aussage, die Kari getroffen hat, ist gar nicht mal so falsch. Du verdienst Sie nicht. Sie ist zu anständig … für die gesamte Familie.“, sie stand nun nur noch wenige Meter von ihm entfernt. „Du hast es nicht einmal gemerkt, wie wohl erzogen sie ist. Sie ist sogar so gut erzogen, dass sie vieles ohne Widerspruch duldet und daher hast du dir mehr erlaubt, als es sittlich angemessen ist. Das ist auch der Grund, weshalb du ihre sogenannten Seufzer, die du als solche interpretiertest, falsch verstanden hast. Du warst es einfach nicht gewohnt, dass sie auch einmal 'Nein' sagen kann.“ Sie blickte ihm in die Augen, während ihre Hand über seine Wange strich. „Ewan, du hast vergessen, wer du bist. Welchen Namen du trägst und welche Verantwortung damit verbunden ist.“ Verzweiflung lag in Ewans Blick. Er wollte es sich nicht mit Hero verscherzen, er hatte sie wirklich lieb. „Tante...“, begann er erneut. „Was soll ich tun?“, haucht er so leise, dass seine Großeltern Probleme hatten ihn zu verstehen. „Das weiß ich nicht.“, auf diese Antwort hin, blickte Ewan sie flehend an. Sie gab ihm noch einen Rat: „Ich weiß nur, dass du sie über die Feiertage bis zu ihrem Abreisetag in Ruhe lassen wirst. Erwarte nicht von ihr, dass sie nächstes Jahr wieder hierher kommt.“, mit diesen Worten begab sich Anne Victoria zur Treppe. „Und nun entschuldige mich, mein Neffe. Ich muss die Falte glätten, die du verursacht hast.“ Sie wandte sich von ihrem Neffen ab und blickte zu Ju und Nitan, der sie die Hand entgegen streckte. „Nitan, meine Liebe, und du auch Ju, kommt. Wir sollten Kari mit unterstützen.“ Nitan stand wie angewurzelt da, schließlich wurde sie gerade von ihrer Schwiegermutter in Spe 'meine Liebe' genannt. Erst der kleine Anstoß von Gilbert ließ sie loslaufen und die Hand der Frau greifen, die bis vor wenigen Stunden nicht einmal im Traum daran gedacht hatte, sie als Freundin ihres Sohnes zu akzeptieren. Ju ging den beiden hinterher, während Nitan an der Hand geführt wurde. „Nun Ewan.“, jetzt war sein Vater Charles am Zug. „Du hast deine Tante gehört. Du weißt was das für dich bedeutet?“, der Angesprochene nickte stumm. „Wir sehen uns dann im Neuen Jahr?“, fragte er leise. „Ja.“, nickte Charles. „Ich werde deine Mutter informieren.“ „Wirst du ihr auch den Grund sagen?“ „Willst du es ihr sagen?“, skeptisch sah der Vater seinen Sohn an. Dieser hatte den Kopf gesenkt und war regelrecht eingegangen. Doch er besaß noch den Schneid in die Augen seines Erzeugers zu blicken. „Ja. Ich werde es ihr sagen.“, damit verließ Ewan das Foyer und packte seinen Koffer. Er wusste, dass er Hero nicht wiedersehen würde und wenn, würde seine Familie – allen voran sein Großvater – alles daran setzen, den Aufenthalt für Hero so angenehm wie möglich zu gestalten. Selbst wenn ein Mitglied der Familie in dieser Zeit gemieden wurde. Doch das war das Gesetz der Familie und diese Regelung galt seit den frühsten Anfängen des Stammbaums. Es war nicht so, dass die Grays mit jedem Gast so bevorzugt umgingen. Im Gegenteil, wäre es eines der anderen drei Mädchen gewesen, hätte das Familienmitglied bleiben können und das Mädchen abreisen müssen. Die Tatsache, dass Hero von ihrer Familie so gut erzogen worden war, hatte den Ausschlag gegeben für diese drastische Maßnahme. Niemand der Grays würde ihr die Schuld an dem Schlamassel geben. Dafür hatte sie schon zu oft bewiesen, dass sie mit ihren Manieren perfekt in diese gehobene Welt hineinpasste. Bei jeden Besuch war einer von Gilberts Freunden immer in ein Fettnapf getreten, außer Hero. Selbst wenn sie kurz davor war, hatte einer der Grays sie bewusst oder unbewusst davor bewahrt. „Hero! Mach dir Tür auf.“, jammerte Kari und klopfte im monotonen Akkord gegen das Holz. Sie war schon so verzweifelt, dass sie ihre Bemühungen aufgeben wollte. Doch da legte sich eine Hand auf ihre Schulter und ein aufmunternder Blick traf ihren. „Lass mich mal“, meinte Anne Victoria einen Schlüssel aus der Tasche ziehend. * Da sie keine dieser modernen Geschirrspülmaschinen besaßen, wurden die Kaffeetassen per Hand gewaschen. Gedankenversunken stand Leni an der Spüle und säuberte das Geschirr. Kostja hatte sich dazu bereit erklärt noch schnell in den Lebensmittelladen zu gehen und einige Sachen für die nächsten Tage zu besorgen. Somit hatte er einer endlosen Diskussion zwischen Leni und Dima entgegengewirkt. Dieser lehnte sich gerade an den Türrahmen zur Küche und sah Leni bei ihrer hauswirtschaftlichen Arbeit zu. „Na, woran denkst du?“ Die junge Frau zuckte zusammen. „Nichts was dich angeht oder interessiert.“ „Wirklich?“ „Ja.“, kam es schnippisch von ihr, während die Tasse zum Trocknen weggestellt wurde. Dima grinste: „Nächstes Mal werde ich Kostja helfen, die Kaffeemaschine mit Wasser und Kaffee zu befüllen.“ „Hör auf. Was willst du?“, fragte sie genervt. „Was soll ich wollen?“ „Du stehst nicht umsonst am Türrahmen.“ „Ich soll dich von Kostja...“, sie unterbrach ihn. „Von Kostja? Ich glaub eher, du bist hier neugierig und nicht Kostja.“ „Okay. Ich wollte dich im Namen meiner Neugierde fragen, was du am 31. Dezember vor hast.“ „Ich hab Frühschicht.“ „Echt?“ „Ja.“, beantwortete sie seine Frage. „Es ist üblich für einen normalen Menschen der Arbeit hat am Morgen des 31. Dezember zu arbeiten, wenn er sich keinen Urlaub geholt hat.“ „Frag doch mal, ob Tascha einspringt.“ „Die ist mit ihrem Freund in Moskau.“, kaum hatte Leni diesen Satz gesagt, überkam sie ein furchtbarer Schauer der Erinnerung. Die Tasse in ihrer Hand wurde erneut in das Wasser eingetaucht und mit dem Abwaschlappen wieder bearbeitet, obwohl sich schon jeder Kaffeefleck im Seifenwassergemisch aufgelöst hatte. Dies blieb Dima natürlich nicht verborgen. „Alles in Ordnung?“, kam es einfühlsam von ihm. Leni drehte sich langsam mit dem Gesicht zu ihrem Mitbewohner um. „Ja, klar. Alles in Ordnung. Ich ...“, guter Rat war jetzt teuer, was sollte sie als Erklärung anbringen. „Ich hab nur eben an meine Eltern und an den Rest meiner Familie denken müssen.“, eine Lüge. Doch sie war besser als die Wahrheit, fand sie. „Du kannst sie ja anrufen. Ich würde die Kosten auch übernehmen.“ „Danke. Ich komm auf das Angebot zurück.“, flüsterte sie, nicht ohne eines ihrer sanften Lächeln zu zeigen, das bei Dima jedes Mal das Herz schneller schlagen ließ. Wie sehr wünschte er sich doch, sie als sein 'Mädchen' zu betiteln. Abends neben ihr einzuschlafen, nur um am Morgen der Erste zu sein beim Aufwachen, um ihr beim Schlafen zusehen zu können. Er hoffte auf die Weltmeisterschaft, wenn sie in einer anderen Umgebung waren. Vielleicht würde sich da eine Gelegenheit ergeben und wenn es die Kleinste auf der Welt wäre, er würde sie ergreifen. „Ich geh das Wohnzimmer saugen.“, meinte er beim Gehen mit einem Lächeln. Was! Verwundert über diese Aussage sah Leni ihm hinterher. Seit wann half Dima freiwillig beim Haushalt. Um es zu glauben, lauschte sie und erschrak fast, als ihr Mitbewohner seine Aussage wahr machte und den Staubsauger anwarf. In dem kleinen Lebensmittelladen von Olga war der Teufel los. Erst heute hatte sie neue Ware aus Moskau bekommen und die Insider wussten das diese Sachen abends schon in den Regalen lagen. Alles was aus der Hauptstadt kam, war innerhalb von 42 Stunden ausverkauft. Glücklicherweise benötigte der junge Russe keine speziellen Dinge, sondern nur alltägliches, wie Milch, etwas Wurst, Käse, Zucker und Brot. Es wurde Gekreischt, Geschrien und einige Frauen waren sogar so aggressiv, dass sie wild mit Konserven um sich schlugen und dabei manch eine gegnerische Kundin K.O. ging. Wenn das nicht reichte, dann kam es zu härteren Geschützen und es war keine Besonderheit wenn irgendwo ein Haarbüschel zu finden war. Die Männer waren bei so etwas wesentlich gelassener. Wenn der Artikel nicht mehr da war, dann war er halt nicht mehr da. Endlich an der Kasse fiel ihm auf, dass dort nicht wie immer die Besitzerin Olga, sondern eine junge Frau stand. Sie fiel vollkommen in Dimas Beuteschema. Eigentlich gehörten alles hübschen Mädchen mit niedlichen Lächeln und gepflegten Haar zu Dimas Lieblingen. Kostja hingegen interessierte sich nur für ein Mädchen. Doch die neue Kassiererin schien das anders zu sehen. „Hallo.“, begrüßte sie ihn freundlich. Er nickte nur desinteressiert. Doch sie ließ nicht locker. „Du musst Kostja sein. Tante Olga hat mir erzählt, dass hier manchmal ein junger Mann einkauft, dessen Beschreibung auf dich passt. Du bist doch Kostja?“, er sah auf und sie klimperte mit den Augen. Nett! Mehr schien sie wohl nicht zu können. „Hm.“, brummte er und blickte auf die Ware, die er einkaufen wollte. Sie sah ebenfalls auf die verschiedenen Artikel. „Oh!“, wisperte sie und scannte den Barcode. „Ich hab gehört du trainierst Kendo?“ „Ja.“ „Nimmst du auch an der WM teil?“ Nun entwickelt Kostja doch ein wenig Interesse. Diese zeigte er mit einem fragenden Blick, den sie mit einem verschmitzten Lächeln beantwortete. „Ich hab auch eine Zeit lang in Sankt Petersburg Kendo trainiert.“ „Wie kommst du von Petersburg hier her?“ Die Neugierde stieg, so wie der zu bezahlende Preis. „Ferien und … ich hab es ja schon erwähnt, Olga ist meine Tante.“, nur kurz löste sie ihren Fokus von ihm, damit sie den Betrag nennen konnte. „Ferien?“, hakte er nach. Das Interesse sank. „Ja.“, meinte sie lächelnd fuhr mit den Fingern flüchtig und sanft über seine Hand, als sie das Geld entgegennahm. „Vielleicht können wir uns nochmal treffen. Außerhalb, wenn ich Schluss hab und du dein Training beendet hast.“, trällerte sie einer Nachtigall gleich. „Vielleicht.“, kam es Trocken von ihm. Ganz sicher nicht, so viel stand für Kostja fest. Allein schon die Aussage, dass sie Ferien hatte, war eine glatte Lüge gewesen. Heute war der 24. Dezember und Ferien gab es erst am 1. Januar. Im Grunde, hätte er sich so oder so nicht mit ihr getroffen. Sie war nicht 'das' Mädchen. * Die Sonne hatte sich schon längst von der Stadt verabschiedet und dafür dem Mond den Vortritt gelassen. Doch Akemi war nicht in der Lage zu schlafen. Nachdem sie von ihrer Mutter ins Bett gebracht werden musste, lag sie jetzt seit Stunden wach. Jedes Mal wenn sie kurz vorm einschlafen war, überkam sie diese unglaubliche Welle des Glücks, die ihr der Tag beschert hatte. Ihre Finger tasteten immer wieder aufs Neue über das filigrane Armband an ihrem rechten Arm. Es fühlte sich kühl aber so vertraut an. Ein tiefer Seufzer entkam ihr nun zum wiederholten Mal und genauso oft hatte sie auch ihre Liegeposition geändert. Sie konnte einfach nicht einschlafen. Hinzu kam, dass es trotz des leicht geöffneten Fensters extrem heiß in ihrem Zimmer war. Plötzlich schossen ihre Bilder und das Gefühl vom letzten Kuss in den Kopf und machten sie ganz wirr. Am liebsten hätte Akemi mit ihren Beinen gestrampelt, sich von einer Seite auf die andere gewälzt und dazu einen Juchzer der Freude nach dem anderen von sich gegeben, nur um am Ende in ein glückliches Lachen zu verfallen. Es war aber auch kein Wunder. Sie kannte Takeru seit dem letzten Jahr auf der Mittelstufe. Beide waren zwar nicht in die selbe Klasse gegangen, aber ihr Freundeskreis wurde mit der Zeit der selbe. Ihre Begegnung war zufällig. Anfangs hatten sich beide gar nicht miteinander unterhalten. Der richtige Kontakt kam nach dem ersten halben Jahr in der Oberstufe. Sie konnte sich noch genau an diesen Tag erinnern. Vollkommen in die mathematische Aufgabe versunken, griff Akemi immer wieder in ihre Schokoladenbox mit der Aufschrift 'Prüfungsfutter-Mix'. Es stand zwar keine Prüfung an, aber für der nächste Test. Die mit Honig überzogene Weizen-Pops und die Schokoladenkekse mit Schokoladenfüllung waren genau das Richtige für überstrapazierte Nerven. Sie war so vertieft, dass sie gar nicht mitbekam, wie sich ein Oberstufenschüler ihres Jahrgangs zu ihr an den Tisch setzte. „Ich hoffe, ich störe nicht?“, fragte er leise nach. Doch das Mädchen neben ihm reagierte gar nicht. Takeru betrachtete sie eingehend genauer. Von irgendwoher kannte er sie – wusste aber nicht, wo er sie einzuordnen hatte. Beide saßen nun seit fünf Minuten fast einen Meter entfernt voneinander auf der Bank als es bei Takeru 'Klick' machte. Ruckartig sah er von seinen Aufgaben auf und wandte sich wieder dem Mädchen, das neben ihm saß, zu. Sie schien in das Mathebuch vollkommen versunken und sich seiner Anwesenheit noch immer nicht bewusst. Aus der Augenwinkeln hatte er bei seinen Studien immer wieder beobachtete, wie sie in regelmäßigen Abständen aus der kleinen blauen Box mit der Aufschrift `Prüfungsfutter-Mix' Schokoladenstückchen entnahm. Gerade als sie wieder hin langte, schob er die Schachtel zur Seite, so dass sie daneben griff. Einen Moment lang tastete ihre Hand auf dem Tisch, bis sie ruhig liegenblieb und dafür das Mädchen aufsah. Sie zuckte leicht zusammen, als sie den fremden Oberstufenschüler neben sich bemerkte. „Hallo.“, kam es von diesem. „Hi.“, sagte sie mehr als nur überrascht. „Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken. Aber … du kommst mir irgendwie bekannt vor und ich wollte nur nachfragen, ob du die bist, für die ich dich halte.“ Sich nervös das Haar hinter das Ohr streichend, sah sie ihren Nachbarn erwartungsvoll an. „Und... für wen hältst du mich?“ „Ähm … du bist doch Ono-san?“ Erstaunt darüber, dass er richtig lag und sie nicht mit irgendjemand anderen verwechselt hatte, nickte sie. „Äh... ja. Und du?“, kaum das sie diese Frage gestellt hatte, erkannte sie das Gesicht. „Halt, warte.... du bist doch Kato Takeru, ich mein Kato-kun.“, damit verbeugte sie leicht, was er ihr gleichtat. Ihr Herz bebte, noch vor kurzem hatte sie sich mit Hina, ihrer kleinen Schwester, darüber gestritten, welche japanische Star berühmter war. Dabei war auch der Name des Jugendweltmeisters in Kendo, Kato Takeru, gefallen und die Schwestern mussten zugeben, das er wirklich schnucklig war. Hätte irgendjemand Akemi erzählt, dass dieser Kendo-Meister drei Tage nach dem Streit mit ihrer kleinen Schwester neben ihr sitzen würde, sie hätte ihn ausgelacht und für verrückt erklärt. Er schmunzelte über das aufgeregte Verhalten. Noch vor wenigen Minuten hatte sie still und ruhig neben ihn gesessen. „Darf ich fragen, woher du mich kennst?“ „Deine Freundin Emi-san kennt nen Freund von mir und letzte Woche beim Kinobesuch...“ „Ah, stimmt. Jetzt kann ich mich daran erinnern. Du und Tanaka-kun ihr seid etwas verspätet zur Vorstellung gekommen, du hast am anderen Ende der Reihe gesessen.“ „Ja.“, gab Takeru zu. „Du lernst Mathe?“ Sie blickte auf das Buch, auf welches er deutete. „Nächste Woche steht ein Test an.“ „Doch nicht beim alten Professor?“ „Meinst du Matsumoto-sensei?“, hakte Akemi mit Ehrfurcht nach. Sie musste Kato-kun zwar Recht geben, was das Alter anging, aber man durfte doch nicht so herablassend über einen angesehen Professor sprechen. Takeru lachte und beugte sich zu ihr. „Das bleibt aber unter uns.“, flüsterte er ihr ins Ohr. „In Fachkreisen wird er nur der Alte genannt.“ „Achso.“, hauchte sie. „Keine Sorge ich bin verschwiegen.“, gab sie mit einem Lächeln an. Takeru lehnte sich zurück und fing an mit Grinsen. Er wartete, bis sie seinen Blick erwiderte. „Kato Takeru, erster Jahrgang der Oberstufe. Ich freue mich dich kennenzulernen.“ Die junge Japanerin sah ihn perplex an. Dieser Typ konnte schon verwirrend und überraschend zugleich sein. „Ono Akemi, ebenfalls erster Jahrgang der Oberstufe. Es freut mich auch.“, kaum hatte sie sich vorgestellt, griff er zu ihrer Aufgabe und sah sich diese an. Erneut war ihr Blick voller Verwunderung auf ihn gerichtet. „Du lernst also Mathe.“ „Ja.“ „Die Aufgabe ist falsch.“, damit hielt er das Blatt hoch und zeigte ihr welche er meinte. „Echt?“ „Ja, und die darunter auch.“ „Oh“, war ihr einziges Kommentar. Kein Wunder, schließlich hatte sie gerade mal die zwei berechnet und die Dritte nur widerwillig angefangen. Das waren ja rosige Aussichten. Allein für die ersten zwei Aufgaben hatte sie schon dreißig Minuten gebraucht. „Danke, dass du mich darauf hingewiesen hast.“, sie nahm ihm das Blatt wieder ab und sah es sich enttäuscht an. Ohne lange zu zögern schob sich seine Hand in ihr Blickfeld. Mit den Finger zeigte er auf eine Stelle in der Aufgabe. „Vorzeichen...“, der Finger wanderte. „... Zahlendreher.“, das Ganze wiederholte sich noch dreimal, dann verschwand die Hand wieder. Akemi drehte sich zu ihm. „Bist du gut in Mathe?“ „Bist du gut im grammatischen Englisch?“ „Gegenseitige Nachhilfe?“ „Wöchentlich?“ „Wo und wann?“ „Gehst du immer so ran?“, kam es mehr als Witz von ihm gedacht. Doch in Akemis Wangen schoss sofort das Blut und sie sah verlegen auf ihr Blatt. Zur selben Zeit zog Takeru seinen Wochenplan aus der Tasche und legte ihn neben dem Aufgabenblatt mit auf den Tisch. „War nicht so gemeint. Wie wär's mit nem Stundenvergleich?