Opfergaben von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 5: Die Fakten --------------------- "Wenn du die Zügel einen Moment aus der Hand legen müsstest, wem würdest du sie geben?" Seine Worte hallen unablässig durch meinen Kopf. Ich kann nichts dagegen tun. Ich höre seine Stimme und immer wieder die gleiche Frage. Egal was ich versuche, es gelingt mir nicht sie zu verbannen. Die ganze Situation war aberwitzig. Vollkommen absurd. Ich weiß nicht was passiert wäre, wenn Fräulein Aino nicht erschienen wäre. Und wieder... wird mir der Hals gerettet. Erst Roland, dann Fräulein Aino. Was wäre passiert, wenn sie nicht gekommen wäre? Ich weiß es nicht. Aber für einen vollkommen konfusen Moment habe ich gedacht, dass wir uns dann geküsst hätten. Er und ich. Ich und er. Kann sich das jemand vorstellen? Allein der Gedanke daran... Nein, ich darf nicht daran denken, ich will es nicht! Seine Lippen waren den meinen so nahe... sein Atem streifte schon mein Gesicht. Oh Gott, selbst wenn ich mich daran erinnere, rast mein Herz. Ich kann darüber nachdenken soviel wie ich will... ich verstehe es nicht. Nein, ich verstehe ihn nicht. Was sollte das Ganze? Was bezweckt er damit? Will er mich tatsächlich in den Wahnsinn treiben? Er ist nahe dran... zu nahe. Ich spüre wie ich mehr und mehr die Kontrolle über mich verliere. Mit einem Mal ist nichts mehr so wie es war. Ich scheine ein anderer zu werden, wenn ich in seiner Nähe bin. Es ist als würde er mir all mein Kraft entziehen. Ich kann mich nicht rühren, nicht klar denken und er überrumpelt mich mit solchen Aussagen... Aber was noch schlimmer ist... ich verstehe mich selber nicht mehr. Ich agiere hilflos und unbeholfen, wenn ich in seiner Nähe bin. Ich komme auf die verrücktesten Gedanken und ich unfähig mich ihnen zu entziehen. Ich starre auf seinen Mund und alles in mir fängt zu beben an. Das ist doch nicht normal. So reagiere ich nicht. Doch er schafft es, dass ich wider meine Natur handele. Ich kann es nicht länger leugnen... ich werde hilflos in seiner Nähe. Ich bekomme weiche Knie. Ja, sogar mein Denken setzt aus. In diesen Momenten gibt es nur ihn und mich und ich verspüre den Wunsch... Seto! Hör auf darüber nachzudenken. Schluss. Denk nicht an ihn. Aber er ist eben niemand, den man so leicht aus seinen Gedanken verbannt. Er scheint tatsächlich mein Innerstes zu kennen. Ja, er blickt hinein. Bei ihm sind all meine Masken unnütz. Er nimmt sie von mir mit einem einzigen Blick. Er reißt die Mauern nieder, die ich seit meiner Kindheit errichtet habe und blickt dahinter... mit einer Leichtigkeit, die wahrhaftig an Zauberrei grenzt. Nein, das lässt sich nicht einfach verdrängen oder leugnen. Ich habe soeben ein Mass an Ehrlichkeit erreicht, das an Dummheit grenzt. Ich kann es nicht länger vor mir leugnen... Ich kann mir einreden, dass er in armer Irrer ist, aber ich weiß, dass dem nicht so ist. Irgendetwas an ihm, etwas, dass ich nicht zu greifen vermag, geht mir unter die Haut, ist nicht bereit von mir abzulassen und ich kann mich drehen und wenden wie ich will - ich drehe mich im Kreis. Ich muss die Fakten akzeptieren. Er geht mir unter die Haut, ich will es nicht, aber er tut es. Immer zu. Nicht erst seit heute, nicht erst seit gestern. Nein, ich kann mich der Logik nicht entziehen. Ich weiß es. Es ist so. Irgendetwas an ihm... ist immerzu da, bei mir und auch wenn ich mich bemühe, mich mit verzweifelter Wut und Gegenwehr dem zu verschließen, ich bin nicht in der Lage dazu. Selbst jetzt höre ich seine Stimme. Seine rauhe, heisere Stimme wie sie mir diese Frage zu flüstert. Was hat er damit gemeint? Warum hat er mich ausgerechnet das gefragt? Und nun, da ich mir das eingestanden habe, frage ich mich... Wenn ich für einen Moment die Zügel aus der Hand geben müsste, wem würde ich sie geben... wem? Du kannst den Kopf schütteln soviel wie du willst, Seto. Die Frage hängt im Raum. Sie wird keine Ruhe geben bis du sie beantwortet hast. Sie wird dich weiterhin heimsuchen, denn sie will eine Antwort. Sie brennt darauf. Und ich muss sie ihr geben. Wenn sich die Realität gegen mich verschworen hat, dann... dann ist nichts mehr sicher. Ich weiß, dass es falsch ist, wenn ich jetzt schon wieder zum Cognac greife. Ich weiß, dass Alkohol keine Lösung ist. Ich bin nicht von gestern und ich bin kein Idiot. Ich weiß nur, das ich diese Frage beantworten muss und ich... ich fürchte mich davor. Sie zu beantworten, hieße tief in mich selbst zu blicken und das will ich nicht. Also muss ich mich wohl betäuben, oder? Sonst finde ich ja doch keine Ruhe. Was ist die Logik der Wahrheit? Wer entscheidet letztlich was Vernunft ist? Ich spüre ein Brennen in meiner Kehle nach dem ersten Schluck. Ein kleiner, stechender Schmerz. Ein Schmerz, der mich beruhigt. Ich will mich entspannen. "Wenn du die Zügel einen Moment aus der Hand legen müsstest, wem würdest du sie geben?" Ich nehme noch einen Schluck. Jemandem, dem mein Herz wichtig ist. dedere Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)