Karamellbonbon von blechdosenfee ================================================================================ Kapitel 1: Acht Jahre altes Karamellbonbon ------------------------------------------- *** Japan - Tokio Die sommerliche Mittagshitze verwandelte die Stadt in einen erbarmungslosen, siedenden und unerträglichen Kessel. Gelangweilt aalten sich die meisten Menschen in der brühenden Sonne und ließen sich bräunen. Nur wenige begaben sich in den Schatten, um enttäuscht festzustellen, dass die begehrte Abkühlung bei diesen Hochtemperaturen einer Utopie glich. Der Schweiß rann den meisten wie eine Flut kleiner Flüsse über den Körper und sammelte sich an bestimmten Stellen wie kleine Seen in der Kleidung, nur um unansehnliche dunkle Flecken zu hinterlassen. Trotz der großen Sommerhitze herrschte in einer kleinen Arena der Ausnahmezustand. Mit panischen Blick auf die Temperaturanzeige seines kleinen All-Round-Weckers tupfte sich der Veranstalter den Schweiß von der Stirn. Die Krawatte lag schon längst auf dem Tisch und fristete, wie das Jackett ein ungenutztes Dasein. 'Vierzig Grad' Da halfen nicht einmal mehr die kleinen Ventilatoren, die bis zum Anschlag die erwärmte Luft zirkulieren ließen, um den Schein zu wahren Kühle zu schaffen. Allen Anschein nach, hatten die Klimaanlagen auch schon besser Tage erlebt. Zumindest kühlere, die nicht erfordert hätten, dass sämtliche Anlagen auf dem Maximum ihrer Möglichkeiten liefen. Was hatte nochmal in der Beschreibung gestanden? Auch bei über fünfvierzig Grad einsetzbar. - Von wegen. Aber vielleicht lag es auch nur daran, dass gerade über 500 Zuschauer die Arena mit spannenden Blicken betrachteten, wo sich gerade Russland und Japan ein heißes Duell lieferten. Himmel, musste es ausgerechnet heute so heiß sein. Dem Veranstalter lief der Schweiß. In der Arena war das Finale eingeläutet worden. Kato gegen Kasakow. - Japan vs. Russland. Diese Konstellation der Gegner war neu. Sonst hieß es immer wir gegen die USA. Doch diesmal waren die verrückten Amis von Russland regelrecht weggefegt wurden. Der Journalist, der den ganzen Kampf mit der Kamera aufnahm und sich erste Notizen zu dem Spektakel machte, wusste schon, wie der Artikel lauten würde, der Morgen früh in allen Zeitung Japans zu lesen sein würde. 'Weltpremiere für Russland – Sieg Japan' Ryuu Tamaki, war nicht nur für seine langen und geschmeidigen Artikel mit aussagekräftigen Titel bekannt, sondern auch für die Gabe vorherzusagen, wer gewinnen würde und im Moment hatte Japans Goldjunge Takeru Kato die Nase vorne. Sehr weit vorne. Zu weit für den russischen Kontrahenten – aber der Junge war gut und vielleicht würde er heute nicht gewinnen, aber irgendwann würde Japan mal in die Knie gehen müssen. Der Gedanke schmerzte den Journalisten, aber was sein musste – musste nun einmal. „Hide-san, haben Sie alles auf der Totalen?“ „Ja, Tamaki-buchõ!“ „Dann ist ja gut.