“ Akemi wusste bis heute nicht, ob er sich zu ihr gesetzt hatte, weil sie gut in Englisch war und er Nachhilfe brauchte oder weil es einfach so sein sollte. Seufzend rollte sie sich auf den Bauch und träumte mit offenen Augen vor sich hin. Am Anfang hatten sie sich wirklich nur wegen der Nachhilfe getroffen. Doch irgendwann waren die Aufgaben nur noch zweitrangig und sie hatten sich über verschieden Dinge unterhalten, wer mit wem ein gutes Paar abgeben würde oder welcher Film sich zum ansehen lohnte. Durch diese Gespräche merkten sie bald, dass sich ihre Interessen nicht nur überschnitten, sondern auch in vieler Hinsicht parallel verliefen. Nach einiger Zeit wurden die Nachhilfestunden auf das Wochenende oder zwischen die Schulstunden verlegt, um nachmittags durch die verschiedenen Viertel von Tokio zu flanieren oder mit dem gemeinsamen Freundeskreis einen Ausflug zu unternehmen. Ihr Blick glitt zu einem kleinen Schrank, der in einer Ecke ihres Zimmers stand. Im untersten Schubfach, ganz hinten und in ein seidenes Taschentuch gewickelt, befand sich die erste Eintrittskarte, die ihr Takeru zu einem seiner Wettkämpfe geschenkt hatte. Ein wolliger Schauer überkam sie, als sie sich daran erinnerte, wie er ihr ins Ohr geflüstert hatte 'Ich würde mich freuen, wenn du kommst.' Huh! Sie zitterte. Es war in der U-Bahn gewesen und durch das Gedränge war er ihr so nah, wie nie. Eine Nähe, die in den nächsten Jahren einfach zur alltäglichen Gewohnheit wurde. Doch an dem Tag war es noch so neu gewesen und durch die Schieberei hatte sie seine Lippen hauchzart an ihrem Ohr gespürt. Ganze dreieinhalb Jahre war sie die fürsorgliche, tadelnde und wie er meinte, auch aufbauende Freundin gewesen. Nicht mehr und auch nicht weniger. Sie hatte gelernt ihre Zuneigung, die über die Freundschaft hinaus ging, für sich zu behalten und nicht zu zeigen. Stets war sie das Mädchen im Hintergrund, die erste Ansprechpartnerin neben Koji. Es hatte weh getan, ihn mit anderen Mädchen flirten zu sehen, zu wissen, wenn er den Abend mit einer anderen verbrachte. Während sie nur der weibliche Kumpel war. Eine seiner Verehrerinnen hatte sie sogar mit 'Takerus kleine Schwester' betitelt, daraufhin konnte diese das Date mit ihm streichen. Doch zuvor hatte er das Mädchen angemotzt und gemeint 'Wenn sie von nichts ne Ahnung hat, sollte sie lieber die Klappe halten'. So wütend hatte Akemi ihn noch nie erlebt. Schlaflos drehte sich die verliebte Japanerin auf den Rücken und starrte zur Decke. Wochen nachdem Vorfall, den sie schon wieder vergessen hatte, war er zu ihr gekommen und hatte von seiner kleinen Schwester Sakura erzählt. Sie verstand von Anfang an, da sie selber eine kleine Schwester hatte. Wieder hatten sie eine Gemeinsamkeit und Takeru teilte sie mit ihr so intim, wie er es noch nie getan hatte. Als er ihr von Sakura erzählte, hatte er mitten drin seinen Kopf in ihren Schoß gelegt und weiter geredet. Nach einer Weile fing sie an über sein Haar zu streichen und mit vereinzelten Strähnen zu spielen, während sie ihm lauschte. Nach dreieinhalb Jahren freundschaftlicher Treue hatte er sie aus dem Schatten geholt und sie wusste, er hatte dies nicht leichtsinnig getan. Akemi setzte sich auf und dachte nach. Alles andere in ihrem Kopf war bei Seite geschoben. Erst jetzt war ihr aufgefallen, dass Takeru in den letzten Monaten gar keine Dates mehr mit anderen Mädchen gehabt hatte. Sie rechnete nach. Wenn sie es genau nahm, dann hatte er sogar im letzten Jahr der Oberstufe mit keiner anderen geflirtet. Ihr Atem stockte. Genau in dieser Zeit hatte er angefangen, wenn sie zusammen Unterricht hatten, sich neben sie zu setzen oder zumindest einen Platz in ihrer Nähe zu bekommen. In der Mensa saß er ihr Gegenüber und hin und wieder hatte er die Höflichkeitsform an ihrem Vornamen weggelassen. Tränen schossen ihr in die Augen. Aber wie hatte er sich sicher sein können, dass sie auch etwas für ihn empfand. Stoßweise kam ihr Atem, während ihr das Herz fast stehen blieb. „Du bist doch nicht eifersüchtig?“, flüsterte er im Geschichtsunterricht ihr ins Ohr. „Sei still und folg dem Unterricht.“ „Akemi-san?“ „Was?“, zischte sie ihn an. „Du bist eifersüchtig!“, grinst er. „Bin ich gar nicht.“ „Ach ja?“ „Ja.“ „Und warum hast du dann die Mensa so schnell verlassen?“ „Ich hab sie nicht schneller verlassen als sonst.“, versuchte sie sich selbst davon zu überzeugen. Verdammt noch mal, ja! Sie war schon sauer gewesen über die Sache in der Mensa. Er hatte sie schließlich einfach so im Raum stehen gelassen und sich mit dieser Schnepfe von Mai unterhalten. „Angenommen du bist nicht eifersüchtig, dann frag ich mich wirklich, wie du im eifersüchtigen Zustand wärst.“, hauchte er ihr ins Ohr und verursachte damit eine prickelnde Gänsehaut. Am liebsten hätte Akemi laut geseufzt. Waren die ganzen Flirts von ihm, nur ein Test gewesen, um zu sehen, wie sie sich verhalten würde. Wenn ja. Oh, die Schuft! Dieser süße, unwiderstehliche, gemeine und so liebevolle Schuft. Erschöpft ließ sich Akemi in ihr Futon fallen. Er war ja so gemein. So süß und gemein. * Leni hatte nicht mitbekommen als Kostja vom Einkauf wieder gekommen war. Genauso wenig, dass er und Dima die Sachen ohne sie zu wecken in die Schränke verstaut hatten. Sie war einfach eingeschlafen, während sie die Zeitung nach einer neuen Stelle durchsucht hatte. Nun lag sie halb auf dem Sofa und wurde von ihren beiden Jungs betrachetet. „Sollen wir sie da liegen lassen?“, kam es von Kostja. „Nein, wir sollten sie wecken.“ „Sicher?“ „Ja.“ „Und, wie willst du das anstellen?“ „Wieso ich? Du!“, meinte Dima auffordernd. „Du kannst nicht von mir verlangen, dass ich sie wecke. Am Ende denkt sie sonst was.“ „Was sollte sie den denken?“, fragend zog der Jüngere die Augenbraue nach oben. „Von mir das Schlimmste und von dir das Harmlose.“, grinste Dima und schlug dem anderen auf die Schulter. Kostja brummte. Immer war er derjenige. Jedes mal. Als er Dima lachen hörte, drehte sich er sich zu diesem um. „Was?“ „Wenn du so weiter brummst, dann endest du als Brummbär im russischen Staatszirkus.“ „Halts Maul.“, meinte Kostja und ging zu der schlafenden Leni. Er beugte sich über die Rückenlehne und versuchte es erstmal verbal. „Leni?“ Keine Reaktion. Also rief er sie etwas lauter. Doch die gute Seele der WG war weit, weit weg und nicht einmal in Versuchung der Stimme, die nach ihr rief, zu folgen, um wieder aufzuwachen. Nach ungefähr zehn Versuchen, sah sich Kostja dazu gezwungen, sie sanft am Arm zu stupsen. „Hmm.“, kam es genervt und im Tiefschlaf von ihr. Aber zumindest, gab sie ein Lebenszeichen. Mit einem gemeinen und bösen Funkeln in den Augen sah der junge Russe zu Dima. Der bekam den Blick mit. „Was hast du vor?“, flüsterte dieser. „Nichts.“, kam es mit einem Grinsen von Kostja, der sich danach zu Leni runter beugte und flüsterte: „Leni...Dima ist deinem Zimmer und ist auf der Suche nach irgendwas in deinen Schubfächern.“, jetzt musste er seinen Kopf nur schnell genug von Leni wegbekommen, sonst könnte es passieren, dass beide zusammenstießen. Während Dima seinen Sportkollegen mit offenen Mund betrachtend ansah, wachte Leni langsam auf. Kaum hatte sie ihre Augen geöffnet, schreckte sie hoch. „WAS?“, schrie sie. „Ich bin hier.“, meinte Dima beschwichtigend. „Was hast du in meinem Zimmer verloren?“, kam es aufgeregt von ihr und noch etwas verschlafen. „Ich war nicht in deinem Zimmer.“, unwirsch deutete auf Kostja, der mit einem leichten Grinsen, das Ganze beobachtete. Leni sah zu Kostja. „Kostja?“ „Ich musste dich wecken, Dima wollte es so.“ „Dima?“ „Wir konnten dich doch nicht einfach so hier schlafen lassen.“ Ohne ein etwas zu sagen, stand Leni auf und bedachte ihre beiden Jungs mit Kopfschütteln. „Ihr beide.“, seufzte sie. „Lasst mich das nächste Mal einfach schlafen.“ „Gerne.“, kam es von Kostja, der sofort den Rückzug startete. „Hey.“, motzte Dima aufgebracht. „Du wolltest sie da auch nicht liegen lassen.“ „Ich wollte sie aber auch nicht wecken.“, kam es gerechtfertigt von ihm. Beide starrten sich an. Keiner von ihnen verzog auch nur einen Gesichtsmuskel. Ganz anders bei Leni, die den beiden zusah und schon allein der Tatsache wegen, dass sie sich anstarrten, lachen musste. Es war erst nur ein Kichern, dass immer heftiger und lauter wurde, bis sie in ein helles Lachen verfiel. Mit hochgezogenen Augenbrauen bedachten die beiden jungen Männer ihre lachende Mitbewohnerin. Je länger sie ihr dabei zusahen und auch zuhörten, desto breiter wurde auch bei ihnen das Grinsen, bis auch sie mit Lachen anfingen. * Sie hatten sie getröstet, ihr Mut zu gesprochen und sämtliche Schuld, die sie sich gab, ausgeredet. Unter dem strengen Blick von Mrs. Anne Victoria Gray trank Hero jede Tasse von warmer Schokolade bis hin zum beruhigenden Baldriantee, der sie ohne Tränen in den Schlaf wiegte. Aber nicht nur sie. Auch die anderen drei Mädchen wurden von Mrs. Gray dazu genötigt den Tee zu trinken. Sie war der Ansicht das es allen gut tun würde in einen ruhigen Schlaf zu sinken. Als Gilberts Mutter den Raum verließ, lagen vier Mädchen schlafend in einem Bett. Der Rest der Band hatte sich vor Heros Tür versammelt und sah erwartungsvoll zu der Frau. Gilbert ging auf seine Mutter zu, diese gab ihm zu verstehen leise zu sein. Sie erlaubte den drei Jungs einen Blick in das Zimmer. Wäre der Grund, für den Anblick von vier schlafenden, aneinander kuschelnden Mädchen, ein erfreuter gewesen, sie hätten Witze gemacht und am anderen Tag die Mädchen damit aufgezogen. Doch keiner von den dreien, dachte in dem Moment überhaupt an so etwas. Für sie war es jetzt nur wichtig, dass es der Jüngsten aus der Band gut ging. „Mum, wie geht ihr?“ Anne Victoria schloss die Tür. „Sie hat viel geweint und sich die Schuld daran gegeben.“, ihre Finger strichen über den Türknauf. „Traurige Weihnachten, gestalten wir sie so angenehm wie möglich.“ Mit diesen Worten ging sie zur Treppe. Sie brauchte einen Cognac, einen Starken. Bevor sie die Treppe hinunterging, sah sie zu ihrem Sohn: „Würdest du mit deinen Freunden sämtliche Mistelzweige suchen gehen?“, sie wartete nicht auf die Antwort. Schon viel Elend hatte sie gesehen. Doch das klägliche Häufchen, dass sie da vor wenigen Stunden weinend auf dem Bett vorgefunden hatte, brachte es fertig, dass sich ihre Kehle noch immer wie zugeschnürt anfühlte. Fast unzählige Male hatte das Mädchen gemeint, daran Schuld zu sein und genauso oft, hatten vier Münder dagegen gesprochen. Arme hatten sie neben der Wirkung des Baldriantees mit in einen sanften Schlaf gewiegt. Als Anne in den Saloon kam, befand sich trotz der späten Nachtstunde ihr Vater dort. „Vater, du bist noch auf?“, frage sie verwundert, während sie auf dem Weg zu den Spirituosen war. „Deine Mutter hat sich schon hingelegt, es war zu viel für sie.“ „Kein Wunder.“, meinte Anne und schenkte sich den Cognac ein. „Du auch?“ „Nein, nein. Ich hatte schon drei Whiskey.“ Während er dies sagte, trank seine Tochter das Glas in einem Zug und füllte es sofort wieder auf. Ihr tiefes Luft holen, war nicht zu überhören. Daraufhin drehte sich Mr. Gray Senior zu ihr um, doch er sprach nicht. Das Zittern ihrer Hände verschüttete fast den kostbar, teuren Cognac. Voller Verzweiflung stellte sie das kleine Glas wieder weg, sie knallte es förmlich auf den Tisch aus Kastanie. „Ist es weil er ein Scheidungskind ist?“, platzte es aus ihr heraus. „Anne.“, versuchte ihr Vater sie zu beruhigen. Doch sie ließ dies nicht zu, sondern wanderte ziellos durch den Raum. „Vater! Nicht einmal Gilbert war so. Obwohl er mit dieser Virtanen Tochter zusammen ist.“ „Du hast sie doch schon längst als deine Schwiegertochter anerkannt.“, brachte er es auf den Punkt. „Also rede nicht so von ihr.“ „VATER!“, schrie sie. „Wie kannst du nur.“, doch im Grunde, wusste sie das er Recht hatte. „Ich hab mit Nitan geredet, ein Gespräch, wie ich es nicht einmal mit Mutter oder meiner Schwiegermutter hatte. … Ich hab sie gefragt, wie sie es geschafft hat die Freundin meines Sohnes zu werden. Willst du es wissen?“ Er nickte nur. „Er war so stur, dass er kein Auge für sie hatte. Sie meinte, noch nie in ihrem bisherigen Leben sei ein Kerl so stur gewesen, wie er. Über ein halbes Jahr hat es gedauert, bis er sie geküsst hat.“, sie schnappte nach Luft und ging zum Kamin, in dem noch immer das Feuer brannte. „Und nun schau dir EWAN AN!“, spie sie. „ER ist ein GRAY.“, presste sie zwischen ihre Zähne hindurch. „DU und MUM habt auch noch fleißig mitgemacht.“ „Ich weiß. Wir haben den Jungen wahrscheinlich dazu ermutigt.“ „Wahrscheinlich?“, lachte sie zynisch. „Sie gibt sich die Schuld, obwohl sie am wenigsten Schuld trägt. Sie ist noch ein halbes Kind und Ewan, er hat sich einfach gehen gelassen und nur wegen diesen verdammten Mistelzweigen.“ Sie schnappte sich einen dieser Zweige, die den Kamin verzierten und warf in mit voller Wucht ins Feuer. „Was ist an seiner Erziehung schief gelaufen? Die Scheidung seiner Eltern.“, Anne wirbelte herum. „Er war vierzehn! Wenn er ein Kleinkind gewesen wäre, dann hätte ich es verstanden. Aber nicht in diesem Alter.“ „Anne.“, ihr Vater stand vom Sofa auf und ging auf sein Kind zu. Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und sah ihr in die Augen. „Kind, leg dich hin. Lass den Morgen kommen, dann kannst du dich weiter aufregen. Es bringt nichts, wenn du die Nacht beschimpfst.“ Ende fünftes Kapitel. Kapitel 6: 31. Dezember ----------------------- *** 31. Dezember Schneeflocken wirbelten tänzerisch im Wind und ließen sich mit Schwung und Eleganz über Londons Dächer hinweg tragen. In einigen Einkaufsstraßen von London war noch der herrliche Duft nach Zuckergebäck, Braten und Punsch zu erschnuppern, doch die in den Schaufenstern ausgestellten Esswaren wurden von den Passanten mit aufstöhnender Verachtung gestraft. Vollgefressen und satt. So lief ein Großteil der Bevölkerung auf den vom Schneematsch bedeckten Straßen. Busse fuhren, wie manch eine alte Frau fand, mit voller Absicht durch die angestauten Eispfützen und die Kinder kamen mit nassen Socken und frierenden Gliedern nach Hause, während die Glätte dem Rest die Knochen brach. Auf den Straßen der Metropolenstadt war der Alltag wieder eingebrochen – zu schnell für Einige, die dem rauschenden Familienfest mit wehleidigen Blick nachtrauerten. Noch vor wenigen Tagen hatten Kinder mit leuchtenden Augen den ersten Weihnachtsfeiertag begrüßt, um ohne Umschweife und in heller Vorfreude zu ihren selbst-gekauft-gestrickten Socken zu rennen. Mit einem strahlendem Lächeln, einer Julia Roberts gleich, zeigten sie ihre Begeisterung und so manch ein Stein fiel in diesem Moment vom sorgenden Elternherz. Doch nicht überall fanden die Mundwinkel den Weg nach oben, bei einigen verzog sich die gesamte Gesichtspartie wie von einem Magnet angezogen, in Richtung Füße. Für die Eltern solcher Kinder gab es nur eine Lösung: Tausch! Der Tauschhandel war von je her ein traditionelles und alt hergebrachtes Verhandlungsmittel – das fing schon in den frühsten Jahren der menschlichen Geschichte an und setzte sich in minimalistischer Wiederholung bei jedem Menschenleben fort. Jeder Mensch hatte in seinem Leben einen Tausch vollzogen und wenn es nur das Sandkastenspielzeug der Krabbelgruppe 'Häschen' mit den Holzklötzen der 'Eichhörnchen' war – Tausch war Tausch und dieser hatte sich in den letzten Jahren, besonders nach der Bescherung, zu einem unglaublich standhaften Geschäft entwickelt. Waren die Leute Tage vor Weihnachten wegen Besorgungen der letzten Weihnachtsgeschenke unterwegs gewesen, so füllten sich die Geschäfte mit den Menschen, weil genau jene Geschenke wieder ins Regal kamen und dafür was anderes den Laden wieder verließ. Das es dabei zu kleineren Staus, Engpässen und Versorgungsmängeln kam, war den frustrierten Kunden egal – Kinderherzen, Liebesherzen oder ganz und gar Familienherzen mussten von der Trauer über das falsche Geschenk erlöst werden und das mit allen Mitteln. So wurde geschrien und gemeckert, genörgelt und gemotzt und jeder wollte der Erste bei den Mitarbeitern sein. Diese musste sich die wildesten Beschimpfungen, Spekulationen und Anfeindungen anhören und waren am Ende des Jahres so fertig mit den Nerven, dass der Urlaub für das neue Jahr, gleich wieder aufgebraucht war. Trotz des immer größer werdenden Umtauschhandels war der Stress der vorweihnachtlichen Zeit vorüber – das Fest war schlicht und ergreifend vorbei, für die einen mehr und für die anderen weniger besinnlich. Doch im Grunde würde sich jeder in einigen