Opfergaben von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 6: Die Variabeln ------------------------ Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan. Tausend Gedanken schwirren nach wie vor durch meinen Kopf und dabei möchte ich gar nichts denken. Ich will nicht ergründen, warum ich diese - seine - Frage für mich beantworten musste, ich will auch gar nicht wissen was die Antwort, die ich mir selbst gegeben habe bedeutet. Ich scheue mich vor der Erkenntnis. Dabei grinst sie mich mit bestechender Logik an. Zum ersten Mal in meinem Leben verspüre ich den Wunsch mich meiner vielgepriesenen, nüchternen Logik zu entziehen. Ich schaffe es nicht, das weiß ich. Gestern hing die Frage im Raum. Heute ist es die Antwort. Ich habe keinerlei Ahnung wie ich damit umgehen soll. Und nach wie vor stellt sich mit dir Frage was ER damit bezweckt. Warum zwingt ER mich in den Spiegel zu sehen? Was hat ER davon, wenn ich mein Innerstes zu ergründen beginne. Mein Innerstes. Bislang war alles so... ja, wie? Leicht wäre übertrieben. Nein, leicht war bis dato gar nichts in meinem Leben, aber ich bin meinen Weg immer bis zum Ende gegangen. Mit jeder Konsequenz. Ich habe mich allem gestellt und bin nie zurück gewichen. Von dem Moment an als ich beschlossen habe, für Mokuba zu sorgen und ihn vor allem zu beschützen, wusste ich, dass ich den Preis dafür zahlen muss. Doch das war es mir stets wert. Gleichgültig was es letztlich bedeutete. Und wenn man nun einmal in dieser Welt bestehen will, dann muss man unnahbar sein. Man darf nichts an sich heran lassen. Jede Schwäche hat ihre Konsequenzen. Das hat mein Stiefvater mir beigebracht und wenn er sich auch bei vielem irrte. In der Hinsicht hatte er Recht. Nur die Starken überleben. Deshalb habe ich so gekämpft um die Nr. 1 zu werden. Verflucht. Seinetwegen sitze ich schon wieder hier und denke über Dinge nach, die keiner Überlegungen bedürfen. Und schon wieder spüre ich seinen Blick auf mir ruhen. Ich bräuchte nur ein wenig den Kopf zu wenden und... Ich bin mir seiner Nähe so bewusst als wären wir die beiden einzigen Menschen im Klassenraum. Gleichgültig wie sehr ich mich bemühe, mich auf die Aufgaben vor mir zu konzentrieren, ich schaffe es nicht. Ich fühle seinen Blick und etwas in mir will ihn ansehen. Ja, ein Teil von mir will sich ihm zuwenden und in diese unglaublichen Augen sehen. Warum? Ich weiß es nicht. Vielleicht um eine Antwort auf all diese albernen Fragen zu bekommen. Dabei weiß ich, dass er mir keine Antwort geben wird. Der Unterricht zieht nur so an mir vorbei und meine Selbstbeherrschung bekommt von Minute zu Minute mehr Risse. Ich will hier weg. Ich will raus. Ich bete, dass die Glocke die Stunde endlich beendet und ich diesen Raum, seine Nähe, verlassen kann. Diese erdrückende Nähe, die mich anzieht und abstößt zugleich. Und doch weiß ich, dass es keine Gnade geben wird. "Kaiba." Habe ich damit gerechnet, dass er mich ansprechen würde? Habe ich deshalb länger im Raum verweilt als meine Mitschüler schon nach draußen strömen? Ich erwidere nichts, doch er kommt auf mich zu und ich warte. Verspüre sogar eine sonderbare Erleichterung als er endlich vor mir steht. Wieder dieser Blick. Er zwingt mich dazu ihn anzusehen. "Hast du eine Antwort auf meine Frage gefunden?" fragt er ruhig. Unglaublich. Er stellt die Frage so als würde er sich danach erkundigen wie das Wetter