“, anerkennend nickte er seinem jungen Kollegen zu, der trotz der großen Hitze seit zwei Stunden hinter der Kamera stand und nun ein Kampfpaar nach dem anderen filmte. Die Zuschauer hielt es kaum noch auf den Rängen und die Hitze, die war momentan nicht in ihren Köpfen. Der Körper konnte leiden, aber der Kampf durfte nicht verpasst werden. Da konnte auch der kleine Hosenscheißer in Reihe vier auf Platz neun, so laut brüllen, wie er wollte. Papa hatte eh keine Augen mehr für ihn und im Grunde schrie er gegen eine Wand von grölenden und jubelnden Fans. Es war aber auch zu spannend, was die beiden Kontrahenten zeigten. Knapp verfehlte der Japaner seinen Gegner, um nur kurz darauf ihn doch noch irgendwie zu erwischen. Zwar waren seine Angriffe nicht die Welt wert, aber er brauchte nur noch einen Punkt auf dem Konto um gegen diesen Möchtegernjapaner, der nur im Land der aufgehenden Sonne lebte und in seinen Augen ein Zeittourist war, zu gewinnen. Knapp vorbei, war auch daneben. Um ein Haar hätte Kostja diesen aufgeblasen Japaner am Arm erwischt. Aber nur fasst. Der Typ bewegte sich seines Erachtens nach viel zu viel. Leider brachte dem diese Taktik auch die erwünschten Punkte, die ihm ausblieben. Es war aber auch wie verhext. Er hatte nicht mal einen Punkt und sein Gegner brauchte nur noch Einen. Und immer dieser Schweiß. Alles klebte. Plötzlich lag das Handgelenk von seinem Kontrahenten frei. Kostjas Shinai sauste hinab und … traf. Wenigstens schon mal einen Punkt. Doch freuen konnte sich der Russe nicht, denn nur wenige Sekunden später brach ihm der zweite treffsichere Schlag des Japaners symbolisch das Genick. Aus und vorbei. Kostja schrie vor Wut. Innerlich, äußerlich wahrte er das Gesicht eines Geschlagenen und gratulierte. Doch seine zur Faust geballte Hand verriet ihn. Takeru schlug ihn dankten auf die Schulter. „Hey, das nächste Mal.“ Welch gespielte Freundlichkeit von den Beiden an den jeweils anderen gesandt wurde, bekamen die Zuschauer nicht mehr mit. Sie wollte ihren Helden feiern. Kostja wollte ein bissiges Argument abgeben, doch ihm kam jemand zuvor. „Onii-san“ Der Russe sah, wie Takeru herumwirbelt und mit offenen Armen ein junges Mädchen empfing. Nicht älter als neun, schätzte er. „Onii-san. Du hast gewonnen.“, gluckste sie und ließ sich von ihrem Bruder auffangen. Dieser hob sie in die Höhe und drehte sich mit ihr um die eigene Achse. Beide strahlten um die Wette. Kostja wandte sich von dem Bild ab. Er hatte nicht verdient länger an dem Ruhm teilhaben zu dürfen. Er hatte versagt. Seine Nation enttäuscht und gezeigt, wie schwach Russland war. Ohne auf die umstehenden Moderatoren und Journalisten zu achten, lief er geradewegs in die verworrenen Gänge des Stadions. Duschen - den Schweiß abwaschen, frische Sachen an und dann weg. Er musste halt noch besser trainieren. Das die Siegerehrung noch stattfand, war im egal. Er hatte Monate wie ein Besessener auf den Tag hin trainiert und nun, war alles vorbei. Viel zu schnell. Für dieses Debakel brauchte er keine Medaille. Das Silber konnten sie behalten. Tamaki war einer der Ersten, die mit dem jungen Kendoweltmeister reden durften. Dieser hatte gerade seine Schwester wieder auf den Boden abgesetzt, als er schon von dem Artikelschreiber in Beschlag genommen wurde. * Der Jubel war laut und erinnerte ihn immer wieder an den verlorenen Kampf. Kostja wurde das alles zu viel. Seinen Adoptiveltern wollte er im Moment nicht unter die Augen treten. Sicherlich waren sie enttäuscht von ihm. Mit Wucht knallte seine Faust gegen die Wand, an der er sich seitlich mit dem Oberarm angelehnt hatte. Die Bewegung wiederholte sich - immer wieder. „Bist du sauer?