Monaten mit guten Gedanken an Weihnachten zurück erinnern, genauso, wie sich jedes Jahr zum 25. Dezember die Queen um 15 Uhr 'Tea-Time' ihrer Nation über die Flimmerkiste zeigte. Fraglich war bei dieser Sache nur, ob auch alle Briten diesen pflichtbewussten Termin wahr genommen hatten, schließlich galt es unliebsame Pflichtbesuche bei Verwandten und Bekannten einzuhalten. Es war halt wie immer, ein ganz normales Weihnachten. Vor dem Fest war auf dem Heathrow Airport die Hölle los gewesen, wegen des eisigen Sturms und des unaufhörlichen Schneefalls. Doch jetzt, nach der besinnlichen Mistelzweigzeit, waren die Chaosmacher, die Menschen selbst. An jedem Gate standen sie in Massen und warteten darauf, endlich in ihr Flugzeug zu kommen. Der Pflichtbesuch war beendet und den Menschen saß der baldige Arbeitsbeginn im Nacken. Glücklich konnten sich jene schätzen, die ihren Platz im Flieger schon mit ihrem Hintern gesichert hatten und nur noch auf den Rest der Passagiere warten mussten. Rein – Raus. Das alltägliche System auf einem Flughafen. Flieger kamen und flogen, genauso wie ihrer Passagiere. Hektik beherrschte die riesige Halle. Es wurde ausgecheckt, eingecheckt und sicher gecheckt, was das Gepäck anging. Jeder musste da durch, einfach jeder – doch Ausnahmen bestätigten die Regel. Besitzer von Privatflugzeugen oder dem Status elitärer VIP konnten unbeobachtet von der wartenden Meute den Weg zum besonderen Gate nehmen und ohne lästige Warterei das Flugzeug betreten. Der exquisiten Service des Flughafens erlaubte Privatmaschinen eine Sonderbehandlung beim Start, natürlich nur wenn gewisse Pfunde ihren Besitzer wechselten. Für dieses Privileg mussten andere Passagiere eine weitere viertel Stunde auf das Abenteuer in der Luft warten. Es war kein Geheimnis, das zu den auserlesenen Kunden die Familie Gray gehörte. Sobald hier die Pfunde rollten, waren auch Freunde – die keinerlei VIP-Status besaßen – beliebte und gern gesehene Fluggäste. Geld. Dollar – Pfund – Euro – Yen – Yuan – Naira – Rubie – Rubel – es gab viele Namen für dieses simple Verhandlungsmittel und immer wieder bestätigte sich, dass die Welt im gewissen Maße damit regiert werden konnte. Aber nur, wenn es einen kaufbaren Gegenwert bekam und das war nicht überall auf dem fast runden, blauen Erdball der Fall. Irgendwo auf der indonesischen Insel Java lebte ein Jäger- und Sammlervolk, das den bunten Scheinen und Münzstücken so viel Begeisterung entgegenbrachte, wie ein überzeugter Veganer, der ein saftiges und gut gewürztes Steak sah. Sicherlich gab es rund um den Erdball noch andere kleine Gemeinschaften, die es genauso sahen. Da konnten die Menschen mit den unermesslich vielen Zahlen auf dem Konto und einer unlimitierten Kreditkarte sich wahrlich glücklich schätzen nicht bei den Semang, so hieß der nomadische Indianerstamm, leben zu müssen. Den dort galt von je her: Tausch war der einzig wahre Handel. * Während sich die Menschen, wie in Großbritannien, von den stressigen Tagen erholten, begann der Stress auf der anderen Seite der Erdkugel erst so richtig. Die starken Winterstürme hatten der Hauptstadt Tokio extrem zugesetzt. Fast stündlich rückten Räumungsarbeiter aus, um den weißen und eisigen Gegner entgegenzutreten. Mit mäßigen Erfolg. Eiszapfen wurden erschlagen, störrische kleine Flocken zur Seite geräumt. Doch das Wechselspiel von sonniger Tageswärme und klirrender Nachtkälte führte dazu, dass am Tag genügend Tauwasser gebildet wurde, um in der Nacht die gebrochenen Zapfen wieder wachsen zu lassen. Für Nachschub an Eiswasser sorgten die Schneeflocken, welche am Morgen fast zaghaft aber in Massen auf die Erde nieder schwebten. Sehr zur Freude von den kleinen, unwissenden Kindern, die die rasende Aufregung und die ständige Meckerei der Erwachsenen gar nicht nachvollziehen konnten. Sah doch hübsch aus, dass flockige, kalte Weiß, welches so lustig in den schwarzen Haaren glitzerte und dieses nasse Gefühl auf der Haut hinterließ. Es war fast ein Woche vergangen, seit dem Akemi mit Takeru zusammengekommen war. Sie hatte ihn seit dieser Zeit fast jeden zweiten Tag in der Uni gesehen aber jeden Tag telefonisch kommuniziert. Jedes Mal wenn sie sein Lachen hörte, hätte sich die Japanerin vor Freude auf dem Boden umher wälzen und mit den Beinen strampeln können. „Hey. Nun erzähl doch mal, unternehmt ihr auch was zum Neujahrstag.“ „Nein, leider nicht.“, seufzte Akemi, während sie im Regal nach dem passenden Reis suchte. Irgendwo musste Omas Wunschreis doch sein. Ah! Ganz oben. Ein hauchfeiner und enttäuschter Seufzer war zu hören, der durch den Lärm der anderen Einkäufer übertönt wurde. „Und warum nicht?“, erneut drängte sich eine Stimme in Akemis Bewusstsein, nur dieses Mal viel intensiver als die fünf anderen Male zuvor. Um diesem Gequängel endlich ein Ende zu bereiten, meinte die Gedrängte auf den Zehenspitzen stehend, angestrengt: „Hab ich dir doch schon gesagt.“ Warum mussten die den Reis auch im obersten Fach des Regals haben und warum musste das aus dem amerikanischen Gebrauchshandel sein. „Muss er wieder trainieren?“ Diese ständige Fragerei! Bei Akemi zuckte der Mundwinkel, während sie noch einmal all ihre Konzentration auf die Fuß- und Fingerspitzen legte, um endlich diesen Reis zu bekommen. „Nein, es ist Tradition bei Takeru, mit dem Klan und der Nebenfamilien des Klans zu feiern.“, zischte sie gepresst durch die Zähne hinaus. Ah! Endlich hatte sie mit den Fingerspitzen eine Tüte erreichen können und mit ausgeklügelter Tüftelei diese auch irgendwie in die Hand bekommen. „Hat der dich nicht eingeladen?“ Mit beiden Füßen wieder vollkommen auf dem Boden stehend und die Fußspitzen entlastend, bedachte Akemi ihre beste Freundin mit einem Seufzer. „Emi-chan.“, betonte sie, „Takeru will seinem Vater erst nach der WM sagen, dass er eine Freundin hat.“ „Eine?“, die Augenbraue schwang sich elegant nach oben, während der Blick auf eine korrigierte Antwort wartete. „Mich als Freundin hat.“ „Und warum erst nach der WM?“ Himmel, gingen der den nie die Fragen aus? Doch anstatt einer Antwort, besah sich die frischgebackene Freundin von Takeru die 750 Gramm Tüte Khao Youak Reis, welche sicher in ihren Händen lag. Erneut verfiel sie in einen tranceähnliche Zustand, während ihre Gedanken immer wieder um die letzten Tage kreisten. „Akemi-san?“ Erschrocken sah diese zu Emi auf. „Äh.... was?“ „Alles in Ordnung?“, Sorge schwang in der Stimme mit und Skepsis zu neunzig Prozent. „Ja.“, Akemi nickte. Ihr Blick glitt zur Seite und streifte das Regal. „Weißt du, es ist so...“, fing sie zögerlich an, während ihre Finger mit der Reistüte spielten. „Sein Vater ist ein wenig schwierig. Er würde es nicht verstehen, dass Takeru in der Vorbereitungszeit auf die WM sich nicht voll und ganz auf Meisterschaft konzentriert.“ Es war ein gequältes Lächeln, das Akemi zeigte. „Hallo?“, empört blickend, stemmte Emi ihre Hände in die Hüften und sah ihre Freundin schief an. „Was ist denn das für einer? Es ist doch selbstverständlich das ein junger, gutaussehender Typ wie Takeru sich auch mal nach einer Freundin umschaut … und wenn er dann auch noch dich mit nach Hause bringt, dann sollte sich sein Vater lieber glücklich schätzen.“ Den Rest des Gesagten überhörend, brummte Akemi: „Könntest du bitte die Schwärmerei für meinen Freund unterlassen?“ „Was denn? Er sieht nun mal gut aus.“ „Lass das nur nicht Tanaka-kun hören.“ „Wa ... Woher?“, die Augen der Schwärmenden waren weit aufgerissen, während sie einen wahrlich schockierten Gesichtsausdruck zum Besten gab. „Mein, von dir gerade eben so umschwärmter Freund, hat mir da etwas erzählt.“ „Ha.“, Emi winkte ab. „Da musst du was falsch verstanden haben. Tanaka-kun und ich?“, ein gespieltes Lachen erklang und die Nervosität war der jungen Japanerin anzusehen. Doch Akemi ließ nicht locker: „Du und er. Seit einem Jahr.“, erwiderte sie eindrücklich, während der Weg zu Kasse eingeschlagen wurde. „Takeru-kun muss da was verwechselt haben.“, meint Emi und nutzte den Moment, als Akemi die Ware der Verkäuferin gab. Mit raschen Schritten verließ sie das Geschäft. Dieses Gespräch brauchte nicht in einem 24-Stunden-Laden geführt zu werden, in dem die Regale manchmal Ohren besaßen. Draußen angekommen blieb Emi erst unter einen der vielen Bäume, die den Straßenrand säumten, stehen. Sie bemerkte nicht den Schnee, der wieder vermehrt in kleinen weißen Kristallen sanft auf die Erde fiel. Dafür war sie viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Die Sache mit Tanaka-kun und ihr, wussten nur die wenigsten. Eigentlich nur Takeru-kun und im Grunde war es Emi auch bewusst, dass ihre Verärgerung vollkommen unsinnig erschien. Schließlich war es nur eine Frage der Zeit, bis eine weitere Person hinter dieses Geheimnis kam. Mit Sicherheit hätte sie schon längst Akemi und Chiyo davon erzählt, wenn da nicht die Sache mit ihrer Mutter wäre. Genau das bereitete ihr Angst. Es brauchte sich nur eine der Beiden bei ihr daheim vor der Mutter verplappern und dann könnte sie aber einer Donnerwetter und vieles mehr erleben, was sie unbedingt vermeiden wollte. Die Tatsache, dass Takeru-kun davon wusste, beruhte einzig und allein auf der hundertprozentigen Sicherheit, dass dieser niemals bei ihr daheim auftauchen würde, denn Herrenbesuch hielt ihre Mutter für überflüssig und somit brauchte ihre Tochter gar nicht erst mit einem männlichen und zweibeinigen Wesen, dass sie zu allem Überfluss als ihren Freund betitelte, anzukommen. Seufzend wurden die Hände noch tiefer in die Seitentaschen des Mantels geschoben, während das Gesicht bis über die Nase hinter dem blauen Schal verschwand. Emi grummelte. Beim nächsten Treffen würde sie ein ernstes Wort mit Takeru-kun wechseln müssen. Einfach so das gehütete Geheimnis weiter plaudern. Mit der Stiefelspitze stocherte sie im Schneehaufen. Sie war wütend. Nicht auf Akemi, nicht auf Takeru-kun, viel mehr auf sich selbst. In der Zwischenzeit war ihre beste Freundin aus dem Geschäft gekommen. „Hey, bist du jetzt sauer?“ „Sollte ich?“, kam es schnippisch. „Ich weiß nicht.“ „Ich weiß nicht.“, äffte Emi nach. „Wegen was bist du denn jetzt so angepisst?“, Akemi berührte ihre Freundin am Arm und versuchte in deren Gesicht zu sehen. Doch diese blickte stur gerade aus und fixierte das Möbelgeschäft, welches auf der anderen Straßenseite mit Rabattangeboten von zwanzig Prozent Nachlass warb. „Emi-chan?“, drängte es. „WAS?“, geifte es vollkommen unerwartet aus dieser heraus, während sie herumwirbelte und Akemis Hand zur Seite schlug. Erschrocken trat diese zurück und sah ihre Freundin mit geschockten Gesichtsausdruck an. Nur ein hauchfeines 'Tschudigung' kam Akemi über die Lippen als sie ihren Blick senkte und den Versuch antrat sich auf einen Punkt am Boden zu konzentrieren. Wissend, dass sie überreagiert hatte, versuchte Emi in einem gemäßigteren Ton weiterzusprechen. „Da, jetzt siehst du zu was solche Gespräche führen. Nichts als Ärger.“, die Arme wurden vor der Brust verschränkt. „Das Takeru-kun nicht einmal die Klappe halten kann.“, murrte sie mit einem angesäuerten Unterton. Weiter betroffen auf den Boden starrend, fragte Akemi leise: „Liegt es an deiner Mutter?“, schließlich kannte sie die Eskapaden der Frau, der es am Liebsten war, wenn selbst die Freundinnen ihrer Tochter den Männern entsagten. Jetzt war es Emi, die einen Schritt zurücktrat und dabei den Kopf senkte. Plötzlich durchzog ein stechender Schmerz ihre Herz. Es tat ihr weh, die beste Freundin so angefahren und verletzt zu haben. Sie hätte ihr vom persönlichen Glück erzählen sollen, schließlich wusste Akemi wie ihre Mutter war und das nicht erst seit gestern. „Du weißt ja wie sie bei dieser Sache ist.“, bestätigte Emi den Verdacht, während ein stummes Nicken als Antwort kam. Natürlich wusste Akemi wie Emis Mutter war. Beide Mädchen kannten sich vom Kindergarten an und dass ihre Namen auch noch so gleich waren, konnte nicht dem Zufall nachgesagt werden. Schon ihre Mütter hatten sich als Jugendliche kennengelernt und waren mit einander befreundet gewesen. Diese Freundschaft war einst so stark, dass sie beschlossen hatten, ihren Kindern ähnliche Namen zu geben und als Beide auch noch Mädchen bekamen, war der Pakt perfekt. Das Verhältnis der Mütter war zwar in der Zwischenzeit durch unterschiedliche Ansichten und Meinungen, insbesondere, was Männer und Erziehung anging, in die Brüche gegangen, doch es hatte noch so lange Bestand gehabt, dass sich Emi und Akemi im Kindergarten anfreunden konnten. Emi schämte sich. Sie und Akemi waren mehr als nur Freundinnen, sie waren wie Schwestern aufgewachsen. Erst in der Oberstufe hatte es einige Dämpfer gegeben, aber dennoch waren sich beide Mädchen so vertraut, dass ein Bruch niemals zur Debatte stand. Sie hatten sich geschworen alles mögliche dran zusetzen, niemals so auseinanderzugehen, wie es ihre Mütter getan hatten. „Du hättest es mir sagen können.“, hauchte Akemi in den kalten Tag. „Ich weiß.“, kam es flüsternd. „Hast du so wenig vertrauen zu mir?“ Es war ein Reaktion aus Reflex und Schuldgefühl. Plötzlich fand sich Akemi in einer Umarmung wieder, während sie Emis Kopf auf ihre Schulter spürte und eine leise, weinerlicher Stimme um Verzeihung flehte. Beruhigend zogen Akemis Hände Kreise auf dem bebenden Rücken ihrer Freundin. „Ist doch gut. Ich verzeih dir.“, erwiderte sie auf das flehende Credo der Entschuldigungen. „Wirklich?“, jammerte es. „Ja. Aber nur unter einer Bedingung.“, willigte Akemi ein. „Du musst jetzt aufhören zu weinen, zu jammern und mich zu umarmen, denn ich bekomme keine Luft mehr.“ Sofort wurde sie losgelassen und besorgt angesehen. „Tschuldigung.“, meinte Emi stammelnd. Doch sie erhielt nur ein Kopfschütteln als Antwort. „Wir sind Schwestern, du Dummerchen.“, hauchte es ihr entgegen. „Wir können uns doch alles sagen.“ * Es war mitten in der Nacht als der Privatjet der Familie Gray die Landeerlaubnis vom JFK Airport in New York bekam. Der Flug hatte nicht lange gedauert. Doch durch kleinere Stürme und Unebenheiten des nächtlichen Winterflugs hatte die Maschine eine Verspätung von zehn Minuten. Nichts weltbewegendes für den Piloten und dem Rest der Crew aber entsetzliches Bangen bei einem Paar, dass schon sehnsüchtig auf die Ankunft ihre beiden Söhne und deren Freunde warten musste. Umso größer war das Aufatmen, als auf der Anzeigetafel neben dem Maschinennamen endlich 'gelandet' stand. Dummerweise stand dieses segensreiche Wort noch bei fünf weiteren Fliegern, bei denen es sich um die größten Passagierflugzeuge überhaupt handelte. Zwei Airbuse und drei Boeings, der Klassen 'wir können bis zu 300 – 400 Menschen mitnehmen'. Zu allem Überfluss befanden sich weitere Maschinen zur Abfertigung bereit. Silvester in New York – ein Spektakel, dass seines gleichen suchte. Egal ob klein oder groß, Großverdiener oder Straßenbewohner, jeder, der etwas auf sich hielt, pilgerte zum Times Square, um dort das bunte Fest mit anderen zu feiern und in mancher frohen Stimmung auch zu betrinken. Wer es nicht mochte, wie ein Sardine zerdrückt zu werden oder billigen Sekt übers Haupt gegossen zu bekommen, der war zumindest so klug, sich eine Wohnung in der Nähe zu suchen, um dort zu feiern. Es wurde sogar auf unliebsame Verwandte und Bekannte zurückgegriffen, nur um einmal im Leben sagen zu können 'Silvester? - Da war ich auf dem Times Square!' Andere hingegen, besonders langjährige New Yorker, die das Gedränge auf dem Times Square kannten – welches gerne schon halb zehn in der Früh stattfand, blieben lieber daheim und arrangierten mit Freunden kleine Privatfeiern auf Balkonen oder Terrassen oder flohen zu den weniger besiedelten Orten, wie Brooklyn Bridge oder Central Park. * Im Café war die Hölle los. Der Kuchenstand wurde belagert, während die Köche mit dem Backen nicht mehr hinterher kamen. Schon vor Wochen waren Bestellungen eingegangen, die es jetzt zu erfüllen galt und ganz nebenbei mussten für den alltäglichen Geschäftsbetrieb die Bleche gefüllt werden. Leni blickte zur Gastronomie, dort saß kaum jemand und wenn doch, dann nur um auf das bestellte Gebäck zu warten. Ihr Blick streifte die Uhr bevor sie den wartenden Kunden ihre Aufmerksamkeit wieder schenkte und diesen die bestellten Kuchen überreichte. Noch fünf Minuten, dann konnte war sie für mehrere Wochen aus dieser Hölle raus und dieses Mal war es ihr egal, ob die Kollegen jammerten und bettelten, damit sie noch einige Minuten blieb, während andere sich für das abendliche Fest vorbereiteten. 'Dieses Mal nicht' dachte sie sich und bemerkte gar nicht, wie ernst ihr Gesichtsausdruck wurde. „Junge Dame, ein Lächeln könnte nicht Schaden, um das alle hier ein wenig erträglicher zu machen.