morgen wird. Wäre das Ganze nicht so verstörend hätte ich gelacht. Ich bemühe mich Contenance zu bewahren. Zumindest ein wenig. "Wieso ist dir diese Frage so wichtig, Yugi?" kontere ich und bin mit mir selbst zufrieden. Gegenfrage. Das ist gut. Ich darf mich nicht wieder in die Defensive drängen lassen. Er lächelt mich zuckersüß an. Da ist er wieder... dieser Mund. Ich schlucke unwillkürlich. Und was passiert? Er überrumpelt mich abermals. Er ignoriert meine Gegenfrage und wechselt das Thema. Tut er das wirklich? Er beugt sich zu mir und nur mein Pult ist noch zwischen uns. Ich rühre mich nicht, muss aber an mir halten, dass ich nicht automatisch zurück zucke. "Bist du glücklich?" fragt er. Was zum Teufel sollen diese verrückten Fragen? Was denkt er sich nur dabei? Und wie lange will er dieses alberne Spielchen noch spielen. Ich lache kalt und lege wieder all meinen Spott, den ich aufzubringen vermag, in meine Stimme. "Ich glaube nicht an Glück, aber ich glaube daran Dingen einen Wert zuzuordnen." entgegne ich ruhig. "Gut." befindet er gelassen und kommt noch ein Stückchen näher. Himmel, ich sollte aufstehen, ich sollte nicht einfach so da sitzen und zu ihm aufblicken. Das ist die falsche Position. Aber ich tue es nicht. Ich bleibe sitzen und halte seinem Blick stand. "Und was macht den Wert deines Lebens aus?" will er wissen. Ich seufze und schüttele den Kopf. "Was bezweckst du mit diesen albernen Fragen, Yugi? Hast du nichts besseres zu tun? Spiel dieses kleine Spielchen doch mit deinen Freunden. Ich bin nicht in der Stimmung für philosophische Fragen." erwidere ich barsch, aber es nützt nichts. Er ignoriert meinen Einwurf - schon wieder. "Machen dir die Fragen Angst, Kaiba?" Jetzt ist er derjenige der spottet. "Yugi, ich bitte dich..." Ich lache und es klingt künstlich, nicht nach mir. Wir wissen beide, dass ich meine Gelassenheit gerade vortäusche. "Verängstigt, Kaiba?!" - Verschüchtert, verschreckt, versteinert, verblüfft - durch dich! - scheint alles in mir zu schreien und fast kommen tatsächlich diese Worte aus meinem Mund. Ich schaffe es gerade noch meine Lippen aufeinander zu pressen. Was denke ich mir nur? Ich lasse mich doch nicht von diesem kleinen... einschüchtern. Nun ja, eigentlich gelingt es ihm doch gerade. Verdammt. Sekunden vergehen und wir starren uns an. Ich weiß, ich muss jetzt reagieren und alles hängt davon ab. Wenn ich weiterhin in der Defensive bleibe, dann... ich weiß nicht was dann ist, doch sicher nichts gutes. Was ist die Logik in Wahrheit? Wer entscheidet, was Vernunft ist? Ich wende den Blick von ihm und erhebe mich betont lässig. Es fällt mir schwer und ich bin sicher, dass er es weiß. Ich bewege mich wie in Zeitlupe. Und in Zeitlupe tritt er zu mir. Ich lasse es geschehen. Schon wieder. Ich weiche nicht zurück und ich sage mir selbst in dem Augenblick, dass ich es nicht tue um keine Schwäche zu zeigen. "Wenn wir das Eis schon nicht brechen können..." flüstert er kaum hörbar. "Dann was?" Ich funkele ihn wütend an. Keine Ahnung was er da fasselt, keine Ahnung warum ich nachfrage. Keine Ahnung was ich hier überhaupt tue oder er meine Frage beantworten wird. Ich kann ihn nur ansehen und... Er gibt mir eine Antwort. Eine direkte Antwort und es trifft mich wie ein Blitz. Seine Lippen legen sich auf meine und ich schließe die Augen. ardor Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)