“ Ruckartig drehte sich der Vize um und blickte erstaunt in zwei fragende Augen. Er konnte im ersten Moment nichts sagen. Sie lächelte nur. Nachdem sich Beide ein Zeit lang angesehen hatten, brach sie mit der Stille. „Warum bist du denn sauer?“ „Du bist doch die Kleine, die auf Kato-san zugerannt ist.“ Nicken. „Warum bist du nicht bei deinem Bruder?“ Die Lippen wurde aufeinander gepresst und der Blick gesenkt. Sie hatte ihre Hände hinter den Rücken verhakt und schien mit der Fußspitze den Betonboden aufkratzen zu wollen. „Ich.“, sie brach ab. Es dauerte einen Moment und Kostja meinte schon keine Antwort mehr zu bekommen. „Onii-san hat jetzt eh mit den Presseleuten zu tun.“, meinte sie. „Und da bin ich dir hinterher gelaufen.“ Kostja sah sie erstaunt an. „Warum?“ Wer lief schon dem Zweiten der Rangliste hinter her. Wieder ein Lächeln, das sich zu einem Grinsen wandelte. „Weil ich deinen Art, wie du mit dem Shinai umgehst, toll finde.“ Mit einem begeisternden Blick sah sie ihn an. „Mein Bruder mag zwar gewonnen haben, aber ich fand, du warst der bessere.“ „Woher willst du das beurteilen?“ Kostja erschrak über sich selber. Er wollte eigentlich nicht so grob klingen. Er sah es dem Mädchen an, dass sie diese Reaktion nicht erwartet hatte. Die Offenheit war weg und vor ihm zeigte sich ein kleines schüchternes Kind. Das sich wahrscheinlich umdrehen und weinend wegrennen würde. Doch wider erwarten blieb sie und sah Kostja mit einem zaghaften Lächeln an. „Weil ich, seit ich...“, sie musste überlegen, und schien etwas zu rechnen, „...weil ich seit meinem vierten Geburtstag von meinem Großvater das Kendo gelehrt bekomme, und nach vier Jahren sollte ich ja schon etwas Ahnung haben, oder?“ Die letzten Worte kamen so leise, dass Kostja Mühe hatte sie zu verstehen. Jetzt tat es dem Russen auch schon wieder leid, so überreagiert zu haben. „Ich bin aber nur Zweiter. Deine Meinung teilt keiner.“, es klang zwar nicht mehr so grob, aber der Spott war zu hören. „Na und.“, trotzig hielt sie gegen. „Erster sein, bedeutet zwar Ruhm. Aber der Zweite zu werden, bedeutet weniger Stress. Schließlich muss Onii-san jetzt ein Spießrutenlauf der Presseleute überstehen.“ Kostja schnaubte nur und blickte zur Seite, aus den Augenwinkel konnte er sehen, dass das Mädchen gehen wollte. Doch sie blieb stehen und schien etwas in ihrer Rocktasche zu kramen. Als sie es gefunden hatte, drehte sie sich um und hielt ihm ein Karamellbonbon entgegen. „Für dich.“, sie grinste. „Damit du nicht so traurig bist, dass du es nur auf den zweiten Platz geschafft hast.“ Kostja zögerte. Provokativ steckte er seine Hände in die Taschen seiner Jacke. Dabei liebte er Karamell. „Ach übrigens, ich heiße Sakura.“, meinte sie lächelnd „Schön für dich.“, brummte er. „Ich leg dir das Bonbon hier hin, dann kannst du entscheiden, ob du es nimmst.