“, krächzte eine ältere Frau über den Tresen und legte die verlangten Rubel in die dafür vorgesehene Schale. Verwundert blickte Leni der Alten ins Gesicht. Sie verstand nicht was die Frau von ihr wollte, obgleich sie jedes Wort gehört und wahrgenommen hatte. „Bitte?“ „Lächeln“, kam es diesmal mit einem röchelnden und schwer klingenden Husten über die faltigen Lippen. Angewidert von dem Geräusch verzog sie nur zögerlich ihren Mund zu einer zaghaften, freundlichen Geste. „Schon besser.“, presste die Alte vor vorgehaltener Hand, in der sie ein altes und abgenutztes Taschentuch hielt, hervor. Mit schlurfenden Schritten verließ die Kundin das Geschäft und zog sich draußen ihren zerlumpten Mantel fester um den drahtigen Körper. Hätte Leni gewusst, dass sie die alte Frau – Jelena Lebetewa – an diesem Tag zum letzten Mal in ihrem Leben sah, ein freundliches Strahlen wäre nur für die ältere Dame über ihre Lippen gehuscht, doch in ihren Augen wäre die Trauer daheim gewesen. Jelena Lebetewa hatte keine Kinder. Ihr geliebter Mann war zu früh von ihr gegangen und neu heiraten kam für die damals Neunzehnjährige nicht in Frage, dafür war die Liebe zu groß – zu heiß und innig gewesen. Als Kassiererin hatte sie ihr Einkommen verdient und nebenbei an den Wochenenden für das kleine Stadttheater die Kostüme genäht oder verbessert. Sie hatte gut gelebt, wenn zugleich auch traurig aber sie lebte und darauf kam es ihr an und das hatte sie ihrem Mann versprechen müssen. Sie konnte ihm zwar nicht die Sache mit dem neuen Ehemann erfüllen, der an seiner über sie Wachen möge, doch das würde ihr geliebter Sascha sicherlich verzeihen. Schließlich galt ihre gesamte Liebe nur ihm. In ihrer kleinen hübschen Wohnung war es immer warm im Winter und im Sommer angenehm kühl, doch irgendwann da kam der Tag an dem alles zu teuer wurde. Seit Monaten hatte sie keine Aufträge mehr vom Stadttheater bekommen, es war Pleite und nun drohte der kleine Laden – unten an der Ecke, der mit dem vielen Obst und Gemüse – geschlossen zu werden, wegen dem 'neuen Supermarkt' am Stadtzentrum. Lange hatten sich ihr Vorgesetzter und Ladeninhaber, ihre beiden Kolleginnen und sie gegen den Fortschritt gewehrt, doch irgendwann blieben die Kunden aus und die Türen des Geschäfts wurden für immer abgeschlossen. An diesem Tag wusste Jelena, dass sie ihre kleine Wohnung nicht mehr halten konnte und so kam es, dass sie umzog in eine heruntergekommene Absteige, deren Wände kalt und nass waren. Irgendwann hatte sie der klammen Kälte nichts mehr entgegensetzen können und sie wurde ein Teil der Wohnung. Genauso verkommen und abgeblättert, wie die Tapete und der Putz, trat sie auf die Straße und verkümmerte langsam unter dem verachtenden Blick ihrer Mitmenschen. Jelena wusste, dass der Kuchen für dieses Silvester die letzte Freude in ihrem Leben sein würde und sie war nicht einmal traurig darüber. Ein kleines Lächeln, dass sie sich immer bewahrt hatte, stahl sich auf ihre dünnen und rissigen Lippen. In der Ferne im Licht, da konnte sie ihren Sascha sehen. Ihn und sein dunkles Haar, die kecken hellbraunen Augen und den charmanten Blick, den er nur für sie zeigte – nur für sie. Von der Arbeit ausgelaugt, betrat Leni die Wohnung. Es war wie jedes Jahr gewesen – die Bestellungen kamen zu spät, zu zahlreich und die Bäckermeister waren kaum hinterher gekommen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit mussten einige Kunden bis in den späten Abend auf ihre Ware warten. Doch das war nicht mehr ihr Problem, sie war jetzt daheim und besah sich mit einem kritischen Blick den 'Jolka', welchen Kostja und Dima besorgt hatten. Er war nicht groß und auch nicht üppig, aber die Nadeln zeigten ein saftiges Grün, während die Spitze kurz und kräftig war, um die kleine Glasfigur zu halten. Sie konnte keine kahlen oder braunen Stellen sehen, die für sie das Bäumchen zu einer Enttäuschung machten. Es war fast perfekt – einzig der Schmuck fehlte, doch dies würde sich in wenigen Stunden ändern. „Und, wie findest du ihn?“, erklang Dimas Stimme. Leni dreht sich nicht zu ihm, als er seinem Antwort bekam. „Besser als den vom vergangen Jahr.“ Ein gedämpftes Lachen war zu vernehmen. „Da waren wir eindeutig zu spät dran gewesen.“ „Wer schmückt ihn?“, sie hatte sich nun doch zu ihrem Mitbewohner gedreht und sah ihn fragend an – obgleich sie die Antwort kannte, die prompt mit einer feststellenden Gegenfrage beantwortet wurde. „Kostja und mich in die Küche zu stellen, wäre keine gute Idee, oder?“ „Ja, ganz und gar eine schlechte Idee.“, seufzte sie, während ein warmes Lächeln ihre Gesicht zierte. Leni wusste, am Ende würde die Arbeit bei den Beiden an Kostja hängenbleiben und Dima ihn im Nachhinein mit spitzen Bemerkungen ärgern, also ging sie in die Küche und löste den dort stehenden Koch ab. Erfreut bemerkte die junge Frau, dass der Salat für das abendliche Essen schon bereit stand und unter einem großen Topfdeckel ein wartendes Dasein fristete. Für das Dessert hatte sie selber einen Tag zuvor gesorgt, einen kleinen flachen Nusskuchen mit Mohn und etwas Honig für die Glasur. Kostja hatte schon alles für den Hauptgang – Borschtsch, vorbereitet, Leni brauchte nur noch den Rest machen. So bekam sie die Gelegenheit den Abend zu genießen, bis es zweiundzwanzig Uhr war und die drei sich an einem reich gedeckten Tisch zum drei Silvestermenü zusammenfinden würden um das alte Jahr zu verabschieden. * Akemi staunte nicht schlecht, als sie von der Einkaufstour mit Emi zurückkam. Ihre Mutter stand mit einem Besen an der Tür und kehrte nicht vorhandenen Dreck nach draußen. „Mama?“, fragte sie erstaunt. Die Angesprochene sah auf und schnaufte. „Und hast du den Reis bekommen?“ „Ähm … ja, natürlich.“, sie deutete mit der Hand auf ihre Tasche und zog sich die Stiefel aus. Verwundert blickte sie zu dem Besen. „Hast du nicht schon heute Morgen den Eingang gefegt?“ „Ja, aber es ist nur nochmal symbolisch … der bösen Geister wegen.“, lächelte ihre Mutter und schloss die Tür. „Geh und bring deiner Großmutter den Reis, damit sie endlich mit den Omochi anfangen kann. Dein Großvater bekommt sonst noch einen Nervenzusammenbruch.“ Akemi stimmte in das wissende Grinsen ihrer Mutter ein und verschwand in der Küche. Sie kannte die Vorliebe ihrer Oma, die nur all zu gerne an Silvester über das Essen und besonders über die Klosnudeln aus gestampften Reis sprach und damit über ihre eigene Kindheit und den Erlebnissen zu Silvester. „Endlich“, flüsterte ihre Großmutter und nahm die 750 Gramm Tüte Khao Youak Reis entgegen. Aus der Ecke war ein erleichtertes Aufatmen zu vernehmen und sie konnte ihren Oji-san aus dem Raum gehen sehen. „Willst du mir helfen?“, dem bittenden Blick ihrer geliebten Oba-san konnte Akemi nichts entgegensetzen. „Ich will mir nur schnell die Schürze holen und meine Hände säubern.“, gab sie zur Antwort und verschwand für wenige Minuten aus der Küche. Als sie wieder kam, hatte ihr Großmutter schon den Reis aufgesetzt und schnitt das frisch gewaschene Gemüse in kleine Würfel für das Toshikoshisoba Gericht. „Und, kommt er heute mal kurz vorbei?“ Akemi schüttelte den Kopf. „Nein.“, hauchte sie und gab die Eier in das kochende Wasser.  „Ah. Bist du enttäuscht?“, aus den Augenwinkeln sah die alte Frau das leichte Kopfschütteln ihrer Enkelin. Ein leichtes Lächeln war auf den Lippen erkennbar. „Nein, gar nicht.“, sprach Akemi aufrichtig und nahm den gekochten Tofu von der Herdplatte. „Sicher?“ „Ja, Oba-san.“, das heiße Wasser vom Tofutopf wurde abgeschüttet. „Das was ich empfinde ist keine Enttäuschung. Meine Gefühle sind eher von trauernder Art, dass ich diesen Tag nicht mit ihm zusammen erleben darf.“ Mit einem Löffel entnahm sie die Tofuwürfel und legte diese in eine Schale. „Doch ich blicke mit großer Zuversicht in die Zukunft, dass es in einem Jahr anders ist und wir uns am Schrein treffen werden, um gemeinsam für ein glückliches neues Jahr zu beten.“ Es war das erste Mal für Oma Ono ihre älteste Enkelin mit solch einem erwachsenen Ausdruck sprechen zu hören. Erstaunt lag ihr Blick auf dem seitlichen Profil des Mädchens, der die Zuwendung nicht verborgen blieb. „Ist irgendwas Oba-san?“ Ertappt wandte sich die Großmutter dem Reis zu und prüfte, ob er schon gut durch gekockt war. „Nein, nein!“, meinte sie mit schneller kopfschüttelnder Gestik, bevor sie den Topf mit dem Deckel verschloss. * Mit voller Vorfreude auf die riesige Suite im angesehensten Viertel von ganz New York zur Silvesterzeit, schmiss sich Nitan auf das Sofa und betrachtete von dort aus die Skyline, die sich ihr durch die Panoramafenster erschloss. Der Tag begann gerade und schickte sich an mit einem rot gefärbten Himmel die Menschen zu begrüßen. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich den Sonnenaufgang in Manhatten am letzten Jahresstag erleb.“ „Wir sind ja auch mitten in der Nacht los, da ist es ja kein Wunder.“, meinte Ju und tat es der Blonden mit einem Gähnen hinter vorgehaltener Hand gleich. „Jack, ich glaube es nicht.“, erklang Karis fassungslose Stimme. „Eure Eltern haben nur für uns die gesamte obere Etage gemietet?“ Ein Grinsen war die stumme Antwort, während Joe ihr Handgelenk umfasste, um sie endlich in das Appartement zu ziehen. „Ich dachte immer die Räume des Empire State Building werden nur für Gewerbliches genutzt?“, kam es fragend von Gilbert, der dem Pagen das Trinkgeld für die enorme Leistung mit den Koffern gab. „Nicht nur.“, meinte Jack. „Unser Dad hat einige Verbindungen genutzt, um besonders diese Etage von den gewerblichen Geschäften frei zu bekommen und daraus eine wohnlicheres Ambiente zu schaffen.“ „Aber nur über Silvester!“, ertönte die Stimme des jüngeren Bruders aus der Wohnung. „Und was war das alles vorher?“, Ju drehte sich auf dem Sofa zu den anderen um und verschränkte ihre Arme auf der Rückenlehne. „Besuchersammelpunkt für Touristen, die auf die Plattformen rund um uns oder über uns wollten.“, gab Nitan in aller Ruhe zur Antwort, während ihr kritischer Blick auf ihren in dunkellila gefärbten Nägeln lag. „Ja, gibt es dann hier überhaupt Bäder?“, geschockt über diese Information wechselte Kari ihre Aufmerksamkeit zwischen der Couch und den männlichen Bandmitgliedern hin und her. „Gibt es!“, kam es diesmal von Hero, die hinter ihr an einer Tür stand und auf den Raum zeigte, aus dem sie gerade gekommen war. Kari wirbelte herum und löste sich für Joes Geschmack etwas ruppig aus seiner Umarmung. „Wollte ihr mir jetzt sagen, dass die Touristen statt Klo- und Waschbeckenanreihungen, richtige Bäder vorgefunden haben?“ „Nein, du Dummerchen.“, grinste Joe und legte seine Arme erneut um ihren Körper, während sie sich an ihn lehnte. „Wochen vorher war der Bereich hier nicht mehr für die Besucher zugänglich. Da genau diese WC-Räume umgebaut wurden in richtige Bäder und sobald das hier vorbei, werden die Bäder wieder raus genommen.“ „Ganz schön viel Aufwand für eine Nacht.“, hauchte die Brasilianerin und zog ihre Augenbrauen nach oben. „Wer Geld hat fragt nicht nach dem Aufwand.“, bemerkte Nitan beiläufig und schlenderte zu der Bar, um sich auf einen der Hocker niederzulassen. Mit einem lasziven Augenaufschlag, der nur Gil galt, flüsterte sie: „Und Herr Barkeeper, welches Getränk können Sie einer jungen und attraktiven Dame wie mir zum anbrechenden Silvestermorgen empfehlen?“ Ein Grinsen mit durchdringenden und vielversprechendem Blick begegnete ihrem. „Wie wäre es...“, Gil lehnte über die Theke und flüsterte: „.. mit einem Orgasm?“ Leise war das Lachen, dass die blonde Schönheit von sich gab, als sie kokett gespielt ihre Hand vor dem Mund hielt und zurück flüsterte: „Ich dachte eher an einem Manhatten. Aber den anderen würde ich gerne für einen späteren Zeitpunkt aufbewahren, wenn du weißt was ich meine?“ „Wie die Dame wünscht.“ Sein Atem streifte ihre Wange und ließ die blasse Haut leicht erröten. „Oh man! Nehmt euch ein Zimmer.“, kam es genervt von Jack, der die ganze Zeit daneben gestanden hatte und für die anderen die Getränke mixte. „Das machen wir, keine Sorge.“, grinste Nitan und betrachtete ihren Freund dabei, wie dieser ihren Drink abfertigt. Sekunden später, nach dem ersten Schluck, lag ihre Interesse auf Hero, die mit einem faszinierten Blick die Gemälde an den Wänden bedachte. „Süße, dein entschärfter Shirley Temple steht bereit. Lass uns anstoßen!“ * Stimmen drangen leise aus der Richtung des Fernsehers. Der jährliche und traditionelle Film Ironie des Schicksals flimmerte in ruhiger Bescheidenheit während des Jahresabschiedsessens über den Bildschirm. Keiner der drei Anwesenden interessierte sich für diese Liebesromanze-Drama-Schnulze-Wasauchimmer – der Ablauf und die Darsteller waren bekannt, schließlich kam er jedes Jahr und besaß dementsprechend Kultstatus. Es war das russische Gegenstück zu 'Diner for One' – das in Russland nicht mal im Fernsehen erschien, geschweige denn bei den Meisten dort bekannt war. Bevor sich über das üppige Essen hergemacht werden konnte, war Dima aufgestanden und hatte den Festschmaus mit den Worten „Lass alles Schlechtes in altem Jahr und nehmen wir nur Gutes ins neue Jahr mit.“ und einem Pinnchen Wodka eröffnet. Obwohl Leni von ihrem Arbeitstag geschafft war, ließ sie sich nichts anmerken. Im Gegenteil, sie blühte auf. Schon vergangenes Jahr hatte sie den Jahreswechsel mit ihren Mitbewohnern gefeiert und dieses Mal genoss sie es wie das Jahr zuvor. Das sie vom Rest des Abends, nach dem spektakulären Feuerwerk kaum mehr Erinnerungen hatte, verdrängte sie. „Dima schmatz nicht so.“, kam es empört gespielt mit einem Lächeln auf den Lippen von ihr. Der Angesprochene sah auf und strich sich mit der Papierserviette die Reste des Borschtsch von seinem Lippen. „Mach ich doch gar nicht.“, grinste er charmant zurück und griff zu dem Glas Bier. Sein Blick glitt zu Kostja, der in aller Ruhe sein Süppchen löffelte. „Sag mal Kostja, warum hast du das Angebot von Beljajew nicht angenommen?“ Leni blickte auf und sah fragend zwischen ihren beiden Jungs hin und her. „Was für ein Angebot?“, hakte sie nach. Ein böses Brummen an Dima gerichtet war die Antwort von dem Jüngeren. „Nichts besonderes.“, meinte er und wandte sich dem Salat zu. „Kostja.“, wurde er mahnend aufgefordert, bevor er es 'jemand' anderes tat. Der Angesprochene seufze und legte seinen Löffel beiseite. Bevor er sich zum Sprechen durchrang nahm er einen Schluck von seinem Bier und lehnte sich zurück. Er blickte Leni an. „Es ist nichts besonders.“, an ihrem Ausdruck erkannte er keine Gnade. „Okay.“, beschwichtigte er sie. „Beljajew hat mir angeboten in Moskau zu trainieren und dort auch zu leben. Für immer.“ „Aber, das ist doch wunderbar.“, lächelte Leni erfreut. Sie beachtete den skeptischen Blick ihres Mitbewohners nicht. „Leni. Ich würde für immer in Moskau leben, so lange ich Kendo trainiere und für Russland Wettbewerbe in diesem Sport bestreite.“, die junge Frau wusste worauf er hinaus wollte. Einfühlsam legte sie ihre Hand auf seine. „Kostja hast du mit deiner Absage zu dem Angebot auch darüber nachgedacht, dass dir damit auch die Möglichkeiten für bessere Bedingungen bei deinem Training entgehen?“ „Ja.“, seufzte er leidig. „Und?“ „Leni.“, nuschte Kostja. Dima verkniff sich ein Kommentar und grinste hinter vorgehaltener Hand, während sein jüngerer Trainingspartner die Mitbewohnerin über seinen Grund aufklärte. „Was soll ich in Moskau, wo inkompetente Trainer versuchen mir das Kendo neu zu erklären und glauben mit ihren besonderen 'russischen' Trainingsmethoden mich endlich zum Weltmeister zu machen? Leni, wenn die in Moskau ein Wundermittel gegen diesen Kato hätten, ich säße schon lange nicht mehr hier – der Grund warum Beljajew mir das Angebot gemacht hat, ist das Ansehen.“ „Das Ansehen?“, hakte die junge Frau verwundert nach. Ein Nicken und quälendes Schnauben. „Wie sieht es denn aus, wenn ich wirklich den WM Titel hole und die Presse nach fragt, welcher Verein mich zu dem gemacht hat. Wäre es da nicht wunderbar für die Moskauer Trainer, wenn ihre Namen unter dem Vereinsnamen auftauchen, als die Tatsache, dass ich aus einem Provinznest komme und unter keinem nennenswerten Verein in Eigenregie mit einem Trainingspartner und internen Konkurrenten trainiere.“ Daraufhin blieb die junge Frau stumm. Ihr fiel nichts ein, was sie dazu sagen sollte und so war es Kostja, der dieses Thema abschloss. „Und ich bin sicherlich nicht der Mensch, der Werbung für Inkompetenz macht.“ Dima konnte sich nun wirklich nicht mehr halten. Verwundert blickte beide auf als er anfangs in ein grunzendes Glucksen ausbrach und dann mit voller Inbrunst haltlos sein Lachen verkündete. „Alles in Ordnung mit dir?