“, mit einem breiten Grinsen und strahlenden Augen legte sie das Karamellkonfekt, das durch die Wärme des Sommers deformiert war, auf den Boden nieder. Sie verbeugte sich und ging. *** Acht Jahre altes Karamellbonbon * Russland Es schepperte und knallte in allen Variationen, die mit einem Shinai verursacht werden konnte. Wieder und wieder schlug Kostja mit voller Wucht auf die sieben Dummies, die in einen Kreis um ihn bildeten, ein. Wer ihm zusah, erkannte das er gut war. Wirklich sehr gut, aber er sah es nicht und empfand den Titel als Vize für eine Erniedrigung seiner selbst und damit auch seinem Stolz. Seine Schläge waren hart und präzise, die Kraft entlud sich kurz bevor das Shinai auf den Dummie traf. Erneut knallte es und der Griff des Shinai flog durch die Halle. „Das war schon das Neunte. Wieviele willst du noch zerdeppern?“ Wütend blickte Kostja seinen Trainingspartner an, welcher gelangweilt in der Ecke hockte und dem ganzen Treiben seit Beginn zusah. „Das geht dich nen Dreck an!“, geifte es. „Ist ja gut.“, beschwichtigend wurden die Hände vor den Körper gehoben und deuteten beruhigende Gesten an. „Bleib locker.“ Kostja schnaubte. Locker bleiben. Natürlich, einen besseren Rat hätte er jetzt auch wirklich nicht haben brauchen. Grimmig stampfte er durch die Halle auf der Suche nach den Einzelteilen seines letzten Shinais, das wie die Acht davor der Raserei des Russen nicht standhalten konnte. „Du weißt schon, dass die Dinger teuer sind?“ Für einen Moment hielt der Angesprochene inne. Nur nicht nerven lassen, denn die waren schon strapaziert genug. „Hey, ich rede mit dir.“, flötete es fröhlich aus der Ecke. „Du weißt hoffentlich, was dich beim nächsten Trainingskampf erwartet?“, zischte Kostja, während er die zerfledderten Bambusüberreste aufsammelte. Dima sah auf. „Sag mal, bist du so drauf weil du Druck hast oder wegen der WM?“, ohne auf eine Antwort zu warten, sprach er einfach weiter. „Wenn du Druck hast, kann ich dir ein paar ganz süße Schnecken empf...“, sprachs und wurde von einem umherfliegenden Bambusstab unterbrochen. „Au! Das tat weh.“, nuschelte Dima, während er seinen Kopf hielt. „Ich brauch deine abgearbeiteten Schnecken nicht und die WM...“, Kostja haderte. Ja, die WM. Sollte er wirklich nochmal daran teilnehmen. Würde er es diesmal packen oder wieder Zweiter werden. „Die WM also.“ Dima brachte es auf dem Punkt und seufzte. „Schade, bei Weibern hätte ich dir mehr helfen können. Kenn' da ein super Mädchen, die auf ein Kerl wie dich steht.“, sein Grinsen wurde immer breiter. Er mochte es Kostja mit dem Thema aufzuziehen. Schließlich war dieser, was das Weibliche anbelangte relativ prüde und das für einen Russen. In den gesamten sieben Jahren hatte er den Vizemeister nur zwei Mal mit weiblicher Begleitung gesehen und diese Beziehungen waren nicht von Langlebigkeit gesegnet. „Aber bei der WM. Also, das musst du schon selber wissen was du willst.“ * Schweiz Hero schlug die Hände über den Kopf zusammen. Immer wieder ging sie die Melodie im Kopf durch und jedes Mal hatte sie einen Haken. Einen disharmonischen Haken. Es war zum aus der Haut fahren. Seit Jahren hatte sie die Noten immer wieder innerlich abgerufen und nun, war alles nur noch Schall und Rauch. Frustriert warf sie sich mit dem Rücken voran aufs Bett. Die weiche Matratze, mit Daunenbettwäsche im Seidenüberzug belegt, federte sie beruhigend ab, während qualvolle Laute Heros Mund verließen. „Nein! Nein! Nein!“, maulte sie. „Das ist doch alles Mist.“ Ihre Finger tasteten sich über die schlanke Tastatur ihres Notebooks, fanden irgendwann den Knopf, um die Melodie auszuschalten. Einen tiefen Seufzer und verzweifelte Blicke später, rappelte sich Hero auf. Dem stetigen Klopfen an der Tür antwortete sie mit einem müden 'Herein'. „Hey!“, pure Freude schlug der jungen Musikerin entgegen und ehe sie es sich versah schaukelte ihr Bett kurz auf und sie blickte in zwei tiefe Schokoladen. Der prüfende Blick ihrer besten Freundin ließ erkennen, Hero hatte wieder über ihren 'Niemals-passendes-Ende-gefunden-Song' gebrütet. „Sag's nicht.“, Heros Stimme klang leise und reuevoll. Nein, gesagt wurde vorerst nichts. Ein anklagender Seufzer wurde vorgeschickt und ein wissender Blick hinterher. Schlecht gelaunt ließ sich Hero nach vorne Kippen und landete treffsicher mit der Stirn auf der Schulter ihrer Freundin. „Ich kann nichts dafür. Es ist in meinem Kopf.“, hauchte die Angeklagte und ließ sich das Streicheln über den Rücken gefallen. Ein wahre Wohltat, die aber von einem extremen Schrei, der bis in den kleinsten Knochen drang, unterbrochen wurde. Beide Mädchen richteten ruckartig ihren Blick zur Tür, wo wie von der Tarantel gestochen etwas Blondes auf sie zugerast kam und im letzten Moment vor dem Bett abbremste. Die Sprinterin ließ die Verdutzten gar nicht erst zu Wort komme. „Oh mein Gott!“, schrie es. „Es ist der pure Wahnsinn.“, ihr Blick fiel auf Hero. „Was ist der purer Wahnsinn?“, unsicher was der blonde Wahnsinn als nächstes Tat, rückte die Musikerin zum Bettende. Man konnte ja nie wissen, was noch kam. „Also, du... - nein, wir geben ein Konzert.“, kreischte es diesmal. „Das wissen wir.“, gab die Schokolade von sich. „Kari. Ich meine nicht das Schulkonzert.“, eine abwinkende Hand betonte die Nichtigkeit der Schulaufführung. „Ach, noch eins?“ „Ja-a.“, das Strahlen wurde immer breiter. „Und wo?“, Hero rückte wieder näher. „In Russland.“, platzte es bei der Blonden heraus. Es herrschte Stille. Weder Kari noch Hero wussten was sie darauf erwidern sollten. Aufgeregte blickte die Übermittlerin zwischen ihren Freundinnen und Bandkolleginnen hin und her. „Ja, und? Freut ihr euch gar nicht? Das ist unser erster internationaler Auftritt. Die Jungs und Ju wissen auch schon Bescheid. Hey, nun sagt doch mal was.“ „Äh.“, Kari versuchte den Anfang zu machen, blickte jedoch hilfesuchend zu Hero, die nur mit den Schultern zuckte und kurzzeitig das Gesicht zu einer Ahnungslosen verzog. Beide sahen gleichzeitig auf. „Sag mal, Ni“, begann Hero, Kari beendete„Wieso in Russland?“ Nitan ließ sich grinsend vor dem Bett nieder und blickte die Beiden verschwörerisch an. „Ganz einfach...“, aufmerksam hörten diese zu, „...wir sind in erster Hinsicht eine fast stinknormale Schülerband. Die Betonung liegt auf fast, schließlich haben wir schon zwei Alben draußen.“, das eigene Kichern unterbrach die Erklärung für einen Moment, „Aber, wir sind auch die einzige Gruppe, die in der Kendo-AG aktiv ist.“ „Was hat das mit Kendo zu tun?“ „Das will ich ja gerade erklären.“, maulte es mit einem bösen Blick auf Kari gerichtet. „Also, im Frühjahr...“, weiter kam die Blonde nicht, denn Hero fiel ihr dieses Mal ins Wort. „Wir dürfen bei der WM als Band auftreten?“, ungläubig starrte das Mädchen ihre Kollegin an. „Bingo. Hundert Punkte für die Kandidatin.