“, hauchte Leni besorgt und legte ihr Besteck neben den Teller. Der Ältere winkte ab und hielt sich die Serviette vor dem Mund. Erst nach einigen Minuten und einem Fußtritt von Kostja gegen sein Bein gaben den Dunkelhaarigen die Vernunft wieder sich gesittet am Tisch zu verhalten. Noch immer bebend vor Lachen atmete er tief durch und versuchte sich auf sein Essen zu konzentrieren. „Was zum Teufel war eben los mit dir?“, ihre Stimme war lauter als sonst. „Alles in Ordnung.“, gab er nur zur Antwort. „Und warum hattest du gerade eben so nen Aussetzer?“ Durch den Gedanken an die Ursache zuckte Dima schon wieder zusammen und konnte nur mit Mühe sein Lachen unterdrücken. „Nichts besonderes.“, meinte er erneut und wollte sich den letzten Bissen zuwenden, als Kostja für ihn sprach. „Ich nehm ganz stark an, dass er statt Inkompetentz, an das Wort Impotzenz gedacht hat.“, er gab es so nüchtern und emotionslos an, dass es in diesem Moment für den Älteren gar nicht mehr so lustig klang, wie er es zu Beginn empfunden hatte. „Wegen so was lachst du los?“, hakte Leni nach um sicher zu stellen, dass Kostja richtig lag. Ein Nicken kam zur Antwort. Resigniert schüttelte die junge Frau ihren Kopf und seufzte. Typisch Dima. * Oma Ono und Akemi hatten sich mit dem Essen selbst übertroffen. Es hatte vorzüglich geschmeckt, sogar Opa hatte ein bewundernswertes Kommentar über den Tofu abgegeben, dass dieser ausnahmsweise nicht nach fader Seife geschmeckt hatte – was er sonst auch nie tat. Fünf Schüsseln standen leer auf dem Esstisch, das konnte für das kommende Jahr doch nur Glück bringen. Schließlich war es das erste Mal gewesen, das Hina es ohne fremde Hilfe geschafft hatte ihre Toshikoshisoba alleine zu essen. Während Opa Masao sich dazu aufopferte die Omochi in einen tragbares Behältnis zu verstauen, halfen Oba-san und ihre Tochter den beiden Jüngsten der Familie beim Einkleiden. Es war kurz vor Mitternacht und die Silvesterglocken hatte noch nicht mit Läuten begonnen. Ein gutes Zeichen für eine pünktlich Ankunft am Schrein. Hina betrachtete sich von allen Seiten in ihrem ersten eigenen Kimono, zuvor hatte sie immer die abgetragenen ihrer Schwester anziehen müssen. Doch dieses Jahr waren die Familienmitglieder zur Übereinkunft gekommen dem jungen Mädchen den langersehnten Wunsch nach einem ungetragenen Kimono zu erfüllen. Die Freude war groß gewesen als ihr Oba-san das Päckchen nach dem Essen in die Hand gedrückt und sie dabei mit einem Augenzwinkern angelächelt hatte. Hina war es sofort bewusst, dass es sich um ein Kimono handelte – und was für einer, sie fühlte sich wie die Kaiserin persönlich. Akemi, die durch die Hilfe ihrer Mutter schon fertig war, zupfte noch an einigen Stellen am Obi ihrer Schwester. „Halt still!“, ermahnte sie diese. „Au! Du tust mir weh.“, kam es kläglich. „Da war eine Falte und die musste raus, sonst hast du einen Kimono mit Falte und das ist auch nicht toll.“ „Aber doch nicht so brutal.“ „Anders geht es nicht. Oba-san hat das auch immer so gemacht und ich hab auch nie gejammert.“ „Ich bin aber nicht du!“, fauchte die Jüngere. „Na. Mädchen!“, kam es mit erhobener Stimme von deren Mutter. „Nicht am Oomisoka.“ „Ja, Oka-san.“, riefen beide synchron und senkten ihre Köpfe. „Seid ihr endlich so weit?“, rief Oji-san von unten. Er stand mit einem blauen Kimono am unteren Treppenende und wartete auf seine vier Frauen. „Einen Moment, Liebling.“ „Einen Moment.“, knurrte er. „Das neue Jahr wird auch keinen Moment warten, nur weil du es sagst.“ Mit verdrehten Augen stand Oma Ono in einer fließenden Bewegung, die die Geschwister an eine Geisha erinnerten, auf und ging langsam die Treppe hinunter um den Wartenden Gesellschaft zu leisten. „Hier bin ich.“,meinte sie beschwichtigend und legte ihre Hand auf seinen Arm. „Der Rest fehlt.“, gab er ruppig zur Antwort, zeigte mit seiner tätschelnden Geste auf ihre Finger aber eine andere Emotion. Ein Lächeln war der Dank. „Wir kommen schon nicht zu spät, mein Lieber.“ In diesem Moment kamen die anderen drei die Treppe hinunter. „Na endlich.“, schnaufte Opa in einem Ton, als ob er schon Jahre auf die Frauen gewartet hatte. Obwohl es Winter war, der Schnee lag und die Straßen stellenweise extrem glatt waren, zogen die Fünf ihre Getas an und liefen in Richtung Schrein, der nur zehn Minuten vom Haus entfernt war. Opa trug eisern die Omochis, während Oma den heißen Tee in einer Kanne in den Händen hielt. Sicherlich war es am Schrein trotz des Massenauflaufs von hunderten Menschen extrem kalt, schließlich stand das Objekt auf einem Hügel und dort wehte der Wind immer sehr streng – zum Glück schneite es im Moment nicht, sonst wären die Stufen eine Qual gewesen. Doch diese waren geräumt als die Familie eingereiht im Menschenstrom dort ankam und langsam die Treppe erklomm. Auf der Hälfte ertönten die ersten Schläge der Silvesterglocke und im Stillen zählte jeder Japaner das Läuten mit. Hundertundacht Mal würden alle Glocken in sämtlichen buddhistischen Tempeln auf den japanischen Inseln schlagen und erst beim Letzten wäre das alte Jahr vorüber. Für einen Europäer wäre dieser Brauch das sprichwörtliche 'Einläuten des neuen Jahres' gewesen, doch für die Japaner bedeuten die hundertundacht Schläge die Vertreibung der in der gleichen Zahl aufgewogenen Leidenschaften, die sich innerhalb eines Jahres ansammeln konnten. Schließlich wollte jeder mit einem reinen Geist das neue Jahr begrüßen. In einer Menschenmasse zusammengepfercht wie die Sardinen in der U-Bahn stand Familie Ono endlich auf dem Tempelplatz und hielt betend die Hände vor dem Gesicht. Jeder von Ihnen trug eine Weihrauchstäbchen zwischen den Fingern und flüsterte ein altes buddhistisches Gebet, um im selben Moment für reiche Gaben im neuen Jahr zu bitten. Auf dem gesamten Platz konnte ein einheitliches und doch so variierendes Flüstern gehört werden, während die Glockenschläge jedes Wort untergehen ließen. Wie ein magisches Zeichen verstummten die Massen beim letzten Läuten der Glocke und für einen Moment war außer dem Hall des Klanges nichts mehr zu hören. Überall kamen die 'Joya no kane' zum Stillstand und eine Stille legte sich über das Land. Tief atmeten die Menschen die kühle Luft ein und richteten ihren Blick zum Himmel. Ein Zischen verriet das anstehende Spektakel. Plötzlich pfiff und knallte es überall und am nächtlichen Firmament wurden die Sterne von den buntesten Farben, die in den spektakulärsten Explosionen geboren wurden, überstrahlt. Das neue Jahr hatte begonnen und das Feuerwerk zeigte es denen, die nicht mehr auf den Glockenschlag geachtet hatten. * CNN und BBC berichteten in ihren Nachrichten über das Spektakel in Japan und dem großen Feuerwerk über Tokio, wo vor einigen Minuten das neue Jahr gefeiert wurde. Keiner außer Hero sah sich diese Übertragung an. Wie gebannt blickte das Mädchen mit feuchten Augen auf die dargestellten Bilder und verkrampfte die Finger an ihrem Glas. Es war schon ihre fünfte 'entschärfte' Shirley Temple. Sie liebte es mit ihren Bandkollegen, gleichermaßen auch Freunden, Silvester zu feiern, aber es war nichts im Vergleich zu traditionellen Fest in Japan – mit der Familie. Ein Arm umschlang ihre Schultern, während ein Kopf sich darauf betete. „Hey. Nur noch wenige Stunden und dann wird das Ganze auch bei uns stattfinden und irgendwann wirst du wieder in Japan sein und noch vor uns allen anderen das neue Jahr begrüßen.“, hauchte Kari und strich ihrer besten Freundin durchs Haar. Diese nickte nur und schluckte die aufkeimenden Tränen hinunter. Sie vermisste ihre Heimat so sehr. Die Sehnsucht war in solchen Momenten ein unerträgliches Laster, dass sie nur ungern auf ihren Schultern trug. An solchen Tagen war sie froh nicht allein sein zu müssen. „So Schluss damit.“, kam es angeheitert von Nitan, die auf einen Musikkanal wechselte. „Die New Yorker können viel bessere Feuerwerke als ihr Japaner.“, grinste die Blonde und beugte sich zu Hero. „Und du bekommst jetzt einen unentschärften Shirley Temple.“, hauchte sie und richtete sich trotz Protestes auf. Sie lief leicht schwankend zur Bar, hinter der jetzt ein professioneller Barkeeper stand und gab ihren Wunsch an, dieser nickte nur und mixte für Hero das alkohollastige Getränk. Die junge Japanerin wusste, dass sie dieses Silvester nicht unbeschadet überstehen würde – aber Weihnachten war schon schlecht gewesen, also konnte der letzte Tag im Jahr nur noch besser werden. Mit einem skeptischen Blick auf das eigentlich nicht alkoholische Mix-Getränk, das jetzt mit einem Schuss Wodka beschwipst war, nahm sie das Glas von der Theke und schnupperte leicht an dem süßlichen Zeug. Zaghaft zog sie am Strohhalm und nahm einen minimalen Schluck der roten Flüssigkeit. Der Barkeeper hatte gute Arbeit geleistet, denn vom Wodka schmeckte Hero nichts, dennoch trank sie diesen Shirley Temple langsamer als die Fünf zuvor. „Nicht so schüchtern.“, rief Nitan ihr mit einem breiten Lächeln zu und schnappte sich ihren Cocktail. „Und außerdem, wo ist die Musik?“, grölte sie ungehalten zu den Jungs, die es sich auf der weißen Designercouch bequem gemacht hatten. Jack blickte auf und gab ein resigniertes Seufzen von sich, bevor er zu Gil meinte: „Du solltest Nitan von der Bar weg bringen.“ „Zwecklos.“, war die monotone Antwort. „Sie findet so oder so wieder hin.“, ein Grinsen erschien auf Gilberts Gesicht. Sein Nebenmann schüttelte nur den Kopf und nahm einen Schluck aus der Bierflasche. In der Zwischenzeit hatte Nitan einen ganz anderen Weg gefunden – den zur Fernbedienung. In unsagbarer Schnelligkeit, die nur einem Sportwagen nachgesagt wurde, schnellte der Lautstärkepegel in wenigen Sekunden von Null auf Maximum – das Grinsen auf ihrem Gesicht und der 'Yeah' Schrei waren eindeutig dem Alkohol zuzuschreiben. Elegant warf Nitan die Fernbedienung zu Gilbert, der sie in letzter Sekunde auffangen konnte, während sie ihren Körper im Takt der Musik rocken ließ. Da es dem Rest der Gruppe jedoch zu Laut war und ihnen der Alkohol noch nicht den Hörsinn geschädigt hatte, entschloss sich der Brite den Bass wieder runter zu drehen. Natürlich blieb das Gezetere von Nitan nicht aus. „NI! Ich will mein Gehör noch behalten, für die leisen Dinge im Leben!“, schrie ihr Freund entgegen. Mit einem genervten Gesicht und dem weg pusten der Haare, die ihre Augen verdeckten, nahm sie nochmals einen Schluck ihres Manhatten. „Menno!“, maulte Kari und zog so die Aufmerksamkeit der anderen auf sich. „Wasn los, Süße?“, lallte Nitan etwas mürrischer, als sie es wollte. Sie war noch immer angepisst, dass ihre Musik wieder leise gedrosselt worden war. „Ich weiß nicht welche Schuhe ich anziehen soll.“, jammerte die Jüngere. „Bequeme!“, rief Ju in den Raum ohne vom Bildschirm ihres Laptops aufzusehen. „Nein! Die sind nicht auffallend genug.“, entgegnete die Brasilianerin und wühlte in ihrem Berg von Absatzschuhen. Hero trat näher an sie heran und zog leicht am Strohhalm. „Nimm doch die Buffalos.“ „Welche?“, fragend sah Kari ihre Freundin an. „Die Schwarzen mit den Schleifen an der Seite.“, der kreischend-grüne Halm wurde von den Schneidezähnen malträtiert. Kaum waren die Worte gesagt, wühlte sich das Mädchen durch ihren Berg und zog das schwarze Paar hervor. Skeptisch betrachtete sie die edlen Plateau-High-Heels und blickte dann zu Hero. „Gute Wahl.“, grinste Kari und stand auf. „Jetzt muss ich nur noch das Outfit nach den Schuhen ausrichten.“, damit hüpfte sie in ihr Zimmer und hockte sich von einem Berg Kleider. Nach kurzer Zeit erklang ein verzweifelter Hilfeschrei und es war Nitan, die verlangt wurde – schließlich war die Finnin der Fashion-Guru. „Was machst du da eigentlich?“, hakte Joe mit verwunderten Blick über Jus Schulter nach. „Ach, die von der WM wollte einen Artikel auf ihrer Seite über uns ins Netz stellen, ich will nur nochmal schnell drüber lesen, bevor ich diesen dann absegne.“ „Und was steht so drin?“ „Das wir eine Schülerband sind, aber Newcomer im internationalen Geschäft und wir unsere ersten Auftritte in kleineren Lokalen hatten und....“, die nächsten Worte wurden betont: „… das Wichtigste, das wir von Kendo Ahnung haben.“ „Werden unsere Namen auch erwähnt?“, Jack beugte sich vor und stützte seine Unterarme auf den Beinen ab, während sich seine Finger miteinander verknoteten. „Ja, aber nur unsere Vornamen. Damit sollte es kein Problem darstellen, oder?“, Ju war selber froh, dass die Nachnamen unerwähnt blieben, brachte nur Ärger und falsche Schlagzeilen für den Rest der Familie und den dazugehörigen Firmen. Schulternzuckend gab der Amerikaner sein Einverständnis und stand auf. Mit wenigen Schritten war er bei der IT-Website-Drummer-Presse-Managerin angekommen und ließ sich auf der Armlehne des Sessels nieder. „Lass mich auch mal drüber lesen.“ „Kein Problem.“, grinste Ju und drehte ihren Laptop zu Jack, während sie sich nach hinten lehnte. Interessiert betrachtete das Mädchen Jacks Profil, während dieser konzentriert Zeile für Zeile erfasste und sich jedes Wort gedanklich auf der Zunge zergehen ließ. „Der Text ist gut. Haben die den verfasst?“ „Teils, ich hab immer mal wieder einige Anekdoten oder Satzformulierungen als Anregung mit rein geworfen.“ „Haben die gut umgesetzt.“, meinte ihr Mitleser mit anerkennenden Blick und einem leichten Nicken, bevor er wieder aufstand und sich sein Bier vom Tisch schnappte. „Ja, so kann das Werbung machen.“, grinste er und lief zu der großen Fensterfront. Es hatte mit Schneien begonnen und auf den Straßen waren die hell erleuchteten Lichter der Weihnacht zu sehen. Die Menschen erschienen wie kleine bunte Punkte, die sich wie Ameisen einen Weg durch das weiße Chaos suchten. Mehr aus Langeweile, als wirklichem Interesse zählte Jack die Taxis, die auf den vier Spuren wie an einer Nylonschnurr aufgereiht hinter oder nebeneinander standen und versuchten wartende Gäste durch New York zu bringen. * Ein seltenes aber angenehmes Lachen erklang von Kostja. Er und Dima hatten schon die vierte Wodka-Flasche niedergeknüppelt und besahen sich das Bild vom russischen Präsidenten im Fernsehen, der seinen Landsleuten zum neuen Jahr gratulierte, dass in weniger als fünfzehn Minuten begann. Landestreue und Heimatstolz in allen Ehren, aber im angetrunken Zustand erschien irgendwie alles Lachhaft. Nur Leni, die nur wenige Pinnchen mit getrunken hatte, blieb stumm aber mit einem breiten Lächeln, zwischen den Jungs auf dem Sofa sitzen. Ihr Blick schweifte interessiert zu dem hübschen Bäumchen, dass festlich geschmückt neben dem Fernseher stand. „Wir sollten schon mal den Sekt eingießen.“, grinste Dima und stand auf. Sein Weg führte ihn an der Flimmerkiste und dem Jolka vorbei, hin zu der Balkontür. „Ob es draußen kalt ist?“, fragte Dima mit breitem Lächeln. „Keine Ahnung. Am besten machst du die Tür auf und probierst die Luft.“, gab Kostja mit einem unterdrückten Lachen zur Antwort. Gesagt, getan und und sofort zog eine angenehme Kälte in das warme Zimmer. Die Scheiben beschlugen und Leni hatte das Gefühl den Schnee, der draußen lag, schmecken zu können. Tief sog sie die frische Luft ein und genoss den Moment als ihr Kopf langsam aufklarte. „WOOHOO!“, schrie Dima in die Nacht und vergrub seine Hände in den Schnee. Mit schnellen Bewegungen formte er einen Ball und schmiss diesen mit aller Kraft auf das gegenüberliegende Haus. „Scheiße! Ich hab getroffen.“, hallte seine Stimme mit panischen Unterton wieder. Leni wollte gerade aufstehen um nach ihm zu sehen, als er mit verlegene Grinsen, einem spitzbübischen Glanz in den Augen und der kalten Flasche Sekt wieder in die Wohnung reinkam und die Tür schloss. Kostja blickte ihn fragen an: „Was ist passiert?“ Der Sekt wurde auf den Tisch gestellt und aufgemacht. Ein 'Plob' verriet den Geist der Flasche. „Hab nen Schneeball geformt und rüber geschmissen. Wollte das Haus treffen.“, meinte Dima knapp, während er auf die Zwei zukam. „Aber?“, hakte Leni mit ungutem Gefühl nach. „Hab nicht getroffen.“ „Sondern?“, das flaue Drücken in der Magengegend wurde stärker und die Angst stieg höher. „Hab das Auto vom alten Lewitscharoff getroffen. Ich glaub, seine Scheibe ist hinüber.“, antwortete er und setzte sich mit einem Anflug eines leisen Lachens wieder hin. Sie zog scharf die Luft ein und starrte ihn entsetzt an. „Bist du dir sicher, dass die Scheibe kaputt ist?“, es war ein Hauchen auf das ein Nicken als Antwort folgte. „Hoffentlich hat das keiner gesehen.“, flüsterte Leni und ließ sich erschlagen zurück sinken. „Und wenn schon.“, warf Kostja in die Runde. „Ist Silvester, kann doch mal passieren.