“, freudig klatschte Nitan in die Hände. „Ne, oder?“, Kari war baff. „Wie jetzt, seit wann treten da Bands auf?“ Diese Frage war sehr berechtigt. Eigentlich wurden solche Veranstaltungen kaum in der Öffentlichkeit genannt. Nur Insider und wahre Fans wussten wann und wo die Wettkämpfe stattfanden. Aber auch darauf wusste Nitan eine Antwort. „Dreimal dürft ihr raten.“, sprudelte es aus ihr heraus. „Weil wir selber Kendo praktizieren?“, unsicher kam die Antwort von Kari. „Nicht ganz, aber das ist ein Grund weshalb 'wir' auftreten dürfen.“, der diabolische Unterton war deutlich herauszuhören. Nach einigen Momenten der Stille und Nitans Beobachtung, wie die Köpfe der beiden Mädchen anfingen zu qualmen, unterbrach die Blonde die Denkanalysen. „Ich sag's euch.“, die Aufmerksamkeit war wieder auf sie gerichtet. „Der Veranstalter der kommenden WM, will mit uns als Band auch das jüngere Publikum ansprechen. Wir machen gute Musik, die jeder hören will und wir sind selber als 'Nicht-Profis' im Kendobereich tätig.“ „Ja, aber woher... wieso, äh nein, wie ist der Veranstalter gerade auf uns gekommen?“, das Hero verwirrt war, konnte deutlich gehört werden. „Tja, Schätzen.“, hauchte Nitan laziv, nur um gleich darauf freudig zu quietschen „Das hast du unserer guten Ju zu verdanken.“ „Wie jetzt?“, klinkte sich Kari ein. „Internet, Süße.“, der Zeigefinger wurde gehoben, um den nachfolgenden Worten mehr Beachtung zu schenken. „Ihr wisst ja, nach unserem ersten Album hat Ju eine Website eingerichtet – natürlich kostet so eine Website ja auch was, na ja und das Geld bekommen wir mit Werbebannern für Kendo rein. Wir verkaufen unsere Websitepixel an Kendoschulen... ähm, Dojos auf der ganzen Welt.“ Ungläubig wurde die Blonde angesehn. „Und so, ist der Typ auf uns gekommen?“ „Ja, so könnte man das sagen, Kari.“ Wäre Nitan eine Porzellanpuppe mit beweglichen Augen, so hätte das Klimpern mit den Wimpern nicht nur visuell, sondern auch akustisch stattgefunden. „Oh, das wird ein Spaß.“, schrie das blonde Ding, das voller Übermut aufstand und in Heros Zimmer im Kreis hüpfte, mitten im Finale stehen blieb und einen Freudenschrei von sich gab, bei dem die anderen Beiden vor Schreck in das Gekreische einstimmten. * Kostja hatte mit Dima im Schlepptau den Heimweg angetreten. Beruhigend knirschte der Schnee und ihren Stiefeln, während im Westen letzte Sonnengesandte den Himmel erhellten. Es wäre ein ruhiger Heimweg gewesen, wenn Dima nicht bei jedem Rock angehalten und geflirtet hätte. Ein Knurren kam von Kostja, was mussten diese Eiskunstlaufverrückten ausgerechnet zu diesem See, der nur wenige Meter von der Trainingshalle lag, gepilgert kommen. „Hallo, du Schönheit.“ Ein Kichern folgte und säuselnde Worte, die wie flüssiger Honig flossen, kamen Dima über die Lippen. Kostja murrte, jedes Mal der gleiche Scheiß, nur mit anderen Begriffen. Die Bedeutung blieb die Gleiche. Er sollte dem Ganzen keine Beachtung mehr schenken und einfach weiter laufen. Das Dima ihm hinterher rief, ignorierte er. Genauso wie die Mädchen, die ihm mit ihrem süßen Lächeln ansahen. Seine Augen streiften sie nur, doch keine konnte ihn fesseln. Kostja betrachtete die mit Schnee bedeckte Landschaft. Als Kind hatte er es genossen mit seiner Großmutter dieses Bild zu sehen, doch heute berührte es ihn schon lange nicht mehr. Der Anblick eines verschneiten Russland kannte er zur Genüge. Plötzlich tat es weh. Es schmerzte, allein diese Aussicht erblicken zu müssen. Er wollte das, was er sah, teilen. Er wollte es mir 'ihr' teilen. 