“, damit zog er sein Sektglas zu sich. Im Fernsehen erklangen die Glocken des Kremels und auf einer aufgestellten Anzeige auf dem roten Platz, wo viele Menschen, darunter auch Natascha und ihr Freund waren, zählte eine Uhr in roten Lichtzahlen den Countdown. Bald war es soweit, bald war das neue Jahr da. Mit einem letzten Blick auf die Uhr rief sich Dima alle Vorsätze für das Neue in den Kopf und ein Punkt stand ganz oben – mit verschmitzten Lächeln betrachtete er Leni. Sie bemerkte seinen Blick nicht, viel zu sehr hing sie ihren eigenen Gedanken nach. Ihr war bewusst, dass nach der WM ihre Zeit gekommen war, um neue Wege zu gehen – es würde ihr schwer fallen und wehleidig dachte sie an ihre Jungs, aber sie konnte nicht länger in dieser kleinen Stadt leben. Sie brauchte Geld und den damit verbundenen guten Job, um endlich mit dem Studium beginnen zu können. Das alles fand sie in dieser Provinz nicht – sie würde nach Moskau oder St. Petersburg gehen. Seit dem Vorfall im Cafe war sie langsam zu diesem Entschluss gekommen. Der letzte Schlag der Glocke erklang und in diesem Moment wusste Kostja was er wollte, während überall in Russland S nowym godom gerufen wurde und die Gläser klirrend aneinander fanden. Er prostete Dima und Leni zu und trank seinen Sekt mit Gedanken an das Karamellbonbon – er würde sie finden, irgendwie. Begegnungen, sind kein Zufall, sondern vom Schicksal geformte Fügungen, an die es sich immer wieder zu erinnern gilt. - er hatte verstanden, wie noch nie zuvor in seinem Leben hatte er diesen verdammte Satz verstanden. Sie war sein Schicksal – seine Fügung und vergessen konnte er sie nicht, also musste er sie finden. * Er hoffte und betete, dass sie seine Nachricht bekommen hatte. Mit schnellen Schritten rannte der junge Mann durch die schmalen Gassen und verfluchte leise den Winter, der mit seiner Glätte und den ungeheuren Schneemassen ein Vorankommen mehr als erschwerte. Seine Augen leuchten, während der Atem hektisch kam und die kalte Luft sich in seine Lungen verbiss. Er hatte den Treffpunkt erreicht und da stand sie – in einem Kimono und einem kleinen Schirm, der sie vor den fallenden Flocken bewahren sollte. Die Knie zitterten als er vor ihr stand und zögerlich eine ihrer Strähnen nach hinten strich, sie wieder in das hochgesteckte Gebilde einbettete. Ihr Name kam wie ein Hauch über seine spröden Lippen, die vom anstrengenden Marathon rot schimmerten. Eine Verführung für sie, der sie nicht standhalten konnte. Zaghaft, dann mit bestimmenden Besitz schmiegten sich ihre Münder aneinander. Seine Hände legten sich auf ihre Hüfte und zogen sie an ihn. Der Schirm fiel. Ihre Arme umwarben seine Schultern, schlangen sich um seinen Hals. Die Finger in seiner Jacke verankert, als ob sie Angst hatte, beim loslassen, fallen zu müssen. Schon lange war aus der zärtlichen Liebkosung ein erregendes Spiel zweier Liebender geworden, die um die rare Zeit wussten, die sie beide füreinander hatten. Die Ärmel ihres Kimonos rutschten von den Armen und gab die Handgelenke, die Unterarme, die Beugen frei. Ihr war die Kälte egal, so lange sie ihn bei sich spürte, vernahm sie eine unglaubliche Hitze. Nur kurz lösten sich die Lippen voneinander, flüsterten unter erwachter Atemnot geheime Liebesschwüre, bevor sie wieder zueinander fanden. Sie spürte seine Hände wandern – kreisend, sie haltend. Ein Keuchen entrann ihr und sie drängte sich sehnsüchtig an ihn, während ihre Finger sich in sein Haar niederließen. Er löste sich von ihr, besah ihren flehenden Blick und senkte sein Haupt ihr wieder entgegen. Doch diesmal umspielte seine Zunge nicht die ihre, sondern hinterließ eine heiße Spur auf ihren Hals, den sie ihm mit geneigtem Kopf entgegen bog. Zähne streiften ihre Haut und entlockten ein Seufzen. Ihre Finger spielten mit dem Verschluss seiner Jacke. Ein heißer Kuss an ihre Beuge, immer tiefer wandernd. Das der Kimono verrutschte, ihre linke Schulter preis gab, nahm sie nicht wahr. Er zuckte leicht und ein gepresstes Keuchen entkam ihm als er die kalten Finger ihrer Hand unter seinem Shirt an seiner Haut hauchzart wahrnahm. Doch ihre Spielerei ließ ihn nicht von seinem Ziel abbringen. Mit aller Zärtlichkeit, die er in diesem Moment aufbringen konnte, knabberte er an ihrem Schlüsselbein und ließ seine Zunge darüber wandern. Ein Wispern erreichte sein Ohr und er wusste, dass es zu Ende war. Das Vibrieren seines Handys verriet es. Er musste sie gehen lassen, sie dem Licht wiedergeben und allein im Dunkeln bleiben, sich von diesen kurzen Momenten nähren. „Du musst gehen. Die fünf Minuten sind vorüber.“, flüsterte er und richtete ihren Kimono. „Nein.“, war ihr zitterndes Flüstern. Die Tränen glitzerten schon gefährlich in ihren Augen. Er küsste ihre Finger und den Handrücken, drückte die Kalten in seine Hände. „Emi, deine Mutter wird bald wieder zurück sein.“ Sie nickte verstehend. Dennoch hauchte sie ihm einen sanften Kuss auf die Lippen, wollte es noch nicht beenden. Doch er schob sie von sich, ins Licht und drückte ihr den Schirm in die Hände. „Geh schon.“ „Liebst du mich noch?“, wisperte sie zaghaft. Ein Lächeln zeigten seine Lippen. „Ja, deswegen geh jetzt.“ Sie erwiderte den zärtlichen Blick und drehte sich um und verließ die Straße. Koji blieb allein zurück – in der Dunkelheit. * Seit zwei Stunden – in denen die Herren der Gruppe schon den fünften Scotch tranken – probierten die Mädchen ein Kleid nach dem anderen, um herauszufinden, welches am Besten für die Silvesternacht war. Eigentlich waren es nur zwei Weiblichkeiten, die sich noch nicht entschieden hatten. Kari und Nitan. „Ahhh!“, zischte die Blonde und stampfte mit dem Fuß auf den Boden. „Was?“, kam es ruhiger aus der Kabine daneben. „Das Kleid.“ „Was ist damit?“ „Es passt nicht!“ „Wie es passt nicht?“, die Verwunderung konnte nicht nur im Unterton akustisch vernommen werden, visuell war sie auf den Gesichtern der Wartenden wundervoll erkennbar. „Oben!“, knurrte Nitan. „Was meinst du mit oben? Ist dein Rücken zu breit. Soll dir jemand helfen, es hinten zu schließen.“ „Nein!“, kreischte sie beinah. Nun steckte Kari ihren Kopf durch den Vorhang und blickte zu Nachbargarderobe. „Ni?“, hauchte sie, wissend, dass ihr Stimme dennoch erhört wurde. „Mein BUSEN!“, kam es nun wimmernd. „Meine Oberweite ist zu groß.“ Stille. Niemand wagte etwas zu sagen. Die Beraterinnen des Ladens hielten für einen Moment mit ihrer Tätigkeit inne und versuchten durch einen freundliches Lächeln die anderen Gäste davon zu überzeugen, die gerade eben erklungenen Äußerungen gar nicht gehört zu haben. Ja, sie existierten gar nicht. Doch es war eine ältere Dame im Pelzmantel und mit schwarzen Lederstiefeln, die durch ihr empörtes 'Pf' und dem rasanten Abgang mit Hut und Fiffi den Schein ins Sein aufbrach. Gilbert war der Erste, der sich nicht mehr halten konnte und seinen Getränk auf den Tisch stellte. Sein Gesicht zierte ein breites Grinsen, dass schnell hinter vorgehaltener Hand verschwand. Er stand auf, ging um die anderen herum und verschwand ebenfalls nach draußen. Dort angekommen brach es aus ihm heraus. Sein Lachen schallte über die gesamte Straße, verwirrt blickten sich die Passanten zu ihm um und fingen an zu tuscheln. Nach Luft ringend, hielt sich der Brite am Eingangsbereich fest und versuchte unter größer Anstrengung seinen Atem zu kontrollieren. Was ihm irgendwie auch wieder gelang, er durfte nur nicht an de Ausbruch seiner Freundin denken. Währenddessen hatte sich diese wieder aus dem Kleid herausgeschält und sah es leidvoll, jammernd mit kläglichen Blick – der Fiffi, dem Schoßhund der älteren Dame – wahrlich Konkurrenz machen konnte, an. „Warum?“, flüsterte sie dem roten Stoff entgegen in der Hoffnung er möge ihr Antwort geben. „Wieso?“, kam es seufzend. „Jammer nicht rum.“, meinte Ju und zog sie zur Kasse. „Hier, bezahl endlich die anderen Klamotten, damit wir hier raus kommen.“ „Ja, ja.“, nörgelte Nitan wegen dem befehlerischen Unterton ihrer Freundin und gab der Kassiererin die Kreditkarte. Keine zwei Minuten später stand die Gruppe in gemeinschaftlicher Geschlossenheit vor dem Geschäft und suchte via Smartphone-Navigator das nächste Restaurant auf. Kaufen machte schließlich hungrig. * Leni schlief sanft ihren leichten Rausch aus und schmiegte sich vollkommen sorglos in ihr Kissen. Währenddessen zogen Kostja und Dima schon zum siebten Mal ihre Kreise um den Häuserblock. Viermal hatte die gute Fee der WG das Ganze mitgemacht, doch beim fünften Mal hatte sie dankend verneint. Schließlich war sie keine Kältefanatikerin. Noch immer schwebte der Geruch von verbrannten Geschossen in der Luft und dämmte die Lichter der Nacht in einem zarten Nebelschleier. „Da hast du aber ganz schön Glück gehabt.“, murmelte Kostja und strich mit den Fingern über die schneebedeckten Fensterbretter. „Das kannst du laut sagen.“, die Besorgnis war in Dimas Stimme nicht zu überhören. „Ich dachte ja wirklich, dass ich die Scheibe zertrümmert hab.“ Ein Lachen erklang von dem Jüngeren. „Glück im Unglück – das die Scheibe schon kaputt war und das Fenster nur durch eine Folie abgedichtet wurde.“ „Wohl war.“, grinste sein Gegenüber und legte den Kopf in den Nacken. „Schade, die Wolken verdecken den Himmel.“ Dem Blick des Älteren folgend, betrachtete auch Kostja das Firmament. „Bei dem Geknalle auch kein Wunder.“ „War doch toll das Feuerwerk. Sonst war es immer so fad und kurz.“ „Ja, diesmal haben 'se alle ihren Frust in den Himmel geschossen.“ Verwundert blickte Dima seinen Trainingspartner an, doch an seinem Blick konnte er erkennen, worauf dieser hinaus wollte. Er blieb stumm und ließ das Gesagte unkommentiert. Wortlos liefen die Beiden weiter und bogen um die letzte Ecke, als Kostja stehen blieb. „Wann willst du es ihr sagen?“ Erneut von Dima mit einem verwirrten Blick bedacht, sah er diesen ernst an. „Was meinst du?“ „Ich rede von Leni und dir.“ „Leni und mir?“, der Ältere schluckte und zuckte leicht mit den Schultern, währen die Finger nervös in den Taschen des Mantels zuckten. „Alter! Du kannst ihr vielleicht den Weiberhelden vorspielen, der in ihr sowas wie eine gute Freundin – kleine Schwester – sieht. Aber glaub nicht, dass du mich hinters Licht führst.“ „Bist du besoffen?“, Dima kam leicht lächelnd auf ihn zu. „Ich glaub, der Alk und die frische Luft tun dir nicht gut.“ „Schnauze!“, giftete Kostja ihn an. Sein Blick war mit Zorn beseelt. „Sie ist das einzige Mädchen, dass sich in deiner unmittelbaren Umgebung befindet, der du aber nicht wie ein schwanzgesteuerter Affe hinterher steigst.“, bevor sein Gegenüber sich rechtfertigen konnte, sprach er weiter. „Und erzähl mir nichts von 'sie ist nicht mein Typ'!“ Ein Seufzen – tief und schwer. Dima sah seinen Trainingspartner nicht an. Die Lippen waren hart aneinander gepresst, während die Augen die Nacht mit wütenden Blick bedachten. „Ein Wort von ihr...“, hauchte er leise. „Nur eine Wort und ich würde ihr die Welt zu Füßen legen.“, sein Blick traf Kostjas. „Aber wenn ich ihr sagen würde, was ich für sie empfinde – sie würde lachen und meinen, dass ich es nicht ernst meine.“ „Dann gib ihr einen Grund, dass sie merkt und erkennt, wie ernst es dir ist.“ Zynisch war das Lachen, dass Dima hervorpresste, während er den Blick nach unten richtete und sein Haupt leicht schüttelte. „Das musst du gerade sagen.“, seinen Augen wieder dem Jüngeren zugewandt, sprach der Ältere weiter: „Hängst an einem Karamellbonbon, schwelgst lieber in Erinnerungen an das was war, als die Mädchen hier in der Gegenwart zu beachten.“ „Das geht dich gar nichts an.“, zischte Kostja und ballte seine Hände zu Fäusten. „Dann geht es dich auch nichts an, was zwischen Leni und mir ist.“, damit war das Thema für Dima ausgesprochen und vorbei. * Ein Spektakel war es gewesen. Bunt, feurig und doch so wunderbar schön, dass die Gänsehaut über den Körper wanderte, wie das Wasser beim Duschen. Mit staunendem Blick, erfreutem Lächeln, jubelnden Jauchzen und einer feiernden Stimmung hatten die Sieben das Neue Jahr unter einem farbenfrohen Lichterhimmel betrachtet und fröhlich begrüßt. Überall in New York waren die Menschen auf die Straßen, Plateaus der Hochhäuser, Balkons und Terrassen getreten, um das Spektakel zu beobachten. Die Menschen genossen diesen Moment, stießen mit ihren Gläsern auf das neue Jahr an und von überall ertönte Auld lang syne, während in Manhatten das Balldrooping ein Ende in einer spektakulären Lasershow fand. Hero war die Erste, die die Aussichtsplattform verließ und in die umgebaute Wohnung zurückkehrte. Zu überwältigend war alles für die junge Japanerin. Es war nicht ihr erster Jahreswechsel fern ihrer Heimat, doch irgendwie war es diesmal anders. Der Schmerz, den sie die gesamte Zeit so gut verbergen konnte – weggeschlossen hatte, stach in einer unsagbaren Qual in ihr, dass sie die Tränen nicht mehr halten konnte. Ungehemmt quoll das heiße Nass aus ihren Augen und benetzte die von der eisigen Nachtluft erkalteten Wangen. Das Knallen der Raketen verhallte, umso lauter wurden die Stimmen ihrer Freunde, als diese wieder in das Appartement zurückkehrten. „Ach Süße.“, waren die leisen Worte, die Kari sprach, als sie die Tür zu Heros Zimmer schloß. Von wärmenden Armen umfangen, versiegten nach einiger Zeit die Tränen. „Tut mir leid.“, wisperte Hero. „Was denn?“ „Das ich Silvester versaut hab.“ „Ach, quatsch.“, grinste die junge Brasilianerin und reichte der Verweinten ein weiteres Taschentuch. „Jeder hat seine emotionalen Momente. Manchmal mehr, manchmal weniger.“ Die Tränen wurden abgetupft und das Haar neu gerichtet, bevor Hero aufstand. „Okay.“, kam es noch ein wenig kläglich. „Lass uns raus gehen und in den Morgen tanzen.“ „Na, aber sowas von.“, grinste Kari und drängte ihre beste Freundin – Seelensschwester – aus dem Raum. Nur für einen Moment bedachte die Ältere das schwarze Haupt der Japanerin mit einem wehleidigen Blick. Sie wusste um das unsagbar große Heimweh und den damit verbunden Schmerz und dennoch würde sie die Letzte sein, die ihr den Rat der Heimkehr gab. Der Rest der Band war schon lautstark am Feiern. Musik brauchten sie keine, denn die machten sie selber. Mit einer unglaublichen Selbstbeherrschung stand Nitan kaum schwankend am Mikro und sang mit rauchiger Stimme, die dem Alkohol zugeschrieben werden musste, eine der Balladen, die Hero in Zusammenarbeit mit Jack verfasst und komponiert hatte. Dieser gab mit dem Schlagzeug den passenden Takt an, während Gilbert mit der Gitarre den Akkord dazu spielte, um ein wenig die Stimme seiner Freundin zu unterstützen. Ihre Blick, den sie ihm während des Refrains zuwarf, brachten ihn zum Lächeln. Keiner der Beiden wusste, dass die zwei Verfasser von Text und der Melodie die Beiden als Vorlag für dieses Lied benutzt hatten. Mit einem schmunzelnden Grinsen betrachteten sich die Autoren für einen kurzen Moment. An diesem Abend musste jeder sein Gesang am Mikro demonstrieren. Das natürlich die Frontsänger einen Vorteil gegenüber den 'Gelegenheitssängern' hatten, war deutlich herauszuhören. Ju, die lieber hinter dem Schlagzeug saß, schaffte es keinen einzigen hohen Ton zu treffen, welchen Kari und Hero mit Leichtigkeit erklingen lassen konnten. Den größten Unterschied stellten Jack und Joe dar. Während der Eine mit seiner Stimme die Engel zum Träumen animierte, soweit es Engel gab – und denen wurden ja schon samtweiche Stimmen, die einer zerfließenden Butter Konkurrenz machen konnten, nachgesagt – brachte der jüngere Bruder mit einem schiefen Ton nach dem anderen die Hölle zum Gefrieren. Harmonie gleich Null – aber melodische Disonanz, Zehn Plus und ein Besuch beim Ohrenarzt. Das waren auch Joes Worte gewesen, als er Protest einlegte, um den Gesang zu entgehen. Unglaublich aber war, singen konnte er nicht, aber summen. „Junge, und das sind Brüder?“, war Nitans einzige Aussage, während sie ungläubig zuhörte, wie unterschiedlich die beiden waren. * Einszweidrei, im Sauseschritt - Läuft die Zeit; wir laufen mit. (Wilhelm Busch; 1877) * Eine Woche war nach dem Neujahrstag vergangen. In Russland wurde noch immer gefeiert, soweit man den täglichen Alkohol standhielt, während in anderen Teilen der Welt schon am zweiten Januar, spätestens am Dritten, die Arbeit beziehungsweise Schule rief. Mit jeder Menge Widerstand und nur mit Hilfe von den unglaublichen Überredungskünsten von Gilbert, hatte die siebenköpfige Band es mit Nitan zurück in die Schweiz geschafft. Die giftige Blonde hatte sich mit Händen und Füßen am letzten Morgen in ihr Bett gekrallt und wollte unter keinerlei Umständen aufstehen, geschweige denn sich überhaupt in Richtung Flughafen bewegen. Zwei Stunden hatte es gedauert bis die Finnin genügend überzeugt war, die Schule nicht abzubrechen, nur um in New York zu bleiben. Das der eigentliche Grund eine Abstinenz zu Gilbert war, die er ihr in einem Vier-Augen-Gespräch androhte, indem er sie auf Distanz halten und jegliche erotisch, sexuelle Anzeichen von ihr ignorieren oder gar in den Wind schießen würde, brauchte niemand zu wissen. Absolut niemand – außer Gilbert selbst, der ihr aber das Versprechen geben musste, nach der Landung in der Schweiz und dem Einzug ins Internat sie keine Sekunde länger auf ihre traute Zweisamkeit warten zu lassen. Während die Beiden ihr Liebesleben mit angedrohten Abstinenzverfahren am Leben erhielten, musste ein ganz anderes erst einmal zu Leben erweckt werden. Noch immer Hang der Plan von Hero, Jack und Ju miteinander zu verkuppeln, in der Luft – wie manchmal das Schicksalsschwert über dem Haupt einer mehr oder weniger erwählten Person. Hier waren es gleich zwei, die vom gleichen Schlag des Schicksals getroffen werden mussten, nur war dieses Unterfangen alles andere als leicht. Natürlich gab es Gemeinsamkeiten zwischen den Beiden. Sie stammten beide aus den USA. Der eine aus Florida und die andere aus Kalifornien und von mütterlicher Seite her aus China, aber das tat hier nichts zur Sache. Im Grunde genommen waren die beiden Staaten ein Katzensprung voneinander entfernt was die Welt betraf, aber eine gewaltige Hürde was die Vereinigten Staaten anging. Beides waren Sonnenstaaten aber mit den unterschiedlichsten Begebenheiten, die es überhaupt geben konnte. In Kalifornien sorgten hin und wieder Erdstöße für ein aufregendes Leben und nicht zu vergessen waren die Glamourmetropolen L.A. und San Francisco, die diesen Staat zu einer schillernden Welt für sich machten, während Florida, Jacksonville und Miami besaß und die dumme Angewohnheit genau in der Region zu liegen, wo alljährlich von Juni bis November teils heftige tropische Stürme anklopften und häufig auch über das Land hinwegfegten. Hinzukam, das in Florida selbst im Winter gerade mal fünfundzwanzig Grad herrschten und eine Möglichkeit des Skifahrens nur auf Sand möglich war. Eigentlich waren dies ja nur kleine gedankliche Hürden, die sich leicht überspringen ließen, wenn da nicht ein Hindernis wäre, dass sich wie eine Mauer aufbaute. Natürlich waren die USA eine vereinte Nation aus vielen kleinen Unterstaaten, dennoch kam es vor, dass es dieses Westcoast and Eastcoast-Denken gab. Bei Jack und Ju zwar nicht ganz so arg ausgeprägt, aber hin und wieder war es ein Streitgespräch bei den Beiden – manchmal auch bei den Dreien, wenn Joe sein Kommentar nicht hinterm Berg halten konnte. Seufzend besah sich Hero die Bilanz ihrer Idee und musste feststellen, dass ohne Nitans Hilfe gar nichts ging und die würde erst wieder vollkommen ansprechbar sein, wenn die Schule wieder anfing, denn in den Ferien hatte die Gute nichts anderes zu tun, als: Party-Party-Party, Alkohol, Spaß, Gilbert und das dazugehörige Ausleben der Fantasien, die Hero gar nicht erst in ihren Kopf lassen wollte. * Gemütlich an Takerus Rücken gelehnt, surfte Akemi im Internet. Es war einer dieser wenigen Tage, an denen sich ihr Freund nach der Uni mit ihre Treffen konnte, weil er von seinem Großvater vom Training befreit worden war. Zum Missfallen des Vaters – aber das Studium war auch wichtig, das war zumindest der Vorwand, den Opa anbrachte. Sie spürte, wie die haltende Quelle sie verließ und sich dafür zwei Arme um ihren Körper schlangen. „Darf ich fragen, was in der großen weiten Welt interessanter ist, als ich?“ Sie lachte, mädchenhaft und wurde rot. „Ja, darfst du.“, mit den Fingern umspielte sie die Seinen und deutete auf die Website, die sich gerade öffnete. „Ich war nur neugierig, wie es in Russland ist.“, hauchte sie, während seine Wange an ihrer lehnte. „Du musst dich dort warm anziehen, was das Wetter angeht.“ „Ach wirklich?“ „Ja, Takeru.“ Wieder erklang ein leises Lachen ihrerseits. Heiß fühlte sich der Kuss an ihrem Ohr an und hinterließ ein ungewohntes aber angenehmes Prickeln. Vorsichtig drehte Akemi ihren Kopf zu Seite. Ihr Blick fiel auf Takerus Lippen, die leicht geöffnet waren und so einladend aussahen. Zaghaft beugte sich zu diesen und empfing diese mit den ihren. Sofort vernahm sie seine Hand an ihrer Wange und den langsam aufbauenden Druck der ihrem Mund entgegenkam. Mit einem unruhigen Zittern registrierte sie das Tun seiner zweiten Hand, wie sie wanderte – auf und ab an ihrem Körper. Flüchtig ihre unter einem Pullover versteckten Rundungen streifend und ihr damit einen wohligen Seufzer entlockend. Sie waren gerade mal etwas über drei Wochen zusammen, konnten sich nicht viel sehen und wenn, dann nur unter Aufsicht von Freunden oder ganz peinlich der Familie. Doch heute war alles anders. Keiner war bei ihr daheim gewesen, als sie mit Takeru von der Uni gekommen war. Zum ersten Mal hatten sie einen Moment für sich allein, ohne die Blicke von Fremden in der Öffentlichkeit oder vertrauten Menschen in bekannter Umgebung auf sich zu wissen. Akemi drehte sich in seiner Umarmung. Saß ihm kniend gegenüber und strich zärtlich durch sein dunkles Haar, während der Kuss immer leidenschaftlichere Züge annahm. Doch der Verbrauch des Atems forderte ein auseinanderdrängen der Münder. Stirn an Stirn lehnten sie beieinander und spürten das Streifen des Luftzugs auf der Haut des Anderen. Takeru lehnte sein Gesicht an ihre Seite und bettete seinen Kopf an ihrer Schulter. Er sog ihren Duft ein und schlang seine Arme eng um ihren Körper. Krampfhaft hielt sich Akemi an seinen Sachen fest und wagte kaum zu Atmen. Doch eine unerwartete Berührung, die von ihrem Liebsten ausging, ließ sie kurz im hellen Ton keuchen und sich noch enger an ihn schmiegen. Die Röte schoss ihr in die Wangen und ein unglaubliche Hitze breitete sich in ihr aus. Zittrig atmend spürte sie seine Zähne an ihrem Hals und die darauffolgenden Lippen und seine Zunge, die rau über die gereizte Stelle strich. Oh, Gott war ihre einziger Gedanke. In den nächsten Wochen würde Akemi nur noch mit Rollkragenpullover oder Halstücher gesichtet werden. Wie sollte sie das ihrer Mutter beibringen,geschweige denn ihrem Großvater – der würde Takeru den Kopf abreißen und ihr den halben, weil sie nichts dagegen getan hatte. Aber das war für die junge Japanerin Nebensache, jetzt galt es, genießen – genießen und nochmals genießen. Schließlich würde er ab Mitte Februar nicht mehr in Tokio bei ihr sein, sondern in diesem verdammt kalten Russland. Obwohl, was die Temperatur anging, war Japan momentan auch nicht besser, es sei den, mal lebte wie ein entfernter Verwandter auf der südlichsten Insel Japans, die es gab. Eine der siebenundvierzig bewohnten Ryukyu-Inseln, von Achundneunzig. Die lagen nämlich alle so ungefähr zwischen dem vierundzwanzigsten und einunddreißigsten Grad nördlicher Breite und dementsprechend war auch das Klima, subtropisch und humid; kurz: Durchschnittstemperatur von 21°Grad, im Winter sogar ein Grad, Plus-Minus-Unterschied. Als ob sein Kuss oder das was er da mit seinen Zähnen, den Lippen und der Zunge getan hatte nicht schon heiß genug war, strich nun auch noch sein warmer Atem über die Stelle und jagte ihre bei jeder weiteren Brise einen neuen Schauer über den Körper. Wieder gingen ihre Gebete an 'Gott'. Wieso hatte er sie nicht schon früher gefragt, ob sie mit ihm zusammen sein wollte. Dann hätten beide das Ganze sicherlich schon viel früher getan und währen nun auf einer ganz anderen Ebene ihrer intimen Liebeszuneigung. Erschrocken über ihre Gedanken nach Luft schnappend und sich krampfhaft an ihm festhaltend, schloss Akemi rasch ihre Augen und strafte sich gedanklich selber ihrer unzüchtigen Fantasien. Aber je mehr sie versuchte diese Hirngespinste aufzuhalten, desto schlimmer wurde es. „Alles in Ordnung?“, flüsterte seine Stimme ihr ins Ohr. Fast panisch und ein wenig heißer, kam ihr die Antwort über die Lippen. „Ja~ha.“ „Sicher?“ „Ja.“, beteuerte sie und versuchte mit hektischen Nickbewegungen dem Ganzen mehr Glaubwürdigkeit zu geben. „Ich werde dich so vermissen.“, kam es aus ihr herausgeschossen. „Ich bin doch noch eineinhalb Monate hier und danach noch nicht aus der Welt.“, meinte Takeru mit einem belustigendem Lächeln. „Trotzdem.“, wisperte Akemi ihm entgegen und lehnte ihre Stirn an seine Schulter. Beruhigend strich Takeru ihr über den Rücken. Sie wäre nicht die Einzige, die in dieser Zeit jemanden vermisste. Er würde mit seinen Gedanken ihr genauso nachhängen. * „Oh man!“, stöhnte Dima. Verwundert über diesen frustrierten Laut sah Leni von der Bügelwäsche auf und betrachtete ihn. „Was ist?“ „Jetzt weiß ich, warum wir alle an dem Abend, zwei Tag bevor es mit der WM losgeht im Station sein müssen.“ „Weil die uns erklären, wo die Notausgänge sind?“, brummte Kostja, ohne von seinem Buch aufzusehen. „Nein.“ „Sondern?“, hakte Leni nach, während sie den Ärmel von Dimas weißen Hemd zurecht zupfte und mit dem heißen Eisen wieder drüber ging. „Weil die Veranstalter im Rahmen der WM ein Konzert von irgend so einer drittklassigen No-name-Band geben.“ Überrascht hob die junge Frau erneut ihren Blick: „Die tun was?“, mit Sorgfalt legte sie das heiße und dampfende Gerät beiseite und zog den Stecker, bevor sie zu Dima ging und auf den Bildschirm des Laptops sah. Dort stand Schwarz auf Weiß, was ihr Mitbewohner wenige Sekunden zuvor wiedergegeben hatte. „Aber nen Namen haben die schon.“, erwiderte Leni auf Dimas 'No-name-Bezeichung' und zeigte auf den angezeigten Bandnamen. Nun wurde auch Kostja neugierig und warf ein sarkastisches Kommentar in die Runde: „Wie nennen sie sich denn? Die Samurai des Gesangs?“ „Ne. Heavens Break.“, las Dima vor. Perplex blickend, bat der Jüngere um eine Wiederholung des Gesagten. „Heavens Break.“, kam es diesmal von Leni. Sich wieder seinem Buch zuwendend, meinte Kostja: „Na ja, bestimmt so ne billige Girlieband, die dann mit bonbonfarbener Popmusik von Liebe und Herzschmerz erzählen.“ „Hm.“, war das Einzige was Dima daraufhin sagen konnte. Leni drehte den Bildschirm zu sich und filterte für ihre beiden Turnierteilnehmern die wichtigsten Informationen über die Band aus dem Artikel heraus. „So wie es aussieht, sind sie gemischt. Also drei Jungs - vier Mädels...“ Ein Lachen kam von dem Älteren: „Da weiß ich schon, wie die Musik aussieht.“ „...Dima. Sei nicht immer so voreilig.“, ermahnte sie ihn mit erhobenen Zeigefinger - der auch dafür stand, dass er sie nicht einfach unterbrechen sollte. Ihr Blick fiel wieder auf den Bericht: „Die scheinen in Europa schon relativ bekannt zu sein, obwohl es sich um eine Schülerband handelt.“ Dima blinzelte. Eine Schülerband - und dann nicht einmal aus Russland? Langsam wuchs sein Interesse und die Neugierde wie diese merkwürdige Band wohl aussah. „Haben die auch Bilder?" Es kam Nicken mit akkustischer Antwort: „Ja und einen Link zur Website der Band...", Leni stockte für einen Moment. Ein zartes Lächeln zierte ihre Lippen als sie weiter sprach: "... und die Jungs, zumindest zwei von denen, sehen gar nicht mal so übel aus.“ Schneller als sie reagieren konnte, war der ihr der Laptop entzogen wurden, nur um auf Dimas Schoss zu landen. Grimmig sah er auf die Fotos. „Was soll an denen den so besonders sein, alles schwächliche Milchbuben, die durch Bildbearbeitungsprogramme umdesignt wurden.“, in seiner Stimme klang ein hauchfeiner Ton von Eifersucht. Erneut blickte Kostja von seinem Buch auf: „Na, du musst es ja wissen.“ „Da schau selber.“, mit diesen Worten wurde das Gerät zu ihm geschoben. Seufzend legte der Jüngere ein Lesezeichen zwischen die Seiten und klappte den Krimi zu. Mit gelangweilten Blick sah er auf die ins Internet gestellten Bilder. Langsam scrollte er nach unten und betrachtete sich stumm auch den weiblichen Teil der Gruppe. Plötzlich stockte er. Ein kalter Schauer lief ihm über den den Rücken, während er mit rasendem Herzen und fixiertem Blick bei einem Bild hängen blieb. Sein gesamter Körper verkrampfte sich und es vergingen Sekunden bis er sich von dem Antlitz losreißen konnte, um nach dem Namen dieser Person zu suchen. Er brauchte nicht lange, um ihn zu finden. Die Bildunterschrift gab die Antwort: Hero Hart schluckte er, während seine Augen zwischen dem Name und dem dargestellten Mädchen hin und her huschten. Augen, Mund - das gesamte Gesicht wurde regelrecht von seinem Gehirn gescannt und mit einem dort abgespeicherten Antlitz verglichen. Seine Gedanken und Erinnerungen arbeiteten fieberhaft mit dem Dargestellten aus der Gegenwart. Innerlich aufgewühlt kam er zu der einen für ihn nur möglichen Erkenntnis - doch der Name passte nicht, zerstörte das Gefühl des Glücks und hinterließ Zweifel. Kostja fing an sich einzureden, dass jeder Mensch auf der Welt einen Doppelgänger hatte und außerdem konnte sie auch ganz anders aussehen. Trotzdem konnte er nicht verleugnen, dass er das abgebildete Mädchen als hübsch und interessant empfand. Ende sechstes Kapitel Kapitel 7: Aufbruchsstimmung ---------------------------- *** Aufbruchsstimmung „Leute, wir sollten uns langsam mal Gedanken machen, welche Lieder wir spielen wollen.“, fragend blickte Hero in die Runde, während in ihren Händen die Fragebögen für den Rest der Band ruhten. „Was'n für Lieder?“, kam es gelangweilt von Nitan, die seelenruhig eine ihrer Strähnen um ihren Finger wickelte und in der neuesten Ausgabe der Elle blätterte. Nach dieser Aussage zuckte bei Ju die Augenbraue gefährlich nach oben, während die Anderen das süße Blondchen nur mit weit aufgerissenen Augen und fassungslosem Gesichtsausdruck betrachteten. Ein leises Räuspern der IT-Website-Drummer-Presse-Managerin erklang, bevor sich ihre Stimme mit einem gefährlich, drohenden Unterton in die Stille des Raumes drängte. „Meine Liebe. ...“, begann sie und wartete, um die Aufmerksamkeit der Elle-Leserin zu bekommen, „... falls es dir entgangen sein sollte – was ich kaum annehme und daher gehe ich davon aus, dass dir das Gehirn raus gezwitschert wurde – wir geben in nicht einmal drei Monaten ein Konzert. In Russland.“, ein liebreizendes Mörderlächeln bekräftigte diese Aussage. Nitan hob abrupt ihren Kopf und sah zuerst die Bandkollegin und dann den Rest mit einem unfassbaren Blick der langsamen Erkenntnis an. „Oh.“, war das erste leise Lebenszeichen, bevor sie ruckartig aufstand und Ju empört ansah. „Was hast du eben gesagt?“, zischte sie. Die Hände waren zu Fäusten geballt. „Das wir ein Konzert in Russland geben?“, lächelte es der lodernden Finnin entgegen. „Das meine ich nicht, was du davor gesagt hast!“, diesmal kamen die Worte leicht schrill und schräg in der Tonlage, während die Unschuld sie noch immer brav mit erhobenen Mundwinkel ansah. „Was hab' ich denn gesagt?“ „Das … das … das mir das Gehirn rausgezwitschert ist.“ „Und?“, voller Erwartung wurde sie von der Halbchinesin betrachtet. Die Luft entwich den weichen Polstern und wirbelte kleine Staubflocken auf, die sich jedoch gleich wieder im Segelflug auf die Landung vorbereiteten. Wütend hatte sich Nitan wieder auf ihre vier Buchstaben gesetzt und die Arme vor der Brust verschränkt. „Mit dir rede ich kein Wort mehr.“, brummte sie und drehte ihren Kopf demonstrativ von der Drummerin weg. Hero gab ein Seufzen von sich: „Solange du noch mit uns auf die Bühne kommst und singst, meinen Segen hast du.“ Nun war es die Japanerin die mit Blicken bedacht wurde. Sich plötzlich unwohl in der Haut fühlend, zuckte das Mädchen mit den Schultern und meinte daraufhin: „Na, was denn? Wenn sie mit Ju nicht mehr reden will, bitte. Hauptsache ist doch sie singt, oder?“ Zuerst geschah nichts. Doch dann bebte der Raum von ungehaltenen Gelächter, dass bei den männlichen Anwesenden ein leichtes Vibrieren mit sich brachte und in manch Frauenohr für wahre Hochstimmung sorgte. Es war Kari, die nach einigen vergossenen Lachtränen wieder zu sich fand und mit amüsierten Blick zu Hero auf die Blätter deutete, die noch immer ein auf dem Arm hängendes Dasein fristeten. „Sind das die Vorschläge?“, kicherte sie. Wieder auf den Boden gebracht und in der Realität zurück, meinte Hero leicht verwirrt von dem vielen Stimmungswechseln: „Eh... nein, dass ist nur ne Auflistung von allen Liedern. Dachte wir stimmen gemeinsam darüber ab.“ „Auch gut.“,zwinkerte Ju und streckte ihre Hand entgegen. „Her damit.