'Ihr' jene Gegend seiner Heimat zeigen und 'ihr' die Dinge erklären, die ihm seine geliebte Babuschka eröffnet hatte. Seit seiner ersten Teilnahme an der WM hatte er Japan, die Zweitheimat, verlassen. Seine Adoptiveltern sah er nur noch drei bis viermal im Jahr. Das Training war für ihn zum Leben geworden. Na ja, fast. Irgendwo tief in ihm, da hatte kein Trainingsgedanke ihn ausgefüllt. Dort drehte sich alles um ein Karamellbonbon, besser gesagt um die Person, die es ihm geschenkt hatte. Es war verrückt. Sie war damals Acht gewesen. ...weil ich seit meinem vierten Geburtstag von meinem Großvater das Kendo gelehrt bekomme, und nach vier Jahren sollte ich ja schon etwas Ahnung haben... Ganze vier Jahre jünger als er und ihr Bruder. Das sie mit ihrer Art sein Herz berührt hatte, war ihm erst bei der nächsten WM aufgefallen. Unbewusst hatte er nach ihr gesucht. Er wollte sie wenigstens sehen, wissen, was aus ihr geworden war, ob es ihr gut ging. Doch sie war nicht da gewesen. Nicht einmal, um ihren Bruder zu gratulieren. „Ich würde zu gerne wissen, an was oder 'wen' du gerade denkst, dass du so lächelst.“ Kostjas Gesicht verhärtete sich auf der Stelle und er blickte böse zu Dima. „Das geht dich rein gar nichts an. Klar?“ „Klar.“, grinste dieser nur. „Aber, du stellst sie mir schon vor? Irgendwann mal.“ „Da gibt es nichts zum vorstellen.“, meinte Kostja gereizt. „Ja, klar. Und das Karamellbonbon, dass du immer in deiner Tasche trägst – das hat dann auch keinerlei Bedeutung?“ Dima ignorierte den warnenden Blick. „Ich wundere mich nur, denn wenn es keine Bedeutung hätte, hättest du es schon längst gegessen. Du Karamellfreak.“ Ruckartig drehte sich die Welt für Dima. Er merkte am Ziehen seines Kragens und den wütenden Blick, dass er bei seinem Trainingspartner einen wunden Punkt getroffen hatte, den es nicht wieder anzupeilen galt. Kostja blieb still. Doch seine Augen sprachen Bände. Gefährlich funkelten die Blauen den Älteren an. „Schon gut, Junge.“ Dima versuchte den harten Griff seines Gegenüber zu lösen. „Ich sprech das Thema nicht wieder an.“, Allmählich ging ihm die Luft aus und nur langsam löste sich die eiserne Faust. So schnell wie Kostja ihn geschnappt hatte, ließ er dann auch von ihm und lief weiter. Der Angegriffene lockerte seinen Kragen, um besser Luft zu bekommen. Karamellbonbons waren bei seinem jüngeren Trainingspartner ein heikles, wahrscheinlich auch gefährliches Thema. Dima grinste. Er würde diesen Punkt zwar nicht mehr aufgreifen, aber seine Neugier wollte er dennoch befriedigen. Was hatte es mit diesem acht Jahre altem Karamellbonbon auf sich. Er würde das Geheimnis lüften und vielleicht, nein mit bestimmter Sicherheit, war gerade diese Karamellbonbon-Affäre der Grund für Kostja verschlossenes Verhalten gegenüber dem weiblichen Geschlecht. Heilige! Das Grinsen auf Dimas Gesicht wurde immer breiter. Dieses Mädchen musste er kennenlernen. Erstes Kapitel Ende. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)