“ * Er war in sein Buch vertieft und lehnte den Kopf an den kalten Fensterrahmen, während Leni sich im Schlaf näher an Dima gekuschelt hatte. Es war aber auch kein Wunder, das Abteil war kaum beheizt und außerhalb des Zuges herrschten Minusgrade – Vorboten des nahenden Schneesturmes. Diesem Unwetterschauspiel waren Kostja, Dima und Leni nur durch den Anruf von Beljajew entkommen, der eigentlich nur seine WM-Teilnehmer vor einem frühzeitigen Aus bewahren wollte. Im Radio hatten die drei erfahren, dass von den Wetterfachleuten prognostiziert wurde, das die heftigen Winterstürme nicht nur intensiver, sondern auch für einen längeren Zeitraum andauern und Zahlreicher sein würden. Eine Zugfahrt war bei solch einem Schneetreiben unmöglich, da die Schienen einfach zu schnell eingeschneit werden würden. Um zu verhindern, dass seine Schützlinge nicht rechtzeitig zu den Trainingseinheiten in Moskau eintrafen, hatte Beljajew einfach vorgesorgt und telefonisch zwei Tickets für die Beiden am Schalter des örtlichen Bahnhofs hinterlegen lassen. Lenis Karte hatte Dima in Kauf genommen, für den das Ganze ein Trinkgeld an den Schaffner war – natürlich musste Kostja in der Zeit die gute Seele der 3er WG mit anderweitigen Dingen beschäftigen, damit diese von dem Kauf nichts mitbekam. Die Jungs kannten ihr Mädchen gut genug, um zu wissen, dass sie auf der Stelle umgedreht wäre. Überhaupt war Kostja merkwürdiger Weise froh darüber, es noch rechtzeitig geschafft zu haben, los zu kommen. Obwohl er keinen Sinn darin sah, sich wieder fertig zu machen, nur um am Ende den zweiten Platz zu ergattern, war er nach dem Telefonat sofort in sein Zimmer packen gegangen. Verwundert über sich selber legte der junge Russe sein Buch bei Seite und sah der vorbeifliegenden Landschaft zu. Erkennen tat er nichts, da alles in dem grellen Weiß des umherwirbelnden und liegenden Schnees unterging. Kostja blinzelte mehrmals und versuchte sich daran zu erinnern, warum er nicht einfach abgesagt hatte. „Hoffentlich hat Beljajew uns ernst genommen, als wir gesagt haben, dass wir Leni mitnehmen.“, brummte Dima in die Stille hinein und riss damit seinen Gegenüber aus den Gedanken. „Hm.“, gab Kostja noch immer nachdenklich zur Antwort. „Ich mach mir nur Sorgen, falls der Typ das nicht gecheckt hat.“, gab der Ältere zum Einwand und verschränkte seine Arme vor der Brust. Dabei warf er einen Blick auf Leni, die ihre Wange an seine Schulter geschmiegt hatte, während ihr brünettes Haar in sanften Wogen das Gesicht umrahmte. „Er wird schon dran denken. Du hast es ihm schließlich mehrmals gesagt.“, meinte Kostja matt und suchte die Stelle im Buch, an der er mit Lesen aufgehört hatte. Dima sah von der Schlafenden auf und bedachte seinen Trainingskollegen mit verstimmter Mimik. „Und wenn nicht?“ „Dann wirst du auf dem Sofa schlafen und Leni in dem Bett, was für dich bestimmt war.“, gab dieser ohne aufzublicken von sich. Kurz darauf erklang ein empörtes Schnaufen: „Und was ist, wenn ich gerade deswegen, weil Beljajew nicht an Leni gedacht hat und ich dafür auf dem viel zu unbequemen und kleinen Sofa schlafen musste, gleich meinen ersten Kampf verliere?“ Bei Kostja zuckten die Mundwinkel minimal nach oben, bevor er ruhig und gelassen antwortete: „Dann tauschen wir halt und ich schlaf' auf dem Sofa und … “, weiter kam der junge Russe nicht, da Dima mit seiner Stimme dazwischen donnerte: „Natürlich! - “, meinte er sarkastisch und sprach weiter: „ - und dann kommst wieder nur auf den Zweiten oder wirst gar noch Dritter und wer bekommt es dann dreifach auf den Deckel? - Ich!“ „Wieso dreifach?“, verwundert wurde der Ältere von Kostja angesehen. „Du, Leni, Beljajew. -“, brummte Dima und zog eine schmollende Mädchenschnute, „ - der alte Zausel wird mich wie Leni fertig machen, weil ich nicht auf dem Sofa geschlafen hab und du -“, mit festen Blick sah er den jüngeren Trainingspartner an, „ - du, wirst mich zwar nicht direkt angehen. Aber wenn ich dann zusehen muss, wie gefrustet du dann durch das Leben gehst. - Ne! Glaub mich, ich nehm das Sofa, du und Leni das Bett.“, damit war die Sache für Dima gegessen und er blickte stur hinaus in die weiße Flockenlandschaft. * Eine Stunde hatte es gedauert, doch jetzt standen sie in Formation vor Hero und spielten jedes Lied einmal an, um zu entscheiden, welches sie nehmen und wie die Reihenfolge sein würde. Das die junge Japanerin das Einsingen lieber ihren Freunden überließ, lag daran, dass sie siebzig Prozent der Melodien komponiert hatte. Hero war was Musik anging eine kleine, schüchterne Hochbegabtheit – die mit einem Abwinken der Hand oder dem verlegenen Lachen, diese Feststellung gerne zu vertuschen versuchte. Meist gelang ihr es sogar. Leider war das kein Garant, dass der Rest der Crew sie beim Auftritt nicht doch noch dazu zwang die Stimme zu erheben und ihre eigenen Balladen vom Besten zu geben und Singen, dass konnte sie neben all der Komponiererei auch noch. Dafür hatte sie an anderen Stellen gewaltige Defizite aufzuweisen, die Nitan liebend gerne schon längst aus der Welt gesprengt hätte, gäbe es nicht Ju. Die junge Halbchinesin wurde in Gegenwart der Japanerin zu einer Glucke, die ihr Küken nicht aus den Augen ließ und vor alles und jeden zu beschützen versuchte. Seit dem Weihnachtsvorfall hatten aber die gesamte Gruppe einen wachsamen Blick auf Hero und ihre männliche Umgebung – falls diese nicht schon vorher durch den männlichen Anteil der Crew die Flucht ergriffen. „Seid ihr euch sicher, dass es dann nicht mit einen Intervall in F-Dur weiterging und dann erst der Rhythmus in einen zweiter Takt wechselt?“, unterbrach Hero das musikalische Klangwerk und sah irritiert zwischen den Notenblättern in ihrer Hand und den Gesichtern der Musiker hin und her, die ohne Noten das Werk zu spielen wussten. „Hero, das ist die alte Fassung, die du da vor dich hältst.“, meinte Kari und ging blätterte in ihrem geschlossenen Ordner nach dem Musikstück. „ - Du hast mich Jack vor dem Weihnachtskonzert diese Stelle noch einmal abgeändert, weil es sich im gesamten nicht harmonisch genug eingefügt hat.“, sprach die Brasilianerin weiter und zeigte auf die korrigierte Stelle. Neugierig kam Hero näher und besah sich die Abänderung. Nur langsam kam die Erinnerung an den Nachmittag zurück. „Ah, ja. Stimmt.“, gab sie peinlich berührt zu und kritzelte sich die Abänderung in ihre Notizen. Währenddessen wandte sich Gilbert an Ju: „Sag, wie lange spielen wir eigentlich?“ - „Ähm, der Veranstalter meinte, so zwei Stunden müssten wir schon durchhalten, sonst lohnt es sich nicht.“ „Na, die schaffen wir dicke!“, protzte Nitan, während sie sich mit ihren Fingern die Haaren verzwirbelte. „Wir haben zu Weihnachten fast vier Stunden non stop gespielt, da ist ja das ein Kinderspiel.“ - „Da haben wir aber auch einige Lieder mit Technobeats unterlegt, damit abgerockt werden konnte.“, widersprach die Halbchinesin, „Und das waren ja unsere längsten Songs, die fast zehn Minuten gingen. - Die Veranstaltung in Moskau wird eine eine reine gesangliche Darbietung.“ Nitan winkte daraufhin nur mit der Hand ab und band sich die Haare nach oben. Ihr Selbstbewusstsein war gigantisch und manchmal wünschte sich Ju, die Blonde würde dem Rest der Gruppe hin und wieder was abgeben und dafür etwas vom introvertierten Verhalten von Hero abbekommen. Leider war dies ein Wunschdenken, obwohl sie selber sagen und zugeben musste, dass sich die kleine Japanerin gemausert hatte. Natürlich hatte es nach Weihnachten einen enormen Rückfall gegeben, doch seit Silvester schien die Jüngste der Truppe einigermaßen wieder in den Alltag gefunden zu haben. * Japan wurde noch immer von schweren Schneestürmen der brutalsten Art heimgesucht. Vereinzelte Stellen des Tokioter Hafens waren von einer zehn Zentimeter Eisschicht bedeckt. Gleichzeitig verursachte die langanhaltende Kälte vermehrten Ausfällen der Stromverbindungen. Da die Korrosion sich durch die gummiartige Ummantlung der Kabel fraß und diese brüchig werden ließ – am Ende brauchte es nur einen mittleren Windstoß, um die Stromkabel endgültig zum Brechen zu bringen. Aus Angst, der Winter könnte sich bis in das späte Frühjahr ziehen, entschloss die Kendo-Vereinigung Japans ihre Teilnehmer bei der nächstbesten Wetterlage außer Landes fliegen zu lassen. Die Vorbereitungen waren in Eile getroffen wurden, doch die Umsetzung ließ an nichts zu wünschen übrig. Takeru hatte ihr von dieser Maßnahme erzählt. Natürlich hatte sich Akemi gefreut, dass die Trainervereinigung des Kendosports so an ihre Sportler dachte, gleichzeitig hatte es ihr auch einen Stich versetzt, da ihr bewusst wurde, dass ihr Geliebter jederzeit abberufen werden konnte; ohne dass sie eine eventuelle Chance der Verabschiedung bekommen würde. Daher glich jeder Abschied einer Verabschiedung. Seine Hände hielten ihre Finger zärtlich vor seine Lippen, während er wispernd beruhigende Worte sprach. „Der Wetterbericht hat für die nächsten zwei Wochen das gleiche Wetter angesprochen.“, er sah ihr in die Augen. „Wenn wir Glück haben..“, federleicht berührte sein Mund ihre Fingerspitzen, „... dann kann der reguläre Termin eingehalten werden und wir haben noch jede Menge Zeit.“ Seine Hand löste sich und strich ihr eine Schneeflocke aus den Haaren, während er ihr immer näher kam und zärtlich die Ecke ihres Mundes küsste, um langsam und mit bedacht ihre Lippen vollkommen mit seinen zu belegen. Gleichzeitig wanderte seine Hand zu ihrer Wange und blieb dort wärmend liegen. Akemi hatte schon längst die Augen geschlossen und schmiegte ihr Gesicht an seine wärmte Handinnenfläche. Nach der ersten streichenden Berührung seiner Zunge öffnete sie ihre Lippen und ließ zu, dass sich die zarten Berührungen zu etwas Intensiverem wandelten. Ihr Finger lagen nicht mehr in seiner Hand, sondern strichen bedacht dürch sein schwarzes, und von dem fallenden Schnee durchnässtes Haar; glitten unter seinen Schal den Hals hinab und massierten mit fordernden Druck den männlichen Nacken. Ein Arm umschlang ihre Taille und veranlasste sie ruckartig näher an ihn heranzutreten. Etwas, was sie dazu veranlasste sich an seiner Schulter festzuhalten und den Finger der anderen Hand durch sein Nackenhaar zu streifen. Der Druck auf ihren Lippen wurde heftiger und die Zunge forscher. Sie genoss es und gab es durch ein gefühlvolles Seufzen kund. Ein Prickeln stieg in ihr auf. Ein Gefühl, dass sich in den letzten Tagen, seit sie mit Takeru zusammen war immer mehr intensivierte, je heftiger ihre Küsse wurden. Sie lösten sich von einander, atmeten nah beieinander die kalte Winterluft ein und fanden sich kurz darauf wieder. Diesmal lehnte sich nach kurzer Zeit an der Eingangstür ihres Elternhauses und zog ihn am Kraken seines Mantels näher an sich. „Ich sollte jetzt gehen.“, flüsterte Takeru. Wissend, dass hinter den seidenen Gardinen wachende Augen auf das Geschehen blickten. „Noch nicht.“, wisperte Akemi atemlos und drängte ihre Lippen wieder an die Seinen. „Ich muss.“, meinte er und brachte Abstand zwischen sie und ihm. Er küsste sie auf die Stirn und vergrub seine Hände in die Manteltaschen. Sein Handy vibrierte und verriet ihm, dass er sich schleunigst auf den Weg machen sollte. Sein Großvater, ein gütiger Mann. Er rief ihn immer an, wenn er die Zeit vergaß und schon längst daheim sein sollte, um sich auf den Wettkampf vorzubereiten. Ein Bündnis zwischen Enkel und Großvater, das geschlossen wurde, als Takeru Akemi als seine feste Freundin erwählt hatte und sie diese Entscheidung mehr als nur bejaht hatte. Und alles nur, damit sein Vater keinen Tobsuchtsanfall bekam. Eine Freundin war nach der Ansicht seines Erzeugers nur eine dumme Ablenkung vom Training. Schwachsinn. Für Takeru war Akemi der rettende Anker all die Jahre gewesen und jetzt war sie seine süßeste Ermutigung zum Training. Mit einem tiefen Seufzer zog er sein Handy aus der Tasche und zeigte es ihr mit wehleidigen Gesichtsausdruck. Sie besah sich das Display, presste ihre schönen Lippen aufeinander und sah ihn an. „Noch ein Kuss.“, hauchte sie mit Blick auf seinen schön geschwungenen Mund, der wie ihrer leicht gerötet war und so erregende Gefühle in ihr weckte. „Noch einen.“, flüsterte er kurz darauf an ihre Lippen. Opa Masao drehte sich von dem Fenster weg und brummte. „Der schwängert sie ohne, dass sie sich ausziehen muss.“ Geschockt über diesen Ausspruch sah Oma Ono ihn an und schnappte nach Luft. „Masao.“, hauchte sie und blinzelte einige Male, bis sie ihre Stimme wieder hatte. In der Zwischenzeit hatte sich ihre Gatte an den Esstisch gekniet und besah sich die köstlichen Speisen. „Soweit ich mich erinnern kann,“, begann Oma Ono, „warst du noch viel schlimmer.“ Auf den darauffolgenden empörenden Gesichtsausdruck, bestätigte sie dies mit einem „Jawohl“ und wandte sich ihrer Strickarbeit zu, während Beide auf ihre ältestes Enkelkind warteten. * Vom Bahnhof hatte Beljajew seine beiden Schützlinge und deren Verpflegungsmanagerin mit einem Mercedes-Geländwagen abgeholt. Der Schnee lag hier fast genauso hoch, wie in dem kleinen Ort aus dem die Drei mit dem Zug geflohen waren; doch hier wurden die wichtigsten Straßen professionell geräumt und gestreut. Zügig für Moskauer Verhältnis schlängelte sich das schwarze Gefährt durch den massigen Verkehr und hielt irgendwo nah am Zentrum der russischen Hauptstadt vor der riesigen Glasfügeltür eines Hotels. Interessiert blickte Dima aus dem Fenster des Autos und starrte nach oben. Der Name des Gebäudes war nicht zu erkennen, denn den Prunk am Eingang besaßen viele Hotels in Moskau. Doch eines wusste er jetzt schon, nachdem er ausgestiegen war, es konnte höchstens eine drei Sterne Unterkunft sein – der Türöffner für weitere Sterne fehlte. Da sie nicht viel Gepäck bei sich hatten, brauchten sie keinen Pagen für ihre Sachen. Mit Unbehagen standen Kostja und Leni im weitläufigen Wartebereich während Dima bei seiner Besichtigung hier und da die Nase leicht rümpfte und offen andeutete, dass er besseres gewohnt war. Jedoch sprach er dies nicht aus. Erleichtert, das Beljajew auch an Leni gedacht hatte, nahmen die Drei die Schlüssel entgegen. Leni würde ein Einzelzimmer bekommen, während für die beiden jungen Männer der Wohnbereich eines Doppelzimmers zum Schlafbereich umgebaut worden war. Freiwillige beschloss Dima in dort zu schlafen, damit der Champion einen seligen Schlaf bekam. Nach dieser Aussage hatte er sich von Kostja einen bösen Blick und von Leni einen Schlag an den Arm eingefangen. Seinem Grinsen tat dies kein Abbruch. „Also.“, meinte Beljajew. „Ich werd euch mal ankommen lassen. Ich meld mich bei euch.“, dabei sah er Kostja und Dima an, „wenn eure Trainingszeiten endgültig feststehen und bei den anderen organisatorischen Sachen.“, damit verabschiedete er sich und ließ die drei allein in dem Hotel zurück. Leni war kurz darauf ebenfalls in ihren Räumlichkeiten verschwunden und war am auspacken, wie Dima. Nur Kostja stand in vor dem Bett, auf dem er die Nacht verbringen sollte und betrachtete dieses argwöhnisch. Niemals. Er würde zwar auf dem Bett schlafen aber in seinem Schlafsack. Die Abneigung gegen fremde Matratzen und Bettwäsche kam in ihm hoch und er wandte sich schnell von dem Doppelbett ab. Mit schnellen Schritten ging er ans Fenster und sah hinaus auf die vielbefahrene Straße. Zwischen den Häuserfronten hindurch konnte er den roten Stern am Roten Platz sehen und die bunten Zwieblkuppeln der Basilius-Kathetrale. Seine Hände vergruben sich in den Hosentaschen seiner Jeans und der Duft von Karamell stieg ihm in die Nase. Für einen Moment erlaubte er es sich die Augen zu schließen und einfach nur in Erinnerungen zu schwelgen. In Erinnerungen an sie. Als er wieder aus dem Fenster sah, manifestierte sich ein Bild in ihm von ihr, von der vagen Vorstellung ihres jetzigen Aussehen. Unwirsch schüttelte Kostja den Kopf und senkte seinen Blick. Ausgerechnet dieses Bild. Er musste später nochmal auf die Website. Und dennoch fand er sein Benehmen so Schwachsinnig, sie konnte wer weiß wie aussehen und er stellte sie sich wie dieses weibliche Bandmitglied vor. Diese Augen, diese verdammten Augen; ihre Augen. Als er sich wieder dem Raum zuwandte, entdeckte er Dima, der mit einem wissenden Lächeln an der Tür lehnte, die beide Räume verband. „Alter. Erzähl mir endlich, wer sie ist.“, mit dieser Aussage wusste er, dass gleich irgendwas auf ihn zugeflogen kam. Mit allem hatte er gerechnet, aber nicht mit - „Von ihr hab ich das Karamellbonbon. Sie ist Katos Schwester.“ * Ein Kribbeln durchfuhr ihren Körper als sie das Ticket in den Händen hielt. Bald würde es losgehen. Immer wieder drehte sie das Stück Papier in ihren Fingern und besah sich den Abflugtermin. Noch ein wenig, noch ein wenig warten und dann wäre sie in Russland. Seinem Land. Sie würde ihn wiedersehen. Nicht im Fernsehen, wie sie es die letzten Jahre getan hatte, sondern leibhaftig. - Ihr Atem stockte. Sie würde beide wiedersehen. Ihn und ihren Bruder. Das Herz in ihrem schlanken Körper schlug heftig und ein erregtes Zittern durchfuhr ihre Nerven. Die Aufregung ließ sie beben. Bald. Ganz bald. Mit diesen Worten schloss sie ihre braunen Augen und lächelte. Ende siebtes Kapitel Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)